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24 Std. Alltag am anderen Ende der Welt
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Dessauer Nacht

Dessau, 21 Uhr

Hiro saß am Computer und lud bei Animexx ein Bild hoch. Auf dieses Ding war sie richtig stolz. Die Moderatorin ihres Zeichenzirkels hatte ihnen die Aufgabe gestellt, ein Lineart zu fabrizieren. Ein komplettes Bild mit nur einer einzigen, durchgängigen Linie. Sie hatte sich auf der Stelle in den Kopf gesetzt, Yoshihiko zu zeichnen, den Sänger ihrer Lieblingsband heidi, und ja, zugegeben, sie hatte bei dem Bild ein wenig gemogelt. Sie hatte mit Bleistift vorgezeichnet. Anders ging das ja auch gar nicht, ein Portrait in einer einzigen Linie zu zeichnen. Aber das Endergebnis gefiel ihr super.

Oh, dachte sie, wo wir gerade von Yoshihiko reden! Gleich mal schauen, ob der was Neues in seinen Blog geschrieben hat. Euphorisch öffnete sie eine neue Seite in ihrem Browser. Im heidi-Weblog war ein Eintrag aus der Zukunft. „Na super, die Zeitverschiebung ergibt ja witzige Effekte.“, lachte Hiro und überflog den englischen Text. <Morgen> war ja hier in Deutschland erst in 3 Stunden. Yoshihiko schrieb, soweit sie dem herben Englisch entnehmen konnte, daß demnächst eine größere Tour anstehen würde. Begeistert erstellte sie einen Kommentar und fragte auf Englisch, ob sie denn auch nach Europa und besonders Deutschland kommen würden.
 

zur gleichen Zeit in Tokyo, 5 Uhr

Yoshihiko maulte etwas unverständliches in sich hinein, als er rüde geweckt wurde. „Los, aufstehen, wir sind spät dran.“, hörte er die Stimme seines Gitarristen und wurde zur Bekräftigung auch gleich noch unsanft geschüttelt.

„Wie spät ist es denn?“, seufzte er im Halbschlaf.

„5 Uhr 07.“

„Uaah, noch so früh?“

„Komm schon, wir haben dich schon 20 Minuten länger schlafen lassen als vereinbart.“, gab Nao zurück und begann, lautstark im Zimmer zu rumoren.

Yoshihiko fuhr sich mit beiden Handrücken über die Augen. Die letzte Nacht war verdammt lang gewesen, und nun musste er auch noch so zeitig raus. Langsam setzte er sich auf und sofort fuhr die Kälte unter seine Decke. Man, er wollte nicht aufstehen. „Was gibt es zum Frühstück?“, wollte er leise wissen und setzte die Füße aus dem Bett.

„Nichts.“

„Wie, nichts?“

„Frühstück gibt es in diesem Hotel erst ab 7:30 Uhr. Bis dahin sitzen wir schon lange im Auto und fahren.“

„Super ...“, grummelte der Sänger zynisch und quälte sich ins Bad.
 

Dessau, 23 Uhr

<So, ich hab endlich meine Waschmaschine ausgeräumt, jetzt geh ich ins Bett.>, schrieb Hiro via Animexx-ENS an ihre Freundin. Sie hatte schon seit einer Stunde im Bett sein wollen, hatte aber erst sehr spät gemerkt, daß sie ihre Waschmaschine zwar vollgestopft aber nicht eingeschalten hatte. Nun hatte sie zwangsläufig warten müssen, bis das Ding durchgeleiert war. <Schlaf gut!>

<Dir auch gute Nacht! Tschaui!>, kam zurück.

Hiro loggte sich überall aus, schaltete den PC ab und zog alle Stecker aus ihrer Technik. Zähne geputzt und sich umgezogen hatte sie bereits, blieb also nur noch, ins Kopfkissen zu fallen und loszuschnarchen. Morgen musste sie ja schließlich auch wieder früh raus und auf Arbeit. Als sie in der Wohnzimmertür das Licht ausknippste, warf sie durch die Flurbeleuchtung einen langen Schatten ins Wohnzimmer. Sofort kam ihr „Mini“ angewetzt, der fiese schwarze Kater, und versuchte, den Schatten zu fangen. Der schwarze Kater war zwar von der Statur her größer als ihr anderer, grauer Kater, aber weil er jünger war, war er für Hiro immer das „Mini“ geblieben. Grinsend spazierte das blonde Mädchen in der Tür auf und ab und beobachtete, wie der Kater den Schatten jagte. Leider war sie so müde, daß sie das Spiel nicht lange treiben konnte. Irgendwann schnappte sie das Katzentier und trug es auf dem Arm ins Schlafzimmer.
 

zur gleichen Zeit in Tokyo, 7 Uhr

Schweigsam schaute Yoshihiko von der Rückbank des Autos auf die Straße hinaus. Nun verstand er, warum sie schon letzte Nacht im Hotel verbracht hatten. Das Hotel befand sich am Stadtrand und selbst hier war der Verkehr so dicht, daß man nur schleppend vorankam. Hätten sie versucht, Tokyo vom Zentrum aus zu verlassen, hätte er nicht bis 5 Uhr schlafen dürfen, dann hätten sie noch viel früher aufbrechen müssen. Aber ein wirklicher Trost war das für ihn trotzdem nicht. Er war immer noch hundemüde und gähnte sich die Seele aus dem Leib. Zufrieden stellte er fest, daß der Fahrer den Blinker setzte und in einen Rasthof einbog. Endlich Frühstück.

Der Schnee lag so hoch, daß sie nur schwer eine ausreichend beräumte Parklücke fanden. Als sie endlich aussteigen konnten, nahm Kiri, der Schlagzeuger der Truppe, Anlauf und warf sich bäuchlings in eine hohe Schneewehe. Der Gitarrist und der Bassist johlten und lachten und versuchten sich daraufhin gegenseitig in den Schnee zu schubbsen. Yoshihiko musste auch dezent schmunzeln, ging aber kopfschüttelnd weiter. Man, war das kalt. Er vergrub die Hände tief in den Manteltaschen und zog den Kopf ein, um sich fester in seinen Schal zu mummeln.
 

Dessau, 1 Uhr

In der Wohnung herrschte eine Grabesstille. Nicht mal ein Wecker tickte. Hiro hasste tickende Uhren, daher hatte sie schon seit sie denken konnte einen digitalen Wecker. Außer ihrem leisen Schnörcheln und dem zufriedenen Grunzen ihres grauen Katers auf ihrer Bettdecke war nichts zu hören. Hiro war gerade in der Tiefschlafphase und träumte, daß eine Freundin ihr eine Kakao-Karte schenkte, auf der eine Ente abgebildet war. Und diese Ente wurde plötzlich lebendig, kam aus der Kakao heraus und knabberte all ihre Möbel an.

Dann ein ohrenbetäubendes Scheppern. Hiro und ihr Kater fuhren im Bett hoch. „Wo? Wo ist die Ente?“, keuchte sie und sah sich orientierungslos um. <Zur Hölle, hast du das auch gehört?>, schien der Blick ihres grauen Katers zu fragen. Ein Jaulen drang aus der Küche. Langsam wurde sich Hiro wieder bewusst, wo sie war. Und vor allem, wie spät es gerade war. Seufzend stand sie auf und tappte, gefolgt von ihrem grauen Kater, durch die dunkle Wohnung.

„Mini? Wo steckst du? Ist alles okay bei dir?“, wollte sie müde wissen. Der schwarze kam ihr laut gurrend und zeternd aus der Küche entgegen und wuselte aufgeregt um ihre Beine. Sie musste das Licht gar nicht einschalten, sie sah auch im Schein der Straßenlaterne mehr als genug. Er hatte das Abtropfgestell samt Inhalt heruntergeworfen. Überall lag Geschirr herum, der ganze Berg Töpfe und Pfannen war scheppernd in sich zusammengefallen. Aber zum Glück nichts, was hätte zu Bruch gehen können. Das Mädchen winkte ab und ging wieder ins Bett. Das konnte sie auch morgen noch wegräumen, das musste sie nicht um 1 Uhr nachts machen. Kaum 3 Minuten später war sie schon wieder seelig eingeschlafen.
 

zur gleichen Zeit außerhalb von Tokyo, 9 Uhr

„Wie lange brauchen wir noch bis Okinawa?“, wollte Kiri wissen. Der Schlagzeuger saß vor Yoshihiko auf dem Beifahrersitz. Neben ihm auf der Rückbank saß der Tontechniker, Nao und Kohsuke fuhren im anderen Auto.

„Vielleicht zwei Stunden, wenn wir aus diesem zähen Verkehr nicht rauskommen.“, brummte der Fahrer unmotiviert zurück. Man merkte ihm an, daß auch seine Nacht viel zu früh beendet gewesen war.

„Dann wird das mit den Aufnahmen aber verdammt knapp.“

„Ich versteh sowieso nicht, warum wir extra nach Okinawa fahren müssen, um drei Songs aufzunehmen.“, gab Yoshihiko zurück.

„Weil das ein privates Studio mit der allerfeinsten, ausgefallensten Technik ist. Sowas findet man in Tokyo nirgends. Die Soundeffekte werden der Wahnsinn, sag ich dir. Außerdem müssen wir ja sowieso nach Okinawa, für das Konzert. Da kann man doch gleich das eine mit dem anderen verbinden.“

„Moment mal, das Konzert kam erst viel später dazu!“, hielt der Sänger dagegen.
 

In diesem Moment gab der Fahrer einen erstaunten, oder eher begeisterten Ton von sich, als sich der Verkehr plötzlich lichtete. Die Blechlawine vor ihm löste sich schlagartig auf, kein zäh fließender Verkehr mehr. Es ging zügig voran, als sei nichts gewesen. „Wenn das so ist, könnten wir in einer Stunde in Okinawa sein.“, meinte er erfreut.

Gesagt, getan, exakte 64 Minuten später stiegen sie vor einem unscheinbaren aber offensichtlich top überwachten Haus auf dem Land aus dem Wagen aus. Der Sänger schauderte. Hier gab es einen Pförtner, der einen nach dem Grund der Einreise fragte, und zwei Meter hohe Elektrozäune rings um das ganze Gelände. Fehlten nur noch Scharfschützen auf dem Dach, dachte er und sah sich um. Das musste ja wirklich ein ganz niveauvoll ausgestattetes Studio sein, in das ihnen hier gnädigerweise Zutritt gewährt wurde.
 

zur gleichen Zeit in Dessau, 3:24 Uhr

Hiro war schon längst wieder im Tiefschlaf, genauso wie ihr grauer Kater, der sich neben ihr auf der Bettdecke zusammengerollt hatte und friedlich schnaufte. Unterbewusst wurde sie wach, als ihr schwarzes Mini über ihr auf dem Kleiderschrank herumrumorte. Gewisse Geräusche ihrer Katzen ließen Hiro auf der Stelle hellwach werden, egal wie fest sie schlief oder wie abgelenkt sie war, weil diese Geräusche nie etwas Gutes verhießen. Erfahrungswerte, in gewisser Weise. Sie wollte sich gerade noch zur Seite drehen, weil sie genau wusste, daß ihr rücksichtsloser Rowdy-Kater stets einen Bauchklatscher ins Bett machte, um vom Schrank herunterzukommen, aber sie war zu langsam. Das schwarze Mini landete mit voller Wucht und dem ganzen Schwung seiner 5,7 Kilo in ihrer Magengrube, beziehungsweise mit einem Hinterbein in ihrem Gesicht.
 

Hiro stöhnte halb genervt, halb müde. Sie hatte genug Bauchmuskeln, um den Stoß in den Magen kompensieren zu können, ohne ihr Abendessen in hohem Bogen wieder auszuspucken. Aber angenehm war die Landung trotzdem nicht gewesen. In diesen Situationen fand sie ihn plötzlich gar nicht mehr <mini>. Außerdem war das schon das zweite Mal, daß er sie in dieser Nacht weckte. „Grobe Katze!“, maulte sie und fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Es fühlte sich nass an, dort wo die Hinterpfote durch ihr Gesicht gerutscht war. „Bitte nicht.“, murrte sie desmotiviert. War das Blut? Erneut kraxelte sie aus dem Bett und machte sich seufzend auf den Weg ins Bad, um einen Blick in den Spiegel zu werfen.
 

„Na super.“, kommentierte das Mädchen, als sie die riesigen Kratzspuren quer über ihrer Wange musterte. Jetzt, wo sie das ganze Ausmaß des Schadens sah, begannen die Wunden auch richtig wehzutun. Einen Moment überlegte sie noch, wie sie das morgen ihren Arbeitskollegen und vor allem ihren Kunden erklären sollte, dann drückte sie ein Taschentuch auf die Stelle bis es aufhörte zu bluten, klebte das größte Pflaster darüber, das sie finden konnte und ging mürrisch wieder ins Bett. Vermutlich war es jetzt eh sinnlos, nachmal schlafen zu gehen, die Nacht war in 1,5 Stunden sowieso vorbei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tesla
2012-01-27T02:27:04+00:00 27.01.2012 03:27
Oh klasse der erste Beitrag und der Anfang ist schon mal Mega geil. ich hab mich bald weggelegt. ich kenn ja auch das reiseviedeo von Heidi und ich kenn deine bösartigen Katzentiere, aber das zu lesen ist einfach nur genial. Aber du hast zur Zeit nicht wirklich so ne große Schmarre im gesicht oder?


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