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Wolfschroniken - Sidestorys

Abseits der Wege :3
von

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Wolfskinder Sternenwege - Weltenwanderer

Lif lief durch die engen Gassen einer Stadt. Es war Altena, das hatte er sofort erkannt, und das verwunderte ihn ein wenig. Wie zur Hölle kam er von einer Höhle, die zwischen den Wurzeln eines Baumes lag in die Hauptstadt von Altena? Es ergab einfach keinen Sinn.

Und trotzdem war er hier. Als Mensch. Er wusste, dass etwas falsch war, an dem Anblick, doch er wusste nicht genau, was es war. Er überlegte, wo er hinlaufen sollte, beschloss, dass er einfach mal zu Hause einen kleinen Besuch abstatten sollte. Er konnte die Wege Altenas blind laufen, er kannte so ziemlich jede Abkürzung und jeden Schleichweg, so dauerte es nicht lange, bis er die Tür aufstieß.

»Ich bin zu Hause!«, rief er in das Haus und zögerte voller Verwirrung, als ihm nicht mindestens zwei Stimmen antworteten, wie es sonst der Fall war. Er runzelte misstrauisch die Stirn, dann jedoch viel ihm auf, was ihn bisher so sehr gestört hatte. Es war nicht eine Menschenseele auf den Straßen Altenas gewesen.

Langsam und zögernd betrat er das Wohnzimmer. Das war das Herzstück des Hauses, hier war eigentlich immer jemand. Und auch heute saß hier eine Gestalt, doch Lif kannte sie nicht. Es war eine alte Frau mit weißem Haar und blinden Augen, die einen Faden spann.

»Wer sind sie?«, fragte er leise und beruhigend, schloss die Tür hinter sich.

»Jemand, der dich bereits erwartet hat, Weltenwanderer«, antwortete die Alte. Als Lif seinen Schülernamen vernahm, da prallte er erschrocken zurück. Wer war sie, das sie so etwas über ihn wusste? Außer ihm und seinem Vater kannte ihn niemand. Doch er flüchtete nicht.

»Bist du eine von den Nornen?«, fragte er und kam langsam und zögernd näher.

»Ja. Ich bin Urd«, erklärte sie, spann dabei einfach ihren Faden weiter.

»Warum sind wir hier in Altena? Warum ist hier sonst keiner?«, erkundigte sich Lif und setzte sich zu ihren Füßen.

»Weil Altena deine Vergangenheit ist. Aber dies ist nicht wirklich Altena, dies ist nur eine Erinnerung von dir. Eine starke Erinnerung. Es hätte genauso gut Wynter sein können, oder Navarre. Doch Altena ist deine Heimat, also hast du sie ausgewählt«, antwortete Urd.

»Ich… glaube, ich verstehe. Wir sind in meinen Erinnerungen, ja?«, fragte er leise.

»In gewisser Weise schon, ja. Gibt es etwas, was du über deine Vergangenheit wissen willst?«, erkundigte sich die Norne.

»Über meine nicht, aber… kannst du mir erzählen, wieso mein Vater meine Schwester so oft voller Trauer ansieht? Immer, wenn er meint, dass es keiner sieht…«

»Denkst du nicht, dass deine eigene Vergangenheit interessanter ist, als jene deiner Eltern?«

»Nein. Wir alle müssen immerzu aus dem Vergangenen lernen, um es in der Gegenwart besser zu tun und deswegen eine bessere Zukunft zu schaffen. Das können wir nur, wenn wir sie kennen. Ich habe schon so viel über mich selbst nachgedacht, das glaube, dass du mich mit kaum etwas zu meiner Person überraschen könntest. Ich möchte lieber das erfahren, was jenen geschah, die mir wichtig sind, um zu begreifen, warum sie tun, was sie tun. Damit ich ihnen nah sein kann«, erklärte er und lächelte.

»Anmaßende Worte für einen so jungen Menschen«, fand Urd hart.

»Das mag durchaus sein, aber das ist es, was ich denke. Mana muss sich selbst finden. Ich will mich gar nicht selbst finden, ich will viel lieber anderen helfen, wann immer sie meiner Hilfe bedürfen. Und dazu muss ich sie verstehen. Erklärst du es mir?«

Da lächelte Urd. Lif schien sie durchaus zu beeindrucken, denn obwohl sie alle Macht der Welt über ihn hatte, hatte er keine Furcht vor ihr.

»Weißt du, einst hattest du sechs Geschwister, doch deine älteste Schwester musste schon lange vor deiner Geburt sterben. Ihr Name war Namida, sie ist nicht sehr alt geworden, denn deinen Vater beging einen fatalen Fehler. Er ließ sich mit den falschen Leuten ein, und sie musste dafür büßen. Das hat er bis heute nicht überwinden können. Er hat immerzu angst, dass er etwas tun könnte, was einen von euch schaden könnte, dass es euch den Tod bringen könnte, so wie es Namida den Tod brachte. Er hat schon so viele Fehler in seinem Leben begangen, und es waren so viele dabei, die er nie wirklich begleichen konnte. Das hat ihn tief geprägt. Und immerzu, wenn er Leilani betrachtet, muss er daran denken, wie er sie einst fast aufgegeben hätte, um einen anderen Fehler zu begleichen. Er fragt sich, was geschehen wäre, hätte es jemand anderes nicht so gut mit ihm gemeint«, erklärte Urd.

»Er ist ein guter Mensch, ich kann nicht glauben, dass er je voll Absicht jemanden Schaden würde«, überlegte Lif.

»Da hast du recht. Aber Unwissenheit oder vorschnelles Handeln kann manchmal zum gleichen Ergebnis führen. Gibt es noch etwas, was du wissen möchtest?«

Lif überlegte. In Gedanken ging er all seine Freunde und seine Familie durch, doch es fiel ihm keiner ein. Mit der Vergangenheit hatte er sich schon so ausnehmend beschäftigt, dass er einfach keine Fragen hatte. So schüttelte er lächelnd den Kopf und stand wieder auf.

»Nein. Ich danke dir für deine Antwort, aber mehr kannst du mir nicht berichten«, dankte er ihr.

»Wenn dem so ist, dann setze deinen Weg fort«, lächelte Urd.

Lif nickte und verließ den Raum wieder, doch er war nicht wieder in Altena, sondern an einem gar seltsamen Ort. Er wirkte, als hätte sich jemanden einen Spaß daraus gemacht, Wynter und Navarre übereinander zu legen. Oder als hätte es in Navarre geschneit. Er verstand es nicht, was hatte er mit Wynter und Navarre zu tun? Doch er überlegte nicht lange, sondern lief einfach weiter, diesmal wieder als Wolf.

Es dauerte eine Weile, doch letztlich kam er bei einer junge Frau an. Sie hatte so langes, schwarzes Haar, das es sich weit über den Boden ausbreitete, doch das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Auch sie war blind, doch sie wob schnell und geschickt, wie man es wohl tat, wenn man sein Leben lang nichts anderes getan hat.

»Du bist die zweite Norne, hab ich recht?«, fragte er leise und setzte sich vor ihr in das Sand-Schneegemisch.

»Ja. Ich bin Verdandi«, bestätigte auch die, wob dabei ungerührt weiter.

»Über was wirst du mir etwas erzählen?«, erkundigte sich Lif leise.

»Was auch immer über die Gegenwart wissen willst«, antwortete die Norne. Lif zögerte. Was würde er denn gerne wissen wollen? Welche Zeitspanne genau umfasste eigentlich die Gegenwart?

»Es gibt so vieles, was ich wissen möchte, doch ich weiß nicht, ob du es mir verraten kannst. Weißt du, mir ist wichtig, dass es jenen gut geht, die mir wichtig sind. Dann kann ich auch glücklich sein. Ich weiß, dass es ihnen jetzt gut geht… oder ich hoffe es zumindest. Aber wie wird das in Zukunft aussehen? Das weiß ich nicht. Und das ist es, was mich wirklich interessiert. Nicht zu Vergangenheit, nicht die Gegenwart, sondern nur die Zukunft«, erklärte er und lächelte schüchtern.

»Und wenn in der Gegenwart schon der Grundstein für ihr Unglück liegt?«, erkundigte sich Verdandi und lächelte listig. Nun zögerte Lif. Sie hatte durchaus recht.

»Dann… ja, dann würde ich auch das gern erfahren«, erklärte er leise. Doch Verdandi lächelte nur.

»Es wird zeit zu gehen, Weltenwanderer«, fand die Norne.

»Eines noch, wenn du mir die Frage erlaubst«, bat Lif, während er schon aufstand.

»Warum du zwischen Feuer und Eis stehst?«

Der Wolf nickte erstaunt. Er hätte es zwar anders formuliert, aber ja, im Prinzip hatte sie recht. Das war seine Frage.

»Sand und Schnee sind die alte und die neue Welt, und es wird nicht mehr lange dauern, da wirst du zwischen ihnen stehen.«

»Zwischen ihnen stehen? Aber warum Sand und Schnee?«

»Es ist deine Welt, Weltenwanderer. Du hast entschieden, deswegen kannst du es auch beantworten, wenn du nur ein wenig darüber nachdenkst«, lächelte die Norne. Und das tat Lif. Er runzelte die Stirn, überlegte, dann nickte er lächelnd.

»Eine weiße Landkarte. Ich weiß nicht, was mich erwarten wird, wenn ich wieder nach Hause gehe. Ich glaube nicht, dass ich alle Geheimnisse der neuen Welt schon kenne, es ist für mich wie eine weiße Landkarte. Die alte Welt dagegen ist wie Sand an einem Strand. Wind und Wasser haben es schon so lange bearbeitet, das es schon im Verschwinden begriffen ist. Bis sie vollkommen verloren ist, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Und der Kraft von Wind und Wasser«, antwortete er sich selbst.

»Dann also wird es jetzt Zeit zu gehen«, fand Verdandi.

Lif nickte, noch immer lächelnd. Er wusste nicht, wohin er nun gehen sollte, doch er ahnte, dass jede Richtung ihn an sein Ziel bringen würde. Natürlich, es war seine Welt. Sie bestand aus seinen Erinnerungen und aus seinen Gedankengängen. Egal, wohin er ging, es würde immer der richtige Weg sein.

Er schaute nicht mehr zurück, er folgte einfach seinem Weg. Auf diesem Weg begann er sich zu verändern, er wurde wieder zum Mensch. Und der Weg führte ihn in eine der tödlichen Sandwüsten, die in Navarre vorherrschten. Seine Zukunft war Sand? Wieso?

In der Ferne sah er ein Kind sitzen. Er war erstaunt, was nur tat ein Kind hier? Er lief zu ihm, doch als er näher kam, da merkte er, dass es vor einem Grab saß. Er spürte instinktiv, dass es nicht irgendein Grab war. Und, das es seine Zukunft darstellte.

»Bist du die letzte Norne?«, fragte er angespannt.

»Ich bin Skuld, ja«, bestätigte das Kind und legte ein Band, das so hell schimmerte und leuchtete, wie er es nie zuvor gesehen hatte, auf das Grab. Lif wusste, das dies der Lebensfaden irgendeines sehr glücklichen Geschöpfes in seiner Welt war.

»Wessen… wessen Grab ist das?«, fragte er leise.

»Lies es selbst, wenn du den Mut hast, die Wahrheit zu ertragen«, bot Skuld an und stand auf. Sie schaute ihn aus so lebendigen Augen an, dass er für einen Augenblick von ihrem Blick gefangen war, bevor er langsam nickte. Er trat an ihr vorbei und kniete sich vor das Grab. Sie Schrift war schwungvoll in den Stein gemeißelt, doch der Name, der dort geschrieben stand, war der wohl grausamste, den sich Lif ersonnen konnte.

»Das wird… ihre Zukunft sein? Das wird meine Zukunft sein?«, flüsterte er heiser, während er auf das Grab starrte.

»Ja.«

Doch Lif schüttelte den Kopf.

»Kann ich sie ändern?«

Da zögerte Skuld. Sie wirkte nachdenklich, dennoch schüttelte sie langsam den Kopf. Doch Lif spürte, das da noch etwas war, was sie ihm verschwieg. Er griff sie grob beim Arm, zwang sie, ihn anzusehen. Er sah in ihren Augen den Schmerz, den er ihr bereitete, und er wusste nur allzu genau, dass er sich respektlos und anmaßend verhielt, doch das war ihm egal.

»Sag mir, was kann ich tun?«, wollte er eindringlich wissen.

»Das weißt du doch schon«, antwortete sie sanft und mit einem Lächeln, ihrer Schmerzen zum Trotz.

»Wenn ich es wüsste, würde ich nicht fragen!«, brüllte er und schüttelte sie. In seiner Angst, die so nahe an einer Panik dran, wie es irgend möglich war, hätte er ein sterbliches Kind wohl schwer verletzen, wenn nicht gar töten können mit seinem Geschüttel, doch die Norne war nicht sterblich.

Sie schrie vor Schmerz, denn sie war sehr wohl verletzlich, doch als Lif sie endlich losließ, da taumelte sie zurück. Sie schaute ihn verständnisvoll an, lächelte sogar ein wenig, doch Lif bemerkte es nicht einmal. Stattdessen stürzte er sich in den Sand, direkt vor das Grab und ließ seine Gedanken rasen.

Wie konnte er es verhindern? Wie konnte er die Zukunft verändern?

»Natürlich«, flüsterte er schließlich. »Indem ich die Gegenwart verändere. Das hat Verdandi gemeint...«

Er war fast besessen von dieser Idee. Er wandte sich Skuld zu und betrachtete sie, wie es wohl ein Wahnsinniger tat, bevor er sein Opfer umbrachte.

»Hab ich recht?«, fragte er scharf.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es gehört mehr dazu, als die bloße Erkenntnis dessen, was man tun könnte. Du kannst die Zukunft ändern, ja, aber nur, wenn du wirklich wagst, dich zu trauen. Und das ist nicht selbstverständlich. Manchmal muss man Dinge tun, die man nicht tun will, für nichts auf der Welt. Und dann kann man die Zukunft eben nicht ändern«, antwortete Skuld.

»Ich würde alles für sie tun«, antwortete Lif entschlossen.

»Bist du dir da ganz sicher?«

»Ja! Ich würde sogar jemanden umbringen.«

»Und was ist… wenn du ihr Kind töten müsstest…?«

Das war, wie ein Schlag ins Gesicht. Obwohl Lif noch klein gewesen war, konnte er sich gut an die Fehlgeburt erinnern, die seine Mutter gehabt hatte. Sie war damals am Boden zerstört und es hatte sehr, sehr lange gedauert, bis sie wieder lächeln konnte.

Konnte er so etwas wirklich tun? Konnte er so etwas jemanden antun, der ihm so wichtig war? Und konnte er wirklich jemanden töten, der noch viel zu klein war, um ihm irgendetwas entgegen zu setzen?

Diese Frage zerriss ihn schier. Er kannte darauf einfach keine Antwort. Er sah noch das zufriedene Glimmen in den Augen der Norne, wusste dabei, dass er gehen musste. Sie würde ihm keine weiteren Fragen beantworten. Das musste er selbst tun. Doch… wollte er die Antwort wirklich kennen?

Er fühlte sich innerlich zerrissen, er wusste nicht, was er nun tun sollte. Er fühlte sich erdrückt, er hatte angst, er zitterte. Aber er konnte nichts tun. Er wandte sich ab und lief weiter, über den Sand ins Unbekannte. Er hätte es wissen müssen, als er den Sand sah. Schon das erste Mal, als er eine Sandwüste gesehen hatte, da hatte er an Tod und Verderb denken müssen.

Er lief weiter, bis er an eine Höhle kam. Er wusste, dass dies der Weg zurück zu seinen Freunden sein würde. Er zögerte nicht, er brauchte jetzt ihre Nähe. Ihren Rat, auch wenn es letzten Endes seine Sache war, war er tat.

Der Weg hinaus war nicht weit. Die Höhle war von Wurzeln durchzogen und nach einer Weile gewahr er ein helles Licht. Es war Abenddämmerung, als er hinaustrat. Sogleich kamen ihm seine Freunde entgegen, doch er merkte es nicht einmal wirklich.

Verzweiflung hatte sich in sein Herz eingenistet, und sie würde noch eine ganze Weile darin wohnen bleiben.

Wolfskinder Sternenwege - Windsgesang

Ahkuna lief lachend über den Sand. Die Sonne Navarres wärmte ihr Fell und die schier unendliche Weite um sie herum lud sie zum Laufen ein. Sie lief gerne, es gab ihr ein Gefühl von Glück und Freiheit, etwas, was sie die meiste Zeit schmerzlich vermisste.

Meistens wurde ihr, nach Freiheit, nach Unbändigkeit strebender Geist so eingeengt, das sie meinte, nur der Tod könnte sie davon wirklich und wahrhaftig befreien. Doch nun war sie wirklich frei. Sie hatte die ganze Welt nur für sich, sie konnte laufen, tanzen, lachen und niemand würde es ihr verbieten. Es war einfach keiner da.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie blieb stehen und schaute sich um. Sie war völlig alleine. Sie mochte frei sein, aber sie wollte nicht einsam sein. Sie schaute zurück, wusste, das sie umkehren konnte, zurück in die Gefangenschaft des goldenen Käfigs, den man von klein auf schon um sie herum gebaut hatte.

Stattdessen jedoch schüttelte sie entschieden den Kopf und ging langsam weiter. Sie liebte die Wüste, sie mochte den warmen Sand und die helle Sonne. Es war hier kein Sommer, den sonst wäre sie hier schon längst verdurstet. So aber erfreute sie sich einfach an der Wärme.

Da gewahr sie eine Gestalt. Sie wusste, dass jeder, der nicht in der Wüste aufgewachsen war, manchmal sehr schnell unter der Sonne aufgeben musste, denn sie konnte sich noch sehr genau an Manas ersten Besuch erinnern. Das Mädchen, das in den Eiswüsten Wynters aufgewachsen war, hatte keine zwei Stunden auf dem Pferderücken ausgehalten, bevor sie ohnmächtig zusammengebrochen war.

Seitdem war Ahkuna immer sehr vorsichtig, wenn sie auf Fremde traf, die so gar nicht in die Wüste zu passen schienen. Viele von ihnen unterschätzten die Sonne. So lief sie auch sogleich los, als sie die Gestalt gewahr. Sie wollte helfen, sollte es nötig sein.

Doch als sie näher kam, das erkannte sie, das sie nicht helfen brauchte. Die alte Frau, die im Schatten eines Felsens saß und ruhig an ihrem Spinnrad ihr Tageswerk tat, schien gesund und munter. Deswegen wurde Ahkuna langsamer, doch sie beschloss, die alte Frau dennoch anzusprechen.

»Gute Tag, kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte sie und lächelte schüchtern.

»Ich habe auf dich gewartet, kleine Wüstenprinzessin«, begrüßte sie alte Frau sie stattdessen, ohne auch nur aufzublicken.

»Wirklich? Dann bist du bestimmt die Norne, oder?«, mutmaßte das Mädchen.

»Genau so ist es. Ich bin Urd«, antwortete die Frau, während Ahkuna sich in den Sand setzte. Es erschien ihr so unhöflich, einfach stehen zu bleiben und auf eine so viel ältere Person hinabzuschauen, als wäre sie etwas Besseres.

»Skadi sagte, das du mir etwas über mich erzählen würdest…«, überlegte Ahkuna laut.

»Da hat Skadi recht. Ich werde dir deine Fragen beantworten, wenn du welche hast«, bot Urd an. Ahkuna überlegte einen Moment, dann nickte sie langsam.

»Ich möchte gerne von dir wissen, was Liebe ist«, bat sie.

»Liebe ist bloß ein Wort«, antwortete die Norne darauf hart und mit einem strengen Tonfall, doch Ahkuna ließ sich nicht verschrecken.

»Das weiß ich wohl, aber… was bedeutet es? Was ist das Gefühl, das wir so nennen? Ist es nur Zuneigung oder geht es tiefer…? Weißt du, ich wüsste gerne, ob ich die Liebe schon kennen lernen durfte. Ich glaube es, aber ich… ich bin mir nicht sicher. Und für eine Illusion, für etwas, was ich einfach nicht richtig deuten konnte, will ich nicht einen Fehler begehen, der eine Kettenreaktion ins Verderben heraufbeschwören könnte. Ich glaube, dass es liebe ist, aber ich bin mir nicht sicher. Also erzähl mir bitte von diesem Gefühl. Damit ich mir sicher sein kann«, bat sie.

»Du redest von Ace, nicht wahr, Wüstenprinzessin?«

Ahkuna zögerte, doch schließlich nickte sie. Warum sollte sie es auch leugnen? Und das auch noch einer Frau gegenüber, die vermutlich viel mehr über sie wusste, als sie selbst?

»Weißt du, Wüstenprinzessin, wahre Liebe ist viel mehr, als das, wovon das Wort erzählen kann. Zuneigung wird oft dafür gehalten, so mancher ist schon diesem Irrtum erlegen. Und manchmal kann selbst wahre Liebe nicht bestehen. Weißt du, es gibt nur sehr selten dieses glückliche Ende, in dem die Prinzessin mit ihrem Prinzen bis in alle Ewigkeit leben darf. Denkst du, dass du zu diesen Wenigen gehören könntest?«

Das Mädchen zögerte, dann verneinte sie traurig.

»Ich denke, es ist Zeit, dass du weitergehst«, forderte Urd sie auf. Ahkuna blinzelte erstaunt. Eigentlich hatten sie doch gar nicht viel besprochen…? Doch sie widersprach nicht, stattdessen nickte sie und stand wieder auf.

»In welche Richtung muss ich gehen?«, fragte sie.

»Wohin du willst. Hier führt jeder Weg ans Ziel«, lächelte Urd. Das Mädchen nickte, wandte sich ab und ging einfach los. Ohne, das sie bewusst eine Richtung wählte.

Irgendwann begann sie wieder zu laufen, spürte dabei, wie sich ihr Körper zu verändern begann, bis sie schlussendlich eine Wölfin war und um sie herum das rote Gleißen des Sonnenuntergangs den Sand scheinbar zum Brennen brachte. Sie war in der Gegenwart angelangt, das wusste sie. Doch wo nur war die zweite Norne?

Da plötzlich fegte ein heftiger Wind über das Land, doch sie hatte keine Angst. Sie mochte den Wind, den auch er erzählte von Freiheit. Sie folgte ihm lachend, jetzt war sie nicht mehr allein. Sie sprang so hoch und weit, wie sie konnte, um ihm nahe zu sein, bemerkte dabei nicht einmal die junge Frau, die an einem Webrahmen saß und wob.

»Willst du nicht zu mir, Windsgesang?«, erkundigte die sich. Dabei nutzte sie die Macht des Namens, denn sofort und ohne wirklich zu verstehen wieso, blieb Ahkuna stehen und schaute sie aus großen Augen an. Sie spürte, dass es nicht ihr Wille war, doch die gehorchte trotzdem. Sie musste gehorchen, etwas anderes beherrschte ihren Willen.

Doch die zweite Norne ließ sie schon nach einigen Schritten wieder frei, sodass sie sich freiwillig vor die Frau setzte.

»Woher kennst du meinen Schülernamen?«, erkundigte sie sich leise, aber nicht ängstlich.

»Solche Dinge sind niemals ein Geheimnis für uns, Wüstenprinzessin. Doch du bist nicht Grundlos hier. Erzähl es mir, was hast du auf dem Herzen?«, erkundigte sich die zweite Norne.

»Nun, ich…«, sie wusste nicht genau, wie sie am Besten beginnen sollte. Sie seufzte schwer und legte sich dann nieder.

»Es begann damit, dass ich einen neuen Leibwächter bekam. Weißt du, Wüstenprinzessin ist gar nicht so falsch, immerhin bin ich nicht irgendwer… Meine Eltern hatten angst, dass mir etwas geschehen könnte, nachdem mein alter Leibwächter einmal versagt hatte, also bekam ich einen neuen. Er ist nicht einmal viel älter als ich, aber er galt als der Beste. Er war immer so lieb zu mir, er hat mich auch nie behandelt wie eine Prinzessin, sondern wie jeden anderen auch. Es… es hat nicht einmal lange gedauert, bis ich ihn schon geliebt habe. Zumindest… glaube ich es…«, erklärte Ahkuna leise.

»Und was ist jetzt? Was ist deine Gegenwart, Ahkuna?«, erkundigte sich die junge Frau leise.

»Jetzt… na ja, Ace ist… er ist nicht meines Standes gemessen, wie man so schön sagt. Wir können nicht zusammen sein, das wäre ein Skandal. Es gibt da noch einen anderen jungen Mann, Nori. Er ist der Sohn eines Lords, ich weiß, dass meine Eltern es sehr gerne sehen würden, wenn ich ihn heiratete. Er ist auch sehr nett, gar nicht so eingebildet, wie man sich einen jungen Mann von Adel vorstellen würde, aber… er ist eben nicht Ace«, erklärte sie und vergrub ihre Schnauze in ihrem Brustfell.

»Was genau hindert dich daran, deinem Herzen zu folgen? Ahkuna, was soll dir bitte im Weg stehen?«, fragte die Norne sanft.

»Die bloße Tatsache, dass ich eine Prinzessin bin«, antwortete das Mädchen traurig.

»Bist du denn nicht bereit, alles, was man von dir erwartet, alles was man an der sehen will aufzugeben?«

»Doch. Aber nur, wenn diese Geschichte auf ein gutes Ende nehmen kann. Ich muss mir sicher sein können, dass es wirklich Liebe ist, was ich empfinde, und nicht nur eine fixe Idee. Sonst wache ich eines Morgens auf und bin ganz allein, ohne meine Eltern und ohne meine Geschwister, die dann nichts mehr mit mir zu tun haben wollten und bei einem Mann, für den ich nur Abscheu empfinde. Ich habe angst vor solch einer Zukunft«, erklärte sie traurig.

»Weißt du denn, was wirkliche Liebe ist?«

»Nein. Niemand hat mir diese Frage bisher beantwortet. Viele konnten es nicht und manche wollten einfach nicht«, antwortete sie.

»Dann hast du vielleicht nicht die Richtigen gefragt. Frag die, die dir von wahrer Liebe erzählen können. Es gibt genug in deiner Umgebung. Oder traue dich, es selbst herauszufinden. Was denkst du, was ist wahre Liebe?«

Nachdenklich schaute Ahkuna auf den Sand.

»Wahre liebe ist, wenn man bereit ist, alles zu Opfern, alles für eine einzige Person zu tun, ohne irgendetwas als Gegenleistung zu fordern.«

»Ich denke es wir Zeit, das du deine Zukunft besuchst. Es ist alles gesagt, was es zu sagen gibt«, fand die Norne.

Ahkuna stand zögernd auf und nickte. Auch jetzt überlegte sie, wohin sie wohl nun laufen musste, doch sie befand, das es wohl auch diesmal keine Rolle spielen würde, also lief sie los. Irgendwohin. Um sie herum wurde es Nacht, eine silberne Mondsichel erschien am Himmel und ihr Körper wurde wieder zu dem einer jungen Frau.

Nachdenklich wurde sie immer langsamer, bis sie gänzlich stehen blieb. Sie schaute in den samtig blauen Himmel und fragte sich, ob sie wirklich dazu bereit war, alles aufzugeben, für etwas, was so fatal schief gehen konnte.

Sie überlegte, ob sie weiterlaufen sollte. Sie konnte sich ihre Entscheidung so einfach abnehmen lassen, doch wollte sie das wirklich? Nein, gewiss nicht. Sie setzte sich in den Sand und begann laut zu singen. Sie kannte viele Lieder und sie sang sehr gerne, wenn auch nicht oft. Sie sang nur, wenn sie glücklich war. Oder traurig. Und nun sang sie ein Lied, das ihr Nea beigebracht hatte, als sie einmal, von Heimweh geplagt, die ganze Nacht nicht hatte schlafen können.

Sie konnte sich gut an diese Nacht erinnern. Sie war damals noch keine Schülerin, sie war nur zu besuch in Wynter. Sie hatte angst vor den Geräuschen vor ihrem Fenster gehabt, hatte sie weinend unter ihrer Decke versteckt, da war Nea hereingekommen, um nach dem rechten zu sehen. Sie hatte gemerkt, die schlecht es Ahkuna ging und war mit ihr hinausgegangen um die anderen Kinder nicht zu wecken.

Gemeinsam hatten sie sich ins Wohnzimmer gesetzt und Ahkuna hatte der Frau, alles erzählt, was ihr auf dem Herzen lag. Wie sehr ihr der Wind angst machte und wie sehr sie die warmen Nächte der Wüste vermisste und ihren Windbären.

Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Nea begriffen hatte, wer ihr Windbär war. Es war ein riesiges Tier, das eines Nachts auf ihrem Balkon gestanden hatte. Damals hatte Ahkuna nicht gewusst, das es ein Bär und eigentlich sehr gefährlich war, sie war furchtlos auf ihn zugelaufen. Und hatte danach jeden Abend über Wochen hinweg mit ihm gesprochen, denn sie waren gute Freunde geworden.

Nea hatte ihr erklärt, das es der gleiche Wind war, der nun um die Fenster wehte. Ihr Windbär wollte ihr nur zeigen, dass sie nicht alleine war, das er sie beschützte. Und dann hatte ihr Nea dieses Lied beigebracht. Diese Nacht hatte ihr ihren Schülernamen eingebracht. Windsgesang.

Und hieran erinnerte sich Ahkuna nun, sang leise das Lied, das ihr immer am meisten Mut schenkte, wenn sie sich einsam fühlte. Es erinnerte sie daran, wie ihr Windbär um die Fenster wehte um zu zeigen, dass er auf die aufpassen würde.

Da flaute der Wind wieder auf, zeigte ihr auch dieses mal, das sie nicht alleine war. Er stürmte um sie herum, zerzauste ihr langes Haar, trocknete ihre Tränen.

»Wahre Liebe ist, wenn du dich traust alles aufzugeben und trotzdem immer weiterzukämpfen«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Ich werde kämpfen«, versprach sie fest. Sie zögerte kurz, doch dann setzte sie entschlossen hinzu: »Und ich werde alles aufgeben!«

»Dann wird auch alles gut werden. Deine Eltern würden dir niemals böse sein, weil du deinem Herzen folgst. Aber du musst ihm in all seiner Konsequenz vertrauen, wie falsch es dir auch erscheinen mag«, flüsterte der Wind.

»Das werde ich tun. Hab dank, mein Windbär«, rief sie lachend. Damit ging der Wind wieder. Sie überlegte kurz, ob sie dennoch zur dritten Norne gehen sollte, doch sie hatte ihre eigene Entscheidung getroffen. Sie wollte nicht wissen, ob sie gut oder schlecht war.

Und so entschied sie sich dagegen. Sie wandte sich lachend ab, fühlte ihr Herz, das vor Freude schier überlief, und lief über den Sand zurück. Eigentlich hätte auch dieser Weg in ihre Zukunft führen sollen, doch die Nornen schienen Ahkunas Entscheidung zu billigen, denn die dritte Norne sollte sie nie treffen.

Stattdessen kam sie bald wieder zur Wurzelhöhle, die sie nach draußen bringen würde. Sie sang leise ein Lied, das sich geisterhaft brach, während sie die durchquerte. Es klang ein wenig, wie der Gesang des Windes.

Als sie die Höhle wieder verließ, das lachte die Sonne gut gelaunt auf sie herab. Und sie fühlte sich frei und glücklich, als sie ihre Freunde wieder begrüßte, denn sie wusste trotzdem, das ihre Zukunft wunderbares mit ihr vorhatte.

Wolfskinder Sternenwege - Seelenflüsterer

Slyk seufzte. Er gab es zu, er hatte sich verlaufen. Und das in seiner Heimatstadt. Das war peinlich. Aber irgendwie erschien ihm hier alles so anders, als ob er nie zuvor hier gewesen wäre. Und das verstand er nicht. Dies war ganz eindeutig Navarre, warum konnte er es nicht erkennen? Warum waren alle Wege so anders? Und wieso war alles so leer?

»Ach verdammt, was soll das?«, fauchte er schlecht gelaunt. Wer auch immer gerade versuchte, seinen Spaß mit ihm zu haben, gehörte bestraft. Das war definitiv nicht lustig. So trottete er schlecht gelaunt weiter, bis er zu einer Hauptstraße kam, die ihm seltsam bekannt vorkam. Er beschloss, ihr zu folgen und sie führte auch wirklich zum Schloss hinauf.

Das Tor war offen und verweist. Jetzt machte sich Slyk wirklich sorgen. Das Tor war niemals unbewacht, zu keiner Tages und Nachtzeit, denn obwohl sein Vater ein guter Kaiser war, gab es trotzdem immer noch Neider und jene, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren. Es liefen ihm kalte Schauer über den Rücken, doch er ging trotzdem weiter.

Er betrat das Schloss und runzelte erstaunt die Stirn. Alles sah so völlig anders aus. Ein anderes Wappen zierte die Wände, ein Fenek vor einem roten Wüstenmond. Was war geschehen, während er weg war? War Krieg ausgebrochen? Hatte es einen unfreiwilligen Machtwechsel im Kaiserreich von Navarre gegeben? Was war nur geschehen?

Zögernd und auf das Schlimmste gefasst schlich er weiter. Da bemerkte er die offene Tür und das klappern eines Spinnrads. Er schlich hin, blickte in den Raum und sah eine alte Frau dort sitzen.

»Sie sollten hier verschwinden, es sind fremde Männer im Schloss«, sagte er, als er langsam eintrat.

»Ich hab dich schon erwartet, Seelenflüsterer«, antwortete die alte Frau, schien ihm gar nicht zugehört zu haben. Doch als Slyk seinen Schülernamen vernahm, da prallte er erschrocken zurück. Es gab außer ihm nur einen, der ihn kannte.

»Was habt ihr mit Lugh Akhtar gemacht?«, wollte er fest wissen, zitterte dabei innerlich vor angst. Sie hatte alle Macht über ihn, das wusste er. Lugh Akhtar hatte ihm demonstriert, welche Macht die Schülernamen besaßen.

»Komm her, ich tu dir nichts. Du musst keine angst haben, du bist hier in Sicherheit«, lächelte die alte Frau, schaute ihn nicht einmal an.

»Natürlich, weil man ja auch jedem vertrauen sollte, der in einem besetzten Schloss herumsitzt«, knurrte Slyk sarkastisch.

»Das Schloss ist nicht besetzt. Es ist einfach so, wie es einst gewesen war. Der Fenek ist das alte Wappen von Navarre. Das Kaiserreich trug es, bis dein Vater Kaiser wurde. Er hat das Wappen geändert. Das alles hier ist nichts schlechtes, es ist einfach nur das Vergangene. Du selbst bist im Vergangenen«, erklärte die alte Frau und lächelte nachsichtig.

»Im Vergangenen? Ich bin in der Vergangenheit?«, erstaunt schaute Slyk sie an.

»In deinen Erinnerungen, die schon so alt sind, wie du selbst, ja. Und vor dir selbst musst du dich nicht fürchten. Jetzt komm zu mir, du hast gewiss fragen an mich.«

»Außer der, wer sie sind und woher sie meinen Schülernamen kennen?«, Slyk seufzte und ergab sich seinem Schicksaal. Er setzte sich zu der alten Frau und nickte bestätigend.

»Ja, ich habe eine Frage und ich bin gespannt, ob sie mir die beantworten können«, meinte er.

»Stell sie mir, dann wirst du es erfahren«, lächelte die alte Frau.

»Nun, es ist so… Meine Mutter, meine Tante, mein Meister und seine Frau, der ehemalige Meister der Zauberergilde… sie alle haben immer… Tiere bei sich. Meine Mutter hat eine weiße Tigerin, die ist immer bei ihr. Mein Meister hat einen schwarzen Wolf, seine Frau eine Rotfüchsin und meine Tante eine Polarfüchsin. Und der ehemalige Gildenmeister hat eine Eule. Aber… es scheint diese Tiere außer mir keiner zu sehen. Sie laufen sie fast über den Haufen, keiner sagt ihnen je ein Wort und als ich einmal meinen Geschwistern davon erzählte, da haben sie mich ausgelacht. Und trotzdem sehe ich sie. Ich höre sie auch. Aber warum nur ich?«

»Du hast deinem Meister davon erzählt, nicht wahr?«

»Ja«, Slyk wirkte nicht begeistert bei dieser Erinnerung. »Er hat mich angeschaut, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf, dann hat er gegrinst. Nichts gesagt, nichts erklärt, einfach nur gegrinst. Ich denke nicht, das er mir glaubt.«

»Er glaubt dir. Er weiß, dass es sie wirklich gibt. Diese Tiere, man nennt sie Schutzgeister. Sie sind etwas ganz besonderes, es gibt nur dreizehn Stück von ihnen. Und es gibt nicht viele, die sie sehen können und noch weniger, die ihre Worte verstehen. Daher hast du deinen wirklichen Namen. Er glaubt dir, auch wenn er sie selbst nicht sehen kann.«

»Aber wenn er sie nicht sieht, warum sollte er es dann glauben?«

»Weißt du, was Schutzgeister sind?«

»Nein.«

»Es sind die Seelen Verstorbener. Doch sie können nicht ruhen, denn irgendwo gibt es jemanden, der ihnen so wichtig war, dass sie es nicht ertragen könnten, ihn schutzlos zurückzulassen. Also bleiben sie hier und begleiten diese Person fortan. Sie können nicht in das Geschehen eingreifen, es ist, als würde es sie gar nicht geben, nur wenn ihr Schützling in wirklich großer Gefahr ist, dann können sie helfen. Und nur dann können auch die anderen sie sehen. Und Lugh Akhtar hat den schwarzen Wolf schon gesehen. Jeder von ihnen hat seinen Schutzgeist schon einmal gesehen, denn jeder von ihnen hat seinen Schutzgeist schon einmal gebraucht.«

»Er wusste es, sagte es aber nicht… Ich werde aus dem Mann wirklich nicht schlau. Er ist seltsam, er macht aus allem ein Geheimnis. Auch aus sich selbst«, murrte Slyk, seufzte dann aber erschöpft. »Nun, ist auch egal. Es gibt sie also wirklich. Ich denke, dann… gibt es nichts mehr, was wir noch besprechen müssten, oder?«

»Nein. Du kannst gehen, wenn du möchtest«, antwortete die Frau und lächelte.

Slyk nickte, stand auf und verließ den Raum. Es war, als wäre er über eine unsichtbare Barriere getreten. Er war wieder ein Wolf und er spürte junges, frisches Gras unter den Pfoten. Doch viel wichtiger war die Gestalt, die unweit von ihm an einem Webrahmen saß und arbeitete.

Im ersten Moment glaubte er, es wäre seine Mutter, doch es dauerte nur einen Augenblick, bis er seinen Irrtum bemerkte. Trotzdem kam er vertrauensvoll näher und setzte sich neben sie. Er zögerte einen Moment, dann jedoch legte er seinen Kopf in ihren Schoß und sie streichelte ihn.

»Hallo Seelenflüsterer. Ich habe bereits auf dich gewartet«, flüsterte sie ihm zu.

»Bin ich hier in meiner Gegenwart?«, erkundigte er sich leise.

»Ja. Erzähl mir, was ist es, was dich in deiner Gegenwart beschäftigt?«, wollte die junge Frau wissen.

»Sie ist es.«

»Erzähl mir von ihr.«

Slyk seufzte, nahm seinen Kopf wieder hoch und legte sich ins Gras.

»Ich habe sie in Navarre getroffen. Zufällig. Ich habe etwas verloren und sie hat es mir gegeben und zum Dank habe ich sie auf ein Glas Wein eingeladen. Wir haben uns so gut unterhalten, denn sie ist klug, witzig und hübsch. Wir genossen den Nachtmittag so sehr, das wir uns Widertreffen wollten. Wir trafen uns auch wieder, immer wieder, bis… ich sie einfach nicht mehr gehen lassen wollte. Aber sie musste natürlich wieder gehen. Und das nächste mal, als ich sie traf, veränderte alles.«

»Erzähl mir davon.«

»Es war in einer Spelunke in Nahimana. Ich erkannte sie, obwohl sie mir den Rücken zuwandte. Ich erkannte ihre Stimme, mit der sie einen fremden Mann Vater nannte. Und ich fühlte mich wie in ein tiefes Loch gestoßen, als mir Taka erklärte, das der Mann ein Sklavenhändler war. Mein Vater hatte schon oft Probleme mit ihm, doch man hatte ihm nie etwas nachweisen können, deswegen war er noch auf freiem Fuß. Das Mädchen, in das ich mich verliebt hatte, war also die Tochter von dem Mann, den mein Vater am Liebsten hinter Gittern sehen wollte. Keine gute Grundlage für eine Beziehung«, er lächelte gequält.

»Was hast du jetzt vor?«

Eine wirklich gute Frage. Er hatte sie bisher erfolgreich verdrängt. Er konnte mit diesem Wissen nicht einfach weitermachen, wie bisher, damit würde er seinen Vater und das ganze Kaiserhaus von Navarre verraten. Aber er wollte sie auch nicht aufgeben.

»Kann es für uns einen Mittelweg geben? Einen Weg, mit dem wir alle glücklich werden können?«, fragte er leise.

»Das kann ich dir leider nicht beantworten. Aber du kannst es dennoch herausfinden«, antwortete die junge Frau.

»Indem ich die dritte von euch Nornen suche?«

»Genau.«

Slyk nickte und lächelte dankbar. Er schaute sich suchend um, denn er war durch eine Tür hierher gekommen, vielleicht kam er auch durch eine Tür zur nächsten Ort. Doch natürlich sah er nichts.

»Wohin muss ich gehen?«, fragte er die junge Frau.

»In deine Zukunft.«

Das half ihm nun wirklich nicht weiter und so runzelte ärgerlich die Stirn. Dann jedoch hörte er das Rauschen von Wellen und sofort wusste er, dass er dem Geräusch folgen musste. Er lief los, über das Gras, das mit jedem Schritt härter und karger wurde, bis es gänzlich im Sand unterging, und er es nicht mehr spüren konnte, denn er wurde wieder zum Mensch.

Nun roch er auch das Salz in der Luft und er wusste, dass er am Ozean war. Er liebte das Meer, wenngleich er nur ungern auf Schiffen reiste. So sprang er aufgeregt die letzten Dünen hinauf, blieb dann schier überwältigt stehen.

Es war eine felsige Küstenlandschaft, wie man sie im Norden Navarres häufig fand. Das Meer war nicht türkis sondern Sturmgrau und tiefe Wolken hingen über dem Himmel. Gelegentlich wetterleuchtete es, doch das Donnergrollen war noch weit entfernt.

Eine ganze Weile blieb er so einfach nur stehen, freute sich an dem Anblick, der sich nicht alle Tage bot, dann jedoch schaute er sich suchend um. Und erblickte ziemlich schnell das kleine Mädchen, das ein buntes Band nach dem anderen in die Wellen warf. Er wusste sofort, dass sie die dritte Norne war. Er ging langsam zu ihr und stellte sich neben sie.

»Erzählst du mir etwas über die Zukunft?«, fragte er leise.

»Wenn du etwas über sie erfahren willst schon, ja«, antwortete das Mädchen.

»Kannst du mir verraten, ob es einen Weg gibt, auf dem sie und ich glücklich werden könnten?«, fragte er leise.

»Natürlich gibt es den. Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden«, lächelte die dritte Norne.

»Aber wie kann ich ihn finden? Und woher weiß ich, dass es der Richtige ist?«

»Das kannst du nicht wissen. Du musst ihn bis an sein Ende gehen, bis du es wissen kannst. Weißt du, ob es gut oder schlecht endet, es liegt nicht einmal in deiner Hand. Du kannst es nicht beeinflussen, du kannst nur warten.«

»Warum liegt es nicht in meiner Hand? Es ist doch meine Zukunft, oder nicht?«

»Ja, aber es gibt Dinge, die liegen dennoch nicht in deinen Händen. Und ob du mit deiner Liebsten glücklich werden kannst, gehört dazu. Das liegt nämlich in ihrer Hand«, lächelte das Mädchen.

»In ihrer Hand? Wieso?«

»Weil es so ist. Mehr darf ich dir nicht verraten. Dir bleibt nur zu warten und zu hoffen. Und jetzt auch zu gehen. Deine Freunde warten bereits auf dich.«

»Warum darfst du mir nicht mehr sagen?«

»Weil das nicht mehr in deinen Händen liegt. Das ist ihr Schicksaal. Du musst dich letztlich mit dem Ergebnis abfinden. Geh jetzt«, forderte das Mädchen ihn auf.

Und Slyk tat, was sie wollte. Er spürte ein Drücken im Magen, er wollte nicht einfach so gehen, aber er wusste, dass alles gesagt war. Er biss sich auf die Lippe, wandte sich ab und schaute noch einmal aufs Meer hinaus. Dann drehte er sich um und ging. Es gefiel ihm nicht, so unverrichteter Dinge abziehen zu müssen, so etwas war nicht seine Art, aber er konnte einfach nichts tun.

Er lief die Dünen hinauf, bis er wieder auf Gras lief. Er schaute nicht einmal zurück, immer nur geradeaus, grübelte dabei vor sich hin. Er wollte einfach nicht einsehen, dass er nichts tun konnte. Das konnte einfach nicht sein. Und trotzdem war es so.

Den Rückweg nahm er gar nicht mehr bewusst war. Er ging einfach. Bis er wieder zu Hause war. Er verließ die Höhle und sogleich kamen ihm alle entgegen, bedrängten ihn mit ihren Worten. Doch er wollte alleine sein. Er ging ihnen aus dem Weg. Er musste nachdenken über das, was er gehört hatte. Und sich damit abfinden, dass er wohl doch nur warten konnte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2012-03-13T20:23:02+00:00 13.03.2012 21:23
Ich weiß, schonmal gefragt, aber wie schaffst du das nur? XD So was geiles noch dran zu hängen XD
Ich hoffe aber trotzdem das da noch ein paar andere Sidestorys kommen <3


Von: abgemeldet
2012-03-13T20:22:26+00:00 13.03.2012 21:22
Ich muss gleich noch ein dranschieben *_____________*
*schon zum dritten mal gelesen hat den Teil*
Schade das das alles Sachen sind die nicht so gelaufen sind XD
*______________*
Von: abgemeldet
2012-03-13T20:19:27+00:00 13.03.2012 21:19
Oh mein Gott wie geil *______________________________*
Ahhwwwwwwww >________________________< Ich vergöttere diesen Teil grade XD
Ahkuna und Ace <3 Man, total geil geschrieben und einfach... ahhhwwww *.*

Von: abgemeldet
2012-03-13T20:16:55+00:00 13.03.2012 21:16
Wie kommst du eigentlich dazu neben dem anderen noch das hier alles zu schreiben? XD
Man, ganz ehrlich, ich liebe Lif *___* Vielleicht liegt an es seiner Art, vielleicht auch an seinem Namen, ich weiß es nicht, aber ich finds immer so toll was über ihn zu lesen oder wenn er vorkommt XD

Achja, echt ne gute Idee, das hier XD
*aufmerksam verfolg*


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