Float up from dream
„Schizophrenie ist ein Kampf um Integration, der scheitert, weil die Kraft fehlt, die eigene Wahrheit in einer feindlichen Umwelt zu leben.“
Arno Gruen - Der Wahnsinn der Normalität
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Name: Sherry Blossem
Alter: 28 Jahre
Beruf: Unbekannt
Wohnort: Ashfield
Ms. Blossem leidet eindeutig an paranoider Schizophrenie. Sie denkt, dass jeder Mensch ihr nur Böses will und sie bei jeder Gelegenheit beleidigt.
Ihre Bewunderung für Serienmörder, insbesondere Walter Sullivan, erwächst wohl aus ihrem Wunsch, Menschen zu töten und zu verletzen.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Selbstverstümmelungen durch Verbrennungen, Verbrühungen und Schnitte.
Da sie sowohl für sich selbst als auch für andere gefährlich ist, haben wir sie in einer Sicherheitszelle untergebracht.
Quait schloss die noch dünne Akte und lief den Gang weiter.
Es war sein erster Tag als Psychologe am St. Jerome Krankenhaus und diese Sherry Blossem sollte seine erste richtige Patientin sein.
Schon auf der Uni hatte er das Fach Psychologie geliebt, er wollte Menschen helfen, hatte aber nicht zum Arzt getaugt, da er kein Blut sehen konnte. Polizist wie sein bester Freund oder Feuerwehrmann wie sein Vater... diese Jobs waren ihm zu gefährlich.
Nein, es hatte etwas Medizinisches sein müssen. Er wollte kranken Menschen helfen, deswegen hatte er sich für die Psychologie entschieden.
Und Sherry schien dabei ein ganz besonders harter Fall zu sein.
Sie litt angeblich schon jahrelang an Schizophrenie, welche man bislang als einfache Depression abgetan hatte, doch die verordneten Medikamente hatten nur ihre Wahnvorstellungen verstärkt.
Schließlich war sie nach Silent Hill gefahren, eine beachtliche Leistung, wenn man bedachte, dass Sherry in ihrem ganzen Leben keine Fahrschule besucht hatte.
Als Ergebnis hatte sie einen Unfall gebaut. Besorgte Autofahrer hatten das Wrack gesehen und nach dem Fahrer gesucht. Die junge Frau hatte in einem Gebüsch in der Nähe gelegen. Unverletzt, nur mit kleinen Kratzern an Arme, Beinen und Händen.
Was war geschehen?
Was wollte sie überhaupt in Silent Hill?
Das wollte Quait im Gespräch mit Sherry herausfinden.
Silent Hill... er hatte von dieser Stadt gehört. Sie war ein Paradies für alle Touristen, die ihre Ruhe in einem verschlafenen kleinen Städtchen suchten.
Aber das war schon lange her.
Inzwischen lebten nur noch wenige Leute dort, meistens Anhänger irgend eines religiösen Kultes. Angeblich gab es Besucher der Stadt, die berichteten, seltsame Kreaturen im Nebel gesehen zu haben.
Aber während des Studiums hatte Quait gelernt, dass der Nebel einem die seltsamsten Sachen vorgaukeln konnte – besonders in Verbindung mit Alkohol oder Drogen.
Eine Weile hatte Quait überlegt, selbst in diese Stadt zu fahren, aber etwas in ihm hatte sich dermaßen dagegen gesträubt, dass ihm stets irgend etwas anderes eingefallen war, was er noch zu tun gehabt hatte. Außerdem hatte er im Internet gelesen, dass nichts mehr von dem alten Charme übrig war. Es war nur noch eine unheimliche, vernebelte Stadt, in der auch sämtliche Läden geschlossen sind.
Helles Licht fiel auf den Flur und malte ein schönes Muster auf dem Boden. Einige Patienten saßen im Aufenthaltsraum und spielten miteinander Brettspiele, andere saßen in ihren Zimmern, bei geöffneten Türen.
Dies war der „normale“ Flügel, für jene Patienten, die für niemanden gefährlich waren.
Er war erst seit einer Woche hier, hatte aber bereits mit einigen dieser Patienten Kontakt gehabt. Manche waren erschreckend normal gewesen, so dass er sich gefragt hatte, weswegen sie wohl hier waren. Aber niemand hatte es ihm gesagt. Und selber in den Akten zu schnüffeln, traute er sich noch nicht, dafür war er noch zu frisch.
Vor einer Tür mit Milchglas blieb er stehen. Der Gang dahinter war dunkel, er führte in den Trakt mit den Sicherheitszellen (einfache Leute nannten das auch „Gummizelle“).
Nicht-authorisierte Leute durften nicht durch die Tür hindurchgehen, deswegen war sie stets verschlossen. Öffnen konnte man sie nur mit einem dementsprechenden Ausweis.
Und nach diesem suchte Quait gerade in seinen Taschen. Er neigte dazu, Dinge zu vergessen und es hätte ihn nicht gewundert, wenn dieses Stück Plastik auch dazu gehört hätte.
Nein, er hatte Glück. Er fand die Karte in seiner hinteren Hosentasche, zusammen mit seinem Mitgliedsausweis der Videothek, welchen er allerdings gleich wieder einsteckte.
Quait hielt den Ausweis vor den kleinen Scanner und wartete so lange, bis das summende Geräusch ertönte, welches die Türöffnung ankündigte.
Rachel, eine Krankenschwester, die im Hospital arbeitete, hatte ihm das gezeigt. Sie hatte ihn an seinem ersten Tag herumgeführt und war auch in der gesamten ersten Woche an seiner Seite.
Auch jetzt galt noch, so hatte man es ihm eingebläut, dass er zu Rachel gehen sollte, wenn er ein Problem oder eine Frage hatte. Die Nummer ihres Biepers hatte er schon auswendig gelernt.
Kaum hatte sich die Tür hinter Quait wieder geschlossen, sprang eine sanfte Nachtbeleuchteung an.
Dieser Teil des Traktes verfügte über keine Fenster und in diesem kurzen Stück zwischen normalen Zimmern und Sicherheitszellen war die Luft stets stickig. Erst als Quait in den Raum des Wächters kam, wurde die Luft wieder angenehm. Zwar gab es auch hier keine Fenster, aber immerhin ein großer Ventilator und einen Anschluss an den Lüftungsschacht.
Quait fragte sich oft, warum man das so gebaut hatte, aber eine Antwort hatte ihm niemand gegeben.
Der Wächterraum war karg eingerichtet, im Vergleich zu dem sonst großzügig platzierten Mobiliar im Rest des Krankenhauses. Vielleicht lag es daran, dass keine „reichen“ Patienten in die Zellen kamen – oder es hier keine Besucher gab.
Obwohl sie in der gefährlich-psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses waren, gab es nur wenig Wachpersonal. Es waren insgesamt drei Männer im mittleren Alter, die sich nach Dienstplan abwechselten. Sie waren keine geschulten Pflegekräfte, beherrschte die Erste-Hilfe jedoch im Schlaf. Wenn etwas Akutes war, riefen sie Ärzte und Pfleger und kümmerten sich dann um die Erste-Hilfe.
Vor dem großen Ventilator (welcher wiederum hinter einem Gitter angebracht war) stand ein einfacher Schreibtisch auf dem Bücher und Blätter verstreut lagen. Hier unten gab es keinen Computer, Licht spendete lediglich eine veraltete Leselampe auf dem Tisch.
Dahinter saß wieder einmal einer der älteren Wachmänner. Anscheinend suchten sie schon länger einen jüngeren Mann für den Job, aber kaum jemand hielt das länger aus als einen Monat.
Sogar für ihn, Quait, liefen schon Wetten, wann er wieder aufgeben würde.
Der Wächter sah von seinem Comic auf (es gab reichlich wenig zu tun). „Oh, Sie sind Dr. Quait, nicht wahr? Man hat mir gesagt, dass sie heute wegen Nr. 4 kommen würden.“
„Nr. 4?“, fragte Quait nachdenklich.
„Ich merke mir die Patienten nicht vom Namen her, sondern nur von den Nummern ihrer Zellen. Bei dem Kommen und Gehen...“
Quait runzelte missbilligend seine Stirn. Er hasste dieses Denken, schon bei seinem Professor an der Uni hatte es ihn gestört, dass immer mehr Ärzte Patienten nur noch als Nummern oder Krankheiten sahen und nicht als Menschen.
Der Wachmann legte seinen Comic beiseite und holte Klemmbrett und Kugelschreiber hervor. Auf dem Brett war eine Liste befestigt, auf welcher die „Besucher“ sich eintragen mussten. Rachel hatte ihm bereits letzte Woche gezeigt, wie das ging, deswegen brauchte er auch keine weiteren Erklärungen, als er seinen Namen und seine Personalnummer eintrug.
Der Wachmann fügte noch Datum und Uhrzeit der Ankunft hinzu. Dann erhob er sich ächzend von seinem Stuhl und trat an die Stahltür. Die massive Tür führte in einen weiteren Gang, in dem die eigentlichen Zellen waren.
Er öffnete die Tür mit einem großen Schlüssel. „Sie wissen ja, wie's läuft. Gehen Sie nicht zu nah an die anderen Zellen, wenn Sie Probleme haben, gibt es einen Notruf in der Zelle. Die Türen da drin öffnen Sie mit Ihrem eigenen Schlüssel.“
„In Ordnung.“
Quait trat in den Gang. Dieser war düster und wirkte übermäßig bedrohlich. Am anderen Ende des Ganges drehte sich noch ein großer Ventilator. Es roch nach altem Blut und Exkrementen, hin und wieder war ein leises Stöhnen zu hören oder ein plötzlicher Schrei, meist gefolgt von einem Körper, der sich gegen die Wand oder eine Tür warf.
In so einer Atmosphäre konnte man nicht gesund werden.
Quait zog seinen Schlüssel heraus und schloss Zelle 4 auf. Als erstes fiel ihm etwas an der Wand auf. Jemand hatte mit Blut die Worte „Walter wird kommen und mich mit sich nehmen“ darauf geschrieben.
Er erinnerte sich, dass Rachel ihm erzählt hatte, was geschehen war. Sherry hatte sich die Pulsadern aufgebissen und die Worte geschrieben, dann hatte sie Hilfe für sich gerufen. Sie hatte nicht vorgehabt, sich umzubringen.
Sein Blick fiel auf die junge Frau, welche mit angezogenen Beinen in der Ecke saß. Sie sah so normal aus, dass Quait sich fragte, ob der Inhalt ihrer Akte wirklich stimmte.
Ihre schwarzen Haare waren kurz und glänzten fettig, ihre braunen Augen hatten den Lebenswillen verloren. Der Verband um ihren verletzten Arm war locker, aber die Wunde selbst war geschlossen. Der weiße Kittel, den sie trug, war die Standard-Kleidung für Sicherheitspatienten.
Sie hob ihren Kopf und musterte ihn fragend. Besonders an seinem blonden Haar blieb sie hängen. Es war ihm ein wenig unangenehm, besonders da in ihrem Blick nichts lag, was auf Emotionen hindeuten ließ. Es war als ob einen tote Augen ansahen.
Quait setzte sich auf das Bett. Es war ungemütlich und sicherlich nicht dafür geeignet, einen schönen Schlaf zu haben.
„Sherry, ich bin Dr. Richard Quait.“
„Sie riechen nicht wie ein Arzt.“
Ihre Stimme klang heiser als ob sie schon lange nicht mehr gesprochen hätte. Aber ihre Aussage verwirrte ihn ein wenig. „Was meinst du damit?“
Rachel hatte ihm erklärt, dass Sherry lieber geduzt werden wollte. Also hatte er beschlossen, dass auch zu tun – in der Hoffnung, dass sie ihm mehr vertrauen würde.
„Ärzte riechen anders. Sie sind neu, nicht wahr?“
„Das ist richtig. Also, Sherry, weißt du, weswegen ich hier bin?“
Sie legte ihren Kopf schräg. „Es geht um Greg, oder? Und Walter...“
„Wieder richtig. Denkst du, du kannst mit mir darüber reden, was geschehen ist?“
Ihr Blick ging nervös von einer Seite zur anderen. Dann fixierte sie ihn wieder. „Natürlich kann ich das, aber Sie werden mir nicht glauben. Alle sagen, ich habe mir das nur eingebildet.“
Quait zog einen Stift hervor. Die Akte legte er beiseite, nur sein eigenes Klemmbrett mit seinem Block behielt er in der linken Hand. Es war alles noch neu, er hatte es von seinem Vater zum Abschluss bekommen.
Sherry sah an die Decke. „Es ist wie ein... Traum. Es ist als müsste ich erst aus diesem auftauchen... Aber die Ereignisse in Silent Hill und alles davor war kein Traum...“
„Sherry, wenn ich dich nochmal unterbrechen darf... warum hast du das an die Wand geschrieben?“
Sie berührte die Worte liebevoll, fast zärtlich. „Damit ich es nicht vergesse, auch wenn ich eure Drogen nehme. Und damit ich weiter daran glauben kann...“
„Okay... Gut, dann erzähl mir von Silent Hill und von Walter. Was ist geschehen?“
Sherry schloss ihre Augen wieder, ihr Gesicht nahm einen entspannten Ausdruck an. „Schon seit ich klein bin habe ich das Gefühl, dass alle mich hassen, mich verfolgen und meine Gedanken steuern wollen. Je älter ich wurde desto schlimmer wurde meine Krankheit auch. Aber mein Arzt bescheinigte mir nur Depressionen und gab mir entsprechende Medikamente. Diese wiederum sorgten nur dafür, dass meine Wahnvorstellungen stärker wurden. Ich zog mich immer mehr von meiner Familie zurück und igelte mich in meinem Apartment ein.“
Quait hielt in seinen Notizen inne. Dafür, dass sie „angeblich“ schizophren war, drückte sie sich erstaunlich klar und mit gewählten Worten aus. Vielleicht hatte sie extra hart daran gearbeitet.
Sie musterte ihn fragend. „Was?“
„Ich habe mich nur über deine Sprache gewundert. Aber egal, mach nur weiter.“
Sie nickte. Quait fiel auf, dass ihre Augen plötzlich von leidenschaftlicher Melancholie erfüllt waren.
„Es war vor einem Monat... an diesem Abend wollte ich zu Hause allein einen Film ansehen, aber...“
Quait blinzelte verwirrt. Während sie erzählte, schien es ihm als könne er sehen, was sie gesehen hatte...
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Soviel zum Prolog.
Im ersten Kapitel erfahren wir, wie Sherrys "Abenteuer" angefangen hat.
Im Übrigen verwende ich für die Kapiteltitel die Tracktitel der OSTs des Spiels, deswegen sind sie englisch. Das erleichtert mir die Sache ein wenig. ^^
Natürlich beziehen sich die Titel dennoch auf den eigentlichen Inhalt.
So, ich geh dann mal weitermachen.