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Distant Dreams

Die Geschichte eines kleinen Jungen
von

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Reikoyo

So, hier der nächste Teil, ich hoffe er gefällt :D
 

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Sanzan lag in einem weichen, warmen Bett, als er die Augen wieder öffnete. War alles nur ein Traum gewesen? Nein, denn das war nicht sein Bett. Er war in einer fremden Wohnung. Stöhnend setzte er sich auf, sein Bauch schmerzte höllisch. Vorsichtig sah er sich im Zimmer um. Es war klein und die einzigen Möbelstücke waren das Bett in dem er lag, ein Nachttisch neben ihm und ein kleiner Schrank auf der anderen Seite der weißen Wand. Durch ein Fenster hinter ihm drang fahles Mondlicht. Sanzan hätte über diesen unbekannten Ort verwundert sein können, doch sobald er seine Gedanken mehr oder weniger gesammelt hatte, wurde er von einer Welle der Realität überrollt. Es gab ein dumpfes Geräusch, als er sich zurück auf sein Kissen fallen ließ, den Schmerz in der Magengegend ignorierte er. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er verprügelt worden war, aber hier ging es um weit mehr. Dieses Mädchen namens Hana... Sanzan hatte es sich nun mit ihr verscherzt, davon war er überzeugt. Er wollte weinen, doch er konnte einfach nicht. Früher hatte er oft geweint, beinahe jeden Tag, doch seit einiger Zeit passierte das nicht mehr. Es war fast so, als ob er abgehärtet worden war... Aber was machte das für einen Unterschied? Er war trotzdem traurig und fühlte sich noch mehr allein gelassen, als sonst. Vielmehr war es jetzt schlimmer, denn als er noch weinen konnte, war es, als ob bei einer Badewanne, gefüllt mit Sorgen und Traurigkeit, der Stöpsel gezogen wurde.

Sicher, irgendwer hatte ihn hierher gebracht versorgt, doch wo war dieser Mensch jetzt? Und woher wusste Sanzan, dass es nicht jemand fremdes gewesen war? Er hatte schon oft Geschichten gehört, in denen Kinder von fremden Menschen einfach entführt worden waren. Ja, er hatte sogar mal in der Zeitung seines Vaters gelesen, dass ein kleines Mädchen aus Westland in einem verlassenden Haus in Nordland gefunden wurde, wo sie mehrere Wochen von Verbrechern festgehalten worden war. Plötzlich bekam es Sanzan mit der Angst zu tun. Er fragte sich, ob er je wieder nach Hause konnte, als sich in diesem Moment die Tür öffnete und grelles Licht den Raum erhellte. Eine Person schritt ins Zimmer und trat sehr nahe ans Bett heran.

„Bist du wach, Kumpel?“, fragte eine vertraute Stimme.

Sanzan blickte auf. Neben dem Bett stand sein Onkel Reikoyo, der ihn aus besorgten, blauen Augen musterte. Ein kurzes Gefühl der Freude durchströmte Sanzans Körper, doch verschwand genauso schnell wieder, als er durch die Schmerzen an das Geschehene erinnert wurde. Das Ganze war ihm peinlich, weil er vor Reikoyo am liebsten ganz besonders stark gewirkt hätte. Beschämt wandte Sanzan den Blick wieder ab. Reikoyo seufzte.

„Du hast dich wohl ein bisschen übernommen, was?“

Bockig schob Sanzan die Unterlippe vor und plötzlich konnte er eine Hand an seinem Arm.

„Sanzan... Weshalb tust du das immer? Du musst dich nicht vor irgendwem beweisen, indem du dich mit Schlägertypen anlegst.“

„Sei still.“, brummte Sanzan wütend.

Er konnte spüren, wie Reikoyos Blick auf ihm ruhte, doch er ließ seinen Kopf weiterhin stur abgewandt.

„Ich würde dir gern etwas zeigen. Komm mit, wenn du willst.“, sagte Reikoyo nach einiger Zeit mit sanfter Stimme und stand auf.

Langsam ging er zur Tür. Sanzan blieb im Bett zurück und starrte eine Weile die Wand neben sich an. Als Reikoyo schon lange aus dem Türrahmen verschwunden war, fasste sich Sanzan dann doch noch ein Herz und erhob sich aus seinem Bett. Er konnte Reikoyos Schritte hören, die anscheinend durch einen langen Flur mit harten Fliesen zu Sanzans Zimmer hallten. Sie entfernten sich nur sehr langsam. Sanzan wollte ihn einholen und mit ihm weitergehen, darum stürzte er unbeholfen vorwärts und sackte wieder keuchend in sich zusammen. Die Verletzungen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Reikoyos Schritte verstummten augenblicklich. Wütend biss sich Sanzan auf die Lippe. Wenn er noch nicht einmal allein laufen konnte, dann war der Traum vom Hüter endgültig futsch... Vorsichtig stemmte sich Sanzan wieder hoch und ging nun langsamer als zuvor in Richtung Tür. Als er um die Ecke sah, erblickte er Reikoyo, der kaum sieben Meter weiter stehen geblieben war. Sein Onkel versuchte zwar, es zu verbergen, doch Sanzan konnte ihm die Besorgnis vom Gesicht ablesen.

„Du bist ein so schlechter Schauspieler!“ Sanzan musste schmunzeln.

Reikoyo erwiderte nur ein breites Grinsen und lief zurück zu seinem Neffen. Ohne große Mühe hievte er Sanzan, der ziemlich groß für einen Achtjährigen war, auf seinen Rücken. Das war kein Problem für ihn, denn als Leutnant vom Militär Westlands war er gut trainiert und von Natur aus auch nicht gerade der Kleinste. Sanzan legte ihm die seine Arme auf die Schultern und drückte ihn an sich.

„Ich hab dich so vermisst...“, nuschelte Sanzan in Reikoyos Hemd.

„Ja... Ich war lange weg.“, antwortete er kurz nickend.

„Wie ist das so?“

„Was meinst du?“

„Wie ist es Leutnant zu sein?“

Auf Sanzans Frage hin ließ Reikoyo einen tiefen Seufzer vernehmen. Nach einiger Zeit hielt er an und sagte:

„Sanzan, Krieg ist nie gut. Und wenn es eine Sache gibt, für die ich deinem Vater dankbar bin, dann ist es die, dass er dich nicht in eine dieser verdammten Akademien steckt. Sei glücklich, dass du ein normales Kind sein darfst.“

„Ein normales Kind? Ich kann mich ja nicht mal wehren, wenn ich angegriffen werde! Ich muss immer abhauen!“, antwortete Sanzan.

„Okay Kumpel, ich sag dir was: Wir beenden das Thema hiermit und ich zeige dir das, was ich eigentlich vorgehabt habe, alles klar?“

Widerwillig nickte Sanzan und ließ sich weiter von Reikoyo tragen. Die Huckepack-reise führte in Reikoyos großen Garten in dessen Mitte eine kleine Holzhütte stand. Sanzan wurde abgesetzt und als er das feuchte Gras berührte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Es war eine kühle Nacht, Ende April. Reikoyo zog sich die braune Jacke aus und warf sie seinem Neffen über.

„So. Und jetzt sei ganz still und folge mir.“, flüsterte er.

Gespannt schlich Sanzan hinter Reikoyo her und als sie bei der Holzhütte angekommen waren, hob sein Onkel das Dach ab und gab den Blick ins Innere des Häuschens frei. Zuerst konnte Sanzan nichts erkennen, doch nach und nach sah er, dass dort ein schneeweißer Marder, zusammengerollt inmitten von Stroh lag. Dicht bei ihm lagen fünf kleine Welpen, deren Rücken von leichtem, dunklen Flaum überzogen waren. Sanzan lächelte auf die Tierchen hinab.

„Die sind aber süß...“, flüsterte er Reikoyo zu.

Dieser nickte und legte das Dach wieder behutsam auf die kleine Hütte. Er führte Sanzan wieder zurück ins Haus, wo er ihn angrinste und meinte:

„Die Kleinen sind jetzt 17 Tage alt. Und das Muttertier hat einst deiner Mutter gehört... Ich bin so stolz, dass sie jetzt noch Junge bekommen hat. Sie ist ein so altes Tier.“

Sanzan hatte abgeschaltet, nachdem Reikoyo seine Mutter erwähnt hatte. Betrübt senkte er den Blick, denn auch wenn er nicht viel über seine Mutter wusste, es stimmte ihn doch stets traurig, wenn man auf sie zu sprechen kam. Sie war jemand fremdes für ihn, ja nicht einmal ein Bild hatte er je von ihr gesehen. Sobald er seinen Vater über sie fragte, merkte man, wie sich Takashis Gesicht in eine Steinwand verwandelte und meistens ignorierte er dann die Fragen seines Sohnes.

„War sie denn ein guter Mensch?“

Reikoyos Grinsen verschwand nach dieser Frage sofort vom Gesicht und stattdessen wurde er kreidebleich. Es schien, als würde er nicht antworten wollen und gerade als sich Sanzan enttäuscht abwenden wollte, spürte er Reikoyos große Hand auf seiner Schulter. Als Sanzan zu ihm aufblickte, wäre er beinahe zusammengezuckt, denn in den blauen Augen des Erwachsenen hatten sich Tränen gebildet. Sanzan konnte angesichts dessen nichts mehr sagen und er starrte nur mit großen Augen zu ihm hinauf. Schnell wischte sich Reikoyo die Tränen aus dem Gesicht und sagte mit belegter Stimme:

„Deine Mutter war ein sehr guter Mensch, Sanzan.“ er machte eine Pause, in der er schluckte, „Geh jetzt wieder ins Bett, morgen kommt dein Vater und holt dich ab.“
 

Den Rest der Nacht lag Sanzan im Gästezimmer von Reikoyos Haus und machte kein Auge zu. Die Gedanken schwirrten ihm im Kopf umher und es fiel ihm schwer, sie alle zu ordnen. Da waren Gedanken an Hana, seinen Vater, Raidon und seine Mutter, die bei seiner Geburt gestorben war. Komischerweise war es am angenehmsten, wenn er an sie dachte und auch wenn es Reikoyo vorhin in einem sonderbaren Tonfall gesagt hatte, machte es Sanzan glücklich, zu wissen, dass seine Mutter ein netter Mensch gewesen sein soll. Sanzan stellte sie sich vor, mit langen, schwarzen Haaren und denselben hübschen, blauen Augen, wie ihr Bruder Reikoyo sie hatte. Dennoch blieb sie nur ein Schatten der Vergangenheit und verschwamm immer wieder vor Sanzans innerem Auge.

Ich wünschte, ich könnte mich an dich erinnern, dachte er sich und schlief langsam ein.

Am nächsten Tag wurde er von einer vertrauten Stimme geweckt.

„Wach endlich auf, oder hast du vor den ganzen Tag durchzupennen, hm?!“

Nachdem Sanzan verschlafen geblinzelt hatte, erblickte er das strahlende Gesicht seines Zwillingsbruders.

„Raidon!“, rief Sanzan glücklich und stemmte sich im Bett hoch.

„Und? Erzähl: Was ist passiert ? Weshalb bist du K.O. Gegangen, hm?“

Raidon blickte seinen Bruder erwartungsvoll an.

„Ich wurde verkloppt.“, gestand Sanzan, „Und zwar von Meilings Bruder!“

„Oha!“ Begeisterung war der Stimme von Raidon zu entnehmen.

„Weißt du, gestern Abend, da haben wir uns voll die Sorgen gemacht, ich und Vater. Weil du ja einfach nicht nach Hause gekommen bist und -“

„Warte mal!“, unterbrach ihn Sanzan, „Vater hat sich Sorgen gemacht? Um mich?“

Raidon nickte heftig.

„Na klar, du hättest ihn mal sehen sollen! Er war ganz aufgeregt. Ist immer hin und her gelaufen. Und er hat Diener losgeschickt, um nach dir zu suchen. Aber dann ist Reikoyo bei uns gewesen und hat gemeint, dass du bei ihm bist und der Arzt sich gerade um dich kümmert und so.“

In diesem Moment räusperte sich jemand an der Tür. Es war Takashi Inihara, der Vater der Brüder. Er warf Sanzan einen Blick zu, aus dem man absolut nichts lesen konnte und sagte:

„Wir gehen los. Du kannst doch das Stück bis zur Sänfte laufen, Sanzan?“

Takashi war ein großer Mann mit zerstrubbelten, brauen Haaren und goldgelben Augen, wie auch Raidon und Sanzan sie hatten. Auf seiner etwas länglichen Nase saß eine Brille mit sehr dünnem Gestell und ovalen Gläsern. Dass sein Mund so schmal war, lag daran, dass er fast immer einen strengen Gesichtsausdruck besaß und somit nicht gerade sympathisch wirkte.

Er warf Sanzan noch einen flüchtigen Blick zu, wartete dessen Antwort nicht ab und ging in Richtung Ausgang.

„Das schaffst du doch, hm?“, sagte Raidon grinsend und bot Sanzan die Hand an.

Doch sein Bruder ergriff sie nicht und stand stattdessen lieber allein auf.



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