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Leonard Kjell Hellqvist - Eine Schwedische Tragödie, ein Englischer Alptraum

Charakterbeschreibung für das LOST Survivor RPG
von

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Zeitungsartikel einer englischen Tageszeitung vom 03. Dezember 2004

Liebe Leserin, Lieber Leser,
 

was ich Ihnen heute und hiermit in diesen Zeilen schreibe;

was auch immer sie in den nächsten Minuten in ihnen sehen oder zu sehen glauben, all das wird sie vielleicht weder amüsieren, noch wird es ihnen alle Antworten auf die zweifellos zahlreichen Fragen geben, die sich Ihnen in Verbindung mit diesem Thema aufdrängen.

Diesen beiden Befürchtungen zum Trotz empfehle ich Ihnen sich die Zeit zu nehmen, alle bisherigen Informationen aus dem Radio, dem Fernsehen, dem Internet oder den Zeitungen so gut es eben geht auszublenden und sich meinen, ganz persönlichen Einblicken in das Leben und Schaffen – möge man es so nennen – des schwedischen Phänomens Leonard Kjell Hellqvist zu öffnen.

Streichen Sie alle Wörter, die Sie jemals in Zusammenhang mit ihm gehört oder gelesen haben, aus Ihrem Gedächtnis.
 

Großdealer, Menschenhändler, brutaler Frauenhasser, kaltblütiger Mörder und unberechenbarer Soziopath sind nur einige der wenig schmeichelhaften Bezeichnungen, mit denen die Medien im Zusammenhang mit seinem Namen herumgeworfen haben und, auf Grund der jüngsten Ereignisse, wieder herumwerfen werden.

Versuchen Sie all Ihre Vorurteile – auch wenn es nicht so leicht erscheint – für die Dauer dieses Berichts außer Acht zu lassen und leihen Sie mir Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ich möchte wegen der besonderen Umstände meinen Namen nicht nennen.

Sie müssen nur wissen, dass ich ihm in besonderen Zeiten sehr nahe gestanden habe und dass ich der Zeitung, die diesen Bericht drucken wird, nur meine Aussagen angeboten habe, weil ich nun – da er bereits vor zwei Monaten für tot erklärt wurde (Hinweis auf den Artikel: „Todesflug 815 – Das Drama, das Mysterium“ auf Seite 56) und dies auch in seinen Kreisen, als erwiesen gilt, die gewisse Sicherheit verspüre, die ich benötige, um in Worte zu fassen, was nur die wenigsten können:

Was er für ein Mensch war.

Oder auch, was er vor allen Dingen nicht war.

Sie werden im Folgenden lesen, wie Leonard aufwuchs, wer seine Eltern waren, wer seine Freunde und wer seine Feinde. Sie werden erfahren, wie er handelte und wie er es zu Größe und Ansehen in ganz Europa brachte, wie zu Respekt und zu Millionen. Genauso wie Sie erfahren werden, wie er zu einem Mann wurde, den selbst seine engsten Freunde als eine stete Bedrohung, und seine Liebschaften als unberechenbares Biest bezeichneten.

Doch ich muss sie wiederum warnen. Manche Antworten werden Sie nicht verstehen, denn seine Gründe sind schon oft nicht die, anderer Menschen gewesen. Ich will Ihnen nichts vormachen. Sie und ich sind nicht in der Lage ihn zu verstehen. Sie als Menschen aus normalen, besseren Verhältnissen. Sie, die Sie die Zeitung kaufen und vielleicht bei einer Tasse Kaffee lesen, kurz bevor Sie zu ihrer Arbeit gehen. Sie verstehen nicht, wie es ist, wenn das Leben einen zwingt, zu einem vollkommen verqueren Menschen zu werden, damit man überlebt.

Vielleicht war Hellqvist auch, wie einige sagen, einfach nur ein Verrückter.

Auch der Wahnsinn rettet manchmal seine eigenen Kinder.

Doch ich möchte Ihnen nicht länger vorenthalten, wie ich ihn sah, wie ich ihn manchmal sehen durfte. Also, lassen Sie uns beginnen.
 

Leonard Kjell Hellqvist wurde am 14. Oktober 1958 in der Nähe der schwedischen Hafenstadt Hudiksvall geboren. Sein Geburtshaus, das Haus seiner Eltern und Familienerbe seitens des Vaters, liegt neben dem verzweigten Fjord Bromsvallsjön zwischen dunklen, schweren Kiefern.

Die Region ist nicht sehr dicht besiedelt Die nächst beste staatliche Schule liegt gut 12 Kilometer entfernt, in einem kleinen Dorf. Genauso die Supermärkte und Krankenhäuser.

Am Tag von Kjells Geburt fiel schwerer Regen. Der Fjord war, durch die seit Wochen gleich bleibende Wetterlage, bereits um zwei Meter gestiegen und hatte das Bootshaus überschwemmt.
 

Kjells Vater, Ludvig Hellqvist, gelernter Maschinenbauingenieur im vorzeitigen Ruhestand, hatte geplant mit seiner schwangeren Frau Nathalie, die vor ihrer Schwangerschaft noch als Aushilfe in einer Apotheke arbeitete, in die Stadt zu fahren und dort bei seinem Bruder zu übernachten, um den Geburtstermin abzuwarten.

Allerdings hatte niemand damit gerechnet, dass der Junge gut einen Monat vor dem besagten Termin im November zur Welt kommen würde.

So kam es, dass am Morgen des 14. gegen 09:20 Uhr, kein Arzt zugegen war, der bei der Geburt leitend zur Seite stehen konnte. Kjell kam nur mithilfe des Vaters und des älteren Bruders Sören, der gerade erst 8 Lenze zählte, zur Welt.

Damals, so erzählte er später, habe er geschlagene 5 Minuten nicht schreien wollen, weil er bereits am ersten Tag seines Lebens zu schockiert von der Welt gewesen sei. Seine Eltern machten sich beträchtliche Sorgen. Und als er dann doch zwischen dem lauten Prasseln des Regens anfing zu weinen und zu schreien, so urplötzlich und ohrenbetäubend wie er konnte, haben sie sich regelrecht erschreckt. Seine Mutter hatte geschrieen und sein Vater hatte erst geflucht, bevor sie beide vor Erleichterung lachten.

Kjell bekam den Namen seines Großvaters als Zweit- und Rufnamen.

Der Vorname Leonard war ein Wunsch seiner Mutter, die viele Jahre in Deutschland verbracht hatte und deswegen unbedingt einen bedeutsamen altdeutschen Namen an den jüngeren ihrer beiden Sprösslinge vergeben wollte.

Leonard bedeutet soviel wie „der starke Löwe“ und würde für die nächsten Jahre eine äußerst zutreffende, wie aber auch gleichzeitig unzureichende Beschreibung für das abgeben, was da kam.

Kjells Familienname „Hellqvist“, wie Sie sicher schon in vielen Zeitungen stolz präsentiert bekommen haben, bedeutet wirklich so etwas wie „Sprössling der Hölle“, allerdings bedeutet es auch „Sohn des Erfolges“, weswegen ich hier dringend davon abrate, darin böse Omen zu sehen. Ich kenne eine Menge Leute, die ähnlich verhängnisvolle Namen tragen, aber ein äußerst freundliches und gesundes Gemüt aufweisen.
 

Die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte Kjell nicht im Kindergarten, sondern bei seiner Familie zuhause. Er war ein ruhiges Kind, beinahe unauffällig. Er spielte gern allein oder mit seinem älteren Bruder, der aber bald weniger Zeit hatte und als Kjell 12 Jahre alt wurde, das Elternhaus verlies, um in der Stadt ein Studium zum technischen Zeichner anzufangen.

Mit sieben Jahren besuchte Kjell das erste Mal die Schule. Zuerst schien der Junge keine Probleme zu haben. Er wurde nicht gemobbt, er war mit seinen Leistungen im gesunden Mittelfeld und wurde gegenüber den Lehrern weder respektlos noch unhörig. Bis zu einem schicksalhaften Tag im Mai 68.

Ein Schüler, der zwei Klassen über ihm unterrichtet wurde, begann ihn auf dem Pausenhof und in den Gängen zu verfolgen, anzurempeln und zu beleidigen.

Kjell zeigte zunächst keine Reaktionen dem provokanten und sinnlosen Verhalten gegenüber. Beinahe schien es so, als ob er sich entschlossen hatte, es einfach zu ignorieren.
 

Der Junge fuhr mit seinen Peinigungen mehrere Tage lang fort und gerade als er aufhören wollte, weil ihm dieses Spiel, aufgrund der Reaktionslosigkeit seines Opfers zu langweilig geworden war und er sich enttäuscht umdrehte, um zu gehen, hatte Kjell sich bereits eine Schere aus seiner Mappe genommen und stach sie dem Älteren wortlos in den Oberschenkel. Während sich der weitaus größere Junge vor Schmerzen auf dem Schulflur wand, ging Kjell unter den schockierten Blicken seiner Mitschüler mit ungerührtem Gesicht zurück in seine Klasse.

Lehrer und Eltern des Opfers ordneten eine psychische Untersuchung des jungen Täters an. Allerdings bekamen sie dafür nicht die Genehmigung des Ehepaars Hellqvist. Der Junge wurde auf eine andere Schule geschickt, die viel weiter entfernt lag und lebte deswegen, bis er volljährig war, die meiste Zeit bei seinem Onkel Sven in Hudiksvall. Die Grundschule beendete er ohne weitere Zwischenfälle und wechselte auf das Gymnasium.

In der achten Klasse, Kjell war inzwischen 15 Jahre alt, folgte ein weiterer Zwischenfall mit einem älteren Mitschüler, der ihn danach in die Arme seiner langjährigen Psychotherapeutin Nellie Andersson treiben sollte, die einen noch viel größeren Schaden anrichten würde.

Der ältere Junge hatte Kjell vor der gesamten Schule bloß gestellt, indem er einen Aufsatz von ihm gegen eine obszöne und peinliche Fälschung ausgetauscht hatte, die von der erbosten Lehrerin vor der gesamten Klasse vorgelesen wurde.

Kjell lauerte dem besagten Jungen nach der Schule auf, überwältigte ihn kurzzeitig und zündete seine Jacke mit einem Feuerzeug an.

Danach machte er sich auf den Heimweg, als wäre nichts gewesen.

Der andere Junge konnte die Jacke schnell genug abstreifen, nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte. Ihm blieben nur leichte Verbrennungen an Bauch und Hüfte. Allerdings zögerte er auch nicht die Schule zu informieren, die daraufhin die Polizei rief.

In den folgenden Wochen und Monaten musste der junge Hellqvist Sozialstunden in einer Jugendbesserungsanstalt verrichten und ein Anti-Aggressions-Training absolvieren sowie 12 Sitzungen bei der Jugendpsychiaterin Andersson abhalten.
 

Wer von Ihnen den Namen Nellie Andersson noch nicht im Zusammenhang von Leonard Kjell Hellqvist gehört haben sollte, den werde ich jetzt kurz über ihre fatale Rolle in dieser Tragödie in Kenntnis setzen:

Nellie Andersson, eine staatlich geprüfte Jugendpsychiaterin von damals 42 Jahren, besaß ein äußerst krankhaftes Verständnis von Therapie. Jahre später würde man sie für die sexuellen Übergriffe an neun minderjährigen Knaben, darunter auch Kjell Hellqvist, zu 23 Jahren Haft ohne Bewehrung verurteilen.

Es dauerte fast zehn der zwölf Sitzungen bis Kjells Onkel Sven bemerkte, was Andersson seinem Neffen jede Woche, während ihrer Gespräche, antat, denn das Opfer selbst hatte beharrlich geschwiegen. Ob er Angst gehabt hatte, etwas zu sagen oder einfach nur auf die Gelegenheit gewartet hatte, dass sie ihm den Rücken zudrehte, weiß man bis heute nicht. Jeder, der einigermaßen gescheit war, sprach Kjell nie darauf an.
 

Nach dem Vorfall wurde er an einen engagierten Jungpsychologen verwiesen und begann erstaunlich schnell sein launisches Gemüt und seine impulsartige Aggression zu beherrschen. Jahre später würde ihm diese Selbstdisziplin zu großem Erfolg verhelfen. Dennoch würde er immer wieder wegen seiner eigenen Launenhaftigkeit und seinem cholerischen Wesen auffallen. Am Ende würde diese emotionale Schein-Schizophrenie sogar den Charakterzug ausmachen, der ihn für alle unverkennbar machte.

Kjells krimineller Abrutsch begann bereits in jungen Jahren. Eigentlich mit dem Einzug bei seinem Onkel.

Sven Hellqvist war - entgegen dem Wissen der ganzen Familie - ein äußerst gewiefter Geschäftsmann im Drogenmetier. Zu seinen Kunden zählten die obersten schwedischen Ränge im Norden. Politiker, Serienstars, Chirurgen. Er verkaufte die exotischsten und reinsten Stoffe. Er hielt beinahe wöchentlich so genannte Seancen in einer Mietwohnung am Hafen ab, in denen er die Teilnehmer eigenhändig in das Reich ihrer wildesten Träume brachte.

Der junge Kjell erfuhr das erste Mal davon, als er gerade 17 war und seinen Onkel bei einem aufschlussreichen Telefonat belauschte. Danach machte Sven ihn zum Botenjungen, der die Ware pünktlich und unbeschadet abliefern musste. Das Geschäft des Geldeintreibens überließ er ihm erst mit 22.

Dort bewies sich Kjell als überaus überzeugend und brutal. Mit drei anderen Schlägern, bei denen er sich schnell als Anführer etablierte, jagte er den verschuldeten Kunden nach und hinterließ bei ihnen oft mehr als nur gebrochene Knochen. Dabei fiel oftmals auf, dass er einen besonderen Groll gegen Frauen hegte. Ihnen tat er nicht nur Gewalt an, sondern setzte alles daran, sie so schwer wie möglich in jeder erdenklichen Art und Weise zu peinigen. Er beleidigte und beschimpfte sie. Er schlug, strangulierte und vergewaltigte.
 

Das wohl bekannteste Beispiel dieser frühen Eskapaden war die junge Immigrantin Danny White. Sie kam aus Wales und arbeitete in Hudiksvall als Altenpflegerin.

Ihr Cousin hatte sich eine beträchtliche Menge Kokain von Kjells Onkel besorgt und hatte sich den Preis, da er zu dem Zeitpunkt noch nicht flüssig genug war, anschreiben lassen. Bei einer „Razzia“ durch Kjell und seine Schläger fiel auf, dass der Kerl seine Schulden noch nicht einmal in einem halben Jahrhundert hätte abzahlen können. Der unschöne Teil ereignete sich, als Danny in die Szenerie geriet, weil sie ihrem Cousin frische Wäsche vorbeibringen wollte.

Einigen sehr lückenhaften Überlieferungen zufolge, soll Kjell sobald Danny das Wohnzimmer betreten hatte, ihr die Wäsche aus der Hand geschlagen und sie gegen die Wand gedrückt haben. Daraufhin habe er sich zu dem Schuldner umgedreht, ein Messer gezogen und ihm gedroht, wenn er jetzt nicht zahlen könne, würde er seiner Cousine die Schulden übertragen. Der Angesprochene, offenbar verwirrt und aus Angst ehrlich, bestätigte weiterhin, dass er nicht fähig war, die Summe aufzubringen.

"Gut, dann wird deine Cousine von nun an deine Schulden tragen.", soll Hellqvist gesagt haben und mit dem Messer den fünfstelligen Preis für die Drogen in Danny Whites Rücken geschnitten haben. Tief genug, dass sie als Narbe zurückblieb.
 

Kjell hatte noch keine Beziehung gehabt, die länger als zwei Wochen gehalten hatte.

Viele Psychoanalytiker behaupten heute, die Misshandlungen durch Nellie Andersson haben einen sehr großen Anteil an diesem Verhalten gehabt. Sie behaupten ebenfalls, er sei seitdem nicht mehr fähig, ausreichend soziale Kontakte zu pflegen, die ehrlich und aufrichtig seien, oder gar zu lieben.

Für sie ist er nur noch ein Mensch, der unfähig ist, sich in Andere hinein zu versetzen, der sämtliche soziale Normen und staatliche Gesetze missachtet, schnell frustriert ist, zu starker Aggressivität neigt und kein Schuldbewusstsein zeigt. Ein Soziopath.

Fakt jedoch ist, dass Leonard Kjell Hellqvist zwei Gesichter hatte. Auf der einen Seite eine zutiefst gestörte und unberechenbare Persönlichkeit voller Gewalt und Kaltblütigkeit; auf der anderen Seite ein gerissener Geschäftsmann, ein Hardliner, was seine Geschäfte und Ideen anging, aber auch ein charmanter Schmeichler bei seinen Kunden.
 

In vielerlei Hinsicht kamen die Eigenschaften des ersten Gesichts, dem zweiten zugute.

Seine Untergeordneten und Bosse, seine Kunden und Geschäftspartner kannten und nannten ihn bald nur noch bei einem Namen. Wer ihn zuerst in den Umlauf brachte, ist nicht bekannt. Es wird gemunkelt, es sei Leonard selbst gewesen.

Seid dem Jahr 1986 war er allen nur noch als „The two faced cat“ bekannt und jeder, der schon mal von ihm gehört hatte, fürchtete oder bewunderte ihn. Vielleicht auch beides.

Seine Geschäfte konnte er luxuriös und leger in den größten und besten Hotels Schwedens und später Europas abschließen oder in den dreckigsten, dunkelsten Gassen erzwingen.

Er hatte die fabelhafte Eigenschaft mit Allem klar zu kommen und Alles zu sein. Er konnte der unterhaltsame, vornehme Gastgeber einer „Investorenparty“ sein oder der erbarmungslose Schuldeneintreiber mit Dreck und Blut an den Händen. Keiner seiner Taten schien ihm anzuhängen, kein menschliches Schicksal ging ihm nahe. Er spürte keine Schuld, kein Bedauern. Hätte er das getan, wäre er damals zerbrochen.
 

Als er sich mit 28 von seinem Onkel unabhängig machte und sogar Aufträge in ganz Europa erfüllen musste, verdiente er rund 200 000 im Monat, ein Bruchteil dessen, was ihm Jahre später, bis kurz vor seinem Verschwinden, monatlich zufallen sollte.

Mit dem Geld kaufte er sich eine riesige Penthousewohnung in London und zog nach England, von wo aus er leichter Zugang zu anderen, größeren kriminellen Organisationen hatte. Unter anderem handelte er ein oder zweimal mit Vertretern der Cosa Nostra in Sizilien, von denen er stets behauptete, sie seien zu schwach und zu eingebildet, um den gesamten europäischen Markt zu beherrschen. Selbst die bekanntesten Capi seien nicht bereit sich die Hände mit Drogen und Prostitution schmutzig zu machen. Sie würden sich zu viel aus alten, lächerlichen Familientraditionen machen.

Er hingegen trieb sich allzu gerne in den zwielichtigsten Gefilden herum, weil sie sein Innerstes widerspiegeleten.

Im Anzug, fein herausgemacht wie einem Gentleman betrat er die düstersten Kneipen und heruntergekommensten Herbergen. Er liebte die Zweiseitigkeit seiner Person.

Blut an den Händen, Champagner auf den Lippen.

Viele ließen sich von seiner reinlichen Erscheinung trügen, man bemerkte nur schwer die Kälte hinter den blauen Augen, die Anspannung an seinem Körper. Kaum einer wusste, dass Kjell eigentlich keine Schläger brauchte.

Doch die ihm eingeteilten Schuldner lernten schnell.
 

Ich war oft dabei, als einer der zahlreichen Knaben, die einen Schlagring auf den Knöcheln trugen und eine Waffe unter der Jacke. Wir waren eine müde Abschreckung, Klischee pur. Doch wir waren auch die Maske, die ablenken sollte von der eigentlichen Gefahr im Raum. Die meisten Schuldner waren leere Drohungen durch Bodyguards wie uns gewohnt und ließen sich durch solches Faustschütteln nicht zureichend beunruhigen.

Mit einem, knapp 1,75 m großen Mann mit starkem schwedischen Akzent, der ihnen ohne Vorwarnung ein Whiskeyglas im Gesicht zerschlug, rechneten die Wenigsten.

Ein solch fataler Irrtum war einem irischen Pubbesitzer in London unterlaufen, als Kjell dort gerade mal ein Jahr sesshaft geworden war. Sein Gesicht musste an mehreren Stellen genäht werden. Er erblindete auf einem Auge.
 

Damals war er einem gewissen Ferall Johnson unterstellt, der schon länger verstorben ist, weshalb ich diesen Namen ohne Gefahr öffentlich nennen kann.

Kjell Hellqvist war der Racheengel vieler Bosse, doch nie war er selbst an oberster Stelle. Abgesehen davon, dass man ihn in den obersten Rängen nicht als ebenbürtigen Partner akzeptiert hätte, weil man Angst vor seiner kalten, jähzornigen Natur hatte, bei der man nicht wusste, wann er sie einen spüren lies, hatte Kjell in den ersten Jahrzehnten seines kriminellen Lebens kein Interesse an diesen Positionen.

Erst viel später im Alter von 41 Jahren streckte er die Hände nach Johnsons wohl gehütetem Regentensitz aus und hatte nach dessen Tod sofort Erfolg.

Ich weiß, was Sie jetzt denken, aber ich muss Sie enttäuschen: Ferall Johnson starb während eines Urlaubs in den Schweizer Alpen bei einem Lawinenunglück. Es lässt sich aber nicht genau sagen, was geschehen wäre, hätte der Alte noch einige Jahre auf seinem Thron gesessen.
 

Ich lernte Kjell kennen, da war er 30 und ich neun Jahre älter.

Für mich begann der Tag unseres ersten Treffens schon seltsam, als ich durch einen Anruf von Johnsons Vertrautem Janek aus dem Bett gerissen wurde und dabei so heftig mit dem Fuß gegen die Bettkante stieß, dass mir der kleine Zeh brach. Unter schmerzhaften Schreien verstand ich gerade noch, dass ich bis zwei Uhr im Hauptquartier zu sein hatte und dass man einen neuen Job für mich hatte.

Dann warf ich mir eine Jacke über den Pyjama, da ich wirklich schreckliche Schmerzen hatte und fuhr ohne Umschweife ins Krankenhaus, wo man mir den Fuß eingipste. Wie ich dort heil mit dem Auto ankam, ist mir bis heute ein Rätsel.
 

Mir blieben noch gut zwei Stunden bis zum Treffen. Ich wollte eigentlich zurück und mir noch schnell etwas Ordentlicheres anziehen. Doch wie schon gesagt: War nicht gerade mein Glückstag.

Auf dem Weg zu meiner Wohnung geriet ich in einen Stau und egal welchen Weg ich nahm, überall Stillstand. Meine Wohnung lag auch mitten im Inneren Londons und es war Montagmittag. Ich fluchte und kehrte um, weil die Zeit sonst nicht reichen würde, da ich davon ausging, dass ich für den Rückweg auch länger brauchen würde, wenn sich der Verkehr nicht auflöste. Und Zu-Spät-Kommen kam nicht in Frage!

Ich parkte wie immer vier Querstraßen entfernt vom HQ-Eingang und machte mich zu Fuß auf den Weg, den Mantel so um mich gelegt, dass ich nicht allzu sehr auffiel, auch wenn das Viertel in dem sich Johnsons Büro befand, heruntergekommen genug war, um auch einen Mann mit Pyjama nicht auffällig zu finden.

Ich bog um die letzte Straßenecke und konnte die dunkelgrüne Markise über dem Kneipeneingang, über der sich der Treffpunkt befand, bereits sehen, als ich plötzlich mit einem großen Schwall schwerer Flüssigkeit kollidierte.

Von Kopf und Schultern tropfte weiße Farbe auf meinen Mantel und den Gehsteig.

Ich sah verdutzt nach oben. Über mir war ein junger Hausmaler dabei, sich wie ein Verrückter für das Missgeschick zu entschuldigen. Der Kerl wusste nur zu gut für wen ich arbeitete.

Neben seinem Knie sah ich einen nun leeren Farbeimer.

Ich war zu paralysiert um ihn zu vermöbeln oder anzuschreien oder beides, zog den Mantel nur stumm enger um mich und setzte meinen Weg fort.

Die innere Lähmung blieb bestehen bis ich in Johnsons Büro stand: Mantel halb offen, im Pyjama mit einem Gipsfuß und nur einem Schuh, teilweise überzogen mit einer noch feuchten Schicht weißer Farbe.

Johnson saß hinter seinem schweren Schreibtisch.

Die Hände in der Bewegung – wahrscheinlich um sich Kaffee einzuschenken – eingefroren, starrte er mich an wie einen Irren.

Vor dem Tisch, halb zu mir gedreht in dem weichen dunkelgrünen Ledersessel, in dem Johnsons wichtiger Besuch immer Platz nahm, saß ein Mann in einem grauen, ärmellosen Pullover, darunter ein weißes Hemd, und betrachtete meine Erscheinung mit einem undefinierbaren Ausdruck.

Dann sah er mir in die Augen, ich erwachte langsam aus meiner Starre und erinnerte mich entsetzt daran, wie ich aussehen musste. Doch ich bewegte mich nicht, aus Furcht die Situation könnte sich auf mich stürzten und mich zerfleischen.

Der Mann im grauen Pulli sah mich fortwährend an, seine Mundwinkel zuckten, dann brach er so plötzlich in schallendes Gelächter aus, dass Johnson hinter seinem Tisch erschreckt den heißen Kaffee auf seiner Hose verteilte.

Er hatte ein kräftiges, bellendes Lachen. Er lachte mit dem ganzen Gesicht. Damals lachte er wirklich und aus vollem Herzen, bis ihm Tränen in die Augen stiegen. Vielleicht habe ich ihn deshalb sofort gemocht. Vielleicht war es aber auch seine gesamte Erscheinung.

Wie er dasaß, versunken in den noblen Lehnen des Sessels, die gepflegten Hände über dem Bauch gefaltet, die aufmerksamen blauen Augen auf mich gerichtet mit einer letzten Spur seines Lachens auf den Lippen. Braunes Haar mit einem sehr leichten, kaum erkennbaren, gräulichen Nebel.

Er war ein Wolf. Und ich hatte die Ehre zu seinem Rudel zu gehören und mit ihm Jagen zu gehen.

Leonard Kjell Hellqvist wurde ab da an – auch wenn er fast 10 Jahre jünger als ich war – mein Mentor, ein Teil meines Lebens.

Seid jenem Augenblick verbrachten wir jeden Tag fast 16 Stunden zusammen, erledigten Jobs und planten Aktionen. Ich war sein Vertrauter und manchmal sogar sein Freund. Ich begleitete ihn im Schatten, schützte ihn mit meinem Leben und meiner Gesundheit. Er gab mir dafür neben Geld auch Wissen.

Durch ihn weiß ich jetzt, wie die Welt wirklich tickt, wie sie jeden verschlingt, der nicht weiß, dass ihre Zähne überall sind und immer scharf.

Er gab mir die Gewissheit mehr zu sein als andere denken, doch immer weniger zu sein, als ich selbst dachte.

„Solange du lebst“, sagte er, „wirst du entweder zufrieden mit dir sein oder du wirst zweifeln und versuchen zufrieden zu werden. Beides zeichnet einen dummen Menschen aus. Ein kluger Mensch hört nie auf zu zweifeln. Er wird unvollständig geboren und unvollständig begraben, denn er weiß: Zufriedenheit ist eine Illusion. Sie hält uns vom wachsen ab.“

Kjell war nie zufrieden. Er hatte einen steten Hunger in sich. Einen Hunger nach Geld, nach Einfluss, nach Blut und manchmal, in einsamen Nächten, nach Frauen. Ich half ihm lediglich seinen Hunger zu stillen. Ich war Chauffeur, ich war Bodyguard. Ich besorgte Alkohol zum Betäuben, Frauen zum amüsieren, Drogen zum entspannen.

Und ich sorgte dafür, dass er aufhörte, bevor er sich vergaß. Ich schützte somit nicht nur ihn, sondern auch so manches Mädchen. Kjell brauchte keinen Alkohol und kein Koks, um gewalttätig zu werden. Ihm musste nur danach sein und er schlug jemanden nieder. Manchmal befriedigte er seine Bedürfnisse lieber mit Gewalt, weil er nur dann noch genügend Erregung verspürte, dann warf er die Mädchen vor die Tür und ich fuhr sie weg, bezahlte sie, sorgte dafür, dass es ihnen besser ging.

Wie ich so etwas aushalten konnte?

Nun ja, ich konnte es einfach. Ich dachte einfach nicht viel darüber nach. Kjell hatte diese Phasen. Ausbrüche ohne ersichtlichen Grund. Er stand ständig unter Strom. Der Wolf sieht den Mond und heult ihn an. Wahrscheinlich weiß er selbst nicht mehr wieso.

Aber da war noch eine andere Seite. Die, die ich Ihnen am Anfang dieses Artikels zu erläutern versprochen hatte. Die, die die Gesellschaft nicht kennt und die, die nicht in dieses Bild vom großen englischen Alptraum passt. Niemand will hören, dass ein Menschenhändler, ein Drogenbaron, ein Schlächter mehr als ein Tier ist. Niemand will wissen, dass da immer etwas Menschliches ist, egal unter wie viel Dreck es begraben liegt.

Ich möchte, Lieber Leser, Ihnen diese kleine Wahrheit, diesen einzigen weißen Fleck auf der Weste von Kjell Hellqvist nicht vorenthalten. Ich will sie Ihnen zeigen, die kleine Idee vom Glück, die Kjell hatte.

Sein Bruder Sören hat eine kleine Tochter. Ich möchte ihren Namen hier nicht nennen, um sie und ihre Eltern nicht zu gefährden, die schon etliche Male wegen Drohungen haben umziehen müssen. Jetzt hat für sie vielleicht der Alptraum ein Ende.

Noch Jahre bevor herauskam, in wie viel kriminelle Machenschaften Kjell verwickelt war, waren er und sein Bruder eine Einheit. Sie haben viel miteinander unternommen, waren zusammen Angeln und Jagen. Als Sören Vater wurde, wurde Kjell Patenonkel. Er liebte das Mädchen vom ersten Augenblick an und schenkte ihr ohne Zögern sein ganzes Herz. In ihrer Gegenwart war er anders. Ruhig, vorbildlich, ausgeglichen. Er lächelte, wenn er von seinen Besuchen zurück kam. Er trug immer ein Bild von ihr mit sich, egal wohin er ging, und selbst nachdem er und sein Bruder auseinander gegangen waren, hat er immer wieder versucht zu ihr Kontakt aufzunehmen. Doch er hat es nie erzwungen, dafür liebte er seinen Bruder und sein kleines Mädchen zu sehr.

Sieben Jahre hat er mit ihr verbracht und sie behandelt, wie seinen größten Schatz.

Kjell hat sie nie vergessen, er hat nicht mehr von ihr gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass es ihn gequält hat, sie nicht mehr sehen zu könne, ihr nicht zu schreiben oder sie anzurufen.

Und ich bin mir auch sicher, dass ihr Gesicht dass letzte war, welches er vor Augen hatte, als er starb. Anders kann es nicht sein, denn selbst kluge Menschen wie er müssen etwas haben, was sie für einen kurzen Moment zufrieden macht, vollständig.
 

Kjells Reise nach Sydney zu einem Geschäftspartner und der anschließende Flug nach Los Angeles zu einem weiteren Meeting mit einem wichtigen Kunden sind der letzte Abschnitt einer dunklen Ära. Seine Unersättlichkeit trieb ihn immer wieder dazu sein Revier zu vergrößern, seinen Arm zu verlängern und Kontakte auf allen Kontinenten zu knüpfen. Er konnte nicht aufhören, denn er hatte nichts anderes. Ich will nicht behaupten, ich hätte nicht gewusst, dass es so ein Ende nehmen würde, aber ich kann mich nicht all den Menschen anschließen, die seinen Tod bejubeln.
 

Leonard Kjell Hellqvist ist zwar tot, aber das Problem lebt. Die Welt ist voll damit, mit Korruption, Scheinheiligkeit, Brutalität, Prostitution, Drogen und Wut. Mit Unzufriedenheit.

Ich kann mich nicht frei schreiben oder frei reden von meiner Schuld, aber ich kann mein Wissen weitergeben, über die Welt und darüber, dass nicht Alles immer so einfach ist, wie wir es gerne hätten.

„Was schert mich, wie die Zeitungen mich sehen und was die Sender über mich sagen, wo ich doch genau weiß, dass sie noch nicht einmal wissen, warum ein Vater dreier Kinder einen fremden Jungen vergewaltigt und tötet oder warum ein Schüler seine Mitschüler und Lehrer erschießt.“, hat er mir einmal gesagt, „Die Presse ist ein Club eitler Waschweiber, die über jeden etwas zu sagen wissen, nur über sich selbst nicht.“
 

Ich bin jetzt am Ende meines Berichtes angekommen und habe noch lange nicht Alles gesagt, was es da zu sagen gibt. Aber ich gebe mich zufrieden, wenn ich nur noch eine persönliche Nachricht schreiben darf:
 

Ich wollte nicht, dass diese Waschweiber eine Zusammenfassung schreiben, Kjell. Ich hoffe du verzeihst mir das, wenn wir uns wieder sehen. Und ich hoffe du verzeihst mir auch , dass ich versuchen werde, zufrieden zu sein. Du hast wohl immer gewusst, dass ich ein dummer Mensch bin.
 

H.D.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Vanilla_Coffee
2011-02-17T18:03:54+00:00 17.02.2011 19:03
...........wow........
*total baff ist*
Nachdem ich es endlich mal geschafft habe diese FF zu lesen (und nachdem ich dazu von dir genötigt wurde XD) muss ich echt sagen, dass ich mit Kjell sicher noch aneinander geraten werde XD
Aber echt toll wie du dir den ganzen Chara ausgedacht hast und alles o.o
*beeindruckt ist*
Ich freu mich schon was noch alles im RPG dann passieren wird mit diesem neuen und tollen Chara^^

LG Amalia
Von:  Chosei
2011-01-30T19:12:10+00:00 30.01.2011 20:12
wow....oh ja, wow....
also, Kjell klingt nach einem unheimlich interessanten und facettenreichen mann. nach jemandem, den man eigentlich nicht mögen sollte, der aber trotzdem irgendwie sympathisch ist. der charmante bösewicht, der unheimlich elegant rüber kommt, aber gleichzeitig mit einem lächeln auf den lippen den tot bringen kann.

das ich deinen schreibstil bewundere, weißt du ja schon.
in fomr eines zeitungsartikels zu schreiben ist ein sehr interessantes stilmittel, finde ich.
und irgendwie finde ich den schreiber auch sympahtisch.
vielleicht bin ich auch einfach nur komisch. wie dem auch sei, ich bin sehr darauf gespannt, auf Kjell zu treffen...ich befürchte, ich werde ihn anbeten.

mach weiter so tolle geschichten.
*knuff*
Von:  OzeanKatze
2011-01-29T11:23:05+00:00 29.01.2011 12:23
Ich bin noch nicht durch mit dem Lesen..und weiß auch nicht ob ich es überhaupt schaff das hier heut noch zu lesen..aber..wow..
Ich mag deinen Schreibstil...(vlt sollte ich erwähnen, dass ich normalerweise grundsätzlich keine fanfics lese..) Aber du hast mich neugierig gemacht..und ich wurde nicht enttäuscht.
Es ist echt beeindruckend wie du dir diesen Chara bis ins letzte Details ausgedacht und konzipiert hast..
*räusper*
Nu kling ich wie ein Tutor..
Naja..also..du hast jedenfalls einen erklärten Fanfic-Gegner zum Fan gemacht..Hut ab..

dein Fan



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