So...hier kommt der zweite Teil, diesmal hab ich (aus Tetei's Sicht) geschrieben:
Shin Seimaden
Teil 2
Reglos lag er da.
Völlig reglos.
Genauso, wie er schon seit beinahe hundert Jahren dort lag.
Tetei seufzte.
Langsam verlor er die Hoffnung, dass Zadi jemals wieder erwachen würde.
Er zog die Tür zur Treppe hinter sich zu und maß die kleine Halle kritisch mit Blicken.
Der Raum war rund, kreisrund mit Kuppeldecke, gebaut aus weißem Marmor.
Vorhänge wehten in hohen verschließbaren Fenstern und große, steinumsäumte Beete sorgten für einen schönen Duft.
Tetei schloß die Augen und atmete tief ein.
Er hatte Jahre gebraucht, um diesen alten Ort wieder wohnhaft zu machen.
Das große Haus mit der Kuppel in der Mitte stand in einem wunderschönen, unbewohntem Tal mitten in dem unerforschtem Teil der Itadákigebirgen.
Außer ihm lebten hier nur Herden harmloser Tiere und die Drachenfamilie, die er damals aus Laures' völlig zerstörtem Palast mitgebracht hatte. Diese waren es auch, die unliebsame Besucher vertrieben.
Dank ihnen lebte Tetei hier sehr friedlich. Und sehr einsam.
Wie lange war es her, dass Tetei mit anderen Dämonen gesprochen hatte?
Oder überhaupt, gesehen hatte?
Mit einem Ruck öffnete er seine Augen. Das war unwichtig! Er würde Zadi nicht alleine lassen! Vorsichtig trat er zwischen den Blumen hindurch auf das Podest in der Mitte des Raumes zu.
Inmitten dieses Podestes ruhte auf einem Bett von Moospflanzen Zadi.
Tetei betrachtete diesen Dämonen vor ihm.
Erinnerungen durchspülten seine Gedanken. Gelbe, leuchtende Augen, von Lebenslust glitzernd, schimmerten ihn zärtlich an. Die Klaue, lang und gefährlich , die ihm das genommen hatte, das das wichtigste und auch grundlegenste seiner Existenz war: Die Fähigkeit des Fliegens.
Und doch konnte diese Klaue auch so sanft sein.
Die Leere in ihm, die Bedeutungslosigkeit des Lebens nach seiner Erweckung. Der Schmerz, wenn Zadi ihn nahm. Und doch war da diese Zärtlichkeit, leicht, versteckt.
Und dann die Worte: " Laures ist nicht der einzige, der leben geben kann."
Die Liebe in diesen Worten, obwohl er, Tetei, Zadi das Schwert in die Brust gerammt hatte. Dann die nächsten Momente, verschwommen, dieses Licht, Laures' Anwesenheit, seine Aufopferung, die Explosion und anschließend hatte Tetei seinen Flügel wieder und Zadi seinen normalen Körper.
Was mit Laures geschehen war wusste Tetei nicht. Er hatte sich direkt danach die Drachenfamilie genommen und hatte einen Ort gesucht, wo er und Zadi gefahrlos bleiben konnten. Dabei war er auf dieses Tal gestoßen: groß, mit Wiesen, Wäldern, Flüssen und am Rand diese verlassene Ruine.
Tetei verdrängte die Erinnerungen. Die nächsten Jahrzehnte waren nur angefüllt von Angst, Hoffnung, Depressionen, Einsamkeit und Arbeit.
Er betrachtete diesen Dämonen vor sich: zweitstärkster Dämon von ganz Makai.
Das schwarze Wuschelhaar war gewachsen und dank Tetei's Pflege weder zerrupft, noch verzottelt. Ansonsten sah er genauso aus, wie früher.
Tetei lächelte sanft und ließ sich geschmeidig am Rand von Zadi's Bett nieder.
Sein Lächeln schwand. Er hatte schon so oft versucht, Zadi zu wecken. Er hatte ihn gekniept, gerüttelt, gerufen, leicht geschlagen... einmal hatte er ihn sogar in Eiswasser gelegt und eine Stunde drin liegen lassen. Nichts hatte geholfen.
Dann war ihm die Idee gekommen zu singen. Tetei's Sippe sang oft und gerne.
Aber es war so lange her, dass er diese Lieder gesungen hatte...
Er räusperte sich. Suchte alte, verblasste Lieder in allen Ecken seiner Erinnerungen.
Und er fand eins. Tetei lächelte versonnen. Dies hier hatte seine Mutter so oft gesungen. Ob er sich noch an den ganzen Text erinnern konnte? Das würde er schon sehen.
Stockend, unsicher begann er, doch schon bald erinnert sich seine Stimme an das Lied und wurde fester und klarer.
Seidene Töne stiegen zur Kuppel hinauf, friedlich, sanft, beruhigend, lockend.
Dann schneller, lauer, fordernder, ohne jedoch jemals ihre Sanftheit zu verlieren.
Dann wieder zerbrechlich, leise, zärtlich.
Die Töne vermischten sich, spielten Spiele, verbanden sich zu einer wunderschönen, alten Melodie in einer alten, vergessenen Sprache.
Draußen hielten die Drachen in ihrer Jagd inne, hoben lauschend die Köpfe, die Tiere schwiegen, sogar das Rauschen der
Wasserfälle schien leiser zu werden, zu lauschen.
Und Tetei sang.
Den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen sang er seine Seele hinaus in den Tag.
Sang seine Einsamkeit, seine Verzweiflung, seine Trauer, doch auch seine Hoffnung hinaus in die Makai.
Langsam wurde das Lied leiser, die Triller schwanden und Tetei ließ das Lied sanft und fließend ausklingen.
Dann verharrte er so und ließ seine Stimme in der Kuppel verklingen.
Eine einzige Träne rann vergessen seine Wange hinab.
Er atmete tief durch und öffnete seine türkisen Augen.
Und starrte in leuchtend gelbe.