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Das Maleficium

von

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Irias Lunge fühlte sich wie ein vor dem Zerreißen stehender Blasebalg an. Ihre Füße drohten immer wieder auf dem feuchten Untergrund auszugleiten, und ihr Blick tastete angestrengt nach dem Maleficium, das im Begriff war, im Zwielicht vor ihnen zu verschwinden.

Nadim gab sich alle Mühe, ihren Schritt zu halten, und schließlich war es nicht mehr notwendig, ihn an der Hand mit zu zerren. Seite an Seite lief er mit ihr durch die Gänge dieser Minenschächte; nur selten blickte sie zur Seite, um sich davon zu vergewissern.

„Ir… ia…!“ keuchte Nadim während des Laufens. „Was… ist… mit den anderen?“

„Egal!“ antwortete sie während ihrer Hetzjagd durch die Schächte, von denen ihre Schritte wie unrhythmisches Getrommel widerhallten. „Das Maleficium- Wir holen es uns!“ rief sie atemlos.
 

Ihr Ziel, das Paar bleicher Hände, deren Körper wie unter einer Luftspiegelung verborgen wirkte, war ihnen etliche Schritte voraus- und es wurden immer mehr. Das Maleficium, der Grund ihrer Reise, befand sich in diesen Händen, und sie entschwanden immer mehr aus ihrem Blickfeld.

Der Schacht gabelte sich bald darauf mehrmals auf, und irgendwann hatten sie ihr Ziel endgültig aus den Augen verloren. Nadim, der ein ähnliches Verlangen in sich trug, es zu erringen, den aber die Konfrontation mit seinem momentanen Besitzer schreckte, blieb mehr erleichtert als bekümmert stehen. Iria lief weiter, und mit dem ersten Atemzug Luft, den er erhaschte, rief er ihr hinterher:

„Bleib doch stehen, Iria! Es hat keinen Sinn…“

Doch sie blieb nicht stehen. Bald verhallten ihre Schritte in der Entfernung. Die Hitze der Jagd und die Aufregung über ihre Begegnung mit dem Ungeheuer zuvor schwanden in Nadim, und die Furcht vor diesen unheimlichen Schächten kehrte wieder.

Gegen das Stechen in der Seite und die Schwere in seinen Füßen ging er los und rief dabei nach Iria, ohne die er sich in diesen Gängen mit einem Mal sehr allein fühlte.
 

Seine Schritte wurden automatisch schneller. Die aufkeimende Angst, sich ganz allein in diesen Gängen zu verlaufen, bescherte ihm neue Energie.

Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er auf Iria stieß. Diese stand vor einer Gabelung, an der sich der Mienenschacht in insgesamt drei Richtungen aufteilte. Durch alle verliefen die gleichen rostfarbenen Leitungen, und an allen leuchteten dieselben blauen Glasröhren, die auch schon den Weg hierher erhellt hatten. Sie unterschieden sich nicht voneinander; die Abwesenheit eines Hinweises, welchen davon der Dieb mit dem Maleficium genommen hatte, erzürnte Iria sichtlich.

Nadim trat neben sie hin und blickte sie vorsichtig an. Iria stand da, mit geballten Fäusten, und ihre Brust hob und senkte sich noch in schneller Folge von der Anstrengung der Verfolgungsjagd. Der finstere Blick ihrer Augen tastete über die drei verschiedenen Wegmöglichkeiten. Die Verbissenheit darin forderte diese Öffnungen im kalten Fels förmlich heraus. Doch sie gaben keine Antwort, und auch sonst zeigte nichts an, welchen Weg das Maleficium genommen hatte.

„Iria…“

„Verdammt!“

Ihr empörter Ausruf hallte gellend von den Wänden wieder, woraufhin Nadim erschrak. Iria zitterte vor Zorn. Wäre es ihr möglich gewesen, sie wäre in alle drei Schächte gleichzeitig gelaufen, daran zweifelte er keinen Moment.

„Iria, wir sollten- “

Doch sie hörte ihn nicht an, sondern ging los. Dabei nahm sie den mittleren Gang. Nadim folgte ihr, und der Eilschritt, den Iria jetzt an den Tag legte, kam ihm wie ein gemächliches Tempo gegen die Hetzjagd von vorhin vor.

„Was machen wir jetzt?“ fragte Nadim nach einer Weile, in der sie nur wortlos nebeneinander gegangen waren. Iria warf ihm einen aufgebrachten Blick zu, und er fürchtete bereits eine Schmähung ihrerseits- es kam aber keine; stattdessen begann sie leise und auch traurig zu sprechen.

„Wir müssen es finden… Sonst war alles umsonst.“

„Sollten wir nicht- “ Nadim zögerte angesichts dessen, was er als Nächstes sagen wollte. Es verwunderte ihn selbst, der er sich nicht gerade als großmütig kannte. „Sollten wir nicht nach den anderen sehen? Ich meine, da war doch dieses Ungetüm, dieses abscheuliche, wer weiß, was es- “

„Die kommen schon klar“, schnitt sie ihm rasch das Wort ab. „Die haben ihre Waffen und ihre Escutcheons. Die kommen klar“, wiederholte sie, wie um sich selbst zu beruhigen.

„Ja, du hast wohl recht“, gab Nadim ihr Recht. Nicht so sehr deshalb, weil er ihrer Meinung war, sondern eher, weil er spürte, dass sie nun jeden Zuspruch brauchen konnte angesichts ihres Scheiterns.
 

Iria lauschte angestrengt, doch es war vergebens. Das allgegenwärtige Mahlen des Berges vermischte sich mit ihren Schritten zu einer traurigen Melodie, die von Versagen und enttäuschten Hoffnungen erzählte. Dazu kam das langsam erwachende Schuldgefühl, ihre Freunde im Stich gelassen zu haben.

Unsinn, sagte sie zu sich selbst, während sie durch gleichförmige Schächte gingen, ebenso orientierungslos wie ziellos. Sie haben Waffen und können kämpfen, sagte sie sich vor. Sie können kämpfen und töten, dachte sie weiter, genau wie die Soldaten, die jetzt vielleicht schon Pielebott zerstört haben. Und wenn sie dabei umkommen… sind sie selbst schuld.

Immer wieder sagte sie sich das vor, und irgendwann glaubte sie es sogar. Sie war überzeugt, sich alleine durchschlagen zu können, nur mit Nadim und sonst niemandem. Die Eintönigkeit der Minenschächte, die Abwesenheit anderer Geräusche als die ihrer Schritte zusammen mit dem sich vor ihnen auflösenden Ziel, versetzte sie in einen Zustand, in dem alles Böse der Welt, die kriegführenden Armeen, das Ungeheuer aus dem Maleficium und selbst Dorian und die anderen zu einem einzigen Feindbild gerinnen ließ.

Sie brauchte etwas, gegen das sie ihren Groll richten konnte, auf das sie ihre Energien konzentrieren konnte, jetzt, wo alles zwecklos schien. Sie wussten nicht, wo sie waren, der Dieb mit dem Maleficium war wahrscheinlich schon über alle Berge, und sie hatten in Ermangelung eines Escutcheons keine Möglichkeit, ihn weiter zu verfolgen. Selbst wenn sie ihn fänden… Das Ungeheuer, das zuvor aus dem Maleficium entstanden war, hatte die anderen wahrscheinlich schon getötet; was konnten dann sie dagegen ausrichten?

Nach einer endlos scheinenden Zeit spürten sie einen Lufthauch, der stärker wurde und sie schließlich zu einem Ausgang brachte. Sie kamen zu einer Öffnung des Minenschachts. Das Tageslicht der hochstehenden Sonne schmerzte ihnen in den Augen. Vor ihnen begann ein schmaler Pfad, der auf einer Seite abrupt in die Tiefe abbrach und auf der anderen Seite an einer steilen Felswand verlief.
 

Hargfried kam hinter seinem Kistenstapel hervor, dessen Trümmer im weiten Umkreis verstreut lagen. Seine Hände zitterten ganz leicht, als er sein Schwert aufsammelte. Dann ging er zu Brynja und Sarik, die bei Dorian knieten.

Sarik ohrfeigte ihn, woraufhin schnell wieder Leben in das blasse Gesicht kam. Dorian blinzelte mehrmals, bis er die Leute über ihm erkannte. Danach fuhr er hoch und blickte sich mit aufgerissenen Augen um. Doch das Ungeheuer, mit dem er den Schacht hinuntergestürzt war, sah er nicht.

„Es hat sich in demselben Rauch aufgelöst, aus dem es entstanden ist“, antwortete Brynja auf die Frage, die ihm so deutlich in die geweiteten Augen geschrieben stand. Daraufhin atmete er vor Erleichterung auf und wäre fast zu Boden gesunken, hätte Sarik ihn nicht gestützt.

„Gut gemacht, Junge“, sagte dieser, klopfte ihm auf die Schulter und half ihm auf die Beine. Trotz des sachlichen Tons dieser Worte begann Dorian zu strahlen, als hätte er nie in seinem Leben ein überschwänglicheres Lob gehört.

„Ich- Ich habe nur das getan, was sie mir beigebracht haben!“ rief er aufgeregt. Sein Blick sprang zwischen Sarik und Brynja hin und her, und seine Füße gaben gleich wieder nach.

„Ja, ja, ist schon gut“, sagte Sarik, stützte ihn erneut und warf Brynja einen vielsagenden Blick zu. Brynja bemerkte nun Hargfried, der hinter ihnen stand und sich nervös umsah.

„Dieser Kerl, er hat das Maleficium“, stammelte er. Dabei deutete er mit dem Zeigefinger seines Panzerhandschuhs in Richtung des nun wieder freiliegenden Ausgangs. Seine Augen bewegten sich ruckartig hin und her, ihre Lider zitterten vor Aufregung. „Und er kennt den Mörder meines Vaters, ich weiß es!“ schrie er und rannte los.
 

Brynja war sofort auf den Beinen und setzte zur Verfolgung an- als ihr Blick zurückging zu Sarik und Dorian, der immer noch benommen auf dem Boden lag. Ein kurzes, heftiges Ringen in ihrem Inneren verzerrte ihr Gesicht und ließ einen deftigen Fluch ihren Lippen entweichen. Sie warf Hargfried, der wie von Furien gehetzt in den Ausgang rannte, einen finsteren Blick nach, dann kehrte sie um.
 

„Es geht schon, es geht schon“, sagte Dorian und rang sich aus Sariks Griff frei. Mit unsicheren Schritten näherte er sich der Stelle, an der sein Schwert auf dem Felsboden lag und er mit dem Ungeheuer zu Boden gestürzt war, von dem aber nun nichts mehr zu sehen war.

Dorian hob es auf und betrachtete es mit großen Augen und offenem Mund. Das Blut der Kreatur war ebenso verschwunden, und die Klinge wirkte völlig unverändert, als wäre dies alles nie geschehen. Einen Moment kam es ihm vor, als wäre er wieder in einer der Spelunken am Bucket-Weg, als hätte er dort einer aufregenden, abenteuerlichen Geschichte gelauscht, die ihn sosehr in Bann gezogen hatten. Dann realisierte er allmählich, dass dies keine Geschichte gewesen, er es wirklich erlebt hatte und dass es furchtbar gewesen war.

Er war sich nun sicher, dass er damals nur Maulhelden und Lügnern gelauscht hatte, und dass er vielleicht nie oder erst in vielen Jahren so unbeschwert und ausmalend von diesem Erlebnis würde erzählen können. Oder dass er es womöglich nie tun würde, da es ihm wahrscheinlich niemand glauben würde. Denn diese Wirklichkeit erschien ihm unglaubwürdiger als jedes Märchen…

„Wo sind die anderen hin?“ fragte er nun, und sein Kopf folgte seiner Stimme erst mit einem Moment Verzögerung.

„Sie sind dem Maleficium hinterher“, hörte er Sarik sagen. Dann fiel es ihm wieder ein: Der Moment, in dem Iria und Nadim durch die Barriere gelaufen waren, die ihm als Escutcheonträger verwehrt geblieben war. Sein Blick senkte sich auf seinen Armreif; dessen Scheiben flackerten immer noch, wenn er ihn in eine bestimmte Richtung hielt. Das Flackern erlosch, wenn er ihn weiterschwenkte, und schließlich wurde seine eigentliche Füllung erkennbar. Dorian erschrak.

„Du hast da eben einen ganz schönen Brocken erledigt“, sagte Brynja, die ihm über die Schulter sah. Dorians verwirrter Blick sprang zwischen Brynja, die ihn aufmunternd und auch ein wenig verschmitzt anlächelte und seiner Armschiene, die nun in seltenen Momenten zwei volle, grünglühende Scheiben anzeigte.
 

Den hohen, kreisförmigen Schacht, in dem fast ihre Reise das Ende gefunden hatte- und ebenso auch ihrer aller Leben- ließen sie hinter sich zurück.

Gemeinsam folgten sie dem Gang, in dem der Dieb mit dem Maleficium verschwunden war. Dorian ging zwischen Sarik und Brynja. Es wurde kein Wort gesprochen. Das Geschehen von vorhin, das Dorian immer noch wie eine ins Absurde verzerrte Geschichte vorkam, war gerade erst im Begriff, in all seinen Einzelheiten in seinen Verstand einzusickern.

Er schaute nach seinen Begleitern, die ernsten Schrittes neben ihm hergingen. Sarik war wortkarg wie immer. Er wunderte sich einen Moment über den ungerührten Ausdruck auf seinem Gesicht nach diesem turbulenten Ereignis. Dann entsann er sich den vielen Schlachten, die er schon hinter sich haben mochte, und fragte sich, wie viel er erleben musste, bis er eine ähnliche Kaltschnäuzigkeit an den Tag würde legen können.

Dann fiel sein Blick auf Brynja. Er konnte ihr ansehen, dass sie Mühe hatte, das Tempo ihrer Schritte zu zügeln. Es war ihr bewusst, dass ein Voranstürmen in diesen Minenschächten wenig Sinn hatte, und sie machte auf Dorian auch den Eindruck, dass sie den Vorteil, mit zwei fähigen Kämpfern unterwegs zu sein, nicht außer Acht ließ.

Mit zwei fähigen Kämpfern… Sarik und ihm selbst. Dorian schwankte zwischen Schaudern und Lachen, zwischen der nachhallenden Kälte der Todesangst und dem Gefühl des Triumphes, das sich allmählich einstellte und wie der Rausch eines vergorenen Getränks in seinen Kopf zu steigen drohte.

Ich habe Tiamat besiegt. Ich! wiederholte er in Gedanken, und er hatte alle Mühe, nicht wie schwachsinnig loszulachen. Ich habe ihn besiegt! Wer immer dieser Tiamat war… dachte er. Einen kurzen Moment überkam ihn Verwirrung, wer oder was diese Kreatur denn gewesen sei. Die Gewissheit, dass sie furchtbar gewesen war, siegte aber über allen anderen Überlegungen, und umso mehr er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam es ihm vor. War das ich? Oder habe ich nur geträumt?

„Hargfried kann noch nicht weit sein“, hörte er Sarik sagen, der dabei zu Brynja blickte, als hätte er ihre Miene gelesen. „Er verläuft sich höchstens in diesen Gängen. Das Maleficium ist wahrscheinlich schon weit weg.“

„Weit weg!?“ schrie Brynja beinahe und blieb stehen. „Sie sagen das so locker, als ginge es um nichts!“ fügte Brynja nicht mehr ganz so laut hinzu.

„Es geht hier um Einiges. Zumindest für mich“, erwiderte er mit fester, aber gefasster Stimme. Brynja ging an Dorian vorbei, der unwillkürlich vor ihr zurückwich, und baute sich dicht vor Sarik auf, der seine Position allerdings keinen Fußbreit änderte.

„Glauben Sie etwa, für mich nicht?“ herrschte sie ihn an. Dorian betrachtete die Auseinandersetzung bange und spürte, dass Brynja immer weniger Aufwand betrieb, sich zu beherrschen.

„Wir haben dasselbe Ziel, es gibt also keinen Grund für Unterstellungen“, antwortete er in seiner gewohnten Ruhe, auch wenn an den Rändern seiner gewählten Worte der Unwille, die Zeit mit einem Streit zu vertun, durchschimmerte.

„Was heißt hier Unterstellungen? Ich habe Ihnen nie vertraut, also kann ich Ihnen auch nichts unterstellen!“

Brynjas Entgegnung kam scharf wie ein Peitschenhieb, und jedes einzelne Wort schien scharfe Kanten zu haben.

„Sie trauen niemanden, und man kann auch Ihnen nicht trauen“, gab Sarik zurück, der jedes Wort langsam und fest aussprach, so wie man den Deckel auf einen Kessel mit siedendem Wasser drückt. „Das ist wohl der Grund, warum ihr immer alleine arbeitet, und warum ihr Assassinen in Kämpfen nicht gefangen genommen werdet, sondern immer gleich an Ort und Stelle hingerichtet!“

Brynjas Augen wurden groß und gefährlich wie der geöffnete Schlund einer angriffsbereiten Giftschlange, und blitzten auf wie die Zähne darin. Sie wich einen Schritt zurück, und der Stachel ihrer Armschiene glitt klirrend heraus.

„Elender Bastard! Ich werde Ihren mosarrianischen Arsch- “

Schon wollte sie auf ihn losgehen, ohne Kampfdom und ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass sie sich gegenseitig nicht töten konnten. Sarik zog seinerseits das Schwert und nahm eine kampfbereite Position ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-10-24T22:53:14+00:00 25.10.2010 00:53
Das wird ein heftiger Kampf.
Freue michs chon aufs nächste kapi.^^


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