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am rand der welt fällt gold von den sternen

victoire & james
von

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sein heißt werden, lieben heißt lernen

am rand der welt fällt gold von den sternen

victoire & james
 

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Die Sonne ging langsam unter, der Himmel verfärbte sich rot-orange und es wurde endlich, endlich kühler. Der heiße Mittsommertag endete. Victoire beobachtete die Veränderungen durch die Windschutzscheibe des Autos, in welchem sie momentan den Beifahrersitz belegte. Sie biss sich zögerlich auf die Unterlippe und fragte sich ein letztes Mal, ob sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens gemacht hatte, als sie an diesem Morgen nicht in der Kirche auftauchte.
 

Leise Musik war alles, was die Stille erfüllte. Muggelmusik, das erkannte Victoire sofort, und mit einem kleinen Lächeln drehte sie eines der spielenden Lieder lauter. Sie liebte Muggelmusik, hatte mit dem ganzen Zauberergesinge nie etwas anfangen können.
 

„Wohin fahren wir?“, fragte sie dann und brach damit das erste Mal seit Stunden das angespannte Schweigen im Auto.
 

„Keine Ahnung“, war James‘ knappe Erwiderung vom Fahrersitz und wirklich, Victoire erwartete nicht, dass er einen Plan hatte. Sie hatte ihn überrumpelt und vielleicht, ja vielleicht bereute er, wenn sie es schon nicht tat.
 

Denn da war sie sich mittlerweile, nach Stunden des Nachdenkens und Grübelns, recht sicher - dass sie nicht bereute. An diesem Morgen ihr Hochzeitskleid an seinem Bügel hängen zu lassen und stattdessen in Jeans-Shorts und ein mintgrünes Top zu schlüpfen, war eine gute Entscheidung gewesen; die beste sogar.
 

„Es tut mir leid, dass ich dich hier mit reingezogen habe, James“, sagte Victoire nach einer kurzen Pause und sie schaltete das Radio ab, wandte James ihren Oberkörper zu und bedeutete ihm, dass sie dieses Gespräch jetzt führen würden. Sie hatten es seit dem Morgen vermieden.
 

„Ach ja?“, fragte James zurück und seine Stimme klang höhnisch.
 

Victoire seufzte leise und senkte den Blick. Sie fummelte an einem losen Faden ihrer Hose herum.
 

„Hör mal, ich habe das nicht gewollt. Ich habe es nicht geplant, das weißt du doch, oder? Ich dachte wirklich … ich dachte diese Hochzeit wäre das richtige. James, ich weiß es auch nicht, aber …“
 

James hob seine linke Hand in die Luft und signalisierte ihr, still zu sein. Er wandte den Blick nicht von der Straße. Victoire schloss den Mund.
 

„Wir reden morgen darüber“, sagte er dann und sein Ton klang bestimmt. Sie würde sich nicht mit ihm streiten. Er war schon wütend genug und wirklich, sie konnte es verstehen.
 

Wieder kehrte schweigen ein und Victoire sank in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Die Stille war noch drückender als zuvor, nun da das Radio aus war, aber jegliche Lust auf Musik war ihr plötzlich vergangen.
 

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James parkte den Wagen vor einem Hotel in Montrose, Schottland. Sie waren schon seit über acht Stunden unterwegs, hatten nur für ein billiges Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant und einige Toilettengänge angehalten.
 

Victoire stieg augenblicklich aus dem Auto und streckte sich. Der kühle Wind ließ sie erstmals seit Stunden tief durchatmen und als sie sich zu James umdrehte, lag ein entspanntes Lächeln auf ihren Lippen.
 

„Wollen wir einchecken?“, fragte sie und lief, ohne seine Antwort abzuwarten, auf den hübsch gestalteten Eingangsbereich zu.
 

An der Rezeption wartete sie auf James, da nur er eine Muggel-EC-Karte hatte und damit bezahlen konnte. Die Empfangsdame, auf deren Namensschild Michelle stand, lächelte höflich und hob zugleich eine fragende Augenbraue. „Kann ich Ihnen helfen?“
 

In diesem Moment tauchte der Potter an ihrer Seite auf. Michelles Lächeln wurde bei seinem Anblick sofort breiter und plötzlich war sie Victoire gar nicht mehr so sympathisch.
 

„Wir hätten gerne zwei Einzelzimmer für eine Nacht“, erklärte James charmant wie eh und je und zwinkerte Michelle zu.
 

Die Empfangsdame errötete und klickte hastig einige Tasten auf ihrem Computer. Victoire schaute ihr interessiert zu. Muggelkunde war immer ihr liebstes und stärkstes Fach gewesen und es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie ihren Zauberstab nur zu gerne zerbrochen, um sich in der Muggelwelt eine neue Identität aufzubauen.
 

„Es tut mir sehr leid“, erklärte Michelle kurze Zeit später bedauernd und sie wirkte tatsächlich enttäuscht. „Es sind keine Einzelzimmer mehr verfügbar. Aufgrund einer großen Veranstaltung ist heute Nacht nur noch ein einziges Doppelzimmer frei.“
 

Victoire biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor sie nickte. „Okay, dann nehmen wir eben das.“
 

James schnaubte neben ihr, doch Victoire füllte die gereichten Formulare aus und beachtete ihn nicht weiter. Sie sehnte sich nach einer Dusche und sie würde garantiert nicht noch länger Auto fahren. Für heute reichte es ihr.
 

„James, gib ihr deine Karte“, sagte Victoire und natürlich verdrehte ihr Cousin erst überdramatisch die Augen bevor er tat, was sie verlangte.
 

Michelle überreichte ihnen zwei Chipkarten, die ihnen zum Türenöffnen dienten und Victoire bemerkte missmutig den Blick, den sie auf James‘ Po warf, als sich der Potter wegdrehte und zu den Fahrstühlen stapfte.
 

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Nur in einem Handtuch bekleidet verließ Victoire eine Stunde später das kleine Badezimmer und schmiss sich gedankenlos auf das breite Doppelbett. Ihr Blick glitt verträumt zur weißen Zimmerdecke und sie atmete tief durch.
 

Die Balkontür öffnete sich mit einem Quietschen und James trat zurück ins Zimmer. Der Geruch von Zigarettenqualm haftete schwer an ihm.
 

„Kannst du dich vielleicht anziehen?“, fauchte er sie ungehalten an und schaltete den Fernseher ein.
 

„Hasst du mich jetzt?“, wollte Victoire wissen und überging damit seine Worte. Sie rappelte sich langsam auf, hielt das Handtuch dabei fest vor ihrer Brust verschränkt.
 

James antwortete nicht und betrachtete lieber die Figuren, die sich über den Bildschirm bewegten. Sein Blick wirkte unfokussiert.
 

„James“, drängte Victoire und sie zog ihn an seinem Handgelenk neben sich aufs Bett. Er blieb steif und unnahbar sitzen, schaute sie mal wieder nicht an.
 

„Es tut mir wirklich leid.“ Und sie meinte es, aus tiefstem Herzen. James zuckte bloß mit den Schultern.
 

Victoire nickte, verstehend, zu sich selbst. Sie sollte es für heute einfach auf sich beruhen lassen. Sie erhob sich vom Bett und ging zu der kleinen, ledernen Reisetasche, die sie zuvor auf dem Boden platziert hatte. Sie hatte am Morgen nur hastig einige frische Unterwäsche und Oberteile hineingeworfen. Sie griff nach einem schwarzen BH und dem passenden Höschen und ließ dann bedenkenlos ihr das weiße Hotelhandtuch fallen.
 

„Scheiße, Victoire!“, fluchte James hinter ihr und sie musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass er sie letztendlich doch ansah. Sie wusste auch, dass sie es zu weit trieb.
 

„Was denn, James?“, fragte sie unschuldig und warf ihm über die Schulter einen kurzen Blick zu. „Das hast du alles schon gesehen, erinnerst du dich? Letztes Jahr, während Teddy -“
 

„Halt den Mund!“, unterbrach er sie wütend und sprang vom Bett auf. „Sei still, Victoire, ich warne dich! Und zieh dir endlich was an!“
 

„Das hast du letztes Mal nicht gesagt.“ Victoire drehte sich gänzlich zu ihm um und sie musste es James wirklich zugutehalten, dass seine Augen auf ihrem Gesicht verweilten und nicht tiefer wanderten.
 

„Warum machst du das?“, fragte er und ein Hauch von Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit.
 

Seine Worte veranlassten sie schließlich, ihre Unterwäsche anzuziehen. Sie sagte für den Rest der Nacht nichts mehr und als James sich eine Decke vom Bett nahm und stumm zum Sofa schritt, ignorierte sie das stechende Gefühl in ihrer Brust.
 

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„Verdammt, verdammt, verdammt!“
 

Victoire erwachte mit blinkende Augen und einem verlorenen Gefühl. Sie konnte den Lärm nicht zuordnen, wusste nicht wem die laut fluchende Stimme gehörte, die ihre Ohren erreichte und sie aufgeweckt hatte. Sie hörte Glas splittern.
 

Zögerlich setzte sie sich auf und die Ereignisse des letzten Tages prasselten wie Regentropfen auf sie ein. Sie war abgehauen. Sie hatte nicht geheiratete und die Nacht stattdessen in einem Hotel in Schottland verbracht. Mit James.
 

Ihr war nach lachen und weinen zumute.
 

Der Potter kam Sekunden später, nur in Boxershorts bekleidet, aus dem angrenzenden Badezimmer gestürmte. Seine Hände zitterten und eine tiefe Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. Sein Blick fiel auf sie und er wirkte, falls das überhaupt möglich war, noch verärgerter.
 

„Was machen wir hier, Vic?“, rief er aufgebracht. „Warum hast du mich in dieses Chaos gezerrt? Warum tust du mir das an?“ Er kam einige Schritte auf sie zu, nur um gleich darauf zurückzutreten. „Ich bin so ein dämlicher Idiot.“
 

Kopfschüttelnd wandte er ihr den Rücken zu und wühlte in seiner Hose vom Vortag nach seiner Zigarettenpackung. Er entzündete eine der Kippen im Zimmer, kümmerte sich nicht um die „Rauchen verboten“-Vorschrift.
 

„Ted ist mein bester Freund“, sagte er dann mit gefährlich leiser Stimme. „Du solltest heute seine Frau sein. Stattdessen sitzen wir hier, in diesem verdammt überteuerten Hotel in Schottland und … und was? Was tun wir? Was ist dein Plan, Victoire?“ Er nahm einige tiefe Züge von der Zigarette und atmete schwer aus.
 

Victoire starrte ihn mit geweiteten Augen an, hatte ihre Hände in das kratzige Hotelbettlaken gekrallt.
 

„Ich weiß es nicht“, murmelte sie nach einer Weile.
 

„Fantastisch. Einfach fantastisch“, erwiderte James sarkastisch und verschwand auf dem Balkon.
 

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Als Victoire ins Bad trat, fand sie den Spiegel über dem Waschbecken zerbrochen vor. Die Scherben waren über den gesamten Boden verteilt. Abgespannt zückte sie ihren Zauberstab und brachte alles wieder in Ordnung, bevor sie ihre Zähne putzte.
 

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„Ich konnte ihn nicht heiraten, James.“
 

„Ja, okay, von mir aus.“ James hielt seinen Blick stur auf den Hotelgarten unter ihnen gerichtet und seine Stimme klang nicht mehr wütend, nur teilnahmslos und müde. „Aber du hättest bleiben müssen. Du hättest ihm eine anständige Erklärung geschuldet. Du hast ihn einfach vorm Altar stehen lassen.“
 

„Es tut mir leid.“ Und Victoire würde nicht leugnen, dass ihre Stimme flehend klang.
 

„Es nützt ihm nichts, wenn du mir die Entschuldigung sagst.“
 

„Aber es tut mir nicht für Ted leid, nicht nur. Es tut mir vor allem leid, dass ich dich in diese Lage gebracht habe. Das war nicht fair.“
 

James nickte stumm und Victoire wünschte, er würde wieder schreien. Alles war besser, als diese undeutbare Stille.
 

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Die große Veranstaltung des Hotels stellte sich später als Hochzeit heraus. Victoire ging mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen an der Feiergesellschaft vorbei zu James‘ Wagen. Die Braut schien in diesem Augenblick die glücklichste Person im Universum zu sein. Victoire wusste, dass sie nicht so gestrahlt hätte, wenn sie den gestrigen Tag wie geplant hätte stattfinden lassen.
 

Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.
 

Als sie ihren Platz im Auto einnahm und durch die Windschutzscheibe einen letzten Blick auf die in weiß gekleidete Frau warf, wünschte sie sich, dass sie trotz ihrer momentanen Situationen eines Tages ebenso glücklich und zufrieden den Bund der Ehe eingehen würde.
 

Ohne einen Zweifel und ohne eine Sorge in der Welt.
 

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„Dir ist klar, dass wir nicht ewig so ziellos weiterfahren können, oder nicht?“, fragte James, als sie zwei Stunden später für ein schnelles Mittagessen bei einem Sandwichladen in Peterhead anhielten.
 

Mit gefüllten Bäuchen liefen sie anschließend durch die Straßen der kleinen Stadt und verbrachten einige Zeit am Hafen, beobachteten die Schiffe und Fischerboote und die arbeitenden Menschen.
 

„Ich weiß“, sagte Victoire und seufzte. „Warum bist du eigentlich noch hier? Du könntest einfach umdrehen, mich hier stehen lassen und dein Leben weiterführen wie bisher.“
 

James lachte laut und freudlos. „Glaubst du wirklich, dass ich das könnte? Dich zurücklassen?“
 

„Wieso denn nicht? Hassen tust du mich eh schon“, erwiderte Victoire leise und schob mit dem Fuß einen kleinen Haufen Steine in das schmutzige Hafenwasser.
 

„Du hast doch keine Ahnung“, murmelte James und vielleicht sollte sie diese Worte nicht hören. Sie tat es trotzdem.
 

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„Ich will nach Kalifornien“, sagte Victoire, als sie drei Stunden später das Ortseingangsschild von Inverness passierten. Sie waren mittlerweile die gesamte Ost- und einen Teil der Nordküste Schottlands abgefahren, noch immer ohne klares Ziel.
 

James verschluckte sich vor Überraschung an seinem Kaffee und schüttete sich das heiße Gebräu über die Hose. Fluchend fuhr er links ran und nachdem er mit seinem Zauberstab die braunen Flecken von seinem Sitz und der Kleidung entfernt hatte, sah er Victoire ungläubig an.
 

„Wie bitte?“
 

„Ich möchte nach Kalifornien“, sagte sie erneut, wohlwissend, dass er seine Frage rhetorisch gemeint hatte. „Ich will nach San Francisco.“
 

Nach einer Weile, in der James den Wagen zurück auf die Straße gelenkt und absolut nichts gesagt hatte, fügte sie hinzu: „Ich will nicht zurück nach Ottery St. Catchpole oder nach London. Ich möchte weg aus England. Du musst nicht mit mir kommen, das erwarte ich nicht von dir. Du hast mir schon genug geholfen.“ Sie rieb sich über die Augen. „Setz mich einfach am Flughafen ab und leih mir ein bisschen Geld, dann bist du mich los.“
 

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Der Flughafen in Inverness war nicht besonders groß. Nicht einmal annähernd vergleichbar mit dem in London, den Victoire einige Male aus Neugier besucht hatte. Mit einem Flugzeug geflogen war sie allerdings noch nie.
 

Trotz seiner bescheidenen Ausmaße wurden Flüge nach San Francisco angeboten. Zwar würde sie in Manchester und Philadelphia umsteigen müssen und wäre insgesamt über zwanzig Stunden unterwegs, aber das war es ihr wert.
 

Ihr Herz klopfte schnell vor Vorfreude.
 

Sie drehte sich zu James um, welcher mit ihr an einem der Informationsstände gestanden und dem Angestellten zugehört hatte, der ihr alle Möglichkeiten für ihren Reisewunsch bereitwillig erläuterte.
 

„Ist das nicht wundervoll?“, fragte sie ihren Cousin mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
 

James‘ Mundwinkel zuckten kurz, aber er blieb ernst. „Wenn ich das Auto verkaufe, müssten wir genug Geld für die Tickets zusammenbekommen.“
 

Victoire sah zweifelnd zu ihm auf. „Du solltest dein Auto nicht für mich verkaufen“, wandte sie ein und zog dann überlegend die Stirn kraus. „Ich komme schon irgendwie an das Geld.“
 

James verdrehte die Augen. „Was bringt mir ein Auto am Invernesser Flughafen, wenn ich ein One-Way-Ticket nach San Francisco kaufe, Vic? Wirklich, manchmal stellst du dich dümmer als du bist.“
 

„Du fliegst mit mir?“, rief Victoire überrascht aus, bevor sie sich auf die Zunge beißen und die Worte zurückhalten konnte. Sie hätte James niemals um diesen Gefallen gebeten, doch sie würde ihn sicherlich nicht wegstoßen, wenn er diesen Entschluss für sich selbst fasste. Sie strahlte ihn an.
 

Statt einer Antwort zog James sie aus dem Flughafengebäude.
 

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Die Tickets kosteten über 2000 Pfund und auch wenn Victoire noch nicht wirklich verstanden hatte, wie die Muggelwährung funktionierte, wusste sie doch, dass es viel Geld war.
 

James hatte sein Auto vollkommen unter Wert verkauft, aber immerhin hatten sie das Geld auf der Stelle erhalten und konnten die Tickets für den nächsten Morgen buchen. Das Flugzeug hob kurz nach halb sieben ab und Victoire klammerte sich an James‘ Arm wie eine Ertrinkende.
 

In Manchester mussten sie drei Stunden auf ihren Anschlussflug warten. Victoire kaufte eine Vorratspackung englischen Tee, die sie locker in ihrer Reisetasche verstaute, welche sie als Handtasche getarnt trug, und eine Tüte Gummibärchen, die James innerhalb weniger Minuten verschlungen hatte.
 

Sie wusste nicht, wieso es passiert war, aber seit sie in Inverness angekommen und den Plan gemacht hatten, nach San Francisco abzuhauen, hatte sich die Stimmung zwischen ihnen gewandelt. Ihr Umgang war plötzlich wieder locker, vertraut und behaglich, genauso wie vor der verpatzten Hochzeit, vor dem Sommer des letzten Jahres, in dem alles begann irgendwie schief zu gehen. Als Victoire realisierte, das James sich in ihrer Gegenwart langsam entspannte, konnte sie plötzlich freier atmen.
 

Den achtstündigen Flug nach Philadelphia verschlief sie an James‘ Schulter gelehnt.
 

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Als sie endlich auf dem Flughafen in San Francisco ankamen, wusste Victoire nicht ob sie müde oder hellwach war. Es war nach sieben Uhr am Abend und James zog drängend an ihrem Arm.
 

„Lass uns einen Ausgang finden, und dann ein Motel. Ich falle gleich um“, sagte er und als Victoire in seine Augen sah, konnte sie die Erschöpfung in ihnen lesen.
 

„Hast du denn gar nicht geschlafen?“, fragte sie erstaunt.
 

James zuckte nur undeutbar mit den Schultern.
 

Draußen war es angenehm warm. Victoire drehte sich einmal um sich selbst, nahm die unfassbare Größe des Flughafens und die warme Abendsonne am Himmel wahr, und konnte nicht anders, als laut loszulachen. „Wir sind in Amerika!“, rief sie fröhlich aus und einige Leute drehten sich empört nach ihr um.
 

James schüttelte nur den Kopf und grinste schief.
 

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Sie verbrachten die Nacht in einem billigen Motel nahe des Flughafens und teilten sich ein Einzelzimmer, ohne überhaupt darüber nachzudenken.
 

Alles schien jetzt anders als in Montrose, einfacher irgendwie. Victoire fühlte sich so viel freier seitdem sie Großbritannien hinter sich zurückgelassen hatten, dass sie ständig Lächeln wollte.
 

James war schnell eingeschlafen, hatte sich von ihr abgewandt, und Victoire starrte in der Dunkelheit auf seinen bloßen Rücken. So viele Worte schwirrten durch ihren Kopf, so viele Dinge wollte sie sagen, doch sie wusste nicht, ob sie den Mut dazu finden würde. Vor einem Tag hatten sie sich noch wie Fremde verhalten und jetzt, da sie endlich wieder unbeschwert miteinander umgingen, wollte sie nicht alles wieder zerstören. Seufzend drehte sie sich auf den Rücken und zog die Decke bis zum Kinn - die kalte Luft des Deckenventilators ließ sie frösteln.
 

Erstmals seit dem Morgen an dem sie in James‘ Auto gestiegen und ohne einen Blick zurück davongerauscht war, dachte sie an Ted. Ausschließlich an Ted und nicht an hundert andere Dinge nebenbei. Nein, nur an Ted, mit dem sie über sechs Jahre zusammen gewesen ist. Ted, den sie liebte - wirklich, das tat sie - nur nicht richtig, nicht so, wie er es verdiente. Und sie wusste, dass sie eine fürchterliche Person war, natürlich wusste sie das. Er hatte es nicht verdient, so herzlos stehen gelassen zu werden.
 

Er hatte es auch nicht verdient, dass sie ihn mit James - seinem besten Freund, seinem Bruder -betrogen hatte, im Sommer vor diesem. Victoire hatte weder Ted, noch James Wochen danach in die Augen schauen können. Und dann hatte Ted um ihre Hand angehalten und es war nicht wirklich unerwartet und trotzdem konnte sie nur an James‘ Gesicht denken und ja, sie hätte schon damals nein sagen können, aber dann sah sie die Liebe und Hoffnung in Teds Augen leuchten und es brach ihr das Herz und als sie unter Tränen nickte, wusste nur sie selbst, dass sie nicht vor Freude weinte.
 

Sie hatte sich wirklich auf die Hochzeit gefreut. Sie hatte so sehr gehofft, dass dann endlich alles zur Normalität zurückkehren würde. Sie wollte Ted alles geben, was sie hatte - all ihre Liebe und Zeit und Aufmerksamkeit, und sie wollte ein Haus mit ihm kaufen und Kinder mit ihm bekommen und den Rest ihres Lebens an seiner Seite verbringen.
 

Doch dann wachte sie am Morgen ihres Hochzeitstages auf und alles fühlte sich falsch an. Ihr Herz war leer und es schlug nur dumpf in ihrer Brust vor sich hin und sie wusste, wenn sie Ted an diesem Tag in der Kirche ihr Ja-Wort geben würde, würde sie niemals glücklich werden.
 

Und alles was sie tun konnte, war, so weit und schnell wie möglich zu fliehen. Und ja, das war feige und ungerecht und falsch und unehrlich. Das alles wusste sie. Aber verdammt, sie war auch nur ein Mensch und das war alles, was sie in diesem Moment tun konnte.
 

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Victoire hatte den nächsten Tag schon fertig geplant, bevor James überhaupt seine Augen geöffnet hatte.
 

„Wir müssen unbedingt einkaufen gehen, du kannst dieses Outfit keinen weiteren Tag tragen und ich brauche auch neue Sachen“, begann sie, während James schwerfällig die Müdigkeit wegblinzelte. „Dann will ich die Golden-Gate-Bridge anschauen“, zählte sie weiter an ihren Fingern ab. „Und zum Pier 39 möchte ich auch. Dann vielleicht nach China-Town. Und wir sollten dieses Gefängnis-Dings anschauen - Alcatraz.“ Victoire nickte zu sich selbst, bevor ihr noch etwas einfiel: „Und ich möchte unbedingt eines dieser Muggelballspiele in so einem riesigen Stadion sehen. James, das ist bestimmt so cool!“
 

James lachte leise in sein Kissen und Victoire warf ihm einen beleidigten Blick zu, den er nur aus dem Augenwinkel sah.
 

„Machst du dich über mich lustig?“
 

„Niemals!“, erwiderte er und es klang kein bisschen überzeugend.
 

„James!“
 

„Victoire!“, äffte er sie nach und streckte dann seine Zunge raus.
 

Mit einem Schmollen auf den Lippen griff sie nach ihrem Kissen und schlug damit auf James‘ Kopf und Brust ein, bevor James realisieren konnte, was sie vorhatte.
 

„Hey“, rief er perplex, nachdem er drei Schläge kassiert hatte, und schnappte nach Victoires Handgelenken, als sie für ein weiteres Mal ausholte. „Nein! Aufhören!“
 

Kichernd ließ Victoire das Kissen los und wollte dann vom Bett springen und weglaufen, aber James war schneller. Er packte ihre Hüfte und schmiss sie ohne jede Anstrengung zurück auf die Matratze. Er sah sie einen Moment mit gerunzelter Stirn an, bevor er sich auf sie warf und begann, sie zu kitzeln.
 

„James“, brachte Victoire schwer atmend hervor und wandte sich unter ihm. „Nein, hör auf! Bitte … ich ergebe mich. James!“
 

Mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen ließ er letztendlich von ihr ab und Victoire rollte sich auf der Stelle zu einem Ball und schnappte nach Luft. Ihre Augen tränten.
 

James nutzte ihren schwachen Moment, hüpfte aus dem Bett und rannte ins Bad. „Erster! Sieht so aus, als würdest du heute kein warmes Wasser abbekommen!“
 

Und Victoire würde sich vielleicht ärgern, wenn in diesem Augenblick nicht alles so perfekt wäre.
 

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„Ist dir klar, dass wir uns viel schneller fortbewegen könnten, wenn wir einfach apparieren würden?“, fragte James, während er hinter Victoire her zu einem der Busse joggte, die Stadtrundfahrten anboten. Er war kurz davor abzufahren, aber Victoire weigerte sich, auf den nächsten zu warten.
 

„Natürlich, aber ich möchte nicht zaubern“, erklärte Victoire ihm über die Schulter und bremste dann abrupt vor der Tür des Busses ab. James rannte direkt in ihren Rücken und veranlasste sie, nach vorne zu stolpern. „Idiot!“, sagte sie, lächelte ihn aber vergnügt an und reichte dem Busfahrer dann die Fahrscheine, die sie zuvor an einer kleinen Hütte am Straßenrand erworben hatten.
 

„Wieso nicht?“, fragte James, als sie auf dem Dach des Busses ihre Plätze gefunden hatten. „Also wieso willst du nicht zaubern, meine ich.“
 

Victoire zuckte unsicher mit den Schultern und sah sich nach den Personen um, die sie umgaben. Sie senkte die Stimme: „Ich weiß nicht, ich kann es nicht wirklich erklären. Aber ich … ich will nicht so auf die Zauberei angewiesen sein, falls das irgendeinen Sinn ergibt. Schau dir die Muggel an, sie können Dinge wie die Golden-Gate-Bridge bauen und das alles ohne einen Zauberstab. Das ist so bewundernswert. Und wir, wir können nicht einmal unsere Teller abwaschen, ohne herumzuhexen. Ich habe das einfach satt, weißt du?“
 

James sah sie stumm an, bevor er langsam nickte.
 

Victoires Herz stolperte in ihrer Brust.
 

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„Vic“, sagte James am Ende des Tages zurück in ihrem Motelzimmer. Seine Haare waren durcheinander, seine alte Jeans am Knie zerrissen und sein „I Love San Francisco“-Shirt hatte diverse Flecken, von denen Victoire nicht alle erklären konnte.
 

„Ja?“, fragte sie und zog ihr am Morgen erstandenes Sommerkleid über den Kopf. Sie ließ es achtlos auf den Boden fallen und suchte dann nach dem verblichenen Top, in welchem sie die letzten Nächte geschlafen hatte.
 

James ließ sich mit einem Seufzen aufs Bett fallen. „Wir brauchen einen Plan. Wir haben höchstens noch Geld für zwei Wochen und auch nur dann, wenn wir uns sehr einschränken. Einen weiteren Tag wie heute können wir uns nicht erlauben.“
 

Victoire nickte und ließ sich neben ihren Cousin aufs Bett fallen. „Ich habe mich ein wenig erkundigt. Es gibt da diese kleine Stadt, Newman, nur etwa zwei Stunden von hier entfernt. Sie soll sehr schön sein, ruhig und friedlich. Einige Zaubererfamilien leben dort unter den Muggeln.“ Sie spielte nervös mit ihren Fingern. „Ich dachte, wir könnten vielleicht … ich weiß nicht … dorthin? Ich meine, nicht nur für ein paar Tage, sondern für länger. In der nächsten Stadt, etwas zwanzig Minuten entfernt, in Patterson, gibt es ein Aurorenbüro, eine Außenstelle von der Zentrale in San Francisco. Ich dachte vielleicht, dass du … und ich könnte …“ Victoire unterbrach sich selbst. „Vergiss es, das war eine dumme Idee.“
 

Sie stand ruckartig wieder auf und wollte ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen, hauptsächlich aber um vor James zu flüchten. Merlin, sie hätte nicht davon anfangen sollen. Natürlich, James war jetzt hier mit ihr, aber das bedeutete nicht, dass er den Rest seines Lebens an ihrer Seite verbringen würde, nur weil sie sich das in ihrem verrückten Kopf vielleicht so ausmalte. Sie war eine Idiotin!
 

„Victoire, bleib hier!“
 

James‘ Stimme veranlasste sie dazu, in ihrer Bewegung zu erstarren. Sie drehte sich jedoch nicht um, verschränkte nur die Arme vor der Brust und wappnete sich für James‘ Worte. Er würde ihr sanft und einfühlsam erklären, dass er dieses Abenteuer, diesen kurzzeitigen Ausbruch aus der Normalität, nicht fortsetzen konnte. Und sie verstand es, ja das tat sie, aber deswegen tat es nicht weniger weh.
 

„Erzähl mir von deinen Gedanken.“
 

„Nein, ich möchte nicht. James, ich weiß, dass du nicht hier bleiben wirst. Ich erwarte das nicht von dir, also sei einfach ehrlich zu mir. Willst du zurück nach England?“
 

„Nein. Nein, natürlich nicht.“
 

„Was willst du dann?“, fragte sie hilflos und drehte sich doch zu ihm herum. Er starrte sie an.
 

„Was immer du willst, Vic.“
 

Und ehrlich, das ist doch keine Antwort. „Das ergibt keinen Sinn, James!“, sagte sie und konnte nichts gegen den Ärger tun, der sich in ihre Stimme schlicht. Er konnte nicht solche Dinge sagen, sie hoffen lassen, wenn er so offensichtlich überhaupt nicht wusste, was, wo und mit wem er sein wollte. „Ich verstehe dich nicht. Wieso bist du überhaupt hier? Wieso bist du mit mir gekommen? Ohne einen weiteren Gedanken, ohne einen Blick zurück? Warum bist du an meiner Seite geblieben, bis hier hin?“
 

„Es gab nichts, das mich in England gehalten hätte.“
 

Victoire schnaubte. „Du hättest jederzeit gehen können. Du hättest längst in Russland oder Deutschland oder in der Schweiz als Auror arbeiten können. Wieso bist du so lange in London geblieben, wenn dich nichts zurückgehalten hat?“
 

James warf ihr einen Blick zu, der nahe an Verzweiflung grenzte. „Ist das nicht offensichtlich, Vic?“
 

„Nein“, gab Victoire zurück und es klang wie eine Frage. Ihre Stimme bebte.
 

„Du hast mich dort gehalten“, gestand James dann und verbarg seinen Kopf in den Händen. „Immer nur du. Weißt du, wie oft ich einfach nur weg wollte? Ich hatte meine Koffer schon gepackt, an dem Tag an dem ich von Teds und deiner Verlobung erfuhr. Ich war nur einen Schritt davon entfernt, meine Wohnungstür hinter mir zu schließen, wegzuapparieren und niemals umzukehren. Aber du, du …“ Er lachte trocken auf und es klang fast wie ein Schluchzen. „Ich konnte nur an dein Lächeln denken, an deine Augen, deine Haare. Du warst ständig in meinem Kopf und ich weiß nicht, ob ich einen Tag in dem Wissen überlebt hätte, dich nie mehr wieder zu sehen.“
 

Victoires Knie zitterten, als James‘ Stimme verklang und der schmucklose, kleine Raum sich in Stille hüllte.
 

„Du hast bis jetzt nicht gefragt, warum ich Ted nicht geheiratet habe“, sagte Victoire dann leise.
 

James hob langsam den Kopf und sah sie ungläubig an. Als er realisierte, dass sie nicht vorhatte, etwas anderes zu sagen, gab er ihr eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage: „Ich habe versucht nicht darüber nachzudenken.“
 

„Warum?“
 

„Ich hatte Angst vor der Antwort.“
 

„Warum?“, fragte sie erneut, drängender.
 

„Weil du es vielleicht aus einem anderen Grund getan hast, als ich ihn mir wünsche.“
 

Victoire trat auf ihn zu, blieb direkt zwischen seinen Beinen stehen, so dass er gezwungen war, zu ihr aufzuschauen. „Was ist der Grund, den du dir wünschst?“
 

„Das du es wegen mir getan hast. Das du Ted verlassen hast und zu mir kamst, weil du nicht ihn liebst, sondern mich.“
 

Statt einer Erwiderung griff Victoire nach seiner Hand, zog ihn in einer flüssigen Bewegung von seiner Position auf dem Bett nach oben. James sah ihr in die Augen, direkt und unmaskiert. Er wirkte verwundbar und Victoire tat, was sie seit der Sekunde tun wollte, in der sie erstmals in James‘ Auto gestiegen war.
 

Ihre Lippen schlugen hart aufeinander und vielleicht hätte sie der Schmerz gestört, doch das Gefühl, das von ihrem Körper Besitz ergriff, in der Sekunde in der ihre Lippen miteinander verschmolzen, ließ alles andere grau und unwichtig erscheinen. James‘ Mund bewegte sich warm und sicher auf ihrem, zögerte nicht eine Sekunde, und Victoire sank in seine Arme, fügte sich an seinen Körper als wäre das alles, was sie jemals getan hätte - als hätte sie niemals in den Armen eines anderen gelegen. James‘ Lippen waren ihr so vertraut, so geliebt und es war so falsch, aber es fühlte sich an wie das einzig richtige in dieser ganzen Welt. Ihre Hände umschlossen sein Gesicht, suchend, sehnsuchtsvoll, strichen über seine Wangenknochen, über seine Schläfen, fühlten jeden Zentimeter und sie seufzte leise in den Kuss, als James begann, seine Hände über ihren Rücken zu ihren Hüften wandern zu lassen und er sie hielt, als wollte er nie wieder loslassen.
 

Als Victoire sich schließlich von ihm löste, nach Minuten oder auch Stunden, um nach Luft zu schnappen, verbarg sie ihr Gesicht in seiner Schulter. Sie spürte die Röte in ihren Wangen brennen, hörte ihre schnell klopfendes Herz in ihren Ohren, sog James‘ vertrauten Duft tief ein. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ob Worte überhaupt notwendig waren.
 

James‘ Stimme klang rau und kratzig, als er die Stille durchbrach. „Warum hast du Ted nicht geheiratet?“ Und Victoire konnte nicht glauben, dass auch jetzt noch Unsicherheit in seiner Stimme lag, auch wenn er es gut tarnte.
 

Sie ließ ihre Hände von seinem Gesicht fallen und trat einen Schritt zurück, um ihn besser ansehen zu können. Ein leises Lachen bahnte sich den Weg über ihre Lippen, als sie seinen verlorenen und zugleich hoffnungsvollen Gesichtsausdruck bemerkte.
 

„Weil ich mich in dich verliebt habe“, sagte sie und es klang zu schlicht, zu einfach, und sie würde so gerne mehr sagen. Sie würde ihre Gefühle für ihn niederschreiben, würde sie in ein Lied für ihn komponieren, würde sie auf seinen Körper malen, wenn sie nur die Worte finden würde - andere Worte als „Ich liebe dich“, denn das war alles, was ihr einfiel, war alles, was sie ausdrücken konnte. Es klang so wenig, wirkte, als könnte es niemals all ihre Gefühle für ihn erfassen ...
 

Doch als sich James‘ Gesicht erhellte, seine Augen zu Strahlen begannen, sein Mund sich zu einem atemberaubenden Lächeln formte, er seine Hände verlangend nach ihre ausstreckte - da wusste sie, dass er nicht mehr brauchte. Das ihm diese Worte reichten. Das diese Worte alles waren, was er hatte hören wollen.
 

Victoire zögerte keine Sekunde.
 

Sie fiel zurück in seine Arme und genoss das Gefühl, das seine Lippen auf ihrem Körper hinterließen, genoss jedes Geräusch, das er atemlos ausstieß, genoss jede Bewegung, die er geschickt vollführte und wünschte sich, dass dieser Tag, dieser Abend, diese Nacht niemals enden würde.
 

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Victoire wachte auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand und hell durch das kleine, schmutzige Fenster ins Zimmer schien. Sie blinzelte, bevor sie die Augen endgültig offen hielt und mit einem Lächeln auf den Lippen realisierte sie, dass James warm und sicher neben ihr lag.
 

Und es mochte sich klischeehaft anhören, aber sie hätte nichts dagegen, jeden Morgen für den Rest ihres Lebens so aufzuwachen.
 

Sie strampelte die Decke von sich und rollte sich aus dem Bett, um unter die Dusche zu kommen. James und sie hatten Pläne zu machen, ein neues Leben zu organisieren, und ihr ganzer Körper bebte vor Vorfreude und Tatendrang.
 

Doch als sie einen Blick zurück auf den schlafenden Jungen im Bett warf, dachte sie, dass sie vielleicht noch wenig Zeit hatten, um ihre neugefundene Zweisamkeit zu genießen.
 

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Am späten Nachmittag desselben Tages kamen Victoire und James in Newman an. Sie waren mit einem der Greyhound-Busse bis nach Tracy gefahren und hatten von dort aus einen lokalen Bus in die Kleinstadt genommen.
 

Es war genau so, wie Victoire es sich vorgestellt hatte. Breite Straßen, die Bürgersteige bepflanzt mit Bäumen und Sträuchern, freundlich aussehende Menschen, wenig Lärm, helle Häuser …
 

Alles wirkte unglaublich einladend und heimisch und Victoire fühlte sich augenblicklich wohl.
 

„Ist es nicht schön hier?“, fragte sie James und drückte seine Hand, die sie seit dem Morgen kaum losgelassen hatte.
 

„Genau so schön wie du“, erwiderte James und sah sie gespielt verträumt an.
 

„Oh Merlin, halt ja den Mund“, schimpfte Victoire. „Mit solchen Sprüchen kannst du mich nicht beeindrucken!“
 

„Zu schade.“ James zuckte mit den Schultern und zog sie dann auf die andere Straßenseite, nachdem er ein Auto hatte passieren lassen. „Da hinten ist eine Touristeninformation. Lass uns nach einem billigen Hotel fragen.“
 

Victoire ließ sich kichernd von ihm mitziehen.
 

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Ihre Liebesgeschichte hatte nicht unter den besten Voraussetzungen begonnen, das wusste Victoire.
 

Damals - in dem Sommer vor dem Sommer ihrer verpatzten Hochzeit - hatte sie Ted mit James betrogen hatte. Sie hatte mit ihm geschlafen und anstatt Ted die Wahrheit zu sagen, hatte sie, von Schuldgefühlen getrieben, seinen Heiratsantrag angenommen.
 

Damals - in dem Sommer vor dem Sommer ihrer verpatzten Hochzeit - hatte sie sich James hingegeben, ohne an die Konsequenzen zu denken und vielleicht hatten diese Gefühle für ihn schon immer irgendwo in ihr gewütet und getobt und danach verlangt, gezeigt zu werden, nur war es ihr immer erfolgreich gelungen sie zu unterdrücken.
 

Damals - in dem Sommer vor dem Sommer ihrer verpatzten Hochzeit - hatte sie sich in James verliebt. In sein lautes Lachen, seine wirren Haare, seine strahlenden Augen, seine weiche Haut, seine Sommersprossen, seinen einnehmenden Charakter, seine charmante Art zu sprechen, seine idiotischen Witze, die Art wie er sie ansah, wenn er mit ihr schlief, die Art wie er sie küsste, als wäre sie sein Eigentum, die Art, wie er es schaffte, ihre Welt auf den Kopf zu drehen und seine Macht, sie dazu zu bringen, alles zu hinterfragen, was sie ihr Leben nannte.
 

Damals - in dem Sommer vor dem Sommer ihrer verpatzten Hochzeit - hatte sie einen Fehler begangen, denn sie wusste, dass es furchtbar war, Ted auf diese Weise zu hintergehen. Ted, den Mann, der ihr bedingungslos sein Herz geschenkt hatte. Ted, den Mann, mit dem James aufgewachsen war und den er seinen besten Freund und Bruder nannte.
 

Doch heute - im Sommer nach dem Sommer ihrer verpatzten Hochzeit - wenn sie im Garten des Hauses saß, welches sie und James am Rande der Stadt gemietet hatten, und wenn sie seine Hand hielt und seine Lippen küsste und seinen Herzschlag spürte, wusste sie, dass es der beste Fehler ihres Lebens gewesen ist.
 

Wie sollte sie jemals eine Tat bereuen, die sie zu diesem Leben geführt hatte?
 

Zu diesem Leben in einer Stadt, in der sie sich mehr zu Hause fühlte, als sie es in ihrer modernen Londoner Wohnung jemals gekonnt hätte und mit einem Job in einem Café, der sie vielleicht nicht reich, aber umso glücklicher machte und natürlich mit dem Mann an ihrer Seite, den sie aufrichtig und unwiderruflich liebte und für den sie sich wieder und wieder und wieder entscheiden würde.
 

Am Tag ihrer Hochzeit ihr Brautkleid am Bügel hängen zu lassen, stattdessen in Jeansshorts und ein mintgrünes Top zu schlüpfen und vor James‘ Haustür zu apparieren, um mit ihm wegzurennen, war vielleicht nicht der konventionelle Weg zum Glück, aber eben ihr ganz eigener.
 

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Ende.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2019-08-24T18:16:38+00:00 24.08.2019 20:16
immer wieder toll zu lesen <3

mehr kann ich nicht sagen, ich liebe diese Story :)
Von:  _Natsumi_Ann_
2013-07-06T23:05:43+00:00 07.07.2013 01:05
das war toll...
ich schreibe noch einen ausführlichen kommi...

aber einfach toll... vic lässt ted stehen wg jamers <3 stelle es mir noch etwas anders vor aber trotzdem super ansatz...


nd dann hatte Ted um ihre Hand angehalten und es war nicht wirklich unerwartet und trotzdem konnte sie nur an James‘ Gesicht denken

bester satz <3


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