Zum Inhalt der Seite

Der Weg in den Westen

Auf dem Oregon Trail
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

12. April - 16. April 1866

12. April 1866, irgendwo in der Nähe des Missouri Rivers
 

Mit der ganzen Geschichte kann ich nicht beginnen, aber ich muss ein Stück davon aufschreiben, sonst werden mich die Bilder weiter wie wilde Bestien auf der Suche nach meiner Seele, durch meine Träume verfolgen. Aber was rede ich, das werden sie so oder so, ob ich sie aufschreibe oder nicht.

Hierher gekommen, in dieses kleine heruntergekommene Lager nördlich des Missouri River bin ich erst vor vier Tagen. Seitdem sitze ich beinah tagaus, tagein am Lagerfeuer eines älteren Mannes, der hier in seinem Planwagen wohnt, seit ihm die Radachse gebrochen ist und er sie nicht reparieren kann. Seine beiden Ochsen hat er an weiterfahrende Leute verkauft. Nun sitzt er hier, hat Geld für zwei Ochsen, einen kaputten Planwagen, und keine Möglichkeit zur Weiterfahrt.

Ich frage mich, ob er überhaupt weiter möchte, oder ob er hier einfach wartet. Auf den Tod, auf jemanden, der ihn mitnimmt, oder jemanden, der ihm hilft den Wagen wieder zu richten und ihm dann zwei Ochsen verkauft. Ich lächle, angesichts dieser letzten absurden Möglichkeit. Hier in diesem harten Land schaut jeder nur auf sich selbst, jeder muss selbst schauen dass er überlebt.

Jeder möchte irgendwann dort ankommen, wohin er den Weg eingeschlagen hat. Die meisten wollen in den Westen, weg vom Elend ihres alten Daseins, weil sie sich dort eine bessere Zukunft erhoffen.

Doch ich muss meine Meinung berichtigen, nicht jeder schaut nur auf sich selbst, dieser Mann nicht, denn er hat mir angeboten so lange hierzubleiben wie ich möchte. Er weiß nur bruchstückhaft was geschehen ist. Er weiß, dass die Ernte letztes Jahr schlecht gewesen ist und mein Vater daraufhin Arbeit auf einer Baustelle im benachbarten Städtchen angenommen hat, um unsere Familie zu versorgen. Ihn, meine Mutter, mich und meine kleine Schwester, die jetzt ruhig an mich gekuschelt liegt und beinah die meiste Zeit schlafend zubringt. Gesegnet sei die Kleine für solch einen Schlaf. Mich dagegen plagen die Träume, sodass ich bisweilen abends gar nicht einschlafen möchte. Doch dann übermannt mich der Schlaf doch und die Träume beherrschen ihn die meiste Zeit und halten mich fest im Klammergriff ihrer Klauen.
 

Es war ein schöner Tag, als Vater vor drei Wochen in der früh zur Arbeit ging, aber abends nicht heimkam. Dann stand zu später Stunde ein Bote vor der Tür, ein junger Mann, er war vielleicht so alt wie ich, und brachte die Nachricht, dass Vater von einem Balken erschlagen worden war, der vom Dach des Hauses, das sie bauen wollten herabgestürzt ist.

Ich saß gerade über einem Buch, die Augen brannten mir schon vom schlechten Licht der Kerze. Da stand ich auf und trat neben meine Mutter. Ob wir ihn nochmals sehen wollten, fragte der junge Bursche. Ich warf einen Blick auf Mutter und erschrak, obgleich ihres Gesichtsausdruckes und dem leeren Ausdruck in ihren Augen. Sie schüttelte den Kopf, strich mir kurz über die Haare, obwohl ich nun schon bestimmt so groß wie sie war, bedankte sich bei dem jungen Mann und ging hinüber in den Stall. Ob ich es hätte verhindern können, kann ich jetzt nicht sagen, doch ich hätte es zumindest ahnen müssen. Doch ich dachte, naiv wie ich war, sie würde einen Blick auf die Tiere werfen, oder vielleicht doch noch ein Pferd satteln und in die Stadt reiten. Doch ich saß nur am Tisch, schaute zu wie die Kerze hinab brannte und als sie schließlich ausging und mir der Rauch des erloschenen Dochts in die Nase stieg, trat ich aus dem Haus und ging hinüber in den Stall.

Ihre Füße baumelten zwei Fuß hoch über dem Boden, das dicke Holzscheit war umgestürzt.

In dem Moment zerbrach etwas in mir. Schwärze verschluckte mich, doch ich muss bald wieder zu mir gekommen sein, denn es war noch dunkel draußen. Ich war ganz allein, ich wusste, dass ich zu niemandem gehen konnte. Den Nachbarn wollte ich nicht zur Last fallen, Verwandte gab es keine. Nur in Irland, wo mein Vater immer in Gedanken über die grünen Felder wandelte, wenn er mir und meiner Schwester abends am Kaminfeuer Geschichten erzählte.

Wie er mit siebzehn von zuhause wegging, zusammen mit einem Cousin, auf ein Schiff in Dublin und ankam in einer neuen Welt, wo sie sich soviel besseres erhofften, als die elende Armut in einem kleinen Dorf in Irland. Doch der Cousin meines Vaters, Sean war sein Name, hatte nicht viel Zeit in der neuen Welt, er geriet in einen Streit in einem Gasthaus und wurde hinterrücks erstochen. Mein Vater schlug sich allein durch, und lernte er meine Mutter kennen, Rose Helen Murphy, die abenteuerlustig war wie er und die ihm in so vielen Bereichen eine Gefährtin war, so sehr, dass sie allein ohne ihn nicht mehr sein wollte. Doch mir fiel ein, dass wenigstens ich nicht ganz allein war. Ich hatte noch meine Schwester.
 

Ich sitze nun hier, am Lagerfeuer eines Fremden, halte meine Schwester im Arm und ich habe beschlossen, dass es irgendwie weitergehen muss.

Ich bin davongelaufen, nachdem sie meine Eltern zu Grabe getragen haben, an die Beerdigung kann ich mich kaum erinnern, doch ich weiß dass der Himmel mich zu verhöhnen schien, denn es war ein wunderschöner Frühlingstag. Meine Wut kannte kaum Grenzen. Jemand sagte, er würde sich darum kümmern die armen Waisen irgendwo unterzubringen, auf ihn war ich ebenfalls wütend, er redete von uns, als stünden wir nicht neben ihm.

Aber meine Schwester kann nichts für das alles, und ich bin nun verantwortlich für sie. Sie heißt Rosie, nach meiner Mutter. Der alte fremde Mann beschloss, dass er mich Nora nennen würde, dabei hat er gelächelt und die kleinen Fältchen rund um seine Augen sind noch tiefer geworden. Mir gefällt es, denn so hat mich zuhause keiner genannt. Aber zuhause gibt es nicht mehr. Es würde etwas anderes geben, nur weiß ich noch nicht, was es ist.

Der Mann heißt Bill. Er trägt einen lehmfarbenen Hut, den er tief über die Augen gezogen hat und er hat dichte graue Haare, die ihm bis knapp über den Kragen seiner Jacke reichen. Und er hat eine Vorliebe für Tabak und schon ganz braune Zähne davon. Gerade eben speit er wieder eine Ladung davon aus und der braune Saft klatscht ins Gras. Er sieht zu mir hinüber und fragt, ob er Rosie halten soll. Das ist seine andere Schwäche, die kleine Rosie zu halten. Dabei kann er ihr stundenlang ins Gesichtchen schauen und er kann auch stundenlang einfach so ohne etwas zu tun mit ihr verbringen, und er freut sich, wenn sie ihn anlächelte. Rosie ist knapp zwei Jahre alt. Ich habe Bill noch nicht gefragt, ob er selbst Kinder hat oder gehabt hat. Oder ob er eine Frau hatte. Oder was ihn überhaupt hierher geführt hat. Aber so wie er mit Rosie umgeht, gibt mir den Verdacht, dass er schon Kinder um sich hatte, ob es seine eigenen waren oder nicht.

Bill besitzt auch zwei Pistolen und eine Flinte, die so dick ist wie mein Arm und er sagt immer, damit könne man einen Büffel erschießen. Ich habe noch nie einen Büffel gesehen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie groß diese Tiere sind. Wir hatten daheim nur einen Ochsen, um unseren klapprigen Wagen zu ziehen.

Ich bringe Rosie hinüber zu Bill, die alles mit sich geschehen lässt und weiterschläft. Er fragt, ob ich mich zum schlafen in den Planwagen legen will. Zuerst schüttle ich den Kopf, aber meine Lider beginnen schon schwer zu werden und so beschließe ich mich doch hinzulegen. Er passe schon auf die kleine Rosie auf, sagt Bill zu mir, bevor ich im Wagen verschwinde.
 

13. April
 

Langsam schäle ich mich aus der Decke und mir steigt der Geruch von gebratenem Fleisch in die Nase. Abrupt setze ich mich auf und spähe aus der im Wind flatternden Plane heraus.

Bill sitzt vor dem Feuer, brät Stücke Fleisch, und neben ihm sitzt Rosie auf einer Decke und schaut ihm fasziniert dabei zu. Er bemerkt, dass ich wach bin und fragt, ob ich Hunger habe. Ich habe fast immer Hunger und nehme den Fleischbrocken mit einem Stück Brot dankbar an. Während ich esse, frage ich mich wie lange wohl Bills Vorräte noch reichen würden und warum er sich erlauben kann mich und Rosie auch noch durchzufüttern.

Später frage ich ihn danach. Er lacht und sagt, er wisse es selbst nicht, er sei nur froh, dass er hier nicht allein sei. Und dann erzählt er mir von der Stadt Independence, die nicht weit von hier liegen soll und von der aus die großen Wagenzüge nach Westen starten. Er war auf dem Weg dorthin, als die Radachse brach und er die Ochsen verkaufen musste. Ich frage ihn, warum er nun hier herumsitze und nicht stattdessen weiter in Richtung Independence zieht. Er schiebt mit der rechten Hand den Hut ein Stück in den Nacken und blinzelt in die grelle Morgensonne. Ja, das sollte er wohl, aber er hat sich noch nicht dazu aufraffen können. Dann schaut er auf Rosie und mich und sagt, nun könne er sich doch vorstellen weiterzugehen. Wenn wir mit ihm kommen würden, dann hätte er ein Ziel. Und ich habe im Moment so gar kein Ziel, nur die wage Vorstellung was es bedeuten mochte in den Westen zu gehen. Eine ganz neue Zukunft wäre es. Eine bessere Zukunft. Denn ich habe mir noch keinen Gedanken darum gemacht, wie es weitergehen soll. Was nach Bill und dem kaputten Planwagen kommt. Und was blieb mir hier denn noch? Was sollte ein fast neunzehnjähriges Mädchen und ein kleines Kind allein in einem Haus in einem kleinen Dorf in Missouri? Das Mädchen könnte nicht mal arbeiten gehen, weil es das Kind versorgen musste.

Ich blinzle ebenfalls in die Sonne und beschließe dem Schicksal, das mich anscheinend hierher gebracht hat, nicht zu trotzen. Denn das Schicksal scheint es gut mit mir zu meinen, denn es hat mir den alten Bill geschickt. Dass das Schicksal in der Vergangenheit geradezu grausam zugeschlagen hat mag sein, aber deshalb kann ich mein junges Leben nicht damit verschwenden herumzugrübeln. Nie bin ich ein mürrischer oder trauriger Mensch gewesen. Und Mutter und Vater hätten nicht gewollt, dass ihre Tochter zu einem Trauerkloß wurde. Oder dass sie gar aufgeben würde.

Irgendwer hat einmal gesagt, vielleicht war der Pfarrer, dass es an jedem Ende auch einen neuen Anfang gebe. Lächelnd drehe ich mich zu Bill um und sage ihm, dass es mir eine Freude sei mit ihm zu gehen. Er zieht zuerst die Augenbrauen hoch, dann lächelt er ebenfalls. Und er reicht mir die Hand und sagt, dass er auch nicht geglaubt habe, dass ich weiter hier herumsitzen würde und mich meinen Selbstzweifeln hingeben würde.

Wie er sich das alles vorstelle?, frage ich ihn.

Er meint, wir sollen zuerst einmal versuchen den Wagen zu reparieren. Mir scheint, das Unternehmen wolle gleich zu Beginn scheitern, denn Wagenachsen zu reparieren davon weiß ich nichts. Bill weiß, dass ein Stück im Süden eine kleine Stadt am Missouri liegt und er will versuchen, dort jemanden zu finden, der ihm zwei Ochsen verkaufen würde, und noch jemanden der etwas von Wagen verstand. Er sagt, er wäre bis heute Abend wieder zurück, dann nimmt er ein Stück Decke, schlingt es um seine Schultern, verstaut das Geld seiner ehemaligen Ochsen in seiner Hemdtasche, nimmt ein Stück Brot mit und geht los.

Ich bleibe zurück, setze mich zu Rosie auf die Decke und beschäftige sie mit einem Stück Holz, das ich von der gesplitterten Achse abgerissen habe und das nicht scharfkantig ist. Etwas schäme ich mich, dass ich zuerst gedacht habe, Bill würde hier auf den Tod oder die Erlösung warten. Irgendwann beginne ich im Wagen nach etwas zu suchen, mit dem ich mich beschäftigen kann. Ich finde ein zerfleddertes Buch, gespannt schlage ich es auf und schon nach kurzer Zeit hält mich die Geschichte in Atem.
 

14. April
 

Bill ist gestern erst spät zurückgekommen, weit nach Einbruch der Dunkelheit. Er hatte niemanden dabei, aber das Versprechen irgendeiner guten Seele morgen zu uns zu kommen und dabei zu helfen den Wagen zu richten. Nachdem die Sonne untergegangen war, habe ich das Feuer wieder in Gang gebracht und das restliche Fleisch gebraten. Für Rosie habe ich es sehr klein geschnitten, aber ich bin mir nicht sicher ob ich es vielleicht hätte noch feiner zerdrücken hätte sollen.

Jetzt ist es früher morgen und Bill liegt eingerollt in seine Decke vor dem Planwagen und schnarcht. Ich stehe vor dem Feuer und werfe Äste darauf, die ich in der Umgebung gesammelt habe, ein scharfer Wind pfeift mir um die Ohren und peitscht mir den Rock um die Beine. Bill bekommt eine Ladung Asche ab, als ich im Feuer herumstochere, aber er wacht davon nicht auf.

Rosie ist im Inneren des Wagens und kaut auf einer Holzfigur herum, die Vater ihr geschnitzt hat. Die Sachen, die ich mitgenommen habe, liegen im Wagen in einem großen Bündel. Mehr konnte ich nicht tragen, denn Rosie musste ich ja auch noch tragen. Und eine knapp Zweijährige ist auch nicht gerade leicht herumzutragen.

Gegen Mittag taucht jemand in der Ferne zu Pferd auf und hält direkt auf uns zu. Derjenige scheint auch ein Maultier mit einem Wagen neben sich herzuführen. Ich stehe neben dem Wagenrad, hinter dem Bill die Flinte versteckt hat und warte wachsam. In der Not frisst der Teufel fliegen, und in der Not könnte ich wohl auch auf jemanden schießen. Doch derjenige, der an uns heranreitet scheint keine bösen Absichten zu hegen. Es ist ein junger Mann, und er trägt einen breitkrempigen Hut unter dem blondes Haar hervorlugt. Das Pferd hält er knapp vor dem Wagen an und steigt ab. Er schaut sich kurz um, wirft mir einen Blick zu, dann sieht er Bill schlafend vor dem Wagen liegen. Ich bemerke eine große Narbe auf seiner rechten Wange und am Kinn und ich frage mich, woher er sie hat, denn es sieht aus, als sei es eine böse Wunde gewesen.

Ob das der Herr sei, der gestern wegen dem kaputten Wagen in die Stadt gekommen ist, will er wissen und ich zucke zusammen, weil meine Gedanken soweit abgeschweift sind. Ich nicke schnell und deute auf den Wagen, der ja trotz des Achsenbruchs noch steht, nur nicht mehr weiterfahren kann.

Der junge Mann weckt Bill und macht sich mit ihm ans Werk. Ich stehe neben dem Maultier, streiche ihm gedankenverloren über das bräunliche Fell und sehe zu, wie sie erst den kleinen Wagen abladen und dann mit dem Holz und dem Werkzeug die Achse reparieren. Wie das genau vonstatten geht bekomme ich dann aber nicht mit, denn Rosie will beschäftigt werden und hat Hunger, und wickeln muss ich sie auch.

Am späten Nachmittag sind die beiden fertig. Nun stellt sich das Problem mit den Ochsen. Da Bill nur wenig Proviant auf dem Wagen hat ist der Wagen ziemlich leicht, meint der junge Mann. Man könnte sein Pferd und das Maultier anspannen und es so vielleicht bis in die Stadt schaffen. Wir versuchen es und es scheint zu klappen, zwar kommen wir nur sehr, sehr langsam voran, aber die Stadt ist auch nicht mehr als zwei Meilen entfernt. Der junge Mann hilft uns den Wagen am Stadtrand abzustellen, schirrt das Pferd und das Maultier aus und zieht von dannen.

So, meint Bill, nun müssten wir nur noch ein paar Ochsen auftreiben und wir könnten in Richtung Independence ziehen. Und Vorräte kaufen, meine ich, denn die wenigen, die wir noch haben, würden nicht mehr lange reichen. Ich biete ihm an, die Vorräte von meinem Geld zu kaufen. Denn ihr erspartes Geld haben meine Eltern damals immer unter dem Herd vergraben, und ich habe es ausgegraben und es waren fast neunzig Dollar. Bill schüttelt den Kopf und sagt, mein Geld würden wir später brauchen. Ich bin einverstanden, irgendwann würde ich schon eine Gelegenheit finden mich ihm erkenntlich zu zeigen.
 

16. April
 

Gestern ist nicht viel passiert, das sich lohnte aufzuschreiben.

Heute sieht alles schon wieder ganz anders aus. Auch das Wetter ist wieder besser, nachdem gestern Abend ein Unwetter mit Hagel über uns hinweggefegt ist und die Plane sich im Wind gelöst hat, sodass wir die dicken Hagelkörner auf den Kopf bekamen, als wir versuchten sie wieder festzuzurren. Der junge Mann, der uns vorgestern mit dem Wagen und in die Stadt geholfen hat, hat beschlossen sich uns anzuschließen. Sein Name ist James Henderson und er ist dreiundzwanzig Jahre alt. Er war im Bürgerkrieg, auf der Seite der Union.

Ich frage ihn nach der Narbe, als er erzählt und er sagt es passierte in der Schlacht an einem Flüsschen namens Antietam, einem Nebenfluss des Potomac River. Im Jahre 1862. Ich rechne unwillkürlich nach, demnach muss er damals erst neunzehn gewesen sein. So alt wie ich heute. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es im Krieg ist, und wie es sein muss mit einer Waffe gegen andere Männer zu kämpfen. Ich sage es so und er lächelt mich leicht an und sagt, es sei unvorstellbar grausam und ich solle mir meinen hübschen Kopf darüber nicht zerbrechen. Meine Wangen färben sich rot und ich wende mich ab, um in der dicken Bohnensuppe zu rühren. Ich probiere kurz und befinde sie als gut, dann fülle ich die Blechteller und gebe James und Bill je einen. Bill hat Rosie auf dem Schoß und füttert sie nur mit der Brühe, die Bohnen und Speckstücke isst er selbst. James löffelt die Suppe ohne auch nur aufzusehen. Ich setze mich neben Bill und beginne ebenfalls zu essen.

Später, als ich den Abwasch mache, frage ich James was er vor dem Krieg gemacht hat. Er sieht mich nicht an, als er von einer kleinen Farm in Tennessee erzählt. Ich unterbreche ihn kurz, denn Tennessee liegt im Süden, wieso er dann bei der Unionsarmee gewesen ist? Er lacht wieder kurz und meint ich sei ein helles Köpfchen, ich werde wieder rot. Er meint, deshalb sei er hier. Sein Vater hatte ihn nicht mehr sehen wollen, nachdem er sich auf die Seite der Union geschlagen hat und hat ihn enterbt. Er weiß nicht, was aus seiner Familie nach dem Krieg geworden sei. Dann bricht er ab und ist still. Ich mache stumm die restlichen Teller sauber und stelle sie in den Wagen. Rosie liegt darin und schläft auf meinem Quilt. Ich blinzle in die grelle Sonne und schiebe meinen Strohhut ein Stück zurück. Ich frage mich, was James Henderson so plötzlich dazu bewogen hat sich uns anzuschließen. Er hat in der Stadt in einem Mietstall gearbeitet, seitdem er aus Tennessee weggegangen ist, und gewohnt hat er in einem kleinen Zimmer im Haus einer älteren Witwe. Doch, ich kann ihn verstehen, dass er von hier weg will. Ewig hier an diesem Ort zu bleiben, darüber nachzutrauern, dass er von seinem Vater verstoßen würde und immer als Knecht in einem Mietstall zu arbeiten, das ist wirklich nicht das, was man sich von Leben erhofft. Doch was erhoffe ich mir denn vom Leben? Glücklich sein möchte ich, und ich möchte wieder ein Zuhause haben. Aber wo und wann das sein wird? Hoffentlich geht nur die Reise in den Westen gut, das ist zuallererst mein größter Wunsch.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mismar
2010-11-29T15:54:18+00:00 29.11.2010 16:54
Irgendwie ist die Geschichte sehr traurig :( es regt eher meine Emotionen an, obwohl ich mich frage, ob sie von der Handlung her noch interessanter wird.

Ich finde das in Form eines Tagebuchs sehr gut, nur manchmal verwirren mich die Zeiten hier.

Ansonsten war es ein schönes Kapitel


Zurück