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Vertrauen und Verrat

von

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Olivia

Als mich Kian am nächsten Morgen weckte, war es erst kurz nach neun Uhr. Verschlafen rieb ich mir die Augen und schaute ihn fragend an. „Was ist denn auf einmal mit die los?“

Mein bester Freund grinste mich an. „Livi ist hier. Ich will sie besuchen und du sollst mitkommen.“, forderte er von mir.

„Wer ist Livi?“, fragte ich ihn immer noch merklich verschlafen, da ich keine Lust hatte, jetzt schon aufzustehen. Die ganze Nacht über war ich wach gewesen, hatte nicht schlafen können.

Doch Kian gab einfach nicht locker. „Olivia ist meine Cousine, die Tochter von der Schwester meines Vaters.“, beantwortete er meine Frage.

Als ich danach immer noch nicht aufgestanden war, zog mir mein Mitbewohner kurzerhand die Decke weg und warf mich aus dem Bett. „Jetzt komm schon!“

Seufzend gab ich nach, ich hatte eh keine Chance, erhob ich mich träge aus dem Bett und zog mir die erstbesten Klamotten drüber. Nach dem Frühstück und alle anderen, was so morgens anfiel, verließen wir die Wohnung und wenig später das Haus, in dem diese lag.

Zu meinem Leidwesen bevorzugte es Kian, zu Fuß zu gehen, weshalb ich auf Transportmittel wie Bus oder Zug verzichten musste. Lange, etwa zwei Stunden, liefen wir durch die Stadt, bis wie endlich den Stadtrand erreichten. Vor und befand sich ein dichter Wald, in den man nicht besonders tief hineinsehen konnte. Wollte Kian hier seine Cousine treffen?

Nachdem wir so weit in den Wald hineingegangen waren, dass wir dessen Ende nicht mehr sahen, blieb Kian endlich stehen. Erschöpft lehnte ich mich gegen einen Baum, bevor ich mir meine Umgebung genauer ansah. Einige Blätter waren schon von den Bäumen gefallen und bedeckten fast den ganzen Boden, woraus ich schloss, dass man hier von Frühling bis Sommer fast gar nichts sehen konnte, außer den Bäumen natürlich.

„Alec.“, hörte ich wie Kian mich ansprach und somit aus den Gedanken riss, „Komm nie allein hier her. Am besten, du vergisst gleich wieder den Weg. Wir sind sehr nah am Rudel. Wenn sie dich irgendwo ungeschützt vorfinden, war es das für dich.“

Ich nickte. „Geht klar.“ So lebensmüde war ich nun auch wieder nicht. Da konnte ich mich genauso gut von einer Brücke oder vor ein Auto stürzen. Das würde mir den langen und mühsamen Weg ersparen und ging sicher um einiges schneller.

Ich schob diesen Gedanken beiseite und wandte mich an Kian. Doch gerade, als ich etwas sagen wollte, bemerkte ich plötzlich einen großen Wolf, der nur noch wenige Meter von uns entfernt war und bedrohlich schaute. Instinktiv wollte ich zurückweichen, doch der Baum, an dem ich lehnte, hinderte mich daran. Bevor ich überhaupt wusste, was geschah, stand der Wolf plötzlich direkt vor mir und Kian zwischen ihm und mir.

„Lass das, Livi.“, verlangte er streng. Seine Stimme duldete keinerlei Widerspruch.

Nur langsam entfernte sich der Wolf, der anscheinend Kians Cousine war, wieder von mir. Dann nahm sie die Gestalt eines Menschen an, einen jungen Mädchens mit kurzem, aschblondem, wild durcheinander geratenem Haar und tiefen braunen Augen. Sie trug zerrissene Jungenklamotten und war ein Stück kleiner als Kian.

„Kian.“, sagte sie, hörbar enttäuscht, „Ich bin zwar froh, dass du noch lebst, aber das geht zu weit. Selbst du wirst damit nicht davonkommen. Du kennst die Regeln!“

„Ich weiß.“, entgegnete ihr mein bester Freund ruhig, aber auch ernst, „Und ich werde sie nicht länger einhalten. Das macht keinen Sinn, nicht für mich. Warum sollte ich Regeln einhalten, die mir verbieten, zu leben?“

Eine Weile war es still. Olivia schaute Kian geschockt an. „Wie- Was meinst du damit?“

Mein bester Freund seufzte. „Du weißt es nicht, oder?“, fragte er.

Langsam schüttelte seine Cousine ihren Kopf. „Nein. Wovon sprichst du?“

„Wie viel weißt du über meine Mutter?“, stellte Kian die nächste Frage.

Olivia schaute ihn immer noch geschockt an. „Was willst du damit sagen?“

Kian wandte seinen Blick ab und entfernte sich einige Schritte von ihr. „Du weißt es also wirklich nicht.“, murmelte er kraftlos, „Sie war ein Mensch.“

Ich beobachtete, wie Olivias Augen sich weiteten und sie einige Schritte zurückwich. Fassungslos starrte sie meinen besten Freund an. „D- Das- Das darf nicht wahr sein!“

„Ist es aber.“, antwortete Kian kalt. Sein Gesicht hatte einen emotionslosen Ausdruck. „Und genau aus dem Grund kann ich nicht mehr zurück. Nicht bevor Großvater tot ist.“

Olivia schluckte. „Das war es also, was du uns die ganze Zeit verheimlicht hast. Dann ist es also wahr. Du hast früher unter Menschen gelebt, als wärst du einer von ihnen.“

Kian nickte. „Fast zehn Jahre lang…“

„Kein Wunder, dass du dich so gut beherrschen kannst…“, sagte seine Cousine. Dann schaute sie in meine Richtung und deutete auf mich. „Und was hat der hier zu suchen.“

„Alec ist mein bester Freund.“, antwortete Kian unnachgiebig, „Ich habe ihn mitgebracht.“

Olivia seufzte. „Wie lange weiß er schon von uns?“

„Seit etwa sechs Jahren.“, flüsterte Kian, „Aber er hat es nicht von mir erfahren.“

Das Mädchen nickte verstehend. „Und weil ihr Freunde wart, schützt du ihn seitdem.“ Olivia deutete auf meinen Oberkörper, auf die Stelle, an der der Anhänger der Kette hing, „Jetzt weiß ich endlich, wohin das Familienerbe verschwunden ist. Dein Vater hat sie dir gegeben, richtig? Und du hast sie ihm gegeben, damit er vor uns sicher ist.“

Wieder nickte Kian. „Aber viel hilft sie nicht. Alec steckt ziemlich in Schwierigkeiten.“

Ich verstand nicht ganz, worüber sich die beiden unterhielten, aber es ging um mich, das war sicher. Diese Olivia schien nicht sonderlich begeistert zu sein, dass Kian und ich Freunde waren und er versuchte, es ihr schonend beizubringen.

„Wie viel weiß er?“, fragte Olivia, „Wie viel hast du ihm verraten?“

Kian lächelte schwach, „Ziemlich viel.“

Das Mädchen ließ sich fallen und saß jetzt auf dem Waldboden. Sie fuhr sich mit den Händen mehrfach durch ihr kurzes, wildes Haar. „Und warum sagst du mir das jetzt alles? Willst du, dass ich dir helfe? Du weißt, was ich von Menschen halte.“

Auf dem Gesicht meines besten Freundes erschien ein schwaches Lächeln. „Nicht alle Menschen sind so. Es gibt auch welche, die uns akzeptieren und tolerieren.“ Er schaute in meine Richtung. „Zum Beispiel Alec. Er weiß es und akzeptiert mich trotzdem noch.“

Olivia schaute mich verwundert an. „Wie schaffst du das? Wieso hast du keine Angst?“

Überrascht sah ich sie an. Bis jetzt hatte sie mich noch nie direkt angesprochen. Ich lächelte schwach. „Früher hatte ich auch Angst. Jetzt ist sie zwar schwächer geworden, aber noch da. Vielleicht, weil ich mich daran gewöhnt habe. Immerhin hatte ich dazu sechs Jahre zeit.“

Das Mädchen stand auf und ging einige Schritte auf mich zu, musterte mich von oben bis unten, mehr als nur gründlich.

„Was soll das werden?“, fragte Kian sie nach einer Weile verwirrt.

Olivia schaute ihn entschuldigend an. „Ich habe noch nie einen Menschen aus der Nähe gesehen. Sie sind immer alle vor mir weggelaufen.“, sagte sie unschuldig, dann blickte sie kurz in seine Richtung. „Darf ich ihn anfassen.“

„Hä?“, gab ich ihr verdutzt zur Antwort. Was war denn jetzt kaputt? War sie noch ganz normal? So etwas fragte man doch nicht!

Kian lachte. „Das deute ich mal als ein nein.“, meinte er immer noch grinsend, „Oder Alec?“

„Natürlich!“, schnaubte ich beleidigt, „Ich bin doch kein Tier! Fehlt nur noch, dass sie fragt: ‚Beißt der?’!“ Obwohl ich mich äußerlich wütend gab, fand ich die Sache nicht so schlimm. Irgendwie fand ich dieses Mädchen sogar süß. Und außerdem hatte sie ihre Frage nicht so gemeint. Das konnte ich an ihren jetzt leicht erschrockenen braunen Augen ablesen.

Kians Lachen wurde noch lauter. „Da hast du es!“ Dann schaute er gespielt beleidigt in meine Richtung. „Und was sind wir dass für dich? Tiere?“

Ich schüttelte meinen Kopf. „Soweit ich weiß, können die nicht sprechen. Ihr fallt also in eine andere Kategorie. Auch wenn du dich manchmal aufführst wie ein Hund. Außerdem sind Haustiere in einer Mietwohnung verboten.“ Ich grinste meinen besten Freund frech an, weil ich genau wusste, dass er es nicht mochte, wenn ihn jemand, besonders ich, so nannte. Doch zu meiner Überraschung störte es ihn diesmal kein bisschen. Statt dessen lachte er sogar darüber und sein Lachen sah nicht aufgesetzt aus.

Olivia schaute uns beide eingeschnappt an. „Seid ihr endlich fertig, über mich abzulästern?“

Kian und ich sahen und kurz in die Augen, bevor wir synchron unsere Köpfe schüttelten.

„Uns fällt sicher noch etwas ein.“, versicherte ihr Kian.

Sichtlich genervt, ließ sie sich neben mich in das Gras fallen, lag auf dem Waldboden und starrte durch die Äste hindurch, zum Himmel. Einige Sonnenstraßen erreichten den Waldboden und schienen in ihr Gesicht. Irgendwie sah Olivia gerade ziemlich harmlos aus. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sie für ein normales Mädchen mit einem etwas seltsamen Modegeschmack halten.

Olivia lächelte und schaute verträumt in den Himmel. So sah sie richtig süß aus. Ich wandte meinen Blick ab, um zu verbergen, das mein Gesicht eine leicht rötliche Farbe abbekommen hatte. Mir war das peinlich und ich glaubte, es wäre besser, es vor Kian zu verheimlichen, dass ich seine Cousine süß fand. Ich wollte gar nicht erst wissen, wie er darauf reagierte, denn es würde keine freundliche Reaktion sein. Sicher wäre er wütend und ich wollte unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Dafür war sie mir zu wichtig.

Ich setzte mich auf den Waldboden und beobachtete, wie Kian vor mir auf und ab ging.

„Du bist seltsam, für einen Menschen, meine ich.“, flüsterte Olivia, woraufhin ich sie verwundert anschaute. Dann lächelte ich. „Das sagt mir Kian auch öfters.“

Mein bester Freund schaute in meine Richtung. „Was denn? Wenn es doch stimmt! In Fachkreisen nennt man das, was du gerade tust einen Selbstmordversuch.“, rief er, „Du weißt, in welcher Gefahr du gerade schwebst. Es ist gut möglich, dass du schon morgen nicht mehr lebst.“ Seine Stimme klang seltsam ernst, zu ernst für meinen Geschmack.

„Damit kann ich leben.“, sagte ich gelassen, „Außerdem weiß ich das. Du hast es mir erst gestern gesagt.“ Das hatte er, auch sehr direkt.

Olivia setzte sich auf und schaute mir direkt, mit einem mehr als nur ein wenig verwunderten Ausdruck, in das Gesicht. „Du kennst die Risiken und gibst dich trotzdem noch mit meinem Cousin ab?“, fragte sie ungläubig, „Bist du bescheuert?“

Diese Worte brachten mich zum Lachen. „Kann schon sein.“, antwortete ich ihr und zuckte mit den Schultern, „Aber sei mal ehrlich: Es gibt schlimmeres.“

Kians Cousine schaute mich finster an. „Und du kennst wirklich alle Risiken.“

Ich seufzte „Sogar noch ein paar mehr als du.“, sagte ich monoton, woraufhin sie zusammenzuckte und mich erschrocken anstarrte. „W- was meinst du damit?“

„Du weißt es also wirklich nicht…“, murmelte ich und wandte meinen Blick ab, starrte auf den Waldboden, „Wer mein Vater ist, meine ich.“

Olivia schüttelte langsam ihren Kopf. „Nein. Das weiß ich nicht…“

„Vielleicht ist es auch besser so.“, mischte sich Kian in unser Gespräch ein, „Es gibt Sachen, die sollten besser nicht bekannt sein und das gehört dazu.“

Ich wusste, dass das eine Mahnung war, an mich gerichtet, damit ich nicht noch mehr sagte. Doch anstatt auf meinen besten Freund zu hören, schüttelte ich einfach nur meinen Kopf. „Aber es ist auch falsch, diese Dinge zu verheimlichen. Irgendwann fliegt es eh auf und dieser Zeitpunkt ist gar nicht mehr so weit entfernt. Wenn wir Glück haben, dauert es noch etwa ein Jahr, bis sie die gewünschten Beweise gefunden haben. Von der Kette wissen sie schon.“

Zuerst zeigte sich auf Kians Gesicht keine Reaktion, dann kam er auf mich und seine Cousine zu und setzte sich zu uns. „Woher weißt du das?“

Anstatt zu antworten, zuckte ich nur erneut mit den Schultern. „Ist es meine Schuld, wenn sie ihre Forschungsergebnisse einfach in der Wohnung herumliegen lassen, dass jeder sie lesen kann?“, fragte ich und schaute meinen Gesprächspartner leicht gereizt an.

Kian lachte und schüttelte seinen Kopf. „Nein, ist es nicht, obwohl dich die Sachen anderer Leute eigentlich nichts angehen.“, dann stockte er kurz, „Ich dachte, du hast keinen Kontakt mehr zu deinem Vater.“, murmelte er und sah mich abwartend an.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Früher war ich nach der Schule öfters mit bei Ryan. Und da lagen die Dokumente im Flur auf einem Schrank. Ich hab sie kurz überflogen.“

Mein bester Freund nickte. „Das klingt einleuchtend. Und, was wissen sie alles darüber?“

„Etwa so viel, wie du mir gesagt hast, auch wenn sie nicht beweisen können, dass es wirklich existiert. Sie haben sogar eine Zeichnung von dem Anhänger.“

Kian seufzte, sagte aber nichts.

„Wir müssen und etwas einfallen lassen.“, murmelte ich, mehr zu mir selbst als zu meinem besten Freund, „Wenn sie Beweise gefunden haben, ist es zu spät. Jetzt ist es noch möglich, sie als nicht ganz dicht dastehen zu lassen, theoretisch jedenfalls.“

Mein bester Freund schaute mich leicht verwundert an, dann grinste er wissend. „Und du hast nicht zufälligerweise einige von ihren Beweisen heimlich verschwinden lassen?“, fragte er mit einem wissenden Unterton.

Zuerst starrte ich ihn verwirrt an, dann begriff ich, worauf er hinauswollte, „Wenn mich nicht alles täuscht, warst du derjenige, der sie um eine Zeugenaussage gebracht, nicht ich.“

„Hä?“, kam es verdattert von meinem besten Freund.

„Wer hat mich denn gezwungen, nicht auszusagen?“, grinste ich ihn an.

Erst jetzt schien Kian zu kapieren, wovon ich sprach. Er schaute mich entschuldigend an. „Hattest du viel Ärger deswegen?“

Ich schüttelte meinen Kopf. „Hat sich in Grenzen gehalten. Sie glauben immer noch, dass ich mich nicht daran erinnern kann.“

Plötzlich gab Olivia einen überraschten Lauf von sich und packte mich an den Schultern. „Das kann nicht sein! Sag, dass das nicht wahr ist. Das kann unmöglich wahr sein! Du bist sein Sohn? Du bist Jack Stones Sohn?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chrono87
2010-05-01T18:11:16+00:00 01.05.2010 20:11
oh je, das wird ja immer komplizierter.
erst verknallt sich kian in alice und jetzt alec in olivia. das gibt sicher nur noch mehr probleme. ich will gar nicht wissen, wie kian darauf reagiert.
nun ja, im moment haben sie ja ganz andere sorgen.
olivia scheint aber nicht wirklich gut auf alec zu sprechen zu sein, zumindest am anfang, dann kommt ja die neugierde.
ich finde sie süß, auch wenn ich am anfang nicht gerade von ihr begeistert war.
ich bin gespannt, wie es jetzt weiter geht, zumal sie nun weiß, wessen sohn er ist. wird sie ihn nun wieder hassen? wie empfindet sie für ihn?
ich bin gespannt, das herauszufinden.
lg chrono87


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