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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Magierdorf in Flammen

Kapitel 34

Magierdorf in Flammen
 

Zu mehr als einem Nicken war der junge Geflügelte nicht fähig. Widerstandslos hatte er zugelassen, dass sich Dhaôma seinem Griff entwand. Alles in ihm sträubte sich dagegen, tiefer in diese Hölle einzudringen oder auch nur zuzulassen, dass der Magier sich das antat. Dennoch setzte er sich mechanisch in Bewegung. Der Geruch und die damit verbundene Übelkeit verstärkten sich mit jedem Schritt, den er in die Richtung der leblosen Körper tat.

Seine Schritte lenkten ihn wie automatisch als erstes zu der verbrannten Leiche mit dem Kind. Krampfhaft schluckend ließ er sich vor ihnen auf die Knie sinken und strich vorsichtig ein vereinzeltes blondes Löckchen zur Seite, das sich löste und mit einem blutigen Stück Kopfhaut auf die russschwarze Erde fiel.

Innerlich flehte Mimoun darum, seine Hand zurückziehen zu können, aber sie schwebte noch immer bewegungslos über der Haarlocke. Er kämpfte darum, die Übelkeit nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Etwas steifbeinig schaffte er es schlussendlich sich zu erheben und seinen Weg fortzusetzen. Ab jetzt machte er um jede offensichtlich tote Person einen Bogen. Doch bei einigen war es nicht auf den ersten Blick erkenntlich und so blieben ihm noch einige unangenehme Entdeckungen nicht erspart.

In der Mitte des Dorfes blieb er stehen und sah sich um. Niemand, der sich unter freiem Himmel befunden hatte, war noch am Leben. Es bestand nicht mal der Funken einer Hoffnung, dass jemand am Leben sein konnte. Blieb also nur noch die Möglichkeit, die zerstörten Gebäude abzusuchen.

Mit einem tiefen Seufzen machte er sich an die Arbeit. Minutenlang kämpfte er sich über Trümmerstücke, kroch unter umgestürzten und zerborstenen Möbeln herum, zog sich mehr als einen Splitter dabei zu und schürfte sich die Hände auf, während vereinzelte Russbröckchen auf ihn hernieder regneten. Mit einem Arm wischte er sich die Tränen aus den Augen. Sie hinterließen Spuren in dem Ruß, der sich auf seinem Gesicht festgesetzt hatte. Er bemerkte es nicht. Seine geschundene Hand schlug er gegen die Wand neben sich, auch auf die Gefahr hin, dass sie nachgab.

Das konnte nicht sein. Es konnte doch nicht sein, dass ein komplettes Dorf völlig ausgelöscht wurde. Es konnten doch nicht…

Ein leises Wimmern drang an sein Ohr. Sein Kopf ruckte herum und angespannt lauschte er. Es kam nicht aus dem Gebäude, das er gerade untersucht hatte. Vorsichtig, um unnötige Geräusche zu vermeiden, folgte er dem fast unhörbaren Laut. Schließlich blieb er vor einem ihm völlig unbekannten Gebilde stehen. Es sah fast wie ein Haus aus, doch er konnte trotz fast intakter Wände das Innenleben, die darin wuchernden Pflanzen sehen. Vorsichtig berührte er mit seinen Fingern das Material. Kühl und glatt fühlte es sich an und er glaubte sich dunkel daran zu erinnern, dass Dhaôma von so etwas schon einmal gesprochen hatte. Er kam nicht auf den richtigen Begriff.

Wieder schob sich das Wimmern in sein Bewusstsein. Suchend sah er sich um. Die Wand auf der hinteren Seite war eingerissen, ebenso fehlte das Dach. Ohne sich lange mit der Suche nach einer Tür zu machen, erhob er sich in die Lüfte und nutzte das fehlende Dach aus. Der Raum war nicht groß und er sah sofort die junge Frau. Aus ihrem ganzen Körper ragten Splitter dieses durchsichtigen Materials und ihre Kleider waren angesengt. Nun war das Weinen deutlich zu vernehmen.

Als der Geflügelte um die Leiche herum ging, zog er sich einen tiefen Schnitt am Oberarm zu. Einer der Splitter hatte sich in einer Pflanze auf seiner Höhe verfangen und diesen hatte er übersehen. Zu sehr war er mit der Quelle des Geräusches beschäftigt. Halb unter der Frau begraben lag ein kleines Bündel. Ein Bündel, das sich leicht bewegte. Kurz mischte sich Verwunderung in seine Freude. Wie konnte seinesgleichen so nachlässig gewesen sein. Es erklärte sich schnell. Ein Splitter hatte sich durch den Arm der Mutter und in die Decke gebohrt. Das Blut aus der Wunde der Frau ließ es so wirken, als wäre auch das Kind mit aufgespießt worden. Vorsichtig befreite er den Winzling aus der schützenden Umarmung und drückte ihn an sich. Sanft wiegte er das Baby hin und her und murmelte beruhigende Worte. Er zog sich einen weiteren Schnitt am Bein zu, als er durch das zerstörte Dach flog und mehr mit dem kleinen Lebewesen in seinen Armen beschäftigt war als mit gefährlichen Gebäuderändern.

Erschöpft aber glücklich ließ er sich neben dem Gewächshaus auf die Erde sinken und konzentrierte sich voll und ganz darauf, das Kind zu beruhigen. Was ein Wechseln der Windel beinhaltete.

Als das kleine Mädchen sich halbwegs beruhigt hatte, hielt er nach seinem Freund Ausschau. Es würde ihn sicher freuen, die Kleine zu sehen. Doch diesen konnte er nicht entdecken. Und nach ihm rufen, kam nicht infrage. Es wirkte für ihn wie ein Frevel, die Stille dieses Ortes zu stören. Also erhob er sich von seinem Platz und begab sich auf die Suche nach dem Magier. Es vergingen Minuten, bis er ihn schließlich entdeckte.

„Dhaôma.“, begann er leise.
 

Dhaôma hatte den Toten nur einen kurzen Blick geschenkt und ging dann einfach an ihnen vorbei. Er konnte Tod nicht ertragen. Es tat zu sehr weh, wenn ihm vor Augen geführt wurde, wie schnell ein Leben enden konnte. Seine Augen irrten über die Trümmer und blieben auf einer eingestürzten Wand hängen. Dort hatte sich etwas bewegt.

Mit einem leisen Keuchen hastete er zu der Stelle und sah dort einen Mann, der sich zu erheben versuchte. Seine Beine waren beide zerstört. Er würde nicht laufen können, egal, ob er es schaffte, aufzustehen.

Dhaôma war so nervös, dass er beinahe nicht über die niedrige Wand klettern konnte, doch seine Geräusche lösten bei dem Mann Angst aus. „Wer ist da?“, rief er und Dhaôma konnte sehen, dass seine Augen blind waren. Diesen Mann zu heilen würde ihn eine Menge Energie kosten.

„Ich bin Dhaôma und hier, um zu helfen.“

„Ich kenne niemanden mit diesem Namen.“, krächzte er und versuchte, von ihm wegzurutschen.

Dhaôma verhielt im Schritt. Das hatte Mimoun damals auch gemacht. Hatte Angst vor ihm gehabt, weil er sicher war, dass er ihn töten würde. Tief holte er Luft. Was für ein Glück war es für ihn gewesen, diesen Jungen damals zu finden. Wenn er bedachte, dass Mimoun vielleicht gestorben wäre…

„Was ist?“ Der Mann lachte jetzt trocken. „Wirst du mich schnell töten oder wirst du mich qualvoll sterben lassen.“

Seufzend schüttelte der Braunhaarige den Kopf. Krieg war etwas Schreckliches, wenn er bedachte, dass dieser Mann keine anderen Alternativen in Betracht zog. „Wie wäre es, wenn ich dich heile?“, fragte er sanft. „Ich tue dir nichts. Mach dir keine Sorgen.“ Leise trat er näher. „Ich beteilige mich nicht an diesem Krieg.“

Das schmerzverzerrte Gesicht hatte sich misstrauisch bewegt. Dhaôma ignorierte es und ging neben ihm auf die Knie. Er konnte sich glücklich schätzen, dass dieser Mann offenbar nicht einmal mehr genügend Kraft hatte, um sich zu verteidigen. Sanft berührte er die Schulter und lächelte, bemühte sich, ihn nicht weiter zu verängstigen. Trotzdem zuckte der Mann zusammen.

„Ich heile deine Augen, ja? Dann kannst du mich wenigstens sehen.“ Und schon berührten seine Hände die Lider, die schmerzvoll flatterten. Unter seinen Fingern spürte er seine Magie in den Mann fließen, fühlte die zerstörten Bahnen, wie sie heilten, wie sich verbranntes Gewebe regenerierte. Es zehrte jetzt schon sehr viel Kraft auf. Verbrennungen hatte er nie zuvor geheilt, er hätte nie erwartet, dass es so schwer war, komplett zerstörtes Fleisch zu regenerieren. Letztlich nahm er die Hand weg.

Der blonde Mann blinzelte noch zweimal, dann blickte er ihn an. Seine Augen weiteten sich, dann lächelte er. „Dich schickt wirklich der Himmel.“

„Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wurde von dem Sturm hierher geweht.“

Die blutverkrustete Stirn runzelte sich, doch die Schmerzen überlagerten das Misstrauen. Und in diesem Moment begriff Dhaôma, dass er diesem Mann auf keinen Fall soviel Kraft wiedergeben durfte, dass seine Magie wieder erwachte, denn wenn er Mimoun sehen würde, dann würde er ihn sicher angreifen.

„Dein Name ist Dhaôma?“

„So ist es. Und ich bin mit Mimoun da. Und damit du dich nicht erschreckst, sage ich dir gleich, dass er ein Hanebito ist. Er ist mein Freund.“

Entsetzt fuhr der Mann auf und sank gleich darauf wieder schmerzerfüllt zusammen. „Was soll das heißen? Bist du etwa…?“

„Ich habe diese Stadt nicht angegriffen und er auch nicht. Uns hat der Sturm hierher gebracht und wir haben den Rauch gesehen. Wir sind hier, um zu helfen.“

Seine Worte trafen auf taube Ohren. „Von einem Hanebito kann man so etwas nicht erwarten. Und von dir offenbar auch nicht, wenn du einem von ihnen vertraust. Oder hast du ihn gezähmt? Du bist ein Heiler. Hast du seinen Verstand unterworfen?“

Konnte denn das wahr sein? Glaubte er tatsächlich, dass so etwas auch nur im Rahmen des Denkbaren lag? „Nein! Ich sagte doch, er ist mein Freund.“ Seine Wut beiseite schiebend legte der Braunhaarige die Hände auf die kaputten Beine und begann sie zu heilen, nachdem er die Knochen geradegerichtet hatte. Es war noch mehr in diesem Körper kaputt, aber er konnte nicht alles heilen, wenn er nicht ohnmächtig werden wollte.

„Wie kann man mit einem Hanebito befreundet sein?“, keuchte der Mann. „Sie sind schreckliche Wesen. Grausam, blutrünstig und bestialisch. Sie greifen uns an und rauben unser Vieh, töten sogar Kinder!“

„Die, die ich kenne, töten keine Menschen.“, antwortete Dhaôma ruhig und zog letztlich seine Hände zurück. „Kannst du jetzt aufstehen? Ich kann nicht mehr für dich tun, denn meine Kräfte sind bei weitem noch nicht stark genug.“

Er sah ihn zweifelnd an, dann stand er auf. Es kostete ihn sichtlich Mühe und er schwankte fürchterlich, aber es ging, wenn er sich festhielt. „Vielen Dank.“

„Kennst du den Weg in eine Stadt?“

„Ja. Aber was macht ein Heiler in der Wildnis, noch dazu bei einem Wilden?“

Gnädig überging Dhaôma die Beleidigung seines Freundes. „Ich suche einen Weg, den Krieg zu beenden.“ Fragend hielt er ihm den Wasserschlauch hin und dankbar nahm der Mann an. Gierig trank er. „Erzähle mir, was hier passiert ist.“, forderte er schließlich, als der Schlauch leer war.

Und der Mann erzählte. Es hatte dieses Gewitter gegeben, dann war eine Feuerwand über das Dorf gejagt. Wahrscheinlich hatte irgendeiner der Magier seine Feuermagie entwickelt, was immer in einer mittleren Katastrophe endete. Und nachdem man die Brände einigermaßen wieder unter Kontrolle gebracht hatte, waren die Hanebito gekommen und hatten angegriffen. Kaum einer hatte noch genügend Magie, um sie wirklich abzuwehren. Und dann hatte es eine zweite Feuerwelle gegeben, die das Dorf endgültig zerstört hatte und ihm sein Augenlicht genommen hatte. Zum Glück hatten die Hanebito ihn nur verletzt, denn er hatte sich tot gestellt.

Dhaôma lauschte schweigend. Also hatten zwei Magier an diesem Tag die Feuermagie gelernt. Das war Pech. Oder eine Kettenreaktion. Er hatte schon gehört, dass ein Magier als Reaktion auf die Angst vor dem Feuer oder Wasser die gleiche Magie entwickelte, um sich zu schützen. „Draußen sind alle verbrannt oder anderweitig gestorben.“, sagte er schließlich. „Ich kann dich nicht in die nächste Stadt bringen, deswegen musst du es selbst schaffen.“

„Ein Heiler sollte nicht herumstreunen. Komm mit. Du kannst uns gute Dienste leisten.“

Ein Schauder lief über seinen Rücken, als er die Worte vernahm, vertrieb aber nicht das Lächeln. „Ich komme nicht mit. Ich halte nichts von dem Krieg.“

„Dann kämpfe gegen die Hanebito, dann ist er schneller vorbei.“

„Ich sagte doch schon, dass ich sie mag.“

Der Mann sah wütend aus. „Wie kann das sein?“

Und Dhaôma begriff, dass er hier auf taube Ohren stieß. Das war keine Frage von Verständnis, sondern eine Frage von Ethik. Er wollte sie hassen, also hasste er sie. Er wollte nicht hinter das Erscheinungsbild in ihr Herz sehen, er wollte nur die schrecklichen Klauen und die bösen Augen sehen. Er konnte nicht verstehen, warum jemand mit ihnen befreundet war. Bei Mimoun war es am Anfang ganz genauso gewesen, aber dennoch irgendwie anders. Warum hatte er bei diesem Mann das Gefühl, dass er es niemals verstehen würde?

„Dhaôma.“, kam es von der zerstörten Wand und schon an den sich weitenden Augen des Mannes wusste er, dass Mimoun sich offen zeigte. Er drehte sich um und begann unwillkürlich zu lächeln. Mimoun hatte ein Baby im Arm. Ein kleines, blondes Kind. So ein herziges Bild. Wäre da nicht das Blut. War das Kind in Ordnung? War Mimoun in Ordnung?

„Mimoun. Braucht es Hilfe?“ Er wollte zu ihm gehen, doch er wurde festgehalten. Als er sich umdrehte, sah er den Hass in den Augen, die er gerade geheilt hatte.

„Bleib weg von ihm, Heiler! Er wird dich töten!“

„Nein!“ Unwirsch wischte Dhaôma die Hand beiseite. „Ich sagte doch, dass er mein Freund ist. Und vielleicht braucht das Kind Hilfe!“

„Es ist eh verloren!“ Und er griff wieder nach seinem Arm. „Wahrscheinlich ist es längst tot!“

„Jetzt reicht es aber! Lass mich los! Ich entscheide selbst über mein Leben, also misch dich nicht ein!“ Er schlug die Hand weg und wich zurück, Wut in seinem Gesicht. „Es ist immer das gleiche mit euch! Warum könnt ihr nicht verstehen, dass ich keine Marionette bin?“
 

Erschrocken weiteten sich Mimouns Augen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass noch ein erwachsener Magier am Leben sein könnte. Bei dem Baby war es ja schon fast ein Wunder gewesen. Mit Schrecken erkannte er, dass Dhaôma ihn geheilt haben musste.

Um den Mann nicht weiter zu verängstigen, rührte er sich nicht von der Stelle, aber es half nichts. Dieser Kerl versuchte Dhaôma daran zu hindern, zu dem Geflügelten zu gelangen und das sogar mehrfach. Er hörte auch nicht auf die Worte und Beteuerungen des Jungen. Unwillkürlich fing er an zu knurren, presste jedoch schnell die Lippen zusammen. Er wollte die Situation nicht noch weiter verschärfen.

„Sie ist unverletzt.“, erklärte er schnell. Unwillkürlich fragte er sich, was er in seinem geschundenen Zustand für einen Eindruck hinterlassen musste. Den Mann behielt er aufmerksam im Auge. „Nur ein wenig hungrig, fürchte ich.“
 

Nach einem letzten wütenden Blick zu dem Mann ging Dhaôma zu ihm und ließ sich das kleine Geschöpf aushändigen. Tatsächlich, ein Mädchen. Und wie hübsch. Blond war sie und hatte grünblaue Augen. Einzig die Blutspuren und der Dreck störten den Eindruck und ihr definitiv unglückliches Gesichtchen. Sie starrte ihn an, als wolle sie weinen. Wahrscheinlich hatte sie das schon ausgiebig getan.

Weich tastete er über ihren Körper, die Zeichen in seinem Gesicht leuchteten auf. Sie war unverletzt. Bis auf ein paar kleinere blaue Flecken, die er heilte. „Na, hast du Hunger?“

Sie quäkte und er ließ sie sanft wippen, wie er das bei Leoni gesehen hatte, und sie verstummte wieder.

Der Stein kam unerwartet für ihn.
 

Dhaôma mit Kindern zu beobachten, war immer wieder ein schöner Anblick und so ließ sich Mimoun nur einen Augenblick ablenken. Diesen hatte der Mann genutzt, um den Stein zu schmeißen. So sah der Geflügelte nur aus dem Augenwinkel den kleinen Gegenstand, der auf sie zuflog und hob reflexartig den Arm. Fangen konnte er den Stein nicht, aber immerhin verhinderte er, dass Dhaôma oder das Baby getroffen werden konnten.

Tief in sich wusste Mimoun, dass das, was er tat, nicht gut enden konnte, sein Körper reagierte jedoch schneller als sein Verstand. Wütend knurrend und mit weit ausgebreiteten Schwingen stürzte er auf den Mann zu und warf ihn in den Ruß und Dreck. Die Krallen des Geflügelten schlossen sich gefährlich eng um den Hals des Magiers.

„Hängst du wirklich so wenig an deinem Leben, Magier?“ Seine Stimme war nur ein dunkles Grollen.
 

„Mimoun!“, schrie Dhaôma und fuhr entsetzt herum. Das Kind fing an zu weinen, als er versuchte, zu seinem Freund zu kommen. Die Mauer war im Weg. „Lass das bleiben!“ Und dann wesentlich ruhiger. „Bitte. Tu ihm nichts. Das ist nicht das, weshalb wir hier sind.“ Aber weil er wusste, dass der andere angefangen hatte, seufzte er. „Hast du sonst noch jemanden gefunden, der meiner Hilfe bedarf? Ansonsten gehen wir eben. Ich will nicht, dass du diesem Hass ausgesetzt bist.“ Den Mann unter Mimoun ignorierte er bewusst.
 

Langsam schlossen sich die Finger enger um den Hals des Mannes. Dieser wand sich unter seinem Griff, doch der Geflügelte wies momentan die größeren Kraftreserven auf. Als der Mann kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren, löste Mimoun seine Finger wieder. Dafür schlug er mit Kraft seine Faust gegen das Brustbein des unter ihm Liegenden. Zufrieden sah er, wie dieser sich zusammenkrümmte und zu röcheln begann.

„Punkt eins. Wage es nie wieder die anzugreifen, die mir wichtig sind. Es bekommt dir nicht.“, begann der Geflügelte. „Punkt zwei. Du solltest besser hier liegen bleiben, bis wir wieder verschwunden sind, sonst kann ich nicht garantieren, dass Dhaôma mich wieder bremsen kann.“ Nun endlich erhob er sich und nach einem letzten abschätzigen Blick wandte er sich völlig seinem Freund und dem Liegenden den Rücken zu.
 

Dieser sah ihn unglücklich an. Das Kind schrie, dennoch beachtete er es nicht. Er war enttäuscht und traurig. Ja, er wusste, dass die Mauer aus Hass zu dick war, als dass Mimoun die Konsequenzen sehen konnte, aber dennoch hätte er sich gewünscht, er hätte wenigstens seine Worte nicht lügen gestraft.

Die Lippen zusammenpressend wandte er sich schließlich ab, kümmerte sich um das Mädchen in seinen Armen, beruhigte es mit leichten, wippenden Bewegungen und leisen Worten, bis es zu schreien aufhörte, was ziemlich lange dauerte. Es hatte sich wohl wirklich erschreckt.

„Was machen wir bloß mit dir?“, murmelte er leise und strich ein paar blonde Fusseln zurück. Ihr Haar war so weich, dass er es kaum fühlen konnte. „Dich bei diesem Mann zu lassen ist sicher keine Alternative und alleine kannst du noch nicht leben.“
 

Ein scharfer Stich ließ ihn zusammenzucken, als er das Gesicht Dhaômas erblickte. Er wusste, dass er ihn enttäuscht hatte und dennoch... Mit Worten war diesem Mann im Moment nicht beizukommen.

Mit verzweifeltem Blick hob er eine Hand, ließ sie wieder sinken, da der junge Magier sich dem Winzling auf seinem Arm zugewandt hatte. Unruhig kaute er auf seiner Unterlippe herum, als er näher heran trat. „Ich hatte nie vor ihn zu töten.“, flüsterte er leise. „Ich wollte nur…“ Unglücklich brach er ab.
 

„Ich weiß das.“ Dhaôma schickte ihm einen Blick, der besagte, dass es das nicht besser machte. „Aber er wusste es nicht. Du hast gedroht, ihn zu töten! Du hast ihn sogar geschlagen!“ Er wurde unbewusst lauter. „Dabei hatte ich ihm gesagt, dass meine Freunde das nicht machen würden!“
 

Davon hatte er nichts gewusst, es nicht mitbekommen. Wäre es anders, hätte er vielleicht anders reagiert, doch nun ließ es sich nicht mehr rückgängig machen.

Gequält ließ er Schultern und Kopf sinken. Mimoun wollte nicht, dass sein Freund mit ihm böse war. Das würde nur wieder zu schmerzhaften Missverständnissen kommen. „Es tut mir Leid.“, hauchte er fast unhörbar.
 

„Du hast keine Ahnung.“ In Dhaôma begann sich Mitleid zu rühren, aber die Wut war auch noch da. „Dieser Mann war zu schwach, um zu kämpfen. Er war sogar zu schwach, um Magie zu wirken. Er hätte sich mit dir auseinandersetzen müssen, ob er wollte oder nicht. Vielleicht hätte er gesehen, dass eben nicht alle Hanebito böse sind, aber jetzt wird er in die Stadt gehen und denen erzählen, was er erlebt hat. Und es wird nicht sein, dass ein Hanebito ihm geholfen hat, sondern dass ein Magier auf der Seite der Hanebito steht. Er wird ihnen sagen, dass es ein Heiler ist und wie viele Heiler sind schon verschwunden ohne eine Nachricht oder einen Kampf.“ Er seufzte. Wenn er Pech hatte, würde seine Familie dann wissen, dass er es war und das wäre gar nicht gut, denn wie sollte er mit jemandem reden, der ihn schon von vornherein für einen Verräter hielt.
 

Erneut begann sich Übelkeit in dem Geflügelten zu regen, diesmal aus Furcht. Hatte er seinem Freund etwa durch diese unüberlegte Tat jede Hoffnung auf Frieden verwehrt? Mimoun taumelte und biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete, nur um halbwegs klar zu bleiben. Er stützte sich an der Wand ab. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet, als er an Dhaôma vorbei ins Freie stolperte. Innerhalb der verfallenen Hütte war es ihm mit einem Mal zu eng geworden. Er musste raus, weg. Er brauchte Luft. Nach wenigen Schritten blieb er wieder stehen. Nein. Er konnte nicht weg. Er konnte seinen Freund doch jetzt nicht allein lassen. Was, wenn der Mann sich für die Tat des Geflügelten an Dhaôma rächen wollen würde? Dennoch blieb er nun auf Abstand zu der Hütte, hockte sich etwas entfernt davon in den Staub.
 

Dhaôma sah ihm nach, dann zu dem Mann, der noch immer schwer atmete. Das mindeste, das er tun konnte, war, die Schmerzen zu lindern. Doch als er näher kam, fauchte ihn der Magier an, er solle ihn nicht berühren. „Du bist verflucht! Ich will mich nicht anstecken!“

Der Braunhaarige betrachtete ihn mit einem Gefühl hilfloser Verzweiflung, bevor er sich umdrehte und ging. Seine Schultern waren fest gespannt und sein Bauch hart vor Unwohlsein. In seinem Kopf begann sich ein gemeiner Druck auszubreiten. Diese Rettungsaktion war gar nicht gut gelaufen.

„Wenigstens bist du in Sicherheit.“, sagte er zu der Kleinen. „Dabei wissen wir nicht einmal deinen Namen.“ Und den Mann wollte er nicht fragen. Wahrscheinlich war auch sie in seinen Augen verflucht, nur weil sie ihn und Mimoun berührt hatte.

Sie gurrte und begann an seinem Poncho zu saugen, sabberte ihn an. Weich streichelte er sie und sah dann erneut zu Mimoun hinüber. Was sollte er bloß tun? Wenn dieser Hanebito jedes Mal ausrastete, wenn man ihm einen Stein hinterher warf, dann würden sie niemals Frieden finden. Was war schon ein Stein? Er konnte die Wunde schließlich heilen. Und man konnte doch nicht jede Ungerechtigkeit mit gleicher Münze zurückzahlen! Dann fing man sich in dem gleichen Teufelskreis, in dem sich dieser Krieg gefangen hatte! Er sollte mit ihm reden, aber nicht hier. Später. Wenn mehr Ruhe herrschte, wenn alles gesackt war.

Langsam trat er zu ihm. „Wollen wir von hier verschwinden? Es riecht nach Tod.“ Dann hielt er inne. „Oder…“ Doch er wagte es nicht, diesen Gedanken auszusprechen, denn seine Kehle wurde sofort so eng, dass er kaum atmen konnte. Würde Mimoun ihn wegschicken, weil er ihn gescholten hatte?
 

Die wenigen Minuten hatte der Geflügelte genutzt, mehrfach tief ein und aus zu atmen. Das Wissen, Dhaômas Wunsch, den er ihm erfüllen wollte, sabotiert zu haben, nagte noch immer schmerzhaft an ihm. Immerhin war er nun ein wenig ruhiger. Sie fanden sicher eine Möglichkeit, das Ganze wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.

Als die Schritte näher kamen, sah er auf. Er wagte es nicht, vorsichtig zu lächeln, fürchtete, dass Dhaôma es in seiner Wut falsch verstehen würde. Er hörte die Frage und… „Was oder?“, hakte er zögerlich nach. Irgendwie wollte er die Antwort gar nicht wissen. Langsam erhob er sich und klopfte sich den Dreck so gut es ging von der Hose.
 

„Nein, später.“, entschied der Magier, bevor er zu ihm ging und seine Hand sachte über die bloße Schulter gleiten ließ. Der Schnitt dort zog sich zurück und schloss sich. „Lass uns einfach gehen.“
 

Seine Finger glitten ebenfalls kurz über die Stelle, die der Magier eben berührt hatte. Es fürs Erste auf sich beruhen lassen, war vielleicht keine so gute Idee. Je länger sie warteten, desto länger schwelten negative Gefühle wie Kummer und Wut in ihnen. Aber das hier war auch kein geeigneter Ort für eine derartige Unterhaltung.

„Halt Winzling gut fest.“, wies er darum an und schlang seine Arme um Dhaômas Hüften. Besser sie verließen diesen unwirtlichen Ort so schnell es ging. Sein Blick glitt kurz über die Hütte, in der sich der Mann befand, und der Geflügelte stieß sich kraftvoll ab. Die Richtung, in die er flog, war ihm egal. Sie mussten erst einmal einfach nur weg.
 

Der Flug war ungewöhnlich ruppig, aber das mochte an dem zusätzlichen Gewicht liegen. Die Kleine hatte sich schnell beruhigt, nun starrte sie mit offenen Augen nach unten. Wahrscheinlich war das ein neues Gefühl für sie.
 

Mimoun suchte die Ebene auf. Sie war Geflügeltenterritorium und daher sicher. Sanft setzte er seinen Freund ab und trat einen Schritt zurück, sah diesen unsicher an.
 

Nach dem Landen, ließ sich Dhaôma zu Boden sinken und setzte sie ab. Wie erstarrt blieb sie sitzen. Immerhin konnte sie aufrecht sitzen bleiben und fiel nicht um. Was sollten sie jetzt mit diesem Kind machen? Es in eine Magierstadt bringen? Aber das war zu gefährlich für Mimoun. Und offensichtlich auch für die Magier, wenn er bedachte, wie der Hanebito sich verhalten hatte. Was für ein Dilemma.

Seufzend wandte er sich ab und an Mimoun. „Hast du Hunger?“, fragte er.
 

Ein leises Seufzen drang über seine Lippen, als er kurz über diese Frage nachdachte. Es war eigentlich nicht das, was er nun erwartet hatte.

Durch seinen Geist streiften wieder die Bilder verbrannter Menschen und sein Gesicht verzog sich. Er würde wohl eine Weile brauchen, um Dhaôma wieder beim Essen machen zuzusehen. Zögerlich schüttelte er den Kopf. „Nein.“
 

Das war schade, denn so hätte er etwas machen können, um die seltsame Stimmung zwischen ihnen zu lockern. Es war so seltsam. Zwischen ihnen schien eine starre, hohe Mauer zu stehen. Wieder sah er zu dem Kind, das sich immer noch nicht bewegt hatte, nur seine Augen wirkten kleiner. Sein Blick wanderte in die Richtung, aus der sie kamen, dann in die, wo er den Großen Fluss vermutete.

„Was machen wir jetzt?“, wollte er wissen. Seine Finger fühlten sich kribbelig an, als wären sie eingeschlafen, in seinem Bauch herrschte Aufruhr. Was war das?
 

„Ich weiß es nicht.“, gestand der Geflügelte leise. Ihm waren Dhaômas Blicke nicht entgangen. Er ging auf das Kind zu und hockte sich davor. Seine Hand legte er sanft auf ihren Kopf. „Wir müssen erst einmal entscheiden, was wir mit ihr machen. Weder können wir sie hier lassen, noch können wir sie mitnehmen.“ Der Geflügelte sah Dhaôma direkt an. „Hat er gesagt, ob es hier irgendwo noch weitere Magier gibt? Irgendeinen Platz, zu dem wir sie bringen können?“
 

„Es soll eine Stadt geben, die er erreichen kann, aber ich weiß nicht, wo die liegt.“ Wieder verstummte er, denn in ihm sträubte sich alles, dieses Kind in die Obhut dieser Menschen zu geben, denn wenn dieser Mann dort eintraf und sie erkannte, brachte er sie vielleicht um, weil sie ‚verflucht’ war. Und das alles nur, weil sie von einem Hanebito auf dem Arm gehalten worden war. Vielleicht konnten sie sie ja doch mitnehmen. „Was essen Babys in dem Alter eigentlich? Suppe? Brei?“
 

Zweifelnd betrachtete Mimoun das kleine Geschöpf. „Ich hab noch keins gehabt. Und ich kann nicht einschätzen wie alt sie ist. Bekommt sie noch Milch, wurde mit der Umgewöhnung schon begonnen, ist sie komplett umgestellt. Ich weiß es nicht.“ Der Geflügelte erhob sich wieder, hob dabei auch das Baby hoch. Wer konnte schon sagen, ob es ihr gut tat, wenn sie auf nasser, kalter Erde saß. „Und ich weiß auch nicht, ob wir ihr nicht damit schaden, wenn wir es einfach ausprobieren.“
 

„Vielleicht können wir Leoni fragen.“, schlug Dhaôma halbherzig vor. „Immerhin hat sie auch so einen Krümel. Und dann, wenn wir ein bisschen weiter gezogen sind, suchen wir für sie eine Familie, so dass dieser Mann sie nicht erreichen kann.“
 

Genauso halbherzig nickte der junge Geflügelte. Zwar war die Kleine gerade ihr vorrangigstes Problem, aber es gab andere Sachen, die ihm im Kopf herum schwirrten. Besonders eine Frage drängte sich ihm immer wieder ins Bewusstsein, doch etwas in ihm scheute sich davor, diese laut zu stellen. Vielleicht würde er das heraufbeschwören, was sie beinhaltete.

„Und wenn sie noch Milch braucht? Was, wenn sie noch nicht soweit ist? Wie sollen wir sie dann mitnehmen? Oder willst du erst suchen und ich hol sie dann später nach?“
 

„Und wo willst du sie lassen? Nein, auf sich selbst gestellt wird sie sicherlich sterben. Dann nehmen wir sie lieber mit. Notfalls jagen wir ein Tier, das Milch gibt, um sie zu ernähren.“ Oh ja, das würde anstrengend werden, aber sie sterben zu lassen, war auch keine Variante.

Sachte piekte er dem Kind in den Bauch. Inzwischen ruhte sein Kopf an Mimouns Brust und es schlief. „Wenn du nur sprechen könntest, dann wäre das alles viel einfacher.“
 

Verständnislos sah Mimoun Dhaôma an. „Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass wir sie solange bei Leoni lassen würden. Du hast ihr und Seren das Leben gerettet. Vielleicht würde sie dir den Gefallen tun. Obwohl…“ Sein Blick irrte nun ziellos über die karge Landschaft und er kaute wieder auf seiner zerbissenen Unterlippe herum. „Du hast wahrscheinlich Recht. Du kannst den Winzling ja nicht unbeaufsichtigt bei Monstern lassen.“ Sein Gesicht wirkte mit einem Mal gequält und er sah auf die Hand, die noch vor kurzem den Hals des anderen Magiers zusammengedrückt hatte.
 

Der Gedanke, das Kind einfach bei Leoni zu lassen, war so einleuchtend, dass er fast gelacht hätte, doch Mimouns letzter Satz erschütterte ihn zutiefst. Monster? Wie kam er auf…

Es kam wie ein Schlag, als er begriff. Mimoun bezeichnete sich selbst, seine Familie und Freunde, seine ganze Rasse als Monster! Ihm entgleisten alle Gesichtszüge und in seinem Körper schwoll die Wut wieder hoch, aber diesmal eine andere Art von Wut. Er fühlte sich verraten.

Zittrig holte er Luft. „Sag das noch mal.“, forderte er, seine Stimme leise und drohend.
 

Obwohl er es zu unterdrücken versuchte, glitzerten seine Augen feucht. „Bin… ich ein Monster?“, fragte er leise, sein Gesicht noch immer von Verzweiflung geprägt, als er Dhaôma direkt ansah.
 

Dieses Häuflein Elend und diese Unsicherheit glätteten die Wogen in seinem Inneren beinahe zur Gänze. Sacht hob er die Hand und strich dem Schwarzhaarigen über den Kopf. „Nein, bist du nicht, aber das ist es ja. Für ihn warst du eines, hast dich wie eines benommen, dabei bist du eigentlich ein freundlicher, herzlicher, liebevoller Kerl! Was ist nur in dich gefahren da hinten?“
 

Er stieß die Hand nicht unbedingt beiseite, wandte sich aber fast ruckartig ab und begann auf und ab zu laufen. „Hast du es nicht gesehen?“, überging er dessen Frage. „Sie haben sogar wehrlose Kinder getötet. Einige waren nicht viel älter als Amar oder Haru. Wer so was tut, muss ein Monster sein. Und ich bin auch nicht besser. Ich hab ihn angegriffen, obwohl er gerade mal die Kraft hatte, einen Stein zu schmeißen. Wie aus Instinkt hab ich einfach gehandelt und nicht nachgedacht. Nur weil ich dich bedroht sah. Und damit hab ich vielleicht deinen sehnlichsten Wunsch zerstört. Ich bin wie sie! Ich bin ein Monster!“ Mit jedem Satz wurde er ein wenig lauter. Das Kind in seinen Armen begann zu quengeln. Sanft wiegte er sie hin und her. „Und nun hab ich den Winzling auch noch aufgeweckt.“
 

Da war seine Antwort. Mimoun hatte aus Instinkt gehandelt, weil er gedacht hatte, er, Dhaôma, sei in Gefahr. Und war er es nicht gewesen, der Mimoun gesagt hatte, er solle schneller werden, dass wenn er jemals angegriffen würde, dass er mit einem Schlag töten konnte, bevor er selbst starb?

Schwach rieb er sich über die Augen. Und jetzt hielt Mimoun sich und die seinen für Monster. Wie lange war es her, dass er das über die Magier gesagt hatte? Ob er den Blick auf das Wesentliche verloren hatte? Nämlich, dass es solche und solche gab?

„Mimoun?“ Seine Augen folgten seinem Freund. „Mimoun, sieh mich bitte an.“
 

Es wurden noch einige Spuren in den Erdboden gedrückt, bevor die Füße, die sie formten, zum Stehen kamen. Dennoch sah der Geflügelte nicht auf. Hochkonzentriert sorgte er dafür, dass das Kind weiterschlief. Er wollte Dhaôma nicht ansehen. Er hatte Angst davor, dass sein Freund ihm noch immer böse war, er es ihm ansehen konnte.
 

„Mimoun.“, beschwor er ihn mit sanfter Stimme und wartete.
 

Dieser zuckte beim Klang seines Namens zusammen. Es klang nicht so, als wäre der Magier wütend, dennoch… Zögerlich sah er auf.
 

Endlich sah er ihn an. Und er konnte die Unsicherheit in diesen dunklen Augen regelrecht lesen. Als hätte er plötzlich Angst. Angst vor sich oder Angst vor ihm?

Dhaôma verzichtete darauf, ihn erneut zu berühren, als er zu lächeln begann. „Hast du es vergessen? Den Schmerz und die Angst an dem Tag, bevor wir uns getroffen haben? Dass dein Vater getötet worden ist von meinesgleichen? Auch dort gibt es Monster. Genauso gibt es sie bei den Hanebito. Zum Beispiel diejenigen, die den Angriff geführt haben. Hey, wir suchen sogar echte Monster. Aber das heißt nicht, dass es nicht auch nette Menschen gibt. Denk an deine Mutter. Sie war immer nett zu mir, obwohl ich ein potentieller Feind bin. Oder Asam oder Leoni. Wenn du sie nicht angreifst, würden sie niemals jemandem schaden. Und du bist genauso. Du hast mir doch gerade gesagt, dass du ihn nur deshalb angegriffen hast, weil du dachest, ich sei in Gefahr. Sollte man dir wehtun, würde ich auch nicht zögern, zurückzuschlagen.“ Tief holte er Luft. „Ob du ein Monster bist, entscheidet sich erst daran, ob du es gerne tust oder ob du dazu gezwungen bist, ob du abstumpfst und wahllos tötest oder ob du es nur in Ausnahmefällen tust. Verstehst du?“
 

Das wusste er doch. Eigentlich musste Dhaôma es ihm ja nicht sagen, aber es zu hören, beruhigte sein aufgewühltes Inneres ein wenig. Der Geflügelte versuchte sich an einem zaghaften Lächeln.

„Es war dennoch nicht richtig, was ich getan hab.“, merkte er an. „Obwohl ich nie vorhatte, ihn zu töten. Aber es verschaffte mir Genugtuung, ihn röchelnd am Boden liegen zu sehen.“
 

„Das solltest du wirklich nicht mehr tun, selbst wenn du es willst. Egal, wie ernst es dir ist, sie werden es falsch verstehen. Entweder sie fürchten dich oder aber einer tötet dich, wenn er es sieht. Und ich kann mich auch selbst verteidigen, das weißt du, oder?“
 

Mimoun hob spöttisch eine Augenbraue, bis ihm wieder bewusst wurde, wie ernst ihr momentanes Thema war und sich seine Gesichtszüge wieder glätteten. „Du beschwörst Gewitter herauf, du heilst Verletzungen und Krankheiten, lässt Pflanzen sprießen und verdorren, du kannst Eis schmelzen und wieder gefrieren lassen… ah ja, doch, das kann schon gefährlich werden.“, gab er zu. „Aber du hast deine Magie noch nie als Waffe eingesetzt. Du scheust dich doch immer davor. Und nur mit bloßer Körperkraft kannst du nicht gegen dein Volk bestehen. Du bist stark, das weiß ich sehr wohl, doch ob du dich selbst verteidigen kannst… Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“
 

Dhaôma sah ihn an. In den Augen des Hanebito musste es tatsächlich so wirken, aber er wusste zumindest, dass er den Heilungsprozess auch umdrehen konnte, wenn er das wollte.

Ohne den Blick von seinem Freund zu nehmen, griff er in die Tasche und holte ein wenig ihres Proviants heraus. Fleisch, das nur getrocknet worden war. In sich suchte er die Kraft, von der er wusste, dass sie da war, obwohl er sie noch niemals wissentlich benutzt hatte, und in seiner Hand wurde das Fleisch erst schwarz und dann zu Erde. Wortlos sah er Mimoun weiterhin in die Augen.
 

Dieser trat schweigend auf seinen Freund zu und befühlte mit seinen Fingern die Erde. Prüfend begegnete er dem Blick seines Freundes. „Kannst du das auch bei einem lebenden Wesen?“, wollte er wissen.
 

„Ja.“, gab Dhaôma unumwunden zu. Das war ja die Gefahr, denn wenn seine Leute die Linien auf seinem Körper zu interpretieren begannen, würden sie genau diese Fähigkeit sehen können und sie für sich nutzen wollen. „Das ist kein sehr schöner Anblick, denke ich, aber es ist möglich.“
 

„Das meine ich nicht.“ Mimoun schüttelte den Kopf. „Ich will nicht wissen, ob du die Fähigkeit dazu besitzt, sondern ob du es…“ Ihm fiel nicht die richtige Bezeichnung ein. „…emotional schaffst.“, behalf er sich schließlich.
 

Ach da lag der Hund begraben. Dhaôma sah ihn Stirn runzelnd an. Er hatte es einmal tun wollen, als Mimoun Ziel von böswilligen Handlungen war, aber ob er es tun konnte, ohne einen triftigen Grund? „Ich denke, dazu bedarf es der richtigen Situation.“, wich er aus.
 

Ja. Anfangs bedurfte es immer der richtigen Situation. Der Blick des Geflügelten glitt in die Richtung des zerstörten Dorfes. Doch wenn man nicht aufpasste, fand man Gefallen daran und am Geschmack des unschuldig vergossenen Blutes.

Mimoun schauderte. Ob es mit ihm auch geschehen würde? Er hatte sich ja gerade bereits an einem Wehrlosen vergriffen, ohne zu zögern und ohne Reue. Wie weit war der Schritt, auch Kinder zu morden?

Geistesabwesend streichelte er das Köpfchen des kleinen Lebewesens auf seinem Arm. „Ich will nicht so werden. Ich will das nicht tun.“, flüsterte er und drückte ihr einen Kuss auf die weichen Haare.
 

Der braunhaarige Magier war dem Blick gefolgt, jetzt lächelte er. „Das ist doch gut so. Ich pass schon auf dich auf, ja? Verlass dich einfach darauf, dass ich dir sage, wenn du dich benimmst wie ein Monster.“ Er streckte sich ausgiebig. Irgendwie war für ihn das Gespräch damit vorbei. „Und jetzt, denke ich, sollten wir zurück zu Leoni, damit unser kleines Fundstück hier nicht Hunger leiden muss.“
 

Zögerlich händigte er das Baby an seinen Freund aus. Sie zu halten, gab ihm das beruhigende Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Ebenso zögerlich legte er seinem Freund die Arme um die Hüften. „Du musst sie gut warm halten. Vielleicht wird es da oben härter für sie. Sie ist doch noch so winzig.“ Und damit stieß er sich ab.
 

Zur Antwort zog Dhaôma seinen Poncho über das kleine Mädchen, bevor er meinte: „Meinst du, du schaffst es, dort hoch? Es ist ziemlich viel passiert heute.“ Außerdem sollte er Mimoun vielleicht wieder herrichten. Die kaputte Lippe war schon etwas verstörend. „Sag mal, hast du noch mit jemand weiterem gekämpft? Wie hast du es geschafft, so viele Verletzungen davonzutragen?“
 

Ein zögerliches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ja. Ich habe gekämpft.“ Ein leises Kichern erklang. „Gegen Steine und Möbel und durchsichtiges Material. Ich wollte den Menschen dort doch helfen.“ Ja. Er hatte helfen wollen. Mit einem leisen, erleichterten Seufzen fiel die größte Anspannung von ihm ab. Er war nicht böse. Es war… ein Unfall gewesen. Einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände.

„Und keine Angst. Das schaff ich mit Sicherheit.“ Seine Zunge glitt über seine Lippe, um Blutrest zu entfernen. „Dafür musst du deine Kräfte nicht beanspruchen. Schließlich hast du sicher auch viel gegeben, um dem Mann zu helfen, nicht wahr?“
 

Ja, hatte er. Zuviel, um an diesem Tag noch irgendetwas Großartiges zu bewirken. „Solange du nur rechtzeitig Bescheid gibst…“ Zufrieden schloss er die Augen. Irgendwas hatte sich gerade verändert. Vielleicht war es die Körperspannung oder die Atmosphäre um Mimoun herum, aber es war positiv. Es nahm eine Menge Druck von ihm.
 

Vielleicht hätte er etwas geantwortet, doch als er sah, dass Dhaôma die Augen schloss, behielt Mimoun seine Worte für sich. Sollte er nur schlafen.

Vorsichtig verbesserte und festigte er den Griff um seinen Freund und strebte dann der Heimatinsel Addars zu. Na, die würden Augen machen, wenn die beiden Freunde schon nach so kurzer Zeit erneut dort auftauchen würden. Und was würde man erst zu dem Baby sagen? Würden sie sie dort behalten? Mimoun hoffte es wirklich sehr.
 

............
 

Echt, sie lassen sich so leicht ablenken...

Aber sie sind so süß...
 

Leute, es tut mir Leid, dass ich es nicht schaffe, wirklich alle Woche zwei Kaps hochzuladen. Ich vergesse es, obwohl sie dann schon fertig sind, oder bin nicht da, weil auf Urlaub.

Meckert mit mir oder sagt bescheid, wenn ich es mal wieder vergesse.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Salix
2014-10-27T17:18:49+00:00 27.10.2014 18:18
Hallo,

ich wollte das hier schon lange schreiben, aber ich habe immer vergessen es dann tatsächlich zu tun. Ich mag diese Geschichte sehr und es freut mich riesig, dass es eine Geschichte ist, deren Hauptplot das Friedenstiften ist. Ich freu mich über jedes Kapitel. Danke für die tolle Geschichte.

LG


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