Draudzība
Ich weiß, dass aus Florians Worten keine Hoffnung für mich spricht, und doch habe ich das Gefühl, unglaublich glücklich zu sein. Seine Umarmung, sein fester Blick, mit dem er mich jetzt ansieht... das alles nimmt mir die Last von den Schultern.
Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich will mich bedanken, dafür, dass er mich nicht verabscheut... doch ich bringe kein Wort heraus, kann ihm nur in die Augen sehen und hoffen, dass er meine Erleichterung darin lesen kann.
Irgendwann löst er die Arme von mir. Auch ich lasse ihn sofort los. Er tritt einen Schritt zurück, lächelt, sinkt dann in seinen Sessel zurück. Ich tue es ihm gleich, ziehe die Füße hinauf aufs Sofapolster und sehe ihn an... vielleicht ein wenig erwartungsvoll.
Umso länger die Stille anhält, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sein Blick ins Überraschte übergeht. Worüber denkst du nach, dass es dich jetzt so wundert, wo es doch zuvor nicht so war?
Ich will es fragen, doch ich tue es nicht. Ich will ihn sprechen hören.
Dann mit einem Mal werden seine Augen weit.
„Das heißt, du warst die ganze Zeit schwul?“, fragt er mit vollkommener Verblüffung.
„Äh... jaaa...?“, frage ich skeptisch nach.
„Schon immer?“
Ich lache auf. „Ich denke schon...“
„Und du fandest nicht, dass du es mir sagen solltest?“
„Doch schon... aber... hätte es einen Unterschied gemacht?“
„Nein, aber ich bin dein bester Freund! Ich muss doch alles über dich wissen!“
„Aber ich bin in dich verliebt!“, erinnere ich ihn. „Meinst du nicht, dass es mir ein kleinwenig schwer fallen könnte?“
„Oh... ja...natürlich...“ Er grinst entschuldigend. „Ähm... willst du... jetzt eine Antwort von mir?“ Ganz zögernd...
Ich schüttle lächelnd den Kopf. „Nein. Ich weiß, dass du Nina liebst, darum-“
„OH MIST!“, schlägt er sich vor den Kopf. „Und ausgerechnet dir klage ich meinen Kummer! Verdammt!... Es tut mir leid! Ich wusste ja nicht, dass du... du...“
Ich lehne mich vor und greife nach seiner fuchtelnden Hand. Sofort wird er still.
„Es ist in Ordnung“, lächle ich ihn an. „Irgendwie wusste ich die meiste Zeit, dass es aussichtslos war...“
„Es tut mir... trotzdem leid.“
„Danke.“
Er nickt, seufzt, dreht die Hand, so dass seine Handfläche sich in meine schmiegt. Ich werde rot und als ich ihn ansehe, merke ich, dass er es auch ist. Ich lasse ihn los.
„Und ich berühre dich so oft... oh Gott, das musste ja schrecklich für dich sein!“
„Schrecklich nicht, nein...“ ... eher angenehm – doch ich verkneife mir diese Worte.
„Es tut mir trotzde-“
„Hör auf, bitte! Du konntest es nicht wissen. Du kannst nichts dafür!“
Ein Nicken, wie zu sich selbst, dann wird sein Blick mit einem Mal wieder neugierig.
„Wer weiß alles, dass du schwul bist?“
„Meine Familie und Nina.“ Andris verschweige ich ihm, warum auch immer.
„NINA?“
„Ja... sie hat es selbst herausgefunden...“
„Weiß sie auch, dass du...“
„Ja, auch das hat sie gemerkt.“
Seine Augen werden größer. Ich kann mir denken, was ihm gerade durch den Kopf schwirrt.
Er schüttelt ihn nachdenklich, seufzt, lehnt sich im Sessel zurück.
„Dann hätt’ ich ja gar nicht überlegen müssen, mit welchem Mädel ich dich verkuppele...“
„Das hast du getan?“ Ich lache auf.
„Na klar! Immer wieder, besonders in letzter Zeit... okay, es hat mich gewundert, dass du nie Interesse an irgendwem gezeigt hast, aber ich hab dich einfach für verrückt erklärt. Dass du schwul sein könntest, daran hab ich nie gedacht. Wenn dann hättest du es mir gesagt... dachte ich zumindest...“ Fast wirkt er gekränkt.
„Ich wusste nicht, wie du dazu stehst...“
„Hä? Ich hab nen schwulen Bruder! Was denkst du denn?“
Nun bin ich es, der große Augen macht. Wie bitte? Schwuler Bruder? Aber wieso...
„Daniel?“, frage ich vollkommen überfordert nach.
„Nein, nein, Sven.“
„Aber seine Freundin... Jacky...“
„Jaqué. Wir nennen ihn nur nicht so. Er hasst den Namen. Ich dachte, das wüsstest du... eigentlich machen wir kein Geheimnis daraus, in der Küche meiner Eltern hängt sogar ein Foto der beiden...“
„Die... sind mir nie aufgefallen...“
„Und ich hab dir nie was von den beiden erzählt? Kann ich mir gar nicht vorstellen...“
„Nicht... viel zumindest... das...“ Ich verstumme vollkommen verwirrt. Sven... ich bin ihm nur ein Mal begegnet... er hat Jacky erwähnt, aber nur kurz... hat er Pronomen benutzt, die nichts erkennen ließen, oder war ich zu doof, richtig hinzuhören?
Oh Mann, wie anders es gelaufen wäre, wenn ich das gewusst hätte...
„Wenn ich das gewusst hätte!“, spreche ich aus, was mir im Kopf herumwirbelt. Es hätte meine Lage um so vieles einfacher gemacht!
Ein Nicken. „Ich bin damit aufgewachsen, es ist etwas vollkommen Normales für mich. Wegen Sven hab ich wahrscheinlich auch keine Hemmungen, Männer anzufassen. Seit ich ein kleiner Junge war, hat er mich immer verhätschelt...“ Es hat etwas fast liebevolles, wie er über seinen sechs Jahre älteren Bruder spricht... und ich frage mich, wieso er das nie vorher getan hat... „Sag mal... Hab ich dir dadurch irgendwie... Hoffnungen gemacht?“
Ich werde rot, als ich nicke.
„Manchmal“, gebe ich ehrlich zu. „Immerhin ist es eigentlich nicht normal, dass ein 24jähriger Mann einem anderen durch die Haare streichelt...“
„Das stimmt wohl.“ Auch er wird rot. „Tut mir leid. Soll ich es ab jetzt lassen?“
„Willst du es lassen?“, frage ich ehrlich zurück. „Immerhin kennst du jetzt meine Gefühle und-“
„Ach Quatsch! Wenn es dich nicht stört, stört es mich nicht! Du wirst ja jetzt nicht plötzlich über mich herfallen, oder?“
„Doch natürlich!“ Mache ich eine schnelle Bewegung nach vorne. Wir lachen beide. „Nein, im ernst. Ich fände es schön, wenn du dich so verhalten könntest, als wüsstest du nichts davon...“
„In Ordnung“, nickt Florian. „Sollte machbar sein.“ Er grinst.
„Danke!“
Vollkommene Erleichterung durchströmt mich auch wenn ich mir noch natürlich nicht sicher sein kann, ob sich nicht doch irgendwas ändern wird.
Später, als wir gemeinsam in Florians Bett liegen, ist das Licht noch lange an und wir reden über vieles, auch über meine Gefühle. Es tut gut, und ich habe das Gefühl, dass es eigentlich gar nicht mehr so weh tut, dass er mich nicht auch liebt. Viel wichtiger ist es, hier mit ihm liegen zu können und zu wissen, dass sich nichts an unserer Freundschaft geändert hat.
Erst als das Licht gelöscht ist, kehrt langsam Ruhe ein. Ich drehe mich auf den Bauch und schmiege meinen Kopf ins Kissen. Ich fühle mich gut, richtig gut. Die Last ist mir vom Herz genommen und ich fühle mich fünfzig Kilo leichter.
Wenn ich es doch nur Andris erzählen könnte.
Ich zucke zusammen bei diesem Gedanken. Ein paar Mal habe ich in den vergangenen Stunden an ihn gedacht und jedes Mal wird es schmerzlicher. Wieso beginne ich ihn gerade jetzt so zu vermissen?
Seufzend kuschle ich mich weiter ein und lausche auf Florians Atem. Bald wird dieser ruhiger und verrät mir, dass er eingeschlafen ist.
Zögernd schalte ich das Licht wieder an, wende meinen Blick zur Seite und sehe in das friedliche Gesicht. Keine Ahnung wieso, aber es tut gut, ihn schlafen zu sehen und zu wissen, dass ich endlich kein Geheimnis mehr vor ihm habe.
Ich strecke die Finger nach seinem Gesicht aus und streiche ihm über die Schläfe. Ich sehe auf seine Lippen, seine Nase, betrachte den kleinen Ring am rechten Ohr...
Irgendwie würde ich sagen, dass das Geheimnis meiner Homosexualität zu bewahren, das Schwierigere war. Ich hasse es, ihm etwas zu verheimlichen... und dann war es auch noch so ein wichtiger Punkt. Nun aber muss ich es nicht mehr... Nun kann ich endlich frei atmen und so sein, wie ich wirklich bin. Nun hätte ich ihm auch erzählen können, was mein Verhältnis zu Andris ist... oder war...
Ich seufze, nehme meine Finger zurück und schalte das Licht wieder ab. Ich ziehe meine Decke bis zum Kinn und schließe die Augen. Erst als ich schon fast eingeschlafen bin, wird mir plötzlich klar, dass ich zum vielleicht ersten Mal gar nicht daran gedacht habe, Florian küssen zu wollen...
~ * ~
Der Gedanke, mit dem ich eingeschlafen bin, verfolgt mich auch noch am Morgen, als ich mit Florian am Frühstückstisch sitze. Nachdenklich kaue ich an meinem geschmacklosen Käsetoast, während wir Nachrichten hören.
Ich bemerke das breite Grinsen, das sich auf Florians Gesicht bildet, und werde rot. Mir war gar nicht bewusst, dass ich ihm die ganze Zeit auf die Lippen gestarrt habe.
„Worüber denkst du nach?“
„Über mein Bedürfnis, dich zu küssen“, platzt es aus mir heraus und sofort schlage ich mir die Hand vor den Mund. „Verdammt!“, nuschle ich. Bitte lass mich im Boden versinken!
Doch Florian, auch wenn sein Blick kurz überrascht war, geht schnell wieder zu dem Grinsen zurück.
„Würdest du es gerne?“
„Ich... habe es immer gewollte“, weiche ich seiner Frage aus, ohne zu wissen, weshalb ich nicht einfach mit Ja antworte.
Einen Moment lang scheint ihm etwas im Kopf herumzugehen. Dann nickt er und ich sehe ihn unverständig an.
„Aber nur ein Mal“, kommt es über den Tisch hinweg und ich lasse mein Toastbrot fallen.
„Wie bitte?“
„Wenn du willst, darfst du mich küssen... ein Mal“, sieht er mich ernst an.
„Das ist... dein Ernst?“
Er nickt und trinkt einen Schluck Kaffee... mit vollkommener Ruhe.
„Ich hab noch nie nen Mann geküsst... Irgendwie ist es schon interessant, ob es sich anders anfühlt.“
„Nicht sehr... da sind halt Bartstoppeln, aber sonst...“ Bin ich denn blöd? Das klingt fast so als würde ich versuchen, ihm sein Interesse auszureden.
„Hast du schon viele geküsst?“
„Ja, ich hatte ein paar Freundinnen...“
„Und Männer?“
„Nur einen.“
Ich senke den Kopf und starre auf meinen angebissenen Toast hinunter.
Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich tatsächlich vor Andris noch nie einen Mann geküsst habe. Und auch habe ich noch mit keinem anderen Mann geschlafen.... Nur Andris, mein erster und einziger...
Es hat mir gereicht.
„Was ist mit diesem traurigen Blick?“, unterbricht Florian mich in meinen Gedanken.
Wie ertappt hebe ich meinen Kopf wieder und versuche, ein Lächeln zu Stand zu bekommen.
„Nichts“, grinse ich schief.
„Hat er dir was bedeutet?“
Ich zucke mit den Schultern, einen anderen Impuls unterdrückend, während Florian zu grinsen beginnt.
„Du wirst rot, is ja süß.“
Ich greife mir an die glühenden Wangen und frage mich, weshalb ich dermaßen reagiere.
„Sei still“, zische ich dann und versuche meinen Kopf zu zwingen, seine normale Hautfarbe wieder anzunehmen. Zur Überbrückung der Gedanken greife ich nach meinem angebissenen Toast.
„Also?“
„Was?“, sehe ich verdutzt hoch.
„Willst du mich jetzt küssen?“
„Oh, äh... ja“, spreche ich, während mein Kopf zu dröhnen beginnt. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht...
In der nächsten Sekunde sitzt Florian neben mir. Überfordert sehe ich ihn an.
„Du musst das nicht tun“, spreche ich, während mein Herz langsam etwas schneller klopft.
„Wieso nicht?“, lächelt er und streckt die Finger aus. Sie berühren meine Wangen. „Aber könntest du bitte lächeln?“, flüstert er dann. „Ich mag zwar keine Männer, aber ich mag es, wenn du lächelst.“
Nun wird auch er etwas rot und ich versuche, meine Mundwinkel in die Höhe zu ziehen.
„Du sollst mich nicht auffressen!“, schüttelt er den Kopf und streichelt meine Wangen mit seinen Daumen, kommt mir dabei immer näher. „Du sollst lächeln, so wie du es immer tust.“
Noch näher kommt er mir und ich kann schon seinen Atem streicheln spüren... Ich schließe die Augen und mache mich bereit für das weiche Gefühl.
Smaids, fährt es mir durch den Kopf, mit einer sanften Stimme und einem imaginären Finger, der meine Lippen streichelte. Das heißt Lächeln.
Ich zucke zurück, entziehe mich Florians Händen und kippe fast mit dem Stuhl um.
„Wow! Vorsichtig!“, hält er mich fest, während ich ihn entgeistert anstarre.
„Ich, äh... haben wir uns geküsst?“, stammle ich, während mein Herz rast.
„Äh... nein... noch nicht.“
„Gut.“ Ich stehe auf. Verwirrt werde ich angesehen, während ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Irgendwas stimmt gerade nicht mit mir. Ich atme tief durch, erwidere seinen Blick und suche nach Worten. „Ich denke, wir sollten das nicht tun. Es... ist nichts Freundschaftliches mehr.“ Es klingt fast schon diplomatisch... eigentlich schon zu sehr. Wie schaffe ich es bloß, das alles mit so viel Ruhe zu sprechen?
„Du hast wohl Recht.“ Auch Florian erhebt sich, während ich ihn ansehe, fast mustere.
Mein Herz schlägt noch immer etwas schneller und ich versuche, es zu beruhigen.
Fast hätten wir uns geküsst. Bestimmt wäre es schön gewesen, aber...
Ich schüttle den Gedanken ab.
„Ich glaub, es ist besser, wenn ich jetzt gehe...“
„Stimmt irgendwas nicht?“
„Nein, alles okay!“ Ich lächle ihm beruhigend zu. Sollte nicht er es sein, der sich komisch verhält?
„Na gut.“ Kurz scheint er zu überlegen. „Ich gehe heute Abend mit Nina ins Kino. Willst du mitkommen?“
„Ich... nein, lass mal. Macht euch einen schönen Abend.“
Ich verlasse die Küche und gehe zum Bett, wo noch der Großteil meiner Kleidung liegt. Ich ziehe mich um. Als ich mich zu Florian drehe, sieht er mich nachdenklich an.
„Danke“, sage ich, seinen Blick auf meinen ziehend. „Ich bin froh, dass du mein bester Freund bist.“
„Glaub mal, das bin ich auch.“
Ich gehe auf ihn zu und wir umarmen uns. Ich vergrabe für ein paar Sekunden meine Nase an seinem Hals und ziehe seinen Geruch ein. Bei all dem kann ich doch das merkwürdige Ziehen in meinem Magen nicht deuten.
ENDE KAPITEL 6