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Traumbrecher

von

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Man hat ihn an jenem Morgen gebadet und in feine Gewänder gekleidet, die vermutlich teurer waren, als alles, was er bisher getragen hat. Es macht ihn wütend, denn es lässt ihn aussehen, als hätte er ein schönes Leben gehabt. Als wäre er der reiche Prinz, für den seine Schwester ihn gehalten hatte, der nur durch seine Arroganz gestürzt wurde.

Als er aus der Kutsche aussteigt, weiß er, dass es diesmal keine Rettung in letzter Sekunde gibt. Die Wachen, die ihn eskortieren, bewegen sich mit einer tödlichen Gewandtheit. Er ist sich fast sicher, dass Rhoda sie persönlich ausgesucht hat, um zu verhindern, dass er sich befreien kann.

Es sind viele Schaulustige da, aber er versucht, seinen Blick nicht zur Seite abschweifen zu lassen. Er möchte nicht wissen, wer von denen, die er seine Freunde nannte, anwesend sind, und wer nicht. Er möchte nicht die Mordlust in den Augen der Bürger sehen, die sich zu seiner Exekution eingefunden haben.

Noch während er die Stufen zum Hochgericht hinaufgeht, fällt sein Blick auf Rhoda, die dort oben neben dem Henker steht. Vermutlich möchte sie selbst sicherstellen, dass der Auftrag ausgeführt wird. Trauer überschattet ihre Augen, aber er kann sich nicht daran erinnern, sie jemals wahrhaft fröhlich gesehen zu haben.

Während der Henker die Anklageschrift verliest, stiehlt sich sein Blick doch widerwillig in die Menschenmenge und er fragt sich, ob sein Ziehvater irgendwo unter ihnen ist. Er fragt sich, ob nicht alles anders gekommen wäre, wenn Eamon nicht versucht hätte, die Königin abzusetzen und stattdessen ihn, den Bastardprinz, auf den Thron zu setzen. Ob Rhoda nicht Recht hatte.

Alistair weiß, dass es jetzt zu spät für Zweifel ist. Wenn er sterben muss, dann möchte er es wenigstens in dem Glauben tun, dass er manchen Menschen wichtig war, dass er nicht völlig alleine stirbt – egal, ob das Selbstbetrug ist oder nicht. Und plötzlich versteht er Rhodas Entscheidung.

Eine seltsame Ruhe befällt ihn, als der Henker die Schlinge um seinen Kopf legt. Er schenkt Rhoda ein trauriges Lächeln. Nichts ist mehr wichtig.
 

Er hat bereits seit einigen Tagen darauf gewartet, dass Rhoda ihn besucht.

In seinem Kopf schwirren Wortfetzen, die er von den Gesprächen der Wachen mitgehört hat – vom Kampf gegen den Erzdämon, von den Feierlichkeiten. Es tut weh, daran zu denken, dass er Teil all dessen hätte sein können. Wut keimt in ihm auf, jedes Mal, wenn er daran denkt.

Und irgendwann steht sie vor seiner Zelle. Sie trägt ein teures Kleid und es erinnert ihn unwillkürlich an ihre erste Begegnung, damals im Lager in Ostagar. Ihr Kleid ist damals blutbefleckt gewesen und überall zerrissen und in ihrem Gesicht hat er nichts als Verzweiflung gesehen.

„Alistair.“

Ihre Stimme hindert ihn daran, sich weiter in Erinnerungen zu verlieren, das einzige, was ihm in den letzten Wochen und Monaten geblieben ist.

„Ich hatte schon auf Euch gewartet“, flüstert er.

Eine Weile schweigen sie beide. Er weiß, dass sie ihn im Halbdunkeln mustert, seine abgemagerte Gestalt, die schmutzige, stinkende Kleidung, die er trägt.

Rhoda atmet hörbar ein. „Loghain ist tot. Ihr habt bekommen, was Ihr wolltet.“

Er ist sich sicher, dass sie seine Antwort bereits kennt, aber das hält ihn nicht davon ab, seinem Ärger Luft zu machen.

„Ihr wisst, dass dies kaum das ist, was ich wollte“, erwidert er bissig. „Er ist als Grauer Wächter gestorben und wird als Held verehrt! Wie konntet Ihr das zulassen? Nach allem, was er getan hat, nach all den Attentätern, den Söldnern und Sklavenhändlern! Stattdessen habt ihr mich verraten, der ich immer auf Eurer Seite stand – Ihr habt mich in den Kerker werfen lassen wie einen Verbrecher, dabei war alles, was ich jemals falsch getan habe, als Sohn des Königs geboren zu werden.“

Er hat sich so viele Argumente für diesen Moment zurechtgelegt, so viele Anschuldigungen, die er ihr an den Kopf werfen will, doch ein einziger Blick von ihr fegt die Worte aus seinem Kopf.

„Das reicht, Alistair“, entgegnet sie ruhig. „Ich erwarte nicht von Euch, dass Ihr meine Beweggründe versteht. Würdet Ihr sie verstehen, so wärt Ihr vermutlich nicht in dieser Lage.“

„Ihr …“, beginnt er erneut, aber sie unterbricht ihn harsch.

„Ich habe das getan, was ich immer tat – das, was ich für das Richtige hielt. Versteht Ihr das nicht, Alistair? Habt Ihr in all der Zeit im Kerker nie versucht, das zu verstehen?

Wir Grauen Wächter sind nicht dafür geschaffen, glücklich zu sein. Aber ich … ich kann mir nicht selbst die letzten Träume nehmen, die mir blieben. Die letzte Hoffnung.“

Wieder breitet sich eine unangenehme Stille zwischen ihnen aus. Rhoda tritt einen Schritt nach vorne und greift nach den Gitterstäben. Ein Teil von ihm hofft darauf, dass sie mit ihm flieht, doch er weiß, dass sie sich niemals dazu hinreißen ließe. Vermutlich würde sie sich ohne zu zögern ihren rechten Arm abhacken, wäre sie davon überzeugt, dass dies zum Besten des Volkes geschähe.

Trotz des Zornes, der noch immer wie ein Stachel in ihm saß, muss er ihr widerwillig Respekt dafür zollen.

„Warum seid Ihr hierher gekommen?“, erkundigt er sich schließlich.

Ihre Knöcheln treten weiß hervor, als sich ihre Hände um die Gitterstäbe verkrampfen, und ihr Blick senkt sich zu Boden.

„Um mich zu verabschieden“, wispert sie, so leise, dass er es kaum noch versteht. „Es tut mir Leid, Alistair.“

Plötzlich wird die Wut von etwas überschattet, das er schon lange nicht mehr gespürt hat; es reißt ihn aus der Lethargie, die ihn in dieser Zelle langsam befallen hatte. Die Angst zieht sich in seinem Brustkorb zusammen, als ihm klar wird, dass das Todesurteil über ihn gesprochen worden ist.

Ihre Hände lösen sich von den Gitterstäben und die Verzweiflung bricht wieder auf ihrem Gesicht hervor, das niemals fröhlich ist.

„Leliana …“, sagt Alistair nur, und Rhoda nickt.

„Sie wird nach der Exekution freigelassen. Aber sie wird ihr selbstverständlich nicht beiwohnen. Erwartet nicht, dass ich erneut diese Gnade gewähre, wenn Euch jemand bei einem Fluchtversuch beistehen möchte.“

Er weiß, dass sein Gesicht in diesem Moment nur zu gut wiederspiegelt, wie sehr ihn dies trifft. Er weiß, dass er sich freuen sollte, dass sie freigelassen wird, aber er hatte so sehr gehofft, sie würde dort sein, würde Anteil nehmen können an seinem Tod. Und ein kleiner Teil von ihm, für den er sich selbst verabscheut, wünscht sich, sie würden zusammen dort am Galgen baumeln – damit er nicht so schrecklich alleine wäre, damit im Tod jemand an seiner Seite wäre.

Er protestiert nicht. Es ist eine rationale Entscheidung, wie alle Entscheidungen, die Rhoda trifft. Sie wird sich nicht davon abbringen lassen.

„Wir haben uns nichts mehr zu sagen, sehe ich“, meint Rhoda schließlich. „Das … das hatte ich bereits befürchtet.“

Er will ihr widersprechen, will so vieles sagen, was noch gesagt werden muss, aber kein Ton entweicht seinem Mund und nach kurzem Zögern wendet sie sich um und verschwindet ohne ein weiteres Wort.
 

Sie hat seit Monaten auf diesen Moment gewartet, und doch ist er nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt hat. Die Verzweiflung brennt aus ihren Augen, als sie im Vorwürfe macht, ihn beschimpft und bedroht – und er wischt sie mit einem verächtlichen Lachen beiseite.

Er gibt seinen Wachen den Befehl, sie anzugreifen, doch Rhoda nimmt sie nicht wahr. Es gibt nur noch ihn und sie. Der Abstand zwischen ihnen ist plötzlich verschwunden und in einem tödlichen Tanz wirbeln sie umeinander, während ihre Schwerter immer wieder aufeinanderkrachen. Irgendwo im Hintergrund hört Rhoda Kampfeslärm, aber das ist nicht mehr wichtig. Der klügere Teil von ihr verhindert, dass sie nur blind zuschlägt und sich vom Zorn davontragen lässt, der so lange in ihrem Herzen schwelte.

Rendon ist ein guter Kämpfer. Er wehrt ihre Schläge, die zwar nicht mit der üblichen Präzision, doch mit beinah übermenschlicher Kraft ausgeführt werden, überlegt ab und wartet – auf einen Fehler, eine kurze Ablenkung, irgendeine Schwäche. Wie eine Schlange, die im Verborgenen auf den günstigsten Moment wartet, zuzubeißen.

Der Kampf scheint nur Sekunden zu dauern, und schon ist er vorbei. Rendon stolpert – sie sieht die Überraschung in seinen Augen, und die Verzweiflung, als ihm bewusst wird, dass dies sein Ende sein wird – und Rhoda schlägt ihm das Schwert aus der Hand. Und während er dort auf dem Boden liegt, prasseln all die Gedanken auf sie ein, die sie während des Kampfes beiseite geschoben hatte. Das erste Mal, seit sie in jener Nacht aus der Burg ihrer Eltern fliehen musste, ist der Zorn fort und was bleibt, ist nur noch Verzweiflung und Trauer, die sie damit hatte ertränken wollen. Sie sieht ihren Vater vor sich, wie er ebenso wie Rendon auf dem Boden gelegen hatte, blutend, darauf wartend, getötet zu werden.

„Ich wollte, dass du stirbt, weil du mir meine Kindheit genommen hast“, flüstert Rhoda.

Erinnerungen rasen in Bildern durch ihren Kopf, in kurzen Szenen – wie ihr Vater und Rendon abends zusammen im Herrenzimmer saßen und sich unterhielten und lachten, wie Rendon sich mit ihr im Wald an einen Hirsch anpirschte – und es schnürt ihr beinah die Kehle ab, als sie weiterredet.

„Aber jetzt weiß ich, dass ich mir damit selbst den letzten Teil meiner Kindheit nehme. Ich möchte keine Rache, Rendon, ich möchte nur, dass alles wieder so ist, wie früher – aber das wird wohl nie geschehen.“

Sie weiß, dass sie ihn nicht töten kann. Er muss sterben für seine Verbrechen, auch wenn es ein weiteres Stückchen von ihrem Herzen abbricht, aber sie möchte nicht diejenige sein, die ihrer eigenen Kindheit den Todesstoß versetzt.

„Die Königin wird über deine Verbrechen richten.“ Sie kannte die Königin und das Urteil, das sie fällen würde, und Rendon tat das ebenfalls. Sein Blick wurde weicher, fast respektvoll.

„Ich hätte dir nicht diese Gnade gewährt, Rhoda“, erwidert er mit zusammengebissenen Zähnen. Eine kleine Blutlache hat sich auf dem kalten Kerkerboden gebildet; dabei kann sie sich nicht daran erinnern, wann sie ihn getroffen hat. Er versucht dennoch, aufzustehen, und aus einem Impuls heraus reicht sie ihm ihre Hand.

Als sie das blanke Metall aufblitzen sieht, ist es zu spät, und als das Messer ihre Haut durchdringt, flüstert er in ihr Ohr und seine Stimme hat jegliche Menschlichkeit verloren.

„Du bist zu weich, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, Rhoda.“

In diesem Moment kracht ein Blitz in seinen Rücken und mit einem grässlichen Schrei fällt er zu Boden.

Während sie fassungslos auf den Mann starrt, der einmal ein Teil ihrer Familie gewesen war, und langsam so lange unterdrückte Tränen ihre Wangen hinunterrollen, findet sie irgendwo in ihrem Hinterkopf die Erinnerung daran, dass Morrigan zuvor bei Rendons Fall ebenso selbstgefällig wie jetzt ausgesehen hat. Aber dies war kein Ort für Gerechtigkeit, das hat sie immer gewusst, wie auch immer das Wiedersehen mit Rendon aussehen würde, und am allerwenigsten war es ein Ort für einen gerechten Kampf gewesen.
 

Als Loghain auf dem blanken Parkett des Königspalastes vor ihr kniet und kapituliert, kommen die Erinnerungen an Rendons Tod zurück. Es war so leicht gewesen, das Landthing davon zu überzeugen, sich auf ihre Seite zu schlagen – Loghain war immer ein Mann des Volkes gewesen, und nicht des Adels. Ein Emporkömmling, so sagten viele, wenn auch hinter verhaltener Hand – ein Kriegsheld, ein Vertrauter des Königs, aber der Sohn eines Bauern blieb doch immer ein Bauer.

Der Schweiß rinnt ihr die Stirn hinab. Loghain war ein starker Schwertkämpfer, wesentlich stärker als ihre bisherigen Gegner – nicht, dass sie viele traditionelle Zweikämpfe hat ausfechten müssen bisher.

„Ich dachte, Ihr wärt nur ein Kind, das Krieg spielen möchte“, sagt Loghain und klingt dabei fast entschuldigend. Verzeiht mir, dass ich Euch töten wollte, ich habe Euch einfach nicht Ernst genommen.

„Ich akzeptiere Eure Kapitulation“, erwidert Rhoda. Sie weiß, dass sie furchtbar schlecht darin ist, jemandes Charakter zu beurteilen, aber sie wünscht sich, nur dieses eine Mal Recht damit zu behalten, jemandem eine zweite Chance zu geben.

„Was?“, mischt sich Alistair ein. „Das kann nicht Euer Ernst sein! Denkt an all die Verbrechen, die er begangen hat!“

„Loghain ist ein Kriegsheld“, verteidigt sich Rhoda, und sie fragt sich, wie es so weit kommen konnte, dass der gesamte Adel in Ferelden gehorsam ihre Entscheidungen annimmt und dass ihr nun dieser Mann in den Rücken fällt. Sie hatten bereits im Vorfeld über mögliche Verläufe dieses Landthings geredet, nein, gestritten, und anders als beim Einbruch in Rendons Stadthaus hat sie lange abgewägt, welche Entscheidung die beste sei.

„Nicht jetzt, Alistair“, zischt sie ungehalten, als sie sieht, dass er antworten möchte.

Aber Alistair lässt sich nicht davon abhalten. Er redet wieder von Duncans Tod und von den schrecklichen Dingen, die Loghain getan hat, doch Rhoda hört ihm kaum zu.

Duncans Tod.

„Ihr hattet Eure Rache“, sagt er. „Nun lasst mich meine haben.“

Alistair war nicht dabei gewesen, als Rendon starb. Hätte er gesehen, wie sie zitternd und weinend zur Königin zurückkehrte, sie bezweifelt, dass er so etwas sagen würde.

Sie möchte ihm sagen, dass sie so viel mehr verloren hat als er, dass sie viel mehr Recht hat zu trauern, so kindisch das auch sein mag, und dass sie dennoch von ihrer Rache Abschied genommen hat. Sie kann nicht glauben, dass Eamon einen solchen Mann zum König machen möchte, einen Mann, der seine eigenen, impulsiven Gefühle über das Wohl seines Volkes stellt. Einen Mann, der nicht fähig ist, Gnade zu gewähren.

„Entscheidet Euch, Rhoda“, sagt Alistair und was darauf folgt, ist das, was sie all die Nächte, in denen sie ihre Entscheidung hinauszögerte, befürchtet hat, „für Loghain oder für mich.“

Plötzlich wird sie wütend. Auf Eamon, weil er die Situation schamlos dazu nutzt, durch Alistair nach Macht zu greifen, anstatt Königin Anora zu unterstützen. Auf Alistair, der in seiner Unreife so egozentrisch ist, dass sie es einfach nicht mehr ertragen kann. Auf Rendon, der sie in diese gesamte Situation gebracht hat. Wenn sie könnte, würde sie mit dem Fuß aufstampfen wie ein kleines Kind, das einen Wutanfall bekommt, und einfach gehen. Seit Monaten ist sie nur dabei, sämtliche Probleme sämtlicher Menschen, Elfen und Zwerge in diesem Land zu lösen und niemanden interessiert jemals, wie es ihr dabei geht.

Ihr Blick fällt auf den Helden ihrer Kindheit – dem Mann, vor dem ihr Vater so viel Respekt hatte, wie vor keinem zweiten. Sie kann die Hoffnung, den Glauben an ihn nicht aufgeben, auch wenn es heißt, ein zweites Mal einen Dolch in die Rippen gestoßen zu bekommen. Sie riskiert lieber ihr Leben, als kampflos die wenigen Träume, die ihr blieben, zu opfern.

Und sie trifft ihre Entscheidung.



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