Veränderungen
Der nächste Morgen kam viel zu schnell. Jedenfalls für Enrico und Oliver. Müde blinzelte der Franzose durch die Welt, während der Italiener sich nur mühsam dazu aufraffen konnte, die Hand vor den Mund zu halten, wenn er gähnte. Sie hatten eindeutig zu wenig geschlafen und zu viel gegrübelt.
„Wo iste Robert?“, fragte Enrico, als er den Teamkapitän der Majestics nirgendwo sah. „Kommt gleich“, brummte Johnny, „Er spricht erst noch mit Madleine etwas ab.“ „Was denn?“ Oliver sah den Rotschopf an und zog die Augenbrauen hoch. „Keine Ahnung. Irgendwas mit einer Teambesprechung.“ Die anderen beiden wechselten einen Blick. Wollte Madleine jetzt ihre Therapien auch auf sie ausweiten? Hatte Johnny das schon begriffen?
„Mir egal“, murrte der Blonde dann, „Ich habe Hunger!“ Er drehte sich zu Oliver um und ging einen Schritt rückwärts. „Du auch, oder?“ Oliver nickte, blieb dann aber stehen. „Enrico, die Treppe!“ Aber es war schon zu spät, Enrico machte noch einen Schritt nach hinten und verfehlte die erste Stufe der Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Er verlor das Gleichgewicht und ruderte mit den Armen. Oliver hielt sich die Augen zu und bereitete sich darauf vor, einen Krankenwagen rufen zu müssen.
„Was wird denn das hier?“, fragte Roberts Stimme und Oliver öffnete langsam die Augen. Enrico hing halb in Roberts Armen – der gerade dabei gewesen war, sein Team zu suchen und somit mehr oder weniger mit dem Blonden zusammengestoßen war – und krallte sich an ihm fest. Robert hatte eine Hand an das Geländer geklammert und hielt mit dem anderen Arm den Italiener vom Fallen ab.
Nach einigen Sekunden des Begreifens wandte Enrico den Kopf und fand sich Zentimeter vor Roberts Nase wieder. „Dasse hätte ins Auge gehen können. Grazie, Robert.“ Er klang immer noch verschreckt. „Allerdings“, kommentierte Robert trocken, „Schau demnächst, wo du hingehst und nicht, wo du herkommst.“ Als Enrico nicken wollte, viel ihm auf, wie nahe sie beieinander standen. Er krallte sich immer noch fest und das war nicht nur peinlich sondern auch unangenehm, da es ausgerechnet Robert war.
Der Italiener schnellte zurück, sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Entschuldigend hob er die Hände. „Scusi, scusi! Ich wollte dir nicht zu nahe treten!“, erklärte er. Der Deutsche seufzte kurz, ehe er wieder etwas sagte. Er hatte schon geahnt, dass sich die beiden nach der Wahrheit nicht wie immer verhalten würden, aber dies ging nun doch etwas zu weit. „Schon gut. Ich habe ja gar nichts dazu gesagt, oder?“ „Scusi!“, rutschte es Enrico noch einmal heraus, bevor er begriff, was sein Teamkapitän gesagt hatte. „Du biste nicht sauer?“ Oliver knuffte ihm gegen den Arm. „Nein“, lächelte Robert, „Wieso denn auch? Ihr müsst mich jetzt nicht wie ein rohes Ei behandeln. Ihr habt doch gestern schon gesagt: Ich bin immer noch ich.“ Er zuckte mit den Schultern. Johnny nickte und ergriff seine Hand. „Genau, wir sollten nicht soviel Aufruhr deswegen machen.“ Enrico blickte zu Oliver. Offenbar erwartete er eine Einschätzung der Situation, mit der er selbst nicht klar kam. „Ehm, wir werden uns wohl erst daran gewöhnen müssen. Bis dahin solltet ihr unser Verhalten nicht allzu krumm nehmen, ja?“ Der Franzose wusste auch nicht, wie er es anders formulieren sollte. Ob sie jemals damit normal umgehen könnten stand sowieso noch in den Sternen. Stumm nickte Robert ihm zu und deutete nach unten. „Wollen wir? Ich hätte da noch eine Sache zu klären.“
Am Fuß der Treppe wartete Madleine auf sie. „Offenbar braucht ihr meine Hilfe doch“, kommentierte sie die Aktion von eben. „Deine Hilfe?“, echote Johnny verblüfft. „Du nicht“, sagte Madleine augenrollend, „Aber die beiden da hinter dir. Ich werde ihnen ein paar Spielregeln mit auf den Weg geben.“ Sie wedelte mit den Händen um anzuzeigen, dass Oliver und Enrico ihr zum Arbeitszimmer folgen sollten. Wie kleine Entenkücken tappelten sie ihr hinterher und verschwanden schließlich. Als Madleine die Tür schloss, zwinkerte sie Robert zu.
„Wie war das denn gemeint?“, wunderte sich Johnny. „Das war der Wink mit dem Zaunpfal, dass wir jetzt Zeit für uns haben.“ „Oh, ach so.“ Sie verzogen sich nach draußen auf die Bank, auf der sie zuvor auch schon gesessen hatten.
Ein paar Minuten betrachteten sie die Wolken, bevor Johnny sich räusperte. „Du willst mir also nicht erzählen, was los war?“ Er spielte auf die letzte Nacht an. Johnny war nämlich dadurch aufgewacht, dass er einen Ruck in seinen Armen gespürt hatte und hatte sich müde die Augen gerieben.
„Robert?“ Dann war er sich bewusst geworden, dass Robert sich aufgesetzt hatte und hektisch atmend versuchte, wieder ruhiger zu werden. Schlagartig war seine Müdigkeit verflogen und er setzte sich ebenfalls auf. „Robert!“ Der Deutsche zuckte nicht zusammen, aber es dauerte etwas, bis sich sein unfokussierter Blick auf Johnny richtete und seine Augen klarer wurden. „Entschuldige, habe ich dich geweckt?“ Er rieb sich mit beiden Händen über die Augen. „Egal“, murmelte der Schotte leise. „Hast du schlecht geträumt?“ „Mh-hm.“ Robert ließ sich zurücksinken und zog Johnny zu sich. „Lass uns einfach weiterschlafen, ja?“ Skeptisch hatte er ihn betrachtet, sich schlussendlich aber dazu entschieden, nicht mitten in der Nacht ein solches Gespräch anzufangen. Also hatte er sich wieder ins Bett gelegt und Robert eng an sich gezogen. Ein Seufzer verriet ihm, dass er richtig gehandelt hatte. „Robert...“, begann er, wurde jedoch unterbrochen: „Morgen, Johnathan. Morgen.“
„Ein dummer Traum“, sagte Robert nun und riss den Schotten aus seinen Gedanken. „Weil du alles wieder hochgeholt hast!“ Der Deutsche schüttelte den Kopf. „Vielleicht“, murmelte er, „Aber eigentlich nicht.“ „Was war es denn?“ Robert schwieg ihn wieder an. „Weißt du, dass mich das echt fertig macht?! Nie redest du mit mir! Nur dann, wenn Madleine dich dazu bringt! Wieso vertraust du mir nicht ein Mal, Robert? Wieso?!“ Wütend sprang er auf und schnaubte. „Ständig mache ich mir Gedanken, ob ich richtig handle und ob ich dir helfen kann. Aber du schließt mich immer aus! Nicht erst seit dieser Sache. Auch früher schon. Warum sagst du uns nichts?“
Betreten sah Robert zu Boden und Johnny verstummte. Hatte er ihn erneut verletzt? „Du hast ja Recht“, murrte Robert, „Ich bin zu ruhig. Aber ich habe immer Angst, ich könnte dich so sehr schockieren, dass es dir zu viel wird und du endgültig gehst!“ Dieser Ausbruch ließ den Lilahaarigen sein Gesicht in den Händen vergraben. Erst, als er eine warme Hand an seiner fühlte, sah er wieder auf. „Mensch, Robert. Du kennst mich doch. So schnell geh ich nicht kaputt. Ich bleibe hier, bei dir. Glaub mir das doch einfach, ja?“ Hilflos lächelte Robert. „Genau das war mein Albtraum“, erklärte er, „Das ihr alle genug von mir habt und geht.“
Johnny setzte sich wieder und schlang die Arme um seinen Freund. „Würden wir dann all das hier duchstehen wollen?“, fragte er sanft. „Wahrscheinlich nicht.“ „Eben“, neckte der Schotte ihn, „Sei nicht so negativ. Du wirst sehen, die beiden da drin werden es auch noch hinbekommen.“ Robert legte mit einem Seufzen seinen Kopf auf Johnnys Schulter und nickte leicht. „Ja, ich hoffe, du hast Recht.“