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Der Weg in den Westen

Auf dem Oregon Trail
von

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29. Mai - 29. Juni 1866

29. Mai 1866, Chimney Rock, zweihundertfünfzig Meilen von Fort Kearney
 

Eine einzelne Felssäule. Ein einsamer Schornstein, der aussieht, als hätte man ihn hier mitten in der Prärie ausgesetzt und das Haus drumherum ist verschwunden. Er heißt nicht umsonst Chimney Rock. Und er bedeutet auch, dass wir die Great Plains nun hinter uns lassen werden und es bald in die Berge geht. Der Treck zieht langsam an dem Felsen vorbei und wir können die Augen kaum davon abwenden. Wir sind bereits weit gekommen, meint James, den Blick ebenfalls auf den Felsen geheftet. Kurz vor den Rocky Mountains befindet sich jetzt unser Treck. Bald werden wir die engen Bergpässe hinauffahren und uns durch die schier unbezwingbaren Steinriesen hindurchschlängeln. Ich bin einerseits gespannt darauf, andererseits fürchte ich mich auch ein wenig davor. Man hat doch schon so viel gehört, von abgestürzten Planwagen, die durch einen einzigen Fehltritt eines Ochsen auf dem schmalen Weg in die Tiefe und auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind, mitsamt aller Menschen und ihrem Habe auf dem Wagen.

Der Himmel ist mit dicken weißen Wolken überzogen, die anmuten wie ein Haufen krauseliger Schafswolle und hin und wieder den grell leuchtenden Ball der Sonne verdecken. Man merkt, dass es auf den heißen Sommer zugeht. James hat die Ärmel des Hemds hochgekrempelt und ich bemerke, dass seine Haut schon ziemlich gebräunt ist, hatten wir doch seit dem Start vor gut sechs Wochen fast nur sonniges Wetter, nur hin und wieder ein Gewitter und zwischendurch ein oder zwei Tage mit Regen. James fährt fast nur noch mit mir auf dem Prairie Schooner und überlässt Bill gerne das Pferd. Heute hat Bill Rosie mitgenommen und hält sie vor sich im Sattel. Hin und wieder höre ich ihr grelles Kinderkichern, wenn das Pferd einen Satz macht, oder wenn ihr etwas gefällt was sie sieht.

Ich und James sind mittlerweile gute Freunde geworden, auch wenn er mich eigentlich ganz verlegen macht, wenn er mich ansieht. Schon als wir in Fort Kearney in diesem Geschäft waren, hat Frances etwas angedeutet. Aber bisher habe ich noch nichts neues herausgefunden. Frances hat mich gefragt, was ich denn gern hätte, aber ich bin wieder nur rot geworden und konnte nichts sagen.
 

4. Juni, Fort Laramie, dreihundertzwanzig Meilen von Fort Kearney
 

Wir nähern uns Fort Laramie, wo wir wieder rasten werden. In der Ferne kann ich sehen wie das Land langsam beginnt hügelig zu werden, doch es sind noch keine steilen zackigen Bergkuppen die ich sehe, sondern grüne Hügel auf denen das Gras wogt. Unsere vier Ochsen werden sich freuen, wenn wir sie heute Abend aus dem Geschirr ausspannen und sie das frische Gras fressen können. Außerdem bekommen wir im Fort vier neue Ochsen, ein paar andere Wagen haben schon viele Meilen vorher in Fort Kearney ihre Zugtiere gewechselt. Ich finde es ein bisschen schade, dass unsere treuen Ochsen jetzt einfach ausgetauscht werden, aber sie haben unseren Wagen nun mal schon über achthundert Meilen gezogen. Und bis der nächste Treck kommt, werden sie sich wieder erholt haben.
 

Bald werden wir auch den South Platte River überqueren, aber Mr. Smith hat unsere Bedenken schon zerstreut, denn es gibt dort anscheinend einige flache Stellen, wo die Ochsen kein Problem haben werden hindurchzuwaten und die schweren Planwagen hindurchzuziehen. Frances, Georgia und ich sind wieder zusammen ins Fort gegangen und haben Proviant eingekauft, dieses Mal mehr als in Kearney, da laut Mr. Smith die nächste Versorgungsstation, Fort Hall, über fünfhundert Meilen entfernt liegt. Später am Tage, als die Sonne schon rot glühend hinter den weiten Hügeln versinkt, gehe ich Wasser schöpfen und treffe an einem Brunnen auf eine junge Frau, die scheinbar sehnsüchtig zu unserem Wagentreck hinüber sieht. Ich spreche sie an. Sie sagt, sie sei die Frau eines Soldaten, der hier stationiert ist und sie beide sobald seine Dienstzeit um ist ebenfalls auf den Treck gehen werden und in den Westen ziehen. Sie fragt mich ob es sehr anstrengend sei und was man unbedingt beachten müsse. Ich erwidere lachend, dass sie das lieber Mr. Smith fragen sollte, da der den Treck ja schon mehrmals gemacht hat. Aber ich erzähle ihr bereitwillig von unserer bisherigen Zeit. Eine Weile später sehe ich James, wie er suchend umherstreift. Ich rufe ihm zu und er kommt herüber und fragt mich, ob die Eimer mit dem Wasser selbst zum Wagen laufen, oder ob ich heute noch komme. Ich lächle und er grinst ebenfalls. Ich verabschiede mich von der jungen Frau und wünsche ihr viel Glück, dann gehe ich mit James zurück zum Wagen. Die Ochsen stehen zusammen auf einer Weide und tun sich am Gras gütlich. Wir haben vier neue Ochsen im Austausch zugeteilt bekommen, doch wir werden ja erst übermorgen weiterziehen.
 

22. Juni, Independence Rock, 290 Meilen von Fort Laramie
 

Mit großen Augen starre ich auf die Felswand vor mir, auf hunderte von Namen, die sich in allen Größen darüberziehen. Namen, Geburtsdaten, Orte. Grüße und Sprüche. Grüße von Menschen, die hier mit großer Hoffnung vorbeigezogen sind, ihr Ziel vielleicht schon erreicht haben, oder aber nicht und auf dem Weg dahin umgekommen sind.

Neben mir steht Bill und streicht mit der Hand über den Felsen. Dann sagt er, dass er auch seinen Namen hier einritzen wird, denn der wird nicht so schnell verschwinden und wohl noch dann hier im Fels stehen, wenn er selbst schon lange nicht mehr auf der Erde weilt.

Mr. Smith erzählt am Lagerfeuer, dass er das letzte Mal genau am vierten Juli hier war und die Siedler, die er damals geführt hat ein großes Fest gegeben haben. Leider sind wir dieses Mal etwas zu früh, aber er meint dass wir bis zum 4. Juli wohl den South Pass in Wyoming schon überquert haben würden und dann feiern können.

Leise plätschert der Sweetwater River dahin, und gurgelt munter über Gestein, das schon hunderte von Jahren vom kühlen Wasser überspült wird und glatt ist, wie wenn ich mit der flachen Hand George über den warmen Pferdehals streiche. Ich habe genug von den vielen Leuten am Lagerfeuer, außerdem plagt mich mein monatliches Unwohlsein und ich habe beschlossen die verschmutzten Tücher noch auszuwaschen, damit sie bis morgen trocknen können. Ich knie im weichen Boden des Ufers und beugte mich übers Wasser, das hier in einem kleinen Gumpen zusammenläuft und wringe die Tücher aus. Lege sie neben mir in den Weidenkorb. Ein Plätschern lässt mich aufhorchen, dann noch eins. Irgendwer wirft Steine ins Wasser. Ich drehe mich um und sehe eine dunkle Gestalt, die auf einem großen Stein sitzt, etwas zwanzig Meter entfernt. Dann höre ich, wie er leise meinen Namen sagt. Es ist James. Ich komme ungeschickt auf die Beine und reibe meine schmerzenden Knie, ich frage was er hier macht und warum er nicht bei den anderen ist. Er antwortet, dass er mich gesucht hat und dass ich nicht so weit vom Lager weggehen soll. Unwillkürlich balle ich die Fäuste, was meint er wer er ist, dass er mir Befehle geben will? Aber ich verstehe, dass er es nur gut meint. Oder ist er besorgt um mich? Er tritt näher und bleibt vor mir stehen, es ist so dunkel dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, der Mond hat sich hinter Wolken versteckt. Ich spüre die Wärme, die von seinem Körper ausgeht und dann hebt er die Hand und streicht mir ein paar meiner widerspenstigen dunkelbraunen Strähnen hinter die Ohren. Ich habe sie heute eingeflochten, aber im Laufe des Tages hat sich der Zopf in Wohlgefallen aufgelöst und die langen Haare hängen mir nun wild um die Schultern. Plötzlich spüre ich James’ Hände auf meinen Oberarmen und er zieht mich an sich, ich lege meinen Kopf an seine breite Brust und höre sein Herz klopfen. Dann schaue ich zu ihm hoch und erschrecke etwas, als er seine warmen Lippen auf meine legt. Darauf habe er schon lange gewartet, sagt er, und ich lege wieder meinen Kopf an seine Brust, so als gehöre er schon lange dahin.

Er küsst mich noch einmal, dann aber macht er sich abrupt von mir und entschuldigt sich für sein ungebührliches Verhalten und verschwindet im Dunkel. Ich bleibe verwirrt zurück und starre ihm nach. Der Schrei irgendeines Tiers holt mich zurück in die Gegenwart und ich nehme den Weidenkorb und gehe zurück zum Wagen. Hinter den Wagen der anderen Leute vorbei, damit mich keiner sieht. Ich frage mich, ob man mir ansieht, was gerade passiert ist. Meine Knie sind ganz weich und ich weiß nicht, warum er so plötzlich verschwunden ist. Irgendwie komme ich mir auch dumm vor. Ich hänge gedankenverloren meine Tücher auf und steige dann über den Bock in den Wagen. Ich stolpere über etwas weiches, ich erschrecke beinahe zu Tode und falle auf die Knie, dann höre ich James’ Stimme. Ich frage ihn, was er hier im Dunkel zu suchen hat und warum er mich so erschrecken muss. Er greift nach meiner Hand und sagt mir, dass er mich nicht hatte so stehen lassen wollen am Ufer des Sweetwater River. Und ob ich ihm verzeihe. Natürlich, sage ich. Dann ziehe ich meine Hand aus seiner und beginne die Decken für die Nacht herzurichten. Er hilft mir dabei. Dann legen wir und nieder und schlafen Rücken an Rücken, so wie wir es nur zu Beginn der Reise einmal getan haben, bis Bill meinte, dass es Gerede gäbe, wenn wir beide im Wagen übernachten würden. Seitdem haben er und James immer draußen geschlafen, eingewickelt in Decken. Doch dieses Mal ist etwas anders, irgendwann tastet James nach meiner Hand und hält sie fest. Bald darauf schlafe ich ein.
 

29. Juni, auf dem South Pass, 120 Meilen vom Independence Rock
 

Wir überqueren nun den South Pass und Mr. Smith hat gesagt, wir würden nun bald auf einer Fähre den Green River überqueren müssen. Doch zuvor fahren wir am Big Sandy Creek entlang, der verlockend kühl in der sommerlichen Hitze schimmert. Die Landschaft wird langsam bergig und es geht auf und ab, allerdings zieht sich das Flusstal des Creek ziemlich gerade dahin. Doch ab und zu wird der Weg sehr eng, und anscheinend ist der Creek in der Vergangenheit öfters einmal über die Ufer getreten und hat den Pfad überspült, denn ab und zu sind dort tiefe Furchen zu sehen und ich habe bedenken, dass die Räder des Planwagens dort nicht hineinrutschen und der Wagen umfallen könnte. Ich reite heute auf dem Maultier neben James her und Bill fährt den Planwagen. Wir reiten allerdings dicht hinter ihm, falls er auf dem unwegsamen Gelände Schwierigkeiten bekommt. Das Maultier ist auch etwas unwillig und wirft hin und wieder den Kopf so nach hinten, dass ich beinah seinen harten Schädel gegen den meinen bekomme. Dann haut James ihm immer mit einem Stock hinten auf die Kruppe und das Tier kommt zur Einsicht. Zumindest für eine Weile. Bis es wieder anfängt zu bocken. Irgendwann reicht es mir und ich steige wieder auf den Planwagen und lasse das dumme Tier hinterherlaufen. James grinst und sagt, er würde dem Vieh schon noch Manieren beibringen. Bei der Kuh habe er es ja auch geschafft, und die läuft brav ohne Seil hinter dem Wagen her.

Seit der Nacht am Independence Rock weiß ich wie James zu mir steht und auch Bill hat es mitbekommen. Bill ist außerdem eine alte Tratschtante, denn Frances weiß es nun auch schon und fragt, ob wir bald heiraten wollen. Auf diese Frage hin habe ich mich einen ganzen Vormittag lang hinten im Prarie Schooner versteckt und wollte einfach nur meine Ruhe haben, um nachzudenken. Ich komme auf keinen grünen Zweig mit der vielen Denkerei und James hilft mir auch nicht gerade dabei, denn an einem Tag ist er besonders nett und zuvorkommend, dann wieder ist er abweisend und launisch. Er hadert mit seiner Vergangenheit, das sehe ich ihm an. Mich haben auch wieder die Träume eingeholt. Und jedes Mal wenn ich Rosie ansehe, versetzt es mir einen Stich, weil sie ohne Eltern aufwachsen muss. Ja sie hat mich, aber eine Schwester, die sich nicht wirklich mit Kindererziehung auskennt ist kein Ersatz für eine Mutter. Zum Glück gibt es Georgia und Frances, die mir sehr unter die Arme greifen.

Am Abend als wir rasten, kommt plötzlich Unruhe auf. Auf einem der hinteren Wagen ist ein Kind erkrankt. Es erbricht sich und hat Durchfall. Entsetzen flammt auf, und Mr. Smith beschließt, dass niemand mehr in Berührung kommen darf mit der Familie. Frances sitzt bei mir am Lagerfeuer und wir sehen zu wie die Familie ein gutes Stück weiter weg ihr Lager aufschlägt. Ich kann nicht recht verstehen, warum Mr. Smith niemanden helfen lässt. Aber France erklärt mir, dass er Angst hat, dass sich jemand anstecken kann. Sie flüstert das Wort nur, Cholera. Und ich erschrecke bis ins Mark.



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