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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Löwenzahn

Kapitel 69

Löwenzahn
 

„Ich werde helfen.“, bot Mimoun an, blieb aber noch bei Dhaôma stehen und küsste ihn. Nun da der Rat beendet war, ließ er sich nicht mehr von Konventionen und Regeln aufhalten. „Vielleicht kannst du dir Winzling ausleihen und mitkommen. Aber ich werde meine Arme brauchen und kann dich nicht tragen.“
 

„Wenn Vilay tragen helfen würde, ginge alles viel schneller.“, suggerierte der Braunhaarige mit einem Blick auf seinen Drachenfreund. Dieser blinzelte, dann erhob er sich, die Babys an ihren Decken zwischen den Zähnen hochhebend.

„Wenn es schneller geht, gut. Himmel, beeil dich.“ Dhaôma bekam die Kleinkinder in den Arm gedrückt, während er sich schwerfällig zum Ausgang bewegte. Die Ratsmitglieder, die das gesehen hatten, standen stocksteif und schreckschweigend da, waren teilweise einen Schritt zurückgewichen, weil er in ihre Richtung kam. Der Drache ignorierte sie, überließ es Dhaôma, mit ihm Schritt zu halten und gleichzeitig die Babys irgendwie zu sortieren. Draußen stellte er sich in sein Geschirr und trieb Volta dazu an, es zu befestigen, damit er möglichst viele Decken tragen konnte. Leoni kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, als plötzlich alle hektisch begannen, dem Drachen aus dem Weg zu springen, weil er schlecht gelaunt schien, während Asam wortreich selbst dafür sorgte, dass seine Töchter nicht fallen konnten, indem er sie Dhaôma auf den Rücken und Bauch band. Ganze viermal überprüfte er ihren Halt, bevor Lulanivilay ihn mit einer Pranke hochhob und einen Meter weiter wieder zu Boden setzte.

„Wir sind gleich wieder da. Warte.“, waren die erbarmungslosen Worte, dann startete er, sobald Dhaôma auf seinem Rücken saß und die Besucher der nächsten Insel voraus flogen. Solange es darum ging, sich selbst warm zu halten, opferte er gerne seine Zeit. Und einfach, weil es sich gerade anbot, machte er noch einen kurzen Zwischenstopp auf der Ebene, weil er im späten Licht ein paar Tiere gesehen hatte. Die wilden Pferde hatten kaum eine Chance zu entkommen, weil er sich auf sie drauflegte. Zwei weitere fielen seinen Klauen zum Opfer. Es war Tyiasurs Aufgabe, denen oben zu sagen, sie sollten das Essen holen, während er die Helfer einholte.

Als sie nach knapp einer Stunde zurückkamen, schien alles soweit fertig. Außer Addars Familie fanden noch ein paar andere an der Idee Gefallen, unter den Sternen in einem improvisierten Lager zu nächtigen. Aylen hatte sogar Kaley zum Bleiben überredet. Offizieller Hintergrund: Mimoun austesten. Inoffizieller: bei Freunden sein und quatschen.
 

Damit waren seine ganzen Hoffnungen zunichte. Insgeheim hatte Mimoun gehofft dem Veteran durch die Aktion entgehen zu können. Nun konnte er sich auf einen langen Abend einstellen. Na danke aber auch.

„Ist das wirklich notwendig?“, wollte der Drachenreiter frustriert wissen, als der alte Meister das letzte Licht des Tages nutzen wollte. „Ich hab einen riesigen Drachen als täglichen Begleiter.“

„Der lieber schläft, als dir das nötige Training zu geben.“, konterte Kaley unbarmherzig und ließ Mimoun keine Zeit mehr für Widerspruch. Er griff an. Schnell wurde klar, dass der Ältere nicht ernst machte. Es war nur ein kleiner Test. Das Ergebnis war niederschmetternd. Wenn Mimoun seine Magie und seinen Kraftvorteil nicht ausnutzte, lag er häufiger am Boden, als ihm lieb war. Seine Ausdauer war geblieben, aber der Drachenreiter hatte nachgelassen. Na super. Was nützte es ihm, redegewandter zu werden, wenn er dabei anderweitig nachließ?

Mimoun entwarf für sich im Geiste einen kleinen Trainingsplan, den er jetzt jeden Abend vor dem Schlafen durchziehen würde.

Der Abend verlief gesellig. Lange wollte keiner schlafen. Nur die Kleinen schlummerten friedlich wieder an den großen Drachen gekuschelt. Es wurde gelacht und geredet. Mimoun machte Aylen begreiflich, dass sie nun so etwas wie eine Tante war und bereitete sie schon einmal auf den scheuen Familienzuwachs vor, der sie erwarten würde, wenn sie und ihr Gefährte nach Kriegsende nach Hause zurückkehren würden.
 

Die fröhliche junge Frau steckte alle an mit ihrem Lachen. Auch die anderen aus Mimouns Dorf fanden Gefallen an den Geschichten, die Mimoun zum Besten gab.

Und währenddessen redete Dhaôma noch einmal mit Juuro, Addar und Asam. Die vier hatten sich ein wenig abseits gesetzt, weil Dhaôma darum gebeten hatte. Natürlich wusste er in etwa, was sie machen würden, wenn sie zu den Magiern gingen, aber er wollte wissen, ob sie noch Vorschläge hatten. Zumindest Addar hatte einen Rat parat. Er meinte, es wäre vielleicht sinnvoll, junge Leute auf ihre Seite zu ziehen und ein Symbol des Friedens zu entwerfen, das die Nachricht schneller verbreiten würde. Auf Dhaômas irritierte Nachfrage, ob er eine Flagge basteln sollte, schüttelte der Alte nur den Kopf.

„Du erinnerst dich an das, was du auf unserer Insel getan hast, als ihr zurückgekommen seid im letzten Herbst?“ Gespanntes Nicken. „Mach das, denn es erfreut die Herzen. Ein erfreutes Herz ist weit, ein weites Herz schöpft Hoffnung, Hoffnung bringt Bewegung in die Geister.“

Das verstand Dhaôma, dann schlug Asam vor, dass er nicht immer so förmlich sein sollte, weil das irgendwie zu magierartig wäre. Und er sollte aufhören, sich selbst zu der Familie zu zählen, die er verachtete. Wenn er unbedingt einen familienbezogenen Namen bräuchte, sollte er Drachenreiter nehmen, damit er beeindruckte. Für sich beschloss der Braunhaarige, diesen Vorschlag zu ignorieren. Er war, wer er war, das änderte sich nicht. Und er wollte mit seinem vollen Namen zeigen, dass jeder es schaffen konnte, mit jedem Hintergrund einen neuen Weg zu wählen.

Irgendwann wurde es ruhiger. Einer der ersten, die schliefen, war Dhaôma, der seinen Kopf einfach auf Mimouns Schoß gebettet hatte. Später trug ihn Mimoun zu dem Drachen.

Und am nächsten Morgen brachen sie unter viel Winken und noch mehr Abschiedsgrüßen auf. Sie alle hatten die Pause genossen und neuen Mut geschöpft. Irgendwie schien es so, als hätten sie nun genug Kraft, auch die Magier zu überzeugen, nachdem es bei den Hanebito so gut gelaufen war.
 

Lange Zeit, selbst als die Insel schon lange nicht mehr zu sehen war, sah Mimoun noch immer regelmäßig zurück. So schwer war ihm bisher noch kein Abschied gefallen. Warum? Weil er sie nicht wieder sehen würde, bis sie Erfolg gehabt hatten? Der einzige Trost war das Versprechen des Rates.

Der Weg führte die kleine Gruppe nun dem Weg der Sonne folgend. Zwei Wochen benötigten sie, bevor die Wanderer die Wälder und damit das Magierterritorium erreichten. Sie verloren ein wenig Zeit in einigen Dörfern der Geflügelten. Wo sie schon einmal da waren, konnten sie auch die Beschlüsse des hohen Rates weiterreichen. Es sorgte für Erleichterungen. So würden weniger Tote zu beklagen sein. Vielleicht wurden sogar die Söhne und Enkel in die Heimatdörfer entsandt, um zu unterstützen und zu schützen.

Es war kurz vor Mittag, als die Waldgrenze in Sicht kam. Und die Sonne war nur wenig weiter gewandert, als die Gruppe das Ende der Ebenen erreichte. Die Erschöpfung hielt sich in Grenzen und eigentlich war eine Pause noch lange nicht notwendig. Mimoun ließ es sich trotz allem nicht nehmen zu landen und im Schatten der ersten Bäume stehend zu den kahlen Wipfeln empor zu sehen.
 

Es war ein seltsames Gefühl, das Dhaôma hatte. Sie hatten die Wälder schon zuvor überflogen, aber irgendwas war jetzt anders. Es fühlte sich viel vertrauter an, machte ihn irgendwie froh und vermittelte ein angenehmes Gefühl. Lange dauerte es, bis er begriff, dass es der Geruch war. Es roch nach feuchter Erde und tauendem Eis. Es roch nach Frühling.

Wie lange hatte er darauf gewartet? Wie hatte er es jetzt übersehen können? Und warum hatte er das nicht kommen sehen? Natürlich waren die Wälder schon weiter als die Inseln, er hätte es doch erwarten müssen! Schließlich wartete er schon seit Monaten darauf.

„Tyiasur.“ Tief atmete er ein und fühlte seiner Magie nach, als der Drache den Bann löste. Überall konnte er die Antworten der erwachenden Pflanzen spüren, fühlte es in den Fingerspitzen, wie es kribbelte und sich wand.

„Was ist denn mit ihm?“, fragte Volta irritiert, der die gespannte Haltung misstrauisch beobachtete. Die bebenden Schultern wirkten schon ein wenig alarmierend.

„Nichts.“ Lulanivilay streckte sich. „Er bekommt Frühlingsgefühle.“

„Frühlingsge…“ Sprachlos starrte Volta ihn an, was den Drachen nicht davon abhielt, sich zusammenzurollen.

„Ich würde da weggehen.“, sprach Lulanivilay ihn ihren Köpfen weiter, da wurde die Umgebung auch schon von bläulichem Licht erhellt.

„Mimoun! Schneeglöckchen!“, rief Dhaôma begeistert, als diese überall aus dem Boden schossen. Sie waren bei weitem nicht das einzige. Die Bäume und der Boden, alles in Dhaômas unmittelbarer Umgebung folgte dem Ruf der Magie, die durch Lulanivilay hemmungslos verstärkt wurde, weil der Drache seinem Freund die Freude nicht nehmen wollte.
 

Die Freude des Magiers und die sich immer weiter ausbreitende Blütenpracht vertrieben die aufkommende Düsternis aus seinem Herzen. Gab es etwas Schöneres als Dhaôma inmitten seiner geliebten Pflanzen?

Vorsichtig, um nicht zu viele der Pflanzen zu beschädigen, schritt er zu seinem Freund hinüber. Sanft strichen die Finger einige Strähnen aus der Stirn und fuhren an seiner Wange entlang, begleitet von einem verträumten Lächeln auf dem Gesicht des Geflügelten. Die Finger wanderten weiter den Rücken hinab und zogen den Magier an sich.

„Du bist einfach wundervoll.“, flüsterte Mimoun und küsste seinen Geliebten zärtlich. „Was würde ich nur ohne dich tun.“
 

„Ohwo.“ Xaira ging in Deckung. Sie hatte Dhaômas Beutel mit den Samen und irgendwie spürte sie, dass sich darin etwas bewegte. „Ein Kuss und alles wird noch übertriebener.“ Auch die später blühenden Pflanzen begannen sich aus der Erde zu schieben. „Ob alle Magie so sehr von Gefühlen beeinflusst wird wie bei Dhaôma?“

Ratlos zuckte Volta mit den Schultern. Er kannte ja nur den einen Magier so genau. „Wenn es so ist, dann will ich nicht erleben, dass er wütend wird.“

„Was soll er denn machen?“

„Das, was passiert ist, als er Keithlyn verändert hat? Alle waren ohnmächtig, erinnerst du dich?“

Wie könnte sie nicht. Dennoch glaubte sie nicht, dass das passieren würde. Eine so grausige Macht passte nicht zu diesem Menschen.

Die beiden Turteltauben beendeten ihren Kuss und sie beschlossen, auf der Lichtung zu bleiben, nachdem Dhaôma seine Magie wieder versiegeln ließ. Noch mehr durfte er nicht wecken, weil sonst die Bienen später Probleme bei der Nahrungsbeschaffung hatten. Es reichte aber auch. Im Umkreis von einem Kilometer blühten die Frühjahrsblüher, als wäre es bereits seit ein paar Wochen Frühling. Und seine Kraft war bei weitem noch nicht erschöpft. Natürlich war es anstrengender diese Magie zu wirken, ohne den Boden direkt zu berühren, aber es war möglich. Das war es, was er hatte probieren wollen. Addars Vorschlag hatte den Haken gehabt, dass er offensichtlich Magie einsetzen musste, wenn er es tun wollte. Diese Art war viel beeindruckender und Dhaôma hatte sehen wollen, wie gut es funktionierte.
 

Den freien Nachmittag, den sich die Wanderer geschaffen hatten, wurde für eine Aufstockung ihrer Nahrungsmittel genutzt. Warum auch immer Mimoun gerade so sentimental wurde, er wollte einen Hauch Vergangenheit spüren und die Wälder zu Fuß durchstreiften. Mit einem Lächeln und einer dargebotenen Hand fragte er seinen Freund, ob dieser ihn begleiten wollte. Ein wenig Ruhe finden vom ganzen Reisen und mit hohen Menschen reden.
 

Am nächsten Morgen flogen sie schon früh los. In Dhaôma hatte sich etwas geändert. Irgendwie waren seine Gefühle anders. War er zuvor unsicher gewesen, spürte er in sich nun eine Sicherheit, die ihn nicht mehr schwanken ließ. Es fühlte sich beinahe so an, als hätte er die Kontrolle über eine Magie gelernt, die zuvor nur wild zu seiner Verfügung stand, nur dass es keine spirituelle Macht war, die ihn so fühlen ließ. Es war Zuversicht. Mit der Zustimmung des Rates hatte sich in ihm ein Knoten gelöst, der Zweifel beinhaltete. Diese Zweifel waren versunken, überlagert von Selbstvertrauen und dem Gewissen, dass alles seinen richtigen Weg finden würde.

Juuro bemerkte es, als sie die erste Stadt anflogen. Es war eine mittelgroße Siedlung mit der typischen Struktur, die Magierstädte aufwiesen; der innere Hof, der Ring und die Randgefilde. Dhaôma war sonst immer in den innersten Kern geflogen, weil dort die Einflussreichen saßen, diesmal jedoch wählte er einen anderen Ort für seine Landung. Als der Braunhaarige Lulanivilay tiefer lenkte, änderte sich die Körperhaltung, die Juuro spüren konnte, da er den jungen Mann um die Mitte umarmte, um sich halten zu können. Zuerst konnte er nicht sagen, was sich änderte, aber als er die Kursänderung bemerkte, wusste er es. Die übliche hochherrschaftliche Haltung, die Arroganz, die Dhaôma an den Tag legte, wenn er es mit Magiern zu tun bekam, zeigte sich nicht.

Für Lulanivilay bedeutete es einen enormen Kraftaufwand, sanft zu landen. Trotzdem gab es kaum eine Erschütterung, als er neben dem alten Brunnen auf einem Platz landete, der aus festgetretenem Lehm bestand. Die Magier hier sahen anders aus als die, denen sie bisher begegnet waren. Ihre Kleider waren einfacher und praktischer, die Ärmel nicht so weit, die Hemden nicht so lang wie bei Dhaôma. Auch die Reaktionen waren anders. Juuro sah Angst bei einigen, Respekt bei anderen, wieder andere zeigten eine tiefe Zuneigung in ihren Gesichtern. Und dazwischen gab es immer wieder diejenigen, die ungläubige Freude empfanden.

Neben einem kleinen, baufälligen Haus erklangen einige Töne auf einer Laika und Juuro lief es kalt den Rücken hinunter. Er kannte diese Melodie, hatte sie bereits einmal gehört. Das war vor dem Winter gewesen. Er hatte sie in seinem Kopf gehört, in seinem Herzen und es hatte ihn bewegt. Auch jetzt bewegte es ihn wieder, wenngleich auch nicht in selbem Maße. Also hatten nicht nur die Halblinge dieses Phänomen beobachtet.

Dhaôma ließ sich von Lulanivilays Rücken gleiten und trat neben diesen. Seine Augen huschten zu dem Laika-Spieler, der das Lied der Glocke wiedergab, das damals Mimoun beschrieben hatte. Breit lächelte er, dann gab er Tyiasur das Signal, dass er ihn freilassen sollte. Für einige Zeit konnte er sich selbst kontrollieren und sie mussten rechtzeitig gewarnt werden, falls sie nicht in Sicherheit waren.

„Friede sei mit euch zwischen Himmel und Wasser. Wir sind gekommen, um Unterstützung zu suchen!“, rief er den sich sammelnden Leuten entgegen.

„Die Drachenreiter.“, wisperte eine junge Frau und schlug ihre Hände vor den Mund. Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Sie sind auch zu uns gekommen.“

Ihre Worte lösten einen Sturm von Willkommensrufen aus. Hier war es vollkommen anders als in den oberen Städten. Die Menschen ließen sich nicht von irgendwelchen Regeln einengen. Sie ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Sie kannten keine Rangordnung, die es niederen Magiern verbat zu sprechen, wenn höhere dabei waren. Und das Auftauchen der Drachenreiter bewahrheitete eine stille, geheime Hoffnung, die sie seit einem halben Jahr hegten.

Dhaôma trat neben Mimoun und lächelte ihn an. „Wahnsinn.“, hauchte er, dann lachte er. „Wir hätten viel früher hierher kommen sollen.“ Weich ergriff er die raue Hand, zog ihn daran vorwärts zu dem Laika-Spieler, der ihnen so ruhig entgegenblickte, dass man meinen könnte, sie wären alte Freunde.
 

Mit geschlossenen Augen und leicht schief gelegtem Kopf lauschte Mimoun den Klängen des Instrumentes. „Wirklich Wahnsinn.“, wisperte der Geflügelte. „Von nur einem Mal hören eine Melodie so gut wiedergeben zu können ist eine wahre Begabung.“

Zu dem sanften Gefühl von Vertrautheit aufgrund der Musik stellte sich auch eine gewisse Gelassenheit ein. Die Menschen um ihn herum bewirkten das. Dadurch, dass die steife Zurückhaltung hier fehlte, kam er sich eher willkommen vor.

„Kannst du auch die andere Melodie?“
 

Mit einem breiten Lächeln des dunkelhaarigen Mannes floss die Melodie zu der anderen über. Die Menschen kamen näher, vor allem die Jugendlichen schienen keine Scheu zu haben. Sie alle hörten zu, bis die Töne schließlich verklangen.

„Ihr habt es wirklich geschafft, die Drachen wieder zum Leben zu erwecken.“ Das war eine junge Frau mit strahlend blauen Augen, die direkt neben ihnen stand. „Dabei hieß es, sie seien alle gestorben.“

„Und ihr habt den Krieg beigelegt.“

„Noch nicht.“, widersprach Dhaôma. „Bisher sind es nicht viele, die so wie ich unter Hanebito leben.“

„Wie viele sind es? Warum sind sie nicht mitgekommen?“

Dhaôma musste lachen. Von einem Moment auf den anderen waren sie eingeschlossen. Lulanivilay stand außen vor und wurde respektvoll aus der Ferne bewundert, Mimoun wurde nicht einmal angefeindet. „Weil sie noch zu klein sind.“

„Zu klein? Gibt es noch jüngere Drachenreiter als euch?“

Uh? „Nein. Wir sind die einzigen Drachenreiter.“

„Aber du sagtest doch gerade, dass es noch andere Magier gibt, die mit Hanebito leben.“

„Ja. Fiamma und Kitty leben auf den Inseln und werden von den Menschen dort oben aufgezogen.“

„Sind sie deine Schwestern?“

Sie waren einem Missverständnis aufgelegen. „Ich erzähle es euch, in Ordnung? Und damit es viele Leute hören, wird Tyiasur mir helfen.“ Der kleine blaue Drache machte sich auf Mimouns Schulter groß. Untermalt von seinen Erinnerungen erzählte Dhaôma von dem Leben auf den Inseln, dem Frieden, der Welt ohne Krieg, dem Wunsch, endlich ohne Angst und Kämpfe leben zu können. Er erzählte von den Halblingen und der Hütte im Wald, von Magiern, die sich Frieden wünschten, ohne weiter zu töten, bis ihn eine ältere Frau unterbrach.

„Wie kommt es, dass du es geschafft hast, mit einem Hanebito Freundschaft zu schließen? Niemand weiß, wer sie sind, oder was sie denken.“

Dhaômas Gesicht hellte sich auf, als er kurz zu Mimoun sah und vergnügt zwinkerte. „Ist es nicht eher so, dass es bisher noch niemand versucht hat? Wir denken, Hanebito sind böse Kreaturen, die nur kämpfen, um uns das Leben schwer zu machen. Die Hanebito denken, wir sind grausame Wesen, die in Gruppen angreifen, um möglichst viele von ihnen möglichst hinterhältig zu meucheln. Jeder denkt, es sei unmöglich, den anderen zu verstehen, dabei sieht keiner, dass es nur die Vorurteile sind, die uns die Blicke verstellen. Wir sind alle zu blind, um zu erkennen, dass auch die andere Rasse nur Menschen mit den gleichen Bedürfnissen ist wie wir selbst. Familien, Liebe, Kinderlachen. Es ist auf beiden Seiten das gleiche Gefühl von Leben.“

Sprachlos sah sie ihn an, wischte sich die Nässe aus den Augen, die sich dort unwillkürlich sammelte. „Ich habe von dir gehört, Dhaôma en Finochinu en Regelin. Mein Mann war bei denen, die nach dir gesucht haben, als du nicht zurückgekehrt bist. Viele waren davon überzeugt, dass du nicht tot bist, weil sie Hinweise darauf gefunden haben, dass du dich gut selbst versorgen kannst.“ Sie lächelte. „Du hast es tatsächlich geschafft, deinen eigenen Weg zu finden.“

„Ja. Ich habe Mimoun gefunden, ihn gesund gepflegt und mir die Mühe gemacht, ihn kennen zu lernen. Er hat mir sehr viel beigebracht. Es war gar nicht so schwer, obwohl wir am Anfang viele Differenzen hatten, nicht wahr?“, fragte er seinen Freund.
 

Angesprochener zuckte nur mit den Achseln. „Wenn man den Kindern schon von klein auf beibringt, wer der Feind ist und wozu er angeblich fähig ist, und du bist sowieso mehr tot als lebendig, diesem dann hilflos ausgeliefert, sind das eigentlich keine guten Voraussetzungen für freundschaftliche Beziehungen.“ Er lächelte sanft. „Aber die Mühe hat sich gelohnt.“ Auch wenn er bei seinem Magier wahrscheinlich mehr Mühe mit der Verständigung gehabt hatte, als bei jedem anderen seiner Spezies unter den gleichen Bedingungen. „So viele Dinge, die wir erreicht haben, nur weil wir den Schritt aufeinander zu gemacht haben.“ Bezeichnend kraulte er Tyiasur am Kopf.

„So sehr ich auch hoffe, dass Frieden nicht nur ein Traum bleibt, wir hören immer nur Geschichten. Es sind nur Worte.“ Mimoun wandte sich der Sprecherin zu. Sie war noch jung und man konnte die verzweifelte Hoffnung in ihren Augen lesen, aber auch unterschwellige Furcht. „Was sagt uns, dass es nicht nur eine große Scharade von deinesgleichen ist, dass ihr ihn nicht nur ausnutzt?“

Der Geflügelte schwieg einen Moment, bevor er erneut mit den Schultern zuckte. „Ich nutze ihn aus.“, antwortete er lapidar und man konnte ihren Schrecken deutlich in ihrem Gesicht sehen. „Wenn ich genau darüber nachdenke, könnte man es fast so bezeichnen. Ich brauche ihn für meine tägliche Portion Glück und meine regelmäßige Portion Erdbeeren. Dann ist da noch der nebensächliche Effekt, dass er meinem Volk den Frieden erst ermöglicht. So gesehen ist es aber auch exakt umgedreht. Bis auf die Erdbeeren. Die kann ich nun wirklich nicht im Winter herbeischaffen.“, schränkte Mimoun belustigt schnaubend ein. Diese Kinder konnten manchmal aber auch Fragen stellen. „Wenn man den Fakt heranzieht, dass er nahezu ein halbes Jahr in meinem Dorf war, wird es schon schwierig, ein solches Schauspiel überhaupt durchzuziehen. Kinder sind immer ehrlich. Sie hätten es nicht verstanden und sich irgendwann verplappert. Aber du hast Recht. Es sind nur Worte.“ Er verschränkte die Arme und flatterte ein wenig mit den Flügeln. „Die Worte eines Geflügelten, der inmitten eines Magiedorfes steht, umringt von dessen Bewohnern. Ich wäre nicht hier, wäre ich nicht von der Richtigkeit unseres Handelns überzeugt.“
 

„Natürlich kann es noch nicht mehr als Geschichten geben.“, schüttelte Xaira den Kopf. „Wir sind doch erst am Beginn dieser Reise durch die Magierstädte.“ Sie wurde ein wenig irritiert angesehen. Dhaôma hatte zwar von den Halblingen erzählt, aber sie waren dennoch äußerst befremdlich für die Menschen. „Aber sind Dhaôma und Mimoun nicht ein erster Beweis, dass es wirklich funktionieren kann? Sie stehen vor euch und sind keine Ausgeburt einer Geschichte, sondern reine Realität.“

„Was für ein Glück für uns, dass wir Zeuge werden können von dieser Realität.“ Ein junger Mann legte der schwarzhaarigen Frau, die gesprochen hatte, den Arm um die Schultern. Er war vielleicht fünfzehn, aber schon größer als sie und sehr schlacksig. „Wir haben euch vor dem Winter schon einmal gesehen.“

„Ihr seid über unsere Stadt geflogen.“, grinste ein Kind. „Die Soldaten haben so getobt, aber viele haben auch gejubelt. Habt ihr uns gehört?“

Dhaôma nickte, dann lachte er. „Wie wäre es, wenn jetzt Xaira und Volta erzählen, was sie wissen?“ Langsam wurde es für ihn anstrengend, seine Macht zu kontrollieren, da war es ihm ganz recht, dass jemand anderes die Aufmerksamkeit auf sich zog. Fließend übernahmen die beiden Halblinge, während Dhaôma sich vertrauensvoll gegen Mimoun lehnte. Er schloss die Augen und horchte auf die Umgebung und die Pflanzen, die er zu rufen gedachte, bevor er mit Lulanivilays Hilfe seine Magie initiierte. Um die Menschen herum, zwischen den Häusern, auf den Dächern, in den kleinen Gärten und selbst am Fuß des gemauerten Brunnens spross junges Grün aus der Erde. Schlanke Pfahlwurzeln bohrten sich in die Erde, erstarkten, lockerten den Boden, gezahnte Blätter schoben sich rosettenförmig über den Boden, während Knospen sich gen Himmel reckten. Sonnengelb erblühte überall in der Stadt der Löwenzahn, gab der Stadt einen neuen Anstrich, während in den Köpfen der Menschen Xairas Geschichte sich entfaltete. Immer mehr Menschen bemerkten diese Veränderungen, bis die Neuigkeit sich Bahn brach, als Xaira zum Ende kam. Aufregung breitete sich aus und Freude über den verfrühten Frühling.

Ein Kind hatte sich zu ihnen nach vorne gewühlt und stolperte zwischen den Beinen einiger Alten hervor. „Da kommen Soldaten!“, zeigte es in die Richtung, in der sie sie gesehen hatte. „Sie sehen böse aus.“ Flehendlich sah es zu Dhaôma auf, zog an seinen Kleidern. „Braucht ihr noch lange, damit sie aufhören?“

Weich lächelnd ließ sich der Braunhaarige zu ihr hinabsinken und strich ihr liebevoll über den Kopf. „Wir geben uns große Mühe, damit es schnell vorbei ist. Aber ihr müsst auch helfen.“

„Und wie?“

„Indem ihr euch für den Frieden und gegen die Rache entscheidet. Lernt, einander zu verstehen und zu vertrauen. Lernt zu verzeihen. Auch wenn es nicht leicht ist. Damit hilfst du jedem Menschen, der dir begegnet, nicht wahr?“

Die braunen Augen der Kleinen strahlten. „Ich gebe mir große Mühe, das zu machen!“, versprach sie enthusiastisch in den Ohren hunderter von Menschen und löste ein noch größeres Echo aus als Dhaômas Worte oder die Blumen. Beinahe alle stimmten ihr zu und beteuerten ihre Hilfe.

„Dann werden wir jetzt gehen. Ich möchte keinen Kampf.“, entschied Dhaôma weich und schob das Kind von sich.

Sie machten einen Weg frei zu Lulanivilay, der inzwischen wieder stand und die Blumen fraß, die am Brunnen erblüht waren. Volta und Xaira kletterten in ihre Körbe, Juuro stieg auf den breiten Rücken. Der Braunhaarige grinste und klopfte seinem Freund auf die Flanke, seine Arme erglühten heller als vorher, als er mit dem Fuß aufstampfte und die Hälfte der gelben Blumen in seiner näheren Umgebung zu weißen, zerbrechlich wirkenden Gebilden wurden. Er schwang sich auf den Rücken seines Drachen, der mit wilden Flügelschlägen abhob und die Pusteblumen aufwirbelte, dass die Menge vor ihm in einer Wolke der zierlichen Samen stand.

„Unkraut vergeht niemals!“, rief Dhaôma lachend und winkte. „Es kommt immer wieder zurück, so wie wir!“
 

„Ein Feld voller Tyiasur.“, lachte Mimoun ausgelassen und drehte sich mit ausgestreckten Armen in dem wirbelnden Weiß um die eigene Achse. Er fing ein paar der tanzenden Samen ein und dann erst stieß auch er sich ab, schwang sich in die Lüfte. Ausgelassen folgte der Geflügelte dem großen Drachen und seiner Last.

Nur die schnelle Warnung seines eigenen Gefährten bewahrte ihn vor Schaden. Im letzten Augenblick warf er sich herum und entging so dem brennenden Geschoss. Es war dennoch so knapp, dass er die Hitze des selbigen auf seiner Haut spüren konnte.

„Ich war abgelenkt, entschuldige. Ich habe es jetzt unterbunden.“, erklärte ihm Tyiasur.

Der Blick des Drachenreiters durchstreifte die Stadt. Natürlich. Ein Kind hatte sie gewarnt. Natürlich waren die Soldaten näher, als ihnen lieb gewesen wäre. Und natürlich waren die sich entfernenden Gestalten am Himmel noch immer ein ausreichendes Ziel. Fraglich war nur, ob der Eingriff des Wasserdrachen noch nötig war. Vielleicht um größere Schäden zu verhindern, aber so wie es aussah, wollten sich die Stadtbewohner um das sichere Verschwinden ihrer Hoffnungsträger kümmern. Auch wirkten einige der Soldaten unentschlossen. Damit hielten sich die Ausschreitungen in Grenzen und die kleine Gruppe gewann schnell Abstand zu der Stadt.

„Manchmal können eure Truppen wirklich anstrengend werden.“, maulte Mimoun und brachte sich über Dhaôma, ließ Tyiasur überwechseln. „Ich hoffe nur, dem Spieler passiert nichts. Er konnte unsere Melodien so wunderschön wiedergeben.“

Der Wasserdrache verkroch sich unter den Pelz des Magiers und lugte durch den Halsausschnitt. Mit einem zufriedenen Laut, der fast an ein Schnurren erinnerte, rieb er seinen Kopf an der Wange des Freundes.
 

„Hat dir das gefallen? Ich dachte, es könnte unser Wahrzeichen für Frieden werden.“, tätschelte Dhaôma sanft den schmalen Kopf des Blauen, bevor er sich Mimoun zuwandte. „Er wird schon klarkommen.“, ließ er zuversichtlich verlauten. „Ein Musiker ist selten ungern gesehen. Selbst Mutter hatte ab und zu einen bei sich.“ Sein Blick ging zurück zu der Stadt, die selbst von hier oben noch gelblich leuchtete. Es sah toll aus.

„Diese Leute waren beeindruckend offen.“, bemerkte Xaira und lehnte sich ein wenig zur Seite, um die drei über dem Drachen besser sehen zu können. „Vielleicht sollten wir uns eher an das einfache Volk halten. Sie sind nicht so anstrengend wie die hochgeborenen Magier.“

„Beides ist wichtig.“, antwortete Dhaôma. „Aber mir wäre es lieber, nach diesem Krieg gäbe es keine hochgeborenen oder niederen mehr. Es wäre wirklich toll, wenn alle gleich wären, aber das ist vielleicht eine Aufgabe, die man lieber in Zeiten angeht, wo nicht so viele andere Probleme wichtiger sind.“

„Auf jeden Fall.“, knurrte Juuro zustimmend. „Eins nach dem anderen.“

„Mimoun!“ Dhaôma schien das Gespräch nicht zu kümmern. Wie er jetzt in den Riemen stand und zu seinem Geliebten hinaufsah, wirkte er wieder mehr wie der Träumer, als den sie ihn kennen gelernt hatten. „Du warst toll da unten!“
 

„Ich bin immer toll. Aber ich will trotzdem eine Belohnung.“, forderte dieser frech und landete halb auf Lulanivilay, halb schwebte er selbst noch in der Luft und raubte sich einen Kuss. Das hier war viel besser als Erdbeeren als Belohnung.

Ein Ruck an seinem Fuß zwang ihn schneller als ihm lieb war auf Abstand zu gehen. „Ja, ja, du warst toll, aber lass mich bitte aus dem Spiel.“, lachte Volta unsicher, der sich ein wenig zusammengekauert hatte, um nicht von den Flügeln oder einem Fuß getroffen zu werden.
 

Sie feierten diesen Erfolg wenige Meilen weiter an einem schmalen Fluss, in dem sich Tyiasur Fisch fangen konnten. Sie waren in einer Art Hochstimmung, weil es so aussah, als hätten sie endlich etwas erreichen können.

Was waren sie überrascht, als Hufgeklapper zu hören war und wenig später zwei Pferde mit Reitern durch die Büsche preschten. Wiehernd, eines davon steigend kamen sie zu einem plötzlichen Halt, als ihre Reiter an den Zügeln zerrten. Von den Drachen verängstigt scharrte das eine mit den Hufen, während die kleine Reisegruppe alarmiert und bewaffnet den Menschen entgegenstarrten, die sprachlos schienen.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass er so groß sein würde!“, brachte der eine Reiter atemlos hervor. Anhand der Stimme konnte man erkennen, dass sie weiblich war, denn die Kleider, in die sie sich vermummt hatten, verhüllten ihre Körper hervorragend. Außer den angstvoll geweiteten Augen konnte man nichts von ihrem Gesicht erkennen.

Der andere war da pragmatischer. Er parierte sein Pferd durch, stellte sich in die Steigbügel und rief: „Wir kommen in Frieden! Wir wollen nur reden!“ Anhand dieser Stimme konnte keiner von ihnen sagen, ob Männlein oder Weiblein. Sie war vollkommen neutral.
 

„Und das zeigt ihr, indem ihr in voller Geschwindigkeit heranprescht?“ Mimoun entspannte sich wieder und klappte die Flügel an. „Ein wenig unüberlegt, nicht wahr?“ Noch immer ein wenig misstrauisch musterte er die beiden Neuankömmlinge. Mit einem abschließenden Achselzucken und einem Lächeln deutete er einladend auf den Platz, an dem er kurz zuvor noch gesessen hatte. Selbst wenn sie böse Absichten hegen sollten, was Tyiasur mittlerweile gelesen haben müsste, so war die Reisegruppe den beiden Reitern zahlenmäßig weit überlegen. Eine solche Aktion wäre dumm und selbstmörderisch.
 

Dhaôma kicherte, als die Frau ihre Augen endlich von dem großen Drachen abwandte, während der andere Reiter vom Pferd stieg. „Friede sei mit euch zwischen Himmel und Wasser.“

„Ihr seid Dhaôma.“, bemerkte die Frau, dann sprang sie aus dem Sattel und lief zu ihnen herüber. „Ich habe schon von Eurer seltsamen Begrüßung gehört, aber ich hätte nie gedacht, dass Ihr sie wirklich sagen würdet. Was bedeutet das?“

„Mei!“ Der andere hatte geistesgegenwärtig nach den Zügeln des Pferdes gegriffen und band sie nun an den Baum. „Sei höflich.“

„Ja, ja.“ Sie lachte und zog sich dann ihren Schal vom Kopf. Hervor kam ein lockiger Rotschopf mit strahlenden Augen und rundem Gesicht. „Ich bin Mei. Gestern bin ich siebzehn geworden. Ich freue mich so, euch zu sehen!“ Sie schüttelte Dhaôma die Hand, wirbelte dann weiter zu den Halblingen und Mimoun, wo sie diese Prozedur wiederholte. Fasziniert blieb sie vor dem Hanebito stehen. „Du hast geniale Augen, weißt du das? Und Muskeln!“ Zum Beweis drückte sie auf seinem Oberarm herum.
 

Völlig überfahren starrte Mimoun die junge Frau an. Ein personifizierter Wirbelwind. Wenn er sie so beobachtete, konnte er sich gut vorstellen, was aus Fiamma und Seren später werden würde. Der Geflügelte kicherte belustigt. Während sie Dhaôma noch höflich ansprach, verkam ihre Ausdrucksweise ihm gegenüber eher zu Ebenbürtigkeit. Sie gefiel ihm jetzt schon.

„Also, wenn das deine Art der Höflichkeit ist…“, ließ er den Satz unbeendet, umfasste ihre Hüften, die unter den vielen Schichten nur zu erahnen waren, und demonstrierte ihre letzten Worte, indem er sie hochstemmte. „Du bist ziemlich leicht.“, stellte er fest. Verwunderlich war es nicht, schließlich war der Winter gerade erst vorüber.

„Mei.“, kam es wieder ermahnend von dem zweiten Reiter, der nun ebenfalls sein Gesicht zeigte. Auch jetzt ließ sich nicht bestimmen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Weiche Gesichtszüge von halblangen dunkelbraunen Haaren umrahmt. Zu weich, als dass man einen Mann dahinter vermuten würde und dennoch ein wenig zu kantig für eine Frau.

Mimoun stellte Mei wieder auf ihre eigenen Füße und machte erneut eine einladende Bewegung. Im Sitzen war es angenehmer zu reden. Nacheinander stellte er sich und die noch immer ein wenig perplexen Halblinge vor, was mit einem simplen Nicken des zweiten Reiters zur Kenntnis genommen wurde, während die Rothaarige schon wieder am Wirbeln war. Sie hatte sich Juuro als Nächsten rausgepickt, denn dieser bot ebenso ein beeindruckendes Bild mit seinen exotischen Fellen.
 

„Mein Name ist Paluard.“, stellte sich der Braunhaarige vor und Dhaôma war erleichtert, dass er jetzt wusste, dass es ein Mann war. Wenn er ihn so sah, wusste er, wie schwer es für die Kinder gewesen sein musste, als sie ihn das erste Mal gesehen hatten. Es folgte eine formvollendete Verbeugung, was Dhaôma gleich das nächste über ihn verriet. Er war ein Adliger. „Wir kommen von den Rebellen, um die Drachenkrieger einzuladen, sich unserem Kampf anzuschließen.“ Er wirkte sehr eifrig und dienstbeflissen. Wie alt er wohl war?

„So ist das. Setz dich zu uns, dann kannst du erzählen.“

Gesetzt und mit eleganten Bewegungen tat er, was Dhaôma vorgeschlagen hatte, setzte sich neben Mimoun auf den Platz, den dieser ihm gewiesen hatte. Mei bewunderte noch immer die fremden Tierfelle, die Juuro trug, der das mit stoischer Miene über sich ergehen ließ. So wie er sie einschätzte, würde sich ihr Interesse sowieso schnell wieder etwas anderem zuwenden.

„Wer sind denn nun die Rebellen?“, wollte Xaira wissen. Sie hielt den Gästen etwas zu Essen hin.

„Habt ihr noch nichts davon gehört? Wir sind der Untergrund, der junge Leute davor bewahrt, in den Krieg eingezogen zu werden, und Deserteuren hilft, sich zu verstecken.“

„Wir haben davon gehört.“, lächelte Dhaôma ruhig. „Eine gute Sache.“

„Aber mir reicht das nicht. Ich will mehr wissen.“, würgte Xaira diesen Satz ab. „Was macht ihr genau? Was meintest du mit Kampf?“

Der dunkelhaarige Mann lehnte seine Unterarme auf seine Knie, bevor er zu berichten begann. Die Initiative bewegte sich auf dünnem Eis, da man eigentlich nicht wusste, wie man gegen die Armee vorgehen sollte. Krieger waren kaum bei ihnen und die ausgebildeten Krieger der Armee waren bei weitem stärker und organisierter als sie. Sie hatten gehofft, mit Hilfe der Drachenkrieger könnten sie ihre Situation festigen.

Dhaôma runzelte die Stirn. „Das hat mich vorhin schon gewundert. Wir sind keine Drachenkrieger. Wir sind Drachenreiter. Friedensbringer.“ Ungläubig wurde er angestarrt. „Und wir haben auch nicht vor, zu kämpfen. Nicht so, wie du es dir vorstellst.“

„Was heißt das?“ Aus seiner Stimme hörte man heraus, wie eng seine Kehle war.

„Dass wir versuchen, ohne Kampf diesen Krieg zu beenden.“

„Das ist Blödsinn!“, fuhr er auf und seine Haare wippten, als er sich ruckartig aufsetzte. „Ihr könnt doch nicht erwarten, dass man so einen Krieg beenden kann! Die kriegerischen Elemente müssen ausgemerzt werden, damit die Kämpfe aufhören!“

„Möchtest du damit sagen, ich soll dich hier und jetzt töten?“, fragte Dhaôma milde. „Denn wie du dich anhörst, bist auch du ein kriegerisches Element.“ Seine Augen waren ins Feuer gerichtet, das flackernd brannte und immer wieder krachte.

„Nein, das…“

„Ihr wollt den Krieg beenden und greift automatisch nach dem einzigen Mittel, das ihr kennt.“, unterbrach der Braunhaarige den Mann. Seine Fingerspitzen strichen sachte gegeneinander. „Ihr habt euch keine Gedanken darüber gemacht, was es in denen auslöst, die eure Meinung teilen. Euer Ziel ist nobel, aber rechtfertigt es weiteres Töten? Was sollen jene denken, die sehen, dass ihr den Hass, den ihr zuvor auf die Hanebito gerichtet habt, nun auf die Soldaten richtet, auf Menschen eurer eigenen Rasse? Sie sehen, ihr kämpft. Sie mögen es gut finden, bis sie begreifen, dass es die Kämpfe nicht beendet hat, dass sie fortbestehen, dass es sogar schlimmer ist als zuvor, weil der Sinn ihnen verschlossen bleibt.“ Seine Augen fanden die des fremden Mannes, die wie schwarze Kohlen aussahen im Feuer. „Es mag länger dauern, wenn man redet. Es mag dumm wirken, dass wir beinahe unbewaffnet in feindliches Gebiet kommen, aber die Menschen sehen so, dass wir nicht mehr kämpfen wollen. Wir haben lange darüber nachgedacht. Gewalt ist keine Lösung. Und wenn viele Menschen das verstehen, werden die Kämpfe über kurz oder lang beendet.“
 

„Feuer kann man nicht mit Feuer bekämpfen.“, fuhr Mimoun fort. Seine Finger näherten sich dem Feuer, berührten es aber nicht. „Wenn man es versucht, entfacht man nur einen Flächenbrand. Das müsste doch selbst euch bewusst sein, wenn ihr euch die Jahre des Krieges gegen mein Volk anschaut. Was haben sie gebracht außer Schmerz und Verderben?“

Paluard setzte dazu an etwas zu sagen, doch er schloss den Mund wieder, ohne dass ein Ton hervorkam. Er sah nur abwechselnd zwischen Mimoun und Dhaôma hin und her. „Wir können nicht herumsitzen und nichts tun.“, beharrte er schließlich.

„Natürlich nicht.“, pflichtete der Geflügelte dem Gast bei. „Die Verantwortung für die Zukunft aller sollte nicht nur auf den Schultern von uns Sieben liegen. Jeder soll tun, was auch immer in seiner Macht steht. Aber Kampf ist eine Form, die wir verabscheuen und nicht einzusetzen gedenken.“
 

„Aus diesem Grund lehnen wir euer Angebot ab.“, schloss Dhaôma und Xaira nickte zufrieden. Mei sah jedoch enttäuscht aus. Sie hatte endlich von Juuro abgelassen, stand bebend in ihrer Mitte.

„Ablehnung?“, flüsterte sie. Ihre Stimme war wie Rauch im Wind. „Das geht nicht! Wir haben so lange auf euch gewartet. Ohne euch wird unsere Sache nicht vorangehen. Wir brauchen eure Unterstützung!“ Sie wurde mit jedem Wort lauter, bis sie beinahe schrie. Ihre Augen waren kalt auf Dhaôma gerichtet, der nur den Kopf schüttelte.

„Was ihr wollt und braucht, ist ein Wappentier, das ihr hochhalten könnt, um den Kampf zu rechtfertigen.“ Sein Lächeln brachte sie zum Brodeln. „Du hast nicht zugehört, nicht wahr?“

Als sie losstürmte, um sich auf den unverschämten Hänfling zu stürzen, war Xaira zur Stelle und hielt sie an einer Schulter unnachgiebig fest, Lulanivilays Schwanz peitschte vor ihr zu Boden und ließ Funken auffliegen, und Juuros Dolch war an ihrem Hals, bevor sie noch einen Schritt gemacht hatte. Dhaôma schüttelte den Kopf und zog seinen schwarzhaarigen Geflügelten zurück neben sich, da auch dieser aufgesprungen war, um ihn zu beschützen, und ihm damit die Sicht versperrte. „Denk nach, bevor du handelst.“, sagte er.
 

Mimoun bedachte das Mädchen mit einem missmutigen Stirnrunzeln. Sich in Anwesenheit Lulanivilays auf seinen Reiter zu stürzen, zeugte von kindlicher Impulsivität und Naivität.

„Mei.“ Nur mit ihrem Namen brachte Paluard die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Du erreichst noch weniger, wenn du deinen Gefühlen freien Lauf lässt.“

„Selbst wenn sie nicht so kopflos handeln würde, würde das nichts an unserer Entscheidung ändern.“, wies Mimoun den Rebellen wieder auf die Kernaussage an. „Wir werden euch nicht unterstützen; nicht auf diese Art.“

„Nicht auf diese Art?“, wiederholte Paluard verwundert.

Mimoun lächelte kurz und nickte bevor er antwortete. „Wir werden weder an eurer Seite noch für euch kämpfen. Aber da uns die Soldaten folgen, können wir um Gebiete, in denen ihr euch bevorzugt aufhaltet, einen Bogen machen, um die Gefahr für euch zu mindern. Wir müssten nur einen Überblick über eure Verbreitung bekommen.“
 

Der dunkelhaarige Mann dachte kurz darüber nach, dann befahl er Mei zu sich, die nicht wieder zu ihrer überdrehten Art zurückgefunden hatte. „Wir werden das mit unseren Leuten besprechen und euch dann Bescheid geben.“ Sein Lächeln war gezwungen, aber irgendwie auch echt. „Es ist ein komisches Gefühl, von euch zurückgewiesen zu werden, obwohl wir für die gleiche Sache kämpfen.“, gestand er und schüttelte sein Haar aus der Stirn. „Wir wünschen euch gutes Gelingen.“ Damit erhob er sich. Mit Mei auf den Fersen ging er zu den Pferden.

„Ihr könntet auch über Nacht hier bleiben.“, schlug Dhaôma freundlich vor, was ein leises Lachen auslöste.

„Ich fürchte, das wäre keine gute Idee, solange sie sich nicht beruhigt hat. Ihre Magie ist nicht sehr stabil und es ist euer Glück, dass sie sich noch nicht gezeigt hat.“

Oder Tyiasurs Werk. Ihrer Reaktion zu urteilen, wusste sie einfach nicht zu sagen, warum sie sich so bedrängt fühlte und warum ihre Magie sich nicht gezeigt hatte.

„Ich wünsche euch eine gute Heimkehr.“, winkte der Braunhaarige.
 

Erst nachdem die beiden wieder zwischen den Bäumen verschwunden waren, seufzte Mimoun auf. „Irgendwie hätte ich schon gern gewusst, welche Magie sie beherrschte.“ Kurz dachte er über seine Worte und die von Paluard nach und fügte hinzu: „Oder eben auch nicht.“

„Sie kann Metall formen. Je nach Gefühlslage würde es alle angreifen, die sie hasst oder auf die sie wütend ist in dem Moment.“, erklärte Tyiasur entspannt und rollte sich auf dem Schoss seines Reiters zusammen.

Wie sollte man denn gegen so etwas ankommen? Seine Hand fuhr dankbar über die Schuppen des kleinen Drachens und sein Blick fiel dabei auf die Klingen an seinen Armschienen. Plötzlich war er um einige Nuancen blasser und seine Finger schlossen sich um die letzten Erbstücke seines Vaters. Auch sie bestanden aus Metall und wären wahrscheinlich ihrer Magie zum Opfer gefallen. Fahrig wischte er sich über die Augen. Manchmal war es besser, Dinge nicht zu wissen.



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