Kinmoku no Hoshi 3
Seiya saß auf der halbfertigen Staumauer und setzte einen weiteren
Ziegelstein ein. Um sie herum arbeiteten viele Menschen an dem Aufbau des
Dammes, den Taiki geplant hatte.
Kallian war eine Oasensiedlung am Rande der großen Kallyopalwüste. Die
Menschen hatten hier früher in Minen gearbeitet, um Kallyopal zu schürfen.
Kallyopal war ein Stein, der die Fähigkeit besaß, im Dunkeln zu leuchten.
Das bewirkte eine besondere Zusammensetzung von Metall in seinem Inneren.
Manche Brocken leuchteten so stark, daß man damit ganze Festsäle erleuchten
konnte. Deshalb war dieser Stein auch so begehrt. Allerdings war er nur
unter dem Wüstenboden, tief in der Erde zu finden. Doch seit dem Angriff
von Galaxia waren die Minen verfallen. Viele Menschen waren umgekommen, die
Häuser zerstört und der Fluß Kui, der hier früher in einen großen See
mündete, wurde zum Teil durch die Erosionen Galaxias Geschosse von seinem
ursprünglichen Bett getrennt. Das bewirkte die Austrocknung des Sees in
Kallian. Durch Taikis Damm allerdings war es möglich, einen neuen See zu
errichten und die Oase bei den Minen wieder erblühen zu lassen. Man hatte
also angefangen, das ursprüngliche Flußbett wieder auszuheben und eine
Verbindung durch eine Schleuse zu bauen. Dann fing man mit einem Damm an,
der den Westen Kallians vor Überschwemmungen in Regenzeiten, wie es früher
üblich war, schützen sollte. Gleichzeitig baute man den Staudamm, der den
Kui aufstauen sollte, sodas immer genug Wasser zur Verfügung stand.
Es war brütend heiß, und Seiya hielt einen Augenblick inne, um sich den
Schweiß von der Stirn zu wischen
"Was zum Trinken?" Jemand hielt ihr einen Wasserschlauch hin.
Seiya fuhr herum und erkannte die imposante Gestalt von Fürst Kashew neben
sich.
Sie lächelte: "Ja, vielen Dank!" Sie nahm den Wasserschlauch und setzte ihn
an den Mund. Das Wasser rann ihr durch die Kehle und erfrischte sie
herrlich. Kashew setzte sich neben sie.
"Sie arbeiten viel zu viel, Seiya! Sie werden sich noch zu Tode schuften!"
"Ach ja?" Seiya begann zu lachen. "Das sagen Sie jetzt schon seit zwei
Monaten zu mir, mein lieber Fürst, und ich lebe immer noch, wie Sie sehen!"
Kashew ließ sein lautes Lachen ertönen. Seiya gefiel dieser Klang. Er war
so weich und warm. Kashew, der dieses Land als Fürst verwaltete, war ein
großer Mann mit einem verwegenen Bart und braunen Augen, die stets
schalkhaft blinzelten. Seine Gestalt war kräftig und meist in weiten
Gewändern verhüllt, dennoch bewegte er sich mit der Eleganz einer Katze. In
den letzten Wochen waren Seiya und er gute Freunde geworden. Bei ihrer
Ankunft vor zwei Monaten hatte er sie herzlich empfangen und ihr eine
eigene komfortable Unterkunft bereitgestellt. Taikis Pläne für das
Staudammprojekt wurden begeistert angenommen und die Arbeit begann, sobald
alle Materialien herbeigeschafft waren.
Seiya ließ es sich nicht nehmen, selbst am Damm mitzuarbeiten. Das weckte
zunächst Verwunderung bei den Einwohnern, denn sie war schließlich doch
eine Prinzessin und Sailorkriegerin! Doch Seiyas Natürlichkeit und ihre
Bereitschaft überall mitzuhelfen machten sie schnell beliebt. In Kallian
hatte man viel über die Heldentaten der Starlights gehört und Seiya mußte
abends von ihren Abenteuern berichten, die sie während ihrer Suche erlebt
hatte. Das tat sie auch gern, was aber ihre Gefühle für Sailor Moon betraf,
so ließ sie diese unerwähnt.
Kashew war neugierig gewesen, als er die Nachricht der Prinzessin Kakyuu
erhielt, daß Prinzessin Starfighter auf dem Weg nach Kallian sei, um ein
neues Projekt zu leiten. Er achtete die Sailorkrieger sehr, die eine so
schwierige Mission, wie den Planeten zu beschützen auf sich nahmen. Zudem
war ihm zu Ohren gekommen, daß Prinzessin Starfighter eine ausgezeichnete
Kriegerin geworden sei. Davon konnte er sich auch bald nach ihrer Ankunft
überzeugen, denn Seiya, die von seinen Künsten im Umgang mit dem Schwert
gehört hatte, wollte alsbald eine Kostprobe seines Könnens. Und obwohl er
sich anfangs weigerte, mit einer Frau zu kämpfen, hatte sie ihn doch
schnell überredet, oder vielmehr: ihn provoziert, mit ihr einen Übungskampf
zu machen und ab da konnte man die beiden Krieger des Abends häufig auf dem
Übungsplatz antreffen. Sie war zu seinem Erstaunen sehr geschickt und
schnell im Lernen. Allerdings begann Kashew sich Sorgen um Seiya zu
machen. Das Mädchen schien entweder bei einem Belastungstest das
Versuchskaninchen zu sein, oder sie legte es darauf an, sich körperlich
abzuschinden. Sie nahm wirklich jede Gelegenheit zur Arbeit wahr und
meldete sich zu den gefährlichsten Aufgaben, was Kashew oftmals ablehnte,
denn bei allem Respekt, der Prinzessin sollte ja nichts passieren! Sehr oft
holte er sie des Nachts von dem Damm weg, an dem sie mauerte. Und Seiya gab
sich erst nach langen Diskussionen über die Lichtverhältnisse, die man zum
Ziegelstein-vom-gewöhnlichen-Stein-unterscheiden braucht, geschlagen und
ging zu Bett. Morgens war sie eine der Ersten die aufstand und loslegte.
Dabei aß sie trotz der Anstrengungen kaum etwas.
Nein, dieses Mädchen war Kashew nicht ganz geheuer! Sie schuftete, und
kleidete sich wie ein Mann, diskutierte wie ein Studierter, überzeugte wie
ein Diplomat und kämpfte wie ein Soldat. Dabei war sie doch erst siebzehn!
Und doch, Keshew war, wie viele Andere hier, fasziniert von ihrem Wesen.
Nachdem er ihren Erzählungen über das Leid und die Schlacht der
Sailorkrieger gelauscht hatte, konnte er auch Seiya besser verstehen. Sie
und ihre Schwestern hatten so schnell wie möglich erwachsen werden müssen,
um sich einem solchen Feind, wie Galaxia zu stellen. Dennoch, das erklärte
ihm nicht diese Abschinderei, die Seiya sich auferlegte. Irgendwas schien
sie zu verfolgen und innerlich zu quälen. Doch über ihre Gefühle sprach sie
nie ein Wort. Manchmal, in stillen Augenblicken, wenn er sie beobachtete,
wie sie sich abschuftete, glaubte er einen großen Schmerz in ihren Augen
erkennen zu können. Sie vermißte wohl ihre Familie, Sailorkrieger waren
meist sehr eng aneinander gebunden. Doch in Gesellschaft versuchte sie
ihren Kummer zu verbergen und fröhlich zu sein. Wirklich, ein seltsames
Wesen. Und dennoch war sie ihm sehr ans Herz gewachsen. Das mußte er sich
zu seiner eigenen Überraschung eingestehen.
Nun saß sie neben ihm und nahm noch einen kräftigen Schluck aus dem
Wasserschlauch. Die Haare unter ihrem Sonnenhut verborgen und in grauer,
weiter Arbeitskleidung, sah sie fast aus wie ein Junge. Abgesehen davon,
daß sie sich auf dem Bauplatz auch wie Einer benahm.
"Wir kommen gut voran", sagte Kashew, den Blick wieder auf die Baustelle
gerichtet.
Seiya nickte.
"Schneller, als ich dachte!" setzte er hinzu.
Sie gab ihm den Wasserschlauch wieder zurück und nahm sich den nächsten
Ziegelstein.
"Seiya! Machen sie doch eine Pause! Sie sitzen schon stundenlang hier
oben!"
Sie zwinkerte ihm kurz zu. "Wieder eine neue Diskussion, Fürst? Sie wissen
doch, daß sie mich nicht vor Abendgrauen hier weg bekommen!"
Kashew seufzte. Manchmal wünschte er sich, daß er diese Göre übers Knie
legen dürfte. Langsam wurde es so heiß, das sich selbst alle Insekten in
ihren Löchern verkrochen und sie wollte wie immer munter weiter werkeln.
Dabei hatte er ihr schon so oft eingebleut, daß es gefährlich war, in der
prallen Hitze zu arbeiten. Wenigstens hatte sie einen Hut auf!
Nun, gut! Er erhob sich und gab einem Jungen das Zeichen zur Mittagspause
zu läuten. Seinen Arbeitern wollte er das Himmelfahrtskommando, dem sich
Seiya scheinbar unterworfen hatte, nicht zumuten.
"Sie wissen ja, wo es das Essen gibt!" rief er ihr beim Abstieg der Mauer
zu.
Seiya winkte, sie hatte verstanden.
Zwei Monate war sie jetzt schon hier und schuftete sich die Seele aus dem
Leib, um von ihren trüben Gedanken wegzukommen. Der Gedanke, daß Bunny sich
verlobt hatte, nagte anfangs immer noch an ihr, doch mit den Wochen drängte
sich ein anderer Gedanke in ihr Bewußtsein. Seit ihrer Ankunft hier hatte
sie noch keine Nachricht von der Prinzessin erhalten! Zwar bekam sie
regelmäßig Post von Taiki und Yaten, doch nichts von ihr! Sie mußte wohl
immer noch sehr böse auf sie sein! Zudem traute sie sich selbst nicht ihr
persönlich zu schreiben, solange sie nicht wußte, was die Prinzessin nun
dachte. Prinzessin Kakyuu wußte von Seiyas Schwäche für Bunny und Seiya
selbst hatte ihre Erinnerung an Iosho wieder hervorgerufen. Und sie hatte
es gewagt, die Prinzessin zu küssen, obwohl sie sich noch ein paar
Augenblicke zuvor über Bunny unterhalten hatten!
Seiya fühlte wie ihr Herz anfing schneller zu schlagen bei dem Gedanken an
diesen Kuß. Sie hatte so oft an diese sanften Lippen denken müssen, wie es
sich angefühlt hatte, sie zu berühren und das Mädchen in ihren Armen zu
halten.
Schnell verwarf sie diese Erinnerungen wieder. Sie war die Prinzessin, eine
Person, die sie zu beschützen und wie eine gute Schwester zu lieben hatte.
Mehr durfte nicht sein... Sie hielt inne. Was dachte sie da?
Vor ein paar Wochen drehten sich all ihre Gedanken noch um Bunny und jetzt?
Seiya wußte nicht mehr was sie fühlen sollte. Alles in ihr war ein großes
Durcheinander. Ein Mischmasch an Empfindungen und Gedanken, die sie
durchzogen und verwirrten. Sie seufzte leise und streckte sich dann. Ihre
Schwestern fehlten ihr. Ohne sie begann sich Seiya irgendwie inkomplett zu
fühlen.
Sie setzte noch zwei weitere Steine ein, als der Schmerz wieder kam. Seiya
fluchte und ließ alles fallen. Ihre Schulter, die noch immer nicht richtig
ausgeheilt war, bereitete ihr in letzter Zeit ständig Probleme. Ein kleinen
Souvenir an die Zeit mit Bunny. Oh, Bunny! Das Bild des Mädchens mit den
langen, blonden Haaren kam ihr wieder ins Bewußtsein. Seit sie wieder auf
Kinmoku waren, hatte Seiya versucht, nicht mehr an sie zu denken und eine
kurze Zeit war ihr das auch geglückt. Bis der Brief kam... Sie hatte es
doch gewußt! Von Anfang an war es klar gewesen, daß Bunny nur ihren Mamoru
liebte und nur mit ihm zusammensein wollte! Sie mußte lernen, mit diesem
Gedanken zu leben, auch wenn es schwer fiel!
Ihre Schulter tat höllisch weh und sie überlegte sich nicht doch
hinunterzusteigen und sich eine Weile hinzulegen. Doch sie hatte Angst vor
der Untätigkeit, denn mit ihr kamen die Gedanken und Erinnerungen wieder.
Seiya fluchte noch ein zweites Mal, was ihr immer ein kleines bißchen half,
wenn sie Schmerzen fühlte, und blinzelte zur Sonne hin. Es war so heiß und
keine Wolke am Himmel! Oh, Sterne, wie war sie nur in diese Situation
geraten?
Ihr schwindelte leicht und auf einmal glaubte sie etwas zu erkennen, eine
Gestalt, ganz zierlich und in Rot gekleidet, die leichtfüßig auf sie zu
kam. Seiyas Herz begann auf einmal wie wild zu klopfen und sie versuchte
sich zu erheben. Prinzessin! Ihre Prinzessin war gekommen! Sie hatte ihr
also doch verziehen! Sie fühlte sich mit einem Mal so leicht und glücklich.
Dann übermannte sie der Schmerz und ihr wurde Schwarz vor Augen.