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Vergessenes Schicksal

von

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Kapitel 2 - VERDANDI

Es war als hätte man eine Zigarette auf einem Foto ausgedrückt und zurück blieb nur ein Brandloch, das eine Erinnerung halb zerstört hatte. Dieses Gefühl der Unvollständigkeit begleitete Sigyn schon die ganze Zeit, doch jetzt hatte sie keine Zeit sich um dieses Problem zu kümmern. Es gab ein anderes Problem.

Dieses Problem stand in Form einer riesigen, schemenhaften Babypuppe vor ihr, das mit seiner Hand immer wieder nach ihr schlug und dabei laut lachte. So, als wäre das Ganze nur ein Spiel. Für Sigyn jedoch war das alles andere als ein Spiel und sie wich flink der Hand der Schattenpuppe aus, die immer wieder erbarmungslos nach ihr ausschlug, so wie eine Fliege von einer Fliegenklatsche verfolgt wurde.

Angestrengt dachte sie nach, um eine Möglichkeit zum Gegenangriff zufinden. Ihre einzige Waffe, ein Köcher voll mit Pfeilen, welcher sich zwar auf unerklärliche Weise immer selbst auffüllte, war nicht gerade für den Nahkampf geeignet. Und wenn sie immer wieder den Schlägen ausweichen musste, würde sie keine Möglichkeit finden, einen Pfeil abzuschießen.

Wieder wich sie der herabsausenden Hand aus und stolperte dabei über eine freiliegende Wurzel eines nahestehenden Baumes. Ihr rechter Fuß verfing sich und als sie ihn hektisch herausziehen wollte, knackte es auf einmal. Ein stechender Schmerz durchfuhr Sigyn, als sie versuchte aufzutreten. Dem nächsten Schlag des Schattenmonsters konnte sie nicht mehr ausweichen und so wurde sie mehrere Meter durch die Luft geschleudert. Hart prallte sie auf das feuchte Gras und war dankbar, dass der Regen heute Morgen den Boden wenigstens etwas aufgeweicht hatte. Doch sie hatte keine Zeit sich auszuruhen, denn das Monster griff erneut an. Und es verfehlte sie nur knapp, denn in letzter Sekunde rollte sich Sigyn nach links. Doch dem nächsten Schlag konnte sie nicht mehr ausweichen, das wurde ihr klar, als sie die herabsausende Hand kommen sah. Ängstlich kniff sie ihre Augen zusammen und drehte den Kopf zur Seite. War das ihr Ende?

„Platz da!“ Eine laute Stimme drang an ihr Ohr und sie spürte, wie etwas an ihr vorbeisauste. Neugierig öffnete sie wieder ihre Augen und sah, wie sich eine junge Frau mit langen, blonden Haaren einen erbitterten Kampf gegen das Monster lieferte.

Fassungslos sah Sigyn ihr dabei zu, wie ihr Schwert die Hand der Puppe durchtrennte. Diese fiel zu Boden und verdampfte, so als wäre sie nie dagewesen.

„Du bist dran.“ Neben sie trat eine weitere junge Frau, an deren braunem Fransenrock ein mit Ornamenten verziertes Beil baumelte. Sie beugte sich runter zu Sigyn und betrachtete ihren verletzten Fuß. „Kannst du aufstehen?“, fragte sie besorgt.

Sigyn schüttelte den Kopf und die Andere seufzte leicht genervt.

„Du musst aufstehen“, erwiderte sie. „Komm, ich werde dir helfen. Es ist dein Monster und du weißt, was das heißt. Nur du kannst es vernichten!“

Sigyn kratzte sich an der Narbe an ihrem Fuß und versuchte erneut aufzustehen. Die Fremde half ihr auf und reichte ihr einen Pfeil aus dem Köcher.

Währenddessen kämpfte die andere Frau immer noch gegen das Monster. Und im Moment sah es schlecht für sie aus, denn mit einem gezielten Hieb schlug die Puppe ihr das Schwert aus der Hand. Eilig machte sie einen Satz nach hinten.

„Los, du musst jetzt schießen!“, rief sie ihr zu. „Schieß jetzt!“

Das ließ sich Sigyn nicht zweimal sagen. Entschlossen legte sie den Pfeil an die Sehne ihres Bogens und richtete die Spitze auf den Kopf des Monsters. Ruhig atmete sie ein, spannte den Bogen … und ließ beim Ausatmen los.

Er fand sein Ziel, er fand immer sein Ziel. Erbarmungslos bohrte sich der Pfeil in den Kopf der Schattenpuppe und ein grelles Licht sorgte dafür, dass sich das Monster auflöste. Erschöpft sank Sigyn wieder zu Boden und blickte dankbar zu ihren beiden Retterinnen.

„Danke“, meinte sie und lächelte. „Ihr seid auch Magisk jente?“

Die beiden nickten.

„Seit wann bist du eine“, fragte die junge Frau und schob ihr Schwert zurück in die Scheide.

„Ich weiß nicht“, erklärte Sigyn seufzend. „Ich bin es einfach schon immer gewesen. Jedenfalls seitdem ich mich erinnern kann.“

„Sollen wir deine Wunde heilen?“, fragte die Andere und schob ihr langes Haar aus dem Gesicht. „Es kämpft sich schlecht mit einem humpelnden Fuß.“

Sigyn nickte. „Dürfte ich vorher noch bitte eure Namen erfahren?“
 


 

Als würde man eine Zigarette auf einem Foto ausdrücken. Das Einzige, was zurückblieb war ein dunkles Brandloch. Sigyn kratzte sich am Kopf und fragte sich, wie sie hierhergekommen war. Sie befand sich im Park, saß auf dem Gras gegen eine Eiche gelehnt. Das Letzte an das sie sich erinnern konnte, war wie sie den Park betreten hatte.

Es raschelte in dem Baum über ihr und sie blickte nach oben. Zwei kleine Mädchen kletterten in den Ästen umher. Für einen kurzen Moment schien Sigyn die Szene bekannt vorzukommen. Schemenhafte Bilder schwebten in ihrem Kopf, und sie streckte ihre Hand aus um sie zu fassen, doch wie Wasser rannen sie durch ihre Finger. Verwirrt schüttelte Sigyn ihren Kopf und atmete tief aus. Bestimmt irrte sie sich. Es gab viele Kinder, die auf diesen Baum kletterten. Bestimmt hatte sie schon öfters irgendwen dort klettern sehen.

Seufzend stand sie auf, nickte den beiden Mädchen zu, von denen eines eine Puppe mit sich trug.

„Pass auf dich auf“, rief Sigyn ihr zu. „Deine Puppe könnte herunterfallen.“

Das kleine Mädchen blickte nachdenklich auf ihr Spielzeug, nickte dann überzeugt und kletterte wieder nach unten.

„Bleib ja hier sitzen, hörst du Lisa?“, ermahnte sie die Puppe, die sie auf Sigyns alten Sitzplatz setzte, ehe sie wieder nach oben zu ihrer Freundin kletterte.

Sigyn lächelte und drehte sich dann um, während hinter ihr das Lachen der Kinder erklang. Wie schön es doch war, noch Kind zu sein. Man verbrachte den ganzen Tag mit Spielen und Nichts tun. Manchmal sehnte sich Sigyn nach dieser Zeit zurück. Die Zeit, die ihr so unklar erschien und an die sie sich nur noch bruchstückhaft erinnerte. Wie zum Beispiel der Tag an dem sie mit ihrer Mutter auf dem Rummel gewesen war. Sie wusste nur noch, dass sie ein Kuscheltier gewonnen hatte. Doch an mehr konnte sie sich nicht erinnern. Ihre Mutter hatte damals so lange gespielt, bis sie den Plüschhund gewonnen hatte. Selbst an sein Aussehen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Nur noch an den Tomatenfleck unter dem linken Auge. Doch mehr wusste sie nicht mehr.

Sie lächelte, während sie in dieser bruchstückhaften Erinnerung schwebte. Damals, war ihre Mutter noch gesund gewesen. Doch dann brach die Krankheit aus. Diese Krankheit, die ihre Mutter langsam von Innen heraus auffraß. Sah man ihre Mutter, so würde man nicht denken, dass sie krank war. Sie war so ein lebensfroher und offener Mensch. Einzig und allein Sigyn wusste, wie sehr diese Krankheit sie doch mitnahm. Und das war der Grund dafür, dass sie Medizin studierte. Sie würde Ärztin werden und dann einen Weg finden, diese Krankheit ihrer Mutter zu besiegen.

Sigyn verließ den Park und machte sich auf den Weg nach Hause. Sie musste noch den Aufsatz über Amnesie fertig schreiben. Aus ihr unerklärlichen Gründen bereitete ihr dieses Thema Schwierigkeiten. Möglicherweise lag es ja daran, dass sie sich momentan selbst so fühlte, als würde ihr Gehirn wie ein Sieb sein, durch das ihre Erinnerungen wie Wasser durch tropften. Vielleicht sollte sie sich einweisen lassen, dachte Sigyn ironisch.

Sie lachte laut und erntete dafür missbilligende Blicke von vorübergehenden Passanten. Eine junge Frau, die auf einer Bank saß und in ein dickes Buch vertieft war, schnalzte genervt mit der Zunge und schüttelte genervt ihren Kopf. Verwundert betrachtete Sigyn die Frau, deren blondes Haar ihr wie ein Vorhang ins Gesicht fiel. Wieso wurde sie das Gefühl nicht los, diese Frau schon einmal irgendwo gesehen zu haben?

Doch sie konnte ihr Gesicht nirgendwo zuordnen. Eilig ging Sigyn weiter. Es bereitete ihr Kopfschmerzen darüber nachzudenken.

Endlich erreichte sie ihr Zuhause. In ihrer Tasche kramte sie nach dem Schlüssel und schloss die Tür auf. Schon im Flur duftete es nach herrlichem Köttbullar und sie lächelte vor Freude. Köttbullar war ihrer beider Lieblingsgericht.

Sie schlüpfte aus den Schuhen, hängte ihre Jacke auf und ging dann zur Küche. Ihre Mutter freute sich bestimmt, wenn sie den Nachttisch vorbereitete. Hinten im Schrank lag noch eine Tüte Vanillepudding. Lächelnd öffnete Sigyn die Tür und entdeckte ihre Mutter, die vornübergebeugt vor der Spüle stand. Sigyn stürzte nach vorne, als sie das Blut entdeckte, welches am Kinn ihrer Mutter klebte.

Sie würde alles tun, um ihre Mutter zu retten, schoss es ihr durch den Kopf.

Wie eine Zigarette, die man auf einem Foto ausdrückte, bis nur noch ein dunkles Brandloch an dieser Stelle übrig blieb. Doch dieses Mal war es so, als würde jemand ein Feuerzeug an das Foto halten und dieses verbrennen, bis nur noch ein Haufen Asche übrig war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  traumherz
2014-10-11T14:16:36+00:00 11.10.2014 16:16
Aloha!

Beim zweiten Kapitel bin ich schon vom Einstieg restlos begeistert (auch wenn mir der vom ersten Kapitel ja schon sehr gut gefallen hatte). Aber yay, Action! Okay, im ersten Satz noch nicht, aber den finde ich auch wirklich toll formuliert. Der Kampf hat mir wirklich gut gefallen. Wie die anderen zwei ihr zur Hilfe geeilt sind, hat die drei Charaktere hier auch noch mal toll miteinander verbunden und ich mag aber auch die Idee, dass es Sigyns Monster ist und sie es deshalb selbst besiegen muss.
Das mit der Puppe im Park hat mich dann aber sehr nachdenklich gestimmt. Ich glaube ohne den Epilog wäre ich hier dann davon ausgegangen dass sich die drei alles vielleicht nur einbilden xD Einfach weil hier so die Puppe erwähnt wird und sie vorher gegen eine Schattenpuppe gekämpft hat und mein Hirn hat daraus gestrickt »hey, was ist, wenn sie gar nicht wirklich kämpfen? Was ist, wenn das alles nur in ihren Köpfen geschieht?« Okay, ich glaube, ich schreibe verworrenes Zeug xD Aber ich erinnere mich auf jeden Fall noch an den Epilog und was da so drin stand, deshalb denke ich, dass meine Theorie hier sehr absurd ist. Aber ich schreibe gerne einfach mal auf was für Gedanken mir so durch den Kopf strömen beim Lesen xD
Übrigens mag ich generell diese schwedische Atmosphäre in der Geschichte. Köttbullar, die Namen der Mädchen, ein Teil der Bücher aus dem ersten Kapitel, der Ausdruck »magisk jente« - echt schön :) Sind so Kleinigkeiten, die ich einfach super finde, weil sie eine Geschichte einfach lebhafter und authentischer machen. (Und für mich als Skandinavien-Liebhaberin ja sowieso genau das Richtige :D)
Generell war mir Sigyn irgendwie auch total sympathisch. Einfach ihr Wunsch, Medizin zu studieren, um ihrer Mutter helfen zu können … das fand ich total schön und ich konnte es wirklich gut nachvollziehen.
Das Ende war dann ziemlich bedrückend ._. Aber so mag ich das ja! Also ist das keineswegs eine Kritik! :)


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