Waves And Vessels
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Es war heiß an der mittleren Westküste Japans. In der Bucht Tokios tummelten sich Schiffe um Schiffe, Seemänner verluden Frachten und Kapitäne scherzten mit den baldigen hochrangigen Passagieren ihrer nächsten Fähre. Heute würde die Tropicana Balia auslaufen, ein großes Passagierschiff, das acht Decks und zweitausend Menschen beherbergte. Die Kabinen waren ausgebucht. Während die Innenkabinen ohne Fenster von Mittelklasseverdienern belegt waren, sah man die weiß gekleideten Platzanweiser auf den verschiedenen Stockwerken die geräumigen Außenkabinen mit Meerblick an betuchte Reisende vermitteln.
Eine dieser Reisenden war Sakura Haruno, ein junges Mädchen von achtzehn Jahren, dessen langes Haar blassrosa unter dem großen Hut in den morgendlichen Sonnenstrahlen glänzte. Ihre strahlend grünen Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille versteckt, die durch ihren dezenten Stil ihre Kostbarkeit verriet. Sie war nicht sonderlich groß, nun, da sie die hochhackigen Stilettos gegen flache Sandalen getauscht hatte, um bei möglichen hohen Wellen nicht ins Straucheln zu geraten. Eins dreiundsechzig durfte sie ihr Eigen nennen; nicht gerade groß, aber für eine Japanerin doch angemessen, wie sie fand. Auf die Größe kam es außerdem nicht an, denn sie war gut situiert, um nicht zu sagen reich, hübsch, um nicht zu sagen schön, und klug, um nicht zu sagen intelligent. Diese drei Eigenschaften machten sie zu einer gern gesehenen Dame der wohlhabenden Gesellschaft. Man mag nun annehmen, bei solch vortrefflichen Attributen auf aufwiegende Negativitäten zu stoßen, wie etwa einem eingebildetes oder egoistisches Naturell, doch Sakura hatte die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit in der Mittelschicht verlebt und als ihr Vater zum Chef von Tokios größter Privatklinik befördert worden war, hatte sie dank der strengen Erziehung ihrer Mutter ihr Leben mit so wenig Privilegien als möglich fortgelebt. Das hatte ihr einen gefestigten Willen und eine starke Persönlichkeit verliehen, die nicht etwa von Arroganz und Eigennützigkeit geprägt war, sondern im Gegenteil von einer natürlichen Freundlichkeit und Heiterkeit, die man selten bei Frauen in diesem Alter und dieser gesellschaftlichen Stellung antraf.
Ihre Schwester Sayuri, ein Jahr jünger als sie, war zwar charakterlich ihr genaues Ebenbild, wenn auch etwas schüchterner, aber ihr sonst kaum ähnlich. Sayuri war größer, etwa eins sechsundsechzig, hatte wasserblaue Augen und helleres rosa Haar, in dem man einen kräftigen Rotstich ausmachen konnte. Bedingt durch ihre Größe war sie jedoch die Unelegantere der beiden und man sah sie nur selten in Kleidern, Röcken oder schicken Blusen.
Wenngleich sich die beiden Schwestern in ihrer Wesensart auch noch so ähneln mochten, so lebten sie diese völlig unterschiedlich aus. Sakura besaß hinter ihrem Leichtmut ein berechnendes Kalkül und einen unversöhnlichen Geist, der, einmal beleidigt, auf ewig den Schmäher mit Boshaftigkeit überhäufte. Sayuri hingegen besaß ein großes Maß an Gleichmut, mit dem sie alles Unliebsame ertrug, das über sie kam. Für sie war es weniger schwer zu verzeihen als für ihre ältere Schwester.
Den Rest der Familie bildeten Haruno Kizashi und Mebuki, ein Ehepaar Mitte fünfzig, das sich vor allem durch Bodenständigkeit auszeichnete. Mit auf die Reise gingen allerdings mehr als nur diese vier, denn ein Familienausflug war die kostspielige Fahrt auf dem größten Kreuzfahrtschiff Japans gewiss nicht. Getarnt als harmlosen Urlaub hatte Kizashi einen klugen Schachzug geplant, der nun in seiner vollen Blüte aufgehen sollte. Durch einen Zufall hatte er nämlich erfahren, dass auf genau dieser Fähre ein potenzieller Sponsor mit seiner Familie die Sonne genießen würde. Dieser Mann war für Kizashi Haruno von großer Wichtigkeit; denn hätte er ihn als Aktionär oder Investor, würde er seine Klinik vor dem finanziellen Ruin bewahren können, in den er sie gefahren hatte. Er hoffte also auf eine glückliche Begegnung mit dem stattlichen Mann, in dessen noch ahnungslosen Händen das Schicksal seiner Familie lag—und das mehr als Kizashi sich eingestehen wollte.
"Man kann ja viel über Schiffe sagen, aber egal wie groß sie sind, die Wellen spüre ich trotzdem!", beschwerte sich Sayuri, als sie mit ihrer Familie das Deck betrat. "Mir wird jetzt schon übel."
"Hast du die Tabletten genommen, die ich dir gegeben habe?", fragte ihre Mutter besorgt. Fürsorglich legte sie einen Arm um die Schultern ihrer schwankenden Tochter.
"Ja, aber sie helfen nicht, das siehst du doch! Mir ist schlecht. Ich glaube, ich muss mich—oh, doch nicht. Falscher Alarm." Neben ihr rollte Sakura hinter der Sonnenbrille mit den großen Augen. Der Geschwisterharmonie zuliebe tat sie es aber statt zu zetern ihrer Mutter gleich und stützte Sayuris andere Seite mit dem freien Arm, um dessen Schulter keine Korbtasche hing.
"Danke", murmelte Sayuri, die Hand vor den Mund gepresst. "Wieso mussten wir dieses Jahr eine Kreuzfahrt machen? Im Strandhaus wäre es doch genauso gemütlich gewesen und weniger wellig!"
"Sayuri, Liebes, dein Vater wollte sie unbedingt machen. Sei bitte so nett und gönn es ihm. Er hat sich das schon so lange gewünscht."
"Ja", meinte Sakura halblaut, "seit drei Monaten. Ist ja auch eine Ewigkeit."
"Jetzt fang nicht du auch noch an, ich bitte dich! Wir sind hier, um eine schöne Woche zu verbringen! Es ist die vorletzte Ferienwoche und die würde ich wirklich gerne in Harmonie und Eintracht verbringen. Ist das zu viel verlangt?"
Beide Töchter verdrehten die Augen. Sie wussten ganz genau, dass ihre Mutter sich das harmonische Beisammensein nicht ihretwegen wünschte, sondern ihrer Töchter wegen. Sie sollten nicht mitbekommen, welche Probleme ihre Eltern hatten, denn seit Jahren lief in deren Ehe vieles schief, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Sie hatten sich auseinandergelebt, das erkannte jeder. In den letzten Monaten hatten sich dann auch noch die lautstarken Streitereien gehäuft und mehr als nur einmal hatten die Töchter einen Elternteil deprimiert in einem Zimmer gefunden mit einem Glas Whiskey oder Sherry in der Hand, das die Tränen getrocknet hatte.
Aufgrund dessen wagte keiner etwas zu sagen. Am Ende der nächsten Woche würden Sakura und Sayuri ohnehin wieder in das Miya-So-Internat ziehen, wo sie die familiären Probleme wenig belangten. Wie auch? Das Internat war eine internationale Privatschule für privilegierte oder besonders intelligente. Kinder Es gab etwa fünfzig Schüler pro Oberstufenjahrgang, die entweder alle äußerst viel Geld oder äußerst viel Grips besaßen, wobei letzteres eher seltener der Fall war, denn es gab pro Jahr nur fünf Stipendien für diese Schule. Diese trugen weniger der Nettigkeit als dem Prestige und dem Ansehen bei, denn normale Kinder ebenfalls aufzunehmen befreite die Schule von der schlechten Nachrede, Mittelklassekinder aufgrund Geldmangels nicht anzunehmen. Das Internat war das einzige seiner Art, denn eine solche Schulform war in Japan gänzlich ungewöhnlich. Miso, wie es im Volksmund genannt wurde, lag etwa zwanzig Kilometer von der zwanzigtausend Seelenstadt Miyazu entfernt. Sein Standort befand sich direkt am Meer, aber es war dennoch abgelegen von einer kleinen Bergkette umschlossen, sodass niemand die noch unfertigen Eliteschüler zu Gesicht bekam, außer die Bewohner Miyazus, wenn die Jugendlichen ein paar Mal die Woche dort einkauften.
In diesem Internat, in das man die Töchter vor drei Jahren abgeschoben hatte, um sie von den Eheproblemen fernzuhalten, bekamen sie nicht viel von diesen mit. Kurzum: Es interessierte sie auch nicht. Weit weg von Zuhause konnten sie ohnehin nicht viel tun, um die Situation zu entschärfen. Ihre Eltern bekamen sie nur in den Ferien zu Gesicht.
Nichtsdestoweniger hatten Kinder und Eltern ein liebevolles Verhältnis, das sich auf der Verlegenheit gründete, sich nicht allzu oft zu sehen. Darum waren die verhältnismäßig kurzen Zusammenkünfte von einer Einigkeit geprägt, welche das perfekte Familienbild wahrte—es war ja immerhin kein Trugbild, so wie bei anderen Familien. Nein, die Harunos waren eine eingeschworene Bande, die sich nur in die Haare bekam, wenn sie länger als vier Wochen beisammen waren. Diese vier Wochen waren immer viel zu schnell um, gleichzeitig freuten sich Sakura und Sayuri schon auf ihr eigentliches Zuhause. Dort waren ihre Freunde, ihre Vertrauten und ihr Leben.
"Es sind doch nur sieben Tage", versuchte Sakura ihre Schwester zu beruhigen. Sayuri hing missmutig mit grünem Gesicht über der Reling des privaten Balkons. Sie hatten bereits ihre Kabine zugewiesen bekommen, die zum Glück ein Stockwerk unter der ihrer Eltern lag. "Winzige hundertsiebzig Stunden, die überlebst du schon."
"Du hast leicht reden, dir wird ja auch nicht übel, sobald du kein festes Land unter den Füßen hast!"
"Das ist alles nur eine Frage der Einstellung. Ich habe auch ein schummriges Gefühl im Magen, aber ich nehme mich zusammen und genieße die salzige Meerluft, den kühlenden Wind und die leichten Wellen, wenn sie gegen die Schiffswand laufen."
"Bitte, führ das mehr aus und ich kotz dir auf die Füße!" Sayuris Griff um das Metallgeländer wurde unwillkürlich fester. Sieben Tage, das musste doch zu schaffen sein. Irgendwie würde sie es schon überleben. Irgendwie.
"Sag mal, was hältst du eigentlich von Schifahren in den Winterferien?", fragte Sakura, um sie abzulenken.
"Ich wollte eigentlich nach Hause", winkte Sayuri murmelnd ab. "Mit wem und wohin?"
Sakura kramte aus ihrer Tasche ein Prospekt heraus. "Das wollte ich dir schon die ganze Zeit zeigen, aber Mum flippt ja sofort aus, wenn ich ihr die Möglichkeit in Aussicht stelle, die Ferien nicht Zuhause zu verbringen." Sie gab ihrer Schwester den Reisekatalog. Auf der aufgeschlagenen Seite war eine zauberhafte kleine Hütte abgebildet, die von Schneeflocken umspielt inmitten einer weißen Schneelandschaft stand. "Ist doch schön, nicht wahr? Das ist eine Art Cottage in Gala Yuzawa, keine zwei Stunden von Tokio entfernt. Selbstversorger mit Reinigungspersonal für bis zu acht Leute direkt an der Schipiste. Es ist ein wenig teuer, aber das bekommen wir mit Dad sicherlich geregelt."
"Hm", machte Sayuri wenig überzeugt. "Ich bin keine große Schifahrerin, das weißt du. Ich fahr lieber heim."
"Oh, komm schon, Ri-chan!", raunte Sakura. "Yuzawa ist nicht weit weg von Tokio. Du könntest einen Teil der Ferien mit uns dort verbringen und für den Rest nach Hause fahren."
"Wer kommt denn noch mit? Deine Freundinnen?" Sayuri war immer noch skeptisch. Schnee behagte ihr nicht richtig.
Sakura nickte eifrig. "Ino, Hinata, Temari und wenn du möchtest kannst du Tenten mitnehmen. Ach ja, vielleicht kommen auch noch Naruto und Gaara mit."
"Natürlich." Sayuri lachte sarkastisch auf. "Ihr hasst Tenten. Das tue ich ihr nicht an, selbst wenn sie meine beste Freundin ist."
"Ach, papperlapapp, wir hassen sie nicht!", korrigierte Sakura bestimmt. "Keiner hat je gesagt, dass wir sie hassen, aber sie ist nun mal zum Feind übergelaufen."
"Diese elende alte Geschichte, Himmel, ich ertrage das bald nicht mehr!" Sayu konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem die Freundinnen auseinander geschieden waren.
"Das war ein Jahr", stöhnte Sakura. "Ich schwöre dir feierlich: Wenn dieses Jahr wieder so ein Tamtam passiert, steig ich aus. Dann verschanze ich mich in ein Kloster irgendwo in den Bergen."
"Es ist ohnehin dein letztes Jahr, also kann es dir egal sein. Du bist Ende Juni für immer hier raus. Hast du dich eigentlich schon entschieden, welche Spezialisierung du belegst?"
Sakura ließ ein verstimmtes Grummeln hören, antwortete aber sonst nicht. Das war Sayuri Antwort genug. Ihre Schwester mochte wissen, was sie wollte, aber für ihre berufliche Zukunft hatte sie keinen Plan. Dass man im Abschlussjahr einen Zweig wählen musste, auf den der gesamte Stundenplan zugeschnitten wurde, half auch nicht gerade dabei, die Unsicherheit wegzuwischen.
"Sag schon, du musst spätestens heute Abend im Sekretariat Bescheid geben. Wie ich dich kenne hast du schon gestern angerufen." Sayuri stupste ihre Schwester auffordernd an. Ihre Übelkeit schien wie weggeblasen. "Also, zur Auswahl standen Wirtschaft, Marketing, Kunst und Naturwissenschaften. Kunst und Wirtschaft fällt dabei schon mal weg, das würdest du dir nicht antun. Bleibt also noch Marketing, was möglich wäre, weil es interessant ist, und Naturwissenschaften, was ebenso möglich wäre, weil du dann Medizin studieren und in Papas Fußstapfen treten könntest. Hmmm…" Überlegend griff sie sich an die Stirn.
"Ist ja gut, ich sag's dir", rief Sakura. "Naturwissenschaften. Keine Ahnung, was ich damit machen soll, aber es scheint mir das einfachste zu sein. Zufrieden?"
"Weniger." Sayuri verschränkte die Arme. "Naturwissenschaften sind doch total langweilig."
"Besser als Werbeplakate und Marktanalysen machen. Das ist deine Welt, nicht meine." Damit war das Gespräch beendet. Im Gegensatz zu Sayuris Annahme wusste Sakura sehr genau was sie wollte. Sie wollte Medizin studieren und das aus gutem Grund. Doch sie hatte ebenso ihre Zweifel daran, ob sie es überhaupt schaffen würde. Die Zweifel überwogen den Wunsch sogar um ein Vielfaches. Daher behauptete sie felsenfest, keine Pläne für ihre berufliche Zukunft zu haben—im Falle eines Scheiterns müsste sie ihrer Familie keine Niederlage eingestehen.
Sayuri erinnerte sich nun auch schlagartig daran, dass ihr auf Schiffen ja immer schlecht wurde und hängte sich nun wieder leblos über der Reling des Kabinenbalkons. "Ich werde das Deck erkunden . Willst du mitkommen oder lieber Übelkeit vorschützen?" Als Antwort bekam Sakura ein Würgegeräusch. Sie verdrehte die Augen, tätschelte ihrer Schwester kurz den Rücken und machte sich auf den Weg zum Hauptdeck.
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Die Tropicana Balia war wie eine Galerie aufgebaut. Sieben Etagen umrundeten die Mitte des Hauptdecks, auf dem sich das Leben abspielte. Hier gab es zwei Süßwasserpools, eine Bar und eine Liegewiese, auf denen sich gestreifte Liegen drängelten. Der Kreuzer war für alle Preisklassen zu haben, darum galt das Hauptdeck als Mittelklassedeck. Die Reichen hatten gegen einen mächtigen Aufpreis das Privileg, die oberen zwei Etagen ganz für sich zu haben. Auf diesen verteilt befanden sich ein Restaurant, zwei Bars und ein Casino, in welchen nur Leute mit Geld gerne gesehen waren. Das alles war mit neutraleren Worten im Reisekatalog gestanden und Sakura nahm sich vor, diese beiden Etagen tunlichst zu vermeiden. Sie hatte nichts gegen reiche Menschen zumal sie selbst einer war, aber privilegierte Kinder hatte sie das Jahr über im Internat, da brauchte sie diese nicht auch noch in ihren wohlverdienten Ferien um sich scharen.
Mit federleichten Schritten und einem sehenswerten Hüftschwung begann sie also die Entdeckungstour vom Deck sieben in die unteren Etagen. Und das Prospekt hatte nicht zu viel versprochen: An jeder Ecke waren irgendwelche Vergnügungsattraktionen, sei es ein Souvenirstand oder eine Hüpfburg für die Kleinen. Es war schlicht umwerfend! Hinzu kam der Bonus, ihre Eltern nicht allzu oft sehen zu müssen, denn ein Schiff war groß und die Erwachsenen hielten sich eher in Bars auf, wo die wichtigen Verträge entstanden.
"Wahnsinn", murmelte sie überwältigt. Ein solcher Palast auf dem Meer, das hatte sie noch nie gesehen. In zehn Minuten sollte der Koloss auslaufen, dann wäre nur mehr das weite Meer zu sehen. Ein Traum! Ein schwimmender Traum! Doch nach der kurzen Euphorie besann sich Sakura darauf, ihr eigentliches Ziel zu verfolgen. Sie war wohl ein ehrgeiziger Mensch voller Elan, aber ihre Entspannung fand sie dennoch im sinnlichen Genuss anstatt in anstrengenden Aktivitäten. Sie brauchte die Erholung bevor der stressige Schulalltag wieder losgehen würde.
Schnell war also die Erkundung abgebrochen, eigentlich war ihr die Tropicana Balia ja auch egal, solange sie Sonne und Buch hatte. Ebenso schnell war eine rot gestreifte Liege in Beschlag genommen, auf der keine Minute später eine schlanke Dame im Bikini mit Sonnenbrille, Hut und einem Buch zu finden war. Niemand würde erkennen, dass sie eigentlich gar nicht in diese Schicht gehörte, selbst wenn die manikürten Finger kokett gespreizt den Buchrücken hielten und die aalglatten Beine in automatischer Spannung übereinander geschlagen waren.
Sakura stellte ein Bild an natürlicher Eleganz dar, das selten jemand imitieren konnte, der nicht von klein auf darauf getrimmt worden war. Sie machte inzwischen die vollendet aparten Bewegungen unbewusst ohne große Anstrengung und das konnte sie sich leider auch nicht mehr abgewöhnen. Egal was sie auch tat, es verriet Noblesse. Aufgrund dieser Ausstrahlung fand sie sich auch eine gute Stunde nachdem das Schiff in See gestochen war von paar jungen Leuten angesprochen. Es war eine Gruppe von fünf, zwei davon Mädchen.
"Hey, entschuldige", rief die Größere der beiden von einiger Entfernung. Sie hatte eine sportliche Figur und einen blonden Pferdeschwanz. Als Sakura nicht reagierte, lief das Mädchen barfuss auf sie zu und beugte sich zu der Liegenden hinunter. Da sie dieser dadurch die Sonne stahl, blickte sie auf.
"Ja, bitte?"
"Entschuldige die Störung, aber meine Freunde und ich wollten eine Runde Volleyball spielen, aber wir sind eine ungerade Zahl, darum suchen wir Mitspieler. Hättest du Lust?"
"Nein, tut mir leid, ich kann nicht Volleyball spielen." Sakura wandte sich wieder ihrem Buch zu.
"Das macht nichts, wir bringen es dir bei, es ist auch nicht schwer!", beharrte die Blonde. "Du würdest dem jungen Mann mit der blauen Badehose außerdem eine ziemlich große Freude machen." Sie zwinkerte Sakura verwegen zu, doch diese blieb standhaft.
"Ich möchte wirklich nicht."
"Okay, macht nichts. Da wird Daisuke aber enttäuscht sein." Die Blondine wartete auf eine Reaktion, doch sie tat es vergebens. Nach der Abfuhr wandte sie sich zu einer anderen Liege, die von einem Sechzehnjährigen besetzt war, der bereitwillig zusagte.
"Das ist typisch." Genau das waren die Worte, die Sakura dachte und es waren genau die Worte, die eine männliche Stimme laut aussprach. Neugierig klappte sie das Buch zu und drehte sich auf ihrer Liege um. Hinter ihr saß ein Mann Mitte Zwanzig. Er hatte langes schwarzes Haar, das hinten zu einem Zopf gebunden war. Seine Augen wurden von einer Ray-Ban verdeckt, während die drei oberen offenen Knöpfe seines weißen Hemdes ein wenig von seinem Oberkörper preisgaben. Gelangweilt saß er auf der Liege direkt hinter Sakura mit Blick in ihre Richtung, ohne sie anzusehen. Seine Mundwinkel verrieten Missmut und seine Arme, die auf seinen abgewinkelten Knien aufgestützt waren, ließen Langeweile erkennen. Sakuras Blick fiel aber als allererstes auf die schwarze Badehose, die er trug. Auf dem linken Hosenbein erkannte sie einen roten Fächer.
"Uchiha Itachi, dass ich einmal die Ehre habe, dich kennen zu lernen hätte ich nicht gedacht", sagte sie erfreut, wenn auch gewollt übertrieben.
"Ja, ja", erwiderte er nur. Seine Zehen wippten in den schwarzen Flipflops gelangweilt auf und ab. "Du bist Haruno-sans Tochter, richtig? Sakura oder Sayuri?"
"Sakura. Ich bin die Ältere. Wie komme ich dazu, mich von dir angesprochen zu finden?"
"Mein Vater hat deinen Vater soeben kennengelernt. Zufälligerweise sind die Kabinen unserer Eltern nebeneinander und da wäre es doch schade, wenn wir beide uns nicht kennenlernen würden, habe ich recht?" Itachi nahm seine Sonnenbrille nun ab und bedachte Sakura mit einem einladenden Lächeln. Freundschaftlich reichte er ihr die Hand, die sie ein wenig perplex schüttelte. "Ich hab das halbe Schiff nach dir abgesucht, ehe ich dich gefunden habe!"
"Und du wusstest, wer ich bin, weil…?"
"Voriges Jahr hab ich mal ein Foto von dir in der Zeitung gesehen. Außerdem sind deine Schwester und du bekannt wie bunte Hunde. Es gibt nicht viele Menschen, die rosafarbenes Haar haben."
"Wenn ich nur hundert Yen für jedes Mal bekommen würde, wenn ich das höre! Es ist nicht wirklich angenehm, nur auf seine Haarfarbe reduziert zu werden."
Itachi entschuldigte sich flüchtig, dann stand er auf. "Eigentlich wollte ich mich nur vorstellen, um mich beim Essen krankmelden zu können, falls du unangenehme Gesellschaft bist, aber du wirkst nett."
Sakura stutzte verwirrt. "Du hast mich echt nur gesucht, weil du wissen wolltest, wie ich bin?"
"Nicht nur." Itachi wurde ernst. "Hör zu, alle fünf Minuten versucht ein finanziell angeknackster Geschäftsmann meinem Dad Geld aus der Tasche zu leiern, das wird mit der Zeit anstrengend. Ich möchte nur sichergehen, dass sich unserer Familien nicht deshalb anfreunden."
Sie spürte die Warnung in Itachis Stimme, behielt die Maske der Freundlichkeit jedoch gekonnt auf. Dennoch—es fröstelte sie ein wenig, als er sie ansah. "Keine Sorge, ich bin mir sicher, mein Vater würde niemals der finanziellen Mittel wegen mit jemandem reden. Zumindest nicht während eines Familienurlaubes."
"Das freut mich zu hören." Er wandte sich zum Gehen, hielt sich aber selbst noch kurz zurück, indem er amüsiert rief: "Zieh dir heute Abend das Beste an, was du hast! Ich habe einen Bruder in deinem Alter und glaub mir, du würdest dich ärgern, wenn er dich nicht in deinem schönsten Kleid sehen würde!"
Sakura schüttelte über eine solche Anmaßung nur den Kopf. Typisch Uchiha! Sie kannte die Familie nur vom Hörensagen und von manchen Zeitungsartikeln der Wirtschaftspresse, die ihr Vater abonniert hatte. Ihrem begrenzten Wissen nach hatte ihnen eine traditionsreiche Firma gehört, deren Wurzeln lange zurück reichten. Sie waren früh zu Geld gekommen und hatten sich in Japan ein Monopol aufgebaut. Nachdem dieses auf Milliarden verklagt worden war, hatten sie das Unternehmen mit all seinen Tochtergesellschaften geschlossen. Genug Geld hatten sie aber dennoch zur Verfügung gehabt. Auf der Basis dieser finanziellen Mittel hatte Itachis Großvater eine neue Firma aufgebaut, die sich mit irgendwelchen komplizierten Börsengeschichten beschäftigte, die sie weder verstand noch verstehen wollte. Was die Familie davor gemacht hatte, wusste sie ebenfalls nicht. Sie wusste nur, dass es sehr, sehr viel Geld eingebracht hatte. Die Tatsache, dass sich jeder um Fugaku Uchiha riss, wurde dadurch begründet, dass er vor zehn Jahren nach Amerika ausgewandert war, um dort noch reicher zu werden. Das war aber scheinbar fehlgeschlagen oder hatte zumindest nur einen Bruchteil der erhofften Gewinne gebracht, denn er war vor einem Monat wieder nach Japan zurückgekehrt, um seine Tätigkeit wieder aufzunehmen.
"Und da behauptest du, du wüsstest nicht viel über die Uchihas!", rief Sayuri entrüstet. Sakura war gegen Nachmittag wieder in ihre Kabine zurückgekehrt. Sayuri war ganz gierig darauf gewesen, etwas von den Erlebnissen ihrer Schwester zu hören.
"Das sind nur die groben Züge der Geschichte, in Wahrheit war alles komplizierter, soviel ich weiß", winkte Sakura ab. "Aber entgegen dem weit verbreiteten Ruf scheint mir Itachi-san ein sehr netter Mensch zu sein. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass er auf unserer kurzen Reise zu einem guten Freund werden wird."
"Wie du meinst", erwiderte Sayuri, ohne näher darauf einzugehen. "Ich denke nicht, dass ich heute etwas essen kann. Mir ist noch immer nicht gut. Würdest du mich heute beim Abendessen entschuldigen?"
"Kommt nicht in Frage!", fauchte Sakura. "Du lässt mich nicht hängen! Itachi meinte, sein Bruder wäre eine Augenweide. Wenn er ihm ein wenig ähnlich ist, dann ist er auch sicherlich ein netter Kerl. Er würde eine gute Partie für dich abgeben, meinst du nicht?"
"Er würde mich nicht einmal bemerken, sofern du dabei bist! Du hast die Ausstrahlung, neben der ich wie eine graue Maus wirke", beschwerte Sayuri sich niedergeschlagen. Sie beneidete ihre Schwester nicht, denn ihr Charakter ließ sie froh darüber sein, nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, doch in derartigen Situationen wünschte sie sich, ein wenig hübscher zu sein.
"Wir machen einen Deal", schlug Sakura vor. "Ich ziehe das hier an und du das. Was hältst du davon?" Sie wedelte mit den beiden Outfits vor der Nase ihrer Schwester herum, bis diese sich widerwillig einverstanden erklärte. "Das wird super, ich versprech's dir!"
Sakura hatte gelogen. Sie war sich ganz und gar nicht so sicher, wie sie es gerne gehabt hätte. Die Uchihas waren kein Umgang, den sie pflegen mochte. Außerdem ließ Itachis Aussage sie nicht los. War ihr Vater etwa pleite? Es hatte sich angehört, als wisse er etwas in diese Richtung. Sie würde mal nachforschen, sobald sie zu Hause war.
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