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.hack//REVELATION

Aufstand der AIs
von

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AI-Defenders

Ich war meines Erachtens nach sonst immer sehr redegewandt, doch in diesem Augenblick wollte mir partout kein Wort über die Lippen kommen, beziehungsweise über die Lippen von Hien. Statt auf eine Reaktion meinerseits zu warten, fuhr das Mädchen unbeirrt fort.

"Wir möchten, dass du uns deine Fähigkeiten zur Seite stellst." Sie blickte mich nun eindringlicher an, nein, sie durchbohrte mich regelrecht mit ihren eisblauen Augen.

"I-ich...äh...", würgte ich mit letzter Kraft hervor. Das dritte Wort blieb mit im wahrsten Sinne des Wortes im Hals stecken. Das kleine Mädchen nickte nur.

"Im Moment ist keine Eile geboten, dennoch würden wir eine baldige Entscheidung deinerseits sehr schätzen. Mein Name ist Lia und ich werde deine Antwort mit Sehnsucht erwarten."

Mit Beendigung dieses Satzes speicherte sie ihren Namen automatisch in meine Kontaktliste, ohne dass ich dem zugestimmt hatte.

"Aber du kannst doch nicht -", begann ich, doch in dem Moment hatte sich Lia bereits aus dem Dungeon gewarpt.

Ein paar Minuten vergingen, in denen ich nur stumm auf den Fleck schaute, auf dem gerade eben noch das kleine Mädchen gestanden hatte. Nur Administratoren und hohen Offizieren der Roten Ritter ist es möglich, sich ohne Okarina aus einem Dungeon herauszubefördern.

Eine Stimme außerhalb meines FMDs riss mich aus meinen Träumen in die Realität zurück.

"Ryo, komm mal bitte runter, die Mutter von Yuuma steht vor der Tür und will mit dir reden!", rief meine Mutter von unten hoch. Ich blinzelte zwei Mal und nahm die Gerätschaft vom Kopf, stand auf und lief die Treppe hinunter, um Frau Kurai zu begrüßen. Diese sah jedoch nicht wirklich so aus, als würde sie einen erfreulichen Plausch mit mir halten wollen, ganz im Gegenteil. Ihre sonst so farbigen Wangen waren aschfahl und sie hatte sich komplett in Schwarz gekleidet. Mit einer bösen Vorahnung, fragte ich vorsichtig nach:

"Ist Yuuma etwa..." Wir waren beste Kindheitsfreunde. Sie zu verlieren war eine der Sachen, die ich nicht so einfach verkraftet hätte.

"Es ist nicht so drastisch, wie man hätte annehmen können.", gab sie leise zurück. "Yuuma liegt im Koma, seit gestern Abend bereits. Mein Mann meinte, sie wäre gerade dabei gewesen, dir eine Email zu schreiben, deswegen kam ich her, um dich zu fragen, ob du mir vielleicht weiterhelfen könntest. Der Arzt konnte uns keine Auskunft darüber geben, was die Ursache für Yuumas Koma sein könnte, er ist ratlos."

Ich fand es immer schwierig, in einer solchen Situation etwas passendes zu sagen und so ging es mir auch diesmal. Dann dachte ich an den Nachrichtenbericht vom Vortag, in dem von einem sehr ähnlichen Fall berichtet wurde. Ich erzählte Frau Kurai davon und sie wurde nur noch verzweifelter.

Meine Mutter holte sie ins Haus und bot ihr einen Tee an, den sie dankend annahm. Sie setzte sich zusammen mit meinen Eltern, mein Vater kam wenige Minuten später nach Hause, ins Wohnzimmer und die drei redeten ein wenig miteinander, um Frau Kurai abzulenken.

Indessen stürzte ich zurück an meinen PC. Ich öffnete meinen Mailordner und, wie ich erwartet hatte, fand keine Mail von Yuuma vor.

"Verdammt!", schnauzte ich und schlug mit der Faust auf meinen Schreibtisch.

Vielleicht wollte mir Yuuma etwas mitteilen, das mir einen Hinweis hätte geben können, womit ich es hier langsam aber sicher zu tun bekam. Zu diesem Zeitpunkt machte sich in mir eine gewisse Paranoia breit, die ich im Nachhinein für vollkommen verständlich hielt, bei den seltsamen Ereignissen, die in den beiden Tagen geschehen waren. Zwei Komafälle und eine seltsame Begegnung mit einem AI.

Mit einem erschöpften Seufzer lehnte ich mich nach hinten und sah an meine Zimmerdecke. Das war eine alte Angewohnheit von mir, wenn ich nachdenken wollte und Ruhe brauchte.

Wieso diese neuen Komafälle? Was hätte Yuuma mir sagen wollen? Und wer war die kleine in dem Dungeon??

Diese Fragen verursachten mir Kopfschmerzen und ich war bereits auf dem Weg ins Bett, als sich mein PC meldete und mir mitteilte, dass ich eine Email bekommen hatte. Ich ließ mich auf meinen Chefsessel fallen und öffnete den Brief.
 

Dringende Infos! Geschrieben am XX.XX.XXXX von Railgunner (Takuya Horoi)
 

Du weißt sicherlich schon von Yuumas Koma, ebenso von dem Komafall, von dem gestern Abend im Fernsehen berichtet wurde. Spricht ja sowieso die ganze Stadt drüber.

Jedenfalls: Mein Vater arbeitet ja bei der CC Corp. Da gehen ziemlich krasse Gerüchte um! Diese beiden Komafälle sollen nur die Spitze des Eisbergs sein. Mehrere dutzend Mitarbeiter der CC Corp. scheinen bereits ins Koma gefallen zu sein, da gehts offensichtlich drunter und drüber. Bestimmt hast du auch die Nachricht im BBS gelesen (die ist inzwischen übrigens gelöscht worden...). Wie dort angekündigt sind besonders die Reihen der Roten Ritter von den Angriffen betroffen. Was mir aber eigentlich eher Sorgen macht ist, dass jemand wie Yuuma ebenfalls attackiert wurde, die mit der ganzen Sache soweit ich weiß nichts zu tun hatte.

Du kennst dich in The World besser aus, als ich, ich spiels ja auch nicht. Wäre vielleicht eine gute Idee, wenn du dich mit der Entwicklung im Spiel befassen würdest und ich werde versuchen, über meinen Vater mehr über die Angelegenheit herauszufinden.
 

Informier mich bitte, wenn was Neues passiert!
 

Railgunner
 

Diese Mail galt es ersteinmal herunterzuschlucken. Nicht nur Yuuma, sondern auch zahlreiche andere Personen hatten das Bewusstsein verloren, genau wie vor drei Jahren. Die Tatsache, dass damals alle Betroffenen nach einiger Zeit auf wundersame Weise wieder erwachten, beruhigte mich nicht wirklich. Seit den Begebenheiten hatte ich die Vermutung, dass irgendein Spieler etwas oder jemanden in The World vernichtet hatte, der für die Komafälle verantwortlich war. Schließlich sind alle Opfer exakt zeitgleich aufgewacht, was man nicht unbedingt als Zufall einstufen kann.

Ein paar Minuten vergingen und ich hörte, wie unsere Haustür geschlossen wurde. Frau Kurai war gegangen, doch ich hatte andere Dinge im Kopf, als über ihre Trauer nachzudenken, so herzlos das klingen mag. Ich fühlte mich für Yuuma verantworlich, also verdrängte ich die Müdigkeit, setzte das FMD wieder auf und begab mich zurück ins Spiel.

Vor dem Chaosgate wartete bereits eine gute Freundin von mir.

Ihr Nickname war Gardenia und ihr Level war hoch. Sehr hoch, wenn man vom Durchschnitt der Spieler ausging. Außerdem spielte sie The World schon sehr lange und kannte daher so ziemlich alles, was man kennen müsste. Sie war eine Long-Arm Userin und war in ein weißes Gewand gekleidet. In ihrer rechten Hand trug sie, wie so oft den heiligen Speer Gezaars, ein sehr seltenes Item, für das sie ganz allein ein Event überstehen müsste, bei dem drei meiner Sorte keine fünf Sekunden überlebt hätten. Ich lernte sie in meinen ersten zwei Stunden in The World kennen. Etwas ungeschickt hatte ich mir ein für Anfänger zu hohes Level ausgesucht, besser gesagt es wurde mir von einigen 'hilfsbereiten' Spielern empfohlen. Kurz vor dem Ableben Hiens warf sich Gardenia ins Getümmel und vernichtete die Gegner mit einem einzigen Schlag. Von da an verbrachten wir viel Zeit zusammen und wurden langsam aber sicher recht gute Freunde.

"Gut, dass ich dich treffe!", rief ich ihr entgegen. Sie zuckte etwas erschrocken zusammen und drehte sich um. Eine ihrer Eigenarten war es, stets ein sehr ernstes gesicht zu machen, unabhängig von ihrem Gemütszustand.

"Kann ich nur zurückgeben!", antwortete sie knapp und sah aus, als würde sie mir im nächsten Moment an die Gurgel gehen wollen. "Ich hab schon eine halbe Ewigkeit auf dich gewartet!"

Ein weiteres Merkmal von Gardenia war es, teilweise einem vollkommen unlogischen Gedankengang zu folgen. Nur sie würde auf jemanden zu warten, ohne sich vorher mit demjenigen abzusprechen, ohne zu wissen, wann und wo derjenige auftauchen würde. Sie hatte Glück, dass ich in letzter Zeit immer über den Deltaserver einloggte, sonst hätte sie wahrscheinlich noch ein paar Stunden warten müssen.

"Ich hab etwas mit dir zu bereden. Komm bitte mit!" Sie ging in der Annahme, dass ich ihr ohne Beanstandungen folgen würde, voran und ich trottete ihr hinterher.

Sie führte mich sehr weit in die STadt hinein. Hier gab es weder Geschäfte noch Avatare. Die Programmierer schienen irgendwann keine Lust mehr gehabt zu haben, denn die Gassen wurden enger und die Grafiken an den Hauswänden grauer und eintöniger. Nach einem langen Marsch durch ein schier endloses Labyrinth von Polygonen standen wir schließlich (und ich hatte sowas schon irgendwie geahnt) vor einer Wand. Sackgasse.

"Äh...", entfuhr es mir, worauf ein strafender Blick Gardenias folgte, der mir sagte: "Ich weiß schon, was ich tue!"

Sie griff in ihre virtuelle Tasche und holte einen glühenden Kristall heraus.

"Ein Viruskern.", antwortete sie knapp auf mein fragendes Gesicht, worauf ich noch verwunderter dreinblickte.. Anstatt zu antworten seufzte sie nur, enttäuscht über meine Unwissenheit.

Die vor uns stehende Wand fing an zu glühen, als Gardenia den Viruskern in eine passende Vertiefung legte und verschwand schließlich ins Nichts. Dahinter erschien eine weitere, gerade Gasse, die zu einer einzelnen Tür führte. Auf dieser war ein seltsames Symbol eines Halbkreises abgebildet, das mir seltsam bekannt vorkam. Irgendwie wollte mir jedoch nicht einfallen, woher.

Gardenia betrat die Gasse und ging zur Tür, ich ihr immer brav hinterher. Ich wartete nur auf das nächste spektakuläre Item, das sie aus ihrem Inventar zaubern würde, denn die Tür besaß keine sichtbare Klinke. Entgegen meiner Erwartungen klopfte sie schlicht und ergreifend drei mal an.

Eine kleine Luke öffnete sich und zwei Augen, offensichtlich die einer Frau, schauten uns mit Misstrauen an.

"ID?", murrte es aus dem kleinen Guckfenster heraus.

"47287135.", gab Gardenia schlicht zurück. Einen kurzen Augenblick später wurde uns geöffnet und es tat sich eine überwältigende Welt vor mir auf. Ein langer Weg, scheinbar nur aus Licht bestehend, schwebte förmlich in der Luft und führte in die Unendlichkeit. Die ganze Umgebung schien endlos zu sein. Ein paar Programmiercodes flogen duch die Luft und der restliche, schwarze Hintergrund erinnerte an das Weltall.

Rechts neben der Tür stand ein junges Mädchen, scheinbar diejenige, die uns aufgemacht hatte. Sie war etwas kleiner als ich, trug ihre schwarzen Haare aufwendig hochgesteckt und ansonsten schlichte Bauernkleidung, das war jedenfalls das einzige passende Wort, was mir in diesem Moment dafür einfiel. Wie bereits bei dem AI aus dem Dungeon konnte ich keine Waffen erkennen und auch diesmal wurde ich von ihrem gefühlvollen Blick in den stechend grünen Augen in den Bann gezogen.

Auf mein Anstarren hin lächelte sie mich gütig an.

"Tut mir Leid, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Haruka, ich bin sozusagen die Pförtnerin hier."

Gardenia winkte ungeduldig ab und zog mich am Arm hinter ihr her.

Haruka blieb hinter uns zurück, schloss die Tür wieder und winkte mir nach, als ich mich noch einmal umdrehte.

Der Lichtweg schien kein Ende zu nehmen. Langsam aber sicher kam es mir wirklich so vor, als würde ich Gardenia durch die Weiten des Alls folgen. Ein anderes, gleißenderes Licht, das uns zu einer zweiten Tür führte, beendete meinen Ausflug in diesen seltsamen Raum und nachdem wir draußen waren, fand ich mich in einer anderen Stadt wieder.

"Was...war das eben?", fragte ich, noch immer beeindruckt von dem, was ich eben erlebt hatte.

"Ach ja, hatte mich schon gefragt, wann der Satz endlich kommt.", grinste sie. "Das war einer von den AIs konfigurierten Datensträngen, die zwei Server miteinander verbinden. So müssen wir das Chaos Gate nicht benutzen, das von der CC Corp. rund um die Uhr kontrolliert wird. Ich stehe seit den Vorfällen um die Komafälle vor drei Jahren sowieso weit oben auf ihrer Liste gefährlicher Subjekte, und jetzt noch die neuen Geschichten um die AIs...ich will nicht riskieren, dass mein Avatar gelöscht wird."

Ich starrte sie mit offenem Mund an, zumindest in der realen Welt.

"Du...hattest was mit den Vorfällen vor drei Jahren zu tun?", rief ich aufgeregt und fing vor Freude an zu zittern.

"Hm...ach so, hab ich dir noch gar nicht erzählt!" Gardenia positionierte sich vor mir und nahm eine coole Pose ein, was ich von ihr gar nicht gewohnt war. "Vor dir steht eine von den .hackers, die Gruppe, die Aura und die ganze Welt gerettet hat!"

Ich war sprachlos. Und das nicht nur kurzzeitig. Ich wusste zehn Minuten lang nicht, was ich sagen sollte.

Gardenia schaute verdutzt und winkte vor meinem ausdruckslosen Gesicht herum, bis ich wieder zu mir kam.

"Tut mir Leid, ich war wohl eben etwas weggetreten.", entschuldigte ich mich und verbeugte mich.

"Hätte ja nicht gedacht, dass dich das so dermaßen beeindruckt.", gab sie mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.

"Der einzige Grund, warum ich dieses Spiel spiele ist, um einmal alle .hackers zu treffen. Seit dem Vorfall vor drei Jahren habe ich alles mögliche zu dem Thema gesammelt und bin jedem Hinweis auf der Spur gewesen. Soweit ich weiß, war ich in jeder Area und jedem Dungeon, in denen die 'Waves' bekämpft wurden."

Gardenias Gesichtsausdruck verriet eindeutig, dass sie Hiens Verhalten nicht nur für übertrieben, sondern sogar für etwas krank hielt. Nichts desto trotz konnte sie sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Ein kurzer Blick auf die digitale Uhr in ihrem "realen" Zimmer ließ Gardenia jedoch aufschrecken.

"Wir vertrödeln schon wieder viel zu viel Zeit. Komm jetzt!"

Wir bahnten uns erneut den Weg durch eine Menge Avatare, betraten eine kleine Nebengasse und gingen geradewegs auf die hinterste Tür zu.

Auch hier wurde meine Begleiterin nach ihrer ID gefragt und, nachdem sie diese durch das kleine geöffnete Fenster in der Tür gesprochen hatte, nach mir.

"Das hier ist Hien.", gab sie schlicht zurück, ohne auf die Frage näher einzugehen.

Schleunigst wurde die Tür aufgeschlossen, es schien fast so, als habe es die Person dahinter besonders eilig, die Ankömmlinge zu begrüßen.

Ich trat nach Gardenia in das Zimmer. Eigentlich war es weit mehr als das, man würde es wohl eher als Halle bezeichnen.

Die Decke war behangen mit unzähligen Kronleuchtern, deren Licht sich durch den spiegelnden Glasboden zu vervielfachen schien. Überall standen Avatare aus allen verfügbaren Charakterklassen herum und unterhielten sich, oder saßen einfach auf einem der unzähligen Stühle oder Bänke, die kreuz und quer im Raum aufgestellt waren.

Mein Blick fiel auf den weiblichen Avatar, der uns die Tür geöffnet hatte. Ein weiteres, kleined Mädchen, das mich sehr an Haru erinnerte, die uns an der anderen Tür begrüßt hatte. Sie wahr beinahe identisch gekleidet, nur ihre Haare waren heller.

"Willkommen bei A.I.D., den AI-Defenders, Hien!", sagte sie vergnügt und sah mich freudenstrahlend an.

Als mein Name in der Halle wiederhallte, drehten sich alle versammelten nach mir um und begutachteten mich. Ich wollte nurnoch im Boden versinken.



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