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Doane Shi

Reisewichteln für Ito-chan
von

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Tanzen – wirbelnd, springend, duckend. Wie sie hierher kam? Sie wusste es nicht. Wo „hier“ war? Es war ihr egal. Nur tanzen musste sie. Tanzen, um das Feuer herum, unter dem sternenbedeckten Himmel Schottlands in der kürzesten Nacht des Jahres.

„Und wie gefällt dir Callanish?“ Sie lächelte ihren Partner an ohne in der Bewegung innezuhalten. Sie hatte ihn vor dieser Nacht nicht gekannt, aber er gefiel ihr.

Er hatte sie eingeladen, zur Sonnenwendfeier im Steinkreis von Callanish. Hübsch war er ihr erschienen, anziehend, seltsam magisch.

Widerspruchslos war sie ihm gefolgt, blind für den Weg den sie gegangen war, in die Dunkelheit in der nur die Flammen Licht spendeten und die Steine um sie herum erhellten.

Freude hatte er ihr versprochen, Glückseligkeit, eine Nacht die sie nie vergessen würde.

Sie spürte seine Hände an ihrem Körper, an ihrer Taille, wie er sie herumwirbelte. Wieder flohen ihre Gedanken, ließen allein Gefühl zurück, Nachtwind im Haar, Feuerhitze auf ihrer Haut, seine Hände in den ihren.
 

One night to be confused (Eine Nacht um verwirrt zu sein)

One night to speed up truth (Eine Nacht um die Wahrheit anzutreiben)

We had a promise made (Wir hatten ein Versprechen)

Four hands and then away (Vier Hände und dann fort)
 

Sie fühlte sich gefangen in einem Traum, schön und seltsam zugleich, beängstigend und doch ihre Ängste verdrängend.

Vernunft versuchte sie zu warnen, vor den fremden so magisch wirkenden Leuten, mit den unmöglich gleichmäßigen Gesichtszügen, den fast katzenhaft wirkenden Augen, dem Silberglanz im Haar.

Jubelnd übertönte ihr Herz den Geist, zu gefangen in eben dieser Seltsamkeit.

„Doane Shi“, mahnte sie ihre Vernunft.

„Elfen“, lachte ihr Herz, verzaubert von der Andersartigkeit.

„Denk an die Warnungen“, versuchte es ihre Vernunft.

„Ängstlichkeit alter Leute“, tat ihr Herz es ab.

„Sei vernünftig“, riet ihre Vernunft.

„Öffne dein Herz“, befahl ihr Herz.

„Denke nicht, fühle“, hörte sie die Stimme ihres Partners in ihrem Ohr. Sie versuchte es, versuchte die Warnungen der Leute zu ignorieren, vor den Doane Shi, den guten Leuten die Menschen in Tod und Verderben trieben, ihnen ihr Leben und ihr Glück raubten, nachdem sie ihnen eine Nacht der absoluten Schönheit geschenkt hatten.

„Hüte dich“, flüsterte ihre Erinnerung, „schön und grausam zugleich, gibt es kein Entkommen, bist du erst einmal in ihren Fängen.“

„Ammenmärchen“, wisperte eine andere Erinnerung, „es gibt keine Doane Shi, keine Magie.“

Katzenhafte, grüne Augen bohrten sich in die ihren, als sie aufsah. Feingliedrige lange Finger strichen über ihre Wange. „Tanze“, ordneten dünne, geschwungene Lippen an und sie gehorchte.

Wie in Trance fühlte sie sich, überwältigt von der Vielfalt und Stärke der Eindrücke. Sie vermeinte die Flammen zu schmecken, die Melodien zu sehen, die Dunkelheit außerhalb des Steinkreises zu hören.

Er murmelte weiter in ihr Ohr, Worte, deren Bedeutung sich ihr entzog, die das Gefühl der allumfassenden Wahrnehmung jedoch verstärkten.

Gebrochen wurde der Bann erst durch ihre Vernunft, schneidend scharf wie ein Rasiermesser durchdrang sie die Weichheit der Gefühle: „Flieh!“
 

Both under influence (Beide im Bann)

We had divine sense (Wir hatten einen göttlichen Sinn)

To know what to say (Wissend was zu sagen ist)

Mind is a razor blade (Der Geist ist eine Rasierklinge)
 

Sie weigerte sich, nicht gewillt sich der Realität zu stellen.

„Dann bete zur Rettung deiner Seele!“ Wieder weigerte sie sich. Was brachte ihr ein Gott, der sich nicht für sie interessierte? Warum sollte sie die Schönheit des Augenblicks eintauschen für ein versprochenes Paradies, welches es gar nicht geben mochte?

Wieso sollte sie eine Gestalt um Hilfe bitten, welche sich ihr noch nie gezeigt hatte? Stattdessen gab sie sich dem Tanz hin.
 

To call for hands of above to lean on (Nach Händen von oben zu rufen um daran zu lehnen)

Wouldn't be good enough for me, no (Wäre nicht gut genug für mich, nein)
 

Es war eine Erfahrung, die sich ihren Worten entzog, ein Rausch ohne Droge. Sie fühlte sich als könnte sie ewig so weitermachen, während sie gleichzeitig wusste, dass das unmöglich war. Wieder spürte sie seine Hände die sie drehten, sie herumwirbelten.

Der Takt der Musik änderte sich, er wurde dumpfer, rhythmischer, die sanften Klänge wichen hämmernden Trommeln. Gesang erhob sich in einer ihr unbekannten Sprache und doch spürte sie die Worte in ihrem Blut, wie sie pulsierend durch ihre Adern rauschten.

„Sing mit“, flüsterte seine Stimme und sie öffnete den Mund um zusammen mit den anderen die fremden Worte in die Nacht hinauszuschreien. Die Farben der Welt schienen sich zu verändern, in einen wilden Wirbel zu zerfallen, der die Dinge verschwimmen ließ. Es war ihr unmöglich zu sagen wo unten und wo oben war, ob sie aus eigener Kraft tanzte oder von einer unsichtbaren Strömung umher geschleudert wurde.

Bilder formten sich vor ihren Augen oder vielleicht formten sie sich auch direkt in ihrem Geist. Und trotz des Bewusstseins, dass diese Bilder schärfer und kontrastreicher waren als alles, was sie bisher erlebt hatte, war es ihr unmöglich zu sagen was sie sah, sie konnte es nicht einmal beschreiben, doch es trieb sie an lauter zu singen oder vielleicht auch zu schreien, der Unterschied war ihr entfallen.

„Trink“, spürte sie die Stimme mehr als dass sie sie hörte. „Trink und bleibe“, drang es verführerisch in ihr Ohr, doch sie konnte nicht, konnte die Trance nicht unterbrechen die sie gefangen hielt. „Trink“, kam es wieder, diesmal harscher, befehlender und ein Becher wurde ihr an die Lippen gesetzt.

Sie wirbelte weiter, unwillig eine Pause zu machen. Trinken, Essen, Nebensächlichkeiten angesichts des Rauschs in den sie verfallen war.

Harte Hände hielten sie, drückten ihr wiederum das Gefäß an den Mund. Erbost schlug sie es fort, glaubte wahrzunehmen wie es scheppernd zu Boden fiel und sein Inhalt im Boden versickerte. Unbeirrt tanzte sie weiter, doch sie spürte die Veränderung. Der Rausch ließ nach, die Welt kehrte zur Normalität zurück.

Verwirrt wurde sie langsamer, als auch die Musik verschwand, verharrte orientierungslos in der Dunkelheit. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Augen geschlossen hatte und öffnete diese, sich fragend umblickend. Dunkelheit umgab sie, erhellt nur vom blassen Licht der Sterne. Sie konnte die Monolithen des Steinkreises um sich herum erkennen, die sie vorher so bewundert hatte, doch das Fest, welches eben noch in vollem Gange war, war fort.
 

One night of magic rush (Eine Nacht des magischen Rauschs)

The start, a simple touch (Am Anfang, eine simple Berührung)

One night to push and scream (Eine Nacht um voranzutreiben und zu schreien)

And then relief (Und dann Befreiung)
 

Stunden war sie umhergeirrt, unfähig sich an die Schritte des Weges zu erinnern den sie gegangen war, um nach Callanish zu gelangen. Schließlich hatte sie ein Licht entdeckt, welches aus dem warm erleuchteten Fenster eines kleinen Hauses gedrungen war. Auf ihr Klopfen hin hatte eine alte Frau geöffnet, welche sie herein gebeten hatte. Dankbar war sie der Aufforderung gefolgt, denn der Nachtwind, welcher ihr während des Tanzes noch so verheißungsvoll erschienen war, war nun kalt und schneidend.

Als Muira Nic Aoidh hatte sich ihre Gastgeberin vorgestellt und sich nicht das kleinste bisschen über ihre seltsame Geschichte gewundert. Stattdessen war nur ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschienen. „Du hast Glück gehabt, mein Kind“, hatte sie mit schwerem gälischem Akzent gesagt, „nur wenige entkommen den Doane Shi. Zehn Tage sind seit der Mittsommernacht vergangen und hättest du etwas getrunken, wärst du nie wieder zurück gekehrt. Aber lass uns morgen darüber reden und schlaf dich erst einmal aus.“

Das Bett, welches ihr angeboten worden war, war weich und bequem, klein, aber gemütlich. Lange ließ der Schlaf auf sich warte, während immer wieder verschwommene Bilder der Nacht durch ihre Gedanken zogen. Es war so echt gewesen, so warm, so… schön.

Sie dachte an das Versprechen, welches er ihr gegeben hatte, dass sie die Nacht nie vergessen würde. Wie recht er hatte, obwohl sie sich doch so betrogen fühlte. Nie würde sie die Nacht vergessen, denn sie hatte sich verliebt, nicht in ihn, nicht in eine Person, sondern in diesen gefühlten Rausch, den Überfluss der Eindrücke, die nun verblassten. Rotes Feuer und blaue Nacht blieben ihr in Erinnerung doch der Rest würde nach und nach im Nebel des Vergessens verschwinden.
 

Ten days of perfect tunes (Zehn Tage der perfekten Melodien)

The colors, red and blue (Die Farben, rot und blau)

We had a promise made (Wir hatten ein Versprechen)

We were in love (Wir waren verliebt)
 

Nachdenklich dachte sie an das abrupte Ende der Melodien, an ihre Ablehnung des Bechers, der ihr eine Ewigkeit des Tanzens beschert hätte. Warum? Warum ablehnen, was sie doch glücklich gemacht hätte?

Nachdenklich tastete sie nach ihrem Kettenanhänger, wie immer wenn sie tiefer in Gedanken versank. Es war ein einfaches Silberkreuz, ein Geschenk ihrer Großmutter. Eine Erinnerung an ihre Familie, kein Symbol für ihren Glauben. Wie konnte sie an etwas glauben, was sie nicht sehen, nicht hören, nicht fühlen konnte?

Die Doane Shi… sie hatte sie gesehen, die Stimmen gehört, die Magie gefühlt. Es war wirklicher gewesen als ein Gott, dessen Anhänger einen ans Kreuz geschlagenen Leichnam anbeteten.

Und doch… wieder befingerte sie ihren Anhänger, hob ihn vor ihre Augen um ihn im durchs Fenster einfallenden Sternenlicht besser betrachten zu können.

Abgegriffen und glatt die Oberfläche, kaum noch zu erkennen die ehemals eingravierte keltische Ornamentik. Sie vertraute nicht auf einen Gott, an den sie nicht glaubte – doch was, wenn er doch existierte, schützte?
 

To call for hands of above (Nach Händen von oben zu rufen)

To lean on (um daran zu lehnen)

Wouldn't be good enough (wäre nicht gut genug)

For me, no (für mich, nein)
 

Entschlossen packte sie das Silber fester. Sie würde die Nacht behandeln wie einen Traum. Morgen würde sie weiterreisen, nach Stornoway, vielleicht Lews Castle besichtigen. Kein Wort mehr würde sie verlauten lassen über das Versprechen, welches er ihr gegeben hatte, über das Glück welches sie erlebt hatte, nur damit es ihr kurz darauf wieder entrissen wurde.

Doch ihre Gedanken würden zurückkehren zu dem zehn Tage dauernden Traum, der ihr doch wie eine Nacht erschienen war, zu den flackernden Flammen, den sanften Melodien und dem fremden Herzschlag, der ihr Leben für diese kurze Zeit bestimmt hatte.
 

And you (Und du)

You knew the hand of the Devil (Du kanntest die Hand des Teufels)

And you (Und du)

Kept us awake with wolf's teeth (hieltest uns wach mit Wolfszähnen)

Sharing different heartbeats in one night (Verschiedene Herzschläge teilend in einer Nacht)



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