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Ketten

von

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Unerfreuliches

Die schlimmste Straße des Herzogtums Magnolia stellte sich als notdürftig gepflasterter Feldweg heraus. Schlagloch reihte sich an Schlagloch, so unregelmäßig, dass sie es nicht wagten, die Pferde anzuspannen. Zu groß war die Gefahr, dass die Tiere stürzten und damit sich und den Insassen schadeten. Das ständige Auf und Ab machte einen krank, selbst wenn man nicht zur Reisekrankheit neigte. Kleine Steine auf dem Weg ließen jedes Gefährt springen und der Lenker hatte Schwierigkeiten, es auf dem Weg zu halten. Über eben diesen Weg fuhren sie gerade in einem gigantischen magischen Vierrad, das genug Platz für zwanzig Personen bot.

„Wie fühlst du dich, Onkel Natsu?“, rief Catleya von der Steuerungseinheit und wich einem größeren Fels aus, der sie sehr wahrscheinlich in den angrenzenden Acker befördert hätte. Das junge Mädchen fuhr resolut wie eine Erwachsene, durfte sie doch seit ihrem zehnten Lebensjahr die Kreationen ihres Großvaters probefahren, so lange sie sich auf privatem Gelände befanden.

„Mir geht’s prima!“, rief der rothaarige Feuermagier aus dem Fahrgastraum und winkte seiner Nichte fröhlich durch das Fenster im vorderen Teil des Wagens zu. Tatsächlich spürten die Insassen nicht, dass sie sich bewegten. Solange man nicht aus dem Fenster sah, fühlte man sich wie in einem Zimmer, dessen Wände großzügig mit weichen Sofas bestückt waren. In der Mitte fand sich ein langer Tisch, auf dem Plätzchen und kalte Getränke standen. Selbst die Oberfläche der Flüssigkeiten regte sich nicht. Ein absolutes Meisterwerk.

„Kaum zu glauben, dass das Ding hier von jemandem aus Salamanders Familie gebaut wurde.“, knurrte Gajeel. Der Eisendrache musste sehr lange überzeugt werden, bevor er sich der Testgruppe anschloss. Im Endeffekt verdankten sie es Levy, die mit ihrem ehrlichen Charme den Schwarzhaarigen zur Mitfahrt überredet hatte. Zwei Testpersonen mit Reisekrankheit waren besser als einer, denn Wendy zeigte als einzige keine Spuren des generellen Schwachpunkts aller Drachenkinder.

„Was soll das denn heißen?“, fragte Natsu provokant. Jetzt bloß keinen Streit! Nicht jetzt! Nicht hier! Lucy legte unter dem Tisch ihre linke Hand auf das rechte Bein ihres Verlobten. Eine Geste, die sie seit ihrer Verlobung häufiger anwendete, um ihren Partner davon abzuhalten, sich in nutzlose Streitereien verwickeln zu lassen.

„Bruder Natsu hat andere Talente.“, sagte Shiya gelassen. Der alte Mann hatte sich die Premiere seiner Schöpfung nicht entgehen lassen wollen und saß nun am Ehrenplatz im Heck der Kutsche am Kopf des Tisches. „Auch wenn ich mir sicher bin, dass er mit Übung und Erfahrung das hier auch zustande bekommen hätte.“ Zuversichtliche Worte für jemanden, der seinen Bruder erst vor drei Monaten kennengelernt hat. Seit dem hockten sie fast jede freie Minute zusammen. Natsu hatte sich damit abgefunden, dass sein kleiner Bruder sowohl körperlich als auch geistig älter war. Es spielte keine Rolle zwischen ihnen, denn sie teilten viele Interessen miteinander. So auch den Hang zu handwerklichen Tätigkeiten und ihre Vorliebe für seltsame kluge Frauen mit üppigen Proportionen. Ja, auch Shiya bezeichnete seine verstorbene Frau als seltsam. Narcy und ihre Schwiegertochter in Spe hatten sich darauf geeinigt, dass es sich um ein Phänomen der Dragneel-Familie handeln musste.

„Hundert Jahre Erfahrung sind sehr schwer zu schlagen.“, lachte sein großer Bruder und legte entspannt einen Arm um dessen Verlobte. „Mutter wird sich freuen zu hören, dass ihr Auftrag fertig ist. Auch wenn ich nicht verstehe, was sie mit dem Riesenteil will.“ Tatsächlich kam der Auftrag für dieses Gefährt von Narcy. Die Frau in Ketten hatte es erzählt, als ihre Kinder sie das erste Mal nach der Schneeschmelze besuchten. Erst vor zwei Wochen besiegten die Strahlen der Frühlingssonne den Winter und der Weg, der zum Hof der Dragneels führte, wurde passierbar. Die Weißhaarige weigerte sich jedoch preiszugeben, wofür sie die Kutsche benötigte. Eine Überraschung solle es werden. Während sie sprach, hatte sich ein verdächtiges Funkeln in ihren Augen gezeigt. Ihre Verschwiegenheit konnte also nur mit Ihnen zusammen hängen.

„Sie wird es uns noch früh genug verraten.“, meinte Lucy und sah aus dem Fenster. Unbemerkt hatten sie den Feldweg hinter sich gelassen und rollten nun auf einer gute befestigten Straße zurück in Richtung Magnolia. Ein entspannter Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Schade eigentlich, denn in ihrer Wohnung erwartete sie nur Arbeit. Das Brautkleid musste angefertigt werden. Natsu hatte absolutes Besuchsverbot, denn sie konnte die Nähpuppe mit ihrem Traum in weiß nirgendwo verstecken. Die Blondine wollte nicht, dass ihr Freund es vor der Hochzeit zu Gesicht bekam. Sie wollte ihn an ihrem gemeinsamen großen Tag überraschen. Zwei Monate Zeit blieben ihr noch. Sie wünschte sich so sehr, eine glückverheißende Juni-Braut werden und der Feuerdrache hatte eingelenkt. Zwei Monate. Nur noch zwei Monate! Wenn Lucy jetzt schon so aufgeregt war, wie sollte es dann an ihrem Hochzeitstag sein?

„Lucy?“, flüsterte Natsu seiner Partnerin ins Ohr. Diese kehrte aus ihrer Gedankenwelt in die Realität zurück. Der heiße Atem an ihrem Ohr brachte ihr Herz dazu, schneller zu schlagen und sie spürte dieses angenehme Kribbeln in der Magengegend. Sie wusste ganz genau, was es bedeutete. Nein, dieser Abend würde nicht an das Kleid gehen. Die Blondine warf ihrem Liebsten einen koketten Seitenblick zu. Heute gehörte sie mal wieder ganz ihm.
 

Der Klang von Ketten drang an Natsus empfindliche Ohren. Ein gleichmäßiger Rhythmus, der immer näher kam. Schritte. Nackte Füße auf Steinen. Im Gildeneingang blieb sie stehen.

„Natsu!“, rief Narcy und ihre Stimme klang schon fast wie die eines Militäroffiziers. Ihr Sohn drehte sich zu der Weißhaarigen um. Sie hatte eine Keilerei zwischen ihm und Gray unterbrochen. Nur ungern ließ der Feuermagier seine Faust sinken und von dem Schwarzhaarigen ab. Was hatte er nun schon wieder verbrochen? Oder ging es gar nicht um ihn? Aber sie hatte ja seinen Namen gerufen.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte der Feuermagier neugierig. Das kampflustige Lächeln auf den Lippen der Frau, die ihm das Leben schenkte gefiel dem Rotschopf. Egal, wie gebildet sie meistens tat, seine Kampflust hatte er nicht allein von seinem Vater geerbt.

„Du, Wendy und Gajeel, ihr kommt mit mir.“, sagte seine Mutter entschieden. Diese Bestimmtheit, mit der sie ihre Pläne ausführte mochte von vielen negativ gesehen werden, doch ihr Sohn bewunderte diese Zielstrebigkeit. Wusste sie doch, sich durchzusetzen.

„Ich nehme Befehle nur von mir selber an.“, schnaubte der Eisendrache provokant. Auch die Himmelsmagierin sah nicht einverstanden aus, auf diese Art angefordert zu werden.

„Habt euch nicht so.“, tadelte Narcy. „Es wird euch ganz sicher gefallen.“ Mit festem Blick beobachtete sie Gajeel. Wie eine Königin, die ihren Hofstaat unter Kontrolle hielt, kam es Natsu in den Sinn. Die Vorstellung gefiel ihm.

„Was hast du denn vor?“, fragte der Feuerdrache neugierig. Bei dem Funkeln in den Augen seiner Mutter konnte es nur einen Kampf geben und Natsu tat alles für einen vernünftigen Kampf und er wusste, dass es dem Eisendrachen nicht anders ging. Er konnte es nicht beschreiben, aber der junge Mann witterte es förmlich, wenn es spannend wurde. Wenn etwas Aufregendes vor ihnen lag. Jeder epische Kampf kündigte sich bei ihm mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend an. Er konnte es nicht beschreiben, aber genau diese Empfindung spürte er gerade. Das fast schon ein bisschen wahnsinnige Grinsen auf dem Gesicht der Beschwörerin verstärkte es noch. Mit einer ungewöhnlichen, unheimlichen Stimme sagte sie: „Wir werden ein paar Göttern die Hintern versohlen.“
 

So schön konnte eine Schifffahrt sein. Niemals hätte er sich das träumen lassen! Entspannt saß Natsu auf dem Dach der Kutsche, die er nur wenige Tage zuvor probefahren durfte und ließ sich von der Sonne bräunen. Die See war ruhig und eine sanfte Brise spielte mit seinen hellroten Haaren und trieb das Schiff in einem mäßigen Tempo immer weiter in Richtung Westen. Ein fast perfekter Tag. Nur eines fehlte zu seinem Glück: Lucy. Seine Verlobte durfte nicht mit auf diese Reise. Wie sollte der junge Mann nur die nächsten Wochen durchstehen? Es machte ihn schon fertig, wenn er mehr als einen Tag von seiner Liebsten getrennt sein musste. Er wollte sie wieder sehen, ihr süßes Lächeln, die fröhlichen braunen Augen und das goldglänzende Haar. Es verlangte ihn, sie zu umarmen, sie zu spüren und jeden Millimeter ihrer weichen Haut zu berühren. Er sehnte sich nach ihrem Duft, so sanft, wie das Aroma, dass diese großen weißen Blüten der Magnolien verströmten. Und ihrer Stimme, die so viel Freude in ihm aufkommen ließ, wann immer sie seinen Namen aussprach.

Mit einem Seufzer ließ Natsu sich nach hinten Fallen und starrte in den unschuldig blauen Himmel empor. Wer ihm vor einem Jahr gesagt hätte, dass er seine Partnerin jemals so sehr vermissen könnte, der Feuermagier hätte die Person ausgelacht. Dabei war es gar nicht ein Jahr, sondern acht. Ohne ihr Abenteuer auf Tenroujima, ohne ihre Begegnung mit Zeref, ohne Acnologia – ob er wohl jemals begriffen hätte, wie viel ihm seine Partnerin wirklich bedeutete? Im Auge des Todes hatte ihn die Erkenntnis getroffen wie ein Schlag, als er Lucys vor Angst zitternde Hand in der seinen spürte und ihre Magie sich vereinte. In diesem Moment schlug sein Herz zum ersten Mal schneller. Seit dem hatte er den Anblick der Blondine fast nicht mehr ertragen, aber es fiel ihm schwer, die Wahrheit zu begreifen. Liebe hatte er bis dahin noch nie empfunden. Lisanna mochte er zwar, aber nur als eine Art Schwester. Eine Spielkameradin, mehr nicht. Er wusste sehr wohl, dass die jüngste der Strauss-Geschwister schon vor langer Zeit Zukunftspläne für sie beide geschmiedet hatte. Aber er hatte das nie begreifen können. Und nun erdachte er sich selbst Szenarien zwischen sich und seiner Verlobten. Er konnte es kaum erwarten, bis sie endlich seine Frau war. Seinetwegen konnten sie gut und gerne auf den ganzen pompösen Schnickschnack mit Zeremonie und Feier verzichten. Der Rotschopf wollte sie einfach nur als einen Teil von ihm wissen, für immer und ewig. Niemals durfte sie ihn verlassen. Aber die junge Frau wünschte sich so sehr, mit allen zusammen zu feiern. Eine kirchliche Trauung in einem weißen Kleid. Solange es sie glücklich machte, sollte sie ihren Willen haben. Es war ja nicht so, dass er Schaden davontragen würde, wenn er in seinem so gar nicht zu ihm passenden weißen Anzug neben ihr stand.

„Hier steckst du.“, riss Narcy den jungen Mann aus seinen Gedanken. Seine Mutter stützte sich mit den Unterarmen auf der Dachkante ab. Mit den Füßen musste sie in einem der geöffneten Kutschenfenster stehen, denn seine Mutter hatte niemals die Körperkraft, um sich nur mit den Armen festzuhalten. „Kommst du runter? Ich hab das Essen aus der Kombüse geholt.“

„Dieser ungebildete Draufgänger kann ihrer Hoheit wegen dort oben bleiben.“, ertönte eine hochnäsige Frauenstimme aus der Kutsche. Der einzige Grund, weswegen Natsu überhaupt geflüchtete war. Wie hielten es die anderen nur mit Serenade in einem Raum aus? Als wäre es nicht so schon schlimm genug, dass sie von sich selbst als eine Hoheit in dritter Person sprach, sie hielt sich auch noch für etwas Besseres und machte kein Geheimnis daraus. Die anderen Dragonslayer konnte er ertragen. Aber nicht diese Ziege!

„Ihre Hoheit kann auch einfach mal den Rand halten.“, schlug Dexter vor und knabberte an einem Kiesel. Der Steindrache biss hinein, als handelte es sich um einen Knödel. Der Rotschopf fragte sich schon eine ganze Weile, woraus die Zähne der Eisen- und Steindrachen bestanden, denn sie Glitten durch diese harten Dinge wie durch Butter.

„Ihre Hoheit redet nicht mit ungehobeltem Pack.“, sagte Serenade und strich sich durch das schräg abgeschnittene glatte Haar. Natsu hatte schon mehrfach überlegt, ob sich ihr Frisör einen Scherz erlaubt hatte oder ob die Frau das Schick fand. Es sah auf jeden Fall merkwürdig aus, fast wie die Pfeifen einer Orgel.

„Ignorier die Alte einfach.“, schlug Sting vor. Auch der Lichtmagier und sein dunkles Pendant Rogue gehörten zu ihrer Gruppe. Seit den Ereignissen des Großen Magierturniers konnte man sich sehr gut mit ihnen vertragen. Die komische Einstellung von Sabertooth hatte sie ziemlich verdreht, aber nun waren sie ganz normal.

„Wen nennst du alt!“, schrie die Eismagierin aufgebracht und ihr durchaus schönes Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze. Sie konnte es drehen und wenden wie sie wollte, selbst mit den Fairy Tail Magiern, deren Zeit sieben Jahre stillstand, musste sie mit geschätzten dreißig Jahren die Älteste unter den Reisenden sein. Aber sie hasste es, wenn man sie darauf ansprach.

„Seit nicht so laut!“, mahnte Welling, der Einzigste von ihnen, der nichts aß. Der Nebeldrache hatte sich morgens am Dunst gütlich getan und noch keinen Appetit. Ihm verdankten sie es, dass das Schiff etwas schneller als sonst voran kam, da nachts und morgens nichts die Sicht behinderte. Sie vermieden es, ihn zu reizen, denn der Jugendliche war schnell eingeschnappt. Aber er hatte auch einen hohen Beschützerinstinkt, den er auf ihrer Reise der kleinen Liza zukommen ließ. Das Naturdrachenmädchen konnte laute Töne gar nicht haben und hielt sich die Ohren zu. Das merkwürdige Kind sprach auch kaum, egal wie sehr Wendy sich bemühte, mit ihr Freundschaft zu schließen.

„So ein Kindergarten.“, lachte ein junger Mann mit spitzem Irokesen-Schnitt. „Wollnma aufem Dach futtern?“ Erwartungsvoll sah er zu Natsu hoch. „Ich helf auch deiner Mama hoch.“

„Gerne.“, grinste der Rotschopf zurück. In Raymond hatte er einen neuen Freund gefunden. Der Elektrodrache spielte genauso gerne Streiche wie er. Die zwei hatten schon an einigen langweiligen Tagen sowohl den anderen Dragonslayern, als auch den Seemännern Streiche gespielt. Leider entpuppte sich ihr Bewegungsraum als sehr begrenzt, denn außerhalb der Kutsche merkten sie sofort den Seegang und die Reisekrankheit übermannte sie.

„Narcy, wie lange muss meine Hoheit noch die Anwesenheit dieser Unwürdigen ertragen?“, wollte Serenade wissen, während sie missfallend zusah, wie Raymond seine Batterien und Natsus brennende Speisen nach oben reichte.

„Die Überfahrt wird noch drei Wochen dauern.“, sagte die weißhaarige und hockte sich ins Fenster, während sie sich an der Dachkante festhielt. „Dann noch zwei mit dem Wagen über Land.“

„Ich steig aus.“, rief Liza plötzlich. Es war das erste Mal, dass Natsu das Mädchen sprechen hörte. „Noch fünf Wochen in diesem Wahnsinn und...!“

„Das kannst du nicht.“, unterbrach sie die Organisatorin dieser Reise. „Du stehst bei mir in einer Lebensschuld. Ihr alle, wenn ich daran erinnern darf.“ Die Dragonslayer sahen gar nicht glücklich aus, an dieses unschöne Detail erinnert zu werden. Wie hatte Narcy das nur hinbekommen? „In fünf Wochen könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Aber bis dahin tut ihr, was ich sage. Ich habe nicht tausend Jahre auf meine Rache gewartet, um sie mir von quengelnden Kindern zunichte machen zu lassen.“ Sie holte Schwung und hievte sich alleine aufs Dach. Es kostete sie einige Mühe, doch kriechend schaffte die Frau es, oben zu bleiben. Ohne dieses Verbrennungsproblem hätte Natsu ihr geholfen. Hoffentlich verschwand das zusammen mit den Ketten, wenn sie es diesen bescheuerten Göttern erst gezeigt hatten.

„Gut gebrüllt, Löwin.“, grinste Raymond. „Natsu, wir haben noch jemanden, der mit nach oben möchte.“ Natsu trat an den Rand des Daches und schon wurde ihm Wendy entgegen gehalten. Selbst der genügsame Himmelsdrache wollte dem Stress im Innern der Kutsche entfliehen. Noch fünf Wochen...
 

„Sind wir bald da?“, fragte Natsu gelangweilt und hing seine Arme aus einem Seitenfenster des Wagens. Seit drei Tagen konnte er nichts als kahle Felder und Gesteinsbrocken ausmachen. Nichts wuchs hier draußen, kein Lebewesen traute sich her. Auch die Dragonslayer hatten ein mehr als ungutes Gefühl in dieser Gegend. Es roch nach Tod.

„Gleich.“, sagte Narcy und ihre Stimme klang längst nicht mehr so erwartungsvoll, wie noch wenige Tage zuvor. „Wenn ihr nach vorne seht, könnt ihr unser Ziel erkennen.“ Alle zehn Drachenkinder quetschten sich nun vor die Frontscheibe ihres Gefährts. Natsu musste Gajeel gegen die Wand drücken, um an seiner Mutter vorbeisehen zu können. Das Gebilde vor ihnen verschlug ihm den Atem. Ein schmaler Weg führte zwischen zwei Schluchten an einem gigantischen Felsen hinauf. Auf dem Gipfel stand eine überdimensional große Kathedrale aus schwarzem Stein, zu deren Füßen sich ein Kloster weitläufig erstreckte. Narcy steuerte den Wagen zielstrebig auf das Eingangstor zu. Hier blieb sie stehen. Durch das offene Seitenfenster sprang ihr Sohn sofort aus dem Wagen und betrachtete das fest verschlossene Eisentor. Jemand hatte eine Steinplatte mit einer Inschrift in einer fremden Sprache dort angebracht. Wo war Levy, wenn man sie mal brauchen konnte?

„Es ist eine versiegelnde Mahntafel.“ Seine Mutter trat neben den Rotschopf und begann, den Text zu übersetzen:
 

„Kehre um, Reisender,

hinter diesen Mauern schläft,

wer einst dem Tod trotzte

und dafür mit dem Leben bezahlte.

Lasst die Seelen in Frieden ruhen,

denn unschuldig sind jene,

die nur das Wissen in sich trugen

und ihr Leben gaben,

um Leben zu wahren.“
 

„Was soll denn dieses Paradoxon?“, fragte Welling irritiert. „Wieso mussten sie sterben, um Leben zu wahren?“ Der Nebeldrache hatte sich als sehr belesen herausgestellt. Lucy hätte ihren Spaß darin, mit ihm über alle möglichen Bücher diskutieren zu können. Der Gedanke an seine Verlobte versetzte Natsu einen Stich. Er vermisste sie so sehr! Wenn er erst wieder zurück war, durfte sie seine Seite nie mehr verlassen!

„Sie trugen das Wissen über einen bestimmten Zauber in sich.“, erklärte Narcy. „Sie kannten seine wahre Natur nicht und wollten die Wahrheit nicht glauben.“ Nur ganz leicht berührte sie die Steintafel und schloss die Augen. Die Inschrift leuchtete und die Tore schwangen auf, als wären sie aus Papier. Natsu hörte Wendy und Liza hinter sich aufschreien. Verwirrt drehte der Feuermagier sich zu den Mädchen um. Beide hatten einen angsterfüllten Ausdruck in den Augen und hatten sie Arme schützend erhoben.

„Der Wind trägt die Klageschreie der Toten mit sich.“, brachten der Himmelsdrache mit zitternder Stimme hervor.

„Die Erde erstickt im Blut, das hier vergossen wurde.“, wimmerte der Naturdrache und Tränen rannen aus ihren grünen Augen.

„Ich hatte damals keine Wahl.“, sagte Narcy und legte den Kindern je eine Hand auf den Kopf. „Noch viel mehr Unschuldige hätten hier ihr Leben gelassen, wenn ich nicht das Blut derer, die die Wahrheit kannten, vergossen hätte.“ Die Drachenkinder sahen schweigend zu der Frau mit den Ketten. Natsus Mutter, eine Mörderin? „Das war lange, bevor ich die Ketten erhielt.“ Mit einem Wink deutete sie der Gruppe, ihr zu folgen. Bedächtig ging sie den Mittelweg des Klosters entlang. Zu beiden Seiten standen reich mit Gold und Edelsteinen verzierte Gebäude. Ein sehr reiches Konvent, wie Natsu vermutete. „Meine Eltern haben mich an dieses Kloster verkauft, weil ich zu schwach war, um ihnen bei der Feldarbeit zu helfen. Das war damals normal.“ Die Weißhaarige achtete gar nicht auf die Gebäude um sie herum, sondern ging geradewegs auf die Kathedrale zu. „Dieser Ort nennt sich ironischer Weise 'Kloster des Lebens'. Wer genug Geld hatte, konnte sich hier seine Wiederbelebung erkaufen. Dafür benötigten sie uns Kinder.“

„Ist das nicht etwas gutes?“, fragte Rogue kritisch. „Von der Bezahlung mal abgesehen.“

„Nicht, wenn es das Leben des Anwenders kostet.“, entgegnete Narcy, ohne sich umzudrehen.

„Sie haben das Leben der Kinder gegen das der Zahlenden getauscht.“, schlussfolgerte Dexter und sofort sahen sie alle die Juwelen mit anderen Augen. Sie waren mit Menschenleben bezahlt worden. Noch dazu mit denen von unschuldigen Kindern, die von ihren Eltern in ihr Unglück verkauft wurden. Was mussten das nur für Menschen gewesen sein, die ihrem eigen Fleisch und Blut soetwas antaten?

„Die Kinder wurden einer Gehirnwäsche unterzogen und sahen es als ihr größtes Glück an, ihr Leben herzugeben.“, erzählte Narcy weiter. „Nur mich konnten sie nicht täuschen, ich war schon zu alt, als ich hergebracht wurde.“ Sie stiegen nun eine lange Treppe zum reichverzierten Portal der Kathedrale empor. „Also habe ich mir einen Trick einfallen lassen, ihnen zu entkommen. Draußen traf ich einen Beschwörer, der sich um mich kümmerte und mir seine Magie lehrte.“ Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Tür, doch sie regte sich keinen Zentimeter. Gajeel lachte gehässig und schob die Weißhaarige zur Seite. Das solle sie doch einem Mann überlassen, meinte er. Der Eisendrache holte mit seiner stählernen Rechten aus und schlug mit voller Wucht gegen das Schloss. Dieses zersprang in tausend Stücke und die Türen flogen auf und knallten gegen die Wände. Doch niemand achtete darauf, dass das Gebäude von der Wucht bebte. Die beiden eh schon verstörten Mädchen wandten dem Raum den Rücken zu und verbargen die Gesichter in ihren Händen, während die anderen fassungslos in den runden Raum unter dem Glockenturm hinein starrten. Im schummrigen Licht, welches durch die kleinen Fenster unter der Decke fiel, bot sich ihnen ein ekelerregender Anblick. Skelette lagen quer durch den Raum verstreut. An den Ausgängen sammelten sie sich, vermutlich hatten sie zu Lebzeiten versucht zu entkommen. Auf dem Altar in der Mitte des Raumes lag ein Knochengerüst, das mit einem Schwert aufgespießt worden war. Das hier sollte das Werk seiner Mutter sein?

„Mutter Oberin“, der gruselig süße Klang in der Stimme Narcys ließ Natsu einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. „Dein kleiner Liebling ist wieder hier.“ Die Frau in Ketten stieg achtlos über die Gebeine der einstigen Klosterbewohner hinweg und auf den Altar hinauf. Sie ergriff das Schwert und zog es mit einem Ruck heraus. Dann stieß Natsus Mutter das Skelett mit einem unbarmherzigen Tritt vom Steinsockel. Diese neue Seite, die der Rotschopf an ihr kennen lernen musste, machte ihm Angst. Das grenzte schon fast an Wahnsinn. Hoffentlich war das nicht erblich.

„Männer, räumt den Boden frei.“, rief Narcy und setzte sich mit übergeschlagenen Beinen auf den Altar. „Packt sie einfach an die Seite. Die sind schon zu lange tot, als dass es sie interessieren könnte, was wir mit ihnen anstellen.“ Die männlichen Dragonslayer hatten nicht den Mut, sich gegen die offensichtlich geisteskranke Frau zu stellen. Auch wenn sie sich sehr überwinden mussten, die Knochen anzufassen. Natsu fand das Skelett, welches er trug, überraschend leicht wenn er an das Gewicht eines lebenden Menschen dachte.

„Meine Hoheit ist von deinem Benehmen wirklich schockiert.“, entrüstete sich Serenade. „Tote muss man ehren!“

„Neumodischer Schwachsinn.“, winkte Narcy ab. „Tote werden verscharrt und gut ist. Die Schwestern haben die Leichen der Kinder über die Klippe hinter der Kathedrale geworfen. Willst du da mal gucken, wie viele die im Vergleich zu mir auf dem Gewissen haben?“ Belustigt über den entsetzten Gesichtsausdruck des Eisdrachen fuhr sie fort: „Die Bewohner des Klosters haben es für Geld getan. Ich habe lediglich verhindert, dass es noch mehr unsinnige Opfer gibt. Etwas radikal, das gebe ich zu, aber den Kindern war einfach nicht mehr zu helfen.“ Eine etwas fadenscheinige Rechtfertigung. Mord blieb Mord, egal welche Beweggründe der Mörder auch immer hatte und das hier war ein Massaker.

„Ich hab was gefunden!“, rief Raymond und winkte mit einem Lacryma in der Hand. Bei genauerer Betrachtung handelte es sich um einen Aufnahmelacryma für Spionage Zwecke. Die durchgerostete Halterung hielt sich kaum noch an dem Stein.

„Oh, das Ding gibt es noch?“, grinste Narcy. „Den hatte ich ganz vergessen.“ Sie verließ ihren Platz und nahm dem Elektrodrachen den kleinen Kristall ab. Mit ein wenig ihrer Magie begann er zu leuchten und ein Bild in die Luft zu projizieren. Eine kurze Zerrung und dann erschien das Bild eines Mädchens in Wendys Alter, mit Amethystaugen und langem, hellrotem Haar. Sie fing an, in einer fremden Sprache voller Zischlaute zu sprechen.

„Bist du das?“, fragte Natsu seine Mutter. Sie sah wirklich fast genauso aus wie Catleya.

„Ja.“, bestätigte die Frau mit den Ketten. „Ich habe diesen Lacryma einst aufgestellt, um der Nachwelt zu hinterlassen, was für Grausamkeiten hier begangen wurden. Mal sehen, wie lange er aufgenommen hat.“ Mit dem Finger malte sie einen Kreis im Uhrzeigersinn auf die glatte Oberfläche und die Aufnahme beschleunigte sich. Menschen tauchten auf und verschwanden. Regelmäßig versammelten sich viel Kinder und ein paar Erwachsene. Ab und zu wurde eine Leiche hineingetragen und auf dem Altar abgelegt. Dann kam ein Kind, ein magischer Kreis erschien auf dem Boden und nach einem Lichtblitz kippte der Anwender tot um und wurde weggetragen, während der Tote wieder zum Leben erwachte und aufstand, als wäre nichts gewesen. Die Aufnahme war sehr lang, doch an einer Stelle merkte Natsu auf. Ein Mann, in prunkvolle Gewänder gehüllt, wurde in den Raum gebracht. Sein goldener Kopfschmuck zeichnete ihn als König aus. Und dann kam ein Mädchen mit hellroten Haaren. Vielleicht bildete der Feuermagier es sich nur ein, doch bekam er den Eindruck, dass der Zauber bei Narcy anders verlief, als bei den vorherigen Kindern. Doch auch sie kippte nach getaner Arbeit einfach um. Aber das konnte gar nicht sein. Immerhin stand seine Mutter ja gerade neben ihm. Wie hatte sie das nur gemacht?

Narcy beschleunigte den Ablauf noch etwas. Ihr Sohn hatte den Versuch, die Magieanwendungen mitzuzählen, aufgegeben. Das waren definitiv mehr Tote, als sich hier im Raum fanden. Die Kinder wurden für jeden geopfert, der Geld brachte. Bei manchen erkannte der Rotschopf sofort, dass sie besser hätten tot bleiben sollen und er verstand den Hass Narcys auf dieses System. Aber das rechtfertigte immernoch keinen Mord!

Irgendwann verlangsamte Narcys das Bild wieder. Sie selbst tauchte als junge Frau Anfang Zwanzig wieder im Bild auf. Es fand gerade eine Versammlung in dem Saal statt. Es mussten sämtliche Klosterbewohner anwesend sein. Neben Narcy stand ein großer, bärtiger Mann mittleren Alters. Sein nackter Oberkörper war übersät mit Beschwörermalen. Das musste der Lehrmeister seiner Mutter sein. Eine sehr dicke Frau, die am Altar stand und bis eben eine Predigt gehalten hatte starrte die Neuankömmlinge an, als würde sie einen Geist sehen. Was auch zu erwarten war, denn immerhin hatte sie die Rothaarige für tot gehalten. Diese beschwörte nun ein igelähnliches Wesen von der Größe eines durchschnittlichen Mannes mit speergleichen Stacheln, die es auf die Menschenmenge richtete. Die junge Narcy sagte etwas, doch Natsu konnte es nicht verstehen. Die Sprache kam ihm vertraut vor, denn ihr Schlaflied war in der gleichen geschrieben worden. Auf das Gesprochene reagierten die Kinder im Saal empört. Natsu musste die Sprache nicht kennen, um Beleidigungen zu erkennen. Den Gesten nach zu urteilen verlangte die dicke Frau von den Mönchen des Klosters, die Eindringlinge anzugreifen. Die Männer zogen Schwerter unter ihren Kutten hervor, mit denen sie nun angriffen. Nun kam der Igel in Aktion. Seine Stacheln leuchteten und schossen magische Pfeile auf ihre Feinde und weitere Anwesende wurden getroffen. In Panik rannten die Kinder davon, doch die Ausgänge waren fest verschlossen. Gnadenlos traf sie der Igel. Nur die dicke Frau auf dem Altar blieb verschont. Bei genauerem Hinsehen erkannte Natsu einen magischen Schild, der nur sie alleine schützte. Die Kinder interessierten die Nonne nicht. Sie konnte ja Nachschub kaufen, überlegte Natsu. Die junge Narcy nahm nun ein Schwert vom Boden auf. Man sah ihr an, dass sie den Umgang mit dem scharfen Stahl nicht gewöhnt war. Mit viel Kraft hob sie es an und rannte auf die Magierin zu. Das Schwert durchbohrte die Magie und das Herz der Predigerin und reglos blieb sie auf dem Alter liegen. Für die nächsten tausenddreihundert Jahre. Hier stoppte Natsus Mutter die Aufnahme.

„Faszinierend, nicht wahr?“, sagte Narcy und ließ den Kristall in ihre Gürteltasche gleiten. „Ich behaupte nicht, dass ich unschuldig bin. An meinen Händen klebt ebenso Blut wie an denen derer, die ich wirklich töten wollte. Aber das sind lang vergangene Zeiten.“ Sie ging zurück zum Altar. Der Boden war nun frei und ein Kreis mit zehn markanten Punkten um den Steinsockel herum sichtbar. „Es ist schon Ironie, dass ausgerechnet hier das Tor zur Welt derer liegt, die mich seit tausend Jahren strafen.“

„Erklärste uns jetzt endlich, wofür du uns brauchst?“, fragte Raymond ungeduldig. „Ich will so schnell wie möglich weg von hier.“ Alle anderen nickten zustimmend. Niemand wollte hier länger bleiben als nötig.

„Ich brauche euch, um in die Welt der Götter zu gelangen.“, entgegnete Narcy. „Wenn die Magie zehn verschiedener Drachen aufeinander trifft, öffnet sich ein Tor in eine andere Welt.“

„Und warum mussten wir dafür extra hierher kommen?“, beklagte sich Welling, der Liza stützte. Das kleine Mädchen hatte sich weinend zusammen gekauert. Wendy sah nicht besser aus. Der Himmelsdrache hielt sich die Ohren zu und vermied, die Skelette anzusehen.

„Weil das Tor, das ich brauche, laut meinen Berechnungen hier ist.“, seufzte Narcy. „Die Durchgänge befinden sich immer an Knotenpunkten der magischen Erdströme und hier, genau unter dem Altar, ist einer dieser Orte. Die Baumeister dieser Kathedrale haben diesen Punkt beabsichtigt gewählt. Ursprünglich wurde hier den Göttern gehuldigt und ab und zu ließ sich laut der Inschriften in der Bibliothek auch einer blicken. Das war, bevor sie den Zauber der Wiederbelebung erfanden. Lange bevor ich überhaupt geboren wurde.“

„Meine Hoheit will es endlich hinter sich bringen!“, rief Serenade ungeduldig. „Es interessiert meine Hoheit nicht, wer was getan hat. Meine Hoheit will nur weg von diesem Ort.“ Die Himmels- und Naturdragonslayer nickten zustimmend. Ihnen allen war hier unwohl und Natsu war sich sicher, seiner Mutter auch, egal wie locker sie sich gab. Er konnte die Anspannung in ihren Schultermuskeln sehen.

„Dann stellt euch bitten euren Gegensätzen gegenüber auf die Markierungen im Boden.“ Die Frau mit den Ketten dirigierte die Drachenkinder, wie man die Akteure in einem Theaterstück arrangierte. Natsu musste gegenüber der nervigen Serenade stehen. Diese sah demonstrativ zur Seite, was den Feuermagier reizte. Aber es war nicht der Richtige Zeitpunkt, um sich zu streiten. Natürlich bildeten Sting und Rogue ein Paar, ebenso wie Liza und Wendy. Bei den anderen musste Narcy kurz überlegen, welche wohl am unterschiedlichsten waren. Sie entschied, dass Dexter gegenüber von Raymond stehen sollte und Gajeel musste Welling in die Augen sehen, was er während der gesamten Reise vermieden hatte. Sie alle würden so erleichtert sein, wenn sie wieder ihre eigenen Wege gehen durften.

„Gut“, sagte Narcy und blieb außerhalb des Kreises. „Ich zähle jetzt bis drei und dann benutzt ihr alle euer Brüllen. Die gebündelte Magie sollte das Tor öffnen. Bereit?“ Die Drachenkinder nickten. „Eins.“ Tief holten sie Luft. „Zwei.“ Die Magie konzentrierte sich in ihrem Inneren. „Und Drei!“ Zehn Stimmen brüllten gleichzeitig und zehn unterschiedliche Attribute trafen genau über dem Altar aufeinander. Doch statt der erwarteten Explosion verband sich die Drachenmagie zu einer leuchtenden Kugel, die über dem Podest schweben blieb. So sah also das „Tor“ in eine andere Welt aus.

„Wer kämpfen möchte, folgt mir.“, grinste Narcy. „Der Rest darf diesen Ort verlassen und hingehen, wo er möchte.“ Ohne auf eine Bestätigung zu warten ging sie direkt in das Licht hinein und wurde von ihm verschluckt.

„Warte auf mich!“, rief Natsu und rannte ihr hinterher. Das wollte er sich doch nicht entgehen lassen! Wenn Godslayer schon so prächtige Gegner darstellten, wie mochte dann ein Kampf gegen einen leibhaftigen Gott sein Blut in Wallungen bringen?
 

Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit soweit das Auge reichte. So gesehen, hatte das Auge gar keine Reichweite, denn es gab keine Lichtquellen. Sie sahen nicht einmal, auf was sie standen, geschweige denn, wo es endete. Natsus Flammen und Stings Dragonforce-Zustand brachte ihnen zwar die Möglichkeit, sich gegenseitig zu sehen, doch alles andere blieb undurchdringlich schwarz.

„Was für ein langweiliger Ort.“, maulte Raymond enttäuscht. „Biste sicher, daswa richtig sind?“

„Ganz sicher.“, meinte Narcy. „Hier haben sie mir die Ketten angelegt.“ Nachdenklich sah sie sich um. Natsu fand, das ihr Gesicht gerade interessante Schatten warf.“ Er bewegte seine Flamme ein wenig und plötzlich sah seine Mutter aus, als hätte sie eine Pinocchio Nase. Es sah einfach zu lustig aus und der Rotschopf lachte laut auf. Raymond, der den Scherz bemerkt hatte, schloss sich seinem Gelächter an.

„Sehr witzig.“, meinte Dexter trocken. Der Steindrache besaß einfach keinerlei Humor. Natsu spielte nun mit den Schatten auf dessen kantigem Gesicht, bis er wie ein quadratischer Geist aussah. Der Steindrache legte eine Hand auf sein Gesicht und schüttelte den Kopf, ebenso wie Lucy, wenn sie kein Verständnis für die Späße ihrer Freunde aufbringen konnte.

„Nicht schlecht.“, grinste Sting und fing nun seinerseits an, durch Positionswechsel mit den Schatten der Umstehenden zu spielen. Wendy erschreckte sich in einem unachtsamen Moment so sehr vor Natsu, dass sie einen spitzen Schrei ausstieß. Lucys Gesicht wäre jetzt vermutlich noch göttlicher gewesen. Der junge Mann konnte es einfach nicht lassen, ständig an seine Verlobte zu denken. Er vermisste sie einfach zu sehr!

Plötzlich hörte Natsu, wie sich etwas in der Dunkelheit bewegte. Ein Rascheln wie Eleanors Federn drang an seine Ohren. Dann sprach etwas, und der unsichtbare Boden unter ihren Füßen bebte durch die Lautstärke.

„Wer macht hier so einen Krach?“, wollte ein Donnergrollen wissen. Wie ein Geist erschien vor ihnen ein gigantisches Wesen, das selbst den uralten Phönix in den Schatten stellte. Natsu hatte schon sehr viele Merkwürdigkeiten gesehen, aber das hier war der Gipfel. Ein flacher Kopf wie der einer Schlang an einem Körper, der nach einen kurzen Hals neben einer mächtigen Brust mit zwei scharfe Klauen an kurzen Armen bestückt war, die im Lichtschein stählern glänzten. Den Unterkörper verhüllten Wolken, die von Federn, welche seinen ganzen Körper bedeckten, produziert wurden, und sich im Fluss des Körpers zu blitzenden und donnernden Gewitterwolken verdichteten. Er senkte seinen Kopf auf ihre Höhe und betrachtete die Menschen mit einem violetten geschlitzten Auge, in das zehn Natsus übereinander gepasst hätten.

„Wettergott Avís, wir danken euch für euren Segen auf unserer Überfahrt.“, sprach Narcy untertänig und ging auf die Knie. Mit Blicken und Gestik deutete sie den Drachenkindern, es ihr gleichzutun.

„Oh, das ist das Mindeste, was ich tun konnte.“, entgegnete das merkwürdige Wesen. „Nachdem mein Kind Bolars euch Menschen so einen unsinnigen Streich gespielt hat. Er war einfach noch zu jung, um mich zu vertreten.“ Streich? Spielte er etwa auf das Wetter an? Wenn ja, dann war das ein gelungener Streich, der allerdings viele Menschen in Mitleidenschaft gezogen hatte. Aber göttliche Streiche hatten eh eine andere Größenordnung als Natsus kleine Tricks.

„Sagt, Menschen, was ist euer Begehr in unserer Welt?“, fragte nun Avís und blinzelte dabei, was den kleineren Wesen eine Windböe entgegen blies, welche die Magier fast umwarf. Die kleine Wendy wäre weggeweht, wenn Dexter sie nicht festgehalten hätte. Sie war einfach zu leicht! So langsam sollte sie mal ein paar Muskeln aufbauen, damit sie nicht immer so leicht umzuwerfen war.

„Wir suchen den Gott des Lebens.“, sagte Narcy und hielt weiter den Kopf gesenkt. Der Wettergott zog den Kopf wieder zurück und besah die kniende Frau nachdenklich. Ob Menschen wohl ins Beuteschema der Götter passte? Was aßen die überhaupt? Und schmeckte das wohl auch Menschen?

„Malatta schläft seit über tausend Menschenjahren.“, entgegnete der Gott nachdenklich. „Ich kann versuchen, ihn zu wecken. Aber er wird nicht erfreut sein.“ Mit dieser Warnung verschwand Avís wieder in der Dunkelheit.

„Wie ich es mir dachte.“, murmelte Narcy und stand auf. Als sie die Fragezeichen in den Gesichtern der anderen sah erklärte Natsus Mutter: „Der Lebensgott Malatta ist mein Schutzpatron, in dessen Auftrag ich die überschüssige Lebensenergie einsammeln sollte. Irgendjemand muss hinter seinem Rücken gehandelt und mir die Ketten angelegt haben.“ Nachdenklich legte sie die Hand ans Kinn. Wer würde denn soetwas tun und was hatte derjenige davon? Natsu machte sich nicht viel aus solchen Fragen, aber er wird demjenigen eine deftige Abreibung verpassen! Wie sagte Lucy neulich noch? Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen. Aber die Schläge des Feuermagiers sollten nicht leicht werden. Mit voller Kraft wollte er diesem möchtegern Gott den Arsch versohlen.

„Wer wagt es, mich in meinem Schlaf zu stören?“, donnerte eine etwas höhere Stimme als die des Wettergottes aus dem Nichts auf die Menschen ein. Täuschten Natsu seine feinen Ohren oder klang diese Tonlage wirklich wie bei einem Kind?

„Dich stört keiner.“, knurrte Narcy und eine wahnsinnige Wut ließ das Weiß ihrer Augen zum Vorschein kommen. Hasserfüllt suchte sie die Dunkelheit nach der Quelle der Stimme ab.

„Ich bin Malatta, Gott des Lebens.“, entgegnete die Stimme hochmütig. „Du hast mich wecken lassen.“ Eine Vene trat pochend an der Stirn der Weißhaarigen hervor.

„Du bist nicht Malatta.“, zischte sie. „Du bist dieser Betrüger, der mir die Ketten verpasst hat. Avís hat bereits bestätigt, dass der Gott des Lebens länger schläft, als dieser Bann auf mir liegt.“

„Dein Eingriff ins Weltgefüge hat mich einst geweckt, ohne dass Avís das mitbekommen hätte.“, behauptete die körperlose Stimme. „Danach habe ich mich wieder schlafen gelegt.“ Jetzt hatte Natsu aber die Schnauze voll! Er kannte diese Stimme! Er erinnerte sich auch daran woher. Mit diesem Früchtchen hatte er eh noch eine Rechnung offen!

„Zeig dich, du Feigling!“, forderte er, holte tief Luft und spuckte auf gut Glück Feuer in die Dunkelheit. „Deinetwegen hätte ich Lucy fast etwas Schlimmes angetan! Dass lasse ich dir nicht durchgehen!“ Er ließ seinen Worten weitere Flammenstöße folgen. Die anderen Dragonslayer schlossen sich seinem Beschuss an. Gajeel und Wendy, weil auch sie die Gräueltaten dieses sogenannten Gottes nicht gutheißen konnten, der Rest, weil ihnen die körperlose Stimme auf die Nerven ging.

„Ihr Narren!“, rief der betrügerische Gott. „So niedere Wesen wie ihr werden die höheren Belange der Welt, um die wir uns kümmern, niemals verstehen.“ Natsu konnte seine Bewegungen hören. Keine Federn, wie bei dem Wettergott. Eher eine Mischung aus raschelndem Fell und klackernden Schuppen.

„Ich weiß, wo du steckst!“, rief Dexter plötzlich. So heißblütig kannte der Feuermagier den ruhigen Riesen gar nicht. Dieser holte nun tief Luft und schoss einen Felsen wie eine Kanonenkugel unter sich. Doch anstatt, dass der Stein an dem zerschellte, was die Magier für einen Boden hielten, sauste er hinunter und ein jaulender Aufschrei hallte durch die Leere. Als wenn man eine Decke wegzog enthüllte sich ein langes, schlankes Wesen mit rostrotem Fellrücken, dass sich schnell unter ihnen weg schlängelte. Als es sich auf ihre Höhe begab, stellten sie fest, dass der Gott nichteinmal ein viertel der Größe von Avís hatte. Der tigerähnliche Kopf mit den Ziegenaugen hatte längst nicht die Eindruckskraft wie der des Wettergottes.

„Ihr törichten Menschen!“, kreischte das Wesen nun schon. „Dafür werdet ihr bitter bezahlen!“ Aus dem Nichts schossen Ketten auf die Drachenkinder zu, während Narcy an ihren Handfesseln hochgezogen wurde und hängen blieb.

„Natsu, pass' auf!“, schrie die Beschwörerin, doch ihr Sohn hatte bereits die beiden Stahlketten bemerkt, die sich um ihn wickeln wollten und wich ihnen nach oben aus. Doch anstatt wie erwartet wieder hinunter zu fallen, spürte er plötzlich etwas Festes unter sich. Er konnte auf dieser Höhe genauso stehen wie seine Freunde ein Stück tiefer. Das war total abgefahren! Der Feuermagier sah, wie Wendy einen Salto rückwärts machte, um den Angriffen zu entkommen. Sobald ihre Füße nebeneinander ausgestreckt waren blieb sie plötzlich mitten in der Luft stehen. Aus Natsus Sicht in der horizontalen, doch die Schwerkraft wirkte für die Magierin von ihren Füßen aus. Als Versuch kniete Natsu sich hin, um den nächsten Fesseln zu entgehen und wie erwartet fiel er in die Leere unter ihm, bis seine Füße wieder parallel unter seinem Körper waren. Aus dem Ursprünglichen Winkel stand er nun schräg, aber es kam ihm vor, als hätte er festen Boden unter sich. Diese Welt war verdammt verrückt, aber sie mussten das Beste draus machen und sich den unnatürlichen Begebenheiten anpassen.

„Du nervst!“, rief Raymond, wich einer Kette aus, suchte sich sofort wieder festen Stand und wirkte seinen Donnerdrachenatem auf den Gott. Dieser wurde getroffen, denn seine Aufmerksamkeit lag auf Dexter, der die Besonderheit der Götterwelt bereits nutzte wie ein Bewohner und ihren Feind unablässig mit Steinen beschoss. Man mochte über den ruhigen Mann sagen was man wollte, er blieb ein herausragender Kämpfer.

Durch den Schmerz abgelenkt ließ der Kettenbeschuss nach. Diese Pause nutzte Wendy, um den anderen Drachen einen Geschwindigkeits- und Kraftbonus zu verleihen. Stark wie er sich lange nicht mehr gefühlt hatte stieß Natsu sich ab und schoss geradewegs auf den Rücken des Feindes zu. Weit holte er mit der rechten Faust aus und seine Flammen loderten heißer denn je, als er das Wesen mit voller Kraft mitten ins Kreuz traf.

„Du mieser Wurm.“, zischte dieses und schnappte nach ihm, wie ein wildes Tier. Das Ding hielt mehr aus, als sie erwartet hatten. Kein Wunder, dass Godslayer so lästig waren! Hierfür brauchten die Drachenkinder einiges mehr an magischer Kraft. Schnell sprang Natsu von seinem Feind herunter und nahm sicheren Abstand. Wo war Lucy mit ihrem Blick für kleine Schwachstellen, wenn man sie brauchen konnte? Natürlich dort, wo sie außer Gefahr war und das war gut so. Dieser Tollpatsch konnte sich immer wieder in die unmöglichsten Gefahrensituationen bringen. Aber ihr cleveres Köpfchen könnten sie gerade gut brauchen. Aber dieses Mal mussten sie auf die Blondine verzichten. Hauptsache, seine Liebste war in Sicherheit.

„Ist sie wirklich in Sicherheit?“, ertönte eine leise Stimme in Natsus Kopf. Der Rotschopf hielt sich die Ohren zu, doch konnte er diesen Singsang auf diese Art nicht aussperren. Er sah zu dem Gott, doch dieser hatte nun Abstand von ihnen genommen und sah die Menschen grimmig an. Keiner von ihnen rührte sich mehr. „Du ahnst gar nicht, in was für einer Gefahr deine kleine Freundin sich gerade befindet.“, sprach die Stimme weiter und wie durch ein rundes Fenster sah der Feuermagier plötzlich auf seine Verlobte. Ein Mann im Vordergrund beobachtete sie durch ein Schaufenster, vor dem die junge Frau stand und die ausgelegten Angebote studierte. Natsu kannte des Geschäft. Der Mann war der schüchterne Fleischer, der zwar nie einen ganzen Satz herausbekam, dafür perfekte Steaks schnitt. „Dieser Mann verspürt den Wunsch, sein Messer in anderes Fleisch zu rammen, als das von toten Tieren.“, zischte die Stimme in seinem Kopf. „Eine junge hübsche Frau wie sie, mit so viel Fleisch an den richtigen Stellen käme ihm gerade recht.“ Das durfte nicht passieren! Natsu versuchte den Mann, den er sah, zu packen, doch er griff ins Leere. Das Fenster in ihre Welt ließ ihn nicht durch. „Ich bräuchte sein Verlangen nur ein wenig verstärken.“, säuselte die Stimme.

„Wag es ja nicht!“, warnte Natsu. Verdammt, wieso musste Lucy immer so tiefe Ausschnitte tragen? Dieser gemeingefährliche Fleischer konnte ihre vollen Brüste sehr gut sehen! Wenn der Rotschopf erstmal wieder zu Hause war, musste er seiner Verlobten das sofort abgewöhnen!

„Es hängt ganz von deinem jetzigen Verhalten ab.“, amüsierte sich die Stimme. „Nimm die anderen Menschen und geh und deiner Kleinen wird nichts passieren. Wenn du aber weiter kämpfst, bringe ich die geheimen Wünsche des Mannes dort dazu, durchzubrechen. So wie einst deine Lust nach ihrem Körper.“ Dieses Schwein! Wenn er den in die Finger bekam, machte er Wurst aus ihm! Aber er konnte Lucy auch nicht hängen lassen. Dieses komische Ding war zu allem fähig.

Ein Aufblitzen an Lucys Hüfte zog Natsus Aufmerksamkeit auf das Bild zurück. Sie trug ihre Schlüssel bei sich. Auch die Peitsche, mit der sie sehr gezielt umgehen konnte, wie er schon häufig nach einem seiner Streiche erfahren musste. Ein Grinsen breitete sich auf den Lippen des jungen Mannes aus. Nein, Lucy konnte man nicht so leicht schaden.

„Meine Verlobte kann auf sich selbst aufpassen.“, sagte Natsu und zwang sich, von dem Fenster in seine Welt wegzuschauen. „Wenn ich dich fertig mache, bevor du irgendwas anstellen kannst, ist das sogar noch besser.“ Flammen loderten um seinen Körper auf. Jetzt hieß es: Voller Power, mit Elektrozusatz! Mit einem lauten Kampfschrei stürzte der Feuerdrache sich auf seinen Gegner. Jetzt oder nie! Für das Leben derer, die ihm wichtig waren!

„ATTENRA!“, donnerte eine weitere göttliche Stimme durch die Dunkelheit und unterbrach Natsu in seinem Angriff. So laut, dass einem Menschen fast das Trommelfell platzte. Ein Wesen, das genauso aussah wie der sadistische Lebensgott, jedoch von der Größe des Wettergottes Avís, tauchte aus der Dunkelheit auf. Sein Fell war lichter und gab den Blick auf goldene Schuppen frei, die darunter aus der Haut ragten.

Der kleine Gott zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen und sah geduckt zu dem Kopf des größeren auf.

„Mava, du bist wach?“, fragte es mit vorsichtiger Stimme. „Haben diese dummen Menschen dich geweckt? Ich werde sie sofort dafür bestrafen.“

„Der einzige, der bestraft wird, bist du, mein Kind!“, wetterte der ausgewachsene Gott und das kleinere Wesen kauerte sich zusammen. „Was fällt dir ein, dich meiner Angelegenheiten anzunehmen?!“ Er sah zu Narcy, die noch immer an ihren Ketten mitten in der Luft baumelte, denn auch ihre Fußketten hatten sie leicht angezogen, so dass sie keinen festen Stand bekam. „Die 'Fesseln des Leids' an meinem Meisterwerk, so ein Unsinn!“ Narcys Fesseln leuchtete und lösten sich schneller auf, als Natsus Mutter oder irgendjemand von den Menschen die Situation wirklich begreifen konnte. Die erschrockene Frau stieß einen spitzen Schrei aus, wurde jedoch sogleich von der menschenhandähnlichen beschuppten Klaue des großen Gottes aufgefangen.

„Aber Mava“, protestierte das Götterkind, „sie hat das Gefüge von Leben und Tod gestört und ihr eigenes Leben dadurch verlängert.“

„Das ist ihre Aufgabe!“, herrschte der Große den Kleinen an. „Dafür habe ich sie geschaffen! Mit mehr magischer Kraft, als einem Menschen gut tut und einem Verstand, der allen psychischen Herausforderungen widerstehen kann. Ich hätte zwar etwas vorsichtiger bei der Auswahl der Eltern sein können, aber Schwamm drüber. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie lange die Vorbereitungen für sie gedauert haben?! Und ich dachte, ich könnte mir endlich ein Nickerchen gönnen, nachdem ich ihr die Aufgabe der Energiesammlung anvertraut hatte.“

„Moment!“, rief Natsu, dem das Geschwafel zu viel wurde. „Worum geht’s hier jetzt eigentlich? Und wer zu Geier bist du?!“ Der große Gott wandte sich nun den anderen Menschen zu und beäugte sie neugierig.

„Verzeiht, in meiner Wut vergaß ich, mich vorzustellen.“, sagte das Wesen. „Ich bin Malatta, Gott des Lebens. Dies hier ist mein Kind, Attenra. Ich bitte vielmals um Verzeihung, für sein gedankenloses Verhalten.“ Dann sah es von einem Menschen zum Nächsten, doch sein Blick blieb auf Natsu hängen.

„Und du bist?“, fragte Malatta den Feuermagier, der immer noch nichts verstand, neugierig.

„Das ist mein ältester Sohn, Natsu.“, antwortete Narcy für ihr Kind und kletterte aus der Klaue des Lebensgottes. Es war ungewohnt leise, wenn sie ging. Sie hatte den Trick, wie sie sich in dieser Welt zu bewegen hatte nur durch die Beobachtung der Drachenkinder verstanden und kam nun mit Leichtigkeit auf die Ebene ihres Sohnes hinunter.

„Oh! Ein Kind!“, jubilierte der Gott des Lebens. „Kinder sind etwas wunderbares, nicht wahr? Auch wenn das meine einen sehr, sehr schlechten Streich gespielt hat.“

Natsu war, als hörte er etwas zerreißen. Doch so sehr er auch suchte, er konnte die Quelle nicht finden. Auf jeden Fall waren diese Götter tierisch merkwürdig. Nicht nur, dass sie aussahen wie merkwürdige Tiere. Nein, sie hatten auch sehr merkwürdige Ansichten. Menschliche Meisterwerke, ein Nickerchen, das tausend Jahre dauerte und Quälerei als Streich?

„Nur ein Streich?“ Das heiserne Flüstern zog die Aufmerksamkeit des Feuermagiers auf seine Mutter. Die gefährliche Aura um sie herum brachte ihn dazu, ein paar Schritte zurückzuweichen.

„NUR EIN STREICH?!“, schrie die Beschwörerin plötzlich und ein violettes Leuchten umgab sie. Wie einst im Kampf gegen Golgewan bündelte sie magische Energie in ihren Händen. Aber dieses mal gab es nichts, was sie davon abhielt, ihre volle Kraft einzusetzen. „Ich zeig dir, was ich von deinem Streich halte!“ Mit dieser Ankündigung bewegte sie sich durch den merkwürdigen Raum wie ein Ninja auf Attenra zu. Das Götterkind blieb noch die Zeit für ein überraschtes „Oh!“, bevor es von purer magischer Kraft getroffen wurde, die mehr Schaden anrichtete, als die Kräfte der Dragonslayer es jemals gekonnt hätten. Malatta zog sich beeindruckt von der Seite seines Kindes zurück, hinter die Reihen der Menschen, während er dem Bombardement der Beschwörerin an seinen Nachwuchs zusah.

„Vielleicht habe ich sie mit einem bisschen zu viel magischer Energie ausgestattet.“, überlegte der Lebensgott laut. „Aber das wird Attenra eine Lehre sein, sich nicht mit Menschen anzulegen.“ Die Menschen nickten schweigend, während sie beeindruckt und eingeschüchtert den Wutausbruch der Weißhaarigen beobachteten.

Die Hilfeschreie des kleinen Gottes waren herzzerreißend, aber irgendwie konnte keiner Mitgefühl für den Quälgeist aufbringen. Doch irgendwann beschloss Malatta, dass es genug war. Der Gott des Lebens bewegte sich neben Narcy und hielt eine Klaue zwischen die Magierin und sein Kind.

„Es ist genug.“, sagte er entschieden, doch die Beschwörerin funkelte ihn nur wütend an. „Wenn du so weiter machst, gefährdest du das unschuldige Leben in dir.“ Die Frau hielt tatsächlich inne, blickte zwar kurz nachdenklich, doch dann atmete sie einmal tief ein und wieder aus und stellte sich aufrecht hin. Unschuldiges Leben in ihr? Wovon redeten das Ding? Natsus Mutter war alles andere als unschuldig. An ihren Händen klebte Blut und sie scheute sich auch nicht, ihren Ansichten durch Schmerzen etwas Nachdruck zu verleihen.

„Ich habe es mir gedacht.“, rief Wendy zur Überraschung der Männer aus. „Narcy, du bist schwanger, nicht wahr?“ Natsu spürte, wie das Blut in seinen Adern gefror. Prüfend schoss sein Blick zu seiner Mutter. Nun ja, sie hatte ein bisschen zugelegt. Aber schwanger? Das würde ja bedeuten, dass er nochmal großer Bruder wurde! Das war ein absolut absurder Gedanke. In seinem Alter!

„Im fünften Monat.“, gab die Angesprochene nun zu und legte eine Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. Ihr Sohn fiel aus allen Wolken.

„Und das sagst du mir gar nicht?!“, beschwerte er sich aufgebracht. Wie konnte man nur so leichtsinnig sein? Er wusste noch zu gut, wie vorsichtig Romeos Mutter hatte sein müssen, als sie mit dem Kleinen schwanger war. Macao hatte sie keinen Schritt alleine gehen lassen. Er verstand nicht wieso, aber schwangere Frauen mussten in Watte gepackt werden.

„Ich habe es erst auf der Reise gemerkt.“, gestand seine Mutter und kam wieder zu ihm. „Ich gehöre nicht zu den Frauen, sie groß Symptome haben. Dein kleines Geschwisterchen hat sich erst vor einer Woche bemerkbar gemacht und da wollte ich die Mission nicht mehr abbrechen.“ Verlegen kratzte sie sich an der Wange. „Vor allem, da ich auch ein gewisses Problem loswerden wollte.“ Natsu verstand, was sie meinte. Diese komischen Verbrennungen, die zwischen seiner Mutter und ihren Kindern standen. Es war Zeit zu testen, ob dieses Problem mit den Ketten verschwunden war. Zögerlich hob er einen Finger. Nur ein kurzes Antippen, mehr brauchten sie nicht. Nur eine minimale Berührung. Vorsichtig, jederzeit bereit, den Arm wieder zurückzuziehen, näherte der Rotschopf seine Hand an die Schulter seiner Mutter an. Nur noch wenige Millimeter, dann spürte er die warme Haut. Seine Mutter schrie nicht. Beide sahen schweigend auf die Stelle, an der sie sich zum ersten Mal Haut auf Haut ohne irgendwelche unangenehmen Nebenwirkungen berührten. Mutter und Sohn sahen sich in die Augen, beide ungläubig. Dann breitete sich ein freudiges Lächeln auf Narcys Gesicht aus und ehe der Feuerdrache sich versah, hatte seine Mutter ihn in eine herzliche Umarmung an sich gezogen. Es fühlte sich an wie früher, als er noch ein Kind war. Nur viel besser, so ohne Stoff dazwischen.

„Ihr solltet nun gehen.“, sagte Malatta freundlich. „Ich werde mich um alles weitere kümmern.“ Attenra sah dies als Stichwort an, in der Dunkelheit zu verschwinden. Das komische Gottding hatte sich nichteinmal entschuldigt! „Seid nicht nachtragend.“, bat Malatta und ließ eine leuchtende Kugel erscheinen. Der Ausgang in ihre Welt. „Von nun an werde ich dafür sorgen, dass kein Gott sich mehr in eure Leben einmischt und sende euch als Zeichen meines guten Willens ein Versöhnungsgeschenk.“

„Und was soll das sein?“, fragte Natsu misstrauisch. Diesen Göttern war alles zuzutrauen.

„Ihr werdet es sehen.“, lachte der Gott des Lebens. Mit einem „Lebt wohl!“ wurde auch er wieder eins mit der Dunkelheit. Verrückte Wesen, diese Götter...
 

In der Menschenwelt hatte sich nicht viel getan. Der Altarraum lag noch immer genauso da, wie sie ihn verlassen hatten. Nur die anderen Drachenkinder waren gegangen und lediglich die Toten bewohnten diesen schaurigen Ort. Unwirklich kam er Natsu nun vor. Wie aus einem schlechten Traum, aus dem er so schnell wie möglich aufwachen wollte.

„Sie sind wirklich gegangen.“, murmelte Wendy enttäuscht. Sie hatte sich viel Mühe damit gemacht, mit allen klar zu kommen. Besonders mit der stillen Liza wollte sie sich anfreunden. Aber so wie es aussah, dachte der Naturdrache nicht in der gleichen Form wie der Himmelsdrache über diese Angelegenheit und hatte sich aus dem Staub gemacht.

„Um die ist es nicht Schade.“, schnaubte Raymond und Natsu musste ihm im Stillen zustimmen. Welling, Liza und Serenade hatten sich bei keinem beliebt gemacht und der Feuermagier war froh, dass er diese Nervensägen nicht noch weitere sechs Wochen ertragen musste. Sechs Wochen Reise hatten sie ja schon hinter sich. Der Mai neigte sich dem Ende zu und es war eine stickige Wärme in diesem Teil der Welt. Moment mal! Ende Mai? Nach Mai kam Juni!

„Scheiße!“, brüllte Natsu in Panik. „Lucy bringt mich um!“ Er hatte die Zeit komplett aus dem Augen verloren. In einer Woche war seine Hochzeit! Wie sollte er es denn noch rechtzeitig um die halbe Welt schaffen, wenn schon die Hinreise sechs Wochen gedauert hatte?!

„Wird sie nicht.“, lachte Narcy und legte ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter. „Da ich meine Ketten los bin, wird die Rückreise nach Magnolia nur einen Tag dauern.“ Mit einem beschwingt fröhlichen Gang setzte sie sich in Richtung Ausgang in Bewegung.

„Wie willst du das anstellen?“, wollte Gajeel misstrauisch wissen. „Etwa mit diesem Teleportationskrams, den wir in den Städten auf diesem Kontinent gesehen haben?“ Das System hatte Natsu wirklich sehr beeindruckt. In jedem größeren Ort gab es einen Platz, auf dem ein magischer Kreis eingraviert worden war. Immer gab es einen zuständigen Magier, der zu bestimmten Zeiten einen Zauber sprachen, der die versammelten Menschen gegen einen kleinen Obolus an einen anderen Ort teleportierte.

„Du kannst diesen Zauber?“, rief Natsu begeistert.

„Ich habe ihn mir abgeguckt und auch in anderen Ländern die Grundsteine für die Reise gelegt.“, erklärte seine Mutter. „In Fiore liegt einer in Crocus. Von da aus müssen wir aber mit dem Zug weiter.“ Verdammt! Und es war so schön, ohne Reisekrankheit unterwegs zu sein. Aber lieber ein Zug, als eine wütende und traurige Lucy.

„Und was ist mit der Kutsche?“, wollte Sting wissen. „Mit der hätten wir doch keine Probleme, nach Hause zu kommen.“

„Denkst du wirklich, die anderen haben die dagelassen?“, entgegnete Gajeel skeptisch. „Nicht nach dem Auftritt unseres Mütterleins. Die haben sich das Ding geschnappt und sind längst über alle Berge.“

„Davon gehe ich auch aus.“, pflichtete Narcy ihm bei. Sie waren an einem Platz angekommen, der das Herzstück des Klosters bildete. Die Frau schloss die Augen und konzentrierte ihre magische Energie auf den Boden. Pflasterstein für Pflasterstein leuchtete auf, bis sie ein Muster bildeten. „Auf nach Hause, unsere Familien warten auf uns.“
 

Es war so entspannend, endlich wieder in einer vertrauten Umgebung zu sein! Die Reisekrankheit von der Zugfahrt war wie weggeblasen. Magnolia lag vor ihnen, noch genau so, wie Natsu es in Erinnerung hatte. Der nahende Sommer rief die Menschen auf die Straßen und überall blühten die Blumen in den Kästen. Der Feuermagier konnte es gar nicht erwarten, seine Freunde in der Gilde anzutreffen. So schnell er konnte, eilte er die Hauptstraße entlang, vorbei an der Kathedrale, der Weg zu seinem Zuhause.

Seine Gildenkollegen hatten ganze Arbeit geleistet. Die Fassade der Gildenhalle erstrahlte in altem Glanz. Das Dach war geflickt worden und neue Tische und Bänke standen im Vorhof. Doch keiner seiner Freunde saß an diesem schönen, warmen Tag dort, was den Rotschopf sehr wunderte. Er spürte auch nicht die gewöhnliche ausgelassene Stimmung. Eher Unruhe und Sorge lagen in der Luft. Durch die offenen Tore drang Erzas befehlende Stimme an seine empfindlichen Ohren: „Mira, nutze deine Kontakte beim Weekly Sorcerer, um den Wahrheitsgehalt dieses Artikels zu überprüfen.“ Die Rittermagierin wedelte mit einem Papierfetzen in der Luft herum. Anscheinend ein Ausschnitt aus einer Zeitung. „Levy, durchkämme deine Bücher nach allem, was einen Mensch kontrollieren kann. Ihr anderen findet heraus, wo dieser 'Prinz Sawalu' lebt! Wir müssen das hier klären, bevor Natsu nach Hause kommt!“

„Ich bin schon da.“, rief Natsu und die versammelte Menge drehte sich zu ihm um. Ihre Gesichter waren bleich und viele hatten Blut unterlaufene Augen. Ein Anzeichen für Schlafmangel. Happy schoss fliegend auf seinen Ziehvater zu und krallte sich an dessen Brust. Der aufgewühlte Kater brachte jedoch nur unverständliches Zeug zwischen seinen Schluchzern heraus. Mirajane löste sich von der Menge und lief auf den jungen Mann zu, der verwirrt versuchte, seinen Freund zu beruhigen.

„Oh Natsu, es ist furchtbar!“, rief sie verzweifelt. „Lucy ist entführt worden und soll einen anderen heiraten!“



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Von:  Vigeta_Lord_d_T
2020-02-26T05:41:35+00:00 26.02.2020 06:41
Oke welcher Gehirn amputierte lebensmüde übergeschnappte wahnsinnige Idiot hat es gewagt Lucy zu entführen. Natsu dreht durch.
Von:  fahnm
2013-01-30T21:43:25+00:00 30.01.2013 22:43
*blinzel*
WAS!?!?!?!?!?!?!?!?!?!!?!?
Wie konnte den das Passieren?
Hoffentlich kann Natsu sie retten und diesen Prinzen zur hölle schicken.


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