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Schwarz: Initiation

mit wildest_angel
von

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So, ihr Lieben,

diesmal müsst ihr nicht so lange warten – hier kommt schon das nächste Kapitel!
 

@Anuri und Hitokiri: Danke schön für eure Treue und für eure Kommentare!
 

Und auch Grüße an alle anderen, die sich hierher verirren. ^^

Und jetzt viel Spaß!
 


 


 

Die Tiefgarage war um diese Uhrzeit relativ leer. Crawfords Mercedes stand da und noch circa fünf Fahrzeuge, von denen Schuldig wusste, dass sie anderen Anwohnern gehörten. Die einzigen Autos, die nicht ständig hier parkten, waren ein schicker, dunkelblauer Ford Mustang und ein alter, roter Golf II.

Mit einem diabolischen Grinsen überreichte Brad seinem Teamkollegen den Autoschlüssel, auf dem unverkennbar das VW-Zeichen eingestanzt war.

„Ich denke, der reicht für den Anfang. Mein Budget ist erschöpft. Aber jetzt machen wir erst einmal eine Probefahrt, ja?“
 

Einen winzigen Moment lang zeichnete sich so etwas wie Enttäuschung auf dem Gesicht des Jungen ab, doch er fing sich gleich wieder. Noch war er nicht so korrumpiert, dass er nicht zu schätzen wusste, was Brad für ihn tat. Und es war sicher keine Selbstverständlichkeit, dass er überhaupt einen eigenen Wagen bekam. Schuldig setzte ein breites Grinsen auf und schnappte sich den Schlüssel. Kurz warf er einen letzten, wehmütigen Blick auf den Ford, dann auf den schweren Mercedes seines Chefs und marschierte tapfer auf den Golf zu. So wirklich gefiel ihm diese Karre ja nicht, und ihm war jetzt schon klar, dass er sich von dem ersten Geld, dass er verdienen würde, ein anderes Auto besorgen würde. Oder vielleicht auch schon eher - wozu war er schließlich Telepath? Aber nun würde er erst einmal diesem Vehikel hier eine Chance geben. Brad hatte sich immerhin wirklich Mühe und Gedanken gemacht.

Schuldig sperrte die Tür auf, aus dem Inneren des alten Golfs stieg ihm ein leicht muffiger Geruch entgegen, der ihn leise seufzen ließ. Er setzte sich auf den Fahrersitz und beugte sich dann hinüber, um auch die Beifahrertür zu entriegeln. Während sich Brad ebenfalls in den kleinen Wagen quetschte, stellte sich der junge Telepath den Sitz und die Spiegel ein und rammte den Schlüssel ins Zündschloss.
 

Das kleine Spielchen mit dem Wagen hatte Brad ein wenig abgelenkt, aber es war noch nicht vorbei. Das Schwierigste stand ihm noch bevor.

Er hatte Schuldigs Gesichtsausdruck genau studiert und den kurzen Hauch der Enttäuschung wohl bemerkt. Umso erfreulicher war Schuldigs letztendliche Reaktion, das breite Grinsen; ohne zu nörgeln fand er sich mit den Begebenheiten ab und setzte sich hinter das Steuer des altersschwachen Golfs. Brad jonglierte seine langen Beine in den engen Fahrgastraum, nachdem er den Kampf mit der Beifahrertür gewonnen hatte – die Tür klemmte, und sowohl das Öffnen als auch das Schließen bedurfte mehrerer Versuche.

Dankbar widmete sich Brad vollkonzentriert dieser Aufgabe. Bloß die Gedanken nicht abschweifen lassen! Griff nach dem Gurt, Verschluss einrasten lassen, Schuldig bei den Einstellungen von Rückspiegel und Sitzposition beobachten. Dennoch blitzten ab und zu Erinnerungen an ein vorhin geführtes Telefonat durch sein Gehirn. //Bleibt es bei heute? - Ja, wir werden gegen fünfzehn Uhr da sein. Das Geld ist schon überwiesen.// Bilder einer grünen, weitläufigen Landschaft kamen hinzu. Ein langer, asphaltierter Streifen auf einer kurz gemähten Wiese.

„So. Dann zeig mal, was du gelernt hast. Wir fahren zur A 8. Richtung Augsburg.“

Nervös tippelten Brads Finger auf seinen Oberschenkeln, während er seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Straße lenkte, auf die Menschen und Gebäude, die an ihnen vorüber zogen. Nein, nicht an Flugzeuge denken. Brad drehte an dem Radio herum und suchte einen Nachrichten-Sender. Das Auto verfügte lediglich über ein Radio-Kassetten-Deck. CD-Player hatte es damals, als das Auto gebaut wurde, noch nicht gegeben, und der Vorbestizter hatte nicht nachgerüstet.. Gebannt lauschte Brad den Nachrichten und vertrieb sich unliebsame Gedanken an Hubschrauber, indem er Schuldig jeden Rastplatz anfahren ließ, nur um ihn sofort wieder auf die Autobahn zu dirigieren, bis er überzeugt war, dass Schuldig sich sicher von der Beschleunigungsspur in den fließenden Verkehr einfädeln konnte. Manchmal verlangte er die Gedanken eines anderen Verkehrsteilnehmers zu wissen, um zu prüfen, inwieweit Schuldig Fahren und Gedankenlesen gleichzeitig meisterte.

An der Abfahrt „Dachau, Fürstenfeldbruck“ verließen sie die Autobahn und folgten der B 471 in Richtung Olching. Sie fuhren durch beschauliche, kleine Ortschaften und den etwas größeren Ort Fürstenfeldbruck bis Jesewang. Immer noch widmete Brad der Landschaft außerhalb des Autos größte Aufmerksamkeit und nervte mit sinnfreien Kommentaren zu allem, was in sein Sichtfeld kam.

„Da stehen fünf Windräder. Die sind fünfzig Meter hoch.“

„Die haben gelbe Vorhänge und blaue Fensterrahmen. Findest du das schön?“

„Schon wieder eine Ampel.“

„Schau mal, der Hund ist ja dick.“

„Pass auf, hier ist siebzig.“

„Da ist eine Flugschule! Lass uns da mal vorbei fahren.“ Der Satz sollte beiläufig klingen, und er sprach auch gleich weiter, wie ein Wasserfall sprudelten die Nebensächlichkeiten aus seinem Mund: „Mann, liegt hier viel Müll am Straßenrand. Die könnten hier ruhig für mehr Ordnung sorgen, ich war schon lange nicht mehr im Wald spazieren, hier sieht es ja ganz nett aus, vielleicht können wir nachher noch ein wenig die Beine vertreten, da steht ein roter Golf, fast so einer wie deiner, und da, der Bauer, also Bauer möchte ich ja nicht sein, die haben nie frei, und zur Ernte... park den Wagen hier auf dem Parkplatz. Ich will mich nur kurz umsehen.“

Schon hatte er nach dreimaligem Ruckeln die Tür aufgestoßen und faltete sich auf dem Parkplatz zu seiner stattlichen Größe auseinander. Puh, das nächste Mal nahmen sie aber seinen Mercedes, wenn sie eine längere Fahrt unternahmen!

„Kommst du?“ Ohne Schuldig recht zu beachten, betrat Brad das Geländer der Flugschule. Einige weiße Cessnas standen neben dem Rollfeld und zwei weiße Helikopter. Auf letztere steuerte Brad zu.

„Was meinst du – hättest du Lust, so ein Ding zu fliegen?“ fragte er unschuldig und drehte sich zu dem rothaarigen Teenager um.
 

Schuldig hatte den Wagen einigermaßen geschickt durch den Mittagsverkehr der Großstadt gelenkt und dabei festgestellt, dass sein 'neues' Auto in etwa zwei Stunden brauchte, um von Null auf Hundert zu beschleunigen, was ihm ein minimales Seufzen entlockte. Das war komplett das Gegenteil von dem, was er sich eigentlich vorgestellt hatte. In der Stadt fiel es noch nicht gar so auf, richtig schlimm wurde es erst, als er tatsächlich auf die Autobahn auffuhr.

Der Golf fing bei neunzig Stundenkilometern beängstigend zu klappern an und wurde obendrein jedesmal heftig zur Seite gedrückt, wenn ein schnellerer Wagen sie überholte. Noch dazu schien sich Brad einen Spaß daraus zu machen, ihn jedesmal, wenn er es geschafft hatte, dem Wagen eine halbwegs passable Geschwindigkeit zu entlocken, auf einen Rastplatz zu lotsen. Nach dem dritten Mal war der Junge schon reichlich entnervt, doch er ließ sich davon immer noch nichts anmerken. Vor allem, weil er sich immer wieder sagte, dass es reine Freundlichkeit von dem Amerikaner war, ihm überhaupt ein Auto zur Verfügung zu stellen. Schließlich hätte er das nun wirklich nicht gemusst.

Auf den Smalltalk ließ sich der junge Telepath gern ein, ebenso auf die üblichen Forderungen, die Gedanken anderer Autofahrer aufzuschnappen, weil es ihn von dem Klappern und Dröhnen seines Wagens ablenkte. Denn wenn er darüber genauer nachgedacht hätte, hätte er wohl die Vermutung gehabt, dass ihm das Teil mitten auf der Autobahn auseinanderfiel.

Zum Glück hatte Brad irgendwann Erbarmen mit ihm und dem Golf und lotste ihn über Landstraßen in eine Gegend, die ihn in ihrer Ländlichkeit durchaus an die Umgebung des Rosenkreuz-Instituts erinnerte. Ohne es verhindern zu können, zog sich Schuldig der Magen zusammen, doch er schaffte es mit aller Beherrschung, sich nichts davon anmerken zu lassen.

Irgendwann schien der großgewachsene Amerikaner die Nase voll zu haben, wie eine Sardine in den kleinen Wagen gequetscht zu sein und Schuldig bog - selber erleichtert - auf den Parkplatz einer Flugschule ab.

Im Gegensatz zur Beifahrertür ließ sich die Fahrerseite gleich beim ersten Mal öffnen und der Telepath war froh, als er aussteigen und sich die Beine vertreten konnte. Nachdem er sich ausgiebig gestreckt und tief durchgeatmet hatte, trabte er hinter seinem Boss her, der zielstrebig auf das niedrige Gebäude und die dahinterliegende Rollbahn zusteuerte.

Neugierig betrachtete Schuldig die kleinen Sportflugzeuge und den Jet, der im Hangar stand, dann wandte er seine Aufmerksamkeit den Helikoptern zu, die anscheinend Brads besonderes Interesse hatten.

Was er dann hörte, konnte er erst gar nicht glauben.

"Was?", fragte er mit großen Augen nach und klinkte sich blitzschnell in Brads Gedanken ein, nur um festzustellen, dass es durchaus dessen Ernst war, ihn fliegen zu lassen. Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf Schuldigs Gesicht aus, das seine Mundwinkel in gefährliche Nähe zu seinen Ohren zog.

"Na klar!", jubelte er und konnte es nicht lassen, Brad, der stehen geblieben war und ihn ansah, noch einmal um den Hals zu fallen. Wenn das mal kein geiles Geschenk war, wusste er auch nicht. Überschwänglich wollte er dem Älteren einen Schmatzer auf die Backe drücken, was Brad zu einer Abwehrbewegung veranlasste. Er wandte den Kopf ab - in genau die falsche Richtung. Und so trafen Schuldigs Lippen nicht wie geplant die Wange des Schwarzhaarigen, sondern geradewegs dessen Mund.

Dieser Kontakt löste fast einen Schock bei dem jungen Telepathen aus; ein irrwitziges Kribbeln schoss wie ein Blitz durch seinen Körper, der dafür sorgte, dass er Brad losließ, als hätte er sich verbrannt.

"Sorry", nuschelte er verlegen. Oh wow, er musste sich dringend abgewöhnen, so überschwänglich zu sein... Bevor er noch mehr Unsinn von sich geben konnte, kam ein Mann in einem Overall auf sie zu und begrüßte den Amerikaner. Schuldig bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu, als Brad den Piloten in ein Fachgespräch über den Helikopter verwickelte. Er konnte für diese Zeit nur danebenstehen und verwirrt blinzeln. Zum Glück dauerte es nicht allzu lange, bis Brad auf das Fluggerät deutete und ihm zunickte. Das freche Grinsen erschien wieder und Schuldig machte sich daran, das Cockpit des Hubschraubers zu entern. Die vielen Hebel, Schalter, Pedale und Anzeigen ließen ihn kurz stocken. Wow, wie sollte man denn da den Überblick behalten? Doch noch ehe er sich diesem Gedanken eingehender widmen konnte, stiegen auch schon Brad und der Fluglehrer ein. Während es sich der Amerikaner quasi auf dem Rücksitz gemütlich machte, setzte sich der andere Mann, der sich als Michael vorstellte, auf den rechten Sitz und begann, ihm zu erklären, auf was er alles achten musste. Wieder einmal zeigte sich seine rasche Auffassungsgabe als Vorteil. Nach einer Viertelstunde eingehender Instruktionen wusste der Junge, auf was es ankam und auf was er aufpassen musste.

Er wandte den Kopf zu Brad, zwinkerte ihm zu und legte dann einen kleinen Hebel am Himmel des Helikopterdaches um. Die Rotoren begannen sich zu drehen, das laute Flappen wuchs schnell zu einem ohrenbetäubenden Getöse an, was Schuldig veranlasste, zu den Kopfhörern zu greifen, die über seinem Kopf baumelten und sowohl als Hörschutz als auch als Kommunikationshilfe dienten.

Schuldig drückte nach Anweisung den Steuerknüppel nach oben und sah fasziniert, wie sich der Boden unter ihnen entfernte.

"Ich flieeeeeeeeeeeeeeeege!", jubelte er lachend, konnte sich aber grade nicht freudestrahlend noch einmal zu seinem Chef umdrehen, weil seine Konzentration bei dem gebraucht wurde, was er gerade tat.

Die Freude über dieses Erlebnis verdrängte die Aufregung, die er zuvor über den zufälligen Kuss empfunden hatte.
 

Dieses Mal hatte Brad den Schmatzer kommen sehen, und er drehte rechtzeitig den Kopf zur Seite – nur in die falsche Richtung! Schuldigs weiche Lippen berührten seinen Mund, und ein feines, elektrisches Kribbeln durchzog Brads Eingeweide bis tief in sein Becken. Rasch trat er einen Schritt zurück. Wenigstens entschuldigte sich Schuldig und wirkte reichlich verlegen dabei. Das würde ihm hoffentlich eine Lehre sein, solche Attacken in Zukunft zu unterlassen!

Brad sah sich kurz um, in der Hoffnung, dass niemand sie gesehen hatte, und sah zu allem Übel auch noch Michael Jansen, den Fluglehrer, mit dem er im Vorfeld alles besprochen hatte, auf sie zukommen. Der hatte bestimmt den Kuss gesehen. Shit. Aber sollte der Typ ihn jetzt für schwul und Schuldig für seinen jugendlichen Liebhaber halten, war er glücklicherweise professionell genug, sich nichts davon anmerken zu lassen.

Eigentlich war es Brad ja auch egal, was andere Menschen von ihm dachten, vor allem [i}normale Menschen – die waren eh nur Schachfiguren, Statisten in dem Film des Lebens, der sich nur um eine einzige Figur drehte, und das war Brad Crawford. Wichtig waren für ihn im Moment nur Rosenkreuzer und die Leute von SZ.

Viel wichtiger war also, was er von sich hielt. Warum reagierte er nur so auf diesen Jungen? So langsam konnte er das nicht mehr mit einer einzigen – wenn auch intensiven – telepathischen Verbindung während Schuldigs erstem Orgasmus abtun.

Oder doch?

Glücklicherweise konnte er sich in ein Fachgeplänkel über Hubschrauber mit Herrn Jansen retten und seinen wirren Gedanken und Gefühlen vorerst entfliehen. Äußerlich betont cool und lässig, innerlich jedoch amüsiert und schon wieder merkwürdig berührt, beobachtete er, wie begeistert Schuldig sich der neuen Aufgabe widmete. Ein bislang unbekanntes Gefühl nistete unter seinem Brustbein: Er freute sich mit ihm. Es bereitete ihm Vergnügen, Schuldig glücklich zu sehen. Was war das nur, was dieser Junge mit ihm anstellte?

„Ich fliege!“ brüllte der gerade begeistert in das Mikro, dass den beiden anderen Insassen beinahe das Trommelfell platzte.

„Na, Hauptsache, du bringst uns auch sicher wieder runter“, kommentierte Brad trocken, und überließ dann Michael Jansen das Feld, während er selbst blicklos aus dem Fenster auf die Landschaft unter sich starrte. Für ihn war Fliegen in einem Helikopter nichts besonderes – das SZ-Hauptquartier oben in den Bergen war fast nur per Luft zu erreichen. Und auch das Rosenkreuz-Institut nutzte diese Möglichkeit, um ihre Leute rasch einsetzen oder wieder abziehen zu können.

Besonders waren einzig diese ungewollten Gefühle. Wenn er daran dachte, gleich wieder mit Schuldig allein zu sein, begann sein Herz zu pochen. Wenn er an den flüchtigen Kuss dachte, spürte er wieder dieses Kribbeln im Bauch. War es das, was in der Literatur als „Schmetterlinge im Bauch“ bezeichnet wurde? Hatte er etwa deswegen von Anfang an das Gefühl gehabt, Schuldig sei goldrichtig für ihn? Er hatte das nur auf die Zusammenarbeit im Team bezogen... womöglich hatte das jedoch ganz andere Ursachen...

Er verbot sich, weiter darüber nachzudenken. Das war doch völliger Blödsinn. Er wollte perfekte Arbeit für SZ abliefern, alles andere war unwichtig.
 

Schuldig schaffte es tatsächlich, das Fluggerät ohne Absturz wieder zu landen. Der Fluglehrer war zufrieden und verabschiedete sich per Handschlag. „Bis morgen dann!“

„Den Pilotenschein schaffst selbst du nicht an einem Nachmittag“, klärte Brad den Jungen beiläufig über die wahren Gründe ihres Ausflugs auf. „Dafür brauchst du den Wagen, ich kann dich nicht jeden Tag fahren. Ich hoffe, SZ lässt uns noch ein wenig Zeit mit unserem ersten Einsatz...“

Erneut spürte er dieses Herzklopfen, als sie auf den roten Golf zugingen. Und als er sich wieder nach erfolgreichem Kampf mit der Tür auf den Beifahrersitz gefaltet hatte, wusste er plötzlich auch, warum.

„Nein, Schuldig“, kam er der Frage mit der Antwort zuvor. „Unser Verhältnis ist rein dienstlich. Ich habe dich aus dem Institut geholt, damit du für mich arbeitest. Mehr nicht.“

Er sagte das absichtlich kühl und abweisend. In seinem Inneren sah es allerdings ganz anders aus. Er war aufgewühlt und verwirrt. Und er fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, Schuldigs Zunge mit der seinen zu umspielen...
 

"Pilotenschein?" Schuldig japste das Wort atemlos, seine Augen wurden dabei so groß, dass sie beinahe aus den Höhlen purzelten. Er sollte nun wirklich auch noch den Pilotenschein machen? Unfassbar...

Er tänzelte mehr hinter Brad zu seinem Wagen her, als dass er ging. Und vor lauter Übermut und überbrodelnder Freude war er drauf und dran, dem Amerikaner den nächsten Knutscher auf die Backe zu drücken - auch wenn er sich nicht erinnern konnte, jemals zuvor auf derartige Tuchfühlung bei irgendwem gegangen zu sein. Hier fühlte es sich allerdings richtig an.

Er hatte weder diese Überlegung zu Ende gedacht, noch saß er wirklich auf dem Fahrersitz, als er schon Brad Antwort auf das hörte, was er noch nicht einmal vollständig fertig bedacht hatte. Interessant... Er hätte es also wirklich getan. Und der Art nach zu urteilen, mit der Brad ihn abblitzen ließ, wäre es nicht nur ein dankbarer Teenager-Backenknutscher geworden. Schuldig schluckte und atmete scharf ein. Eigentlich war das schon witzig: Da bekam man die Antwort auf etwas, mit dem man noch nicht einmal in Gedanken wirklich gespielt hatte. Ein blödes Gefühl, echt. Und obendrein: Wo blieb denn da bitte der Spaß? Wie konnte Brad nur so leben, wenn er alles, was geschah, schon im Vornherein wusste? Das musste doch stinklangweilig sein! Vielleicht war er deswegen so ... verknöchert.

In diese Gedanken versunken hatte er den Wagen gestartet, der mit einem Husten angesprungen war, und hatte ihn zurück auf die Bundesstraße gelenkt. Hin und wieder wagte er es, einen Seitenblick auf seinen Beifahrer zu werfen. Hm. Wenn Brad gesehen hatte, was geschehen würde... Bedeutete das dann automatisch, dass es auch geschehen musste? Nicht zwingend, oder? Oder hatte der Amerikaner jetzt nur sicher gewusst, dass er ihm wieder näher kommen würde - aber nicht genau, wie weit? Nachdem er ja nun gar nicht näher an ihn herangekommen war... Himmel, war das alles verwirrend!

Entschlossen schob Schuldig den ganzen Fragenkatalog, der ihm durch den Kopf zog, ins hinterste Eck seines Bewusstseins, wandte dafür das Gesicht deutlich zu Brad und schnitt das Thema an, das eigentlich wichtiger sein sollte, als irgendwelche Gedankenspielereien über mögliche Variationen der Zukunft: "Sag mal... Pilotenschein. Nur für den Helikopter oder auch für Flugzeuge?" Das Glitzern in den giftgrünen Augen verriet, wie gern er bereit war, weiter zu lernen, um richtig fliegen zu können. Ein Helikopter war ja schon extrem geil, aber im Verhältnis zu einem Flugzeug auch extrem langsam...

Noch während er auf die Antwort wartete, fuhr er die Auffahrt zur Autobahn hoch und seufzte wieder leise, als er das Gaspedal voll durchtrat und der alte Golf erst vernehmlich ächzte, bevor sich die Tachonadel langsam nach rechts bewegte. Das war ein wirkliches Trauerspiel, dem er nur so lange zusehen würde, wie es sein musste.
 

So gesprächig Brad auf der Hinfahrt gewesen war, so schweigsam war er nun. Die kurze Vision, wie Schuldig ihn zaghaft und mit verlegenen, rosigen Flecken auf den Wangen gefragt hatte, ob er ihn richtig küssen würde, ging ihm nicht aus dem Kopf. Süß sah er aus, wenn er so unsicher war... Diese Schüchternheit stand ihm gut, genauso wie die vielen anderen Facetten seiner Persönlichkeit, auf die Brad bislang einen Blick hatte werfen können.

Und eigentlich war es kein Wunder, dass er Brads Nähe suchte – schließlich war er Schuldigs einzige Bezugsperson, er hatte ihn aus dem grausamen Drill von Rosenkreuz quasi „befreit“, und Schuldig war jung und hatte noch nicht viel Schönes erlebt, hatte noch keine Freiheit gehabt, sich auszuprobieren. Schuldig konnte er also keinen Vorwurf machen.

Kritisch hinterfragte er also nun sein eigenes Verhalten. Hatte er Schuldig irgendwie ermutigt, sich ihm... auf diese Art zu nähern?

Nein.

Unbewusst vielleicht?

Nein!

Er versuchte, an etwas anderes zu denken.

Schuldig hatte auf seine Zurückweisung nichts erwidert. War er verletzt, beleidigt? Brad warf ihm einen aufmerksamen Blick zu, der Junge sah allerdings nur nachdenklich aus. Gut. Nachdenken hatte noch niemandem geschadet.

Der Wagen gab Geräusche von sich, die Brad noch niemals an einem Auto gehört hatte. Er machte sich ernsthafte Gedanken, ob er vielleicht nicht doch lieber etwas mehr Geld in Schuldigs erstes Gefährt hätte investieren sollen. Vorsichtshalber warf er einen kurzen Blick in die Zukunft, was ihm jedoch nur garantierte, dass der Golf und damit auch seine beiden Insassen die nächsten paar Minuten unbeschadet überstehen würden.

Kurz bevor sie wieder auf die Autobahn fuhren, brach Schuldig die Stille zwischen ihnen.

„Mir reicht es, wenn du Helikopter fliegen kannst“, antwortete Brad ihm und betrachtete dabei kritisch das Armaturenbrett, das gefährlich vibrierte, während Schuldig dem Wagen Höchstleistung abverlangte. „Was du später mit deinem Geld und deiner Freizeit anstellst, ist mir egal.“

Obwohl ihm eigentlich die Idee gefiel, wenn Schuldig auch Flugzeug fliegen könnte – das würde sie noch unabhängiger machen. Für Langstreckenflüge waren Helikopter schließlich nicht sonderlich gut geeignet. Doch vorerst fehlte ihnen dazu Zeit und Geld. Brad hoffte so schon, dass SZ für einen Teil von Schuldigs Ausbildung aufkommen würde. Sein Kontostand hatte gerade ein trauriges Rekordtief erreicht.
 

Schuldig war nicht beleidigt oder verletzt. Jedenfalls nicht bewusst. Aber irgendwie nagte es schon an ihm, dass Brad ihn so brüsk zurechtgewiesen hatte, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Für ihn hatte es sich schon gut angefühlt, Brad näher zu kommen. So ganz verstand er nicht, warum es dem Älteren nicht ebenso ging. Doch er hielt sich eisern an ihre Abmachung, dass er nicht unaufgefordert in den Gedanken seines Chefs herumstöbern durfte, auch wenn er sicher war, dann die Antwort auf diese Frage in Null Komma Nichts zu finden.

Was der Amerikaner jedoch dann auf seine Frage bezüglich des Pilotenscheins antwortete, brachte Schuldig zu einem enttäuschten Stirnrunzeln, und er verkniff sich mit Mühe ein schweres Seufzen. Och Menno! Da hatte er mal was, was ihm wirklich Spaß machte, und dann stand er auch da vor lauter Einschränkungen. Ob das nun das Fahren anging oder jetzt eben das Fliegen...

Schuldig schaute verbissen auf das endlos scheinende graue Band der Autobahn und versuchte, das beängstigende Dröhnen des Golfs zu ignorieren.

Während die Landschaft an ihnen vorbeizog, überlegte der Telepath weiter. Später. Alles immer 'später'. Er wollte aber nicht bis 'später' warten, besonders wenn er nicht wusste, wie viel später dieses 'später' war. Aber vielleicht konnte man das ja auch ein wenig ... beschleunigen. Einen Versuch war es doch wert, oder?

Dieser Einfall hellte Schuldigs Miene wieder ein wenig auf und als er in die Tiefgarage ihres Hauses einbog, grinste er schon wieder.

Er parkte, stellte den Motor ab und wuchtete die Tür auf.

"Wie lange hab ich Zeit, um den Pilotenschein zu machen?", wollte er wissen, als sie beide den Wagen verlassen hatten und in Richtung Fahrstuhl gingen. Dabei wollte er nicht genauer definieren, wie er das meinte - auch wenn Brad sicher nicht danach fragen würde, weil es für ihn ja klar sein musste, wie er das meinte.

Schuldig grinste den Amerikaner schelmisch an, drückte auf den Rufknopf für den Aufzug und lehnte sich lässig gegen die Mauer. Oh ja, er freute sich auf die kommenden Tage...
 

Brad zögerte einen Moment mit der Antwort. Nicht, weil die Frage schwer zu beantworten wäre, sondern weil Schuldig dabei schon wieder so verschmitzt grinste. Er kam aber nicht darauf, was daran so witzig sein könnte und zuckte innerlich die Achseln. Wer konnte schon wissen, woran der Junge gleichzeitig noch dachte. Telepathen waren schließlich bekannt dafür, sich merkwürdig zu verhalten.

"So lang, wie SZ uns in Ruhe lässt. Also so schnell wie möglich." Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und sie traten ein. "Aber nimm dir bloß die Zeit, die du brauchst - kein Schummeln, bitte." Er sprach jetzt sehr ernst und blickte Schuldig dabei fest in die Augen. "Wenn du nicht rechtzeitig fertig wirst, machst du später weiter. Uns ist nicht geholfen, wenn du den Schein hast, und wir bei der ersten brenzligen Situation abstürzen."

Plötzlich hatte Brad ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Eine Vorahnung? In Bezug auf was? Hatte es mit dem Pilotenschein zu tun? Ausgelöst wurde es jedenfalls irgendwie durch Schuldigs smaragdfarbene Augen. Brad horchte nach innen, und die Vision traf ihn wie ein Keulenschlag, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Unwillkürlich keuchte er auf.

//Er spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, so stark, dass er nicht mehr atmen konnte. Er lag auf dem Boden, und Schuldig beugte sich über ihn, die grünen Augen mit einem Ausdruck, den Brad in ihnen noch nie gesehen hatte. Eine Mischung aus Entsetzen und Sorge. Noch jemand schob sich in sein Blickfeld, aber Brad konnte sein Gesicht nicht erkennen, hatte aber das dringende Gefühl, dass das wichtig war. Er sah jedoch nur eine dunkle Gestalt. Seine Sicht verschwamm, und er versuchte, wieder ins Hier und Jetzt zu gelangen.//

Er war kalkweiß im Gesicht geworden und gegen die Wand der Fahrstuhlkabine getaumelt, wo er jetzt auf etwas zittrigen Beinen lehnte.
 

Es war das erste Mal, dass Schuldig so bewusst Zeuge einer von Brads Visionen wurde - und zuckte zusammen, als der Amerikaner sämtliche Farbe verlor und sich zitternd gegen die Stahlverkleidung des Aufzugs lehnte. Mit einem schnellen Schritt war er neben dem Älteren und hielt ihn an den Schultern fest, weil er immer noch die Befürchtung hatte, dass er ihm einfach umkippte.

"Was ist los?", wollte er leise wissen, doch die Besorgnis war deutlich in seiner Stimme zu hören. Sein Plan, den Pilotenschein für Flugzeuge gleichzeitig mit dem für Helikopter zu machen, verschwand in den hintersten Bereichen seines Denkens, und nur die Sorge und Furcht um seinen Boss hatte noch Platz in seinem Kopf.

Der Aufzug hielt mit einem Ruck in ihrem Stockwerk, die Türen schoben sich mit dem obligatorischen 'Pling!' auf, und Schuldig legte seinen Arm fest um Brad, um ihn so aus der Kabine zu führen. Er ging bewusst langsam und stützte den Älteren dabei, vielleicht sogar mehr als nötig, aber er wollte einfach auf Nummer sicher gehen.

Es dauerte unverhältnismäßig lange, bis er mit seinem Bündel vor der Wohnungstür stand und mit der freien Hand nach seinem Schlüssel kramte. Fuck! Wahrscheinlich hatte er den in der anderen Jeans... Das war ja mal wieder typisch!

Schuldig brummte leise, murmelte ein "Sorry!" zu dem immer noch wie betäubt aussehenden Amerikaner und machte sich dann daran, dessen Taschen nach dem Schlüssel abzuklopfen.

Er verbiss sich ein kleines, gemeines Lächeln, als er den Schlüsselbund in der Hosentasche ertastete. Nur gut, dass Brad im Moment keine Reaktion zu zeigen schien - Schuldig war sich sicher, er hätte für die Frechheit, die er sich jetzt gleich erlauben würde, zumindest eine Ohrfeige eingefangen. Aber nachdem Brad wie paralysiert an ihm lehnte, drohte ihm wahrscheinlich keine Gefahr, als er die Hand in die Hosentasche des Älteren schob und den Schlüssel herauszog. Er war sich vollkommen bewusst, in welcher Region er gerade seine Finger hatte, und er konnte nicht leugnen, dass ein wildes, aufgeregtes Kribbeln durch seinen Körper raste.

Dann aber war dieser Moment vorbei und Schuldig öffnete die Wohnungstür, um den Älteren in die sichere Umgebung zu bringen.
 

Es fiel Brad schwer, wieder zu sich zu kommen, und Schuldigs besorgtes Gesicht direkt vor seinem vermischte sich mit den Bildern aus der Zukunft.

"Alles okay", ächzte er mühsam, aber da standen sie schon vor der Tür des Appartements. Er ließ zu, dass Schuldig ihn stützte, denn er fühlte sich noch immer benommen und schwach auf den Beinen. Himmel, was war das gewesen? Er fühlte noch den Nachklang des beißenden Schmerzes in seinem Arm und konnte nur hoffen, dass es ihm gelingen würde, das Ereignis, was immer es auch wäre, das ihm diesen Schmerz zufügen würde, abwenden zu können. Seine Gedanken rasten, so dass er nur am Rande mitbekam, wie Schuldig hektisch nach dem Schlüssel suchte. Würde er gleich einen Herzinfarkt erleiden? Er hatte gehört, dass die Schmerzen dabei in alle möglichen Richtungen ausstrahlen konnten und die Leute immer jünger wurden, die davon betroffen waren. Oder ein Unfall? Aber - in der Wohnung?? Naja, die meisten Unfälle geschahen schließlich im Haushalt, statistisch gesehen. Vorsichtig warf er einen Blick in die unmittelbare Zukunft, ganz vorsichtig und in Erwartung einer neuerlichen Schmerzattacke... doch nichts dergleichen geschah.

Stattdessen bekam er vor lauter Zukunftsblickerei gar nicht mit, wie Schuldig in seine Hosentasche griff. Erst als die nach dem Schlüssel tastenden Finger seinen Schritt streiften und sein bestes Stück prompt die Berührung mit wohligen Schauern beantwortete, kam er schlagartig wieder in der Gegenwart an.

"Es geht schon wieder, danke", sagte er hastig und befreite sich etwas grob aus der stützenden Umarmung. Noch ein wenig taumelnd betrat er die Küchenzeile und füllte sich ein großes Glas mit Leitungswasser, das er fast in einem Zug austrank.

"Du hast eine Viertelstunde", bestimmte er in Richtung seines jungen Teamkollegen. "Dann steht unser Konditionstraining auf dem Programm."

Er bestand darauf, täglich mit Schuldig den Fitnessparcours auf dem alten Fabrikgelände zu absolvieren. Daran würde auch eine kleine Vision nichts ändern - egal, wie beunruhigend sie auch gewesen sein mochte.
 

"Wie bitte?" Schuldig glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Du willst noch raus?" Ihm klappte der Unterkiefer auf die Brust. Hatte sein Boss noch alle Latten am Zaun? Da war er gerade beinahe zusammengebrochen, und nun wollte er joggen gehen? Das war ein schlechter Witz, oder?

Inzwischen machte sich das tägliche Training auch bei dem jungen Telepathen bemerkbar, seine Kondition hatte sich mächtig verbessert, und er konnte schon beinahe mit dem Amerikaner mithalten. Allerdings war er wesentlich wagemutiger als Brad, was die Erkundung des alten Fabrikgeländes anging. Es gab kein Plateau, das ihm zu hoch zum Herunterspringen war, und keinen Gang, der ihm zu dunkel war.

Er forschte in Brads Gesicht und fand nichts als den absoluten Willen, trotz allem ihren Trainingsparcours zu absolvieren. Na wunderbar.

Schuldig runzelte die Stirn.

"Du stresst mich ganz schön!", maulte er, wandte sich um und marschierte in sein Zimmer, um sich umzuziehen. Ehrlich mal, so viel Arbeit und Anstrengung auf einmal hatte er nicht erwartet. Zuerst den Führerschein, jetzt den Pilotenschein - bei dem er immer noch die feste Absicht hatte, seinen Boss zu überraschen! - und nebenbei noch das körperliche Training, von dem mentalen, das er sich selbst auferlegt hatte, ganz zu schweigen.

Der Telepath zog sich um, band seine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz, schlüpfte in seine Laufschuhe und kam wieder zurück in den Wohnbereich, wo er sich leise schnaubend auf die Couch fallen ließ, um auf Brad zu warten.



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