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*~Au revoir, mon amour ... ~*

Fehler zu machen ist menschlich. Auch wir beide haben Fehler gemacht. Wir haben beide einen zu viel gemacht, den größten Fehler unseres Lebens. Was aber gibt meinem Herzen das Recht, weiterzuschlagen, während deines langsam, Stück für Stück, starb..?
von

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*~ Au revoir, mon amour ... ~*
 

Ein Blick durch die trübe Fensterscheibe offenbart die graue Wolkendecke, soweit das Auge reicht. Auch hier zeigt sich das Wetter nicht von seiner schönsten Seite. Der aktuellen Uhrzeit nach zu urteilen, ist es allerdings auch nicht mehr von Wichtigkeit. Bald wird die Dämmerung über dieses Stück Land hereinbrechen und die Sonne untergehen – auch, wenn diese nicht zu sehen ist.

Als ob das Wetter allgemein von Wichtigkeit wäre. Um ehrlich zu sein, realisiere ich die Wolken erst jetzt. Unterwegs bin ich bereits mehrere Stunden. Und wenn es noch weitere Stunden dauern würde, ich würde alles daran setzen, dich heute zu besuchen.

Nein, die anderen wissen nicht Bescheid. Und das ist auch besser so. Sie hätten sowieso versucht, mich davon abzuhalten. Außerdem wollte ich sie auch nicht mitnehmen. Ich wollte dich allein besuchen …
 

Give me a reason to believe that you're gone.

I see your shadow, so I know they're all wrong.

Ich weigere mich, ihnen zu glauben. Ja, ich weiß, ich spreche hier von meinen Freunden.  Meinen besten Freunden. Unseren Freunden. Aber sie wissen nichts von meinen Gefühlen. Sie wissen nicht, was mein wahrer Wunsch ist. Ja, auch sie trauern. Versuchen trotzdem, für mich stark zu sein, mich abzulenken und mich auf andere Gedanken zu bringen. Aber sie akzeptieren nicht, dass ich das überhaupt nicht möchte. Ich will nicht von dir abgelenkt werden, ich will an nichts anderes denken – du hättest mich verstanden …
 

Die plötzliche Durchsage des Zuges riss mich aus meinen Gedanken:

„Liebe Fahrgäste. Aufgrund eines technischen Zwischenfalls kommt es zu einem längeren Aufenthalt. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Kurz wende ich meinen Blick vom Fenster und den Wolken ab. Ich habe nicht einmal die Menschenmasse bemerkt, die sich während der Fahrt in dem Zug angesammelt hatte. Da es nun wohl eine Zeit dauern wird, bis sich das Fahrzeug wieder in Bewegung setzt, steigen viele von ihnen aus. Im Lauf der Zeit steigen auch einige Menschen zu, in der Hoffnung, die Fahrt konnte in Kürze fortgesetzt werden. Und zwischen den Menschen denke ich wiederholte Male, ich hätte dich gesehen. Einige Male bin ich kurz davor, deinen Namen zu rufen – ehe sich die Menge lichtet und ich feststellen muss, dass du nicht hier warst …

Ich senke meinen Kopf und starre den grauen unteren Teil des Zuges geistesabwesend an. Tief in meinem Inneren weiß ich ja, dass ich dich nicht mehr sehen werde. Zumindest nicht in physischer Form, wie hier. Jedoch verging bisher keine Nacht, in der ich nicht von dir träumte … ich weiß, du bist, ungeachtet der Distanz, hier bei mir. Du würdest mich doch niemals völlig verlassen … Zählt es denn nicht, dass ich bei jedem Blick, bei jedem Gedanken, dich an meiner Seite spüre … ?
 

Unseren Freunden zufolge: Nein. Einige von ihnen finden es absolut unangebracht, dass ich ihnen immer wieder erzähle, du wärst nach wie vor bei mir. Trotz allem. Die anderen spielen ihr übliches Ablenkungsprogramm ab. Manchmal habe ich den Eindruck, sie haben selbst so viel Spaß, dieses Programm durchzuziehen, und vergessen, was sie damit erreichen wollen.

Es würde ihnen ohnehin nicht gelingen. Ich weiß, dass sie falsch liegen. Ich spüre doch deine Anwesenheit, ich höre deine Worte, ich sehe jede einzelne deiner Reaktionen … du bist nicht gegangen. Du bist immer noch hier.
 

Eine ruckartige Bewegung des Zuges lenkt meine Aufmerksamkeit erneut auf den fahrbaren Untersatz, in dem ich mich befinde. Offenbar scheint die Störung behoben zu sein. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie lange der Aufenthalt in der Station gedauert hat. Jedoch scheint es eine Zeit gewesen zu sein, denn mittlerweile bricht die Dämmerung an. Von einem Sonnenuntergang ist nicht die kleinste Spur zu sehen. Die Wolken verhindern die Sicht auf den stets leuchtenden, hellen Kreis. Genau, wie die physische Welt versucht, die Sicht auf dich zu verhindern. Sie hat Erfolg – zumindest bei den anderen. Nicht bei mir …
 

An der nächsten Station ist es also so weit … jemand sagte, ich hätte nicht die Kraft, dich zu besuchen. Ein anderer Kommentar beinhaltete, ich müsse endlich mit „dem Thema“ abschließen. Ich weiß nicht mehr, welche unserer Freunde diese Aussagen von sich gaben. Ich weiß nur, dass sie Unrecht haben. Sie wissen absolut nichts von mir, von meiner Kraft und von „dem Thema“. Leute, „das Thema“ hatte einen Namen … nein, es hat einen. Und der Titel lautet Liebe. Liebe, die selbst der Tod nicht scheidet.
 

Ich steige aus dem Zug aus und überquere die Straße. Sanft streift der Wind durch meine Haare. Ja, es stimmt, dieser Weg hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Vor allem früher war ich oft hier. Bei dir. Bis ich den Fehler machte, den anderen zu sagen, wo ich mich aufhielt, wenn sie mich nicht fanden. Doch heute ist an dieser Straßenecke irgendetwas anders … lediglich ein neuer Laden, der erst vor kurzem eröffnet hat, wie ich bei näherer Betrachtung feststelle. Ein Blumenladen – wie überraschend für diese Gegend. Jedoch muss ich zugeben, die Blumen sehen wesentlich besser als bei all den anderen Läden in der Umgebung aus.

Einige Minuten später stehe ich vor der Kasse und bezahle. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag der Liebe!“, verabschiedet sich die junge Verkäuferin voller Enthusiasmus von mir. Ohne zu antworten nehme ich die Ware und verlasse den Laden. Ich habe mir aus solchen Tagen noch nie viel gemacht. Doch seit diesem Tag ist mir der sogenannte „Tag der Liebe“, Valentinstag, wie die meisten Menschen ihn nennen, einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der bedeutsamste Tag meines Leben. Schließlich nahm er mir, was mir das wichtigste in meinem Leben war …
 

Moonlight on this soft brown earth – it leads me to where you lay.

They took you away from me, but now I'm taking you home!

Ich weiß nicht, wie lange ich schon unterwegs bin. Es ist auch nicht von Bedeutung. Lediglich der Mond teilt seine sanft glänzenden Strahlen mit mir. Wie immer bin ich allein auf dieser Straße, und das Dämmerlicht macht es mir ein wenig leichter, den Weg zu erkennen. Das große Stahltor ist, wie stets, weit geöffnet. Jetzt ist es nicht mehr weit. Und wie jedes Mal gehen mir auf diesem Weg die Erzählungen der anderen durch den Kopf. Schließlich war ich nicht dabei. Schließlich konnte ich dir nicht helfen, dich nicht einmal in deinen letzten Stunden begleiten. Ja, mein Verstand sagt mir, was dich mir weggenommen hat, aber mein Herz, meine Seele, macht nicht den leisesten Ansatz, zu verstehen. Ich will es auch nicht verstehen.
 

Kurz bleibe ich stehen, als etwas Weiches, Fellartiges meine Beine berührt. Ich beuge mich hinunter und sehe – Pharaoh. Hat er mich etwa den gesamten Weg über verfolgt? Als ich heute meine letzte Stunde hielt, war er definitiv noch in der Schule.

An dem Ort, an dem ich dich kennenlernte. An dem Ort, an dem auch die zarte Blüte unserer Liebe erblühte. An dem Ort, an den zurückzukehren mir so schwer fiel. An dem Ort, an dem ich heute unterrichte, jene Tätigkeit ausübe, die ich dir gegenüber stets als meinen „Traum der Zukunft“ bezeichnete. Heute weiß ich, dass mein wahrer „Traum der Zukunft“ nicht mehr Realität werden wird …

Ich bin dankbar, dass lediglich ich diesen Beruf gewählt habe. So musste ich mich vor niemandem rechtfertigen und nichts erklären. Die wenigen Leute, die dich kannten, stellen mir keine Fragen. Professor Chronos bot mir sogar an, am heutigen Tag meinen Unterricht zu übernehmen. Doch ich lehnte ab. Ich war nie das typische Mädchen gewesen, schwach und hilfsbedürftig. Ich weiß, warum ich auch nach all den Ereignissen an diesem Beruf festhalte. Die Schule war der Ort, an dem ich die Erinnerungen mit dir ein Teil meines Lebens geworden sind. Jeder Klassenraum, jeder blau gekleidete Schüler, jeder Grashalm trägt diese Erinnerungen. Und allen voran steht auf der Insel – nein, unserer Insel – der Leuchtturm, zu dem ich noch heute gehe und meinen Gefühlen freien Lauf lasse, wenn sie stärker sind, als meine Seele es erträgt.
 

Pharaoh scheinen die Streicheleinheiten, die ich ihm gebe, zu gefallen. Aber ich bin nicht seinetwegen hier. Jeden Schritt, den ich nun mache, habe ich diese Katze neben mir. Ich wollte doch allein sein … ich wollte nicht einmal ihn hier haben. Ich will dich ein einziges Mal für mich allein haben – ein letztes Mal noch …

Ich hebe Pharaoh unter dessen Protest-Miauen hoch: „Bitte geh. Warte am großen Tor auf mich.“ Anschließend setze ich ihn wieder ab und hoffe, dass er meiner Aufforderung nachkommt. Jedenfalls liegt meine Konzentration nicht auf ihm. Selbst wenn ich will, ich kann ihn auch nicht mehr sehen. Meine Augen füllen sich bereits jetzt mit Tränen. Mit jedem einzelnen Schritt, der mich näher zu dir führt, verliere ich ein Stück die Kontrolle über meine Gefühle. Jedes einzelne der unzähligen Male, in denen wir zusammen waren, kommt Stück für Stück zurück in meine Erinnerung. Jede einzelne Umarmung, die du mir gabst, jeder einzelne Kuss, den wir teilten – es ist, als wärst du nie gegangen …
 

Mit einem Mal bleibe ich stehen. Ohne dies zu beabsichtigen. Mein Unterbewusstsein sagt mir, ich wäre angekommen. Als ich meine Augen von den Tränen befreie und einen Blick auf diesen kalten Stein werfe, ist mir klar, dass mein Unterbewusstsein Recht hatte. Ich war an meinem Ziel angelangt …
 

I will stay forever here with you, my love.

The softly spoken words you gave me -

Even in Death our love goes on.

Ich stehe vor dem, das die Leute die „ewige Ruhestätte“ nennen. Deine „ewige Ruhestätte“. Sie war nach wie vor hübsch dekoriert. Die bunten Blumenkränze, die unsere Freunde regelmäßig in Auftrag geben, liegen vor dem Stein, als wäre es erst gestern gewesen …

Allem Salzwasser zum Trotz, das meinen Augen entweicht, muss ich kurz lächeln. All diese Dekoration, insbesondere diese knallbunten Blumen, hätte dir niemals gefallen. Du hättest sie dir vermutlich kurz angesehen, etwas entnervt geseufzt und wärst weitergegangen. Und trotzdem bin auch ich so blöd und habe dir eine dieser Art mitgebracht. Ich stecke das Papier, das die Verpackung darstellte, so gut es ging in die Tasche meiner Jacke. Wie so oft schaffe ich es auch diesmal nicht, diese „Blume der Liebenden“ zu berühren, ohne gleichzeitig den Schmerz der Dornen zu spüren. Aber im Vergleich zu dem Schmerz, den meine Seele seit Jahren erträgt, ist dieser kleine Stich kaum spürbar.
 

Die Erinnerung an das erste Geschenk, das ich von dir erhielt, findet ihren Weg in meine Gedanken. Es war ein Strauß Rosen. Und tollpatschig, wie ich leider von Zeit zu Zeit bin, schaffte ich es auch damals, mich an ihnen zu stechen. Du nahmst mir die Blumen sofort aus der Hand, stelltest sie in die bereits vorbereitete Vase und versorgtest meine in Wahrheit absolut irrelevante Wunde mit einem Pflaster. Da dir auch ohne Erwähnung meinerseits klar wurde, dass mir mein kleine Missgeschick unangenehm war, gabst du mir einen Kuss, strichst mir übers Haar und nahmst mir das Gefühl, unfähig zu sein.  

Ich würde alles dafür geben, diesen Moment noch ein Mal zu erleben … noch einmal deine Hand auf meinem Haar zu spüren, noch einmal deinen Kuss erwidern zu können …
 

Wieder höre ich deine Stimme. Jedes einzelne Wort, mit dem du mir stets Mut zusprachst und mich getröstet hast – sie sind unser Geheimnis. Ohnehin würden mir die anderen nicht glauben, wenn ich ihnen erzählte, wie einfühlsam du warst. Wie du mit so wenigen Worten alles Nötige, und noch viel mehr, ausdrücken konntest. Und allem voran ist der Klang dreier deiner Worte stets in meinem Ohr: „Ich liebe dich.“
 

In all diesen Erinnerungen lebend, realisiere ich nicht, wie sehr ich den Stängel der dunkelroten Rose mit beiden meiner Hände zusammendrücke. Nein, ich beschädige sie damit nicht. Die Rose sieht aus, als hätte sie Morgentau auf ihren Blättern. Das Wasser glänzt in den schönsten Farben im fahlen Mondlicht. Doch es handelt sich lediglich um meine Tränen, die einfach nicht versiegen. Meinen Blick weiter Richtung Boden richtend, sehe ich auch kleine Bluttropfen, die wohl die Dornen der Rose an meinen Händen verursacht haben. Nach wie vor spüre ich allerdings keinen Schmerz. Zumindest keinen, deren Ursache diese minimalen Verletzungen war …
 

Ich führe die Rose zu meinem Mund und berühre ihre Blätter mit meinen Lippen. Vielleicht konnten sie dir einen letzten Kuss von mir übermitteln, zu dem ich nie die Gelegenheit hatte …

Eine weitere Träne lauft über mein Gesicht. Und wieder ist die Erinnerung Herrin über meine Gedanken geworden …

Als mein Bruder nach seinem Auftauchen für so lange Zeit im Spital lag, war ich, wann ich nur konnte, bei ihm. Auch du warst von Zeit zu Zeit an meiner Seite. Ich hatte solche Angst um ihn, dass ich fast jede Nacht, die ich bei ihm verbrachte, weinte. Doch du hast jede einzelne Träne von meinem Gesicht entfernt. Allein deine sanften Berührungen waren alles, was ich brauchte. Du musstest nichts sagen. Das war uns schon damals klar …
 

Plötzlich spüre ich etwas Nasses auf meinem Kopf. Es beginnt, leicht zu regnen. Sogar der Himmel weint … Grund hatte er allerdings, im Gegensatz zu mir, keinen. Er hatte schließlich seinen schönsten Engel zurück …

Langsam setze ich mich auf die mittlerweile etwas feucht gewordene Erde. Meine linke Hand findet den Weg zu jener Stelle, unter der mein Herz lag, das sich nun so schwer anfühlte. Ich weiß, dass das, was ich hier spüre, kein Vergleich zu den Schmerzen ist, die du in deinen letzten Tagen ertragen musstest. Und trotzdem fühlt es sich so unerträglich an …

In meiner rechten Hand die dunkelrote Rose, die ich nun langsam auf all den anderen Blumen, Kränze und Dekorationen platziere. Sie passte zu dir – diese Blümchen wirkte so edel im Gegensatz zu allem anderen hier. So, wie du immer warst …
 

Some say I'm crazy for my love , my love …

But no bonds can hold me from your side, my love …

Ich höre bereits wieder die Kommentare der anderen in meinem Kopf. Ich soll doch endlich loslassen, ich soll die Wahrheit akzeptieren, ich soll wieder so sein, wie sie mich kannten …

Erst letzte Woche, als wir zusammen in einem Restaurant Abendessen waren, benahmen sich ausnahmslos alle wie kindliche Idioten. Beispielsweise führte Judai Zielschießübungen mit aus Servietten geformten Kügelchen aus, indem er in die Zwischenräume des Kartenhauses, das dein Bruder zuvor mit einiger Präzision auf die Beine gestellt hatte, zielte. Den Vogel schoss natürlich wieder einmal Fubuki ab, als er im Hawaii-Hemd auf einem der Tische stehen Ukulele spielte und dazu sang. Wir wurden danach zwar freundlich gebeten, das Restaurant zu verlassen, aber ich muss gestehen, sie versuchen wirklich alles, um mir ein besseres Gefühl zu geben. Doch der einzige, der das wirklich erreichen könnte, bist du …

All die Zeit über, in der unsere Freunde Aktionen wie die oben genannten lieferten, dachte ich lediglich an den leeren Platz neben mir. Vermutlich hatten sie diesen erst gar nicht bemerkt. Schließlich sind die Sitzplätze nicht konkret auf alle Gruppengrößen zugeschnitten. Doch mir war klar: Dieser Platz gehörte dir, Ryō …
 

In anderen Momenten schaffe ich es nicht, so hervorragend zu spielen wie in diesem Restaurant. Dann muss ich mir wieder anhören, dass du tot bist. Dass du nie mehr zu mir zurückkehren wirst. Dass das eine Macht ist, die stärker ist, als wir es sind. Und, dass sie alle für mich da sind, wenn ich traurig bin oder wenn ich jemanden brauche …

Nein, sie liegen falsch. Sie liegen mit all ihren Worten so unglaublich daneben. Wahre Liebe kann nicht sterben, nicht, wenn man sie nicht vergisst. Und ich weiß, dass ich in dem Moment, in dem ich nicht mehr an dich denke, meinen letzten Atemzug in diese Welt hauchen werde.

Liebe ist stärker als der Tod. Du hast lediglich die Fesseln, die dich an diese Welt binden, abgelegt. Tod ist doch nur die Bezeichnung der Menschen dafür, dass jemand in die andere Welt eingetreten ist. Dort lebst du weiter, das weiß ich. Dort hast du keine Schmerzen mehr. Dort leidest du nicht mehr unter deiner Vergangenheit. Seit langer Zeit geht es dir an diesem Ort bestimmt wieder gut …

Warum nur musstest du mich hier zurücklassen …?
 

Ich bemerkte die Kälte, den Regen und den Schmutz der Erde auf meinen Knien schon lang nicht mehr. Ich weiß auch nicht, wie viele Tränen schon den Weg zum kalten Boden gefunden haben, oder wie lange ich schon hier bin. Es ist auch absolut irrelevant. Trotz all meiner Trauer,  meinen Tränen und dem Schmerz in meiner Seele fühle ich mich dir nahe. Das ist alles, was ich will …
 

They don't know you can't leave me

They don't hear you singing to me!

Und obwohl du nicht mehr physisch bei mir sein kannst, mich nicht mehr in den Arm nehmen oder mich mit deinen kleinen, sanften Berührungen beruhigen kannst – in jenen Momenten, ich denen ich wirklich nicht mehr weiter weiß und schon so oft nur noch Sekunden davon entfernt war, dir zu folgen, höre ich deine Worte. Ich weiß, du würdest nicht wollen, dass ich jetzt in deine Welt übertrete. Du würdest mir sagen, dass du nur ein Kapitel in meinem Leben warst und ich nun das nächste aufschlagen werde. Aber Ryō, du warst viel mehr für mich … du warst nicht nur ein Kapitel, du warst mein Leben …
 

In jener Nacht, als Fubukis Zustand nach seinem Duell der Schatten gegen Judai sich verschlechterte, so dass ich nicht mehr zu ihm durfte, nahmst du mich mit in dein Zimmer. Auch damals weinte ich und hatte Angst, meinen Bruder diesmal endgültig zu verlieren. Du bliebst meinetwegen die ganze Nacht wach. Mit keinem deiner Worte hast du mich jemals belogen, wie die anderen es mir gegenüber jetzt tun. Du zeigtest mir andere Blickwinkel der Situation, die nicht so dunkel, so negativ waren wie meiner. Ich weiß, dass auch die anderen mich jetzt lediglich trösten und mich nicht belügen wollen, aber jedes ihrer Worte ist ein weiterer Stich in meine Seele. „Du bist stark, du kommst darüber hinweg.“ - „Es wird alles gut.“- „Die Zeit heilt alle Wunden.“
 

Nein, verdammt nochmal! Ich bin nicht stark. Nicht mehr. Außer Trauer fühle ich nichts mehr. Ich kann nicht akzeptieren, dass du für immer weg sein sollst … ich will es nicht akzeptieren. Du warst noch so jung, unsere Liebe wie ein kleines Gänseblümchen im Garten. Ein Blümchen, das den kalten Winter der Realität nicht überlebte. Wie hätte ich je damit rechnen können, dich auf einmal zu verlieren?
 

Nein, es wird nicht alles gut! Wie kann je etwas „gut“ werden, wenn der Vorfall nicht gutzumachen ist? Wie kann je Normalität, geschweige denn Freude, einkehren, wenn mir der wichtigste Mensch in meinem Leben genommen wurde …?
 

Nein, die Zeit heilt keine Wunden! Man gewöhnt sich lediglich an den Schmerz. Doch ich habe nicht die Kraft, mich an diesen Schmerz zu gewöhnen. Ich will es auch gar nicht … wenn die Erinnerung an dich nicht mehr wehtut, weiß ich nicht mehr, wie es war, dich geliebt zu haben und von dir geliebt zu werden …

Wie soll die Zeit Wunden heilen, wenn ich selbst nach Jahren hier vor deinem Grab in der durchnässten Erde sitze und meine Tränen kein Ende kennen? Wenn der Schmerz an den Gedanken, dass du mich hier allein gelassen hast, selbst nach Jahren nicht leichter wird … Wie konntest du nur einfach so gehen … ?
 

Ja, sie sind ja trotz allem immer noch meine … nein, unsere Freunde. Aber sie verstehen nicht, wie es ist, morgens allein in unserem Bett aufzuwachen, allein zu frühstücken, ohne Kuss und Verabschiedung zur Arbeit zu gehen. Einfach die Türe hinter mir zuzusperren und unser ehemaliges Ferienhaus leer stehen zu lassen, so, als ob es dich nie gegeben hätte. Abends nach Hause zu kommen, wieder allein zu essen und allein in jenem Bett zu liegen, das immer uns beiden gehört hat. Deine Seite ist seitdem leer … sie wissen nicht, dass ich mich jede Nacht in den Schlaf weine. Dass ich jede Nacht dein Kissen in den Arm nehme und davon träume, wovon ich wirklich nur noch träumen kann. Sie würden es wohl auch nicht verstehen.

Ja, die Nacht bringt Melancholie mit sich. Der Tag lässt alles möglich erscheinen, die Nacht hingegen entführt mich in die Realität. Eine Realität, die wie ein einziger Alptraum wirkt. Ein Alptraum, aus dem ich nie wieder erwachen werde.
 

I will stay forever here with you, my love.

The softly spoken words you gave me -

Even in Death our love goes on.

And I can't love you anymore than I do …

Erst jetzt realisiere ich, dass mein Kopf auf einem der Kränze lag, und mein Gesicht mitten in den Blumen. Ein Blick auf diese verrät mir, dass sich mein dezent gehaltenes Make-Up seines ursprünglichen Platzes entledigt haben musste. Ich kümmere mich nicht weiter darum. Du hast mich so oft weinen gesehen, dass das eine Mal hier und jetzt auch keine Rolle spielt. Im Versuch, meine Haare zu befreien, die sich in etwas verfangen hatten, hielt ich die Schleife, die zum Blumenkranz gehörte, in meiner Hand. Die Aufschrift war in simplen Buchstaben gehalten: „Kaiser Ryō, Ruhe in Frieden.“
 

Du warst viel mehr als lediglich mein Freund, und auch weit mehr als meine Liebe. Du warst in allen drei Jahren an der Duellakademie der beste Student, du hattest so gut wie immer die Höchstpunktezahl in allen Leistungsfeststellungen erreicht. Jeder Schüler wollte so sein wie du. Doch dich hat das alles nie beeindruckt. Du hast, im Gegensatz zu all den anderen Obelisken, jeden respektiert.

Als du nach deinem Abschlussduell in die Pro League gewechselt hast, hattest du die gesamte Akademie hinter dir. Dein Duell wurde sogar am gesamten Gelände live übertragen, den Unterricht haben die Professoren dafür ausfallen lassen.

Was aber ist dann mit dir passiert…? Ich wünschte, ich wäre nie dieser Gesellschaft des Lichts beigetreten. Dann hätte ich für dich da sein können, als du mich brauchtest … und dich vielleicht davor bewahren können, dieses Schicksal zu erleiden. Manjoume, dieser Idiot, ist schuld an allem … ich weiß nicht, was dich nach diesem Duell so verändert hat. Ich weiß nur, dass ich dich niemals allein gelassen hätte, hätte ich erkannt, wie schlecht es dir geht ….

Diese Untergrundduelle haben nicht nur deine Seele, sondern auch deinen Körper zerstört … aber es passt zu dir, dass du nicht irgendwo auf deinen Tod warten wolltest. Du wolltest bei der Tätigkeit sterben, die deine Leidenschaft war. Ich bereue so sehr, dass ich dir nicht einmal bei deinem letzten Duell zur Seite stehen konnte.
 

Vorsichtig lege ich die Schleife wieder hin, wie sie zuvor lag. In Wahrheit ist es völlig gleichgültig, da durch den Regen das Arrangement ohnehin nicht mehr aussieht, wie es aussehen sollte. Ich könnte zumindest die Dekorationen und Blumen wieder alle an ihren Platz bringen, jedoch fehlt mir die Kraft, aufzustehen. Sanft berühre ich mit meiner Hand erneut die dunkelrote Rose, die ich dir mitgebracht habe. Es ist, als könnte ich dich durch sie wieder spüren … ein letztes Mal meine Hand in deine legen …
 

Ja Ryō, ich weiß, du würdest mich so nicht sehen wollen. Ich kann einfach nicht mehr. In der Zwischenzeit habe ich auch aufgehört zu weinen. Ich habe wohl keine Tränen mehr in mir. Mein gesamter Körper zittert, es fällt mir schwer, zu atmen. Ich habe dich geliebt, nur dich. Ich weiß, du würdest mir sagen, dass ich mich wieder verlieben soll. Du würdest mir die Tränen vom Gesicht küssen und mich darum bitten, wieder zu leben, wie früher. Und bitte glaube mir, es tut so weh, dir nicht einmal diesen Wunsch erfüllen zu können. Die Liebe, die wir hatten, war etwas Einzigartiges. Vielleicht werde ich irgendwann wieder lachen können. Aber ich werde niemals wieder so lieben, wie ich dich geliebt habe …
 

Ich drehe mich ruckartig um, als ich ein Geräusch hinter mir vernehme. Doch es war wohl nur der Regen, der vom Blatt eines Baumes hinuntertropft. Als ich die Umgebung kurz betrachte,  wird mir bewusst, wie lang ich hier sein musste. Am Horizont bahnt sich bereits die Sonne ihren Weg hoch auf das Firmament. Anstelle des fahlen Mondlichts fällt nun ein Sonnenstrahl auf dein Grab. Trotz meinen Tränen, die nicht mehr kommen wollen, und meiner Trauer schleicht sich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen. Es wirkt, als wärst du selbst hier einzigartig. Der einzige Sonnenstrahl, der im Moment den Friedhof erhellte – und er sucht sich ausgerechnet deine „ewige Ruhestätte“ aus. Wie ich all diese Worte hasse. Sie haben etwas Deprimierendes, etwas Endgültiges an sich. Aber nach der heutigen Nacht weiß ich, wo auch immer du bist, du bist bestimmt nicht für immer gegangen. Du bist selbst jetzt noch an meiner Seite, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Ein letztes Mal noch nehme ich die Rose, küsse sie sanft, so, wie ich dich immer geküsst habe, und platziere sie wieder dort, wo sie hingehört – über all dem anderen Blumen. Erneut finden zwei Tränen ihren Weg zum Erdboden, jedoch waren sie nicht mehr so voller Schmerz wie all die unzähligen in der Nacht zuvor.

Langsam stehe ich auf, versuche, so gut wie möglich, meinen Körper und meine Kleidung von der nassen Erde zu befreien. Dabei bemerke ich, dass das Papier, in dem die Rose verhüllt war, noch in meiner Jackentasche steckt. Ich nehme es heraus und suche den nächsten Mülleimer. Mir ist nun bewusst, dass ich keine materiellen Gegenstände brauche, um nah bei dir zu sein – ich habe die Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit, die kann mir niemand nehmen und sie sagt mir, dass du immer bei mir sein wirst.

Zurückgekommen, fällt mein Blick auf den Stein, der auch alle anderen Personen stets an dich erinnern wird. Vermutlich bin ich jedoch eine der wenigen Personen, die wissen, wer du wirklich warst. Dafür bin ich dir sehr dankbar – und auch dafür, dass du mir vertraut und mir deine Liebe geschenkt hast. Ich werde dich nie vergessen, Ryō.
 

People die, but real love is forever.

Als ich meine Hände in meinen Jackentaschen wandern lasse, finde ich Klebezettelchen vom heutigen Unterricht sowie einige Schreibmaterialien. Ich nehme den Kugelschreiber und schreibe, kaum leserlich, mit zittriger Schrift zwei Zeilen auf eins dieser Zettelchen. Anschließend beuge ich mich ein Stück nach unten, um mein Geschenk an dich ein letztes Mal in die Hand zu nehmen und das Zettelchen am Stängel der Rose zu befestigen.
 

Ich werde niemandem sagen, wo ich die Nacht verbracht habe. Ich weiß genau, was ich mir dann wieder anhören darf. Ja, sie sorgen sich um mich, ich weiß. Aber diese eine Nacht war fast wie eine letzte Nacht mit dir. Sie hat mir mehr geholfen, als jede Therapie und jeder Ablenkungsversuch unserer Freunde das könnte. Vielen Dank, Ryō. Selbst nach deinem Tod bist du für mich da. Jetzt ist mir klar, dass du mich nie allein gelassen hast und nie allein lassen wirst. Ich liebe dich, und ich werde dich immer lieben.
 

Der Alarm meines Handys macht mich darauf aufmerksam, dass ich mich langsam auf den Weg zur Arbeit machen sollte.

Ein letztes Mal werfe ich einen Blick auf den Stein, in den dein Name eingraviert ist, und all die Dekoration darunter. Dabei stelle ich fest, dass meine Schrift doch ein wenig besser lesbar ist als gedacht. Mit einem leichten Lächeln hoffe ich, dass du, wo auch immer du bist, meine Botschaft auch lesen kannst …
 

„Du wirst immer in meinem Herzen sein. Ich freue mich auf unser Wiedersehen.

In Liebe, deine Asuka.

Asuka Marufuji"


 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SasuHina-4ever
2018-10-10T23:22:38+00:00 11.10.2018 01:22
ein sehr schön geschriebene ff sehr emotional müsste sogar fast weinen. ich finde den satz Liebe, die selbst der Tod nicht scheidet. einfach passent für Ryo und Asuka. Liebe Grüsse Traumhaften Tag Abend oder Nacht.


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