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Engel auf Teilzeit

von

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„... bin ja Projektleiter bei Rewe. Und Sie...? Was machen Sie denn so beruflich? Ich wette Sie sind Managerin, oder so, stimmts? Irgendein ganz hohes Tier...“ Mit einem geheuchelten, neugierigen Blick sieht der Typ mir Gegenüber in der U-Bahn mich an. In wirklichkeit versucht er einen Blick in meinen Ausschnitt zu erhaschen. Ich mag diese Art von Männern nicht, die nichts anderes im Sinn hat, als Unsereins an die Wäsche zu gelangen. Ich meine, sicher, ich bin nicht die Unschuld in Person, aber ich habe Anspruch. An mich und an die Männer um mich herum. Und Männer wie dieser, Männer, die nur meine besten Stücke sehen wollen, die mich so schnell wie möglich ins Bett ziehen wollen, sind weit unter meinem Niveau.

„Ich?“ Unschuldig lächele ich den Mann an. „Ich bin Engel auf Teilzeit. Den Rest der Zeit verbringe ich damit, kleine, zu freche und neugierige Männer zurecht zu stutzen.“ Ich gratuliere mir innerlich für den Spruch. Ha, dem habe ich es gegeben, denn er sieht mich geradezu sprachlos an. Bemitleidenswerte Kreatur. Ich strecke mich, nehme mein Täschchen und stehe auf. „Tut mir Leid, ich muss hier raus. Einen Schönen Tag noch.“, wünsche ich, und dann gehe ich in Richtung der Tür. Kurz darauf hält die U-Bahn, eine blecherne Frauenstimme verkündet, dass wir die Lorenzkirche, damit die Innenstadt und auch den Christkindlesmarkt erreicht haben.

„Schönen Tag...“, kommt es gemurmelt von dem Mann. Er hat seine Sprache wieder gefunden und das noch bevor ich den Zug verlassen habe. Wow. Irgendwie bewundere ich ihn fast darum, aber ich lasse mir nichts anmerken. Vielleicht war mein Spruch doch nicht schlagfertig genug, wer weiß? Vielleicht sollte ich mal wieder an mir üben, nur so zum Spaß.

Die Stadt ist weiß. Der Traum einer Winterstadt. Und das beste ist: Ich kann sie in vollen Zügen genießen. Ich strecke mich genüsslich, ehe ich mich – wie immer mit meinen Zeichensachen ausgestattet, in ein Café setze und beginne die Menschen draußen zu skizzieren. Nur die groben Züge, für den Rest ist keine Zeit, den Rest mache ich Zuhause. Aber ich liebe diese Weihnachtsbilder, manchmal verschenke ich sie, aber die meisten von Ihnen kleiden Zur Weihnachtszeit mein Haus. Ein Mann fällt in mein Blickfeld. Er entspricht nicht dem typischen touristisch angehauchten Flair, das sonst hier herrscht. Ich liebe Nürnberg, ich liebe die Weihnachtsstadt einfach. Aber dieser Mann steht im absoluten Kontrast dazu. Seine Züge sind faltig, seine Augen wirken zugleich gehetzt und müde, seine Kleidung ist abgewetzt und unter dem Arm trägt er einen Schlafsack. Obdachlos. Auf einen Schlag tut er mir Leid. Nur ganz kurz – eine Minute vielleicht – skizziere ich. Ein markantes Kinn für einen alten Mann. Ringe unter den Augen. Des Haar grau und Dünn, an manchen Stellen schimmert die Haut bereits durch. Seine Augenfarbe kann ich auf die Entfernung nicht erkennen, aber ich tippe auf Blau. Obwohl er alt ist, ist er nicht sehnig, wie ich ihn erwarte, fast noch stark. Unerwartet. Ich neige nachdenklich den Kopf.

Jemand tippt mir auf die Schulter und ich zucke heftig zusammen. Mein Bleistift macht einen riesigen Haken quer über das Bild – und das ganze als solches damit unbrauchbar. Nun ja, außer als Vorbild vielleicht. Ich sehe auf und meine Augen weiten sich, als ich den Mann erkenne. Der Typ mir gegenüber n der U-Bahn! Das muss ein Zufall sein, sonst kann er mich doch wohl kaum gefunden haben.

„Sie schon wieder!“

Der Mann lächelt, aber dieses Mal ganz anders. Fast sogar... sympathisch. „Sagten Sie nicht, Sie seien Engel auf Teilzeit?“ Meine Augenbraue wanderte nach oben. Was meint er nun damit. Sein Blick wanderte zu dem Armen Kerl vor dem Café und er lächelt nur leicht, dann geht er wieder. Oder besser: Er ist verschwunden und ich weiß nicht einmal mehr, ob ich ihn mir nur eingebildet habe, oder ob er tatsächlich dort war. Engel auf Teilzeit... Ich spiele mit dem Bleistift. Die Bedienung kommt. Bestellen.

„Warten Sie einen Moment.“, bitte ich, stehe auf, lasse dabei meine Sachen zurück und gehe nach draußen, direkt auf den Mann zu. Er ist ein Fremder, ein Wildfremder und doch... Sein Blick hebt sich, als ich ihm näher komme, erhält etwas fragendes und er wirkt, als sei er jeden Moment bereit, die Flucht zu ergreifen. Ich gehe in die Hocke, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein.

„Kommen Sie mit rein, ich lade Sie auf eine Tasse Tee mit ein.“

Seine Augen weiten sich, aber er wirkt immer noch verwirrt, also helfe ich ihm, seine Sachen einzupacken. Viel hat er ja nicht. Er lässt sich aufhelfen und folgt mir nach drinnen. Er redet nicht viel, aber sein Blick hat für den Moment ein wenig des gehetzten verloren. Es fühlt sich irgendwie gut an. Engel auf Teilzeit...

Er setzt sich neben mich, die blicke der Nachbarn streifen mich – und ihn – häufiger, aber es ist mir egal, im Gegenteil, ich fühle mich großartig dabei, etwas schönes, richtiges, gutes zu tun. Weihnachtliches. Es konnte doch nicht sein, dass Menschen draußen erfroren, während andere ihr besinnliches Weihnachtsfest feierten, oder?

„Danke...“, murmelt er irgendwann. Er hat nichts großes Gewollt. Nur eine Tasse Tee, mehr nicht. Seine Hände Zittern. Ihm ist kalt. Ich schüttele den Kopf und in Gedanken danke ich dem Mann für die grandiose Idee, die ich nur ihm zu verdanken habe. Sein Blick gleitet zu dem Bild und wird fragend.

„Oh... Ich... nun ja... zeichne... Leute auf der Straße, es ist nichts besonderes, ich bin erschrocken.“

Ein Lächeln bildet sich auf seinen Lippen. Ihm gefällt es.

„Sie können es haben, wenn Sie wollen. Oder... Ich male Ihnen ein richtig schönes Bild, dieses Bild ausgearbeitet, oder so...“ Der Mann schüttelt den Kopf. „Nein, das hier ist wunderschön...“

Ich werde rot. Ich merke das, weil mir dann immer die Hitze ins Gesicht steigt. Betreten sehe ich auf meine Finger. „Ich habe auch einmal gezeichnet, aber meine Finger zittern so...“

Vor Kälte. Er nahm die Tasse und trank einen Schluck. Ganz langsam und genüsslich. Er ist sich dessen Bewusst wie wertvoll die Wärme ist. Wir sind es nicht. Weder ich, noch meine Eltern, noch meine Geschwister, noch meine kleine Tochter, noch mein Freund. Wir alle sind es gewohnt, er weiß, was Leid heißt. Auch in den eigentlich schönsten Tagen des Jahres und ehe ich mich versehe, ehe ich überhaupt darüber nachgedacht habe meine ich: „Kommen Sie doch vorbei! An Heilig Abend. Wir sind sowieso nur zu dritt bei mir Zuhause.“

Der Mann starrt mich Sekunden lang an und dann umarmt er mich. Er wirkt so glücklich... Meine Mutter sagte mir immer, als ich noch kleiner war, Engel würden Glück verschenken. Vielleicht hat sie recht. Und vielleicht bin ich wirklich Engel auf Teilzeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ennard
2012-01-02T12:21:57+00:00 02.01.2012 13:21
Sehr schöne storie :-)



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