Zum Inhalt der Seite

Das Leben ist (k)ein Arschloch

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Leben ist (k)ein Arschloch

Das Leben fragt nicht höflich an, ob du leben möchtest.

Es kommt, reißt dich aus deiner friedlichen Nicht-Existenz und schmeißt dich in eine grelle, laute, kalte Welt, nachdem es dich neun Monate lang in dem Glauben gelassen hat, dass die Welt warm, dunkel und im Laufe der Zeit vielleicht etwas beengt ist.

Andere Opfer des Lebens nehmen dich mit nach „Hause“, wo sie dir vorschreiben, was zu tun ist, was du essen und anziehen und sagen sollst.

Schon früh lernst du das Monster kennen, das dich den größten Teil deines Daseins verfolgen wird und dem du nur äußerst selten für kurze Zeit entkommen kannst: „Realität“.

Die Leute sagen: „Willkommen in der Realität.“

MEINEN tun sie damit: „Da kommt die nächste arme Sau, die es nicht geschafft hat, dem Monster zu entkommen.“

Du lernst schnell, dass du dagegen nichts unternehmen kannst und es dich ab sofort auf Schritt und Tritt begleiten wird.

Kaum hast du dich mit deinem neuen Begleiter arrangiert, springt schon das nächste Unheil um die Ecke und auf dich zu.

Es Schreit:

„Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Vernunft und ich bin für die folgenden paar Jahrzehnte Ihr Moderator!

Sie werden tun, was ich Ihnen auftrage und wir machen gemeinsam viele langweilige, vernünftige Sachen wie: Erwachsen werden, arbeiten und Verantwortung übernehmen – sagte ich „Verantwortung“? Ouh, und damit habe ich auch schon den nächsten Gast in unserer tollen Show namens „Ihr Leben“ ausgeplaudert, begrüßen Sie ihn mit einem donnernden Applaus!!“

Du siehst entsetzt, wie der sogenannte „Gast“ aus einem dunklen Winkel hervorspringt, auf dich zutritt und dir freudestrahlend die Hand schütteln will.

Was zu viel ist, ist zu viel!!

Verzweifelt läufst du ein paar Jahre lang vor deinen Verfolgern davon, doch egal, wo du hinläufst, sie sind bereits da und warten Tee trinkend auf deine Ankunft.

Irgendwann gibst du dich geschlagen, akzeptierst sie und schon hängen dir vier Arschlöcher an den Hacken…

Du dümpelst einige Zeit vor dich hin, tust (meistens), was Vernunft dir aufträgt, übernimmst von Mal zu Mal mehr Verantwortung, siehst der Realität regelmäßig mehr oder weniger resigniert ins Gesicht und nimmst dein Leben, wie es ist.

Und gerade, wenn du denkst, dass du das Schlimmste hinter dir hast, schleicht sich Liebe von hinten an dich ran, überfällt dich, raubt dir alles bis aufs letzte Hemd; überlegt es sich anders, kommt zurück, nimmt dir auch das noch weg und schubst dich ins Nebenzimmer, wo du nackt, hilf- und wehrlos einem Mann gegenüberstehst, den dir Liebe als denjenigen vorstellt, der für den Rest deines Daseins den Ton angeben wird.

Du stampfst mit dem Fuß auf, schreist: „Nein, das stimmt nicht! Ich bin mein eigener Herr!!“, da streckt der Mann mit einem Lächeln die Hände nach dir aus und macht dir in nur einer einzigen Nacht klar, wie falsch du damit liegst.

Fünf egoistische, selbstverliebte Arschlöcher schleppst du also mit dir in der Gegend rum: Leben, Realität, Vernunft, Verantwortung und Liebe.

Und jeder davon verlangt deine Aufmerksamkeit und deinen absoluten Gehorsam, ohne auch nur eine Sekunde lang darüber nachzudenken, was DU willst.

Du streitest dich mit Ihnen, versuchst den einen oder anderen irgendwie wieder los zu werden, doch erfolglos, sie kleben an dir wie Industriekleber zum zusammenleimen von Tornado-wiederstandsfähigen Häusern oder der Stoff, der die Welt zusammenhält.

Irgendwann kommt es dann, wie es kommen muss.

Du liegst auf dem Sterbebett und tröstest die Zurückbleibenden, indem du ihnen erzählst, du hättest ein schönes Leben gehabt.

Und plötzlich merkst du, dass das noch nicht einmal gelogen ist!

All die vielen Jahre hast du auf das Leben geschimpft, es getreten und als Arschloch bezeichnet und jetzt drehst du den Kopf auf dem Bett und lächelst es müde und dankbar an und verabschiedest dich mit den Worten:

„Danke, mein guter, alter Freund.“

Einer nach dem anderen verschwinden deine anhänglichen Begleiter.

Nur die Liebe läuft dir nach, wie ein Hund, als du dich dem nächsten großen Unbekannten zuwendest.

Sie ist größer geworden, im Laufe der Jahre und stärker, aber sie ist jetzt nicht mehr da, um dich rücklings zu überfallen, sondern um deine Hand zu halten und deine Angst zu verscheuchen, als der Tod dir grinsend den Weg ins Dunkel weist.

„Wer weiß? Vielleicht wartet dort schon irgendwo das nächste Leben auf dich?“, flüstert dir etwas zu, das dich schon deine ganze Existenz lang begleitet hat, dem du aber nie wirklich Beachtung geschenkt hast, obwohl es niemals egoistisch war oder Gehorsam verlangt hat.

Erst jetzt, als es so still und dunkel und ungewiss um dich herum ist und nur noch die Liebe da ist, hast du es entdeckt.
 

Die Hoffnung.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Dayce
2012-11-25T16:43:39+00:00 25.11.2012 17:43
Mir fehlen die Worte... ich finde es so passend!

Tschaui Dayce
Von:  FreeWolf
2012-11-25T15:58:55+00:00 25.11.2012 16:58
Liebe chao,
ich wusste ja schon, dass du wunderbar schreibst, aber das hier: ich habe zuerst geschmunzelt, dann gegrinst, dann gelacht, und es ist mir im Halse stecken geblieben, weil es so wahr ist, was du schreibst.
Vielleicht warte ich gerade auch nur darauf, dass die Hoffnung aufblitzt und mir mal wieder ein paar Worte in die Finger leitet.

Dankeschön. :)

deine Wolfi
Von: abgemeldet
2012-11-25T14:06:49+00:00 25.11.2012 15:06
Eines der Wundervollsten Texte die ich die letzten 3 Jahre gelesen habe. Danke für dieses tolle Werk. Wundervoll geschrieben und geht unter die Haut, und lässt diese Wohlige Melancholie noch etwas nach schwingen.


Zurück