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Das Maleficium

von

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Eine Säule glimmender Energie, ein dunkles, geisterhaftes Lodern, stieg empor, warf zitternde Schatten an die Wände des Schachts und verlor sich in der Öffnung weit über Scavo, wo sie im Tageslicht zerfiel.

Das Maleficium lag aufgeschlagen vor ihm. Aus seinen Seiten strömte finstere Energie empor, wie ein umgekehrter Wasserfall aus Zorn und angestautem Verlangen. Scavo saß im Schneidersitz davor. Sein Mund bewegte sich schnell und zitternd, doch kein Wort war zu hören. Seine halbgeöffneten Augen waren leicht nach oben verdreht, doch sie sahen nichts von dem, was hier geschah.

Sein Geist glühte und pulsierte wie ein Freudenfeuer, das heftige Windstöße immer weiter angefacht hatten. Das Wesen rang mit den Gitterstäben, die das Maleficium bildete, und saugte Scavos Energie wie ein Vampir, um mit ihnen diese Stäbe zu zerbrechen. Ares, der sich als Schatten in der Säule aus Rauch, schwarzem Licht und geflüsterten Verwünschungen abzeichnete, murmelte jene Formeln, mit denen er vor Jahrhunderten in dieses Gefängnis gebannt worden war.

Schon spürte er, wie sich das Fundament lockerte, in dem die ehernen Stäbe seines Gefängnisses ruhten. Unter seinen knochigen Fingern begann das Metall weich zu werden. Der Duft der Freiheit stieg ihm bereits in die Nase seines Skelettkopfes wie ein Lockruf aus weiten Ebenen, die auf einen verwegenen Eroberer warteten.

Nach und nach fielen die Bannformeln, die Schlösser, die seinen Kerker Jahrhunderte lang zu dem Grab seiner Macht gemacht hatten. Er spürte, wie die Kraft eines neuen Krieges seine Knochenarme mit frischer Energie erfüllte, so wie der Frühling den Saft des Lebens in schlafende Zweige treibt. Von weitem spürte er den Kampf und das Morden, das Hin und Her-wogen gewaltiger Schlachten; sein Durst wurde stärker denn je. All die Jahrhunderte der Verbannung in dem Maleficium schienen ihm nun unbedeutend und nichtig. Ein neuer Morgen wartete, und die Menschheit brauchte ihn dringender denn je.

Er spürte, dass sich sein Gefängnis lockerte, und tauchte erneut ein in den Traum, von dem er sich die letzten Jahrzehnte über genährt hatte. Eine Welt des Krieges, des ewigen Ringens zwischen den Völkern, die alle ihre Götter vergessen würden und nur noch ihm huldigten. Eine Welt, in der der Hass der Menschen und ihre Zwietracht das Blut bildeten, das in seinem neu erstandenen Körper fließen würde.

Einen Tag und eine Nacht dauerte dieses Ritual schon, und endlich hatte er das verlorene Flüstern gefunden, das in diesen Wänden aus Fels widerhallte, zweihundert Jahre nach seiner Verbannung. Die Stimme jenes Menschen, der ihm dies angetan hatte, klang wieder in seinen Gehörhängen. Ekel und Wut durchflutete ihn bei der Erinnerung an diesen Menschen, der ihn in das Maleficium gebannt hatte, aus Furcht vor seiner Macht und vor seinem eigenen Ich, das sich so sehr in ihm, dem Gott des Krieges, widergespiegelt hatte. Die Gebeine dieses Menschen lagen seit über einem Jahrhundert zerfallen in der feuchten Erde eines unbekanntes Landes, aber er, den er verehrt und zugleich gefürchtet hatte, dem er das Schlimmste angetan hatte, er tat heute einen wichtigen Schritt zu seiner Freiheit.

Ares erstarrte. Er spürte die Anwesenheit weiterer Menschen außer Scavo. Sein forschender Blick schwenkte herum; erkannte er sie schnell. Ares blickte in ihre Herzen. Dort fand er dieselbe Gier, die seit Anbeginn der Zeit die Menschen in ihr Unglück gestürzt hat und ihre Welt mit Verwüstung überzog. Er spürte aber noch mehr. Ares spürte ein Verlangen, das so hell und rein loderte, dass selbst er es kaum beeinflussen würde können. Er sah Herzen, die so sehr daran glaubten, ihr Schicksal formen zu können, dass sie ihn, Ares, niemals die Freiheit schenken würden.

„Scavo, erhebe dich. Hier ist alles getan. Wir müssen weiter.“

Der kleine, schwache Mensch, dessen Begierde zur stärksten Waffe für Ares gegen ihn selbst geworden war, erhob sich aus seiner Trance. Sein Blick war leer, und sein Mund murmelte immer noch lautlose Silben. Dann griffen seine zitternden Hände nach dem Maleficium, das bald schon keinen Widerstand mehr gegen den darin eingekerkerten Geist würde bilden können. Bevor er es zuklappen konnte, weiteten sich Ares‘ knöcherne Kiefer auf gespenstische Weise, und er spie den schlimmsten Alptraum aus, den er die Jahrhunderte über in seinen Träumen aus Verwüstung und Zerstörung gehegt und gepflegt hatte.

„Vernichte sie, Tiamat! Werde deinem Ruf als Spalter von Himmel und Erde gerecht!“
 

Von weitem schon sah Dorian etwas, er konnte es aber nicht bestimmen. Er sah jetzt nur, dass Sarik zu laufen begann, und im selben Atemzug erhöhte auch Brynja ihr Tempo. Hargfried folgte ihnen ebenso, und schließlich zogen auch Iria und Nadim, der sich halb an ihr festhielt, an ihm vorbei. Aus Verwirrung wäre er fast stehengeblieben.

„He, wartet doch!“ schrie er ihnen hinterher, doch er realisierte, dass ihre plötzliche Eile nur einen Grund haben konnte. Und zwar jenen Grund, der die ganze Zeit über ihrem fragilen Pakt wie ein Damoklesschwert gehangen hatte, und der die Bande ihrer Freundschaft mühelos durchtrennen würde. Dorian schluckte seine Angst und seinen Zweifel hinunter und begann ebenfalls so schnell zu laufen wie er nur konnte.

So gelangten sie in den Schacht, in dem das Maleficium auf sie wartete.
 

Dorian wäre fast in Hargfrieds breiten Rücken gelaufen. Dieser stand da wie angewurzelt, ebenso wie Sarik, Brynja, Iria und Nadim. Dorian sah über ihre Köpfe hinweg ein dunkles Lodern voller dämonischer Schatten, ein Feuer, aus dem Funken einem düsteren Himmel emporstiegen. Er ging an ihnen vorbei und sah, was sie vor Entsetzen erstarren hatte lassen.

Der Schacht hatte in seiner ganzen kreisförmigen Ausdehnung locker fünfzig Schritte im Durchmesser. Es gab hier dieselben verrosteten Apparate, wie er sie schon früher gesehen hatte, die zusammen mit Stapeln von Kisten am Rand des Schachts verteilt standen. Dorian sah, dass sich der Schacht weit nach oben erstreckte, immer mehr verjüngte und schließlich eine Öffnung freigab, durch die Tageslicht in seine Tiefe fiel. Und er sah die hölzernen Aufgänge, die an den Rändern des kreisförmigen Schachts bis fast an seine Öffnung hinaufführten. Vor allem aber bannte ihn das gigantische Ungetüm, das auf sie wartete.

Im Zentrum des Schachts, auf dem Boden, lag das Maleficium. Dunkle Flammen züngelten aus ihm empor und erreichten fast das Ende des hohen Schachts. Funken tanzten umher, gleich boshaft glühenden Leuchtkäfern. Und inmitten dieser sich auftürmenden Flamme aus rötlichem Rauch, schwarzen Flammen und unheilvollen Schatten schwebte ein Wesen.

Beine, mit Schuppen überzogen und mit Klauen an ihren Enden, gleich denen eines Raubvogels, ragten aus der Rauchsäule. Ein Körper, mit kurzen, glänzenden Haaren bedeckt, wie der Leib eines Rosses, bildete den Rumpf der über ihnen schwebenden Abscheulichkeit. Schwingen, kraftvoll schlagend wie im vollen Flug, hielten das Wesen in der Luft. Schwarze Federn lösten sich von ihnen, um langsam der Glut darunter entgegen zu sinken. Sehnige Arme, bedeckt von sandfarbenem Fell, saßen an dem Rumpf, und die Klauen einer Raubkatze schlossen und öffneten sich mechanisch an ihren Enden.

Und über all dem, wie die Krone dieser Monstrosität, die jedweder der Schöpfung innewohnenden Vernunft spottete, saß das Haupt eines Dämonen, einer Zerrform all der Geschöpfe, die für diese diabolische Kreatur Pate gestanden hatten. Ein Schädel, in dessen knöchernen, gelblichen Rundungen sich das darunter lodernde Feuer spiegelte. Ein Schnabel, aus bleichem Horn, sog mit kratzendem Geräusch die Luft dieser Welt ein. Eine rote Zunge spielte darin, und als Gipfel des Grauens, der Dorian und seine Begleiter erstarren ließ, brannten zwei Augen in der aufgekommenen Finsternis, die nun den Schacht erfüllte.

Zwei Rubine, in denen das Blut zahlloser Opfer wogte und pulsierte, warfen ein verderbtes Licht auf die Gruppe um Dorian.
 

Dieses Wesen schwebte in all seiner Schrecklichkeit vor ihnen, und doch war Dorian verzückt in seinem Grauen und seiner Furcht.

Endlich konnte er den Blick von dem Wesen losreißen und ihn auf das Maleficium lenken, das am Boden des Schachts lag. Zwei Hände, die von der aufsteigenden Säule aus Rauch und schattenhaften Flammen wohl verdeckt gewesen waren, ergriffen es.

„Da ist es! Schnell!“ rief er reflexartig. Doch die Hände schlossen das Maleficium, hoben es hoch und trugen es mit schnellen Schritten fort.

Dorian rannte los. In diesem Moment setzte alles in ihm aus. Seine Furcht vor der drohenden Monstrosität, die ihnen sicher nichts Gutes wollte: Er ließ sie hinter sich wie sein früheres Leben und rannte dem Maleficium hinterher.

Seine Füße berührten kaum noch den Boden, er lief so schnell wie noch nie in seinem Leben. Sein Herzschlag war wie eine außer Kontrolle geratene Trommel, und sein Atem blieb halb stecken in seinem weit aufgerissenen Mund. Nach wenigen Schritten hatte er die sich auflösende Rauchsäule durchquert. Er erschrak noch mehr, als Iria ihn überholte.

Mit einer Geschwindigkeit, die er der jungen Frau nie zugetraut hatte, rannte sie an ihm vorbei, und das auch noch mit Nadim im Schlepptau, den sie an einer Hand hielt. Seine Füße berührten wahrlich nicht mehr den Boden, sondern strampelten verzweifelt im Leeren.

Sie steuerten auf die andere Seite des weiten, kreisförmigen Schachts zu, in dem ein weiterer Gang klaffte. Von dem Träger des Maleficium waren nur das Maleficium selbst und bleiche, es umklammernde Hände sichtbar. Diese erreichten den Gang und verschwanden darin. Irias Abstand zu ihm vergrößerte sich noch. Dorian hatte nicht einmal mehr genug Sauerstoff in seinem Gehirn, um zu überlegen, ob die anderen ihm ebenfalls schon folgten.

Dorian wollte den Mund öffnen und etwas schreien, doch das war ihm unmöglich. Iria verschwand mitsamt Nadim in dem Gang, und er selbst war nur noch wenige Schritte entfernt- als er an einer Wand aus blauen, überkreuzten Linien abprallte.
 

Er saß im Staub des Felsenbodens und hielt sich seinen Kopf, der sich wie eine geschlagene Trommel anfühlte. Dann öffnete er die Augen und sah die Begrenzung des Kampfdoms, die ihn abgestoßen und Nadim sowie Iria hindurch gelassen hatte. Er gönnte sich einen kurzen Moment der Verwirrung in dem Chaos, in dem alles versank, dann fiel ihm sein Escutcheon ein, den er trug- im Gegensatz zu Iria und Nadim.

Wankend kam er auf die Beine; das bläuliche Glühen des Kampfdoms tauchte ihn dabei in sein Licht. Langsam drehte er sich um und sah, wer ihn geöffnet hatte. Es war das riesenhafte Wesen von bizarrer Hässlichkeit und verstörender Anmut, das nun ihr Gegner auf Leben und Tod war.
 

Dorian stand da wie versteinert. Sein Blick huschte zwischen der Monstrosität und seinen Begleitern, die am anderen Ende des Kampfdoms standen, hin und her. Sie standen bereits angriffsbereit mit gezogenen Waffen da; in diesem Moment erinnerte er sich seiner eigenen Waffe.

Beinahe wurde ihm schwindelig, als er an sich hinabblickte und mit zittrigen Fingern nach seinem Schwert tastete. Es kam ihm lächerlich klein vor angesichts der mitten im Schacht schwebenden Kreatur. Dorian drehte sich um und blickte in die Richtung, in die das Maleficium, Iria und auch Nadim verschwunden waren, und in der jetzt eine für ihn unüberwindliche Barriere lag. Dann kam ihm eine Idee.

Mit der linken Hand umfasste er den Rand seiner Armschiene und zerrte daran. Aber es war genauso, wie er es befürchtet hatte: Sie saß wie verwachsen an seinem Unterarm.
 

Sarik stand mit gezogenem Schwert da und blickte mit seinem gesunden Auge über die polierte Oberfläche seiner Klinge. Davor schwebte das Ungeheuer, das die geisterhafte Stimme vorhin Tiamat genannt hatte. Hinter sich erkannte er aus dem Augenwinkel Brynja und Hargfried, die ebenfalls mit gezückten Waffen Seite an Seite mit ihm standen.

Diese Kreatur, dessen Leib verglühende Funken entströmten und langsam dem Felsboden entgegen sanken, schlug heftig mit den Raubvogelflügeln. Schwarze Federn stoben davon, und ein durchdringendes Kreischen ertönte. Sarik duckte sich und biss die Zähne zusammen. Das schrille Geräusch ging ihm durch Mark und Bein. Gerade im richtigen Moment hob er den Blick wieder, denn nun stürzte sich das Ungeheuer auf sie herab.

Fast wäre er mit Brynja zusammengestoßen, die in dieselbe Richtung rannte. Hinter sich hörte er das Peitschen schlagender Flügel sowie das kratzende Geräusch riesiger Klauen, die über den Felsen scharrten. Mit wenigen weiten Schritten erreichten sie einen der Raffinerie-Apparate am Rande des Schachts.

Beide suchten sie hinter einem der Rohre Zuflucht. Das Wesen kauerte auf dem Boden, am Rande des Kampfdoms, und sein Kopf fuhr ruckartig in alle Richtungen. Mit seinem bleichen Schnabel beschnupperte es den Platz unter seinen Krallen; das Bedauern, keinen zerschmetterten Menschen darunter vorzufinden, war seinem bizarren Antlitz förmlich anzusehen.

„Was macht er jetzt?“ hörte Sarik Brynja über seine Schulter hinweg fragen. Er sah genauer hin, dann erkannte er Hargfried, der sich hinter der Kreatur aufbaute.
 

„Ich bin Hargfried von Lichtenfels, und wer seid Ihr?“

Hargfrieds Stimme, die zwischen der Empörung, beinahe getötet worden zu sein, und der Förmlichkeit, die er von offiziellen Anlässen gewohnt war, schwankte, hallte durch die steinerne Arena. Das Wesen Tiamat wandte sich mit ruckartigen Bewegungen um und beäugte die im Vergleich zu ihr winzige Kreatur.

„Also keine Vorstellung? Na gut, dann soll unser Duell eben so beginnen!“
 

„Er bringt sich um“, flüsterte Sarik.

„Ist das so tragisch?“ Er wandte sich zu ihr um und sah ein verschmitztes Lächeln. Sie nickte ihm zu, und er verstand den Wink. Er lächelte zurück, dann machten sie sich zum Angriff bereit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-10-19T23:04:10+00:00 20.10.2010 01:04
AH Er Hat das Maleficium verloren?
Was wird nun Passieren?
Bin sehr gespannt darauf.^^


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