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Das Lächeln der Wüste

Baki, wie ihn nicht jeder kennt
von

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Das Lächeln der Wüste

Ein Grab.

Ein Grab nur, eines unter vielen im Sand.

Davor ein junger Mann, Anfang zwanzig vielleicht.

Sein Gesicht war zur Hälfte von einem Tuch verborgen, das auch seinen Kopf bedeckte, den er gesenkt hielt. In der Hand hatte er eine Blume. Eine einzelne weiße Lilie, die er nun vorsichtig auf das Grab legte. Auf dem Grab stand kein Name, keine Daten. Es war einfach nur ein kleiner, grauer Stein mit dem Zeichen Sunagakures. Der Verstorbene wollte es so. Er wollte nicht, dass Leute stehen bleiben und trauern. Er wollte nicht, dass andere seinetwegen weinen. Und der Mann weinte nicht. Er lächelte.

Und er erinnerte sich. An das, was damals war.
 

„Du bist also Baki, ja?“ Der ältere Herr schaute den Achtjährigen freundlich an. Der kleine Junge blickte finster zurück und nickte. „Schau nicht so verkrampft. Du bist doch freiwillig hier, oder nicht?“ Wieder nickte der Junge nur, ohne seine Miene zu entspannen. „Dann lach doch mal. Lachen ist das Beste, was wir können. Es ist das, was uns zu guten Menschen macht.“ Ein desinteressiertes Schulterzucken. „Kannst du auch reden?“, fragte der Alte, leicht genervt jetzt. „Ja.“ Der Mann schüttelte den Kopf. Wieder so einer. Er hatte schon von Baki gehört. Exzellente Noten in allen Fächer, der beste seiner Stufe in den praktischen Übungen. Mit acht Jahren zum Genin geworden. Eines dieser kalten, schweigsamen Genies, wie jedes Dorf sie von Zeit zu Zeit hatte. Es würde schwer werden, sich mit dem Jungen anzufreunden, dass wusste er, schließlich unterrichtete er schon seit über dreißig Jahren und hatte mehr als einen dieser Eisklötze in seinen jeweiligen Teams gehabt. Die anderen beiden im Team schienen ganz okay zu sein. Einer war elf, einer zwölf Jahre alt, beide durchschnittliche Kämpfer. Baki blickte auf. „Fangen wir jetzt an?“ „Das ist der längste Satz, den ich in je außerhalb der Schule hab sprechen hören“, flüsterte eines der anderen Kinder ihrem neuen Sensei zu. „Das hab ich mir gedacht“, meinte dieser ebenso leise. Er wusste, das Baki sie beide gehört hatte, obwohl der Junge sich durch keine Regung verriet. „Na gut. Dann geht es jetzt wohl los, wenn ihr es schon gar nicht mehr abwarten könnt. Wir bekommen eine einfache D-Mission. Lasst uns zum Kazekage gehen.“
 

Ja, so hatten sie sich damals kennengelernt. Baki konnte sich an jedes Wort erinnern, das an diesem Tag gefallen war. Die anderen beiden waren ziemliche Nichtsnutze gewesen. Sie hatten immer etwas Angst vor ihm gehabt, das hatte er schon als Kind genau gespürt. Er hatte sich nie sonderlich für sie interessiert, bis sie auf einer Mission ums Leben gekommen waren. Da war er zehn gewesen.
 

„Nein! Nein! Stirb nicht! Bitte, bitte…“ Das Flehen des Jungen hallte durch die Wüste. Sie waren auf der Rückkehr von einer Mission in einen Hinterhalt geraten. Einer von ihnen war sofort von einem Jutsu des Feindes erwischt worden, die anderen drei hatten gerade noch ausweichen können. Der älteste der Jungen kniete nun über der Leiche seines Freundes, Tränen liefen über sein Gesicht. „Pass auf!“, rief ihm der Sensei zu, als zwei Ninja hinter ihnen auftauchten. „Es gibt eine Zeit zum Trauern und eine zum Kämpfen!“ Doch seine Warnung kam zu spät. Der zweite Junge hatte gerade Zeit, von seinem toten Kameraden aufzublicken, als ihn auch schon ein gut gezieltes Kunai traf. Den Schock noch in seinem Gesicht brach er über seinem Freund zusammen.
 

Die Erinnerung war keine schmerzhafte für Baki. Er hatte in seinem Leben schon schlimmere Verluste hinnehmen müssen, das gehörte nun einmal zu seinem Beruf dazu. Er hörte nicht auf zu lächeln. An diesem Grab würde er niemals aufhören zu lächeln.
 

Die beiden Feinde waren bald besiegt. Der Sensei hatte erst den einen getötet und dann Baki geholfen, der als Genin natürlich nicht so schnell mit dem zweiten fertig geworden war. Baki schaute zu den Toten. Zwei von jeder Seite. Vielleicht war das Gerechtigkeit.

„Baki? Hilfst du mir, sie ins Dorf zu tragen?“ Der Junge blickte zu seinem Sensei auf. Zu seinem Erstaunen lächelte dieser breit. „Warum lächeln Sie?“, fragte er erstaunt, „Sie haben gerade zwei ihrer Schülern verloren.“ Noch immer lächelte der Mann. Wenn Baki so darüber nachdachte…eigentlich lächelte sein Sensei immer. Komisch eigentlich. Es gab nicht vieles, was am Ninjadasein lustig war. „Weißt du, Baki“, begann der alte Mann, „ich habe in meinem Leben schon viele traurige Dinge gesehen. Irgendwann dachte ich, dass es so nicht weitergehen könne. Und dann fiel mir auf, was ich in meiner früheren Verbissenheit alles verpasst hatte. Die Welt ist schön, Junge.“ „Die Welt ist blutig“, widersprach Baki. „Sie ist voll von Tod und Trauer. Es gibt Kriege. Menschen sterben, Tiere sterben und Pflanzen sterben. Und wir sind diejenigen, die sie töten. Unsere Leben sind die blutigsten von allen.“ „Das dachte ich früher auch. Aber dann erkannte ich, was wir alles verpassen, wenn wir nur auf das offensichtliche achten. Schau dir den Sand unter deinen Füßen an, Baki. Er sieht so langweilig und unbedeutend aus. Du siehst ihn jeden Tag. Du hältst ihn für selbstverständlich, weil er schon immer da war. Aber hast du dich schon mal gefragt, was wäre, wenn er nicht da wäre? Wie sähe es hier aus? Und dann stell dir vor, du hättest noch nie Sand gesehen. Was würde die Wüste auf dich für einen Eindruck machen? Sie wäre etwas Besonderes für dich, etwas Unbekanntes und Aufregendes. Du wärst fasziniert von all den vielen Sandkörnern. Du würdest dich fragen, wie sie alle hierhergekommen sind.“ Er gab Baki ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken, dann fuhr er fort: „So ist es mit allen Dingen in dieser Welt. Jeder Fels, jede Blume, jeder Mensch sind kleine Wunder. Wenn ein Sandkorn nicht da wäre, wäre die Wüste nicht mehr genau dieselbe. Leben und Tod sind Teile dieser Welt. Wir können ihnen nicht entkommen. Wir haben uns nicht ausgesucht, als was wir geboren werden und wir können uns oft auch nicht aussuchen, wann und wie wir sterben. Ich finde, wir sollten wenigstens die Zeit nutzen, die uns gegeben ist. Jeder Moment ist kostbar, auch die traurigen. Höre niemals auf, dich zu wundern, Baki. Und wenn du das schaffst, dann höre niemals auf, dich zu freuen. Jede Sekunde, die du hast, ist ein Geschenk, das nur dir gemacht wurde. Keiner kann sie ersetzen. Das ist der Grund, warum ich lächle. Außerdem hat jede Situation etwas Gutes. Ich habe zwei Schüler verloren, das ist schlimm, und es trifft mich tief. Aber ich hätte auch alle drei verlieren können. Wir hätten alle vier sterben können. Es ist also nicht so schlimm, wie es sein könnte. Aber jetzt sollten wir uns beeilen. Erstens habe ich keine Lust, noch mehr von denen zu treffen und zweitens stinken Leichen bei dem Wetter ziemlich schnell.“ Er lachte über seinen makabren Witz, dann nahmen sie je einen der toten Freunde und gingen weiter in Richtung Sunagakure.
 

Sein Sensei hatte ihm oft gesagt, er solle mehr lächeln. Aber eindrucksvoller als all diese Ermahnungen war seine Erklärung gewesen. Baki hatte nach einer Weile verstanden, was sein Sensei damals gemeint hatte, doch er schaffte es noch immer nicht, so zu denken. Das entsprach einfach nicht seinem Charakter. Baki war jemand, der militärisch dachte; er wog Schaden und Nutzen einer Sache ab, ohne dabei irgendwelche Gefühle mit ins Spiel zu bringen. Sein Dorf war das einzige, was ihm wichtig war. Hätte der Kazekage damals von ihm verlangt, seine beiden Teamkollegen zum Wohl des Dorfes umzubringen, er hätte es getan. Ohne es zu bedauern. Manchmal fragte er sich, ob es ihm auch möglich gewesen wäre, seinen Sensei zu töten, wenn man es ihm befohlen hatte. Meist kam er zu dem Schluss, dass er es getan hätte. Aber der alte Mann war die wichtigste Person in seinem Leben gewesen. Er wäre der einzige gewesen, dessen Tod er bereut hätte.

Doch der Tod war unvermeidlich. Er kam für jeden, früher oder später. Wenn er an seinen Sensei dachte, versuchte er so zu denken wie der Alte. Er hatte Glück gehabt, ihn getroffen zu haben. Wenn er ihn nie getroffen hätte, wäre er wohl immer noch der verstockte Junge von damals. Er hätte nie gelernt zu lächeln.
 

„Baki? Bist du das?“ Der alte Mann hatte in wenigen Tagen stark abgenommen, er sah sehr schwach und zerbrechlich aus. Vor einer Woche hatte er noch gekämpft, jetzt konnte er kaum den Kopf heben. „Ja.“ Der Junge, fast schon ein junger Mann jetzt, kniete am Kopf des Bettes nieder, in dem der Kranke lag. Er zögerte kurz, dann nahm er seine Hand. Bakis von der Sonne gebräunte Haut hob sich erschreckend deutlich gegen die dünne, blasse Haut des Alten ab. „Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Aber ich…ich wollte dich einfach noch einmal sehen, bevor…“ Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Sie wussten beide, wie es um ihn stand. Ein bis zwei Tage hatten ihm die Ärzte noch gegeben. „Sensei…“ Baki schien etwas sagen zu wollen, doch er konnte es nicht in Worte fassen. Ein schwaches Lächeln erschien auf dem faltigen Gesicht. „Du brauchst mich nicht so zu nennen. Du bist seit fast zwei Jahren Chuunin. Unser Team ist schon davor aufgelöst worden.“ Beide dachten kurz an den Tod der zwei jungen Ninja zurück, dann fuhr er fort. „Bald wirst du mir ebenbürtig sein, Baki. Du wirst nie mit dem Rang eines Chuunin zufrieden sein, das weiß ich. Du hast Talent. Nutze es. Werde stark und beschütze unser Dorf.“ „Das werde ich.“ Es war ein Versprechen. „Aber Baki…egal was du tust, denk immer daran, was ich dir beigebracht habe. Es ist nicht wichtig, wie viele Jutsu du beherrscht, oder ob du Genin oder Kage bist. Das wichtigste ist, dass du nie etwas als selbstverständlich betrachtest.“ „Ja, Sensei.“ Eine Weile blieben sie einfach so, der alte Mann im Bett, Baki auf dem Boden kniend. Seine Knie schmerzten, doch er ignorierte es. Er wollte den Kranken nicht durch eine plötzliche Bewegung erschrecken. „Baki? Bist du noch da?“ „Ja.“ „Lächle. Vergiss nie, zu lächeln. Ein Lächeln macht den Menschen erst menschlich.“ „Ich werde es versuchen, Sensei.“ Der Alte lächelte selbst, als er noch einmal diese Bezeichnung aus dem Mund seines ehemaligen Schülers hörte. Kurz darauf schlief er ein. Das Gespräch hatte ihn sehr angestrengt. Stundenlang noch saß Baki am Bett seines Lehrmeisters. Selbst im Schlaf schien er noch zu lächeln. Sein Gesicht war friedlich. Baki war glücklich, dass er dem alten Mann seine letzten Stunden noch ein wenig erleichtert hatte und ohne es richtig zu bemerken, lächelte auch er.

Irgendwann schlief er ein. Als er aufwachte, war er nicht mehr bei seinem Sensei, sondern in einem fremden Zimmer. Kampfbereit sprang er auf, als er aus dem Nebenraum gedämpfte Stimmen hörte. Die Tür stand offen, also schlich er vorsichtig dorthin und spähte in das benachbarte Zimmer. Es war das Zimmer, in dem der Kranke gelegen hatte. Eine Gruppe von Ärzten stand in der Mitte des Raumes, den Blick gesenkt. Zwischen ihnen war ein offener Sarg. Baki räusperte sich leise, damit sie seine Anwesenheit mitbekamen, dann trat auch er in das Zimmer. Einer der Ärzte, eine junge Frau, blickte auf. „Du warst sein Schüler, oder?“, sprach sie ihn an. Baki nickte. „Möchtest du etwas Zeit mit ihm alleine? Ihr standet euch recht nahe, habe ich gehört.“ „Nein, danke“, sagte Baki. Seine Stimme klang rau. „Wann…?“ „Kurz nachdem ihr beide eingeschlafen seid. Er ist nicht wieder aufgewacht.“ Wieder nickte Baki. Er ging an den Ärzten vorbei aus dem Haus. „Die Beerdigung ist heute Abend“, rief ihm die junge Frau noch hinterher. Kaum dass er aus dem Haus war, begann Baki, schneller zu laufen. Als er den Dorfausgang erreichte, rannte er. Draußen rannte er noch ein Stück weiter, einfach, um zu rennen. Er fühlte den Wind, der seine Kleider aufblähte, er spürte den Sand unter seinen Füßen, hörte ihm knirschen, wenn er auftrat. Bald ging er langsamer und versuchte, sich nur auf das Gefühl des Sandes unter seinen Schritten zu konzentrieren. Er zog seine Schuhe aus und lief barfuß, damit er die einzelnen Sandkörner zwischen seinen Zehen spüren konnte. Er blieb einige Stunden draußen in der Wüste und dachte über all das nach, was sein Sensei ihm gesagt hatte.

Als Baki endlich wieder ins Dorf zurückkehrte, war es schon fast Abend geworden, Er musste sich beeilen, um noch rechtzeitig zur Beerdigung zu kommen. Kurz ging er nach Hause, um sich etwas anderes anzuziehen. Als er, jetzt ganz in schwarz, wieder aus seinem Schlafzimmer kam, fiel sein Blick auf den Kalender. Es war der 4. Juli. Heute war sein 14. Geburtstag.

Auf der Beerdigung hatten die Leute ihn angestarrt. Kein Wunder – er hatte die ganze Zeit über gelächelt. Das war auf Beerdigungen eher ein seltener Anblick. Und bei ihm sowieso. Alle anderen hatten Blumen an den Sarg des verstorbenen gelegt. Baki hatte gewartet, bis alle gegangen waren, dann erst war er zu dem Sarg getreten. Lange hatte er nur so dagestanden, dann hatte er langsam seinen Arm ausgestreckt und die Hand geöffnet. Eine handvoll Wüstensand rieselte auf die Blüten, die vor dem Sarg lagen. Alle Sandkörner sahen gleich aus, aber jedes war ein bisschen anders als die anderen. Und die Wüste war nicht mehr dieselbe, seit ihr diese handvoll Sand fehlte.
 

Baki lächelte noch immer. Dann dreht er sich um und sobald er den Grabstein nicht mehr ansah, war auch das Lächeln verschwunden. Niemand sah Baki je lächeln. Diesen besonderen Ausdruck seiner Gefühle sparte er sich für eine ganz bestimmte, ganz besondere Person auf. Wenn er das Grab seines alten Lehrers verließ, wurde er wieder zu dem harten, kalten Baki, den die Öffentlichkeit kannte. Einst hatte jemand gewusst, wie seine andere Seite aussah. Aber dieser jemand war schon lange nicht mehr für ihn da. Ihm blieb nichts als Erinnerungen. Und ein Lächeln.
 

Als der Mann gegangen war, flog ein Vogel von einem Hausdach in der Nähe herunter. Er ließ sich auf dem Grabstein nieder und nahm vorsichtig die weiße Lilie in den Schnabel. Er flog damit davon, in Richtung Wüste.

Ein einzigartiger Vogel. Eine einzigartige Lilie. Eine einzigartige Welt.



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