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Last Farewell

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Okay. Da scheinbar doch jemand das hier liest, stelle ich nun noch ein weiteres Kapitel ein. ^^
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. Komplett anzeigen

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Der Abschied

Als Daesung am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte er sich wie gerädert. Er brauchte einige Sekunden, bis er wusste, wo er war. Er saß noch immer auf der Couch.

Wow.

War er wirklich so erschöpft gewesen, dass er die ganze Nacht im Sitzen verbracht hatte? Neben ihm hatte sich Seungri zusammengekuschelt, dessen Kopf inzwischen nicht mehr wie gestern Abend an seiner Schulter, sondern auf seinen Schoß gebettet lag. Er wuschelte dem Jüngeren liebevoll durchs Haar. "Aufstehen, Seungri!", sprach er ihm ins Ohr. Seungri murrte leise und schlug nach einem Moment die Augen auf. Als er registrierte, wo und in welcher Position er sich befand, fuhr er erschrocken hoch und wäre dabei fast mit Daesung zusammengestoßen, der sich über ihn gebeugt hatte. Dieser wich zum Glück noch rechtzeitig zurück. "Dae, wie lange lag ich denn da schon so? Es ist ja schon hell draußen! Wieso hast du mich nicht geweckt??", sprudelte es aus ihm heraus und mit jedem Wort vertiefte sich der Rotton auf seinen Wangen. Daesung schob ein wenig beleidigt die Lippen vor. "Weißt du, ich bin nicht giftig. Außerdem habe ich selbst bis gerade eben geschlafen, also hab dich nicht so!", entgegnete er schnippisch. "Mein Zimmer ist ja leider fremdbesetzt." Er stand auf und legte die Decke, die ihn und Seungri gewärmt hatte, wieder ordentlich zusammen, bevor er sich in Richtung Bad zurückzog. "Ich geh erstmal duschen", murmelte er zur Erklärung.

Seungri sah ihm, immer noch mit roten Wangen, nach. Schließlich schüttelte er den Kopf, wie, um unerwünschte Gedanken zu vertreiben, und erhob sich ebenfalls von der Couch. Er streckte sich ausgiebig und hörte es in seinen Gelenken knacken. Verdammt, wie konnte er nur die ganze Nacht in dieser unmöglichen Position verbracht haben? Sein Nacken und sein Rücken schmerzten, wie sonst nur nach stundenlangem Training. Er brauchte jetzt definitiv einen Kaffee, soviel stand fest. Einen Augenblick lang blieb er unschlüssig im Raum stehen und überlegte, dann machte er sich auf den Weg, um an Yongbaes Tür zu klopfen. Es dauerte eine Weile, bis ein verschlafener Yongbae die Tür öffnete und ihn aus halb geschlossenen Augen anblinzelte. "Hmm?", murmelte er nur und Seungri musste unweigerlich an diese furchtbaren Zombieschinken aus früheren Jahrzehnten denken, die sich die Gruppe eine Zeit lang jeden Abend zu Gemüte geführt hatte. Damals hatten sie wirklich viel Spaß zusammen gehabt.

"Kaffee?" Seungri fasste sich kurz. Es sah nicht danach aus, als könnten Yongbaes Gehirnzellen schon mehr verarbeiten. Der Ältere nickte. "Komme gleich... Nur anziehen...", murmelte er. Also gut. Drei Tassen für Yongbae. Im Flur hörte er die Dusche rauschen. Daesung würde er jetzt mit Sicherheit nicht fragen gehen, auch wenn selten einer der jungen Männer zum Duschen oder Baden die Tür verriegelte - mit Ausnahme von Seunghyun. Sie hatten mittlerweile schon angefangen, scherzhaft zu rätseln, was er so Geheimnisvolles dort drinnen treiben mochte.

Wollten sie es wirklich wissen? Nein.

Machte es riesigen Spaß, den Ältesten damit aufzuziehen? Oh ja.

Er ging hinüber zu Daesungs Zimmer und klopfte an die Tür, klopfte erneut. Es kam keine Antwort. Der Jüngste legte ein Ohr an die Tür und lauschte angestrengt, doch er konnte nichts hören. Vielleicht schlief Seunghyun noch. Und vielleicht war das auch erst einmal gut so. Wenn er daran dachte, wie Seunghyun am letzten Morgen mit diabolischem Blitzen in den Augen die Tageszeitungen und Klatschblätter zerlegt hatte, war es ihm nur Recht, dass dieser das Frühstück verschlief. Ein kalter Schauer lief ihm bei der Erinnerung über den Rücken und er ging eiligen Schrittes zur Küche, um dort den Kaffee aufzusetzen.

Als Yongbae und Daesung beinahe zeitgleich in der kleinen Küche auftauchten, standen ihre Kaffeetassen bereits bis zum Rand gefüllt an ihren angestammten Plätzen. Daesung ging an den Kühlschrank, um Marmelade und Nougatcreme herauszunehmen und auf dem Tisch zu platzieren, und half dann Seungri mit dem restlichen Geschirr. Yongbae beobachtete die beiden einen Moment lang ruhig, dann fiel sein Blick auf den einen Platz, der nach der Erfahrung der letzten Tage eigentlich nicht leer sein sollte. Seunghyun war sonst immer pünktlich zum Frühstück wach gewesen. Meistens war es sogar er gewesen, der bereits Kaffee eingeschenkt und Brötchen oder Crossaints aufgebacken und verteilt hatte, wenn die anderen eintrafen. Yongbae wusste, wie viel Wert der Rapper auf diese gemeinsamen Rituale legte. "Das sind doch die einzigen ruhigen Minuten, die uns noch zusammen bleiben", hatte er ihm einmal gesagt. Doch heute war sein Platz leer. "Wo ist Seunghyun?", hakte Yongbae nach und Seungri sah ihn mit schuldbewusster Miene an. "Ich...ich hab ihn schlafen lassen, weißt du? Er...er sah doch gestern so fertig aus!", versuchte er sich unter Yongbaes strengem Blick zu rechtfertigen. Dieser verdrehte nur die Augen und machte auf dem Absatz kehrt. "Schon gut. Ich geh ihn selbst wecken, du Angsthase." Als er die Küche wieder verließ, hörte er hinter sich Seungri und Daesung aufatmen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Seunghyun war zwar ab und an mal ein bisschen rau und distanziert, aber sie wussten doch eigentlich alle, dass hinter dieser harten Schale ein Kern aus Zuckerwatte steckte, oder nicht? Er konnte sich nicht erklären, wieso die Jüngeren nach all den gemeinsamen Jahren von Zeit zu Zeit immer noch eine solche Scheu vor dem Gruppenältesten hatten. Nun ja, wahrscheinlich wusste der einfach, wie man sich den nötigen Respekt verschaffte. Yongbae sollte ihn, wenn all dies durchgestanden war, vielleicht einmal danach fragen.

Als er schließlich vor Daesungs Zimmertür stand, hinter der der Rapper sich gestern verschanzt hatte, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Er erinnerte sich plötzlich wieder ganz genau an die Szene, die er letzte Nacht heimlich beobachtet hatte. An die riesige Tasche und an diesen merkwürdigen Ausdruck auf Seunghyuns Gesicht. Das alles hatte ihn vor dem Einschlafen noch lange beschäftigt. Er nahm sich vor, den Älteren zur Rede zu stellen, sobald er ihn irgendwie aus seinem scheinbaren Koma geholt hatte. Er klopfte einige Male energisch an die Tür, doch wie schon Daesung vor ihm, hatte auch er keinen Erfolg. Nach einigem Zögern fasste er sich ein Herz und drückte die Klinke hinunter. Die Tür schwang problemlos auf, doch was er sah – oder besser, was er nicht sah – verschlug ihm für eine Sekunde den Atem.

Daesungs Zimmer war leer.
 

Zu diesem Zeitpunkt saß Seunghyun bereits in einem bescheidenen Hotelzimmer auf seinem Bett. Das Zimmer maß nicht einmal fünfzehn Quadratmeter, der Kleiderschrank, das Bett und ein kleiner Tisch mit Stuhl waren auf engstem Raum zusammengepfercht. Es roch muffig und alt und er wollte nicht wissen, was für Flecken das waren, die er heute morgen, als er duschen wollte, im Bad vorgefunden hatte. Doch so spät in der Nacht hatte er nichts Besseres gefunden. Und wenn er ehrlich war, so war es ihm auch vollkommen egal gewesen, in was für einer Absteige er landen würde. Er wollte nur weg von...dort. Sein Magen knurrte, aber zum Essen blieb ihm heute keine Zeit. Er musste noch einige Dinge regeln, bevor er sich endlich entspannen konnte. Seine Tasche stand griffbereit neben der Zimmertür. Er setzte die Sonnenbrille auf und zog sich die Kapuze der beinahe knielangen, schwarzen Sweatjacke, die er vorhin heraus gekramt hatte, über den Kopf. Dann griff er die Tasche und ließ den unansehnlichen Raum hinter sich. Das würde hoffentlich kein Dauerzustand werden.

Ihm war jetzt schon übel von all diesen Gerüchen.

Unten ließ er den Zimmerschlüssel auf den schäbigen, abgewetzten Holztresen fallen, hinter dem eine dickliche, alte Dame stand und ihn freundlich anlächelte. "Vielen Dank für Ihren Besuch, Mr. Choi! Kommen Sie bald wieder!", rief sie ihm hinterher, als er ohne anzuhalten in Richtung Tür weiterging. Kurz bevor er das Gebäude verließ, drehte er sich noch einmal um und ein bitteres Grinsen erschien auf seinen Lippen, das die alte Frau fast zurückschrecken ließ. "Sicher doch", murmelte er. Die Tür knarrte und quietschte, als sie hinter ihm wieder ins Schloss fiel.
 

"Jiyong? Aufwachen! Jiyoooong!"

Der junge Sänger stöhnte und öffnete die Augen. Das erste, was er sah, war die grün gestrichene Wand, an der sein Bett stand. Er wälzte sich mühsam herum, um nachzusehen, wer es gewagt hatte, ihn aus seinem Schlaf zu reißen. Vor ihm stand Yongbae, die Hände in die Seiten gestemmt, und blickte ihn schweigend an. "Hör mal, Jiyong", setzte er an und änderte seine Position kaum merklich, als er registrierte, dass der Bandleader an ihm vorbeizusehen versuchte. "Jiyong, würdest du mir bitte erst einmal zuhören? Ich muss...-" Weiter kam er nicht. Jiyong hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht zu stimmen schien, und war soweit im Bett nach oben gerutscht, dass er an seinem Bandkollegen vorbei schauen konnte. Und dann sah er Seunghyuns weit geöffneten, ausgeräumten Schrank. Einen Moment lang starrte er das Möbelstück nur ungläubig an und Yongbae konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Er seufzte.

"Jiyong, weißt du, wohin Seunghyun gegangen sein könnte?"

Nun endlich schien er begriffen zu haben, was Sache war, denn Jiyong fuhr so hastig aus dem Bett hoch, dass sein Kreislauf ihn direkt auf den Teppichboden beförderte. "Wo...wo ist er?", stammelte er und versuchte ein wenig unkoordiniert, sich wieder aufzurichten. Yongbae ging neben ihm in die Hocke und musterte ihn ernst.

"Jiyong, hör mir zu! Hat er irgendetwas zu dir gesagt? Hat er gesagt, warum er all seine Sachen zusammengepackt hat? Wollte er vielleicht zu seiner Familie? Du hast ihn doch als Letzter gesehen, oder nicht?"

Der Bandleader saß wie ein Häufchen Elend vor dem Bett, seine Hände zitterten unkontrolliert, bis er sie in sein Shirt krallte. "Ist er weg?", hauchte er kaum hörbar. Yongbae zuckte hilflos mit den Schultern. "Hier ist er jedenfalls nicht mehr, GD. Ich – ich wollte gestern Nacht nochmal nach dir sehen und – naja, da habe ich beobachtet, wie er seinen Schrank ausgeräumt hat. Ich dachte, er wollte vielleicht nur in ein anderes Zimmer wechseln, aber jetzt... Ach verdammt, ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll!" Er fuhr sich ratlos mit einer Hand durch das schwarze Haar und richtete sich wieder auf. Der Junge zu seinen Füßen zitterte inzwischen wie Espenlaub, während er wie gebannt den leeren Kleiderschrank betrachtete. Plötzlich schien es, als hätte jemand einen Schalter in ihm umgelegt, und Yongbae konnte kaum noch rechtzeitig reagieren.
 

Ein stechender Schmerz fuhr durch Jiyongs Hände, als er sie in die Glasscheiben des modernen und sicher nicht ganz billigen Schrankes des Rappers schlug. Glas splitterte und warmes Blut quoll aus zahlreichen kleinen Schnitten hervor, doch das kümmerte den jungen Mann in seiner Wut nicht. Das Einzige, was wirklich zählte, hatte sich augenscheinlich in einer Nacht- und Nebel-Aktion aus dem Staub gemacht und ihn und die anderen zurückgelassen. Er hörte lautes Geschrei um ihn herum, vier starke Arme schlossen sich um seinen Körper und zerrten ihn mit Gewalt weg von den Trümmern. Er schlug um sich, wollte sich befreien, doch zwei weitere Hände packten die seinen und hielten sie fest. Diesmal war es kein starker Griff, trotzdem zuckte er mit einem gequälten Stöhnen zurück. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er den Kampf um seine Freiheit endlich aufgab und wieder klar zu sehen begann. Er hing mehr in Daesungs und Yongbaes Armen, als dass er selbst stand. Vor sich sah er Seungris besorgtes Gesicht. Die Augen des Jüngeren waren vor Schreck geweitet, doch dieses Mal blieb er äußerlich ruhig. Er schien zu wissen, dass er sich eine Panik nicht erlauben konnte. Stattdessen streichelten seine Daumen zaghaft über die wenigen heilen Stellen, die auf Jiyongs Handrücken verblieben waren. Jiyongs Herz pochte noch immer so schnell, dass er es in seinen Ohren rauschen hörte. Doch Seungris verängstigter Blick holte ihn allmählich wieder auf den Boden zurück.

"Lass ihn runter", erklang Yongbaes Stimme dicht hinter ihm und man ließ ihn vorsichtig auf den Boden sinken, wo er benommen sitzen blieb. Daesung war bereits losgelaufen, um den Erste-Hilfe-Koffer aus dem Bad zu holen, als Yongbae sich vor seinem Bandleader auf den Boden kniete. In seinem Gesicht schienen Besorgnis und Wut einen Kleinkrieg auszufechten, als er leise fluchend nach Jiyongs Händen griff. "Zeig her!"

Was auch immer in den Bandleader gefahren war, es gefiel Yongbae überhaupt nicht. Inzwischen kniete auch Daesung neben ihm und entpackte Kompressen und Verbandspäckchen. Seungri hatte sich mit einem Fegeblech und Handfeger daran gemacht, das Chaos aus Glas- und Holzsplittern vom Zimmerboden zu beseitigen. Die beiden Älteren hörten ihn hinter sich leise schluchzen, doch darum konnten sie sich nun nicht kümmern. Auch über Jiyongs Gesicht rannen wieder Tränen und seine Züge waren zu einer Grimasse des Schmerzes verzerrt, währed er Daesung und Yongbae dabei zusah, wie sie seine Hände versorgten. Im Raum herrschte ein betretenes Schweigen. "Es ist meine Schuld!", brach es schließlich aus dem Bandleader hervor. Daesung und Yongbae hielten kurz in ihrer Arbeit inne und musterten ihn. "Was redest du da, Jiyong? Er wird doch nicht nur abgehauen sein, weil du mal einen über den Durst getrunken hast. Ich meine, die Folgen sind für uns alle nicht gerade schön, aber..."

"Du verstehst das nicht!", fuhr Jiyong ihn an. "Ich habe ihn nach Strich und Faden betrogen! Ich habe ihn verletzt und jetzt ist er gegangen! Es ist alles meine Schuld!!" Seungri hatte sich zögerlich zu ihm umgedreht. Die drei Sänger blickten ihren Leader eine Zeit lang schweigend an, bis plötzlich beim Ersten der Groschen fiel. Yongbaes Kinnlade fiel förmlich herunter, während er Jiyong anstarrte. Plötzlich ergab so vieles, was ihm in den letzten Monaten merkwürdig vorgekommen war, einen Sinn. "Du... ich meine – ihr...ihr seid...", stammelte er vor sich hin. Es wurde selten jemand Zeuge eines Ereignisses, das Yongbae aus der Ruhe bringen konnte, doch nun war es soweit. Auch Daesung und Seungri begriffen anhand seiner Reaktion die Lage. Sie liefen rot an und erwischten sich dabei, wie sie sich gegenseitig einen verlegenen Blick zuwarfen. Seungri stand eilig auf, um die Scherben in den Müll zu entsorgen. "Ich...ich bin gleich wieder da... oder so...", murmelte er im Weggehen vor sich hin.

Jiyong sah ihm traurig nach. Er hätte wissen sollen, dass sie so reagieren würden. Hatte Seunghyun es ihm nicht tausend Mal gesagt? Aber er hatte ja nicht auf ihn hören wollen. Er hatte lieber die Augen vor der Wahrheit verschlossen, anstatt sich mit ihr zu arrangieren, wie sein Freund es getan hatte. Nun bereute er all die Streitigkeiten, die zwischen ihnen stattgefunden hatten, weil er sich benommen hatte wie ein kleines Kind. Seungri würde nicht wieder zu ihm zurückkehren, dessen war er sich sicher. Und auch Yongbae und Daesung würden ihn verlassen. Es würde nur eine Sache von Sekunden sein, bis sie den ersten Schock überwunden hatten. Und dann würde er allein sein – verlassen von nahezu allem, was ihm einmal etwas bedeutet hatte. Keine Musik mehr, keine Konzerte und vor allem – keine Freunde mehr. Er schluchzte und schlug die Hände vor's Gesicht, schüttelte heftig den Kopf, bis er zu schmerzen begann. Er hatte es versaut – und zwar auf ganzer Länge. Er würde an seiner Einsamkeit zu Grunde gehen, wie ein reudiger, ausgesetzter Hund. Er wollte sich zur Seite auf den Boden fallen lassen, hinein in die Scherben seines scheinbar zerstörten Lebens, und einfach liegen bleiben. Die anderen hatten inzwischen sicher schon die Flucht ergriffen. Doch gerade als er im Begriff war zu fallen, schlossen sich zwei Arme um seine Schultern und hielten ihn fest.
 

Am Flughafen war die verdammte Hölle los. Wie kamen nur so viele Menschen auf die Idee, dass die unbedingt um sieben Uhr morgens in ein Flugzeug steigen mussten? Gerade, wenn er kam? Als Seunghyun endlich durch alle Kontrollen hindurch war und hinter den Menschenmassen her zum Flieger ging, beschlich ihn ein flaues Gefühl im Magen. Einen Moment lang begann er an dem zu zweifeln, was er hier tat...

Was tat er denn hier überhaupt?

Er machte sich feige aus dem Staub, während die anderen hierbleiben und die Karre aus dem Dreck ziehen mussten, die er hinein gefahren hatte. Wobei – nein, nicht er. Es war Jiyong gewesen, richtig? Es hätte alles so perfekt laufen können, wenn dieser Idiot sich nicht immer quer gestellt hätte! Die neuerliche Wut, die in ihm aufkeimte, verlieh ihm die nötige Kraft, um in den Flieger zu steigen.

Economy Class. Naja.

Von seinen letzten Flügen war er anderes gewöhnt, aber hier war nunmal gerade noch ein Platz frei. Die Stadt, in die er fliegen würde, hatte ihn schon immer magisch angezogen. Wenn es seine Gruppe einmal dorthin verschlagen hatte, hatten sie ihn hinterher förmlich wieder in den Flieger zurück nach Korea zerren müssen. Vielleicht war es lächerlich, aber er kam sich in dieser Weltmetropole jedes Mal vor wie ein kleines Kind, das in der Vorweihnachtszeit ein riesiges Kaufhaus betritt und die riesigen Teddys und elektrischen Eisenbahnen bestaunt, die überall drapiert worden sind. Naja, zwischen einem Kaufhaus und einem guten Nachtclub bestand ja auch kaum ein Unterschied...oder doch? Er lächelte zufrieden vor sich hin, als der Flieger startete. Bald würde er dort sein.

Er erinnerte sich an die ausgelassenen Nächte in heißen, überfüllten Clubs. An den Geschmack des Alkohols auf Jiyongs Lippen, wenn sie sich in einer unbehelligten Ecke des VIP-Bereiches aneinander drückten. Nach dem fünften hochprozentigen Drink liebte er das Gefühl, auf der Tanzfläche mit all den anderen Menschen zu einem einzigen bewegten Wesen zu verschmelzen. Vor diesem besagten Drink musste man ihn mit zwei Mann auf die Tanzfläche zerren, um dann dabei zusehen zu können, wie er mit lustloser Schlechtwettermiene von einem Fuß auf den anderen wankte und dies trotzig als "individuellen Ausdruckstanz" bezeichnete. Gott, wie hatte Jiyong das gehasst. Aber wenigstens hatte er ihn nach einer solchen Show trinken lassen, soviel er wollte, ohne wie eine besorgte Mutter hinter jedem Glas her zu sein, was er anrühren wollte. Er würde in den kommenden Monaten einige Zeit in den Clubs verbringen und alles ertränken, was ihn auch nur im Entferntesten an sein Zuhause erinnerte.

So war zumindest der Plan.
 

Daesung schrubbte nun schon seit Stunden auf dem Teppich in Jiyongs und Seunghyuns Zimmer herum, doch die Blutflecken wollten einfach nicht verschwinden. Er stöhnte frustiert. "Wir müssen den Teppich neu verlegen lassen, Hyung!", maulte er Yongbae schon seit geraumer Zeit die Ohren voll. Dieser zog gerade Jiyongs Bett ab – wie auch immer der Leader es geschafft hatte, er hatte ganze Arbeit geleistet und während seines kleinen..."Anfalls" seine Körperflüssigkeit durchs halbe Zimmer verteilt. Ihr Arzt war schon vorbei gekommen und hatte sich Jiyongs Wunden angesehen. Begeistert hatte er nicht ausgesehen, er hatte einige Schnitte nähen müssen. Nun saß Jiyong auf der Couch im Wohnzimmer und sah mit Seungri gezwungenermaßen eine DVD nach der anderen an. So schnell würden sie ihn sicher nicht wieder aus den Augen lassen.

Als Yongbae das Kopfkissen hoch hob, entdeckte er den zusammengefalteten Zettel. Es war unverkennbar ein Bogen dieses furchtbaren vergoldeten Briefpapiers, das Seunghyun in letzter Zeit so gern verwendet hatte. Auf dem Zettel stand in gehetzter Schrift: "Für meinen Liebsten". Wie schwulstig und untypisch für ihn. Okay, Yongbae konnte sich mittlerweile denken, dass damit wohl nicht er gemeint war. Erst zögerte er einen Moment, wollte erst selbst lesen, was in dem Brief stand. Wer wusste schon, was Seunghyun in seiner Wut geschrieben hatte? Jiyong würde jetzt wohl keinen weiteren Schlag ins Gesicht verkraften. Aber Yongbae schätzte die Privatsphäre seiner Kollegen, wusste er doch selbst, wie wichtig sie in diesem Beruf war. "Ich komme gleich wieder", meinte er zu Daesung und ging hinüber ins Wohnzimmer, um Jiyong von hinten das gefaltete Papier vor die Nase zu halten. "Hab ich unter deinem Kopfkissen gefunden", flüsterte er ihm ins Ohr. "Erkennst du das Papier, Jiyong?" Der Angesprochene riss ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Papier aus der Hand und verkrümelte sich damit in die Küche wie ein Hund, der soeben einen riesigen Knochen ergattert hat. Ob ihm sein Knochen nun bekommen würde oder nicht – Yongbae hatte das getan, was er für richtig hielt, der Rest lag ja wohl wahrlich nicht in seiner Macht.
 

In der Küche ließ sich Jiyong auf einen der Stühle sinken. Der Brief wog schwer in seiner Hand und er legte ihn auf dem Holztisch ab. Einige Minuten lang saß er nur da und betrachtete ihn ruhig, strich mit den teilweise verbundenen Fingern über das deutlich strukturierte, schwere Papier. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er es schließlich auseinander faltete. Sofort erkannte er Seunghyuns Schrift und die Tinte seines Lieblingsfüllers. Jiyong hatte ihn ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt. Einen edlen Schwarzen, zusammen mit eben jenem Papier, was nun vor ihm lag. Es freute ihn innerlich, dass er diese Geschenke in den letzten Tagen und Wochen noch nicht in den Müll gepfeffert hatte. Dann konzentrierte sich der junge Mann ganz auf die Zeilen, die man ihm hinterlassen hatte:
 

"Jiyong,

ich habe in meinem Leben schon viele verrückte Dinge miterlebt und getrieben.

Einige Dinge bereue ich zutiefst. Du gehörst nicht dazu.

Ich dachte, in dir hätte ich meine große Liebe gefunden.

Ich konnte mein Glück kaum fassen, als du mich nun schon vor mehr als sechs

Monaten gefragt hast, ob ich mit dir zusammen sein möchte.

Weißt du noch? Ich habe zuerst nicht einmal verstanden, was du überhaupt

von mir wolltest... Wir waren doch schon viele Jahre "zusammen" gewesen, dachte ich.

Aber du hast mich damals eines Besseren belehrt. Auch, wenn ich bei unserem ersten Kuss zugegebenermaßen wohl nicht mehr ganz nüchtern war...

Was ich aber eigentlich damit sagen möchte:

Ich liebe dich – und das werde ich niemals bereuen.

Ich werde aber ebenso wenig bereuen, dass ich dich in dieser Nacht verlasse.

Denn du hast mich verletzt, wie kein anderer Mensch zuvor ... und das weißt du auch, nicht wahr? Ich lasse mich nicht hintergehen. Weder von dir, noch von irgendeinem anderen Menschen.

Wohin ich gegangen bin, werde ich weder dir, noch den anderen sagen.

Ich will nicht, dass ihr versucht, mich zu finden. Ich brauche eine ganze Weile für mich allein, um zu verarbeiten, was geschehen ist. Es ist das Beste für mich.

Und für euch alle.

Vertrau mir ein letztes Mal, wenn du das kannst, Jiyong.

Denn ich versichere dir hiermit, dass alles besser werden wird, sobald du über mich hinweg bist.

Ach ja!

Und ich versichere dir auch, dass du eine solche Dummheit, wie vor einigen Tagen, nie wieder begehen wirst. So viel Vernunft traue ich dir durchaus zu.

Ich hoffe, dass das Leben es mit euch allen auch weiterhin gut meinen wird.
 

Seunghyun."
 

Jiyong las die Nachricht noch einige Male durch, bevor er sie wieder zusammenfaltete. Auf eine absurde Art und Weise beruhigte ihn diese Nachricht, die Tatsache, dass Seunghyun nicht ganz sang- und klanglos verschwunden war. Aber sollte es denn wirklich so enden? Er konnte nicht glauben, dass er den Menschen, der ihm am meisten bedeutete, nie wieder sehen sollte. Wenn es letztendlich darauf hinauslaufen würde, müsste er sich vermutlich irgendwie damit abfinden. Auch, wenn es ihm verdammt schwer fallen würde. Doch er war fest entschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das wiederzufinden, was er verloren hatte.
 

Als seine drei Bandkollegen zögernd die Küche betraten, sah er auf. "Er ist wohl wirklich fortgegangen", erklärte er mit merkwürdiger Ruhe das, was im Grunde allen schon seit dem Morgen klar gewesen war. Doch nun, mit der Aussprache, war es amtlich geworden: Big Bang hatte seinen besten Rapper eingebüßt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  rainbow77
2013-10-31T22:43:37+00:00 31.10.2013 23:43
Neeeeeiiiiinnnnnnn......Bitte nicht... tu mir das nicht an und Jiyong =(((((((
Mir tun beide so leid =(

Ich liebe deine Story sie ist der Hammer =))))))
Sie ist genauso wie ich Geschichten liebe !!!!!! DU bist genial !!!!!!!
Bitte schreib schnell weiter ich kann es kaum erwarten wie es weiter geht !!!!!!

Lg rainbow77



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