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Memori3s

von

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... einer Rivalität?

Zeus schaute noch einmal auf den Zettel in seiner Hand und überflog dann mit den Augen die vielen Klingelschilder. Er fand den gesuchten Namen und drückte auf die entsprechende Taste. Für Sekunden, in denen er zum wiederholten Mal abwechselnd auf die aufgeschriebene Adresse und dann auf die Nummer des Hochhauses, vor dem er stand, schaute, passierte gar nichts, dann hörte er ein leises Schnarren aus der Freisprechanlage, auf das eine helle Stimme folgte.

„Hallo?“, wollte diese wissen und Zeus geriet ins Stocken. So hoch hatte er seine Stimme nicht in Erinnerung gehabt…

Er räusperte sich verlegen und beugte sich der Anlage etwas entgegen.

„Verzeihung, ich habe mich wohl in der Hausnummer geirrt…“, entschuldigte er sich höflich und wollte schon peinlich berührt auf dem Absatz umdrehen, als die Stimme, die eindeutig zu einer jungen Frau gehörte, ihn zurückhielt. „Wollten Sie vielleicht zu Hideki?“

Verwundert drehte sich Zeus wieder um. „Äh… ja, genau.“

„Warten Sie einen Moment, bitte.“ Die Verbindung wurde unterbrochen und wieder geschah Sekundenlang nichts. Dann ertönte plötzlich ein Surren und Zeus beeilte sich, die Eingangstür des Hauses aufzudrücken.

Er hatte schon ein paar Etagen zurückgelegt, als ihm auf einmal ein junger Mann im Treppenhaus entgegenkam, der ihn überrascht anstarrte. Zeus fror in seiner Bewegung ein, die Stufen eilig hochzusteigen, und sah ebenfalls verwundert zu Hideki hinauf. Sein braunes Haar war um einiges länger geworden und ein anfänglicher Stoppelbart zeichnete sich in dem Gesicht des jungen Mannes ab, den Zeus mit einem weitaus gesünderen Teint in Erinnerung gehabt hatte. Er musste mit einem bitteren Gefühl feststellen, dass die Trauer deutliche Spuren bei Hideki hinterlassen hatte.

Dennoch zwang er sich zu einem Lächeln und nahm die letzten Stufen bis zum nächsten Treppenabsatz. Hideki rührte sich immer noch nicht, sah ihn weiterhin an, als sei er nicht real. Erst als Zeus sich verlegen am Hinterkopf kratzte und sichtlich nach den passenden Worten suchte, ging ein Ruck durch den anderen, der mit ausgreifenden Schritten die letzten Höhenmeter überbrückte und den Schwarzhaarigen schweigend, aber dennoch stürmisch und feste in die Arme schloss. Zeus spürte, wie der ganze Körper des Anderen vor Anspannung zitterte und beruhigend klopfte er Hideki leicht auf die Schulter.

„Wie hast du mich gefunden?“, hörte Zeus ihn mit heiserer Stimme fragen. Zeus konnte nicht genau sagen, ob das Traurige in seiner Stimme nun ihm galt oder nicht, oder ob das Brüchige überhaupt Trauer war. Er zuckte mit den Schultern, soweit das in einer Umarmung möglich war.

„Ich habe durch Zufall den Nachruf in der Zeitung gelesen…“, antwortete Zeus und fügte vorsichtig und leiser hinzu: „Hab mir gedacht, dass du das sein könntest.“ Hideki lachte kurz und emotionslos, dass sein Körper leicht bebte, dann ließ er Zeus los und sah ihm traurig in die Augen. „Mein aufrichtiges Beileid…“, sagte Zeus mitfühlend, woraufhin sein Gegenüber dankend nickte. „Ich hätte deine Mutter wirklich gerne mal kennengelernt.“

Hideki verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln und schüttelte den Kopf. „Ich denke, dass es besser so ist- ihr beide hättet euch nicht sehr gut verstanden…“

Zeus hob verwundert die Brauen, dann jedoch zuckte er flüchtig mit den Schultern und grinste. „Kann ich verstehen- die meisten Mütter mögen mich nicht.“ Nun konnte sich auch Hideki kein Lächeln mehr verkneifen. Etwas unschlüssig standen sie voreinander, dann ergriff Zeus wieder das Wort.

„Ich bin nicht nur deswegen hierhergekommen…“, fing er an und Hideki sah ihn stirnrunzelnd an. „Ich brauche deine Hilfe, Hades.“, schloss er und Hidekis Blick verdüsterte sich misstrauisch, dennoch beließ er es dabei und schwieg. Er schien für einen Moment lang zu überlegen, dann fiel seine Anspannung doch ein Stück weit ab, sodass er schließlich seufzend eine einladende Handbewegung die Treppen hinauf andeutete, der Zeus dankend nachkam und dem jungen Mann in die fünfte Etage folgte.

Die Wohnungstür war nur angelehnt, sodass Hideki diese sofort durchschritt und Zeus hinein winkte. Als Zeus die Tür hinter sich wieder ins Schloss gedrückt hatte, rief auf einmal die helle Stimme von vorhin Hidekis Namen und keine Sekunde später tauchte eine junge Frau im Flur auf.

Sie war vielleicht ein paar Jahre jünger als Hideki und er selbst, hatte lange, blond gefärbte Haare und ihre helle, ebene Haut ließ die Frau wie aus Porzellan wirken. Zeus konnte es sich nicht ganz erklären, aber als sie ihm in diesem Moment in die Augen sah, vergaß er kurz zu atmen. Das tiefblaue Irispaar schien ihn in einen Bann zu ziehen, aus dem er sich nicht mehr zu befreien wusste.

„Das ist Hitomi- ich habe dir von ihr erzählt.“, vernahm Zeus von irgendwoher Hidekis Stimme, die ihm dabei half, wieder klar denken zu können. Blinzelnd sah er zu seinem Freund hinüber, in dessen Blick sich ein Hauch von Verwunderung widerspiegelte. Galt diese ihm? Hatte man ihm etwa ansehen können, wie überrascht er über die Frau gewesen war? Zeus spürte ein leichtes Schamgefühl in sich hochsteigen, welches er mit einem zustimmenden Lächeln zu übertünchen versuchte. Tatsächlich verschwand der seltsame Ausdruck aus Hidekis Blick und er stellte Zeus wiederum Hitomi vor, deren verzaubernde Augen sich beim Klang seines Namens strahlend weiteten.

„Tatsächlich? Du bist also Zeus?“, fragte sie und dabei legte sich ein Lächeln auf ihre roten Lippen, das Zeus beinahe wieder in Atemnot versetzte. Was war nur los mit ihm? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, fiel diese Hitomi ganz und gar nicht in das Schema Frau, das er normalerweise attraktiv fand- sie war viel zu zierlich, viel zu schmächtig und erinnerte ihn mehr an ein kleines Mädchen oder eine Puppe, bei der man Angst haben musste, dass sie bei der kleinsten Berührung zerbrechen könnte. Aber irgendetwas schien sie dennoch zu besitzen, mit dem sie wahrscheinlich jeden Mann um den Verstand bringen konnte. Hideki hatte Hitomi ihm niemals beschrieben- wenn er sich richtig erinnerte, hatte er sie nur ein, vielleicht zweimal in einem Gespräch erwähnt- oder näher charakterisiert, sodass Zeus lediglich wusste, dass sie eine Freundin von Kindesbeinen an war. Zögernd wagte er es, ihr wieder in die Augen zu sehen, sodass er erst jetzt bemerkte, dass sie ihn schon eine ganze Weile lang erwartungsvoll ansah. Er erinnerte sich auf einmal, dass sie ihm eine Frage gestellt hatte, die er immer noch nicht beantwortet hat. Als erwache er aus einem Traum begann er zu blinzeln und holte schnell Luft.

„Äh… ja, der bin ich…“ Innerlich ohrfeigte er sich für diese dämliche Formulierung. Hitomi schien seine unelegante Reaktion allerding nicht weiter zu stören, im Gegenteil; ihr Lächeln wurde ein Stück weit breiter und sprang sofort auf ihre dunkelblauen Augen über. Sie machte Anstalten, Zeus die Hand zu reichen, doch da kam ihr Hideki plötzlich dazwischen.

„Würde es dir etwas ausmachen, uns für ein paar Minuten alleine zu lassen?“, fragte er sie in einem, für Zeus` Geschmack, übertrieben energischen Tonfall und ließ sie somit in ihrer Bewegung, ihre Rechte auszustrecken, innehalten. Hitomi sah den Braunhaarigen verdutzt an, dann jedoch stahl sich wieder ein unbeschwertes Lächeln auf ihre Züge und schulterzuckend trat sie ein paar Schritte rückwärts.

„Es ist deine Wohnung, Hideki.“, erwiderte sie, dann begann sie zu lachen und deutete hinter sich in einen Raum. „Ich gehe in die Küche, dann könnt ihr in Ruhe reden.“ Bevor sie nun auf dem Absatz kehrt machte, warf sie noch einmal einen flüchtigen Blick zu Zeus und ihre Augen schienen für einen Moment lang heller zu leuchten, als zuvor, dann drehte sie sich vollends um und verschwand in einem der angrenzenden Zimmer.

Zeus` innere Anspannung, die ihm immer weiter die Kehle zugeschnürt hatte, verflog augenblicklich und erleichtert atmete er leise und unauffällig aus.

„Wir gehen am besten in mein Zimmer.“, sagte Hideki schroff und wandte sich sofort ab, dass Zeus ihm stirnrunzelnd hinterher sah. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sein Freund es auf einmal zu bereuen schien, ihn zu sich in die Wohnung gebeten zu haben…

Sobald er Hidekis Zimmer betreten hatte, schloss der andere auch schon sofort die Tür hinter ihm zu und deutete Zeus, sich zu setzen. Das Zimmer war nicht besonders groß. Ein, für diesen Raum beinahe schon zu großer Schreibtisch war vor dem einzigen Fenster platziert, durch das man in einen schmalen Hinterhof blicken konnte, an der rechten Wand standen ein Kleiderschrank und ein großes Regal, in dem die unterschiedlichsten Sachen- von losen Blättern, Ordnern und Büchern, bis hin zu kleinen Figuren, Urlaubssouvenirs und Computerteilen- verstaut waren. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein, in eine passende Nische eingelassenes, schmales Bett, auf dessen Kante sich Zeus kurzerhand setzte. Hideki nahm auf dem Drehstuhl Platz, der an seinem Schreibtisch stand und schaute abwartend zu Zeus hinüber.

Dieser hob nur misstrauisch eine Augenbraue. „Hab ich irgendetwas falsch gemacht oder warum erdolchst du mich mit deinen Blicken?“

Der Angesprochene zog verwundert die Stirn kraus. „Tu ich doch gar nicht…“, erwiderte Hideki in einem giftigen Tonfall, der auf etwas anderes schließen ließ, doch bevor Zeus nachhaken konnte, wischte Hideki das Thema mit einer passenden Handbewegung beiseite. „Is ja auch egal- du wolltest etwas von mir, also raus damit.“

Zeus schwieg einen Augenblick lang. Er hatte sich das Gespräch eigentlich anders vorgestellt. Ihm lag noch ein Kommentar auf der Zunge, den er sich jedoch lieber verkniff. Er war hier nicht hergekommen, um sich mit Hideki zu streiten.

Zu seiner eigenen Überraschung ergriff sein Gegenüber auf einmal mit kleinlauter Stimme wieder das Wort. Hidekis Gesichtsausdruck war weicher geworden- so, wie Zeus den jungen Mann eigentlich in Erinnerung behalten hatte- und schüchtern begann er mit einem Stift zu spielen, der auf dem Tisch gelegen hatte. „Tut mir Leid, dass ich so schroff war.“, fing er an und hob etwas hilflos mit den Schultern. „Ich hab `ne harte Zeit hinter mir und bin deswegen immer noch etwas durch den Wind.“ Mit einem Blick, der um Vergebung bat, sah Hideki von seinen Händen auf. „Aber wie… ist es dir überhaupt die letzten Jahre ergangen? Wir haben uns ja seit meiner Entlassung gar nicht mehr gesehen…“

Etwas überrumpelt über den krassen Einschnitt, brauchte Zeus erst ein paar Sekunden, um sich zu fangen, dann zuckte er unschlüssig mit den Schultern.

„Ich bin ungefähr `nen halbes Jahr nach dir raus gekommen und hab versucht, wieder Fuß zu fassen.“ Zeus unterbrach sich trocken lachend. „Ich musste leider feststellen, dass sich die Welt in ein paar Jahren verdammt stark ändern kann.“ Hideki antwortete nicht und so sprach Zeus einfach weiter. „Warst du noch drei Jahre zuvor heiß begehrt in der Drogenszene, dass sich die Bosse um dich gerissen haben, bist du jetzt, nachdem du einmal gesessen hast, nicht mehr zuverlässig oder vorsichtig genug.“ Zeus verzog verärgert das Gesicht. „Und der scheiß Kerl, der mich hinter Gitter gebracht hat, ist selbst an einer Überdosis draufgegangen… das nenn ich Ironie des Schicksals.“

„Was ist aus deinem Plan zu studieren geworden?“, fragte Hideki leise nach ein paar Sekunden der Stille. Zeus begann grinsen.

„Ich bin tatsächlich an einer Uni gelandet- zwar nicht offiziell, aber-“

„Moment.“, unterbrach ihn Hideki mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was heißt ‚nicht offiziell’?“

„Ich bin kein offizieller Student. Ich setz mich nur so mit in die Vorlesungen- naja, oder ich mogel mich halt so irgendwie mit in die Übungen rein, bis jetzt ist mir da immer ein Weg eingefallen…“, gab Zeus schulterzuckend zu, dass der andere ihn fassungslos anstarrte. Beschwichtigend hob er die Hände, als Hideki empört Luft holte. „Beruhig dich, Alter! Erstens, ist das meine Sache, was ich mache und zweitens, nehme ich das alles dennoch sehr ernst, okay?“

„Und warum hast du dich dann nicht eingeschrieben? Du hast doch dafür gelernt und den Doc extra um ein Referenzschreiben gebeten!“

Zeus` Blick wurde ein Stück weit mitleidiger und seufzend schüttelte er den Kopf. „Wunschdenken, Hades. Oder hast du wirklich geglaubt, dass jemand einen Ex- Drogendealer mit einem miserablen Schnitt, der dazu noch mehrere Jahre gesessen hat und ein gutmütiges Wort von seinem Psychotherapeuten in der Tasche hat, einfach so an seiner Uni studieren lässt?“

Hideki antwortete nicht, sah ihn nur hilflos an, bis er Zeus` Blick nicht mehr aushielt und traurig zur Seite sah. „Das tut mir leid für dich.“, erwiderte Hideki kleinlaut und Zeus konnte sich nur schwer ein gequältes Lächeln verkneifen.

„Jetzt flenn nicht rum, mir geht’s gut. Wie du siehst, habe ich ja immerhin einen Weg gefunden, dennoch etwas über Neurobiologie zu lernen und das ist mir wichtig- ob ich mich hinterher einen Doktor oder ähnliches schimpfen darf oder nicht, ist mir im Grunde egal.“ Er wartete einen Moment lang und holte Luft, um dann fortzufahren. „Außerdem hab ich was Neues gefunden- etwas, das viel mehr abwirft, als dieser ganze Drogenkram.“

Misstrauisch zog Hideki eine Braue Richtung Haaransatz. „Ach ja?“

Zeus nickte grinsend. „Weißt du eigentlich, wie viele Menschen dort draußen rumlaufen, auf die ein Kopfgeld ausgesetzt ist?“ Er brauchte ein paar Augenblicke, doch dann schien der Jüngere verstanden zu haben und sah Zeus mit geweiteten Augen an.

„Kopfgeld?“, rief er entsetzt. „Bist du wahnsinnig? Weißt du wie gefährlich sowas ist? Solche Leute werden nicht umsonst gesucht!“

Zeus` Grinsen nahm zu. „Genau aus dem Grund bin ich ja heute bei dir…“

Schockierte Erkenntnis machte sich in Hidekis unrasiertem Gesicht breit. „Auf keinen Fall! Ich werd dir ganz bestimmt nicht helfen!“

„Hör doch erst mal zu, bevor du rumzickst…“, entgegnete der Andere augenverdrehend und tatsächlich klappte der Jüngere seinen Mund wieder zu, jedoch nicht ohne die Arme trotzig und gewappnet vor der Brust zu verschränken. Als Zeus sich sicher war, dass er Hidekis Aufmerksamkeit zumindest für den Moment hatte, begann er mit gesenkter Stimme zu erzählen. „Du hast Recht, der Job ist gefährlich- aber nur, wenn man zu unvorsichtig ist. Ich habe bis jetzt ein paar kleinere Spionageaufträge übernommen, aber selbst die sind alleine mit eher mäßigem Erfolg zu bewältigen.“ Zeus sah seinem Freund ernst in die Augen. „Ich brauche einen Partner- jemanden, dem ich zum einen blind vertrauen kann und der sich zum anderen in technischen Dingen auskennt…“

Hidekis Augenbraue wanderte ungläubig ein Stück höher. „Und ich bin der Einzige, auf den diese Beschreibung zutrifft?“ Er schüttelte den Kopf. „Kein Stück, Zeus, da mach ich nicht mit!“

„Ich verlange ja nicht von dir, dass du mit mir gemeinsam losziehst.“, erwiderte der Angesprochene beschwichtigend. „Du sollst nur im Hintergrund die Fäden ziehen. Ich versichere dir, dein Name würde nirgendwo auftauchen- und denk mal darüber nach, was so ein Auftrag an Geld abwirft: ich würde dir selbstverständlich die Hälfte des Gewinns überlassen.“ Hideki schwieg und sah Zeus misstrauisch an.

„Es wird dennoch ein Risiko bleiben. Es gibt viele Mittel und Wege, jede elektronische Spur bis zu ihrem Absender zurückzuverfolgen…“, sagte er irgendwann.

„Und ich bin mir sicher, dass du genauso viele Gegenmaßnahmen kennst, die uns im Notfall den Hintern retten könnten.“, antwortete Zeus und hob provokant die dunklen Brauen. Seine Worte zeigten die gewünschte Wirkung, sodass Zeus nun mit einer gewissen Genugtuung mit ansah, wie Hideki zusehends verbissener mit sich selbst rang und sauer die Lippen aufeinander presste, als müsse er sich davon abhalten, Zeus` Vermutung zu kommentieren. Nach ein paar Sekunden blies der junge Mann die angehaltene Luft schnaubend aus und schüttelte erneut mit dem Kopf.

„Du würdest mit diesem Scheiß auch dann noch weitermachen, wenn ich nein sage, oder?“

Zeus zuckte unschuldig mit den Schultern. „Von irgendetwas muss der Mensch ja schließlich leben…“, entgegnete er, woraufhin sich Hideki trocken lachend durch die Haare fuhr.

„Du bist `nen Arsch, Zeus.“, brummte er und stand auf. „Schön, ich helfe dir. Aber ich will mit dieser Sache nicht in Verbindung gebracht werden. Ich helfe dir, bei was auch immer an Informationssuche anfällt, aber danach bin ich raus, verstanden?“

Zeus stand ebenfalls auf und reichte Hideki grinsend die Hand. „Offiziell kenn ich dich gar nicht.“, versprach er und schloss den Anderen kurzerhand erleichtert in die Arme. „Danke, Hades.“

„Noch was…“, hörte er Hideki murren. „Nenn mich nicht so- schon gar nicht vor Hitomi!“

Zeus seufzte, ließ Hideki wieder los und klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Es freut mich zu sehen, dass du dich kein Stück verändert hast.“
 

Nach einer kurzen Diskussion ließ sich Zeus dazu überreden, zum Essen zu bleiben, das Hitomi in der Zwischenzeit gekocht hatte. Als sie dann zu dritt an dem kleinen Esstisch saßen, erfuhr Zeus noch ein paar Details über Hideki selbst, wo er aufgewachsen war und wie es ihm in den letzten Jahren ergangen war. Ihm wurde erzählt, dass Hidekis Mutter vor ein paar Wochen an Krebs gestorben und dass Hitomi nach ihrem Tod zu Hideki in die Wohnung gezogen ist, um ihn in der Zeit danach zu unterstützen.

Hideki arbeite nun in einem Elektrofachhandel und reparierte dort die Computer der Kunden- ein guter Job mit einem annehmbaren Verdienst, von dem er leben konnte. Hitomi war Krankenschwester und sie liebte ihre Arbeit über alles. Zeus selbst erzählte kaum etwas über sich, worüber er allerdings auch ganz froh war und so genoss er das unbeschwerliche Abendessen und lachte mit Hitomi über Anekdoten aus ihrer und Hidekis Kindheit.

Hideki war zu Zeus` Verwunderung die ganze Zeit über recht still und wortkarg und ließ Hitomi gerne den Vortritt, wenn es darum ging, Geschichten aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit zum Besten zu geben. Wenn die junge Frau mit strahlenden Augen und ausgreifenden Handbewegungen zu erzählen begann, behielt er sie mit einem Gesichtsausdruck im Auge, als sei Hitomi seine Ehefrau, die einem anderen Mann gerade verbal um den Hals fiel.

„Ich sollte mich langsam auf den Weg machen.“, sagte Zeus dann irgendwann mitten im Gespräch und auf Hitomis enttäuschtes Gesicht hin, fügte er entschuldigend hinzu: „Ich muss leider noch meine Bahn erwischen. Die fährt abends nicht mehr so häufig und ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so spät werden würde.“ Verwundert sah sich die junge Frau zu der Wanduhr um und sog erschrocken die Luft ein.

„Du hast Recht!“, rief sie erstaunt und begann leise zu kichern. „Wir haben ganz die Zeit vergessen…“ In diesem Moment stand Hideki so abrupt auf, dass Zeus und sie verwirrt zu ihm hochschauten.

„Tja, dann sollte sich Zeus vielleicht besser beeilen.“, sagte er unterkühlt und stapelte die leeren Teller übereinander. Zeus spürte, wie die Situation erneut zu kippen drohte, genau wie am Anfang, als Hitomi ihn begrüßt hatte. Er stand ebenfalls auf.

„Warte, ich helfe dir.“, erwiderte er schnell an Hideki gewandt und machte sich daran, das Besteck einzusammeln. Hitomi saß weiterhin auf ihrem Platz und sah zwischen den beiden Männern hin und her, als wisse sie nicht so recht, wie sie reagieren sollte. Doch dann schien ihr etwas einzufallen und gerade, als Zeus hinter Hideki her in die Küche gehen wollte, sprang sie von ihrem Platz auf und hielt ihn an der Schulter zurück.

„Wo musst du denn deine Bahn nehmen?“

Zeus war überrascht stehen geblieben und sah sie zuerst an, als habe er sie nicht richtig verstanden. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte er, dass auch Hideki sich auf dem Absatz umgedreht hatte und ihn mit finster gewordenen Augen anstarrte. Zeus versuchte diesen Blick zu ignorieren und zwang ein Lächeln auf seine Lippen, das allerdings mehr an ein gequältes Muskelzucken erinnerte. „Ich muss zum Hauptbahnhof. Aber-“ Er wollte noch hinzufügen, dass er im Grunde genug Zeit gehabt hätte, um in Ruhe zum Bahnhof zu laufen, so, wie er auch hier hergekommen war, doch da kam ihm Hitomi mit ihren strahlenden Augen zuvor, die ihm erneut die Luft zum Atmen raubten.

„Na, das trifft sich doch prima! Ich muss auch in die Richtung, weißt du? Das Krankenhaus, in dem ich arbeite, ist nur ein paar Straßen weiter, ich kann dich also mit dem Auto bis zum Hauptbahnhof mitnehmen.“, bot Hitomi ihm mit Euphorie in der Stimme an.

„Deine Schicht fängt erst in zwei Stunden an…“, erwiderte Hideki auf einmal düster, dass beide sich zu ihm augenblicklich umdrehten. Sichtliche Wut lag in seinem Blick, den die Frau jedoch zu übersehen schien. Lächelnd schüttelte sie ihren Kopf.

„Es macht mir nichts aus, etwas früher dort zu sein. Dann kann ich vorher noch ein wenig Inventur erledigen, das hat unser Medikamentenlager mal wieder dringend nötig.“, gab sie lachend zurück und wandte sich wieder an Zeus, dem die ganze Situation immer unbehaglicher wurde.

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich ein Taxi nehme…“, begann er vorsichtig, woraufhin Hitomi gespielt beleidigt die Unterlippe vorschob.

„Nix da, ich lasse nicht zu, dass du ein Vermögen an diese Aasgeier verlierst.“ Im nächsten Augenblick grinste sie breit und boxte ihn frech gegen den Oberarm, dass sich Zeus von Hidekis Blicken weitaus mehr als nur erdolcht fühlte. „Komm schon, gib dir `nen Ruck! Ich verspreche dir auch, du wirst heile am Bahnhof ankommen.“
 

Zeus gab sich einen Ruck- wenn auch mit großem Widerwillen und wenn er es genau nahm, hatte er der ganzen Sache nicht einmal richtig zugestimmt, denn im Endeffekt hatte Hitomi ihn einfach am Arm aus der Wohnung gezogen und in ihren kleinen Dreitürer verfrachtet. Zeus wollte eigentlich noch ein Wort der Verabschiedung an Hideki richten, allerdings ließ er dieses Vorhaben schleunigst wieder fallen, nachdem er sein zornentbranntes Gesicht gesehen hatte.

Zeus fühlte sich schlecht. Er hatte nicht vorgehabt, Hades zu verärgern. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Hitomi, die mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen auf dem Fahrersitz platzgenommen hat und sich nun anschnallte.

„Du musst dir wegen mir keine Umstände machen.“, versuchte Zeus es erneut, doch auch diesmal schüttelte die junge Frau nur energisch den Kopf und startete den Motor.

„Keine Widerworte mehr, verstanden?“, entgegnete sie und zwinkerte ihm frech zu, als sie Zeus` unsicheren Blick sah. „Du hast es wohl nicht so gerne, wenn man dir hilft, oder?“

„Es ist mehr so, dass ich es mir nicht gerne mit Freunden verscherze.“, gab Zeus zurück und zwang sich, aus dem Fenster zu sehen und nicht weiter auf die Blonde zu achten, die ihn nun mit gerunzelter Stirn kurz ansah, ehe sie im nächsten Moment losfuhr und sich in den fließenden Verkehr einfädelte. „Wieso solltest du es dir mit Hideki verscherzt haben?“

Nun sah Zeus doch zu ihr herüber. War sie tatsächlich so naiv und blauäugig?

„Hideki schien nicht so davon begeistert gewesen zu sein, dass du mich fahren wolltest.“

Daraufhin zuckte sie mit den Schultern. „Wieso sollte er etwas dagegen haben?“ Sie begann wieder zu kichern. „Wahrscheinlich ist er immer noch mies gelaunt, weil ich die alte Geschichte mit dem Hundezwinger erzählt habe. Das nimmt er mir jedes Mal krumm.“

„Ich denke, es war mehr die Tatsache, dass sich seine Freundin mit einem ihr Fremden so gut verstanden hat…“, murmelte er leise und sah dabei wieder aus dem Fenster. Dennoch schien Hitomi seine Worte vernommen zu haben, denn augenblicklich erstarb ihr ungezwungenes Lachen und verwirrt sah sie zu ihm herüber.

„Hideki und ich sind nicht zusammen.“, korrigierte sie ihn und in ihrer Stimme lagen für einen Moment lang Verblüffung und eine Spur Empörung, doch als sie einen Augenblick später weitersprach, war ihr Tonfall wieder gewohnt freundlich und verständnisvoll. „Wir beide sind so etwas wie Geschwister. Seit ich denken kann, ist Hideki an meiner Seite, fast so wie ein großer Bruder- und wahrscheinlich sind heute einfach nur seine Beschützerinstinkte mit ihm durchgegangen, das ist schon öfter passiert, ist nichts Schlimmes.“ Ihr Lächeln wurde ein Stück weit weicher und nachdenklicher. „So, wie ich ihn kenne, wird er sich später wieder bei mir gefühlte tausend Mal für sein Benehmen endschuldigen.“

Die Ampel vor ihnen schlug auf rot um. Hitomi brachte den Wagen zum Stillstand und nutzte die Gelegenheit, um Zeus` Blick wieder zu suchen. „Mach dir bitte keine allzu großen Gedanken wegen Hideki- so ist er nun mal, dagegen kann ich nichts machen und eigentlich ist sein Verhalten ja auch ganz süß.“

Zeus sah ihr lange schweigend in die blauen Augen. Ihm war schleierhaft, wie sie das Verhalten ihres besten Freundes so leicht abtun konnte. Hatte sie nicht dasselbe gesehen, wie er? Diese Eifersucht war keineswegs pures Großer Brudergehabe oder gar süß… es war beinahe besitzergreifend gewesen, dachte Zeus und musste mit einem Schauer an Hidekis Blick am Esstisch denken.

Die Ampel sprang wieder auf grün um und Hitomi fuhr wieder an, den Blick auf die Straße gerichtet. „Ich konnte dir noch gar nicht danken, Zeus.“, sagte sie nach ein paar Sekunden. Ihr Blick war erneut nachdenklich geworden, als hinge sie alten Erinnerungen nach. „Es war ein Schock für mich gewesen, als ich damals gehört habe, dass Hideki ins Gefängnis gehen musste. Ich konnte ihn mir in so einer Umgebung nicht vorstellen- man hört ja nichts Gutes von Gefängnissen und besonders in diesem sollten, Gerüchten zufolge, nur Mistkerle sitzen, die es wirklich nicht anders verdient haben-“ Sie unterbrach sich und beeilte sich, Zeus einen kurzen, entschuldigenden Blick zuzuwerfen. „Nicht, dass ich glaube, dass du ein Mistkerl bist!“, rief sie schnell und biss sich leicht auf die Unterlippe, dass Zeus schmunzeln musste. Er stützte einen Ellenbogen auf die untere Fensterkante und legte, den Blick auf die vorbeifliegenden Straßenlaternen gerichtet, den Kopf in die Handfläche.

„Ich habe zusammen mit Vergewaltigern, Pädophilen und Typen gesessen, die ihre Frauen und Partner umgebracht haben. Ich bin der gleichen Meinung wie du- solche Typen gehören nicht auf die Straße.“ Es wurde wieder still, sodass Zeus nur noch das stetige Summen des Motors hörte. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Hitomi zögernd Luft holte.

„Darf ich dich fragen, warum du im Gefängnis warst? Hideki wollte es mir nie erzählen…“

Ein Lächeln stahl sich ungewollt auf Zeus` Gesicht. „Ich kann dich beruhigen, ich habe keines dieser Verbrechen begangen.“

Erneute Stille. Dann hörte er die junge Frau leise etwas flüstern: „Das habe ich auch nie gedacht…“ Ihr Profil spiegelte sich leicht in der Scheibe des Seitenfensters wider, aus dem Zeus immer noch schaute. Er hätte sich auch täuschen können, aber es sah so aus, als würde sie glücklich lächeln.

„Jedenfalls“, sagte sie nun wieder in normaler Lautstärke. „war ich beinahe krank vor Sorge um Hideki gewesen. Ich war in den Monaten damals beruflich im Ausland gewesen und konnte ihn nicht besuchen, deshalb war ich umso glücklicher, als Hideki wieder gesund zurückgekehrt ist. Er hat mir von dir erzählt, dass du ihm geholfen und sogar am Anfang gerettet hast.“ Sie hielt kurz inne und sah ihn wieder an. Ihre Augen strahlten in dem Licht der vorbeirauschenden Laternen und Autoscheinwerfern, dass es Zeus erneut schwer fiel, auf etwas anderes als ihr makelloses Gesicht zu achten. „Ich kann dir gar nicht oft genug dafür danken, dass du das für Hideki getan hast. Ich würde verrückt werden, wenn ich ihn nicht an meiner Seite hätte…“

Unweigerlich spürte Zeus, wie ihm warm im Gesicht wurde und schnell zwang er sich, den Blick zu senken. In diesem Augenblick tauchte der Hauptbahnhof vor ihnen auf und Zeus war unbeschreiblich erleichtert, als Hitomi endlich an den Bürgersteig heranfuhr, damit er aussteigen konnte. Er bedankte sich schnell und wollte schon die Beifahrertür wieder zudrücken, als Hitomi sich etwas zu ihm herüber beugte, um ihn besser sehen zu können.

„Wirst du Hideki noch einmal besuchen?“

„Ich denke, ich werde die Tage bestimmt noch mal auf der Matte stehen.“, gab Zeus lachend zurück, woraufhin Hitomi wieder zu lächeln begann.

„Ich würde mich sehr darüber freuen…“
 

„…Von da an arbeiten Hades und ich zusammen.“, erklärte die ruhige Stimme des Unbekannten. „Ich brachte die Aufträge heran und er sammelte Informationen, die ich brauchte, um die Zielperson zu finden und- wenn es erwünscht war- zu überwältigen.“ Er legte eine lange Kunstpause ein, an dessen Ende Taro den Unbekannten sich leise räuspern hörte. „Ich beging zu der Zeit auch meinen ersten Mord. Ich bin ehrlich- ich weiß nicht mehr, wann es passierte oder wie die Person hieß, die durch meine Hand starb, ich kann Ihnen nur sagen, dass es ein gesuchter Mann gewesen war, der bei einem der hohen Tiere der Unterwelt in Ungnade gefallen war.“ Die Sachlichkeit in seiner tiefen Stimme erschütterte Taro und ließ ihn so stark erzittern, dass er das unbehagliche Gefühl seine ganze Wirbelsäule rauf und wieder runter laufen spürte. Er hatte ja schon länger gewusst, was die Männer von Olymp getan hatten, aber es war dennoch eine andere Sache, es von einem Beteiligten so trocken erklärt und berichtet zu bekommen. Taro war so sehr in seine Gedanken versunken, dass er die nächsten Worte des unbekannten Mordbekenners gar nicht bewusst mitbekam- erst, als erneut das Rauschen der Stille an sein Ohr drang, wurde er wieder aufmerksam.

„Es sprach sich herum, dass Hades und ich einen guten Job machten und zuverlässig waren, sodass immer mehr wichtige Männer auf uns zukamen und uns Aufträge gaben. Damals kam mir der Gedanke von etwas größerem- etwas, an dem mehr Männer beteiligt sein würden. Denn es war weiterhin eine riskante Angelegenheit, Kopfgelder allein einzutreiben- und ich wusste, dass Hades und ich nicht die einzigen guten Jäger in der Unterwelt waren. Warum also nicht zusammenarbeiten? Hades stimmte meinen Vorschlag irgendwann zu und so machte ich mich auf die Suche.“ Die Stimme erzählte weiter- von anderen Kopfgeldjägern, immer größer werdenden Aufträgen und vor allem immer größer werdenden Geldsummen.

Taro hörte kaum noch hin. Der Unbekannte erzählte von Ermordungen und Intrigen unter Drogenbossen und Waffenhändlern, wie andere über die Börse und Aktien sprechen würden: selbst mit einer gewissen Interesse für die Sache, aber in einer Wortwahl und Abgebrühtheit, als sei es etwas Alltägliches und Normales, dass sich Männer gegenseitig hinterhältig abstachen, ausspionierten und eigene Untergebene auf den Anderen ansetzten, die dann die Drecksarbeit für sie erledigten.

Nachdenklich sah er dabei zu, wie sich die Spulen, auf denen das Band der Kassette lief, in dem kleinen Diktiergerät monoton und ununterbrochen drehten. Durch das schmale Fenster konnte er die Aufschrift der Kassette lesen: Der Anfang.

Das sollte der Anfang von Olymp gewesen sein? Zwei kranke Typen mit einer perversen Berufswahl, die sich dabei nicht ganz dämlich angestellt haben? Er hatte mehr erwartet- etwas spektakuläres, das ihn den Atem hätte stocken lassen… Obwohl? Er fand das hier schon abstoßend und unmenschlich genug, vielleicht war es da doch besser, dass sich nichts Skandalöseres hinter dem Mysterium Olymp verbarg.

„Ich versuchte, Hitomi weitestgehend aus dem Weg zu gehen, schon allein deswegen, um Hades` Misstrauen nicht erneut zu entfachen.“, hörte er den Unbekannten auf einmal sagen und sofort wurde Taro wieder hellhörig. Der Fremde hatte über diese Hitomi schon viele Worte verloren, sie als sehr hübsch und hilfsbereit beschrieben, sodass sich mit der Zeit ein immer klarer werdendes Bild von dieser Frau in Taros Kopf eingebrannt hatte. Sie schien ein Engel umgeben von Monstern gewesen zu sein.

„Hades verlor ihr gegenüber nie ein Wort über unsere Arbeit und auch ich schwieg mich darüber aus, was wir genau machten. Wir erfanden immer wieder neue Lügen und jedes Mal tat es mir ein Stück weit mehr leid, sie so im Unklaren zu lassen. Sie war zu jeder Zeit besorgt um Hades und erwartete sein Heimkehren mit Anspannung und Sorgenfalten. Ich hatte mir angewöhnt, in ihrer Gegenwart in den Hintergrund zu treten und so wenige Worte wie möglich mit ihr zu wechseln und zum Glück akzeptierte sie das und nahm mich immer mehr als selbstverständlich und uninteressant hin.“ Der Unbekannte verstummte und Taro hörte ihn tief und hörbar seufzen. „Ich dachte, ich hätte Hades` Eifersucht ausmerzen können, doch da hatte ich mich leider geirrt…“, sagte er und seine Stimme klang dabei müde und entkräftet. „Es war nicht das Ende- denn das sollte sich leider noch ein wenig hinziehen- aber es war vermutlich der Auftakt für unser größtes Verbrechen gewesen, für das wir uns beide schuldig bekennen müssen…“
 

Es waren nur wenige Wochen vor Silvester desselben Jahres gewesen, als sich die Vorfälle häuften.

Sie waren unvorsichtig geworden, hatten auf das Wort eines Freundes gehört und sich mit einem Jäger zusammengeschlossen, der als vielversprechend und genial gehandelt wurde- jedoch sollte sich herausstellen, dass er keineswegs ein Teamspieler war.

Er fiel Zeus während des gemeinsamen Auftrags in den Rücken und gab später ihre Informationsquelle gegenüber der Polizei preis, in dessen Arme Zeus ihn zum Dank hatte laufen lassen. Zeus hatte es bis zu diesem Zeitpunkt geschafft, Hidekis Identität in der Unterwelt geheim zu halten, doch dank dem feigen Geständnisses des Jägers war dies nun nebensächlich geworden. Hidekis Glück war, dass die Regierung nicht seinen bürgerlichen Namen kannte, sodass er nur gezwungen war, alle Spuren und bestehenden Hinweise auf „Hades“ zu kappen und erneut bei null anzufangen. Er kapselte sich danach von Zeus komplett ab- ob weiterhin aus Sicherheitsgründen, oder weil er Zeus seine Unachtsamkeit und den Vertrauensbruch nicht verzeihen konnte, wusste Zeus nicht und somit wurden die letzten Tage des Jahres für ihn schweigsame und bedrückende. Kurz vor Jahreswechsel wurde Hades krank, sodass sich Zeus immer noch keine Möglichkeit bot, mit seinem Freund zu reden. Am Silvesterabend hielt er es dann jedoch nicht mehr aus- er wollte das neue Jahr nicht mit einem alten Streit beginnen…

Den Schal enger um seinen Hals wickelnd, lehnte er an der hohen Fassade und beobachtete die Fenster des auf der anderen Straßenseite liegenden Hochhauses. Es war kalt geworden, sodass sich bei jedem seiner Atemzüge weiße Dunstwolken bildeten, die dann weiter gen dunklen Himmel emporstiegen, um sich dort aufzulösen. Die Luft roch jetzt schon nach Wunderkerzen und Schießpulver- es gab jedes Jahr diese Übermütigen, die es nicht abwarten konnten, bis es Mitternacht war und wie zur Bestätigung, hörte Zeus von irgendwoher das heulende Geräusch einer gezündeten Rakete. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und mit jeder Minute, die er verstreichen ließ, wurde er innerlich nervöser. Er war eigentlich noch nie ein Mensch gewesen, der Probleme gerne aufschob- wenn jemand etwas mit ihm zu klären hatte, klärte er es umgehend und ohne großes Zögern, ehe es mit der Zeit nur noch schlimmer werden konnte… aber das hier? Was war diesmal so schwer daran, so anders, als all die anderen Auseinandersetzungen davor? Die Tatsache, dass er mit einem Freund im Argen lag? Dass er diesmal derjenige war, der den Fehler begangen hat? Er schnaubte frustriert und schob die kalten Hände noch tiefer in die Taschen seines Mantels.

Hinter dem Fenster, das er die ganze Zeit beobachtet hatte, tauchte auf einmal eine Silhouette auf, die den vorgeschobenen Vorhang zurückzog und zu ihm hinabblickte. Er sah sie in ihrer Bewegung stocken, als habe sie etwas Unerwartetes gesehen, dann ließ die Person den Vorhang wieder los und verschwand.

Es dauerte eine Minute, bis sich die verglaste Eingangstür des Hochhauses öffnete und Hitomi auf ihn zugeeilt kam. Sie hatte sich einen Hausmantel übergeworfen, unter dem sie einen Rollkragenpullover und eine weite Hose trug. Ihre Pantoffeln waren nach wenigen Metern ganz weiß gepudert vom feinen Schnee. Es hatte wieder angefangen zu schneien, sodass auch ihr blondes Haar von zarten Eiskristallen geschmückt war, als sie atemlos und mit geröteten Wangen vor Zeus stehen blieb.

„Was machst du hier? Warum stehst du hier unten?-“ Sie schaute flüchtig auf ihre Uhr. „Vor allem um diese Uhrzeit! Es ist kurz vor Mitternacht…“

Schulterzuckend sah Zeus sie an und verzog hilflos das Gesicht. „Ich hatte eigentlich vorgehabt, ein längst überfälliges Gespräch noch in diesem Jahr zu führen, aber daraus wird wohl nichts.“, erwiderte Zeus und sah selbst auf die Uhr. Noch fünf Minuten…

Hitomi legte besorgt die Stirn in Falten und schlang die Arme gegen die Kälte fester um ihren Körper.

„Das befürchte ich leider auch…“, sagte sie seufzend. „Hidekis Fieber ist immer noch nicht ganz weg und so, wie es aussieht, wird er den Neujahrsbeginn verschlafen.“ Ihre blauen Augen funkelten traurig im Licht der Straßenlaternen und von dem einen Bein aufs andere tretend, verkürzte sie die Distanz zu Zeus beinahe unmerklich und seufzte noch einmal. „Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen euch beiden vorgefallen ist, aber ihr solltet den Streit beilegen.“ Hitomi sah zurück zu dem Fenster, aus dem sie vor einer Minute selbst noch geschaut hatte. Ihre Sorgenfalten wurden tiefer. „Egal, was passiert ist, ich bin mir sicher, dass Hideki dir nicht mehr böse ist- im Gegenteil.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um und nun lächelte sie aufmunternd. „Ihn plagen Gewissensbisse und immer wieder sitzt er vor dem Telefon und kämpft mit sich, ob er dich anrufen soll. Er bereut sein Verhalten und er würde sich wahrscheinlich nichts mehr wünschen, als dass du dich mit ihm endlich aussprichst. Du bist sein Freund, Zeus- sein einziger…“ Etwas krampfte sich in Zeus unter ihren nachdrücklichen Worten zusammen und er fühlte sich auf einmal noch schlechter. Er wich ihrem gut gemeinten Blick aus und als sie plötzlich eine schmale Hand nach ihm ausstreckte, hielt er es nicht mehr aus.

„Sag ihm, dass ich mich melde…“, murmelte er fahrig und drehte sich von ihr weg. „Ich muss jetzt gehen, tut mir leid.“ Er schaffte allerdings nur wenige Meter.

„Warte!“, hörte er Hitomi hinter ihm herrufen und unweigerlich blieb er stehen und sah sich teils fragend, teils verzweifelt zu ihr um. Ihr Gesicht war keineswegs verwirrt oder traurig- sie grinste breit und ihre Augen leuchteten wie die eines kleinen Mädchens. Sie deutete in den Himmel. „Hörst du das?“

Verwundert lauschte Zeus und tatsächlich vernahm er auf einmal einen leisen Singsang, der von allen Häusern der Stadt widerzuhallen schien. Eine Menschenmenge zählte von Zehn hinunter und Hitomis Grinsen wurde noch breiter.

„Es ist soweit.“, flüsterte sie mit einer Vorfreude in der Stimme, als öffne sie gleich das sehnlichst erwartete Geburtstagsgeschenk. Sie winkte ihn zu sich und deutete auf eine Gasse, neben der sie stand. Ihre Euphorie hatte ihn auf eine unerklärliche Weise gepackt. Schnell kam er ihrer Aufforderung nach und spähte neben ihr in die Gasse hinein. Es handelte sich hierbei mehr um einen breiteren Spalt zwischen zwei Hochhäusern, durch den man die Hauptstraße erkannte, welche direkt an einer Schleuse zum Hafen entlang führte, sodass man auch von ihrem Standpunkt aus auf das glitzernde Wasser des breiten Flusses sehen konnte. Menschen standen auf der Straße, Sektgläser und funkensprühende Wunderkerzen in den Händen und alle sahen in den sternenklaren Himmel hinauf. Ihr Countdown wurde immer lauter.

„Drei…Zwei…“, zählte Hitomi flüsternd mit und im letzten Moment stimmte auch Zeus mit ein: „Eins!“, sagten beide einstimmig und beinahe im selben Augenblick wurde das reflektierende Wasser in ein zuckendes Lichter- und Farbenspiel getaucht. Dutzende von Raketen wurden in der Ferne heulend und knallend in den Himmel geschossen und von überall her hörten sie jubelnde Menschen, die sich gegenseitig beglückwünschten.

Für einen langen Augenblick war Zeus von dem Spektakel, das sich ihm vor seinen Augen bot, so in den Bann gezogen worden, dass er seine Umgebung kurz vergaß- erst als Hitomi ihn strahlend umarmte, fand er sich im Hier und Jetzt wieder.

„Frohes neues Jahr!“, rief sie gegen das Zischen und Krachen des Feuerwerks an und schenkte Zeus das schönste Lächeln, das er bis dato gesehen hatte und auch er begann zu grinsen.

„Frohes Neues.“, erwiderte er und ohne darüber nachzudenken beugte er sich zu ihr hinunter und sie sich im Gegenzug ihm entgegen. Er wusste nicht, warum er sie küsste, konnte sich nicht erklären, warum ihre Lippen in diesem einen, unendlich währenden Moment das gewesen waren, wonach er sich am meisten gesehnt hatte, doch so schnell dieses kopflose Verlangen über ihn gekommen war, so schnell beendete er es auch wieder, als sein langsamer Verstand seine Instinkte wieder eingeholt hatte. Für eine Sekunde sahen sie sich erschrocken in die Augen und Zeus fühlte auch Entsetzen in sich hochkriechen, dann drehte er sich auf dem Absatz um und eilte die Straße hinunter und diesmal hielt Hitomi ihn nicht auf.

…Doch das- den entscheidenden Ausgang der Situation- hatte Hideki nicht mehr gesehen. Als er, hinter dem Vorhang hervor spähend, mit ansah, wie sich die beiden im Schneegestöber küssten und Zeus Hitomi dabei sanft durchs Haar fuhr, hatte er sich abgewandt und nur mit Mühe die beinahe animalische Wut unterdrückt, die auf einmal drohte, in ihm zu explodieren.

Als Hitomi wenige Minuten später wieder zurück in die Wohnung kam, lag er in seinem Bett und gab vor, zu schlafen. Er hörte, wie sie leise sein Zimmer betrat und sich auf die schmale Bettkante setzte. Ihre kalten Finger fuhren ihm fürsorglich übers Haar.

„Frohes neues Jahr…“, flüsterte Hitomi so leise und sanft, dass Hideki unmöglich davon aufgewacht wäre, hätte er geschlafen. Er rührte sich nicht, atmete flach und langsam weiter, auch wenn ihm dies mit jeder Sekunde schwerer fiel, dann stand Hitomi irgendwann auf und verließ sein Zimmer schweigend.

Hideki sah an diesem Abend vieles nicht- er sah nicht, wie heftig und eindeutig Zeus auf den Kuss reagiert hatte und genauso wenig sah er, wie Hitomi noch stundenlang danach in der Küche saß, die Hand vor den Mund geschlagen und mit ihren Gefühlen kämpfend, die sie in dieser Nacht nun endgültig in eine tiefe Schlucht der Zerrissenheit geworfen hatten.

Als Hideki am nächsten Morgen aufwachte und Hitomi strahlend in der Küche vorfand, erwiderte er ihr unbekümmertes Lächeln und verlor kein Wort über das, was er letzte Nacht gesehen hatte. Auch als Zeus einen Tag später vor Hidekis Tür stand, ließ sich keiner etwas anmerken.

Zeus für seinen Teil, ging Hitomi weiterhin aus dem Weg und nahm mit Hideki zusammen wieder ihre gemeinsamen Aktivitäten in der Unterwelt auf.

Hitomi hielt es wie Zeus, blieb auf Abstand und suchte stattdessen verstärkt die brüderliche Nähe zu Hideki.

Niemand verlor je wieder ein Wort über die Silvesternacht.

Und so umgab sich das das neue Jahr mit einem trügerischen Frieden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2012-07-06T12:51:09+00:00 06.07.2012 14:51
Gänsehautfeeling pur
Hideki entwickelt sich, aber in keine gute Richtung.
Man hat das Gefühl, das böse steckt in ihm, so komisch das auch klingt und bis jetzt ist es noch vergraben, aber es kommt nach und nach immer mehr raus. Erst der Ausbruch gegen Rex nun diese Eifersucht.
.
Überwältigt und atemlos habe ich auch hier wieder jede Zeile gelesen.
Du bist ein Genie!!!!!!!!
^____^
*Fan-Fähnchen schwenk*
Der Kuss war ja unglaublich romantisch. Silvesternacht, Feuerwerk, Schnee.
Das hat schon was ^^
Leider hat das das Verhältnis zwischen Zeus und Hideki nicht gerade verbessert.
Hideki wirkt mehr als nur eifersüchtig O.o. Ich gebe Zeus recht, er hat etwas Besitzergreifendes an sich gehabt und wenn ich mir seinen Zorn ansehe, denn er wegen Kleinigkeiten hat, ist das irgendwie unheimlich.
Zeus hingegen beeindruckt mich auf seine eigene Weise, auch wenn er natürlich zweifellos nicht unbedingt als „gut“ gelten kann. Vom Drogendealer zum Kopfgeldjäger und in beiden scheint er sehr gut zu sein.
Scheiße das er mal verraten wurde
Ich bin gespannt, wie es sich noch alles entwickelt




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