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Das Spiel deines Lebens

Life's a game!
von

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"Es gibt dort ein Restaurant...!" hatte er gesagt. Ich wusste, welches er meinte. Natürlich wusste ich es. Er ist ich. "Dort können wir alles klären."

Das klang gut. Ein guter Drink, hin und wieder was Feines zum beißen und das Ambiente war nicht zu verachten. Gewiss, dort ließe sich in Ruhe alles lösen.

Jetzt sitzen wir hier und starren uns an, er sitzt mir am Tisch gegenüber und einen Moment glaube ich, hinter diesen fahlen Augen, dem bleichen, leicht ausgemerkelt und kränklich wirkenden Gesicht ein zynisches Grinsen gesehen zu haben. Aber nur fast.

Das klang doch gut, nicht? Ein bisschen Tee, mehr brauche ich gar nicht. Und dann würde ich das hier endlich zu Ende bringen. Endlich ein Ende.

Jetzt sitzen wir hier, starren aufeinander. Seine Augen begaffen mich, als wäre ich die Ausschussware vom Grabbeltisch beim Winterschlussverkauf. Er ist so ahnungslos. Ich spüre, wie sehr ich ihn verachte. Ein leises Grinsen will mir über die Lippen, doch ich halte es auf. Seine Visage lächelt. Das tut sie fast immer. Dieses jämmerliche 'Was für ein schöner Tag!'-Lächeln. Er sah gesund aus. Gestylt. Gute Klamottenwahl. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass ich dagegen verlottert aussah. Aber das spielte auch keine Rolle.

Jetzt nicht mehr.

Der Kellner kommt, will unsere Bestellungen aufnehmen und legt das Brett ab. Eine kleine Holzschatulle wandert daneben und einen Moment starren wir beide andächtig auf dieses kunstvoll gearbeitete Holz. Das muss man ihm lassen - er ist ein Freund von Schönheit. Genauso wie ich. Wir hassen einander, aber wir teilen fundamentale Eigenheiten. Er wagt es zu berühren, streicht mit dem Finger über das Holz und seufzt genüsslich. Derweil wende ich mich dem Kellner zu, gebe meine erste Bestellung auf. Ein Orangensaft, groß, dazu erstmal ein Salat. Man soll ja immer seicht beginnen.

Er bestellt Tee. Nichts dazu.

Was für eine Überraschung.

Vorsichtig und mich seiner Zustimmung mit einem einzigen Blick versichernd, klappe ich die Schatulle auf. Figuren kommen zum Vorschein, so wundervoll geschnitzte kleine Meisterwerke, die dort in rotem Samt ruhen. Wahrhaftig, hier geht es hoch her! "Was denkst du, wie lange wir hier sitzen werden?" höre ich mich ihn fragen. Seine Antwort kommt prompt.

"Keine Ahnung. Was interessiert's dich? Hast du was vor?... Dacht ich mir... Hm. Ich schätze mal. Unter zwei Jahrzehnten kommst du mir nicht davon." erkläre ich ihm ruhig. Meine Stimme ist die pure Gelassenheit, aber innerlich zittere ich. Vor Spannung. Wir verteilen die Figuren auf dem Brett. Schach. Das älteste Spiel, dass die Bezeichnung eines Königsspiels verdient. Jedenfalls behaupten das manche gern. Anmaßende alte Säcke, brachliegende Gesichter, von Zeit und Verfall zerfressen. Die Welt ist voller tumber Narren, deren Gegenwart kaum noch erträglich scheint. Aber deshalb sind wir ja hier.

Wir bringen es zu Ende.

Wir fangen an, miteinander zu spielen. Hin und wieder nehme ich mir Zeit, machen wir kleinere Pausen. Das ist alles halb so wild - wir haben Zeit. Ich trinke von meinem Saft, er von seinem Tee. Zug um Zug setzen wir unser Spiel fort. Die Regeln sind einfach. Das sind sie immer, wenn man in dieses Lokal kommt. Zwei gehen rein. Einer kommt raus. Der Sieger natürlich. Der Verlierer bleibt hier. Irgendwann verdurstet er. Oder verhungert. Bricht erschöpft zusammen und wacht nicht mehr auf. Seine letzte Bestellung, auf die kann er nämlich lange warten. Gehen ist ihm verboten. Man wird einander nie wieder sehen.

Eine sehr diplomatische Art, alles auszufechten. Aber auch schwierig. Es kommt auf Geisteskraft an. Auf psychologische Scharade. Weiß er, was ich vorhabe? Natürlich weiß er das, denn er ist ich. Weiß er also, was ich weiß, dass er es weiß? Und wird er mit dem rechnen, womit ich rechne, dass er damit rechnet? Oder erwartet er eine Durchbrechung der Muster, um seine Erwartungen zu überlisten?

Katz und Maus. Die Rollenverteilung ist nie so ganz klar.

Ich weiß, was er vor hat. Natürlich weiß ich das. Genauso, wie er weiß, was ich weiß. Wir tänzeln umeinander. Wenn alle Züge vorhersehbar sind, wenn alle Optionen bedacht werden müssen, die Gegner gleichstark sind - wird es dann nicht in einem Patt enden? Nein. Wird es nicht. Nie. Es gibt kein Patt in diesem Spiel. Nicht in diesem Lokal. Keine zweite Chance. Man spielt und siegt - oder eben auch nicht. Eigentlich ist mir der Ausgang relativ egal. Warum ich nicht abbreche? Ich verachte ihn. Ich will den Sieg nicht für mich - aber ich gönne ihm diesen ebenso nicht! Ich werde alles tun, was nötig ist, ihm den Sieg zu nehmen.

Selbst wenn ich dafür gewinnen muss. Was für ein lächerlicher Gedanke. Lächerlich, weil unnütz. Ein Sieg, dessen Krone sofort weggeworfen wird. Ich hätte ihn nicht zum spielen aufgefordert, aber so kann es einfach nicht weitergehen. Täglich rennt man sich über den Weg, diese Blicke, die Anfeindungen, ich halte das nicht mehr aus! Er muss weg.

Er spielt auf die Defensive. Dachte ich mir doch lange schon, dass er so ein Typ ist. Seine Bauern sind nur Kanonenfutter, während ich sie hüte wie Schätze. Dann kommen seine Türme. Mächtige Bollwerke. Keine Chance, sie klein zu kriegen. Und dann seine Läufer. Uh ich hasse diese verdammten Läufer. Seine Türme halten mich vom Angriff ab, aber seine Läufer schnellen vor und zurück, rauben mit die Bauern, die sich schützend vor meinen König werfen.

Ich muss ihm irgendwie bei kommen.

Ah sehr schön, sehr schön. Er schwitzt ein wenig. Er gerät in Bedrängnis. Mir geht es gut. Meine Abwehr kann nicht gebrochen werden, sie ist lückenlos. Kanonenfutter als Puffer, meine Türme schirmen mich und meine Läufer schlagen zu wie das Grauen aus der Dunkelheit. Er ist wehrlos.

Dachte ich eine Weile.

Dann kamen sie. Seine verdammten Springer. Seine Bauernarmee. Ich habe ihn unterschätzt, stelle ich entsetzt fest. Seine Bauern. Diese gottverdammten Bauern! Sie stürmen vorwärts, greifen mich an, Lammopfer, verdammte Lammopfer! Sie preschen gegen meinen Puffer, überwältigen das Kanonenfutter, Auge um Auge, Zahn um Zahn, dann der Gnadenstoß seiner Taktik - ein Springer. Ich hasse diese Dinger.

Grauen aus der Dunkelheit. Passende Formulierung.

Jetzt hab ich ihn! Fleißige Bauern, oh ich danke euch, ich danke euch so sehr! Vorwärts, meine Getreuen, walzt die Wälle nieder, reißt die Tore ein, lass die Wache brennen - den machen wir platt!

Zeit für den kleinen Kniff, auf den alles abzielte. Meine Springer preschen hervor, hüpfen munter über das Brett und dann erfolgt der Paukenschlag. Carl Orffs 'Oh Fortuna' passt irgendwie gerade zu der Hochstimmung, die ich verspüre, als sein Turm fällt.

Ein Titan ist bezwungen.

Seine Verteidigung strauchelt, bröckelt. Wenn ich jetzt zuschlage, dann habe ich ihn!

Oh nein, meine Freund, so leicht mache ich es dir nicht! Was denkst du, wer du bist, mich mit so einer läppischen Scharade klein bekommen zu wollen? Glaubst du, ich bin wirklich so ein Narr? Gewiss nicht. Sieh, staune, verzweifle!

Langsam ziehe ich meine Läufer hervor. Die Klauen, die nunmehr ins eigene Fleisch krallen müssen, um den Splitter heraus zu ziehen. Es gelingt mir. Im Grunde hacke ich ihm den Arm ab. Einen. Das war wirklich knapp gewesen!

Puh. Verdammt.

"Lass uns eine Pause machen!" schlage ich ihm vor und andächtig nickt er. Auf seiner Stirn steht ein dünner Film, der im Kerzenlicht glänzt. Der Kellner kommt, eine neue Runde. Orangensaft und diesmal eine herzhafte Mahlzeit. Rouladen, selbst gemacht, dazu Schwenkkartoffeln und - weil ich ihn so selten genießen darf - Fisch, natürlich noch ein wenig Grünzeug. Ein üppiger Teller wird bald darauf vor mir abgestellt und ich sehe, was er sich bestellt hat: Tee.

Wie überraschend.

Während ich esse, spüre ich, dass er mich beobachtet. Ich blicke auf und sehe in ein Gesicht, so voller Ekel und Abscheu, dass es mir fast leid tut. Ihn widert es an, mich so essen zu sehen. Vermutlich widert es ihn an, überhaupt irgendwen essen zu sehen. Er nippt an seinem Tee, kaum genug, die Lippen dafür zu bewegen und stellt die Tasse wieder ab. Das leichte Zittern seiner Hand verbirgt er unter der Tischplatte. Ich sehe es öfter, weiß darum. Er zittert, weil sein Körper aufgibt.

"Willst du was haben?" - "Was fragst du? Du kennst die Antwort!... Natürlich nicht." - "Du könntest es vertragen. Wirklich, wenn du magst-" - "Hör auf. Ich bin nicht du, hör einfach auf. Unsere Ziele sind andere."

Da hat er Recht. Leider. Ich werde ihn nicht zum essen bekommen. Man müsste ihn festschnallen, den Kiefer aufreißen und festbinden, man müsste ihm das Essen bis in den Magen schieben und beten, dass seine Körperbeherrschung nicht die Speiseröhre zuquetscht. Er ist unglaublich. Unglaublich diszipliniert zum Beispiel. Er hat gelernt, selbst auf Lebensnotwendiges zu verzichten. Natürlich ist das nicht gesund - man sieht es ihm an. Aber er ist trotzdem so stolz darauf. Warum nur dieser Stolz? Sieht er denn nicht, wie seine Gram ihn verzehrt?

Da sitzt der Narr, frisst diesen Dreck in sich hinein und genießt es. Nichts davon würde mich stören, außer dem letzten Punkt. Er ist so armselig. Essen genießen! Weiß er denn nicht, wie nichtig das ist? Wie bedeutungslos? Ich kann ihm erklären, was geschieht. Er mag scharfes Essen. Scharf ist letztlich die Umschreibung für Schmerzsignale an das Hirn, ausgesandt von der Zunge. Ich kann ihm seine gesamte Verdauung erklären. Er genießt es. Was eigentlich? Am Leben zu bleiben? Wozu?

Oder will er mir wirklich erzählen, dass er den 'Geschmack' genießt? Ist doch Schwachsinn. Essen ist lebensnotwendig, lebensverlängernd. Mehr nicht. Salzig weißt auf Mineralien hin, bitter auf Gifte, süß auf Kohlenhydrate, fettig auf Eiweiße, scharf... hat im Näheren keine Bedeutung. Letztere zwei sind ohnehin keine Geschmacksrichtungen. Geschmack zeigt nur an, was wir brauchen, oder was unser Körper zu brauchen glaubt.

Am Ende bin ich der Geist in der Maschine und ich allein habe die Macht, ich allein bestimme, was die Maschine braucht, wann sie es braucht und wieviel davon. Denn es ist meine Maschine. Er aber beherrscht sich nicht. Er gibt jedem Trieb nach, jedem widerwärtig primitiven Impuls. Der Mensch ist zu Höherem bestimmt. Bei Gott, ich bin zu Höherem bestimmt. Ekel fährt in mir auf, wenn ich ihn sehe. Wie Vieh verhält er sich. Schaufelt diesen Müll in sich hinein, keine Beherrschung, keine Disziplin.

Ich weiß, dass sein Denken schon lange an Selbstgeißelung grenzt. Er verwehrt sich jedes Vergnügen. Keine Laster hegt er. Trinkt nicht. Raucht nicht. Macht nie Fehler oder verdammt sich selbst zutiefst dafür. Ich weiß, warum er das tut.

'Der Mensch ist zu Höherem bestimmt.' Ich habe mich zu oft auf diese Diskussion eingelassen. Er will etwas bewegen. Er muss etwas bewegen. Ich lebe, um zu leben. Er lebt, um allen Dingen Sinn und Zweck zuzuordnen. Nichts tut er ohne dies. Alles braucht seinen Sinn und Genuss ist kein Sinn, Genuss ist höchstens eine irrelevante Zusatzgröße, manchmal sogar ein Störfaktor. Denn was er bewegen will, ist kein Pappenstiel. Er will nicht einfach nur irgendwas bewegen, nein. Die ganze Welt am liebsten. Er will eine bessere Welt schaffen, egal wie. Sein ganzes Denken ist darauf ausgerichtet, die Welt nach seinen Wünschen zu formen. Er glaubt, dass er sich keine Zeit für sich nehmen darf. Er hat zu wenig Zeit. Er muss dieses Projekt beenden. Jede Nachlässigkeit, jeder Genuss, jede freie Sekunde, alles ist vergeudete Zeit, die er in seinen Plan investieren kann.

Dabei hat er längst resigniert und aufgegeben.

Wozu also noch die Disziplin?

Weil er lieber draufgeht, als sich mit einer Welt abzufinden, die partout nicht sein will, wie er sie wünscht. Er tut mir leid, aber mein Mitleid empfindet er als Spott. Er ist so verdammt stolz und ich kann es ihm nicht verdenken. Großes hat er schon geleistet, aber er erkennt es nicht an. Sein Streben ist unendlich, ein Perfektionist durch und durch, nie ist etwas gut genug.

Die Welt bräuchte mehr Menschen wie ihn, dann würde sich vielleicht wirklich etwas ändern. So jedoch... sitzen wir hier und spielen.

"Machst du es dir nicht etwas zu leicht?" höre ich ihn sagen. Natürlich musste die Frage kommen. Irgendwann kommt sie während unserer Begegnungen immer. "Machst du es dir denn nicht zu schwer? Die Dinge sind so schon schwer genug... auch ohne die Last ewiger Sorge." erkläre ich ihm einmal mehr. "Irgendwer muss sich sorgen. Irgendwer muss vorausschauen. Weitsicht beweisen. Verantwortung übernehmen. Schuld auf sich laden. Die Gegenwart lenken, um die Zukunft zu gestalten. Nicht jeder kann sich die Naivität erlauben, so verträumt in den Tag zu leben wie du!"

Anschuldigungen. Sie fangen jetzt schon an? Wir sind doch gerade erst einmal im sechzehnten Jahr. Das kann gewiss noch heiter werden. Wir werden uns zerstreiten, hier an diesem Tisch. Ganz furchtbar wird das. Wir konnten uns ja noch nie leiden, aber das wird... ein entsetzliches Ende. Egal wer gewinnt.

Endlich ist er fertig. Seine Moralpredigt habe ich über mich ergehen lassen. Dieser ewige Mist von 'man lebt nur einmal', 'man sollte ein gutes Leben führen' und 'man sollte glücklich werden'. Das ist so kurzsichtiges Gefasel! Denkt dieser Idiot wirklich, ich wüsste nicht um meine Endlichkeit? Was glaubt der eigentlich, warum ich das alles tue? Was glaubt der, welches Glück ich suche, hm? Narr. Er begreift nicht. Niemand begreift es. Deswegen stehe ich ja allein.

Wir setzen das Spiel fort. Neue Taktik. Meine Verteidigung steht wieder. Ein Turm, geschirmt von zwei Klauen. Meine Läufer. Das Kanonenfutter ist fast aufgebraucht. Ich schicke meine Springer vor. Ungeschickte Versuche, aber vielleicht gelingt es mir, eine Scharte in seine Linien zu schlagen. Vorerst ist die Verteidigung wichtiger, soll er sich doch an mir die Zähne ausbeißen, dieser räudige Hund!

Er hat sich neu organisiert. Das hätte ich wissen müssen, nein, mehr noch - ich habe es gewusst. Aber ich habe mir auch so meine Pläne zurecht gelegt, Ideen gewälzt und überlegt. Noch so eine Gemeinsamkeit. Ideenreichtum. Wir könnten uns in Strategien und gegenseitigen Vorschlägen wohl ersäufen. Als Team wären wir unschlagbar - aber ein Team wird es nie geben. Zu fundamental sind die Unterschiede. Er will mich zermürben. Bestrafen dafür, dass ich lächeln kann, während seine Versuche ständig in einem zynischen Ausdruck von Spott und Niedertracht untergehen. Selbst das tut mir leid. Ein Mensch sollte lächeln können. Wenigstens hin und wieder ein bisschen. Ob es in seinem Leben überhaupt irgendwas gibt, das ihn erfreut?

Ich setze neue Züge. Meine Bauernarmee ist übel angeschlagen, mein verbliebener Springer muss sie stützen, ich bringe meine Läufer vor, doch sie scheitern an seiner Verteidigung. Meine Türme positioniere ich. Gewiss nicht so geschickt, wie er es kann, aber ein oder zwei Attacken werden sie abhalten.

Es ist Zeit.

Zeit für eine neue Taktik. Eine neue Schiene. Es gibt keinen anderen Weg mehr. Ich muss das Einzige auffahren, was mir bleibt. Die Kraft einer Bombe steckt darin, sie kann alles vernichten - ihn. Aber auch mich. Sie einzusetzen, ist immer gefährlich. Sie ist unberechenbar und selten sonderlich zuverlässig.

Ah wie wundervoll! Ich hatte gehofft, er wäre dumm genug... auch wenn es wohl eher Verzweiflung und ein Mangel an Optionen war. Er bringt eine unberechenbare Größe ins Spiel, er bringt eine neue Dynamik hinein. Da steht sie, bedroht meine Linien und ich weiß genau, sie kann mir das Genick brechen. Einfach so.

Die Dame.

Ich werde Jagd auf sie machen, sie zur Strecke bringen und dann, wenn sie gefallen ist, hat er nichts mehr. Dann wird er mir seinen König freiwillig ausliefern. Dann habe ich, was ich wollte, dann habe ich ihn... gebrochen.

Wie erwartet, läuft es eine ganze Weile ziemlich schlecht für mich. Sie schmettert mir übel in die Reihen, mein Puffer fällt völlig, einen Läufer verliere ich, die Springer sind passé, aber dann wendet sich das Glück. Ich habe auch eine Dame. Genau genommen, habe ich keine - sie ist das Schattenbild seiner Figur. Sie existiert rein pro forma. Sie ist, was er in seiner Dame nicht sehen will. Das Schlechte, das Zerstörerische, der Teil, den er fürchtete, der Teil... auf den ich hoffte.

Seine Reihen werden zerschmettert. Die Bauern fallen scharenweise, seine Türme sind nieder und auch die Läufer dahin. Grandios!

Zweiundzwanzigstes Jahr.

Ich musste mir tatsächlich ein Taschentuch nehmen, bin stärker ins schwitzen geraten, als ich vermutet hatte. Doch er ebenso. Das Spielfeld ist deutlich ein Anderes. Seit einiger Zeit warten wir. Pausieren. Die Könige stehen noch immer an Ort und Stelle, aber an Figuren ist es rar geworden.

Ich habe noch einen Springer, meine bevorzugte Waffe. Aber er hat noch einen Läufer - seine Lieblinge. Die Bauern sind fast völlig ausradiert. Bei mir noch ein paar verstreute Reste, die sich gelegentlich mit ein paar von Seinen beharken.

Die Damen stehen einander gegenüber. Lauern.

Die weiße Dame, strahlend und wundervoll, ihr gegenüber das Schattenspiegelbild, es schluckt alles Licht.

"Ich bedauere, allein hier zu sein. Du nicht?" höre ich mich sagen, während wir auf einen Zug warten. "Was soll die Frage? Natürlich nicht. Sieh mich an, sowas kann man niemandem antun. Außerdem würde mich das nur ablenken. Wer ist schon masochistisch genug für sowas?" antwortet er mir. Irgendwie hat er Recht - was mir nur noch mehr leid tut. Jeder sollte ein wenig Glück verdient haben und allmählich vermute ich, dass ihn diese Kraft von seinem Tun abbringen könnte. Aber Ziele auf Eis legen entsprach nicht dem Umstand, Ziele zu ändern - war es überhaupt noch möglich, dass eine Kraft dieser Welt ihm die Flausen aus dem Kopf triebe?

Ich hatte immer große Pläne. Genauso, wie er. Meine waren nur etwas sonniger. Es gab viele Dinge, die ich noch erfahren, lernen, ausprobieren wollte. Er nicht. Er wollte 'nur' die Welt verändern.

Mein Blick fiel auf die Dame und ein sehnsüchtiger Seufzer entdrang meiner Kehle. Eigendynamik. Man konnte nie auf den Willen der Dame vertrauen, sie war launisch, unzuverlässig und gefährlich, trotzdem spielte ich gern mit dieser Figur. Es war aufregend. Ob ich damit die Gefahr meinte, oder die Figur selbst - wer weiß. Doch eines, das wusste ich genau:

Die nächsten ein oder zwei Züge würden über den Ausgang des Spieles entscheiden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nox
2009-12-01T04:06:04+00:00 01.12.2009 05:06
Ich war nie gut im Kommentare schreiben, aber ich denke du hast einen verdient.

*sigh* Wow... Anfangs etwas verwirrend, ich habe sie direkt 2 mal gelesen um genau zu verstehen. Philosophisch betrachtet, kämpfst du da einen sehr interessanten Kampf aus. Ich würde so gerne mehr lesen. :)

Wie gesagt, ich bin nicht gut darin sowas hier zu schreiben... Ich habe deinen Kommentar gelesen: "Wer mich kennt, wird verstehen.", und glaube es steht mir halt noch nicht zu mehr zu schreiben... ^^

Aber eine Frage habe ich, wie kann man Rouladen bestellen und dann gleichzeitig auch noch Fisch? O_o Ich weis, irgendwie ist es nebensächlich, aber... Rouladen? Fisch? Geschwenkte Kartoffeln mit Rouladen, Lekker. Fisch mit Geschenkten Kartoffeln, perfekt. Aber zusammen? DX

Naja, egal. Du wirst schon deine Gründe haben. :D
Ich mag deine FF auf jeden Fall sehr...

Lass mal mehr von dir sehen, du schreibst sehr flüssig und klar. Mit dieser gewissen Würze.


CHRONiiS <3


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