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Die Legende vom Avatar

von

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Schreie. Panische Schreie. Mütter, die nach ihren Kindern suchten, Kinder, die weinten und verzweifelt nach ihren Müttern brüllten, doch ihre Rufe wurden vom tosenden Donner der Welle verschluckt, die unbarmherzig auf sie nieder raste.

Kenai wusste nicht, wie ihm geschah. Jemand zerrte an ihm, schrie ihm etwas zu, doch er verstand die Worte nicht, die Augen fassungslos auf die tödliche Wand gerichtet. Er hatte keine Zeit zu denken, keine Zeit Angst zu verspüren. Zu gewaltig war das Wasser, zu schnell stürzte sich die Wand auf ihn herab. Er wusste, dass er irgendetwas sagte, irgendetwas schrie, doch der Lärm war so gewaltig, dass er sich nicht hören konnte. Niemand schien ihn zu hören. Alle versuchten in ihrer Panik zu fliehen, sich in Sicherheit zu bringen, doch es war bereits zu spät. Sie konnten nicht weg. Es gab keinen Ort, wohin sie hätten fliehen können. Sie waren dem Tode geweiht und sie wussten es. Selbst Kenai wusste es. Er mochte einer der begabtesten Wasserbändiger seines Stammes sein, doch dem Monstrum, das über ihm zusammenbrach, war er nicht gewachsen. Er wollte wegrennen, sich in Sicherheit bringen, doch er konnte nicht. Seine Beine gehorchten ihm nicht. Alles brüllte in ihm, verlangte von ihm die Flucht zu ergreifen und doch … wollte er es nicht. Er wollte nicht fliehen. Im Bruchteil einer Sekunde wurde ihm das bewusst und noch eher er begriff, was das bedeuten würde, stieß er einen lauten, trotzigen Schrei aus, der alle um ihn herum Verstummen ließ. Er wirbelte herum, die Arme gebieterisch in die Lüfte erhoben. Vor seinen Füßen brach der Boden auf und raste in die Höhe, folgte seinen raschen Bewegungen und begann sich über ihren Köpfen zu verformen.

Kaum hatten die anderen Erdbändiger begriffen, was er vor hatte, halfen sie ihm und kaum das ihre erdige Kuppel sich über sie geschlossen hatte, brach die Welle endgültig über sie herein.

Sie waren in absolute Finsternis getaucht. Ein furchtbaren Donnern und Krachen erfüllte die Luft. Der Boden bebte. Alles dröhnte und drückte furchtbar auf die Ohren, so schlimm, dass ihnen die Augen tränten. Kenai konnte sich kaum auf den Beinen halten. Immer wieder drohte er wegzurutschen, während er mit aller Macht seine Hände in die Erdkuppel drückte, verzweifelnd versuchend das Wasser zurückzuhalten. Seine Glieder begannen zu schmerzen. Er zitterte, doch er wagte es nicht sich auch nur eine einzige Sekunde zu entspannen. Er konnte die Wassermassen spüren, die gegen ihre winzige Festung drückten, unbarmherzig versuchend sie in den Tod zu reisen. Seine Muskeln begannen zu bersten. Stechender Schmerz benebelte seinen Geist. Ein wiederwertiger, metallener Geschmack erfüllte seinen Mund. Er merkte noch nicht einmal wie fest er sich auf die Lippen biss. Er wusste gar nichts, nicht einmal wie viele Menschen sich unter der Kuppel befanden, die er mit aller Macht zu halten versuchte. Er wusste nur, dass er sich mit ganzer Kraft gegen die Fluten stemmte, während seine Beine unter der Last immer wieder wegrutschten.

Plötzlich spürte er, wie sich jemand gegen ihn lehnte. Anyu. Mit ganzer Kraft stemmte sie sich gegen ihn und gab ihm den Halt, den er so dringend brauchte. Er lächelte schwach, nur von dem Ziel erfüllt, das Ganze irgendwie zu überstehen, doch plötzlich zerfetzte ein entsetzter Schrei seine Konzentration.

„WASSER!“

Kenai konnte nichts sehen, doch er konnte förmlich spüren, wie etwas in der Mauer brach. Es knirschte und krachte und zischte. Wasser drang ins Innere der Kuppel und umspülte rasch seine Knöchel. „Nicht nachlassen!“, brüllte Kenai gegen den tosenden Lärm an und ließ von seiner Seite der Kuppel ab, um das Wasser zu Eis gefrieren zu lassen.

„W-Was ist das?“, rief jemand panisch.

„Ist doch egal!“, rief Kenai, der sich wieder auf seine Wand konzentrierte. „Nur nicht nachlassen!“ Sekunden wurden Minuten und Minuten zu Stunden. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Kenai spürte, dass der Druck des Wassers langsam nachließ. Kurze Zeit später ließ er sich entkräftet zu Boden fallen. Sein ganzer Körper schmerzte, seine Arme zitterten unaufhörlich. Ihm war spei übel und er war heil froh, dass er sich bei der Dunkelheit nicht selber sehen konnte. Wenn er auch nur halb so aussah, wie er sich fühlte, wäre das kein schöner Anblick. Um ihn herum war es ruhig geworden. Keiner wagte es zu reden. Nur selten drang ein verängstigtes Wimmern an seine Ohren. Niemand schien es zu wagen das erste Wort zu ergreifen. „Ist … ist alles okay?“, fragte Kenai schließlich. Seine Stimme war entsetzlich zittrig. Leises Gemurmel wurde laut.

„Ist es vorbei?“, wagte es jemand vorsichtig zu fragen.

„Ich … ich denke schon. Lasst mich nachsehen.“ Anyu half ihm wieder auf die Beine zu kommen.

Wenig später stand er alleine auf der Kuppel und ließ seinen Blick über das Land schweifen. Es war noch dunkel. Doch das fahle Licht des Mondes reichte, um das Ausmaß der Verwüstung erkennen zu können. Bäume waren entwurzelt und von der Wucht der Strömung hinfort gerissen worden. Schutt, Schlamm und Geröll trieben auf dem ruhigen Wasser, das die Landschaft in einen See verwandelt hatte, doch es begann bereits im Boden zu versinken. Nichts war mehr vom kleinen Tal geblieben. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Vor wenigen Minuten war der Ort hier noch voller Leben gewesen, doch jetzt … Wut keimte in ihm auf und er ballte die Hände zu Fäuste. Hinter ihm krochen bereits die ersten aus ihren Löchern und sahen sich um, die Hände vor Entsetzen vor den Mund geschlagen. Einige sanken auf die Knie und schluchzend, während ihre Familie oder Freunde versuchten sie zu beruhigen. Vergebens. Immer mehr kamen aus dem Loch, doch dann, viel zu früh, kam niemand mehr. Alle Augen richteten sich auf einen der Erdbändiger, der als letztes zu ihnen gestoßen war. Seine Gesichtszüge entgleisten, als er ihre Blicke gewahr wurde. „Ich …“, stammelte er, die Augen blutunterlaufen, „ich war der letzte.“

Ein fürchterlicher, herzzerreißender Schrei erfüllte die Luft, ein Klang voller Leid und Schmerz. Eine Frau drehte sich verzweifelt im Kreis und raufte sich die Haare, während sie weinend nach ihren Liebsten rief, doch es gab niemanden, der ihr hätte antworten können. Ein kleiner Junge stand einsam zwischen all den Erwachsenen und sah sich um, vollkommen verängstigt und verstört, ohne jemanden, der ihn hätte in die Arme nehmen können. „Mami?“, fragte er leise. Dicke Tränen rollten ihm übers verschmutzte Gesicht. „Mami …? Mama, wo bist du? MAMAAAAAAA!“ Doch seine Mutter gab es nicht mehr.

„Hat … hat jemand Tuk gesehen?“, fragte einer der Erdbändiger mit brüchiger Stimme. „Tuk! TUUUUKKKK!“

„Da!“, rief plötzlich jemand und deutete auf etwas im Wasser. Jemand sprang. Die Welt verstummte, die Zeit schien still zu stehen. Wie in Trance taumelte Kenai an den Rand der Kuppel und half die Last an Land zu ziehen. Alles drehte sich in ihm, er würgte. Im Licht des Mondes konnte er das seltsam blasse Gesicht einer Frau erkennen, die leblosen Augen gebrochen gen Himmel gerichtet. Ihre nassen Haare klebten ihr im Gesicht. Mit zitternden Händen strich Kenai sie zur Seite. Die Haut war bleich und kalt. Er erkannte die Leiche. Noch vor wenigen Stunden hatte sie ihm seine neuen Kleider gegeben. Sie hatte mit ihm geredet, voller Sorge um ihre im Krieg kämpfenden Kinder. Sie war freundlich zu ihm gewesen, ohne dass sie ihn gekannt hatte. Sie hatte ihm geholfen sich zu waschen. Sie, die Frau, deren Namen er noch nicht einmal kannte und die so voller Leben gewesen war … Sie würde nie wieder ihre Kinder sehen können, nie wieder mit ihnen reden oder in die Arme nehmen können … Fort. Sie war fort und ihre kalten, leeren Augen würden nie mehr das Licht des anbrechenden Tages sehen können …

Kenai taumelte zurück. Er schwankte, seine Knie zitterten, konnten ihn nicht mehr tragen. Würgend brach er in sich zusammen, konnte nicht mehr atmen. Der Gestank von gebrochenem brannte ihm in der Nase, benebelte seine Sinne. Überall Schreie, verzweifelte Rufe, weinen, Stille … So viele fehlten … So viele würden nie mehr nach Hause kommen, nie wieder mit ihren Freunden lachen können … Sie waren fort, in eine Welt, in die man ihnen nicht folgen konnte. Die Frau, die Mutter des noch immer verzweifelt nach ihr rufenden Jungen, Tuk … Tuk konnte das nicht überlebt haben. Die Welle war zu schnell gekommen, zu plötzlich. Mit kalter Grausamkeit hatte sie das Dorf entzwei gerissen, hatte das Leben von fast der Hälfte von ihn genommen … Ihnen … Den Bewohnern dieses friedlichen Dorfes … Das war ungerecht. Was hatten sie denn getan? Nichts!

Kenai würgte. Sein ganzer Körper bebte, während seine Wut zunehmend zu kochen schien. „Wer war das?“, fragte er und stemmte sich wieder auf die Füße. „WER WAR DAS?!“ Er brüllte. Erschrocken wichen die Dorfbewohner vor ihm zurück. Er achtete nicht mehr auf sie. Er sah sich um, suchte in der Dunkelheit die Gegend ab. Da, sich schwarz vom Nachthimmel abhebend, ragte eine Klippe empor. Anyu folgte seinem Blick. Ein dunkles, zorniges Knurren entrann ihrer Kehle, ihre Nackenhaare sträubten sich. Irgendjemand musste dort oben sein, keinen Zweifel.

Die Welt schien rot zu werden. Kenai dachte nicht mehr darüber nach, was er tat. Es interessierte ihn nicht mehr. Alles war mit einem Mal bedeutungslos geworden, alles, außer einer einzigen Frage: Wer war das gewesen? Beinahe ohne sein Zutun gefror das Wasser zu Eis, während er auf Anyus Rücken sprang, die den eisigen Pfad entlang hastete, ohne einen letzten Blick auf die entsetzen Dorfbewohner zurückzuwerfen. Sie schlitterte, sie rutschte, doch Anyu drosselte ihr Tempo nicht. Wie ein Geist rauschte sie durch die Nacht, hatte schon bald Gestein unter ihren mächtigen Pranken und sprang die felsige Klippe empor, bis sie mit einem lauten Heulen auf festen Grund landete. Einige Gestalten stolperten vor ihr zurück, erschrocken von diesem furchteinflößenden Ungetüm, das mit gefletschten Zähnen über ihnen thronte.

Fünf Männer wichen langsam vor Anyu zurück, ja darauf bedacht keine zu hastige Bewegung zu machen, die sie vielleicht hätte reizen können. Fünf Männer ließen Vorsicht walten, doch in ihren Augen konnte man sehen, dass sie alle bereit waren Anyu zu töten, falls sie sie angreifen sollten. Fünf Männer, Bändiger, die er hier nicht hatte sehen wollen.

Langsam glitt Kenai von Anyus Rücken herunter und trat an ihre Seite, ohne seinen Blick von den Kriegern zu nehmen, die gebieterisch ihre Arme hoben, bereit zum Kampf. Kenai kannte sie, jeden einzelnen von ihnen. Sie sahen ihn an, stumm und forschend. Plötzlich ließ einer von ihnen seine Deckung sinken, vollkommen überrascht.

„K-Kenai?“, fragte ihn eine vertraute Stimme verblüfft. Ungläubig löste sich Atka aus der Gruppe, wollte auf ihn zu eilen, doch ein warnendes Bellen von Anyu hielt ihn zurück. „Bist- bist du das wirklich?“ Er strahlte. Es war offensichtlich wie sehr er sich über den Anblick seines Freundes freute, doch als dieser ihn mit eiskalten Blick ansah, runzelte er die Stirn. „Was ist los?“

„Wart ihr das?“, fragte Kenai mit kalter Stimme.

Atka ignorierte diese Frage. „Wo hast du gesteckt? Wir dachten schon dich hätte es erwischt!“

„Wart ihr das?“, fragte er noch einmal, die Stimme schneidender als die seines Vaters. Erschrocken wich Atka einen Schritt zurück und sah sich irritiert zu seinen Begleitern um, unter ihnen auch Kurok, der kaum merklich die Augen verengte.

„Natürlich waren wir das“, antwortete Atka schließlich unbekümmert. „Wer hätte es denn sonst sein sollen? Du weißt doch, dass der Vollmond unsere Kräfte steigert. Nur so können wir solche Wassermassen kontrollieren.“ In seiner Stimme schwang kein Mitleid, keine Trauer, nicht einmal den leisesten Hauch von Reue mit. Nur Überzeugung und ein gewisser Stolz waren ihr zu entnehmen. Kenai sah ihn an, das Gesicht zu einer eisernen Maske gefroren. Atka begegnete seinem Blick, schien auf irgendetwas zu warten, doch was immer es auch war, was er hören wollte, er hörte es nicht. Stattdessen trat Kenai auf ihn zu, ruhig, ohne seinen Blick von ihm abzuwenden. Er war groß geworden. Hatte er vorher zu Atka aufsehen müssen, so waren sie sich nun ebenbürtig. Kenai blieb vor ihm stehen. Wortlos sah er ihn an, dann, ganz plötzlich, knallte er ihm eine.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kupoviech
2012-12-18T18:55:37+00:00 18.12.2012 19:55
Hachja,
Es ist mal wieder ein absolut göttliches Kapitel.
Ich gehe sogar etwas weiter und sage nicht nur das du zwischen Action, geheimnisvoll und gefühlvoll hin und her pendelst, sondern etwas wahres episches schaffst indem du alles gekonnt miteinander verbindest.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.^^

Kupo
Von:  Child_of_Time
2012-12-09T16:55:56+00:00 09.12.2012 17:55
Wow, ich hab gestern Abend ganz plötzlich mal wieder Lust auf eine gute Avatar-Fanfic gehabt - wer hätte gedacht, dass ich auf Anhieb eine so tolle finde!
Die Story ist klasse, sie scheint sehr gut durchdacht und ist toll geschrieben. Mir gefällt dein Schreibstil, du umschreibst viel, ohne auszuschweifen oder zu übertreiben. Die Geschichte wirkt dadurch sehr lebendig, die Charaktere individuell.
Ich bin gespannt wie es weitergeht. Ich finde es sehr interessant wie du Kenais Weltbild quasi langsam und Schritt für Schritt immer mehr in sich zusammenfallen lässt, und eigentlich auch das Bild des Lesers. Ich war sehr überrascht, als die Wasserkrieger plötzlich das unschuldige Erd-Lager angegriffen haben - sie schienen doch eigentlich die Guten zu sein, verbittert, aber nett und gerecht.
Mach weiter so, ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel, denn die Story ist sehr vielversprechend. Du pendelst sehr sicher zwischen geheimnisvoller, actionreicher und gefühlvoller Handlung hin und her, klasse!
Liebe Grüße :)
Engel_der_Nacht
Von:  fahnm
2012-12-07T21:37:23+00:00 07.12.2012 22:37
Hammer Kapi^^


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