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Tokyo: Real Vampire

Zwischen Gothic und Legende
von

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verschleppt

„Ist das Safall?“, wollte eine weibliche Stimme leise und zaghaft wissen.

„Denkst du?“

„Sieht so aus.“

„Wieso ist er hier?“

„Verdammt, was machen wir mit ihm?“

„Also ich werd mich ganz bestimmt nicht am Kreuz Ass vergreifen!“

„Aber die werden ihn doch nicht grundlos hergeschickt haben.“

„Von dem lass ich trotzdem die Finger!“

„Sieh nach, ob er es wirklich ist!“, trug die eine Stimme der anderen auf. Safall hatte inzwischen vier verschiedene Frauenstimmen erkannt. Er blieb weiter reglos liegen und harrte der Dinge, die da kamen. Je länger die unschlüssig rumrätselten, desto weniger musste er unter ihnen leiden. Jede verstrichene Minute war eine gewonnene Minute, während der 72-Stunden-Countdown bleiern herunterzählte.

Er hörte, wie sich leichte, vorsichtige Schritte an ihn heranschlichen und sich jemand neben ihm im Stroh niederließ. Zarte Finger strichen ihm zaghaft die langen Haare aus dem Gesicht, so daß er etwas erkennen konnte und gleichzeitig auch selbst erkannt wurde. Ein hübsches, junges Mädchengesicht beugte sich über ihn.

„Safall. Du bist es wirklich.“, stellte sie erkennend fest, merklich betrübt, daß er es wirklich war. Er kannte sie zwar nicht, aber offensichtlich kannte sie ihn. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Als Kreuz Ass kannte einen so ziemlich jeder.

"Bedauerlicherweise ja.", entgegnete er. Er gab sich Mühe, ihrem Blick nicht zu lange standzuhalten, um demütig zu wirken.

„Wie bist du hier hergekommen? Bist du in Ungnade gefallen?“, hakte sie traurig nach.

„Mein Schüler hat Scheiße gebaut.“, gab Safall ehrlich und feundlich zurück. Sicher, diese Mädels waren hier, um ihren Opfern den Aufenthalt zur buchstäblichen Hölle zu machen, aber er machte ihnen dafür keinen Vorwurf. Sie taten nur ihren Job, und auch das nicht wirklich freiwillig.

Das Mädchen begann das Seil zu entknoten, das seine Hände auf den Rücken fesselte und seine Füße zusammenband. Erleichert drehte er sich auf den Rücken, als der Fortschritt der Entfesselung dies endlich zuließ, und bewegte seine schmerzenden Muskeln. Sehr unschöne Zwangshaltung, so gefesselt auf der Seite zu liegen. Sie strich mit einer Hand über seinen Oberkörper. „Sitz die Zeit hier einfach ab. Keine von uns wird dir was tun.“

Oha, er musste ja ziemlich beliebt sein, stellte Safall verwundert fest. Normalerweise machten diese Mädchen keinen Unterschied, wen sie vor sich hatten. Auch der Kreuz Bube war schonmal hierher in die Hölle gesteckt worden und war von den Mädchen nach Strich und Faden gequält worden. Der Kerl war zugegeben verhasst und Safall hatte vermutet, daß er dies auch extra deutlich zu spüren bekommen hatte.
 


 

Mit verschränkten Armen saß Oniji im Auto und wartete. Schon seit fast 20 Minuten. Langsam sollten sie wieder aufbrechen, wenn sie rechtzeitig zurück zum Sky Tree Tower kommen wollten. Zeda hatte ihn hinausgeschickt und war mit Safalls Schwester allein in der Berghütte geblieben. Wer weis, was die noch zu besprechen hatten.

Er merkte auf, als sich die Haustür öffnete, der Gothic sich mit dem gleichen Handkuss von Sewill verabschiedete, mit der er sie auch schon begrüßt hatte, und dann endlich zum Wagen kam. Er sah ein wenig erhitzt und zerfledert aus, als er sich auf den Fahrersitz fallen lies.

„Was hast du so lange da drin gemacht?“, wollte Oniji wissen.

„Ich habe sie für ihre Wahrsage-Künste bezahlt.“

„Ah ja. Will ich wissen, womit?“, meinte Oniji zynisch.

„Mit Naturalien.“

„Eher mit Dienstleistungen, so wie du aussiehst.“

„Tja. Sie bekommt nicht oft Besuch. Und Safall ist ihr da auch keine Hilfe, er ist ja ihr Bruder, nicht wahr? Auch wir halten nichts auf Inzest, auch wenn wir Vampire sind.“, fügte Zeda auf den dummen Blick seines zeitweiligen Schülers hin an.

„Komm schon, lass uns fahren. Ich soll 14 Uhr am Sky Tree sein und würde Safall gern den Gefallen tun, in seinem Auftrag pünktlich dort anzukommen.“
 


 

„Na schön. Fünf Minuten von 14 Uhr. Was nun?“

„Was hat Safall denn gesagt?“, hakte Zeda nach und zupfte eine Schnürung an Onijis neuem Gothic-Hemd zurecht. „In diesem Outfit siehst du richtig passabel aus, weist du das?“, warf er dann mit fast väterlichem Stolz ein.

„Möchte auch sein! Dieses blöde Outfit hat umgerechnet 500 Euro gekostet!“

Zeda grinste. Dann sah er sich um. Das Gelände um den Sky Tree Tower war sehr weitläufig. Allein der Treppenaufgang zur Kasse erstreckte sich über mehrere Etagen, die jeweils ganze Ladenstraßen in sich bargen. Hier jemanden zu finden, war ein regelrechter Glücksfall. An sich war es die praktikabelste Lösung, einfach in den auffälligen Gothic-Outfits herumzustiefeln und darauf zu warten, daß man gefunden wurde.

„Schau mal, da drüben am Geländer stehen zwei Typen in bunten Fetzen, die uns beobachten. Könnte das was bedeuten?“, meinte Oniji, als sie langsam an der Warteschlange vorbeispazierten, die sich auch heute wieder vor den Kassen gebildet hatte. Der Sky Tree Tower war schon ein Phänomen. Der Besucherdurchlauf war jeden Tag so gewaltig, daß man sogar Wartemarken ziehen musste, um überhaupt erstmal bis zur Kasse zu kommen. Dann war man aber noch lange nicht oben auf der Spitze des bunt beleuchteten Aussichtsturms, dafür vergingen gut und gern nochmal ein paar Stunden. Vorrangig waren es Touristen, die sich das antaten.

Zeda schaute in die gewiesene Richtung. „Könnte schon sein, ja. Lass sie uns halt einfach mal fragen.“
 

„Hey. Seid ihr mit Safall verabredet?“, brachte Zeda es ohne Umschweife auf den Punkt, als sie sich den bunten Gestalten näherten. Sie sahen kaum noch wie Gothics aus, obwohl sie wohl tatsächlich noch sowas in der Art darstellen sollten. Hatte eher was von der Musik-Richtung Oshare Kei, die geprägt war von knalligen Neonfarben, kitschigem Schmuck und hohem <kawaii>-Faktor.

„Ja. Und wer seid ihr?“, gab einer der beiden zurück. Unübersehbar stachen auch aus seinem Mund die künstlichen Eckzahnverlängerungen hervor, als er sprach. Sie trugen keine Barock-Kleidung, kein Fetisch-Leder und keinen Silberschmuck. Oniji konnte sie weder der Pik-, noch der Kreuz- oder der Karo-Blutlinie zuordnen. Ob das wohl Vampire aus dem Herz-Lager waren?

„Ich bin Zeda von der Kreuz-Linie. Das ist Oniji, ein Küken.“

„Ja, wir kennen Oniji.“, schmunzelte der, der von den beiden offenbar das Sprechen übernommen hatte. „Wo ist Safall?“

„Safall kann nicht kommen. Er schickt ... uns als Vertretung.“ Das Stocken in seinem Wortfluss zeigte, daß Zeda eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen, seine Worte aber nochmal bewusst abgeändert hatte. Es war wohl blöd, zu sagen, daß Safall nur ein Küken als Vertretung geschickt hatte und er, Zeda, lediglich als moralische Unterstützung mitgekommen war.

Der Student war froh, daß Zeda das Wort ergriffen hatte. Er hätte gar nicht gewusst, wie man mit fremden Vampiren sprach.

„Welchen Rang hast du inne?“

„Ich bin nicht von Rang, ihr Meister.“, meinte Zeda und deutete eine Verneigung an.

„Schade. Das Kreuz Ass hätte uns wirklich mehr genützt. Stattdessen schickt man uns einen Bauern und ein Küken. Nagut. Ich bin Dare Ka und das ist Nani Ka.“

<Irgendwer> und <Irgendwas>, das waren ja mal interessante Namen, dachte Oniji und überlegte, ob er lachen oder den Kopf schütteln sollte. „Verzeiht meine Unerfahrenheit. Darf ich fragen, welcher Blutlinie ihr angehört?“, warf er vorsichtig ein. Er hoffte, Zeda mit dieser Frage jetzt keinen Ärger einzuhandeln. Er wollte nur wissen, woher die beiden ihn kennen sollten. Er hatte sie noch nie gesehen. Und da er sie auch in den Strukturen der Vampiristen-Szene nicht einordnen konnte, hatte er keine Ahnung, wie er sie einschätzen musste. Aber die beiden bunten lachten nur gut gelaunt auf.

„Wir gehören zu keiner. Wir sind Joker!“, erklärte der, der auch bisher schon für beide gesprochen hatte und sich als Dare Ka vorgestellt hatte. „Folgt uns bitte!“
 

„Was sind Joker?“, flüsterte Oniji Zeda zu, während sie den beiden Oshare-Kei-Verschnitten gehorsam hinterher trotteten. Im Kartenspiel waren Joker Karten, die alles und nichts waren. Sie hatten keinen eigenen Wert, sie konnten aber zu jeder x-beliebigen Karte werden.

„Abtrünnige. Sie gehören zu keiner Blutlinie, haben sich deshalb aber trotzdem nicht vom Vampirismus losgesagt. Gerüchten zufolge sind es vier, ich kenne sie aber nicht. Diese vier Typen machen ihr eigenes Ding. Man weis im Prinzip nicht viel über sie. Und bisher hat auch noch kein König es geschafft, was gegen sie zu unternehmen.“, flüsterte Zeda zurück.

„Muss man denn was gegen sie unternehmen?“

„Kommt drauf an, ob man sie gerade für sich oder gegen sich hat. Im Grunde sind sie harmlos, solange man sie sich nicht zu Feinden macht.“

„Was wollen die von uns?“

„Von uns vermutlich gar nichts. Ich frag mich eher, was die von Safall wollten. Er ist das Kreuz Ass, die rechte Hand vom Boss persönlich. Wenn die den in die Finger kriegen ... Ich schätze, es war nicht die schlechteste Fügung, daß Safall heute nicht hier ist.“

„Also sind sie quasi die Verbrecher unter den Verbrechern.“

„Würde ich so nicht sagen. Wir einfachen Anhänger ohne Rang betrachten sie eher als die Robin Hoods der Szene. Sie halten die Könige ein bischen auf dem Boden der Tatsachen.“
 


 

„Wir vergeuden unsere Zeit.“, murrte Oniji, als sie in ein Auto gestopft und zu einem unscheinbaren Wohnhaus kutschiert worden waren. Dort hatte man sie im Treppenhaus einfach sitzen lassen, mit der Bitte zu warten. Und da saßen sie nun. Seit fast einer halben Stunde schon.

„Das sehe ich im Moment noch nicht so. Die Joker sind nicht gegen uns.“

„Sag mal, hast du Safalls Handynummer?“, wechselte der Student das Thema.

„Klar, wieso?“

„Kann ich sie haben?“

„In der <Hölle> wird Safall ganz sicher kein Telefon haben, glaub mir. Das haben sie ihm weggenommen.“

„Schon möglich. Aber vielleicht kann man es orten!“

Zeda zog eine wütende Miene. „Schlag es dir endlich aus dem Kopf, wie ein heldenhafter Ritter da reinspazieren und ihn retten zu können!“, keifte er, schlagartig stinksauer.

„Ich will ihn nicht heldenhaft retten! Ich will lediglich mit ihm tauschen! Es muss doch möglich sein, daß die ihn gehen lassen und stattdessen mich dort behalten!“

Zeda stöhnte genervt. „Ihm geht es gut! Hör auf, dir Sorgen zu machen!“

„Wie kannst du sowas sagen, nach allem was du mir über die <Hölle> erzählt hast?“

„Sewill hat gesagt, daß er okay ist. Also entspann dich!“

„Woher will sie das wissen? War sie jemals da?“

„Jetzt hör mir mal zu!“, schnappte der Gothic ärgerlich. „Sewill ist die begnadetste Hellseherin und Wahrsagerin der ganzen Kreuz-Blutlinie! Und sie hat die Karten befragt, wie es ihrem Bruder geht, der ihr mehr als alles andere auf der Welt bedeutet! Wenn sie sagt, er ist in Ordnung, dann IST er verdammt nochmal auch in Ordnung! Und sie hat noch nie falsch gelegen!“
 

Oniji verschränkte unwillig die Arme und starrte die gegenüberliegende Wand an. Wie konnte Zeda bloß so seelenruhig hier rumsitzen, während sein Freund vermutlich langsam und qualvoll zu Tode gefoltert wurde? „Ich bin trotzdem der Auffassung, daß ich Safall besser suchen sollte. Schließlich ist er wegen mir da drin.“

„Du wiederholst dich, das nervt! Es geht hier nicht um dich!“, meckerte Zeda weiter. „Oder um Safall! Verstehst du das nicht? Shaishu und Namai waren so höflich, euch nicht gleich in aller Öffentlichkeit und vor aller Augen den Krieg zu erklären – und mit <euch> meine ich unsere gesamte Kreuz-Blutlinie! – sondern haben Safall die Zeit und die Gelegenheit gegeben, das wieder auszubügeln. Aber er kann gerade nicht, weil der Kreuz König ihn weggesperrt hat. Darum hat er uns geschickt, damit wir das wieder geradebiegen! Nur darum sind wir hier! In unseren Händen liegt die Entscheidung über Krieg oder Frieden zwischen zwei ganzen Blutlinien!“ Zeda starrte Oniji durchdringend an, als müsse er dieses Verständnis und diese Ladung Argumente mit purem Willen in dessen Kopf hineinprügeln.

Oniji hielt dem Blick nur einen Moment Stand, dann musste er zu Boden sehen. „Meine Fresse. Und alles nur, weil ich in einer Kneipe von einer Frau angerempelt wurde.“, murmelte er kopfschüttelnd.

„Kommt jetzt bitte rein!“, unterbrach eine Stimme aus dem Hintergrund ihre Diskussion. Nani Ka, einer der Joker vom Sky Tree Tower, war in der Tür erschienen und winkte die beiden zu sich.

Zeda schnaufte, als er verstand, was hier gespielt wurde.



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