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Das Maleficium

von

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Die ersten der Rebellenkämpfer, die am schnellsten in ihre Kleidung und an ihre Waffen gekommen waren, stellten sich den Eindringlingen entgegen.

Gildenstern und seine Elite breiteten ihre Front auf und traten den Rebellen in einzelnen Duellen gegenüber. Ihnen allen war gemein, dass sie sehr schnell vorbei waren. Kampfdome wuchsen aus dem Boden, und die blauen Linien vollführten nur wenige Drehungen, bevor sie sich wieder in Dunkelheit verloren. Zurück blieben Schatten im hohen Gras; die Soldaten unter Gildenstern marschierten unbeirrt weiter.

Nadim stolperte durch das Lager, um alle Augenblicke von vorbeilaufenden Rebellenkämpfern beinahe umgerannt zu werden. Nun war alles auf den Beinen, was ein Schwert halten konnte, so auch Nadim. Im selben Moment bereute er dies; auch der Dolch unter seiner Weste, den er nach wie vor mit sich trug, konnte ihn nicht ermutigen.

Zugleich hatten ihn aber die Neugier sowie die bestürzende Ahnung, dass etwas Schreckliches im Gange war, aus dem Zelt gelockt. Hier draußen, wo alle durcheinanderliefen und schrien, war es erträglicher als im Zelt, wo er blind den Ereignissen entgegensehen hätte müssen.

„Iria? Dorian? Wo seid ihr?“ rief er gegen den allgemeinen Tumult an. Doch das Durcheinander aus aufgeregten Stimmen, Waffengeklirr und dieser furchtbaren Sirene, deren Heulen ihm durch Mark und Bein ging, erstickten seine Rufe vollkommen.

Der Impuls, wegzulaufen und sich zu verstecken, rang mit seiner Neugier und der kuriosen Ahnung, dass er in der Nähe der Gefahr am sichersten war. Und so fand er sich schließlich am Rand des Lagers. Mehrere Kreise der Konfrontation rotierten hier im Dunkel der Nacht und erfüllten es mit ihrem unheimlichen Glühen.

Sie wurden immer mehr, und schließlich vereinten sie sich zu einem Einzigen.
 

Sarik horchte auf wie ein Raubvogel, der auf Beute aufmerksam wird, sogar noch den Bruchteil eines Augenblicks vor Brynja. Die Last ihres Gespräches hing noch schwer an ihren Gliedern.

„Tun Sie mir den Gefallen: Erklären Sie es den anderen nachher genau so, wie ich es gerade getan habe.“

Brynja blickte in sein gesundes Auge, das geheimnisvoll hinter der Brille glänzte. Sie atmete tief durch, bevor sie ihm auf diese Bitte hin zunickte, dann zog sie zugleich mit ihm die Waffe.
 

„Wie sieht es aus, Sean?“ rief Gildenstern lauter als nötig in sein Funkgerät, während vor ihm ein weiterer Rebell tot zu Boden sank. Sein Schwert mit den gekreuzten Klingen war voller Blut, geradeso, als wäre an diesem Gegenstand aus bronzefarbenem Metall wirklich jemand gekreuzigt worden.

„Die Messungen sind noch zu ungenau. Ihr müsst näher ran“, antwortete Sean Hardy aus dem Funkgerät. Gildenstern tastete an seine Hüfte, an der ein weiterer Kasten aus Hardys Fundus montiert war.

„Gut“, antwortete er knapp und folgte seinen Männern, die im Begriff waren, das Lager zu überrollen.
 

Hargfried, von dem beständigen Heulen der Sirene noch tiefer in seinen Wahnsinn getrieben, taumelte durch das Rebellenlager und hielt sich den Kopf. Er achtete nicht auf die Rebellen, die eilig zu ihren Alarmpositionen liefen und ihn dabei anrempelten.

„Das muss aufhören… das muss aufhören…“, stammelte er und tappte orientierungslos durch das Lager. Endlich kam er an einen freien Platz, wo das Geheul der Sirene nicht mehr so durchdringend war. Er hob den Blick und sah die blauen Linien über sich am Nachthimmel glühen.

Einen Moment starrte er beglückt empor, wie ein Kind, das eine Sternschnuppe oder etwas ähnlich Schönes sieht. Dann senkte er den Blick und sah den Kampf vor sich toben. Männer in den sandfarbenen Gewändern der Rebellenbewegung standen in hellen Scharen an mehreren Plätzen zusammen. Im Takt wuchtiger Schwerthiebe fielen sie rücklings zu Boden, von tödlichen Wunden gezeichnet. Es waren nur einige wenige Angreifer, wie Hargfried erkannte.

Mit einem verzerrten Lächeln nahm er sein Schwert vom Rücken, entzückt über diese Abwechslung in seinem von Irrsinn erfüllten Alltag.
 

Fast hundert der Rebellenkämpfer waren mittlerweile auf den Beinen und stellten sich den Angreifern entgegen; doch nach und nach begannen sie, zurückzuweichen.

Es waren ihrer nur etwa ein Dutzend. Doch die Schnelligkeit und die Unerbittlichkeit, mit der sie die Verteidiger erschlugen und zu Boden warfen, ließ den Mut der Rebellenkämpfer gefrieren. Die Escutcheons der Angreifer leuchteten voll und bedrohlich; niemand der Rebellen hatte annähernd so viel Kampferfahrung oder solches Können. In einer halb zurückweichenden, halb fliehenden Phalanx wichen sie vor den Angreifern, denen sie selbst mit ihrem geballten Auftreten kaum etwas entgegensetzen konnten.

Bis eine einzelne Gestalt die Reihen der verzagt zurückweichenden Kämpfer durchschritt.
 

„Was ist denn hier los?“ fragte Hargfried belustigt. Doch keiner der Rebellen, die eben ihre Kameraden mit erschreckender Geschwindigkeit hatten sterben sehen, antwortete ihm. Stattdessen warfen sie ihm nur fragende und auch ängstliche Blicke zu. Hargfried schaute sich verwundert um, bevor er sich den Angreifern zuwandte, die in auseinandergezogener Front auf sie zukamen.

Es waren nach seiner Schätzung vielleicht ein Dutzend Männer, die im Abstand von je einigen Schritten langsam, aber unaufhaltsam näher kamen. Hargfried warf sein riesenhaftes Schwert in die Luft, fing es lachend auf, um dann mit einem langgezogenen Schrei einem der Angreifer entgegenzulaufen.

Hargfried schwang seine Waffe mit Leichtigkeit und Elan, geradeso, als hätte es ihn nach dieser Gelegenheit schon lange gedürstet. Sein Widersacher, ein Mann in einer kaiserlichen Rüstung, parierte die Hiebe jedoch ohne das Gesicht zu verziehen. Hargfried hielt daraufhin Inne und blickte sein Schwert fragend an, als bestände die Möglichkeit, es könnte defekt sein. Gerade, als er aufblickte, setzte sein Gegner zum Konterangriff an.

Der unbekannte Angreifer attackierte schnell und zugleich kraftvoll. Obwohl sein Schwert sich nicht mit der Masse und dem Gewicht von Hargfrieds Waffe messen konnte, so hatte dieser doch alle Mühe, die präzisen und zugleich machtvollen Hiebe abzuwehren. Langsam breitete sich die Gewissheit in ihm aus, dass er auf diese Weise zu keinem Zug mehr kommen und schließlich unterliegen würde.

So ballte er all seine Kräfte und legte sie in einen Gegenstoß.
 

Die Rebellenkämpfer sahen dies mit an, woraufhin neue Zuversicht in ihnen erwachte.

Wenn ein Einzelner es wagte, sich diesen übermächtigen Angreifern entgegenzustellen, so versetzte es ihrer immer noch lebendigen Ehre einen Stich, selber zurückzuweichen. Und so stürzten sie sich mit dem Mut der Verzweiflung erneut in den Kampf, ohne zu ahnen, dass der lachende Frohgemut eines Schwachsinnigen der Schlacht diese Wendung verliehen hatte.
 

Brynja und Sarik liefen Seite an Seite in Richtung des Kampfgetümmels.

Sie sahen die breit zerstreute Front, die sich an wenigen Stellen konzentrierte. An diesen Stellen war es, als würde eine im Kreis schwingende Sense die darum herum versammelten Rebellenkrieger einen nach dem anderen fällen. Schließlich erblickten sie eine Stelle, an der sich besonders viele Gefallene häuften, und von der die verbliebenen Rebellenkämpfer, entsetzt über die Stärke ihres Widersachers, zurückwichen.

Ein Mann in goldschimmerndem Harnisch, mit strohblonden Haaren und drohenden Augen, in den Händen ein gegen jede Vernunft großes Schwert, das sich an der Mitte der Klinge aufkreuzte, stand dort.

Sarik und Brynja wechselten einen entschlossenen Blick, bevor sie ihn herausforderten.
 

Brynja und Sarik näherten sich ihm von zwei Seiten. Sarik hielt seine schlanke, geschwungene Klinge mit beiden Händen zu Boden. Brynja hob ihren Armstachel und tastete schon nach einem Wurfmesser- als Sarik kurz seine Waffe senkte und erstaunt sprach.

„Jan Gildenstern, Berater des Kaisers?“

Der Mann musterte ihn einen Augenblick lang skeptisch, um dann von Herzen aufzulachen.

„Sie kennen mich also? Nun, das wird nichts ändern. Geben Sie das Maleficium heraus, oder sie alle werden sterben!“ rief er im Befehlston und streckte Sarik sein wie ein blutiges Kreuz geformtes Schwert entgegen. Sarik hob sein Schwert abwehrbereit, doch Gildenstern sprach lächelnd weiter.

„Nein, noch besser: Zuerst sterben Sie, und dann holen wir uns das Maleficium zurück!“
 

Nun zögerte Sarik nicht mehr.

Seine Füße trugen ihn mit behänder Eleganz Gildenstern entgegen; es schien, als würden sie dafür nicht einmal mehr den Boden berühren. Sein Schwert schnitt pfeifend durch die Luft, und im selben Augenzwinkern warf Brynja, im Rücken ihres Gegners, eines ihrer Wurfmesser.

Gildenstern wandte sich dem in Zeitlupe auf ihn zu rotierenden Wurfmesser um. Sein Gesicht war starr und kalt, als er es mit einer Bewegung seiner Waffe beiseite schlug. Dann wirbelte er im selben Atemzug herum und parierte Sariks Hieb. Funken sprühten durch die Nacht, und Sarik taumelte rückwärts. Einen kurzen Moment lang verzog er das Gesicht über den Schmerz in seinem Handgelenk, dann schüttelte er es und hielt sein Schwert so fest wie zuvor.

Jetzt stürmte Brynja vor. Ihr gellender Angriffsschrei hallte durch die Nacht, und ihr Armstachel blitzte auf. Doch ihr Angriffsmoment wurde schnell erstickt in den behänden Hieben Gildensterns, der sein Schwert mit unnatürlich scheinender Geschwindigkeit und Vehemenz führte. Wie ein Kreuz, das die Erlösung durch den Tod versprach, führte er seine Waffe gegen sie.

Immer wieder sah sie, während sie mit von Panik angefachter Eile zurückwich, wie sein entschlossenes Lächeln zwischen den Klingen seiner Waffe aufleuchtete.
 

Sarik setzte nach. Er sah, wie Gildenstern Brynja in die Enge trieb und zweifelte keinen Moment daran, dass er sie mit wenigen Hieben töten konnte. Die vier Scheiben an Gildensterns Escutcheon glühten drohend und erzeugten grüne Wischer auf seiner Netzhaut, während sie durch das Halbdunkel des Schlachtfeldes schwirrten.

Als hätte er Augen im Hinterkopf, so versetzte Gildenstern Hiebe nach hinten, die Sariks Klinge, die wie eine Giftschlange zustieß, mit weiten, schnellen Halbkreisen abwehrte. Und trotzdem gelang es Brynja nicht, diese Ablenkungen auszunützen, um einen entscheidenden Stoß gegen eine ungeschützte Region von Gildensterns Leib anzubringen. So sahen sie sich einem scheinbar vielarmigen Ungetüm gegenüber, das sein kreuzförmiges Schwert mit der Raserei eines wildgewordenen Predigers schwang, der die Erlösung seiner Schäfchen in ihrer Vernichtung sah.
 

Hargfried focht so tapfer und entschlossen wie vielleicht noch nie in seinem Leben.

Zeitweise glaubte er, im Helm seines Gegners das Antlitz des Mörders seines Vaters zu sehen, was seinen Angriffen noch mehr Macht verlieh. Und doch war die Deckung zu dicht, als dass einer seiner Hiebe sein Ziel hätte finden können. Wieder hatte er alle Mühe, seine Haut zu verteidigen, und die Aussicht, diesen Kampf für sich zu entscheiden, schwand immer mehr.

Mehrmals lösten sich einzelne Rebellenkrieger aus den Rotten, die sie bildeten, um Hargfried in seinem verzweifelten Kampf zu unterstützen, der sinnbildlich geworden war für das allgemeine Ringen. Doch diese mutigen Seelen fielen schnell unter den unmenschlich schnellen und präzisen Hieben.

Jedes ihrer Leben erkaufte Hargfried nur einen kurzen Moment zum Atmen.
 

Nadim duckte sich zu Boden und hielt die Hände über den Kopf.

Um ihn herum gerann alles zu einem Kaleidoskop des Terrors, einem Chaos aus Schreien, aus Waffengeklirr und den Geräuschen Sterbender, die in der Schlacht unterlagen. Nadim wollte nur fliehen, wollte nur noch weg von diesem schrecklichen Ort, doch dafür hätte er einen Blick wagen müssen in diese Welt aus Blut und Sterben, die er sosehr fürchtete.

Schließlich wagte er es doch. Er sah hin und her wogende Massen, die immer wieder gegen etwas anzurennen schienen, sah Kämpfer fallen und andere ihre freigewordenen Plätze einnehmen. Und er sah Hargfried.

Wenige Schritte entfernt rang dieser mit einem der Angreifer. Bei jedem Schritt, den er vor diesem zurückwich, drohte er über die Körper der bereits Besiegten zu stolpern. Jene Körper, zwischen denen er ebenso bald liegen würde: das verstand selbst Nadim, der vom Kämpfen keinen Schimmer hatte.

Die Angst wurde so übermächtig in ihm, dass sie sich schließlich selbst auslöschte, wie ein Feuer, das alle greifbare Nahrung verzehrt hat. Nadim erhob sich, und für diese Tat verlor er den Verstand. Das war auch nötig, denn sonst hätte er in tausend Jahren nicht den Mut aufgebracht, um das zu tun, was folgte.

Nadim holte den Dolch aus seiner Weste hervor, näherte sich mit zitternden Händen dem Angreifer, der Hargfried vor sich her trieb wie ein Schlachtvieh, dessen Opferung schon festgesetzt war. Er hob den Dolch, der so winzig und bedeutungslos schien im Vergleich zu dem Schrecken um ihn herum, und er stolperte.

Er stolperte über einen der vielen Gefallenen. Im Fallen streckte er ächzend den Arm aus. Das Wunder geschah: Der Dolch bohrte sich exakt in die Kniekehle des Soldaten, in die vielleicht einzige ungeschützte Stelle seines über und über gepanzerten Leib.

Ein unmenschlicher Schrei entrang sich der Kehle des Soldaten. Mit der Hand tastete er nach der Stelle an seiner Kniekehle, aus der nun Blut sprudelte. Hargfried, nur noch gelenkt von der Kraft, die ihm sein Irrsinn verlieh, kam taumelnd auf die Beine. Er nahm sein Schwert in beide Hände und schlug es seinem irritierten Gegner so tief in den Spalt zwischen Helm und Brustharnisch, dass es erst an seinem Beckenknochen zu Halt kam.

Der Harnisch des Mannes knirschte gequält dabei auf; er verstarb im selben Augenblick.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2011-01-16T02:34:40+00:00 16.01.2011 03:34
Hammer Kapi!^^
Das sieht Übelaus für die Rebellen.
Hoffe das es gut gehen wird.^^


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