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Old Friends

Nur gemeinsam sind wir unbesiegbar
von

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Kandas Unsicherheit

„Das war ganz schön knapp.“, ächzte die Dunkelhaarige und blickte zu der bewusstlosen Exorzistin.
 

„Ich leg mich jetzt aufs Ohr. Das solltest du auch tun.“, sagte sie noch, als sie zur Tür lief.

„Schlaf gut. Ich werde noch bei Kaede-chan bleiben, bis sie aufwacht.“, erwiderte er und rollte mit seinem Stuhl zu der Liege auf der sie lag. Kopfschüttelnd verließ Roufa das Labor.

„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“, flüsterte er und warf einen Blick zu dem Monitor. Die Rate war nun über zehn Prozent, Bak lächelte zufrieden und sah wieder in das Gesicht seiner neugewonnenen Schwester. Ohne es zu merken übermannte ihn die Müdigkeit und er schlief ein.
 

Da Tiedoll nun den ganzen Tag nichts mehr von Bak hörte, wollte er nach dem Rechten sehen, so sagte er das zu seinen Schülern. Statt ihm stand nun Kanda im Labor und sah den Abteilungsleiter schlafen. Wäre es nur das, hätte er sich wohl nichts dabei gedacht, aber er hielt ihre Hand und sein Gesicht lag neben ihres. Irgendwie machte ihn dieser Anblick wütend, er stapfte zu dem Blondschopf und weckte ihn unsanft auf.

„Hey, nicht schlafen!“, schimpfte der Schwertkämpfer. Der junge Mann blickte zuerst verschlafen zu ihm, sprang aber auf und lief zum Computer. Er seufzte erleichtert.

„Was ist los?“, fragte er, ihn verwunderte seine Reaktion sehr. Als würde er sich darum Sorgen was auf diesem Monitor stand.

„Gar nichts. Kaede-chan wird bald aufwachen, das wolltest du doch wissen. Oder?“, erwiderte Bak und blickte lächelnd zu ihm.

Kanda hielt ihm sein Schwert vors Gesicht und sah ihn wütend an.

„Hör auf sie so zu nennen, wenn ihr euch noch nicht begegnet seid.“, zischte er. Lächelnd schob er die Schwertklinge zur Seite.

„Sie ist meine Schwester und wir werden uns bald kennenlernen.“, erklärte er und setzte sich wieder zu ihr.

„Wieso regst du dich eigentlich so deswegen auf? Kann dir doch egal sein, wie ich sie nenne.“, gab er zurück und blickte zu dem Dunkelhaarigen. Er sah wie sich sein Blick verfinsterte und er sich mit einem knappen „Tche“ wieder zum gehen abwandte.

Bak lachte leise, hielt aber inne, als seine Hand von ihrer gedrückt wurde. Er sah fragend zu ihr und war mehr als erleichtert über ihr wachwerden. Sie öffnete ihre graublauen Augen und schien von dem Licht geblendet zu sein, da sie blinzelte.

„Guten Morgen, Kaede-chan!“, hörte sie eine unbekannte Stimme neben sich ertönen. Ihr Sichtfeld klärte sich und sie blickte in das Gesicht eines breit grinsenden Blondschopfs.

„G-Guten Morgen.“, murmelte sie kraftlos und sah sich im Raum um.

„Wo bin ich und wer sind Sie?“, fragte Kaede verwirrt. Sie wollte sich etwas aufrichten, als Bak sie wieder zurückdrückte.

„Mein Name ist Bak Chang, du befindest dich in der asiatischen Abteilung und den ganzen Rest werde ich dir zu einem besseren Zeitpunkt erklären. Mach dir keine Sorgen, General Tiedoll und die anderen aus dem Team sind auch hier.“, antwortete der junge Mann.

„Dürfte ich mein Team bitte sehen.“, bat das Mädchen. Bak nickte und ging ihrer Bitte nach. Nur kurze Zeit später betraten Tiedoll und Marie das Labor. Der alte General war heilfroh seine Ziehtochter wieder wohlauf zu sehen.

„Wenn du wieder fit bist, wartet eine Standpauke auf dich, die sich gewaschen hat! Du glaubst gar nicht, was für Sorgen wir uns gemacht haben!“, schimpfte Tiedoll und ließ seinen Freudentränen freien Lauf.

Sie lachte leise und blickte zu Marie. Aber es fehlte jemand.

„Und wo ist Yuu?“, fragte sie etwas enttäuscht.

„Ich glaube er hat die Abteilung für einen Spaziergang verlassen.“, antwortete Marie. Die Dunkelhaarige lächelte gequält. Wohl eher wollte er sie nicht sehen, weil er sauer auf sie ist, dachte sie.
 

Da sich ihr Innocence schnell stabilisierte, war sie so weit wieder fit um endlich wieder auf den Beinen zu können.

„Wie lange war ich weg?“, fragte Kaede und blickte Tiedoll und Marie erwartungsvoll an.

Eine Woche? Zwei Wochen? Länger?

„Zwei Tage.“, antwortete Bak. Das Mädchen hielt inne und blickte ungläubig zu dem Blondschopf.

„Sie machen wohl Witze. Sie können mir ruhig sagen, dass es zwei Wochen waren.“, erwiderte sie mit einem gezwungenen Lächeln. Er musste sie nicht mit der Wahrheit schonen.

„Nein, Bak-san hat Recht. Es sind nur zwei Tage vergangen, seitdem ihr aus der Arche seid.“, antwortete Marie.

Jetzt verstand sie auch was die ganzen Elektroden an ihr bedeuteten, aber wie konnte er davon wissen? Erschrocken wandte sie sich wieder dem Abteilungsleiter zu.

„Sagten Sie vorhin nicht „Chang“? Sind Sie etwa?“, fragte die Exorzistin aufgeregt.

„Ich bin der Sohn von Toui und Edgar Chang. Dein Bruder so gesehen.“, antwortete er lächelnd.
 

Diese Erkenntnis saß tief, Kaede konnte es gar nicht glauben, dass sie noch einen Blutsverwandten hätte. Aber er stand wirklich vor ihr, es war kein Traum oder eine Illusion.

„Haben Sie, ah. Hast du etwa noch die Unterlagen von Professor Edgar?“, fragte sie. Er bestätigte es mit einem Nicken und zeigte ihr den kleinen Stapel von Blättern.

„Das ist nur der Auszug deines Regenerationsprogramms. Dein gesamtes Projekt ist auf fünf Ordner aufgeteilt.“, erklärte Bak.

Das Mädchen lächelte wehmütig.

„Vielen Dank.“, sagte sie schließlich und verbeugte sich vor dem Abteilungsleiter.

„Wir lassen euch beide alleine. Unsere Zimmer sind im Hauptflügel, wenn du etwas brauchst.“, meldete sich der General noch zu Wort und strich seiner Schülerin über ihre langen schwarzen Haare, ehe er mit Marie das Labor verließ.

Den restlichen Nachmittag zeigte der junge Mann Kaede sämtliche Dokumente und ihre Werte. Er versicherte ihr, dass es ihr dabei helfen könnte ihre Synchronisationsrate zu erhöhen.

Bei einer Tasse Tee und etwas Kuchen unterhielten sie sich schließlich über ihr bisheriges Leben.

„Ist dann dieser Yuu derjenige?“, fragte er schließlich mit einem breiten Grinsen. Das Mädchen sah ihn fragend an.

„Was meinst du?“, fragte Kaede zurück.

„Weil du von ihm bisher das meiste erzählt hast.“, erklärte er und legte seine Tasse ab.

„Ich habe wohl das meiste von ihm erzählt, weil ich das meiste auch mit ihm erlebt habe. Aber mehr ist da nicht.“, erwiderte sie mit einem verlegenen Lachen.

„Er stammt vom Second-Exorzist-Projekt ab, oder nicht?“, fragte Bak nun ernst.

„Mhm.“, antwortete sie nur knapp und starrte auf die leere Tasse in ihren Händen.

„Unsere Eltern wollten immer, dass ich ein ausgezeichneter Wissenschaftler werde und trotzdem haben sie mich aus dem Second-Exorzist-Projekt rausgehalten und mir von dir noch nicht einmal irgendetwas erzählt. Ich hatte keine Ahnung, was für kranke Spiele sie da gespielt haben.“, gab er seufzend zurück.

„Du kannst doch auch nichts dafür.“, murmelte das Mädchen mit einem leichten Lächeln.

„Bak-san?“, fing das Mädchen an.

„Bak.”, ermahnte sie der Blondschopf, er wollte nicht, dass sie ihn so höflich anspricht.

„Nii-san. Wäre es wohl möglich, dass ich noch etwas länger hier bleiben kann?“, fragte sie schließlich.

Der Mann sah sie erstaunt an. Ein wohlig warmes Gefühl, breitete sich in seiner Brust aus, als sie ihn „Nii-san“ nannte.

„Natürlich. Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.“, erwiderte er lächelnd.

„Dann entschuldige mich für einen Moment. Ich muss noch mit Papa reden, bevor ich hier überhaupt etwas entscheide.“, sagte sie und lachte.

„Papa?“

„General Tiedoll. Irgendwie ist das mit der Zeit gekommen.“, erklärte sie und verließ schließlich das Labor.
 

Kein Stunde später machte sie sich wieder auf dem Weg ins Labor, kurz vor dem Eingang traf sie auf Kanda.

„Das war ja ein ganz schön langer Spaziergang den du da hattest.“, hörte er Kaedes Stimme hinter sich und warf einen Blick zurück. Von dem blassen, halbtoten Mädchen von vor zwei Tagen war nichts mehr zu sehen und ein unscheinbares Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.

„Ah, die Nervensäge ist wieder aufgewacht.“, murmelte er, als er sich nun zu ihr wandte.

„Geht es dir gut? Im Kampf gegen den Noah hast du dich so langsam regeneriert, ich dachte-.“, fing Kaede besorgt an, als sie sich an seinen Kampf wieder erinnerte, unterbrach sich aber, als er seine Hand auf ihren Kopf legte.

„Du denkst zu viel.“, zischte er genervt und wuschelte durch ihr dunkles Haar. Das Mädchen schmollte, sah ihn aber überrascht an, als er lächelte.

„Weißt du was? Ich werde bei Nii-san bleiben, er kann mir helfen besser mit meinem Innocence umzugehen.“, sagte sie schließlich glücklich.

„Nii-san? Seid ihr euch schon so nah?“, fragte er ungläubig.

„Wir haben heute den ganzen Nachmittag über alles mögliche geredet. Ich kann immer noch nicht glauben einen richtigen Bruder zu haben.“, erwiderte das Mädchen schon fast euphorisch.
 

„Hast du vergessen was seine Familie uns angetan hat?“, fragte er nun verärgert.

„Dafür kann er doch nichts. Er hatte doch gar keine Ahnung, was sie aus uns gemacht haben. Er wusste noch nicht einmal, dass wir überhaupt existieren.“, konterte Kaede.

„Dann werde glücklich mit ihm, aber komm ja nicht zurück gekrochen.“, zischte Kanda wütend und wandte sich zum gehen ab. Das Mädchen verstand nicht, was nun plötzlich los war.

„Sei nicht so unfair, Yuu! Er ist mein Bruder, ich werde ihm bestimmt nicht den Rücken zukehren!“, rief sie dem jungen Mann nach.

„Unfair?“ murmelte er und sah mit einem finsteren Blick zu ihr zurück.

„Verarsch mich nicht! Ihm wirst du nicht den Rücken zukehren, aber denen die dir jahrelang eine Familie ersetzt haben, kehrst du den Rücken zu?! Was glaubst du wie sich der Alte fühlen wird, wenn ich ihm sage, dass du lieber hier bleiben willst, als mit uns nachhause zurückzukehren!“, schrie er zornig.

Kaede schreckte zurück. Was war nur los mit ihm, so hatte sie ihn noch nie erlebt, dachte sie.

„Ich habe mit Papa schon geredet und im Gegensatz zu dir, versteht er mich!“, erwiderte sie mit zittriger Stimme.

Kanda zog sein Schwert und hielt es dem Mädchen vor ihr Gesicht. Sein zorniger Blick durchbohrte sie und lähmte sie vor Angst.

„Wie ich schon sagte, komm ja nicht wieder zurückgekrochen.“, murmelte er noch und wandte ihr wieder den Rücken zu.

Das Mädchen konnte nicht anderes tun, als ihm zusehen wie er die Halle verließ. Sie war starr vor Schreck, unfähig ihn aufzuhalten und ihm alles genau zu erklären.

Was ist so falsch daran, ihre richtige Familie kennenlernen zu wollen? Sie würde Tiedoll und die anderen doch nicht für immer verlassen und vergessen, nur weil sie fürs erste hier bleiben möchte.
 

„Kaede-chan.“, ertönte Baks besorgte Stimme hinter ihr. Sie wollte nur noch weg und lief einfach los und damit dem Blondschopf in die Arme, da er sich ihr in den Weg stellte.

Seufzend legte er seine Arme um sie, als er sie bitterlich weinen hörte und strich ihr beruhigend über den Rücken.

„Er wird sich bestimmt schnell wieder beruhigen.“, murmelte er. Kaede schüttelte den Kopf.

„Er wird sich nicht wieder beruhigen. Das was er sagt, meint er auch so. Yuu hat sein Wort noch nie zurückgenommen.“, stammelte sie.
 

Am nächsten Morgen machten sich die Exorzisten zum Aufbruch bereit, der Abschied von Marie und Tiedoll fiel herzlich aus und sie versprach ihnen immer Briefe zu schreiben.

Kaede würde ja nicht für immer hier bleiben wollen, früher oder späte würde sie an der Sehnsucht nach ihrem Zuhause zugrunde gehen.

Es nahm sie aber sehr mit, dass Kanda sie nicht einmal eines Blickes gewürdigt hat und winkte den anderen mit einem aufgezwungenen Lächeln zu.

Ihr war alles andere als Lächeln zumute.
 

Es vergingen drei Monate. In dieser Zeit lernte Kaede Bak näher kennen und dank ihm, erhöhte sich ihre Synchronisationsrate um ein Vielfaches. Natürlich vergaß sie ihre Freunde nicht und schrieb ihnen mindestens einmal in der Woche, verheimlichte aber ihren Fortschritt und ihr geplanten Überraschungsbesuch.

Zwei Tage war sie unterwegs, ehe sie endlich wieder vor dem Torwächter der europäischen Abteilung stand. Sie nahm den Türklopfer in die Hand und klopfte dreimal. Sie blickte direkt in die Kamera und hielt ihren Zeigefinger vor den Mund, als Zeichen nichts durch die Lautsprecher verlauten zu lassen. Die Türen wurden geöffnet und sie begab sich auf direktem Weg in die Cafeteria.

„Hi!“, rief sie in die bunte Runde und lächelte zu Allen, Linali und Lavi, als sie sie erspähte.

„Kaede-chan!“, gab der Rotschopf glücklich von sich und fiel dem Mädchen um den Hals.

„Das ist mal eine Überraschung, was machst du denn hier?“, fragte das andere Mädchen überrascht.

„Ich hatte Heimweh.“, antwortete sie verlegen und lachte über Lavis Scherze.
 

„Aus dem Weg.“, ertönte plötzlich eine gereizte Stimme. Fragend sahen sie zu der Person, es war Kanda, der die kleine Gruppe verärgert ansah.

„Yuu! Schön dich wiederzusehen. Wie geht es dir?“, fragte Kaede schüchtern und wollte ihm gerade folgen, als er an ihnen vorbei ging, ehe sie von Lavi zurückgehalten wurde.

„Lass ihn lieber in Ruhe. Yuu ist schon seitdem wir vor drei Monaten zurückgekehrt sind Mega angepisst und noch reizbarer als sonst.“, erklärte er.

„Schon gut.“, erwiderte sie und versuchte ihm die Sorgen zu nehmen, als sie sich schließlich zu dem Dunkelhaarigen setzte.

Er brach gerade seine Stäbchen auseinander, als er einen verärgerten Blick zu seiner Rechten warf.

„Können wir vielleicht reden? Ich habe dir viele Sachen zu erklären.“, bat sie.

„Ich habe nichts mit dir zu bereden.“, erwiderte er knapp und widmete sich wieder seinem Essen zu.

„Aber ich möchte-.“, fing die Dunkelhaarige an, unterbrach sich aber, als er sie wieder zornig ansah.

„Hast du Tomaten auf den Ohren? Ich sagte, dass ich nichts mit dir zu bereden habe.“, wiederholte er nun wütender.

„Aber, Yuu. Ich-.“, wieder wurde sie unterbrochen. Kanda stand vom Tisch auf und hielt ihr sein Schwert an den Hals.

„Wenn du nicht sofort verschwindest, schneide ich dir den Kopf ab.“, drohte der Schwertkämpfer.

„Hey, Yuu! Jetzt beruhige dich doch!“, meldete sich nun Lavi zu Wort und schob sein Schwert beiseite.

Zischend schob er sein Mugen wieder in die Schwertscheide und verließ die Cafeteria. Kaede sah ihm noch betrübt nach, was konnte sie tun damit er ihr zuhört?
 

Sie hatte eine Idee, aber dafür müsste sie in die Höhle des Löwen.
 

Sie stand nun vor seinem Zimmer, ihre zittrige Hand war nur wenige Zentimeter von der Türklinke entfernt, als sie schließlich ihren ganzen Mut zusammen nahm und sein Zimmer, nach einem kurzen Klopfen, betrat.

„Ich habe nein gesagt!“, schimpfte er wütend zu dem Störenfried, als er Kaede erblickte.

„Verschwinde.“, zischte Kanda noch knapp und widmete sich wieder seinem Schwert zu, das er gerade polierte.

„Nicht bevor du mich angehört hast.“, erklärte sie und schloss die Tür hinter sich zu.

„Du bist wirklich schwer von Begriff, was? Verschwinde jetzt, oder ich schlitz dich auf!“, brüllte er fast und hielt ihr sein Schwert wieder entgegen.

Kaede fiel ihm um den Hals, konnte aber ihre Unsicherheit vor dem jungen Mann nicht verbergen.

„Dann tu es doch.“, erwiderte sie. Er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals und nach einem kurzen Augenblick, legte er sein Mugen zur Seite.

„Lass mich los.“, murmelte er verärgert, als die Exorzistin dieser Bitte nachging und sich neben ihn setzte.

„Wirst du mir jetzt zuhören?“, fragte Kaede und sah ihn erwartungsvoll an. Kanda antwortete nicht und starrte nur stur vor sich.

„Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.“, murmelte sie überfordert.

„Du darfst ihn nicht verurteilen, nur weil seine Eltern diese Projekte geleitet haben.“, fing sie schließlich an.

„Wenn du hergekommen bist, um mir Vorwürfe zu machen, kannst du gleich wieder gehen.“, gab der junge Mann gereizt von sich.

„Was? Nein! So meinte ich das nicht.“, erwiderte sie erschrocken. Sie rang noch mit sich, Bak hat ihr alles erzählt und sie wollte es vor Tiedoll, Marie und ihm verheimlichen, weil sie nicht wollte, dass sie sich Sorgen machen. Aber anders, würde sie sich sonst noch weiter von Kanda entfernen und das wollte sie auch nicht.

„Ich.“, Kaede fühlte sich, als würde ihre Stimme versagen.

„Mann!“, fluchte sie laut und sprang auf. Das Mädchen stellte sich direkt vor ihm.

„Ohne ihn, hätte ich mich in eine Gefallene verwandelt.“, erklärte sie schließlich. Die Augen des Schwertkämpfers waren vor Schreck aufgerissen, starrten aber immer noch auf den Boden.

„Bak ist mein Bruder und er hat mir das Leben gerettet. Nicht nur, dass ich tief in seiner Schuld stehe, will ich auch nicht, dass er weiterhin ohne Familie leben muss. Ich habe meinen Blutsverwandten gefunden, das heißt aber nicht, dass ich die Zeit mit dir und den anderen vergesse. Ich wäre sonst nicht hier, wenn du mir nicht so unglaublich wichtig wärst.“, erklärte sie, erschrak aber über ihre Worte. Sie plapperte mal wieder drauf los, ohne vorher zu überlegen.

Überfordert wandte sie sich zum gehen ab. Kaede hatte den Türgriff schon in der Hand, als Kanda ihren Arm packte und sie zurückhielt.

Kanda zog sie zu sich und nahm sie in die Arme.

„Y-Yuu, du erdrückst mich.“, murmelte sie, als seine Umarmung von Sekunde zu Sekunde immer fester wurde. Schließlich ließ er etwas locker.
 

„Bist du immer noch wütend?“, fragte Kaede leise.

„Idiot.“, erwiderte der junge Mann murmelnd. Er war keinen Moment wütend, er könnte niemals wütend auf sie sein. Wohl eher fühlte er sich … verraten?

Sie riss seine hart erbaute Mauer nieder und erzählte ihm danach, dass sie in China, bei ihrer neugewonnenen Familie, bleiben würde. Er fürchtete sich davor, von ihr vergessen zu werden, sie an diesen Chang zu verlieren und ließ seinen Frust an ihr und anderen aus, anstatt darüber zu reden.

Wie sollte er auch mit ihr darüber reden? Er sprach nie über seine Gefühle, wieso sollte er es jetzt können?

Die Finger des Dunkelhaarigen krallten sich in den Stoff ihrer Jacke, seine Gedanken waren ein reines Chaos.

„Yuu?“, fragte sie, besorgt über seine Reaktion. Sie fühlte sich so hilflos, als er immer noch keinen Ton von sich gab und auch nicht von ihr abließ.

„Ich wollte nicht, dass du das in den falschen Hals bekommst. Es tut mir leid.“, flüsterte Kaede.

Sie war die letzte, die sich für irgendetwas entschuldigen müsste und trotzdem konnte er diese Worte nicht über die Lippen bringen.

„Okay, jetzt reicht es!“, sagte sie und drückte sich von ihm. Diese Stille zwischen ihnen, konnte sie nicht länger ertragen und sah, dass er wohl irgendwelche Gewissensbisse hatte. Zumindest wirkte sein Ausdruck so auf sie.

„Yuu. Rede doch mit mir. Sag mir doch, was dir auf dem Herzen liegt, was auch immer es ist.“, erklärte sie und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Mit ihrem Daumen strich sie behutsam über seine Wange, mit ihr könnte er doch über alles reden.

Kanda erwiderte ihren Blick nicht und schien sich allmählich in sein Gedankenchaos verloren zu haben. Unsicherheit und wohl auch etwas Angst hinderte ihn daran offen über seine Gefühle und Gedanken zu sprechen.

„Fürchtest du dich davor, was ich über dich denken könnte, wenn du mit mir sprichst?“, fragte sie schließlich. Seine dunkelbraunen Augen blickten nun überrascht in ihre graublauen.

Kaede lächelte und drückte ihn auf sein Bett zurück. Bevor sie sich neben ihn setzte, legte sie sein Mugen beiseite und nahm noch seine Hand in ihre.

„Erzähl mir was dich so bedrückt und mach dir keine Sorgen darüber, was ich über dich denken könnte. Ich könnte nie wütend auf dich sein, oder über deine Sorgen lachen.“, sagte sie noch und wartete geduldig.

Sie warf noch einen kurzen Blick zu ihm und sah, wie Kanda mit sich rang. Kaedes Finger überkreuzten die des jungen Mannes, während sie sich an seine Schulter lehnte und weiterhin wartete.

„Glaub ja nicht, dass ich irgendwann aufgebe. Auch wenn ich die ganze Nacht noch hier bleiben muss.“, murmelte sie mit einem kleinen Lächeln.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und drückte ihre Hand schließlich fester. Das würde ihm sicher nicht leicht fallen, aber er würde es versuchen.

„Mir … tut es leid.“, fing der Blauhaarige leise an.

Kanda wusste nicht wie er anfangen sollte, als ihr Daumen über seinen strich und ihn damit ermutigte.

„Ich wollte nicht, dass du bei diesem Typen bleibst. Weil ich glaubte, du würdest für immer bei ihm bleiben und mit uns nichts mehr zu tun haben wollen.“, fing er schließlich an.

„Gerade dieser Typ, dessen Familie diese beschissenen Projekte ins Leben gerufen hat. Und, dass du ihm schon nach einem Nachmittag so sehr vertraut hattest. Ein Vertrauen, dass du uns nicht entgegengebracht hast.“, sagte er noch.
 

„Wie kommst du darauf?“, fragte Kaede erschrocken. Er zog seine Hand weg und drehte sich mit einem ernsten Blick zu ihr.

„Wie ich darauf komme? Mir gegenüber tust du auf verständnisvoll, aber du selbst vertraust uns doch kein bisschen! Oder erkläre mir, wieso du dein Innocence unterdrückst, wenn du zu mir kommst, wieso du die Nächte nicht geschlafen hast, als wir uns ein Bett geteilt haben, wieso du dich niemanden wegen deinen Sorgen anvertraust, obwohl du unter den Akuma leidest. Wieso hast du kein Vertrauen in unsere Fähigkeiten und beschwörst bei jeder kleinsten Gefahr deine Zauber oder erwähnst erst vorhin, dass du beinahe zu einer Gefallen wurdest?!“, fragte er und sah sie verärgert an.

Kaede blickte erschrocken zurück, ihr Herz klopfte gegen ihre Brust.

„Weil ich nicht will, dass ihr euch Sorgen um mich macht, oder, dass euch etwas passiert. Ich will euch nicht verlieren, noch will ich nicht, dass ihr euch auf irgendeiner Weise verletzt. Das heißt aber nicht, dass ich kein Vertrauen in eure Fähigkeiten habe.“, beantwortete sie schließlich den letzten Teil der Fragen.

„Gut, das erklärt aber nicht dein restliches Misstrauen mir gegenüber.“, erwiderte Kanda und wartete auf ihre Antwort.

„D-Das ist nicht so einfach.“, stammelte die Dunkelhaarige und schluckte.

Er blickte immer noch erwartungsvoll zu ihr.

„Es ist nichts weltbewegendes, ich erzähle es dir ein anderes Mal. Okay?“, blockte sie schließlich ab.

„Wenn es nichts weltbewegendes ist, kannst du es auch jetzt erzählen.“, der junge Mann gab nicht auf und bohrte weiter.

„Es ist unwichtig und nicht von großer Bedeutung. Reicht es dir zu wissen, dass du mein volles Vertrauen hast?“

Ächzend lehnte er sich wieder gegen das Kopfende seines Bettes und sah das Mädchen ungläubig an.
 

„Ich werde weder dich, noch Bak im Stich lassen. Du hast mein Wort.“, sagte sie noch lächelnd, hörte aber nur sein leises Grummeln.

„Ach, komm schon, Yuu. Papa ist doch ständig unterwegs, entweder malt er irgendwelche Szenerien oder rekrutiert Schüler. Marie ist auch ständig auf Missionen. Bleibst nur noch du über. Du kannst ruhig sagen, dass du ohne mein Generve und Geklammer nicht leben kannst.“, erklärte sie mit einem schelmischen Grinsen.

Kanda packte verärgert sein Mugen und fuchtelte damit drohend vor ihrer Nase herum. Sie sprang von seinem Bett und lief zu der Zimmertüre, als sie sich noch kurz zu ihm drehte.

„Iss mit mir zu Mittag, schließlich hast du dein Frühstück wegen mir ausgelassen.“, sagte sie noch und verließ den Raum.

Seufzend legte er das Schwert zur Seite und lächelte schließlich leicht. Seine ganzen Sorgen waren also unbegründet, dachte er und nahm sich vor, das nächste Mal direkt mit ihr über ein Problem zu sprechen.

Er blickte noch kurz zu seiner Hand, die von ihr festgehalten wurde. Jemand, der ihn durch so einfache Gesten ermutigt und beruhigt, kann ihn niemals verraten.

Oder?



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