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Der Weg in den Westen

Auf dem Oregon Trail
von

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20. April - 25. April 1866

20. April 1866, einige Meilen hinter Independence
 

Es ist bereits früher Nachmittag. Gestartet sind wir heute ziemlich früh. Der Treckführer ist ein vielleicht fünfzigjähriger Mann, der laut meiner neuen Freundin Frances, die im Wagen hinter uns fährt, den Weg schon das zweite oder dritte Mal geht und sehr erfahren ist. Sein Name ist Zachariah Smith und er kommt aus Kansas. Smith trägt ein großes Gewehr auf den Rücken geschnallt, und ich frage mich, was er unterwegs mit dieser großen Flinte erschießen will. Frances redet unaufhörlich von Indianern und obwohl ich sie erst heute Morgen kennen gelernt habe und sehr nett finde, geht sie mir mit ihrem Geplapper gehörig auf die Nerven. Ansonsten hat sie mit ihren beiden Kindern zu tun und mit ihrem Mann Ben, der das Ochsengespann fährt. Frances kann höchstens zwei Jahre älter sein als ich, aber ich traue mich nicht recht sie zu fragen, weil sie mich für unhöflich halten könnte. Ihr kleiner Sohn Clarence ist gerade einmal ein halbes Jahr alt, im Moment liegt er in seiner Wiege hinter dem Kutschbock, auf dem Ben sitzt und schläft. Wenn er gerade nicht schläft stimmt er in aller Regelmäßigkeit ein großes Geschrei an. Und ihr zweites Kind Elizabeth ist drei Jahre alt und sie sitzt neben ihrem Vater. Bill hat Frances am Morgen eingeladen zu uns auf den Wagen zu sitzen, aber nun bereut er es bereits. Ich ebenso. Schließlich ruft Frances’ Mann nach ihr, da Clarence wieder zu schreien begonnen hat und sie springt vom langsam dahinzuckelnden Wagen und geht hinüber zu ihrem eigenen.

Bill hat auch beschlossen, dass er sich als mein Großvater ausgeben würde, da Frauen, die allein reisen immer etwas gefährdet seien. Mir ist das recht. James zuliebe habe ich heute das blaue Band in meine dunklen Haare gebunden und als er mich heute früh so gesehen hat, hat er gelächelt.

Frances hat mir heute Morgen angeboten, dass sie sich um Rosie kümmern würde, wenn es mir recht ist. Natürlich ist mir das recht, aber ich sage zu Frances, dass ich das Angebot wirklich nur annehmen würde, wenn es ihr keine Umstände macht. Sie schüttelt daraufhin lachend den Kopf und sagt, mit ihren beiden Kleinen würde auch ein Drittes kaum mehr Arbeit machen. Ich bin ihr sehr dankbar.

Abends halten wir und die Wagen werden in einem großen Kreis aufgestellt. James hilft mir beim Zubereiten des Essens, Bohneneintopf mit ein großen Stücken Fleisch darin, den ich in einem großen Kessel über dem Feuer koche. James hat heute einen Hirsch geschossen und wir haben das Fleisch mit Ben und Frances und noch einem Ehepaar geteilt, da es sonst bei der Wärme schlecht wird. James sagt, wir haben heute siebzehn Meilen geschafft, das sei viel für den ersten Tag eines Trecks, da sich ja alle erst einmal zusammenfinden müssen.

Nach dem Essen sitzen wir um das Feuer herum und James fragt, ob ich singen kann. Ich verneine nicht, aber ich sage auch, dass ich nicht besonders gut bin. James lacht und holt seine Mundharmonika heraus. Er fragt, ob ich „Across The Wide Missouri“ kenne. Natürlich kenne ich das. Er spielt die ersten Töne und ich singe. Schon bald stimmen ein paar andere Leute mit ein und nicht wenige wischen sich über die Augen. James schaut mich unverwandt an, während er spielt und ich singe. Dann stimmt er „Lorena“ an, eins meiner liebsten Lieder.

Schließlich lässt James die letzten Töne verklingen und ich verstumme.

Als ich später neben dem Wagen liege, eingehüllt in meine Decke, und zu den tausenden Sternen am Himmel aufblicke, taucht James aus dem Dunkel neben mir auf. Er sagt, ich würde sehr schön singen. Dann ist er wieder verschwunden. Verwundert schaue ich ihm nach. Irgendwo hinter mir gibt das Maultier einen langgezogenen Schrei von sich und ich zucke zusammen.

Und noch lange finde ich keinen Schlaf in dieser Nacht.
 

23. April, vierundfünfzig Meilen westlich von Independence
 

Wir haben gestern achtzehn Meilen geschafft, und heute neunzehn. Schon über fünfzig Meilen in drei Tagen. Zuerst habe ich mich gefragt, wie James das so genau wissen will, wenn er es mir jeden Abend erzählt. Dann beschreibt er mir ein Gerät, das man an einem Wagenrad anbringt und das mit jeder Umdrehung die Entfernung misst. Hodometer nennt er es. Ich habe vorher noch nie davon gehört, aber ich finde es sehr interessant. Und der Treckführer Smith hat solch ein Gerät an seinem Wagenrad und wer es wissen will, fragt einfach am Abend danach.

James hat sein Pferd heute an Bill weitergegeben und fährt mit mir das Ochsengespann. Wir amüsieren uns gut zusammen auf dem Kutschbock und er erzählt mir ein paar Geschichten aus seiner Kindheit. Doch er tut das mit einer Wehmut in der Stimme, dass er mir ganz leidtut und ich möchte ihn schon bitten aufzuhören, aber das wiederum kommt mir ebenfalls unhöflich vor. Aber immer wieder unterbricht er sich und starrt eine Weile in die Ferne, dann auf einmal wird sein Blick wieder ganz klar und er sieht mich seltsam an bevor er weitererzählt.

Er fragt mich nie nach meiner Familie und ich kann auch noch nicht darüber reden, aber da er mir bereitwillig von seiner erzählt hat, werde auch ich mich bald zusammenreißen und mich dem stellen.

Wir singen wieder zusammen „Lorena“ und bald wird es das liebste Lied auf unserem und den nächsten beiden Wagen. Hinter uns fährt jetzt ein älterer Mann, der eine deutsche Frau hat. Er begleitet uns hin und wieder auf einer Fidel. Der Herr heißt Seth Myers und seine Frau Pauline. Ich kann Alter schwer schätzen, aber ich vermute die beiden sind zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt. Und sie haben keine Kinder dabei. Mr. Myers hatte eine Schmiede in Kansas, aber er hat sie an einen jüngeren Mann verkauft und ist mit seiner Frau losgezogen. Es ist natürlich sehr nützlich, wenn man Schmied ist. Denn wenn die Eisenbeschläge der Wagenräder abfallen, was sie leider oft tun, dann kennt er sich gleich damit aus und kann sie reparieren, sofern er das richtige Werkzeug dafür dabeihat. Mrs. Myers redet nicht viel, da sie fast nur Deutsch spricht. Ihr Mann versteht sie, aber leider keiner sonst hier im Treck. Aber sie lächelt mir am Morgen immer zu und sagt dann in ihrer fremden Sprache etwas zu mir. Wahrscheinlich wünscht sie mir einen guten Morgen, und wünsche ihr das ebenfalls.

James summt immer noch vor sich hin, die Zügel der Ochsen hält er lose in den Händen. Er hat große breite Hände, und flaumige blonde Haare wachsen auf seinem Handrücken und auf den Fingern. Er merkt, dass ich ihn beobachte und schaut mich an. Seine kornblumenblauen Augen blitzen und er grinst, sagt aber nichts. Ich erröte und schaue schnell zur Seite.

Der Himmel ist mit Wolken verhangen, aber es regnet nicht, auch wenn es bisweilen so aussieht. Aber bisher ist noch kein Tropfen gefallen.
 

25. April 1866, sechsundachtzig Meilen westwärts
 

Gestern hat es den ganzen Tag geregnet, die Wolken haben schließlich doch noch ihre ganze Last über uns abgelassen. Es gab ein kräftiges Gewitter und ich habe mich hinten in den Wagen verzogen und mir die Decke über den Kopf gezogen, während James und Bill auf dem Bock saßen und sich nass regnen ließen. Nun ja, zumindest waren ihre Hosen durchnässt, über ihre Gesichter hatten sie ja ihre Hüte gezogen. Ich habe eine Weile mit Rosie gespielt, als das Gewitter vorbei war und ich die Blitze nicht mehr sehen musste. Gewitter gehören nicht zu meinen liebsten Dingen.

Heute hat das Wetter wieder aufgeklart und ich sitze neben James auf dem Bock. Bill hat sich wieder das Pferd genommen und reitet hinterher, ich vermute ja er ist gegen Ende des Zuges geritten, weil dort eine ältere Witwe mit ihrem gesamten Habe reist. Vielleicht gefällt ihr Bill ja, und ihm gefällt sie auch. Ich muss lächeln, während ich das denke und James fragt mich, was los sei.

Ich sage es ihm und er grinst ebenfalls. Dann nimmt er plötzlich meine Hand und sagt, beim nächsten Gewitter würde er nach hinten kommen, damit ich keine Angst mehr haben muss so allein. Abrupt ziehe ich meine Hand aus seiner, weil mein Herz plötzlich einen Sprung macht und ich nicht recht einordnen kann, woher das kommt. Er schaut mich kurz an, und scheint meine Verwirrung zu erkennen, denn er lächelt und schaut wieder nach vorn. Ich bemerke, wie meine Wangen glühen und halte meine Handflächen daran. Ich weiß gar nicht, was zurzeit mit mir los ist.

Später halten wir wieder und schlagen das Lager für die Nacht auf, Rosie quengelt und jammert herum. Frances meint, sie bekäme wieder ein Zähnchen. Ich habe nie so genau darauf geachtet, wann Kinder Zähne bekommen und wann Rosie daheim deswegen gejammert hat. So ist das recht neu für mich. Ich bekomme sie dazu den Mund aufzumachen und Frances sieht nach. Dann nickt sie und ich gebe Rosie wieder ihr Stück Holz, damit sie darauf herumkauen kann.

Es gibt heute zwei gebratene Wildhasen, die Bill geschossen hat und die James auf einen Spieß gesteckt hat, nachdem er sie ausgenommen und gehäutet hat. Das Fell hat er auf ein Gestell gespannt, damit es trocknet und wir es auf den Bock legen können zum darauf sitzen.



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