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Jérémy

von

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II.II.I

„Was soll ich dir zum Geburtstag schenken?“ Einfallsreichtum in solchen Angelegenheiten hatte Andrijan noch nie besessen, das gab er gerne offen zu. Wenn man einer Frau Rosen schenkte, hatten die vielleicht zu viele Dornen, und wenn man es stattdessen mit Veilchen probierte, machte man es ihnen auch nicht recht.

Nicht, dass er das jemals versucht hätte, für solchen Blödsinn opferte er nicht seine Ersparnisse, aber man bekam doch an allen Ecken und Enden Geschichten mit, die genau in diese Richtung abzielten.

Egal, was man sich ausdachte, man lag immer verkehrt; schenkte man Seife, war sie dagegen allergisch, kam man mit Pralinen an, wurde man darauf hingewiesen, dass momentan strikte Diät gehalten wurde. Zwar war Karolina nicht ganz so anstrengend wie diverse Fastvorgängerinnen, aber lieber ging er auf Nummer sicher und fragte nach, obwohl das auch nicht sonderlich gut auf die Damenwelt wirkte.

Andrijan war das egal und seine Freundin wusste das auch ganz genau. Sie fand es sogar gar nicht so schlimm, dass er nicht auf Verdacht hin irgendetwas aus irgendeinem verstaubten Laden um die Ecke mitbrachte.

Karolina sah ihn nur an und begann laut zu lachen, als hätte er etwas absolut Dummes gesagt, was aber gar nicht so gemeint war. Erstens lachte sie gerne und zweitens wusste er, was sie ihm damit signalisieren wollte; mit der Zeit verstand er, was im hübschen Köpfchen seiner Freundin vorging, ohne dass sie es ihm offen auf die Nase band.

„Ich ahnte, was du gerne hättest.“

Dass sie gerade schon wieder irgendwelches abstruses Kopfkino erlitt, konnte er ihr an der Nasenspitze ablesen; eigentlich hätte er es höchst bedenklich finden müssen, dass es seine Freundin erregte, wenn er – nicht sie – mit anderen Typen rummachte, aber erstens gewöhnte man sich irgendwann daran, auch wenn es verrückt klang, und zweitens profitierte er davon am meisten.

Wenn dieser Zustand bei ihr eintrat, war sie nämlich furchtbar willig, wenn sie Sex hatten, ließ fast alles mit sich machen und hatte nicht schon nach einer Viertelstunde keine Lust mehr.

Da nahm er es gerne in Kauf, für sie sich ab und zu mit jungen, nicht so ganz heterosexuellen Männern einzulassen und ihr die Ergebnisse auf der Digitalkamera festzuhalten.

Es durfte nur außer ihnen keiner wissen, das wäre Andrijan dann doch zu dämlich gewesen, am Ende hätten noch ernstzunehmende Gerüchte kursiert, gegen die er sich sowieso schon sein halbes Leben lang behaupten musste, obwohl er sich bis zum Kennen lernen mit Karolina nie freiwillig von irgendeinem Kerl hatte anfassen lassen.

„Mit wem dieses Mal?“ Das musste sie bestimmen und arrangieren, immerhin wollte sie etwas zum Gucken haben; er war nur so etwas wie der Hauptdarsteller einer eher ungewöhnlichen Fotostrecke.

„Der Bruder meiner Studienkollegin hat einen französischen Austauschschüler und der ist wohl für so ziemlich alles offen, wenn man ihr Glauben schenken darf. Ich versuche, was in die Wege zu leiten.“

Andrijan wusste nichts dagegen einzuwenden; so hatte er ohne viel Geldaufwand eine glückliche Freundin, die ihn nicht anmeckerte, wenn er ihr beim Vögeln zu fest an den Haaren zerrte.

Ja, das ließ sich schon aushalten.
 

Eine Woche später stand die Verabredung, die Karolina für ihn ausgemacht hatte, und Andrijan stand unschlüssig vor dem Haus besagter Studienkollegin, in dem sich Jérémy bis auf Weiteres häuslich eingerichtet hatte. Es war schon merkwürdig, normalerweise traf er sich mit den Leuten ziemlich am Ende der Welt, meistens im Wald oder so, damit es kein Mensch mitbekam, sie zogen das ohne viel echte Emotion durch – wirklich viel Freude hatte bisher keiner dabei gehabt – und der eine freute sich über eine kleine Finanzspritze, der andere über ein indirektes Bestechungsmittel.

Als Jérémy ihm die Eingangstür sehr schwungvoll vor der Nase aufriss und ihn eine Sekunde höchst überrascht betrachtete, wusste Andrijan, warum Karolina ausgerechnet ihn ausgesucht hatte.

Auf die meisten hatte bisher die Beschreibung groß, schlank, dunkelhaarig zugetroffen, anzuscheinend eine Männervorliebe von seiner Freundin, die er ihr leider nicht vollkommen erfüllen konnte, aber Jérémy durfte man sogar aus rein objektiver Sicht als attraktiv bezeichnen.

Andrijan war sehr stolz auf sein Selbstbewusstsein, ansonsten hätte er längst befürchtet, seine Freundin wollte ihn im Nachhinein mit einem der Fotobekanntsschaften betrügen.

„Bist du Andrijan?“, fragte Jérémy und ließ ihn nicht aus den Augen. „Du siehst…“

„Ja, bin ich, lass uns anfangen.“ Hier ging es nicht um guten Small Talk, Freundschaften schließen oder sich vollschleimen lassen, für Andrijan zählte einzig und allein, was danach rauskam.

„Äh, ja, sicher.“ Etwas überrumpelt von der eher kühlen Begrüßung ließ Jérémy ihn hinein und brachte ihn in das Zimmer, das er von seinen Gasteltern für seinen Aufenthalt gestellt bekommen hatte. Eine wirklich persönliche Note hatte er dem Ganzen nicht gegeben, entweder gefiel es ihm nicht so sehr, wie er erwartet hatte, oder er scherte sich nicht um solche Sachen und investierte die Zeit lieber in sein Äußeres.

Andrijan konnte es egal sein, ob Jérémy sich hier wunderbar wohl fühlte oder in einer sterilen Zelle hockte, Karolina bewertete nicht die Einrichtung, sondern das realistische Zusammenspiel von ihnen beiden.

„Kannst du abschließen? Ich will nicht, dass deine Gastfamilie nachher hier drin steht und uns zusieht. Ich kenn die zwar nicht, aber ich wohn in dieser Stadt länger als du und hab keinen Bock auf Tratsch.“

Jérémy seufzte leise; er hatte sich Andrijan wohl zahmer und wesentlich freundlicher vorgestellt. Im schlimmsten Fall witterte er jemanden, den er bekehren musste, auf mehrere Arten. „Die sind alle ausgeflogen. Sonst wären wir nicht hier.“

„Na dann.“ Andrijan angelte die Kamera aus seiner Hosentasche, ließ sie auf das schmale Bett fallen und sah sein Gegenüber auffordernd an. „Lass uns anfangen. Erst mal nen Testdurchlauf, ob du überhaupt weißt, was du zu tun hast.“

„Hey, wenn du weiter so ankommst, kannst du gleich wieder gehen. Ich lass mich von dir nicht so dumm anmachen.“

„Tut mir leid.“ Dicke Lüge, aber die Leute mochten es, wenn man sich für Sachen entschuldigte und merkten sowieso nicht, wenn man die Unwahrheit erzählte. „Ich bin nur… aufgeregt.“ Und noch mal gelogen. Er wollte das nur schnell durchziehen, die meisten Kerle forderten weder Höflichkeit oder lange Gespräche, denen ging es nur um das bisschen Geld, dass er ihnen in die Hand drückte, nachdem er seine Zunge aus ihrem Mund genommen hatte.

Sofort verschwand der angesäuerte Gesichtsausdruck aus Jérémys Gesicht und Andrijan ärgerte sich, solch einen Müll vom Stapel gelassen zu haben. Wenn der junge Mann wirklich nicht nur auf Mädchen spezialisiert war, hatte er sich gerade selbst zum potentiellen Zielobjekt erklärt.

Zur Not gab er ihm eine Ohrfeige, wenn er ihm dumm kam und erklärte Karolina, die Fotos wären an irreparablen Unstimmigkeiten gescheitert.

„Komm her.“ Andrijan deutete auf den Platz auf dem Bett neben sich und kaum, dass Jérémy sich auf die Matratze hatte fallen lassen, zog er ihn zu sich und drückte ihm seine Lippen auf den Mund.

Dafür, dass er ihn ziemlich überrumpelt hatte, stellte sich Jérémy erstaunlich geschickt an, das musste Andrijan zugeben; er hatte schon deutlich schlimmere Erlebnisse in diese Richtung erlebt und da bildete der französische Austauschschüler eine erfreuliche Abwechslung.

Es bedeutete nämlich weniger Anstrengungen, auf den Bildern authentisch zu wirken und er musste nicht immer krampfhaft die Situation retten.

Vielleicht war Jérémy doch keine so schlechte Idee von Karolina gewesen.
 

Es fühlte sich jedes Mal aufs Neue ungewohnt und ziemlich seltsam an, mit einem fremden Typen irgendwo herumzustehen oder –liegen, immer unter Beobachtung der Kamera und darauf zu achten, dass man im richtigen Moment sich gegenseitig begrabbelte.

Wie immer hatte Andrijan allerdings festgelegt, dass er nicht die Rolle desjenigen übernahm, der auf dem Rücken lag und alles über sich ergehen ließ, da spielte sein Stolz nicht mit, weswegen er auf Jérémys Becken hockte, seine Schultern mit den Händen aufs Bett drückte und den Ton angab.

Zum Glück hatte Karolina ihn noch nie gebeten, dass er sich in die passive Rolle begab, dann wäre Andrijan nämlich in einen ziemlichen Gewissenskonflikt geraten; Ego gegen Aussicht auf verdammt genialen Sex.

Blieb zu hoffen, dass er sich nie dazwischen entscheiden musste.

„Du küsst ziemlich gut.“

Andrijan konnte sich nur knapp ein „Halt die Klappe“, verkneifen, verfluchte die Tatsache, dass Jérémy so eine Plaudertasche war und zählte im Stillen, bis der Selbstauslöser das nächste Mal in Aktion trat. Alle zehn Sekunden ein Bild, so hatte er das bisher immer gemacht und es hatte auch funktioniert, nur schien sich Jérémy nicht so wirklich dran halten zu wollen und lieber sinnfreie Konversation mit ihm führen müssen.

„Jetzt“, zischte Andrijan ihm zu, vergrub seinen Kopf in seiner Halsbeuge und hoffte, dass Jérémy auch so aussah, als würde ihm das gefallen, was sie da taten. Er befürchtete ja sowieso irgendwie, dass es ihm zu sehr gefiel, aber das störte Karolina weniger.

Im Gegenteil, es machte sie bestimmt ganz verrückt, wenn sie erfuhr, dass es da jemanden gab, der ganz wild auf ihren Freund war und ihm an die Wäsche wollte.

Andrijan wurde bei dieser Vorstellung ganz anders und konzentrierte sich lieber wieder auf die realen Probleme wie seinen chronisch leeren Geldbeutel, seine schlechten Schulnoten und damit verbunden sein drohendes Sitzenbleiben.

Nein, das waren auch keine guten Themen, wenn er den Eindruck erwecken sollte, irgendwie erregt oder zumindest ziemlich zufrieden mit dem momentanen Lauf der Dinge zu sein. Bei Jérémy musste man da nicht nachhelfen, in seinen dunklen Augen lag ein Funkeln, das Andrijan gar nicht so genau ergründen wollte, aber es machte sich bestimmt gut für Karolinas Kopfkino.

„Wir können aufhören.“ Seine Kamera hatte soeben den Dienst aufgegeben, weil die Batterien leer gegangen waren. Ein sicheres Zeichen, dass sie genug Material zusammengestellt hatten, aus dem er das Beste aussuchen konnte.

„Echt? Okay…“ Jérémy, der seit mindestens zehn Minuten seine Hände nicht mehr von seiner Hüfte weggenommen hatte, ließ ihn gehen. „Sag mal, kann ich…“

„Was?“ Andrijan war schon dabei, seine Sachen zusammenzupacken und ohne Verabschiedung das Weite zu suchen.

„Kopien davon haben?“

„Nicht dein Ernst…“ Das war so ungefähr das letzte, worauf sich Andrijan eingestellt hatte. Jeder andere hätte ihm befohlen, mit dem Teufelszeug ganz weit weg von ihm zu bleiben und nur wiederzukommen, wenn das Konto wieder mal kurz vorm Sterben stand.

Etwas unbeholfen zuckte Jérémy mit den Schultern, was wohl ein „Ist halt so“ symbolisieren sollte.

„Ich geh jetzt besser.“ Das wurde ihm gerade alles etwas zu anders für seinen Geschmack; Andrijan knallte eine Handvoll Münzen auf den Schreibtisch und verließ ohne ein Abschiedswort das Haus.

So schnell würde er seinen Fuß nicht mehr über diese Schwelle setzen.
 

Im Endeffekt musste er das gar nicht, um Jérémy wiederzusehen.

Karolina war begeistert und auf merkwürdige Weise bezaubert von seinem und Jérémys Zusammenspiel, dass sie ihn fast auf Knien anflehte, eine Fortsetzung von ihrem Fotoshooting zu inszenieren.

Am liebsten hätte er abgelehnt; erstens hatte er bisher nie mit demselben Typen zweimal rumgemacht und zweitens hatte Jérémy offenbar ein Auge auf ihn geworfen, wenn man seinen Blicken und Aussage trauen sollte.

An sich wäre Andrijan das total schnuppe sein, er würde nie ernsthaft etwas mit ihm anfangen und theoretisch dürfte das sogar seinem Ego schmeicheln, frei nach dem Motto „irgendwer fährt auf mich ab, ich muss also gut aussehen“. Irgendwie musste man sich bizarre Dinge schön reden.

Am Ende gab die Vorstellung, dass seine Freundin danach alles tat, was er von ihr verlangte, den Ausschlag und Andrijan willigte ein, sich noch einmal mit dem jungen Franzosen zu treffen und gestellte Intimitäten auszutauschen. Und zu hoffen, dass es bei gestellten blieb.
 

Dieses Mal fand das Treffen bei Andrijan statt, weil Jérémys Gastfamilie leider nicht das Feld räumen wollte und das Wetter ihnen nicht gestattete, nicht durchnässt draußen herumzuspringen.

Zwar war seine Mutter daheim, aber die interessierte sowieso nie, was er tat, solange sie in Ruhe telefonieren, Nagelpflege betreiben und die Nachbarn beobachten konnte.

Seine Schwester hatte sich zum Glück vor längerer Zeit ihre eigenen vier Wände organisiert und lebte nun dort ihren Traum vom pseudogehobenen Lebensstil.

Jérémy wirkte auffällig aufgekratzt, als er hinter Andrijan den Flur entlang trottete, sich immer wieder umsah, wo er denn hier gelandet war, und schließlich in das Miniaturreich von ihm gelotst wurde, das bisher nur sehr wenige Menschen zu Gesicht bekommen hatten.

Wer keine Freunde hatte, musste sich keinen Kopf machen, ob der Boden aufgeräumt genug war.

Andrijan klemmte den Stuhl unter die Türklinke, um seine Mutter daran zu hindern, hier nach gutem Handyempfang zu suchen, dann deutete er auf sein Bett, das nur aus einer am Boden liegenden Matratze bestand. „Setz dich hin, wir fangen gleich an.“

Irgendwie musste man den Besuch daran hindern, dass er wieder in den unpassendsten Momenten versuchte, peinliche Komplimente zu verteilen, und so einem aus dem Konzept brachte.

Dieses Mal verlief es nicht ganz so unkompliziert, denn Andrijan merkte schon nach dem ersten noch recht zögerlichen Kuss, dass Jérémy heute die Initiative ergreifen wollte, was er definitiv nicht duldete.

Das war sein Zuhause, seine durchgelegene Matratze, auf der sie hockten und sich duellierten, seine Kamera, die das alles aufzeichnete und seine Freundin, die sich nach dem Betrachten der Fotos wie eine rollige Katze benahm. Da lag es nahe, dass er bestimmte, was hier passierte.

Doch Jérémy sah das nicht ein, vielleicht war er in seinem Kopf schon woanders und bildete sich ein, dass Andrijan das tatsächlich nur deswegen noch mal mit ihm machte, weil er sich in ihn verguckt hatte. Vielleicht machte es ihn besonders an, wenn er sein Gesicht mit beiden Händen umfasst hielt und ihn gar nicht mehr zu Atem kommen lassen wollte, obwohl der Rhythmus des Selbstauslösers genügend Zeit dazu ließ.

Auf jeden Fall regte es Andrijan auf, sich so eingeschränkt, bevormundet zu fühlen, vor allem weil er so richtig spürte, dass Jérémy nicht nur fast einen Kopf größer als er war, sondern auch noch über mehr Kraft verfügte. Manchmal hasste er seine dürre Statur, durch die er zu oft schutzbedürftiger wirkte, als er es tatsächlich war.

Es blieb ihm also nichts anderes übrig, um Jérémy zur Vernunft zu bringen, als ihm in die Unterlippe zu beißen. Und zwar ziemlich heftig.

Der Erfolg blieb nicht aus; sein Gast drückte ihn hastig von sich weg, griff sich an den Mund und sah ihn vorwurfsvoll in die Augen, als wäre nicht er derjenige, der etwas Unrechtes getan hatte. Wenigstens jammerte er nicht lautstark, womit er das verdient hatte, denn Jérémy hatte verstanden, dass Andrijan sehr schnell sehr garstig werden konnte. Er konnte froh sein, dass er auf ihn momentan noch angewiesen war, sonst hätte er ihn nach dieser dämlichen Homoaktion direkt vor die Tür gesetzt.

„Ich sag hier, wo es lang geht, kapiert?“ Andrijan funkelte ihn böse an. „Raff es endlich, ich mach das hier nicht, weil ich nicht zugeben will, dass ich dich geil finde. Glaub so was Dämliches erst gar nicht. Das ist alles für meine Freundin, die will das und deswegen mach ich das. Du bekommst dann noch dein Geld und Ende.“

„Ist ja gut.“ Jérémy sah natürlich nicht so aus, als würde er das alles klaglos akzeptieren, aber darauf konnte man auch nicht unbedingt Rücksicht nehmen. Wenn er nicht verstand, dass er nur ein Mittel zum Zweck war, konnte Andrijan ihm auch nicht helfen; etwas anderes würde er sowieso nie für ihn darstellen, egal wie oft Karolina ihn beschwatzte, sich von ihm anfassen zu lassen.

„Können wir dann weiter machen? Ohne Zwischenfälle?“ Andrijan legte ihm die Hände auf die Schultern und wartete mit prüfendem Blick auf eine ehrliche Antwort.

Danach gelang es ihm erstaunlicherweise immer noch, leidenschaftlich Küsse auf Jérémys Gesicht, Hals und Nacken zu hinterlassen, nicht genervt das Gesicht zu verziehen, wenn dieser seine Haare durchwühlte, und sogar zuzulassen, dass seine Hand sich für ein Foto auf seinen nackten Bauch legte.

Es war wirklich nur ein Foto, aber schon mehr, als man von ihm erwarten durfte.
 

„Was machst du denn hier?“

„Naja, Fotos, für deine Freundin…?“

„Wir haben nichts verabredet. Außerdem hab ich kein Geld, bin pleite, kannst also wieder gehen.“

„Ich… ich brauch kein Geld.“

„Aha, und warum machst du dann mit? Bist du so uneigennützig oder willst du mich verarschen?“

„Ich… ich mag es, okay? Sei doch froh, deine Freundin freut sich.“

„Dann komm halt rein. Aber denk dran: Ich bestimme, was hier passiert und was nicht.“

Jérémy nickte ergeben. Er hatte nichts anderes erwartet; es ärgerte ihn nicht einmal, dass er keine Begrüßung von Andrijan bekommen hatte, darauf legte der wohl keinen Wert. Genau wie auf so Vieles, was für Jérémy sehr selbstverständlich war.

Es war immer wieder erstaunlich, was Andrijan für eine hübsche Erscheinung und im Gegensatz für einen patzigen Ton drauf hatte. Insgeheim glaubte Jérémy, dass Andrijan nur böse tat und in Wirklichkeit nur Angst hatte, von ihm abgewiesen zu werden, wenn er ehrlich zu sich und ihm war. Warum sollte er sonst freiwillig für seine Freundin solche Sachen machen? Das war höchst verdächtig.

Sie gingen wieder in Andrijans Zimmer, das Jérémy jedes Mal aufs Neue ziemlich trist und ernüchternd vorkam, weil die wenigen Einrichtungsgegenstände, die alle nicht zueinanderpassten, so ramponiert aussahen, als hätte Andrijans Familie sie aus dem Sperrmüll gerettet. Vielleicht traf das sogar die Wahrheit.

Obwohl Jérémy genau wusste, dass er das nicht tun sollte, genoss er dieses Zusammentreffen mit Andrijan immer mehr, was höchstwahrscheinlich daran lag, dass er seit Längerem nicht mehr in den Genuss solcher Intimitäten gekommen war. Und selbst ohne richtige Gefühle und für ein Mädchen, das er gar nicht kannte, in Szene gesetzt.

Er hoffte immer noch darauf, dass Andrijan davon wegkam, dass das hier eine rein künstliche Zurschaustellung war; und vielleicht erreichte er es ja, dass sie nicht nur jeden Zentimeter ihrer Mundhöhlen kannten, sondern einen großen Schritt weitergingen. Ob die Kamera das sehen durfte oder nicht, war Jérémy im Endeffekt egal, aber Andrijan übte doch irgendwie eine seltsame Faszination auf ihn aus. Vielleicht gerade weil da diese Ambivalenz zwischen Schein und Sein bestand, die man im Laufe der Zeit knacken konnte.

Ein Versuch war es wert. Er durfte nur nicht zu offensichtlich ans Werk gehen, sonst fühlte sich Andrijan gleich wieder bedroht oder belästigt.

Während Andrijan sich auf das nächste Foto vorbereitete und seine Zähne leicht in seinen Hals grub, was Jérémy eine Gänsehaut bereitete, die er sich nicht anmerken lassen durfte, schob er eine Hand unter Andrijans übergroßen Kapuzenpulli und strich mit zwei Finger über die fremde Brustwarze.

Die Reaktion ließ sich nicht leugnen; Andrijan stöhnte unvermittelt auf und biss unbewusst fester zu, was wiederum Jérémy zu sehr gefiel, weswegen er das Wagnis einging und nachprüfte, ob sein Plan wirklich erfolgreich gewesen war.

Es war nicht abzustreiten, Andrijan war erregt; leider auch wieder in der Lage, einigermaßen zu handeln und zu denken.

„Was soll die Scheiße?“, knurrte er wütend, betrachtete Jérémys Hand, die dort lag, wo sie eigentlich nicht hingehörte, und konnte gleichzeitig nicht ignorieren, dass spätestens jetzt die Sache nicht mehr so ganz kühl und professionell verlief.

„Was würde deine Freundin sagen, wenn wir es miteinander treiben?“ Todesmutig voran; entweder bekam er das, was er wollte, ohne eine verpasst, die er nicht so schnell vergaß.

„Du bist irre!“ Andrijan packte ihn am T-Shirt, als wollte er ihn gleich tatsächlich schlagen.

„Und du bist geil.“ Jérémy grinste schief und betete innerlich, dass Andrijan nicht völlig ausrastete; wenn es sein musste, konnte er auch austeilen und so, wie Andrijan aussah, wäre da ganz schnell etwas gebrochen. „Ich kann dir helfen.“

„Ja klar, ich nehm für meine Freundin auf, dass du mir einen bläst, ist doch kein Ding.“

„Ich glaube, ihr würde das gefallen.“ Und ihm natürlich auch, aber mit diesem Argument köderte man Andrijan nicht.

Dieser sah ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Dann schlich sich so etwas wie Gleichgültig auf seine Züge. „Ist ja eigentlich eh egal. Vielleicht kannst du es besser als sie, dann hätte sich das sogar gelohnt. Aber ich mach das nicht bei dir, vergiss es ganz schnell wieder. Und danach werde ich dich nicht mehr küssen, zumindest nicht heute, das wäre sonst echt widerlich.“

Jérémy hätte gerne gehabt, dass dieser Akt nicht aus reiner Berechnung zugelassen wurde, sondern weil Andrijan ernsthaft an ihm interessiert war, aber nun war es zu spät zum Jammern und theoretisch war er an dem Ziel, das er sich gesteckt hatte.

Praktisch noch unendlich weit entfernt.
 

Andrijan fühlte sich einfach erschöpft und auch ziemlich behämmert, als Jérémy von ihm abließ und sich neben ihm auf der Matratze ausbreitete. Natürlich hatte er sich die ganze Zeit vorgestellt, es sei Karolina und nicht Jérémy, der da zugange war, ansonsten wäre er wohl endgültig mit der Welt durch, obwohl es gar nicht so schlimm gewesen war. Da wusste einfach jemand, was er tun musste, damit es dem Gegenüber gefiel.

Hoffentlich lagen sie beide nicht falsch und Karolina zählte Oralsex nicht zu Fremdgehen; wobei er ja streng genommen zu ihrem Vergnügen fremdging, wenn man das so auslegte.

Seufzend drehte sich Andrijan auf die andere Seite, weg von Jérémy; warum hatte er sich das komplizierteste Mädchen weit und breit ausgesucht? Bisher hatte er noch nicht einmal davon gehört, dass irgendjemanden es anmachte, wenn der eigene Freund sich mit anderen Männern vergnügte, während sie davon wissend daheim saß und auf die Beweisbilder wartete.

Er selbst hätte das umgedreht nicht gebraucht, er wollte seine Freundin knallen, das sollte kein anderer übernehmen. Erst recht keine andere Frau, das war ja furchtbar langweilig.

Nein, seine Freundin gehörte ihm, die teilte er mit keiner anderen Frau zu seinem Vergnügen.

Von hinten umschlangen ihn zwei Arme und drückten ihm fast den Brustkorb zusammen.

„Jérémy, geh heim.“

Sofort wurde er losgelassen. „Aber wieso…“

„Tu es einfach, verschwinde.“ Dieses Kuscheln ertrug er nicht, das machte ihn rasend, vor allem weil er müde war und endlich seine Ruhe haben wollte. Für die nächste Zeit wollte er wirklich nicht mehr Jérémys Finger in seinem Gesicht oder an seinem Schwanz haben; das heute war alles schon zu viel auf einmal gewesen.

Ihm fiel nicht einmal auf, dass die Zimmertür ins Schloss fiel und der Platz neben ihm endlich leer war.
 

„Guck mal, was ich hier hab!“ Wie nebenbei ließ Andrijan die ausgedruckten Fotos seiner Freundin in den Schoß fallen, die gerade auf der Couch vor ihrem Fernseher hockte und sich ihre Lieblingsserie zu Gemüte führte. Auffälligerweise sah der männliche Protagonist Jérémy sehr ähnlich.

„Sind das neue Bilder?“ Karolina wirkte verwirrt. „Aber… ich…“

„Er wollte das unbedingt. Ich glaub, der fährt voll auf mich ab, so schnell kriegen wir den nicht mehr los.“ Andrijan ließ sich auf den Platz neben ihr fallen und betrachtete eher uninteressiert das peinliche Treiben auf dem Bildschirm. Seine Freundin schaute sich wirklich nur langweiligen Mist an, aber das hatte er ihr noch nie gesagt. Es gab Momente, da wusste sogar er, wann er über seine wahren Ansichten zu schweigen hatte.

Während er in Gedanken negative Bewertungen über die Schauspielkunst aller Beteiligten abgab, schaute Karolina wie gefesselt auf die Abzüge in ihren Händen. „Oh mein Gott…“ Sie bekam kaum den Mund zu, so gebannt war sie von dem, was man ihr dort präsentierte.

Andrijan konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen; ihre Reaktionen waren immer so übertrieben, sie konnte sich gar nicht daran gewöhnen, egal wie oft er ihr solche Sachen vors Gesicht hielt.

Als sie schließlich gegen Ende die wirklich expliziten Bilder entdeckte, wusste Andrijan, dass sie das Richtige getan hatten. Sie war nicht sauer, dass Jérémy ihm ohne ihre Erlaubnis einen geblasen hatte. Stattdessen stellte sie sich das gerade bildlich vor, wenn man ihrem entrückten Gesichtsausdruck Glauben schenken durfte.

Das Zeichen für Andrijan, dass sie jetzt mehr als in Stimmung war.

Außer einem Zungenkuss, den Karolina nur in ihrem halbverrückten Zustand so leidenschaftlich beantworten konnte, gab es kein unnötig zärtliches Vorspiel, das nervte Andrijan jedes Mal nur und Karolina brauchte es aus Erfahrung gerade auch nicht. Durch ihr großes Maß an Fantasie hatte sie sich schon selbst in die passende Stimmung versetzt.

Deshalb begnügte sich Andrijan damit, ihr geübt die Klamotten vom Leib zu zerrte und ziemlich rücksichtslos in sie einzudringen, worauf sie mit einem erschrockenen, aber nicht abgeneigten Keuchen reagierte.

Für jemand Außenstehendes musste diese Szene ziemlich verstörend wirken, aber so hatten sie das schon oft genug gemacht und es war auch für beide in Ordnung; Andrijan wusste, wie weit er gehen durfte, denn Ärger wollte er sich nicht einhandeln.

Karolina hing zwischen Rückenlehne und ihrem Freund eingeklemmt, durchlebte im Kopf die Szenen, die er ihr zugespielt hatte, und ließ eigentlich alles mit sich machen.

Sie hatten beide ihre merkwürdigen Auswüchse und sie konnten froh sein, dass man sie zusammen so gut kombinieren konnte, dass jeder etwas davon hatte.
 

„Und, war sie sauer?“

„Von wegen, ich hatte den besten Sex meines Lebens.“ Das musste mal gesagt werden; er hatte nicht oft die Möglichkeit, vor anderen Leuten mit irgendetwas anzugeben.

„Schön für dich.“ Jérémy vermittelte ihm eher ziemliches Desinteresse an dieser Mitteilung. „Kann ich mal ein Bild von ihr sehen?“

„Was interessiert es dich?“

„Man darf ja wohl wissen, wie das Mädchen aussieht, mit dessen Freund man vögelt.“

Das war ziemlich merkwürdig; er hatte also nicht einmal persönlich mit ihr darüber verhandelt, Es hätte also sonst wer ankommen können, sich als Karolina ausgeben und sich Bilder von ihnen beiden bestellen können. Was für ein gutgläubiger Volltrottel.

„Aha, wann ist das angeblich passiert? Hab davon nichts mitbekommen.“ Wahrscheinlich verwegenes Wunschdenken, das er nicht mehr von der Realität abgrenzen konnte; der Kerl war echt durch, aber peinlicherweise musste Andrijan zugeben, dass er es auf gewisser Ebene mehr drauf hatte als seine Freundin.

„Kann ich sie jetzt mal sehen?“ Jérémy ignorierte den stichelnden Kommentar und nahm das kleine Passfoto entgegen, dass Andrijan aus seinem Geldbeutel gezaubert hatte. „Hm, sehr hübsch. Sie hat nicht zufällig noch eine Schwester?“

„Wie armselig bist du eigentlich?“

„Hey, das war nicht ernst gemeint.“

Bei Jérémy war er sich da nicht so sicher, der erschien ihm so hobbylos, dass er versuchte, alles hier abzuschleppen. „Ja, klar. Hier hast du deine Abzüge, ich geh dann wieder.“

„Halt, ich muss noch was… mit dir besprechen.“

Andrijan, der sich schon zum Gehen umgewandt hatte, seufzte innerlich lautstark und rechnete mit dem Dümmsten, was man sich nur vorstellen könnte. Immerhin klang das gerade verdächtig nach Liebesgeständnis. Und das, nachdem er gerade seine Freundin als nächstes Objekt der Begierde abgestempelt hatte; nicht ernsthaft natürlich.

„Ich bin nicht mehr solange hier, mein Aufenthalt wird in zwei Wochen zu Ende sein.“

Andrijan verkniff sich ein ironisches „Oh wie schade“ und nickte nur kurz mit dem Kopf.

„Ich weiß, du wirst darauf wahrscheinlich keine Lust haben, aber…“

„Was? Mit dir ficken? Nein, vergiss das endlich, für mich gibts Grenzen und die liegt da.“

Jérémy biss sich auf die Lippen. „Ich meinte auch nicht nur wir beide, sondern du, ich und deine Freundin.“

Andrijan musste zugeben, dass er für einige Sekunden nicht wusste, was er sagen sollte. Ob er lachen, ihn beschimpfen, diesen Wunsch ohne schlechtes Gewissen überhören sollte.

„Warum?“, war schließlich das einzige, was er zustande brachte. Es entsprach sogar der Wahrheit.

„Weil man das mindestens einmal im Leben ausprobiert haben muss, um sagen zu können, dass es einem nicht gefällt.“

Das war absolut nicht die richtige Antwort auf die Frage. „Ich will sie nicht mit dir teilen.“ Es war seine Freundin, nicht Jérémys Freundin.

„Aber vielleicht will sie das…?“

„Wenn ich nicht zustimme, dann wird das nichts.“ Und Karolina traute er nicht zu, dass sie hinter seinem Rücken mit diesem französischen Irren ins Bett stieg. Es sei denn, er zeigte ihr Bilder.

Die Stimmung zwischen ihnen war gerade auf dem absoluten Tiefpunkt; Andrijan fühlte sich fast schon belustigt von so viel Dreistigkeit, während Jérémy mit verschränkten Armen auf seinem Teppich hockte und ihm nicht in die Augen sehen konnte.

Das hatte man davon, wenn man einmal nett war und freiwillig diesen Kerl aufsuchte; man bekam eine freche Einladung zu einem Dreier, auf den er kein Anrecht hatte.
 

Karolina war sich immer noch nicht ganz sicher, ob sie träumte oder ob das, was hier passierte, tatsächlich der Realität entsprach.

Andrijan hatte ihr wenig begeistert erzählt, was Jérémy sozusagen als Abschiedsgeschenk für sie alle eingefallen war, in der Erwartung, dass sie ebenfalls ablehnen würde.

Leider hatte die Idee einen furchtbar anziehenden Reiz, den sie nicht abschütteln konnte und über den sie ihren Freund nicht belügen wollte. Er hatte bestimmt sofort aus ihrer Miene herauslesen können, dass der Vorschlag nicht die gewünschte Empörung hervorrief.

Das Problem war, ohne Andrijan ginge nichts, sich allein mit Jérémy zu treffen kam gar nicht infrage, das interessierte sie gar nicht.

Sie wollte ihn nicht stundenlang zu etwas beschwatzen, das erreichte man sowieso nicht; wenn er etwas nicht wollte, blieb er völlig von seinem Standpunkt überzeugt. Und ihn auf Knien anbetteln bedeutete auch nur, dass er mit größtem Widerwillen daran teilnahm und er nichts davon hatte, sie nichts Anregendes zu sehen bekam und so nicht auf ihre Kosten kam und Jérémys letzte Erinnerungen an hier ein katastrophaler Möchtegerndreier wäre.

So sah es also zuerst aus, dass die ganze Aktion sich im Sande verlief und Jérémy schon bald zurück nach Frankreich fuhr und die Gelegenheit sich dann für immer erledigt hatte.

Bis Andrijan ihr drei Tage vor dem absolut letztmöglichen Zeitpunkt, während er ihr gerade eine Salamipizza in den Backofen schob, erklärte, dass er vielleicht doch einwilligen würde.

Allerdings mit der Einschränkung, dass sie und Jérémy sich höchstens küssen dürften, er wollte nicht dabei zusehen, wie er zu irgendeinem Zeitpunkt in seiner Freundin herumstocherte, erst recht nicht zur gleichen Zeit wie er, und die Spielregeln zwischen ihm und Jérémy ähnlich lauten würden.

Die einzigen sexuellen Aktivitäten sollten nur zwischen ihnen beiden stattfinden, ihr dritter Mann diente also lediglich als schmückendes Beiwerk.

Trotzdem war es besser als gar nicht.
 

Die unangenehmsten Minuten waren die, als sie noch etwas gehemmt und unentschlossen nebeneinander wie die Hühner auf der Stange auf Karolinas breitem Doppelbett saßen.

Karolina hoffte, dass einer der jungen Männer die Initiative ergriff, so wie sie es sich wünschte, Andrijan erwartete das von den beiden anderen, weil sie so wild darauf waren, und Jérémy war sich nicht sicher, ob nicht vielleicht das Pärchen zur Einstimmung beginnen sollte.

Nach fast drei Minuten andächtiger Stille, in der jeder dem anderen den Vortritt lassen wollte, stieß Andrijan Jérémy den Ellbogen in die Rippen. „Du hast das angezettelt, du machst jetzt auch gefälligst etwas.“

Karolina war von dem rüden Ton ihres Freundes nicht sehr begeistert, damit konnte er innerhalb von Augenblicke die Stimmung auf den Tiefpunkt befördern.

Zum Glück schien sich Jérémy inzwischen an die unfreundlichen Ausbrüche Andrijans gewöhnt zu haben, denn er schoss keinen giftigen Kommentar zurück, zog sich sein T-Shirt über den Kopf und warf es auf den Boden. „Wer zuerst?“

Karolina war erstaunt, dass ihr Freund fast sofort darauf ansprang und sich von Jérémy in Beschlag nehmen ließ; entweder wollte er ihr heute eine besondere Freude machen oder es war reine Berechnung, damit sie so wenig wie möglich mit Jérémy probieren würde.

Im Endeffekt waren seine Beweggründe Karolina gar nicht so wichtig, denn schon der Anblick von Andrijan, der über Jérémy kniete und seinen Hals mit den Zähnen bearbeitete, verjagte jegliche Gedanken aus ihrem Kopf. Obwohl ihr klar war, dass zumindest ihr Freund nicht gerade vor Freude zerfloss, konnte sie nie genug davon bekommen.

Sie wollte mehr davon und sie bekam es auch; Jérémy, der sich förmlich von Andrijan aussaugen und dominieren ließ und selbst nicht dann von ihm loslassen wollte, als Andrijan sich Karolina widmete und zur Feier des Tages nicht gleich seine angestauten Sexualtriebe offen legte, sondern ihr ein gewisses Zugeständnis an Zärtlichkeiten anbot.

Seine Hintergedanken zählten in diesem Moment nicht, Karolina wie eine Wand von Jérémy abzuschirmen, der seine Fingernägel in seine Schulterblätter und seine Zähne in seinen Nacken gegraben hatte.

Es zählte nur das Resultat und das war für Karolina anders als jeglicher Ersatz durch Bilder mit Andrijan und Jérémy.
 

Andrijan war der erste von ihnen, der eingeschlafen war. Es waren keine fünf Minuten seit dem inoffiziellen Ende vergangen und doch lag er eingerollt in eine der zerknäulten Decke und bekam nichts mehr von seiner Umgebung mit. Was kein Wunder war, immerhin hatte er sich ziemlich verausgabt, um seine Freundin zu erfreuen.

Karolina fühlte sich ebenfalls erschöpft und müde und gleichzeitig wie auf einer schwebenden Wolke, wollte aber nicht, dass Jérémy am Ende ganz allein hier saß und ohne Verabschiedung davonzog. Das wäre dann doch ein eher ernüchterndes Ende für ihn. Und rauswerfen wollte sie ihn dreimal nicht, es war hart genug für ihn, dass Andrijan nicht einmal ein nettes Wort für ihn bereitliegen hatte.

„War es okay für dich?“

Jérémy nickte leicht abwesend, während seine Finger immer wieder durch Andrijans Haare fuhren. Zum ersten Mal hatte er die Möglichkeit dazu, ohne dass es von einem Fauchen begleitet wurde. „Ich versteh ihn nicht. Überhaupt nicht.“

„Weißt du, ich auch nicht immer. Das ist halt einfach Andrijan. Damit muss man leben.“

Jérémy wusste nicht, ob es dazu eine treffende Antwort gab und schwieg und nutzte wieder die Gelegenheit, nicht wie sonst Andrijans gesammelte Boshaftigkeit auf sich niederprasseln lassen zu müssen.
 

Andrijan hatte sich von Karolina breitschlagen lassen, Jérémy zu verabschieden, bevor seine Gasteltern ihn zum Bahnhof fuhren. Eigentlich hatte er dazu wenig Lust, lieber hätte er ausgeschlafen und die Abreise verpasst, erst recht nach diesem merkwürdigen Dreiergeschehnis, das ihm hoffentlich so viele Pluspunkte bei seiner Freundin eingebracht hatte, dass er ihr ganz viele Gefälligkeiten abknöpfen konnte.

Ansonsten hatte ihm diese Erfahrung nicht viel gebracht, außer dass er froh war, mit Jérémy nichts mehr zu tun haben zu müssen. Dann gab es keinen mehr, der sich im ach so Geheimen ausmalte, wie es wäre, ihn zu vögeln.

„Vielleicht komm ich euch noch mal besuchen“, erklärte ihnen Jérémy, der von der Last auf seinem Rücken fast nach hinten gezogen wurde; auf der Straße machte sein Gastvater schon eindeutige Handzeichen, dass er sich beeilen sollte. Der Zug wartete nicht auf sie.

Er konnte ruhig in seinem schicken Frankreich bleiben, sonst kam Karolina noch einmal auf den Gedanken, dass der zweite 'Dreier' zwischen ihnen ja nur besser sein konnte.

„Machs gut, Jérémy“, verabschiedete Karolina ihn und Andrijan verdrehte genervt die Augen, als der es natürlich nicht lassen konnte, seine Freundin wie eine alte Bekannte zu umarmen.

Dabei hatte er nichts gemacht außer sich für ihren künstlich gesteigerten Sexualtrieb auszuziehen und sie einmal zu küssen. Der schloss ja schnell Freundschaften.

Bei ihm angekommen stockte Jérémy kurz, er schien sich nicht sicher, wie er sich von ihm verabschieden sollte. Sie hatten so oft miteinander rumgemacht und wussten rein gar nichts übereinander, es war schon ziemlich bizarr.

„Ich werd dich vermissen“, murmelte Jérémy ihm leise zu, nachdem er beschlossen hatte, jegliche körperliche Annäherung bleiben zu lassen. In aller Öffentlichkeit war noch einmal ein Unterschied zu einem abgeschlossenen Zimmer.

Ein Grinsen legte sich auf Andrijans Miene. „Ich aber dich nicht.“ Und damit drehte er sich um und ließ den beschämten Jérémy und eine peinlich berührte Karolina in der Einfahrt stehen und trat den Heimweg an.

Er hatte sein erstes Gespräch mit diesem Kerl mit einer Lüge begonnen, um Karolina einen Gefallen zu tun, jetzt sagte er ihm die Wahrheit, um ihm netterweise einen Gefallen zu tun und ihn von der kranken Idee abzubringen, Andrijan Sorokin könnte jemals im Leben etwas für einen anderen Mann empfinden.

Jérémy sollte gefälligst froh sein, dass er keinen Grund hatte, noch jahrelang an ihn zu denken.



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