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Menschsein

Ulquiorra/Orihime
von

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Tanz

„Lass mich los, Frau.“

Anscheinend hatte die Frau wirklich zu viel von der Bowle getrunken, so fest, wie sie ihn umklammert hielt. Das war sonst nicht ihre Art. Aber er hatte ja schon festgestellt, dass Alkohol die Sinne vernebelte und schlechte Eigenschaften noch verstärkte. War sie sonst nur mit Worten aufdringlich, suchte sie jetzt den Körperkontakt. Auch wenn er sich fragte, warum sie zu ihm kam, wo sie doch sonst immer Kurosaki hinterherzurennen schien. Gleichzeitig mit diesem Gedanken kam wieder dieses unwohle Gefühl, das er nicht zuordnen konnte. Eine Art…Unmut. Und irgendwie stimmte es auch nicht ganz. Nicht mehr jedenfalls, denn seit sie hier waren, schien sich die Frau an ihn zu hängen. Nun...gerade hing sie ja auch an ihm. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Er konnte ihr süßes Parfüm vernehmen – was bedeutete, dass sie eindeutig zu nah war.

„Aber ich hab‘ dich vermisst!“, brabbelte sie ihm ins Ohr und ihr Griff wurde noch fester.

Zu allem Überfluss drückte sie nun auch noch ihr Gesicht gegen seines, sodass sich ihre Wangen berührten. Ihre langen, orangefarbenen Haare streiften dabei seine Haut. Es löste ein Gefühl in ihm aus, das er nicht wirklich zuordnen konnte. Eine Art Kribbeln in seiner Brust und seine Temperatur stieg an. Warum auch immer. Hoffentlich wurde der Gigai nicht krank. Unangenehm . Sollte er sie von sich stoßen? Nein. So tollpatschig, wie sie war, würde sie sich bestimmt verletzen.

„Du hast lediglich zu viel Alkohol konsumiert.“

„Das stimmt gar nicht! Ich hab nur gaaaaanz wenig getrunken – aber es war total lecker! Und ich hab‘ getanzt! Tanzen wir zusammen? Bitteeeee!“

Als ob er jetzt mit ihr getanzt hätte, wo er doch schon in ihrem nüchternen Zustand abgelehnt hatte. Überdies war es unangenehm, wie sie an ihm herumriss und sich ihr Vorbau an seinem Rücken rieb. Es war wohl sein Glück, dass der Rest der Truppe verschwunden war. Auf das Geschrei des Abschaums konnte er getrost verzichten.

„Orihime!“

Wenigstens war es nicht besagter Abschaum, der nun doch zu ihnen stieß, sondern nur die kurzhaarige Freundin der Frau.

„Oh! Hallo, Tatsuki-chan! Ulquiorra will mit uns tanzen!“

„Will ich nicht.“

„Das wird ein Spaß!!“, rief sie aus, ohne auf seinen Einwand einzugehen.

„Du lässt ihn jetzt los und setzt dich dahin!“, entschied ihre Freundin streng und löste ihren Griff von ihm.

Dann drückte sie sie auf die Bank und wandte sich ihm zu.

„Und du holst ihr einen Becher mit Wasser.“

Ulquiorra sah zwar nicht ein, warum er sich Befehle von einem Menschen geben lassen sollte, aber der Zustand der Frau war nichts, das er länger als nötig ertragen wollte. Auch wenn es ihn verstimmte, dass sie ihn offensichtlich nicht mit ihm alleine lassen wollte.
 

Daher erhob er sich kommentarlos und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, was ihm mehr als zuwider war. Scheinbar war diese Party überaus beliebt – was er nicht nachvollziehen konnte. Zu laute Musik, das Gerede der Menschen ließ den Geräuschpegel noch steigen und die Faszination für das Tanzen ging komplett an ihm vorbei. Zudem waren die Stände mittlerweile so voll, dass es nicht mehr so leicht war, an Getränke zu kommen. Er hasste das Gedrängel zwar, doch eine große Wahl hatte er ja nicht, schließlich hatte sich die Frau auch um ihn gekümmert, als es ihm schlecht gegangen war; auch wenn sie ihn überhaupt erst in jene Lage gebracht hatte. Sei es drum.

Da er sich nicht noch einmal durch die Menschenmenge quälen wollte, nahm er direkt zwei Flaschen Wasser mit. Soweit er wusste, sorgte Alkohol dafür, dass der Körper dehydrierte. Es würde der Frau daher guttun, wenn sie nicht nur einen Becher Wasser trank. Schließlich schien sich diese offensichtlich um alle anderen, ihn eingeschlossen, zu kümmern, aber bei sich selbst versagte sie oft. Vermutlich hatte auch das mit dem Herzen zu tun.

Ulquiorra blickte auf, als ihm bewusst wurde, dass er abgeschweift war – und sich infolgedessen von dem Pulk aus Menschen hatte wegtreiben lassen. Großartig. Er atmete aus, ehe er sich entschied, dass er den Weg außenherum nehmen würde. Ein paar Minuten länger würde die Frau sicher durchhalten und außerdem war sie ja nicht allein dort, sondern mit ihrer Freundin, die sich gern als ihre Beschützerin aufspielte. Sie in Sicherheit zu wissen, beruhigte ihn. Auch wenn es ihm egal sein sollte, konnte er dieses Gefühl nicht verhindern. Die Zeit unter Menschen hatte etwas in ihm verändert – nicht gerade zum Positiven, wie er fand. Er machte sich zu viele Gedanken um Nichtigkeiten.

Er schüttelte kurz den Kopf über sich selbst, ehe er weiterging, wobei er etwas abseits lief, damit er die lärmenden Leute umging. Näher am Waldrand würde ihm niemand versehentlich Bowle über das Hemd kippen, wie es dem Typen vor ihm passiert war. Widerlich, wie primitiv sie waren.
 

„Kurosaki…“

Ulquiorra hielt inne, als er den gemurmelten Namen des Aushilfsshinigamis vernahm. Noch dazu von einer Stimme, die ihm nur allzu bekannt war. Er blieb stehen und drehte den Kopf in Richtung der beiden Gestalten, die unter einem der Bäume standen. Eigentlich viel zu nah, wenn man bedachte, wie sehr sie sonst darauf bedacht waren, Abstand zu halten. Die weiße Kleidung des Quincys leuchtete sogar in der Dunkelheit recht hell, sodass sie vermutlich jeder hätte sehen können, der vorbeiging. Kurosaki stand mit dem Rücken zu ihm und hatte den anderen gegen den Baum gedrängt. Ein Streit? Dass zwischen den beiden irgendetwas im Argen lag, das erkannte sogar er, auch wenn er es nicht deuten konnte. Aber ihm war ja auch die Beziehung von Kurosaki und dem rothaarigen Shinigami suspekt. Schließlich prügelten diese sich nicht selten oder veranstalteten alberne Wetten. Vielleicht war auch das, was soeben passierte, natürlich für die Menschen.

„…du bist betrunken.“

„Lass die Ausreden, Ishida.“

Kurosakis Stimme war rau und schwankte etwas – was vermutlich wirklich vom Alkohol kam. Er wusste, warum er so etwas eigentlich nicht zu sich nahm. Dessen Verhalten war zwar noch nicht so peinlich wie das der Frau, aber er war gerade erst gekommen. Wahrscheinlich sollte er gar nicht hier stehen. Es ging ihn nichts an, was die beiden da taten.

„Außerdem hast du selbst was getrunken…“

„Das…das ist Asanos Schuld!!“

„Erwähn den jetzt nicht!“

„Ku-“

Was auch immer der Quincy hatte sagen wollen – er kam nicht mehr dazu. Kurosaki hatte sich vorgebeugt und presste seinen Körper an den des anderen. Die Finger des Quincys gruben sich in dessen rotes Hemd, doch er stieß ihn nicht von sich. Ulquiorra fragte sich, was das jetzt wieder zu bedeuten hatte. Soweit er wusste, taten Menschen so etwas aus Zuneigung. Kuss nannten sie es wohl – Nnoitra war nicht müde geworden, ihm irgendwelche vulgären Dinge an den Kopf zu werfen. Auch wenn es sich bei seinen Ausschweifungen um Frauen und Männer gehandelt hatte und zweifellos die Zustimmung des weiblichen Parts nicht nötig gewesen war. Aber gut. Nnoitra war ein Schwein gewesen und die Menschen waren unberechenbar. Vielleicht war so etwas auch unter Männern üblich – schließlich diente der restliche Vorgang ja auch nicht ausschließlich zur Fortpflanzung.

„Kurosaki…“

Die Stimme des Quincys war dünner geworden und als er zu Kurosaki aufsah, schimmerten seine Wangen rot, was bei der blassen Haut direkt auffiel. Dann jedoch wanderten die blauen Augen zu ihm und weiteten sich nahezu erschrocken.

„U-Ulquiorra…“

„Was fängst du jetzt mit dem an?!“

„Das…das meine ich doch gar nicht!“

„Ich will jetzt echt nicht reden, Ishida…“

Ulquiorra nahm das zum Anlass, weiterzugehen, da er nicht noch einmal mitansehen wollte, wie die beiden solche Dinge taten. Außerdem musste er zur Frau, um ihr Wasser zu bringen.
 

Als er zurückkam, war auch der Hüne wieder da und sah mit teils besorgtem, teils amüsiertem Blick zu der Frau, die ihn vollquasselte.

„…und das war so lustig, Sado-kun! Einfach alle hatten Spaß! Hattest du auch Spaß? Und die Jungs haben mir Getränke gebracht! Das war sooo nett! Und dann haben wieder alle getanzt! Das war so toll! Einige hatten sogar eine Choreogra…gra…phie! Beinahe so wie in meinem Traum, als die Pinguine einen Flashmob gemacht haben!“

Ihre Freundin hielt sich die Stirn und schüttelte nur den Kopf darüber.

„Ja…nett. Da lässt man dich zwei Sekunden aus den Augen und du nimmst was von Fremden an“, murrte sie, ehe sie ihn erblickte. „Da bist du ja endlich – gib ihr das Wasser.“

Der Befehlston gefiel ihm immer noch nicht, aber da es um die Frau – die eindeutig zu viel gehabt hatte – ging, ignorierte er es und gab ihr die geöffnete Flasche.

„Ulkorraaa!! Du bist wieder da! Wie schön! Ich hatte Angst, dass du dich verlaufen hast!“, rief die Frau und breitete die Arme aus.

Dabei fiel sie beinahe von der Bank, woraufhin der Hüne sie auffangen und wieder richtig hinsetzen musste.

„Uuuups! Danke, Sado-kun!“

„Keine Ursache.“

Der Mexikaner lächelte sanft, löste sich danach wieder von ihr. Da sie ihn schon wieder vergessen zu haben schien, hielt er ihr die Flasche diesmal direkt unter die Nase.

„…trink, Frau.“

„Aww!! Dankeschön! Du bist so lieb zu mir!!“, brabbelte sie wieder los, nahm dann aber die Flasche an sich.

So wie sie lallte und nicht mal mehr seinen Namen richtig aussprechen konnte, sollte sie wohl am besten austrinken. Er kommentierte ihre Worte nicht, sondern blickte sie monoton an, während sie mehrere Schlucke nahm.

Der Hüne sah zu der kurzhaarigen Frau.

„Vielleicht geht sie lieber zurück und schläft sich aus?“

„Sag ihr das mal…sie will Party machen“, erwiderte diese angefressen.

„Jaaah! Party!!“, krakeelte die Frau zustimmend los und verteilte das Wasser auf ihrem Kleid.

„Orihime!! Du sollst das Wasser trinken!!“

Der Hüne seufzte leise, ehe er innehielt. Seine Miene wurde plötzlich ernster und sowohl die Freundin der Frau als auch er selbst folgten seinem Blick.

„Das ist jetzt nicht wahr…“, murmelte sie.

Ulquiorra selbst fiel es schwer, die Situation zu beurteilen, aber es sah so aus, als hätten der Abschaum und sein kleiner Freund Ärger mit drei fremden Typen. Hinter diesen stand eine junge Frau und zeigte auf den Idioten, woraufhin der Kleinere zu schlichten versuchte.

„…worauf wetten wir, dass er die Freundin von einem von denen angemacht hat und jetzt aufs Maul kriegen wird?“

„Wir müssen ihnen helfen.“

„Weiß nicht, vielleicht tut ihm eine Abreibung gut.“

„Arisawa…“

„Jaja, schon gut. Mizuiro hat bestimmt nichts falschgemacht. Komm, wir-“

Scheinbar fiel ihr nun wieder ein, dass sie sich eigentlich um ihre Freundin kümmern wollte. Hin und her gerissen sah sie von der Frau, zu ihm, dann zum Abschaum und wieder zu ihm.

„Okay. Du passt auf sie auf, verstanden? Wenn ihr was passiert, dann kriegst du die Abreibung deines Lebens!“

„…ich lasse mich nicht bedrohen.“

„Du…“

„Mach dir keine Sorgen, Tatsuki-chan“, mischte sich die Frau strahlend ein. „Ulikora wird gut auf mich aufpassen! Er ist ein total korrekter Typ!“

Und dabei zwinkerte sie und streckte den Daumen hoch, was einfach nur lächerlich aussah. Zumal sie aufhören sollte, seinen Namen zu verunstalten. Den Namen ihrer Freundin und den des Hünen konnte sie schließlich auch einigermaßen normal aussprechen.

„Orihime…“

Ihre Freundin knirschte, sah dann zu dem Abschaum, wo der Kleinere am Kragen gepackt wurde.

„Verdammt! Pass auf sie auf! Komm, Sado! Wir boxen sie da raus!“

Sie schlug sich in die Handfläche, ehe sie voranstürmte, woraufhin der Hüne seufzte.

„Wir klären das. Bleibt einfach hier.“

Er lächelte ihnen sanft zu, folgte ihr dann aber…und er hatte nun die Verantwortung für die Frau, welche ihn mit leuchtenden Augen ansah.
 

„Geh’n wir tanzen?“

„Nein.“

„Och bitte!“

„Trink das Wasser.“

„Aber ich hätte lieber noch den leckeren Saft!“

„Nein.“

Wie ein bockiges Kind blies sie die Backen auf, verschüttete dabei wieder etwas von dem Wasser.

„Dann geh ich eben alleine tanzen!“

Und mit diesen Worten stellte sie die Flasche hin, schwang sich über die Bank und…lief weg. Ulquiorra sah ihr hinterher. Ganze drei Sekunden lang. Dann folgte er ihr. Die Frau hatte es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, ihn bis zum Äußersten zu reizen. Wenn sie schon etwas von Fremden annahm, wollte er nicht wissen, wie naiv sie noch sein konnte…nein. Er konnte sie nicht einfach sich selbst überlassen. Etwas in ihm sträubte sich vehement dagegen.

Also folgte er der Frau, die zum Glück nicht allzu schnell und zudem noch mit ihren leuchtenden Haaren gut sichtbar war.

Zu seinem Unmut hatte sie sich direkt in das Zentrum der tanzenden Menschen begeben und bewegte sich dort nun zu der lauten Musik mit lächerlichen Bewegungen. Großartig. Er kämpfte sich durch die Masse und wurde mehr als einmal angerempelt, was seine ohnehin schon schlechte Laune nicht sonderlich anhob. Zumal die Frau sich anscheinend großer Beliebtheit bei den Männern erfreute, so wie diese sie ansahen. Es rief wieder dieses glühende Gefühl hervor, das dem ähnlich war, wenn die Frau Kurosaki erwähnte oder diesen ansah. Es missfiel ihm…und er begriff, dass er Präsenz zeigen musste, damit die Männer Abstand von der Frau nahmen. Diese war in ihrem Zustand noch naiver als sonst, daher würde sie ein leichtes Ziel abgeben.

„Du bist ja doch gekommen!“, rief die Frau aus, kaum dass er sich vor sie gestellt hatte.

Aufgrund der lauten Musik verstand er sie kaum, nickte daher nur. Ihre großen Augen schienen noch etwas mehr zu glänzen, während sie diese albernen Bewegungen machte. Dann nahm sie einfach seine Hände in ihre, die warm und etwas schwitzig waren, und versuchte wohl, ihn dazu zu animieren, mitzumachen. Sie strapazierte wirklich seine Nerven.

Jedoch ließ er sie machen, bewegte sich aber selbst nicht. Immerhin schien sich ihr so niemand auf unangemessene Weise zu nähern. Der Rest der Gruppe war nicht in Sichtweite, wobei Ulquiorra darum wirklich nicht traurig war. Die Frau war die einzige Person, die er in seiner Nähe dulden konnte. Auch wenn sie manchmal anstrengend und viel zu enthusiastisch war, so war da etwas an ihr, das ihn nicht losließ. Es zog ihn an…und er konnte es nicht verhindern.

Plötzlich riss die Frau seine Hand hoch und vollführte eine seltsame Drehung, bei der sie ihr Gleichgewicht verlor und…fiel. Jedenfalls wäre sie sicherlich gefallen, wenn er sie nicht aufgefangen hätte, sodass sie nun in seinem Arm lag, die Finger in sein Hemd gekrallt. Um sie herum ging der Lärm weiter, doch Ulquiorra konnte ihn in diesem Moment ganz gut ausblenden. Vermutlich weil ihn die Frau auf eine Weise ansah, die wieder dieses wellenartige Gefühl auslöste. Er konnte es nicht benennen, aber bevor sie sich noch unwohl fühlte, stellte er sie auf ihre Füße, wobei er sie noch festhielt, bevor sie fiel. Ihre Wangen waren gerötet – wahrscheinlich aufgrund des Alkohols und der Hitze sowie der körperlichen Bewegung. Was ihm mehr Sorgen machte, war, dass sie keinen Ton hervorbrachte. Fieberte sie etwa? Kurzerhand legte er ihr die Hand an die Stirn, die wirklich sehr warm war.

„U-Ulquiorra…“, entwich es ihr zittrig.

Ja, es war wohl wirklich besser, wenn er sie zurück zum Zelt brachte, so wie sie sich benahm. Auch wenn sie seinen Namen zumindest wieder aussprechen konnte.

„Wir gehen zurück.“

Wasser und Ruhe würden das schon in Ordnung bringen. Also packte er fest ihre Hand und zog sie durch die Menschenmenge – so würde sie nicht wieder verloren gehen. Es irritierte ihn, als sich ihre Finger um die seinen schlossen und sie ihm widerstandslos folgte. Dabei hatte sie sich zuvor noch so dagegen gewehrt und war sogar weggelaufen. War sie also doch zur Vernunft gekommen.
 

Die Frau ließ seine Hand auch dann nicht los, als sie den Strand hinter sich gelassen hatten. Stattdessen blieb sie dicht an seiner Seite und sagte weiterhin kein Wort. Vielleicht war sie durch den Alkohol und das Tanzen auch einfach nur erschöpft und sie war gar nicht krank, immerhin konnte sie sich auf den Beinen halten, sodass er sie nicht tragen musste. Nicht, dass er es nicht gekonnt hätte.

Da sie kein Gespräch begann, blieb auch er still. Da sie seine Hand nicht losließ, tat auch er es nicht. Auch wenn er Berührungen eigentlich nicht mochte, hatte er sich vermutlich mittlerweile an die ihren gewöhnt. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass er es zuließ. Oder dass es sich irgendwie…gut anfühlte, ihre Hand zu halten. Sie wirkte so zierlich und schwach in der seinen und dennoch wusste er selbst, welche Kraft sie haben konnte. Auch wenn die eigentliche Kraft der Frau wohl die in ihrem Inneren war.

Ulquiorra sah sie vor sich. Wie sie nach ihm griff, während er sich auflöste. Während er eigentlich hätte verschwinden sollen, doch sie hatte es nicht zugelassen. Verhindert, dass er zu Asche zerfiel. Was wohl aus ihm geworden wäre, hätte sie es nicht getan? Vielleicht nichts. Seine Existenz wäre einfach verschwunden. Ohne all diese Emotionen und Eindrücke, von denen er nicht wusste, was er davon halten sollte. Es wäre einfacher gewesen, hätte sie es nicht getan. Wollte er…dass es einfach war? Er blinzelte einmal, als ihm bewusst wurde, dass sie fast da waren. Gleichzeitig fragte er sich, warum das jetzt passierte. Warum ihn die Erinnerungen daran gerade jetzt einholten.

So wie damals, als sie ihn geweckt hatte. Als ihn die Erinnerungen an sein zum Schweigen verurteiltes, vergangenes Ich eingeholt hatten. Aizen hatte ihm eine Stimme und einen Rang gegeben. Eine Aufgabe…doch was war nun? Was gab ihm dieses Leben? Was gab ihm die Frau?

Er hielt inne, als sie plötzlich gegen seine Seite sank, sodass er aus Reflex den Arm um sie legte, damit sie nicht doch noch fiel.

„Mir ist schlecht“, hörte er sie murmeln und seufzte innerlich.

Das war ja zu erwarten gewesen. Scheinbar war das das erste Mal gewesen, dass sie Alkohol konsumierte, und vertrug nun die Nachwirkungen der Menge nicht.

„Du solltest deine Grenzen kennen, Frau“, erwiderte er knapp, woraufhin sie leise stöhnte.

Er ließ es unkommentiert, stützte sie stattdessen die letzten Meter zu ihrem Zelt, das ihm mit der rosa Farbe und dem auffälligen Blumenmuster direkt ins Auge sprang. Besser, er brachte sie zu ihrem Schlafplatz, bevor sie sich in ihrem Zustand noch verlief oder andere Dummheiten machte. Darüber hinaus wusste er, dass zu viel Alkohol gefährlich werden konnte. Er würde sie lieber noch eine Weile im Auge behalten.
 

Als er sie wenig später auf ihrem Schlafsack ablud, fiel sie ohne jegliche Körperspannung direkt auf diesen und streckte die Arme von sich. Nur um einen davon über ihre Augen zu legen und erneut zu stöhnen.

„Mir dreht sich alles, Ulquiorra“, jammerte sie leise, was ihn schnauben ließ.

„Das hat Alkohol so an sich, Frau. Er vergiftet Körper und Seele.“

Er griff nach einer der Wasserflaschen, die im Zelt deponiert waren, und schraubte sie auf.

„Setz dich auf. Es wird besser, wenn man Wasser trinkt.“

Sie zog zwar eine Schnute, jedoch hörte sie auf ihn und setzte sich auf, um die Flasche an sich zu nehmen. Er beobachtete, wie sie mehrere Schlucke aus der Flasche nahm, ehe sie tief durchatmete. Immerhin war sie ansprechbar und schien sich nicht übergeben zu müssen – das fehlte ihm noch.

„Danke…“

Er hielt inne, als sie nach ein paar Sekunden zu ihm aufblickte und schief lächelte.

„…du bist so nett zu mir und das, obwohl ich dir bestimmt Schwierigkeiten gemacht habe. Aber…es war so schön. Das Tanzen, der Strand…ich wollte das genießen“, murmelte sie und schloss kurz die Augen.

Ulquiorra wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Ja, sie hatte ihm Umstände gemacht, aber es war bestimmt falsch, ihr das zu bestätigen. Sicher wäre sie dann wieder verletzt gewesen und das wollte er vermeiden. Stattdessen dachte er über eine Antwort nach, die keine Lüge, aber auch nicht zu hart war.

„Mir widerstrebte es. Von daher ist es deutlich angenehmer, hier zu sein.“

Die Frau blinzelte, starrte ihn ein paar Sekunden an, doch dann lächelte sie ihn an.

„Das passt zu dir, Ulquiorra.“

Er zog die Brauen etwas zusammen.

„Also, dass dir das zu viel ist…entschuldige, wenn es unangenehm für dich war.“

Das hätte sie sich eher überlegen sollen, schließlich hatte er nicht mitkommen wollen. Aber er sprach es nicht aus, immerhin schien sie es ja einzusehen. Außerdem…hätte er sonst nicht auf sie aufpassen können und irgendwie waren an diesem Abend alle ihre Freunde anderweitig beschäftigt gewesen. Oder ebenfalls betrunken. Er musste ungewollt an Kurosaki und den Quincy denken, verdrängte es aber sofort wieder und sah die Frau an. Ob es ihr etwas ausmachen würde? Nein. Er wollte nicht darüber nachdenken.

„Ich…nerve dich bestimmt oft. Manchmal bemühe ich mich vielleicht etwas zu sehr und…das ist bestimmt sehr anstrengend.“

Ihr Lächeln wurde eine Spur niedergeschlagener und sie blickte vor sich hin. Ulquiorra wusste nicht, was er sagen sollte. Genau so war es, doch er hatte mittlerweile verstanden, dass es nicht das war, was die Menschen unverblümt hören wollten. Zumal sie nicht nur anstrengend war. Er konnte es aber auch nicht ausdrücken.

„Aber ich möchte einfach nur, dass wir alle glücklich sind…jeder von uns. Es…das Leben kann manchmal so voller Kummer sein und du…hast immer sehr traurige Augen gehabt. Das…ist mir schon in Hueco Mundo aufgefallen.“

Ulquiorra erstarrte merklich, als sie das sagte; erinnerte sie sich daran? Als er jenen Traum gehabt und sie ihn geweckt hatte? Traurige Augen…

„So etwas wie Trauer…ist ein überflüssiges Gefühl, das Arrancar nicht fühlen sollten, Frau.“

Er spielte es wie mechanisch ab und dennoch wusste er…dass es nicht ganz die Wahrheit war. Er war anders gewesen. Ein Arrancar, der weißer als alle anderen war und keinen Mund zum Fressen besaß. Er war immer anders gewesen. Auch danach…war er anders gewesen. Und er war…

„Ich denke, dass du es trotzdem gefühlt hast…und ich denke, dass du dich manchmal einsam fühlst, obwohl es dir nicht bewusst ist. Obwohl immer Leute um dich herum sind, ist es da“, sprach sie leise weiter. „Ich kenne dieses Gefühl selbst, deshalb…also, früher war es so. Heute nicht mehr so oft, aber…ich verstehe es. Glaube ich.“

Sie lächelte ihn immer noch mit diesem seltsamen Ausdruck an. Er erinnerte ihn an die Person, die sie in Hueco Mundo gewesen war. Traurig und einsam. Das war sie wohl gewesen…und er ebenfalls? Es erschien ihm so lächerlich, sich mit ihr zu vergleichen…solche Emotionen zu empfinden…und trotzdem…

Nein. Es machte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er wollte dieses Gespräch nicht weiterführen und sicherlich war es nur ihrem Zustand zuzuschreiben, dass sie es überhaupt erwähnte. Er atmete tief durch, blickte sie dann ernst aus seinen grünen Augen an.
 

„Du solltest dich hinlegen und schlafen, Frau“, meinte er schließlich nur. „Es ist sinnlos, darüber zu reden.“

Immerhin schien sie einzusehen, dass er Recht hatte, denn sie nickte zaghaft. Vorsichtig ließ sie sich in ihr Kissen sinken, wenn ihr seltsamer Ausdruck auch blieb. Den Blick an die Zeltdecke gerichtet, blieb sie für einen Moment still

„…bleibst du noch hier?“, kam die Frage zögernd und er stockte.

Sie schaute ihn nicht an, aber ihre Wangen wurden wieder etwas dunkler – auch wenn man das im düsteren Zelt schwer erkennen konnte. Nun, er hatte ohnehin vorgehabt, zu bleiben, bis die anderen Frauen zurückkamen. Es war unverantwortlich, sie allein zu lassen, falls sie sich doch übergeben musste oder ähnliches.

„Ja.“

Er zögerte kurz, entschied schlussendlich aber, sich neben sie zu legen. So würde er ihre Atmung besser wahrnehmen können und wissen, wenn etwas nicht stimmte. Gleichzeitig fragte er sich, was los mit ihm war. Heute benahm sich sein Gigai noch seltsamer als sonst. Er wollte nicht glauben, dass das Gerede über Trauer und Einsamkeit etwas damit zu tun hatte, dass er sich so…aufgewühlt fühlte.

Eine Weile war es ganz still zwischen ihnen und noch als er sich fragte, ob die Frau keine Decke brauchte, drehte sich diese plötzlich zu ihm. Es kostete ihn Beherrschung, dass er bei der unerwarteten Berührung nicht zuckte, doch er ließ zu, dass sie sich an seine Seite schmiegte und den Kopf auf seiner Brust ablegte.

Wie schon vorhin spürte Ulquiorra wieder dieses irritierende Gefühl…und hätte er ein Herz besessen, er war sicher, es hätte sehr viel schneller als sonst geschlagen. Ihr Körper auf seinem fühlte sich schwer und warm an. Er vernahm ihren Duft, spürte, wie ihn die weichen Haare kitzelten.

Zuerst lag er nur stocksteif da, nicht wissend, wie er sich verhalten sollte. Komischerweise dachte er nicht darüber nach, sie wegzuschieben. Im Gegenteil…es war…beinahe so, dass er nicht wollte, dass sie sich wieder zurückzog. Bevor er wusste, was er tat, hatte er den Arm um die Frau gelegt. Warum? Weil es sich richtig anfühlte. Ebenso wie den Kopf leicht zur Seite zu neigen, sodass sein Kinn auf ihrem Schopf ruhen konnte. Es war bequem. Angenehm…und er wollte nicht, dass es aufhörte.

Die Hand der Frau lag auf seiner Brust und er vernahm schon bald ihren gleichmäßigen Atem. War sie eingeschlafen? Setzte sie solch ein Vertrauen in ihn, dass sie in seiner Gegenwart wehrlos schlief? Ja. Sie war so ein Mensch. Von Anfang an hatte sie ihn auf dieser Reise wie einen ihrer Freunde behandelt und nicht an ihm gezweifelt. Darauf beharrt, dass das alles hier gut für ihn sein würde.

Und Ulquiorra lag da. In diesem schrecklichen, geblümten Zelt. Die Nähe und Wärme der Frau spürend…und er wusste, das sich etwas verändert hatte. In ihm. In der Frau. Zwischen ihnen. Was er nicht wusste, war, was daraus werden sollte…und ob es ein hässliches Ende nehmen würde. Weil er ein Arrancar war. Weil er die ehemalige Vier der Espada war. Weil seine Existenz nicht darauf ausgelegt war, so etwas zu empfinden, wie er es gerade tat.

Weil es seinem ganzen Sein widersprach…und er wusste, dass das Folgen haben würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Raven-L-Alissa
2023-12-24T09:36:55+00:00 24.12.2023 10:36
Frohe Weihnachten. Endlich bin ich zum lesen gekommen :D

Es war wieder so toll!
Lustig wie Orihime sich verhält wenn sie betrunken ist, aber passt so gut zu ihr.
So süß wie sich das zwischen den beiden entwickelt, Ulquiorro so Fortschritte macht in Sachen Gefühle.
Die Szene im Wald mit Ichigo und Ishida so fast heimlich im Wald war super. Bin ja gespannt wies ie auf Ulquiorra später reagieren da er ja alles gesehen hat.
Alles in allem wieder ein super Tolles Kapitel :)


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