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Freundschaft und Vertrauen

von

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Hallo, mein Name ist Miyako Amano und ich besuche zurzeit die Ohsaka High.
 

Gerade versuche ich mich, so weit wie möglich in die Ecke meines Platzes in der vorletzten Reihe zu schieben. Ich mache mich ganz einfach unsichtbar. Denn wenn ich nichts mache, störe ich die anderen auch nicht – hoffe ich jedenfalls.

Plötzlich fangen alle an zu tuscheln. Was ist denn nun los? Ach stimmt, heute soll ja ein neuer kommen. Nun ja, von mir aus. Solange ich meine Ruhe habe.

Er stellt sich als Shin vor, während ich mich weiterhin darum bemühe, mich mehr oder weniger heimlich in meiner Ecke zu verkrümeln. Er blickt sich um und geht dann auf die letzte Bankreihe zu. Hoffentlich setzt sich der Typ nicht so weit in meine Nähe. An seinem selbstgefälligen Grinsen hab ich schon erkannt, dass er so ein eingebildeter Macho ist. Ein bisschen ängstlich sehe ich doch auf den freien Platz neben mir. Er wird doch wohl nicht…? Oh doch, er wird. Im nächsten Moment grinst er mich unverschämt an und lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen. – Schön blöd, jetzt hab ich keine Ruhe mehr! Und jetzt sitzt auch noch dieser eingebildete Kerl neben mir. Hoffentlich spricht er mich nicht auch noch an. Das würde mir gerade noch fehlen! Doch mitten in der Mathe-Stunde dreht er sich zu mir herum. Nun ja, wenn er mich anspricht, werde ich ihn ganz einfach abwimmeln.

„Hi, ich bin Shin. Und wie heißt du?“ Ich sage ihm lieber nur meinen Nachnamen, das wahrt die Distanz. „Amano“ sage ich betont kühl. Er grinst immer noch so nervtötend. „Bist du immer so frostig?“ Ich beschließe, seine Frage zu überhören und mal einen Blick auf die Tafel zu werfen. *Argh* Mathe ist so langweilig. Mein Blick schweift wieder ab und da fällt mir auf, dass der Neue interessiert begutachtet wird. Der eine oder andere abschätzige Blick fällt auf mich. Die fragen sich jetzt sicherlich, wieso er neben mir sitzt. Nun von mir aus können sie ihn gerne haben, ich lege keinen Wert auf ihn. „Du sag mal“ – was erlaubt sich der blöde Affe eigentlich? Redet mit mir als wären wir beste Freunde. „Wie heißt das Mädchen dort mit den langen braunen Haaren?“ Er meint Rika. Unsere Schulschönheit. Nun, da sie mich immer mit ihrem Fanklub schikaniert, geschieht es ihr nur recht, wenn ich ihr diesen Typen auf den Hals hetze. „Rika Kono“, antworte ich in möglichst höflichem Ton. „Aha“, meint er gelangweilt, „Die ist sicher ´ne Oberzicke.“ Was?? Ich glaub, ich hab mich verhört. Das... hat er unsere Schulschönheit wirklich gerade als Oberzicke bezeichnet? Das glaub ich jetzt nicht. Obwohl so weit ist er damit gar nicht von der Wahrheit entfernt – bei ihr täuscht das Aussehen über den Charakter hinweg. Man sagt doch immer: Eine hässliche Seele in einem schönen Körper. Dass er nicht nur ihre Fassade sieht, verblüfft mich doch ein wenig. Das geschieht eigentlich selten und nur dann, wenn sie wie bei mir ihren wahren Charakter zeigt.

Meine Gedanken schweifen ab. Seit meine beste Freundin Mizuki vor einem Jahr Selbstmord begangen hat, schikaniert mich Rika, wann immer sie kann. Mizuki war bei allen beliebt und ich glaube, Rika gibt mir die Schuld an ihrem Tod. Ich weiß nicht weshalb.

Jedes Mal, wenn ich an Mizuki denke, zieht sich mein Herz zusammen. Obwohl es nun ein Jahr her ist, tut es immer noch sehr weh. Ich vermisse sie so schrecklich. Ihr Gesicht, wenn sie lachte. Ihre Geduld und Ernsthaftigkeit, wenn ich ihr Probleme anvertraute. Ich denke, ich werde nie mehr einem Menschen so vertrauen können wie ihr. Bevor ich es verhindern kann, läuft eine Träne über mein Gesicht. Mein neuer Banknachbar hat es bemerkt und blickt mich skeptisch an. „Was ist...?“ Wieso glaubt er, dass ich es ihm erzählen möchte? Ich drehe mich abrupt zur Wand hin. Soll er doch denken, was er will. Ich nehme mir vor, in Zukunft besser aufzupassen. Ich muss meine Gefühle besser unter Kontrolle bringen, schließlich will ich mich vor diesem Idioten nicht dauernd bloßstellen. Ich werfe einen Blick auf die Tafel. Der Lehrer - er heißt Kajiwara-Sensei - hat sich schon wieder verrechnet. Ich rechne schnell das richtige Ergebnis aus, und überlege, wie ich die Stunde verbringen kann, ohne mich zu Tode zu langweilen. Ich nehme meinen Bleistift zur Hand und beginne zu zeichnen. Bald formen sich auf dem Papier Gesicht, Hals, Schultern und Haare. Ich betrachte das Gesicht meiner Figur. Weiche Linien, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und fröhlich funkelnde Augen. - Ein Schmerz durchzuckt meine Brust. Unbewusst habe ich Mizukis Gesicht skizziert. Eigentlich könnte ich tatsächlich mal ein Bild von ihr malen. Das würde sie mit Sicherheit freuen.

„Amano! Kannst du uns bitte das Ergebnis sagen?“ Ich schrecke hoch und bemerke das genüssliche Grinsen auf dem Gesicht meines Banknachbarn. Der denkt jetzt sicher, ich weiß es nicht. Ich überfliege die Zahlen auf der Tafel und rechne kurz nach. „Amano, wie lautet das Ergebnis?“ Kajiwara-Sensei sieht aus, als würde er jeden Moment platzen. „Also, x = 2/5, y = 6/121 und z = 3/65 “, antworte ich ruhig, um ihn nicht noch mehr zu reizen. „Äh“, er sieht auf sein Heft, „Das ist falsch. Du musst dich irgendwo verrechnet haben“, stellt er fest. „Hat vielleicht jemand das richtige Ergebnis?“ Mir bleibt für einen Augenblick glatt die Luft weg. Also das ist ja wohl die Höhe! Nur weil dieser einfältige Lehrer zu blöd ist, die richtigen Zahlen einzugeben und zu geizig war, sich ein Lösungsheft zu kaufen, ist mein Ergebnis falsch. Ich rechne vorsichtshalber nochmal nach und komme zu demselben Ergebnis wie vorher. Also ist mein Ergebnis doch richtig! Ich habe schon mit sieben Jahren Mathematik-Wettbewerbe gewonnen. Meine Eltern schickten mich dorthin, es ging ihnen aber nur darum, die Preisgelder abzukassieren. Also zog ich mit 12 Jahren zu meiner Oma und mit 15 suchte ich mir dann eine eigene Wohnung. Meine Eltern lassen seitdem nichts mehr von sich hören und zahlen mir keinen Yen, ich bin mir fast sicher, dass sie schon vergessen haben, dass es mich überhaupt gibt. Nur von meiner Oma erhalte ich manchmal etwas finanzielle und natürlich moralische Unterstützung, aber ich versuche sie nicht zu sehr zu belasten, schließlich hat sie auch Probleme. Um meine Wohnung zu bezahlen, musste ich natürlich ein paar Jobs annehmen. Zur Zeit arbeite ich in ´nem Cafe` und manchmal helfe ich in einem Elektronikladen in meiner Straße aus.

„Ich habe ein Ergebnis!“, ruft mein Banknachbar laut und befördert mich damit wieder zurück zum Mathe-Unterricht. „Ich habe dasselbe Ergebnis wie“ - er wirft einen kurzen Blick auf mich - „Amano. Könnte es nicht vielleicht richtig sein?“ Er hat Kajiwara-Sensei zwar höflich kritisiert, aber er weiß ja nicht, dass dieser Lehrer überhaupt keine Kritik verträgt. Nur seine Meinung und das, was er tut ist richtig, alles andere nicht. Unser Lehrer sieht sich in der Klasse um. „Hat noch irgendjemand diese Werte ausgerechnet?“ Es folgt Schweigen. Entweder wagt sich niemand, etwas zu sagen, oder aber alle haben gar kein Ergebnis. Ich tendiere eher zu letzterem. In der letzten Zeit hat unsere Klasse echt null Ahnung, wenn´s um Mathematik geht, dabei ist das doch so einfach. „Sehen Sie, Kayashima“, wendet er sich an Shin, „Sie beiden sind die einzigen, also werden Ihre Werte wohl auch nicht stimmen.“ Shin sieht ihn böse an, doch das bemerkt unser Sensei nicht, da er sich schon wieder der Tafel zugewandt hat. Shin sieht zu mir hinüber. „Ist der immer so?“ „Oh ja“, seufze ich und verdrehe die Augen. Erst im nächsten Moment wird mir bewusst, dass ich mich ja gar nicht mit ihm unterhalten wollte. Er scheint über irgendetwas nachzudenken. Dann hebt er die Hand: „Entschuldigen Sie vielmals“ – der Ton ist eindeutig ironisch – „ Dürfte ich Sie darum bitten, die Aufgabe noch einmal vorzurechnen?“ Ach du meine Güte, der Kerl rennt doch tatsächlich in sein Unglück. Unser Lehrer drehte sich herum, sein Kopf nahm nach und nach die Farbe einer Chilischote an. Jetzt kann sich Shin auf was gefasst machen. Der Lehrer ist vielleicht dämlich, aber mindestens genauso gefährlich. Er versteht es, die Schüler schlecht bei anderen Leuten dastehen zu lassen. Einmal hat er es sogar geschafft, dass ein Schüler von der Schule geworfen wurde. Nur das kann mein Banknachbar noch nicht wissen. Angesichts der Situation tut er mir schon ein bisschen Leid. „Wir könnten doch unseren Rechenweg aufschreiben und dann mit Ihrem vergleichen“, werfe ich helfend ein. „Na gut, von mir aus. Kommen Sie nach vorn an die Tafel.“

Wen hatte er gemeint? Mich? Doch die Frage erübrigte sich, da mein neuer Banknachbar schon aufgesprungen war. Er schrieb tatsächlich den kompletten richtigen Lösungsweg an die Tafel. Ich hatte ihn wohl etwas unterschätzt. Aber Kajiwara-Sensei konnte es auch nicht recht glauben oder wollte es nicht – er stand wie versteinert vor der Tafel. Wahrscheinlich hatte sich dieser unfähige Lehrer nicht einmal den Rechenweg aufgeschrieben. Er musste zum ersten Mal in seiner Laufzeit als Lehrer und wahrscheinlich auch in seinem Leben einen Fahler zugeben. Wenn er es nicht zugab, würde er vor der Klasse als dumm dastehen. Der Gedanke gefiel mir. „Äh in der Tat…“, Kajiwara konnte seine Wut nur schwer unterdrücken, nachdem er sich schon wieder etwas gefasst hatte. „Ihr Rechenweg stützt sich auf logische Schlussfolgerungen“, er räusperte sich, „es muss mir wohl irgendwo ein kleiner Fehler unterlaufen sein. – Sie dürfen sich setzen.“ Ein kleiner Fehler? Das ganze Ergebnis war falsch! Aber eigentlich war es dieser Lehrer gar nicht wert, dass man sich länger als zehn Sekunden mit ihm beschäftigte. Mein Banknachbar hatte mich allerdings doch ein bisschen verblüfft.



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