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Josephine Klick - Allein unter Cops

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Langsam bricht der Frühling an, dachte ich, als ich den Pferdestall verließ und die Sonne langsam aufgehen sah. Es war noch sehr früh, aber ich konnte nicht länger schlafen und hatte daher beschlossen auszureiten. Jetzt wo Wotan gut versorgt in seiner Box stand, ging ich ins Haus. Heute Nachmittag würde ich noch einmal mit ihm ausreiten, aber jetzt brauchte er erst mal Erholung und ich einen starken Kaffee.
 

Viktor und mein Vater bereiteten gerade das Frühstück vor. Da ich meinem Vater nicht ewig aus dem Weg gehen konnte, setzte ich mich zu den beiden an den Küchentisch.

„Kann ich euch vielleicht helfen?“

„Nein Josephine, du wirst heute verwöhnt“, sagte Viktor und kam lächelnd mit der Kanne auf mich zu. „´Nen Kaffee?“

„Ja bitte, du musst wirklich Gedanken lesen können.“ Er lachte bei meiner flehenden Stimme und füllte eine Tasse voll mit diesem dunklen, heißen, wohlriechendem Lebenselixier.

„Man muss dazu kein Hellseher sein. Du bist spät nach Hause gekommen und warst wieder früh auf. Wer da keinen Kaffee braucht, kann kein Mensch sein“, witzelte er und reichte mir die Tasse.
 

Ich schloss die warme Tasse um meine Hände bevor ich vorsichtig einen Schluck nahm. Es tat gut, als die Flüssigkeit durch meinen Körper strömte und mich von innen wärmte. Die Tage wurden milder, aber heute Morgen war es noch sehr frisch.

Wir frühstückten in aller Ruhe – immerhin war Samstag und wir hatten alle Zeit der Welt. Ich lauschte den beiden Männern bei ihrem Gespräch. Viktor wollte heute auf ein Gestüt in der Nähe von Potsdam fahren. Er überlegte sich einen jungen Hengst zu kaufen und selbst auszubilden - harte Arbeit war das. Aber Viktor war ein Profi, wenn er das nicht schaffte, dann wohl niemand sonst. Nach dem ausgiebigen Frühstück, räumte ich mit meinem Vater zusammen der Tisch ab. Viktor entschuldigte sich und machte sich auf den Weg. Als Viktor den Raum verließ wurde es eine ganze Weile sehr ruhig. Ohne ein Wort zu verlieren säuberte ich das Geschirr und reichte es meinem Vater zum Abtrocknen.
 

„Josephine“, begann er. Dieses Mal unterbrach ich ihn nicht. Früher oder später würde ich sowieso mit ihm darüber reden müssen. Nach über einem halben Jahr wurde es einfach Zeit. „Du wirst nicht wieder zurückkommen, oder?“

Seine Frage überraschte mich. Bisher hatte er immer nur wissen wollen, wann ich endlich zurück käme. Ich schwieg einen Moment. Es stand außer Frage, dass ich mein Heimatdorf noch immer liebte. So viele gute und liebevolle Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend trug ich in meinem Herzen, aber es würde nie wieder sein wie früher. Ich war nicht mehr die, die ich vor einem halben Jahr gewesen war. Ich passte dort einfach nicht mehr hin.
 

„Nein, Papa. Ich werde nicht wiederkommen.“ Sein Blick senkte sich während er etwas langsamer den Teller in seiner Hand weiter abtrocknete. „Du musst verstehen, dass ich dort nicht mehr leben kann. Nachdem was passiert ist... Wie kann ich meinen Kollegen da noch in die Augen blicken? Wie kann ich Stefan gegenübertreten? Es war so verkehrt, was ihr gemacht habt und das mein eigener Vater da mitgemacht hat... Weißt du wie sehr mich das verletzt hat?“ Ich kämpfte mit meiner Stimme. Nein, ich würde jetzt nicht weinen. Ich würde stark bleiben. Das Thema musste auch mal ein Ende finden.
 

„Es tut mir leid, Josephine. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gut machen kann.“ sagte er flehend.

„Du bist mein Vater, das wird auch immer so bleiben. Aber du musst verstehen, dass ich eine Zeit brauchen werde dir wieder zu vertrauen.“

„Wirst du mir jemals verzeihen?“, wollte er wissen.

„Das weiß ich nicht“, antwortete ich ehrlich. „Aber vielleicht wird es irgendwann weniger weh tun. Du warst sonst immer ein guter Vater. Aber versuche bitte nicht, mich wieder zurückzuholen. Berlin ist jetzt meine neue Heimat.“

Ich sah ihn an und er nickte zögerlich. „In Ordnung.“ Eine Weile schwiegen wir beide und ich half ihm das restliche Geschirr abzutrocknen und in den Schränken zu verstauen.

„Wann fährst du wieder zurück?“, fragte ich ihn.

„Geplant war, dass ich morgen Nachmittag losfahre, aber nach allem was passiert ist... Wenn du mich brauchst, bleibe ich hier.“

„Das ist lieb von dir Papa, aber ich komm gut klar. Habe eh viel zu tun ab Montag. Fahr ruhig nach Hause.“

Es war richtig, dass ich ihn dieses Mal nicht abgewiesen hatte. Er würde morgen fahren und es hatte uns beiden gut getan zu reden. Er fragte, ob er mir irgendwie noch helfen könne, aber ich lehnte ab.
 

„Fahr doch zu Viktor“, schlug ich vor. „Er hat dich immer gerne bei solchen Sachen dabei. Er ist bestimmt den ganzen Tag auf diesem Gestüt und guckt sich die Hengste an.“

Er stimmte zu und war wenige Zeit später verschwunden. Ich für meinen Teil plante heute einen ruhigeren Vormittag, also räumte ich mein Zimmer auf, reinigte meine Pistole und laß in einigen Zeitschriften. Meine innere Unruhe ließ mich aber einfach nicht los. Ich legte mich auf mein Bett und klappte den Laptop auf. Würden Suchanfragen im öffentlichen Netz überhaupt was bringen? Ich wollte es zumindest versuchen. Also startete ich etliche Suchanfragen zum Thema Strafverfahren gegen Polizeibeamte. Für mich war das Thema neu und der Ablauf war mir unbekannt. Ich war kein Jurist. Mein Notizbuch füllte sich immer mehr mit Paragraphen, Fallstudien und Informationen aus freien Arbeiten.
 

Mich machte die Recherche langsam müde, als legte ich meinen Kopf auf einen Augenblick aufs Kissen. Nur fünf Minuten die Augen zu schließen, würde bestimmt helfen. Aber als ich die Augen wieder öffnete und mich streckte, stellte ich mit Schrecken fest, dass die Mittagszeit schon rum war.

Ich klappte meinen Laptop zu, schlüpfte in meine Hausschuhe und ging in den Wohnbereich. Ich war durch das ausgiebige Frühstück noch immer satt, also schnappte ich mir aus der Küche nur eine Banane für mich und einen Apfel für Wotan, zog meine Reiterkleidung an und ging in den Stall.
 

Wotan scharrte schon mit den Hufen. Er wollte raus und sich bewegen. Durch die Pflege heute morgen, ging das Satteln und Trensen zügig. Wir ritten über den Hof in den Wald. Ich wollte es zu Beginn meiner Zeit in Berlin zwar nicht glauben, aber die ländliche Berliner Umgebung besaß wunderbare Wälder für Ausritte. Viktor hatte mir in den letzten Monaten viele Wege gezeigt. Ich genoss den Kontrast zwischen Großstadt und Land.

Lange blieben wir aber nicht in den Wäldern. Zurück im Stall gab ich Wotan zur Belohnung ein kleines Leckerli.

„Bleib schön hier, Großer“, sagte ich ihm und tätschelte seinen Hals. „Ich hole nur schnell die Longe.“ Im Stall suchte ich die Longierutensilien für Wotan. Wo Viktor die Sachen nur wieder hingelegt hatte? Ich fand sie in der kleinen Kammer, wo das Putzzeug für die Pferde gelagert wurde.
 

Da hatten die Sachen nun wirklich nichts verloren. Gerade als ich mich umdrehen wollte, um wieder aus der Kammer zu verschwinden, hörte ich leise Schritte und erstarrte. Viktor oder mein Vater konnten es nicht sein, dafür war es noch viel zu früh. Außerdem klangen die Schritte nicht nach zwei erwachsenen Männern.

Für einen Augenblick waren die Bilder meiner Entführung wieder ganz nah. Clemens war am Donnerstag Morgen im Stall aufgetaucht, hatte mich betäubt und entführt. Ich wollte mich gegen das Gefühl wehren, aber mir lief ein Schauer über den Rücken. Gebückt versuchte ich hinter der Tür hervorzusehen und schreckte hoch, als mich große Kulleraugen anstarrten. Mein Kopf knallte an den Türrahmen und ich stöhnte leise auf, als ich aus der Kammer hervor trat.
 

Vor mir stand ein kleiner Junge. Er war vielleicht zwischen sieben und neun Jahre. Aber irgendwie erinnerte mich das Kind an jemanden.

„Hey kleiner Mann, was machst du denn hier?“

„Josephine“, unterbrach mich eine bekannte Stimme.

Ich schnellte rum. „Fritz?“, fragte ich erstaunt. „Was machst du denn hier?“

Er ging gar nicht auf meine Frage ein. „Ist alles okay?“, wollte er wissen. Er kam auf mich zu und begutachtete meinen Kopf.

„Alles bestens“, wehrte ich ab. „Du weißt doch, dass ich einen Dickschädel habe.“ Er grinste bei meiner Bemerkung. Mein Blick ging wieder zum Jungen vor mir. „Na, dann musst du wohl Benny sein. Was machst du denn hier mit deinem Papa?“

Benny guckte erst etwas verlegen zu Fritz, sah mich aber dann mit einem gewinnenden Lächeln an. „Er wollte mir heute das Pferd von dir zeigen.“
 

Ich drehte mich mit einer hochgezogenen Augenbraun zu Fritz. „Wollte er das?“

Fritz blickte entschuldigend. „War ne recht spontane Entscheidung.“

„Na, da habt ihr aber Glück. Bin gerade erst vom Ausritt wieder gekommen. Ich bin die Josephine, die Kollegin von deinem Papa.“ Benny schüttelte meine Hand voller Elan, als ich sie ihm reichte. Ich musste lächeln. Der Kleine war wirklich Zucker.

„Wir haben dich auf den Hof reiten sehen“, ließ mich Fritz wissen. „Benny war ganz begeistert von deinem Pferd.“

Ich zwinkerte Benny zu. „Dann wollen wir doch mal zu Wotan gehen. Er freut sich immer über Besuch.“ Fritz und Benny folgten mir zum Hinterausgang, wo Wotan wartete.
 

„Na Großer“, sagte ich. „du hast Besuch.“ Ich tätschelte Wotan wieder am Hals. „Wenn ich vorstellen darf: Wotan, das ist Benny. Benny, das ist Wotan.“

Wotan schnaubte, als wenn er mich wirklich verstanden hätte und Benny begrüßen wollte. Ich konnte das Glitzern in den Kinderaugen sehen. „Woooa“, staunte er.

Benny waren Berührungsängste anscheinend fremd, als der Abstand zwischen den beiden augenblicklich schwand und er Wotan anfing zu streicheln. Sorgen musste ich mir keine machen - noch nie war ein so ruhiges Pferd wie Wotan in meinem Besitzt gewesen.

„Ich wollte Wotan jetzt noch longieren, wenn du möchtest, kannst du ein wenig auf ihm reiten“, bot ich dem Kleinen an.

„Wirklich?“, fragte Benny begeistert als er erst mich und dann Fritz mit leuchtenden Augen ansah. „Papa, darf ich?“ Fritz nickte zustimmend.
 

Ich streichelte Wotan, bevor ich seinen Kopf vorsichtig zu mir runter zog. „Na, Kumpel. Kannst du noch?“ Er schnaubte und ich musste lachen.

Ich wandte mich wieder an Ben, der vor Wotan stand. „Na dann helfe ich dir mal beim Aufsteigen. Und halt dich gut am Sattel fest.“ Als Ben auf dem Pferd saß, führte ich Wotan langsam zum Longierplatz. Fritz folgte mir, sagte aber nichts. Ich hörte Ben kichern und drehte mich zu ihm.

„Na, geht es?“, fragte ich ihn. Er nickte mir überzeugt zu.

Nachdem Ben sich an das Gefühl gewöhnt hatte, fing ich an die Longe lang zu lassen und signalisierte Wotan mit der Longierpeitsche, dass er im Schritttempo seine Runden drehen sollte. In regelmäßigen Abständen ließ ich Wotan von Schritt in den leichten Trab wechseln, was Benny besonders Spaß machte. Er jubelte wie ein kleiner Cowboy. Fritz blieb mit mir in der Mitte stehen und sah seinen Sohn an. Man konnte sehen, wie stolz er war.
 

Ich stupste ihn an. „Willst du auch mal?“ Ich deutete auf Wotan.

Gleich hob er die Hände abwehrend hoch „Nee, lass mal.“

Ich schnalzte mit der Zunge. „Hast du etwa Angst?“

„Quatsch“, gab er ein wenig zu energisch zurück. Meine Mundwinkel zuckten als ich mich an Ben wandte.

„Ich glaube dein Papa hat Angst auf Wotan zu reiten.“

Ben sah mich ungläubig an. „Das kann gar nicht sein. Papa ist der mutigste Mensch, den ich kenne.“ Dann sah er Fritz an. „Papa, komm. Das ist auch gar nicht schlimm.“ Er streckte eine Hand aus, hielt sich aber mit der anderen weiter am Sattel fest. Fritz blickte unzufrieden drein und ich klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.

„Na komm schon.“ Wir gingen zu Wotan. „Rück mal ein Stückchen nach vorne, Benny“, sagte ich ihm. Fritz stieg behutsam auf Wotan, wobei er etwas Hilfe von mir bekam.
 

Ich fing wie bei Ben langsam im Schritttempo an. Als ich in den Trap wechselte konnte ich sehen, dass Fritz sich damit nicht ganz wohlfühlte. Ich biss mir auf die Lippen um nicht zu lachen.

Ben drehte sich zu Fritz um und sah ihn aufmunternd an. „Siehst du Papa, ist gar nicht schlimm.“ Bei der Szene zwischen den beiden konnte ich mir einfach mein Lachen nicht länger verkneifen. Natürlich erntete ich einen bitterbösen Blick von Fritz. Also biss ich mir wieder auf die Lippe, kicherte aber leise weiter vor mich hin.

Fritz gewöhnte sich dann doch relativ schnell an die Bewegungen und wurde sicherer. Mit der Entspannung kam die Freude, mit seinem Sohn etwas gemeinsam zu erleben. Sie lachten und sahen glücklich aus. Die Gesichter der beiden erinnerten mich an das Foto, das auf Fritz´ Schreibtisch stand.
 

Mich traf ein tiefer Stich, wie ein Stromschlag, der sich langsam und heiß durch meinen Körper zog. Ohne es zu merken, hatte sich Peitsche in meiner Hand gelöst und fiel zu Boden. Wotan hielt wie trainiert an. Fritz blickte mich fragend an. Ich winkte ab, räusperte mich und nahm wieder die Peitsche in die Hand.
 

„Josephine“, hörte ich Ben´s kindliche Stimme. „Kannst DU vielleicht mal mit mir reiten?“, fragte er zögernd. Ich war verwundert. Ben drehte sich zu Fritz und sah seinen Vater beinahe entschuldigend an, bevor er sich wieder zu mir drehte.

„Papa reitet so langsam.“

Als ich den Gesichtsausdruck von Ben und Fritz in diesem Moment sah, konnte ich nicht anders. Ich lachte laut los. So sehr, dass ich meine Hand auf meinen Brustkorb legen musste. Fritz schmollte wie ein kleiner Schuljunge. Sein Sohn musste wohl sehr an seinem Ego gekratzt haben. Ich beruhigte mich nach einigen Momenten und nickte dann Ben zu.

„In Ordnung“, stimmte ich zu. „Aber nur, wenn der Papa damit einverstanden ist.“

Als Fritz seine Zustimmung gab, ging ich auf Wotan zu und belohnte ihn mit einem Leckerli. Fritz schaffte es ohne Hilfe vom Pferd zu steigen und ich nahm seinen Platz ein. Ich gab Fritz die Longierleine und schnappte mir dann die Zügel.
 

„Bereit?“, fragte ich Ben. Er nickte. „Aber du musst dich gut festhalten, okay?“

„Ja, das mach ich“, versprach er.

Dann gab ich Wotan das Signal sich in Bewegung zu setzen. Nach kurzer Zeit ging er in einen leichten Galopp über. Wir ritten quer über das Gehöft bis der Zaun uns am Weiterreiten hinderte. Ich schwenke vorher um und wir drehten noch einige Runden. Nach einer Weile verlangsamte ich das Tempo.

„Und hat dir das Spaß gemacht?“, fragte ich

„JA! Ich könnte das Stundenlang machen“, rief Ben euphorisch aus und brachte mit damit zum Lachen. Ben war ein feiner Junge. Ich verstand, warum Fritz ihn so liebte.

„Aber Wotan ist jetzt müde. Wir reiten wieder zurück, okay?“ Ben nickte und ich wir ritten im langsamen Schritt die Koppel entlang.
 

„Mein Papa mag dich“, sagte Ben plötzlich und überraschte mich damit völlig.

Ich stutzte, lächelte aber dann. „Ich mag deinen Papa auch. Wir sind gute Kollegen.“

Ben drehte seinen Kopf, um mich anzusehen. „Papa hat gesagt, er glaubt die nächsten Wochenenden keine Zeit für mich zu haben. Er meinte, dass er gerade an einem ganz wichtigen Fall arbeitet.“ Er machte kurz eine Pause, als er zu Boden sah. Dann schaute er mich mit diesen fragenden Kinderaugen an. „Stimmt das?“

Ich nickte ihm zu. „Ja, das stimmt.“

Er sah mich noch immer an. „Wirst du auf meinen Papa aufpassen?“

Bei der Frage musste ich schlucken und mein Herz zog sich zusammen. Ich streichelte ihm über den Kopf. „Ja, das werde ich.“

Jetzt lächelte er wieder und blickte nach vorne. Wir kamen dem Stall immer näher. Fritz wartete dort auf uns. Ben hob eine Hand und winkte Fritz hektisch zu. Fritz lächelte und winkte sanft zurück. Ich musste blinzeln, damit sich keine Tränen in meinen Augen sammeln konnten. Natürlich würde ich auf ihn aufpassen, dachte ich mir.
 

Am Stall angekommen kümmerten Ben und ich uns um Wotan. Als er sein Hafer und Heu bekam, konnten wir seine Box verlassen. Wir ließen die Boxtür auf und sahen Wotan noch eine Weile beim Fressen zu. Ben stand neben mir, hielt die Hand von Fritz, als er Wotan beobachtete.

Als auch ich Wotan betrachtete, sah ich im Augenwinkel wie Ben mich vorsichtig anblickte. Ich erstarrte für einen Moment, als er langsam seine Hand in meine schob. Es erwärmte mein Herz und ich sah ihn an und musste lächeln.
 

„Das hat heute Spaß gemacht“, strahle er mich an.

„Wir können das gerne irgendwann wiederholen“, bot ich ihm an.

Seine Augen glänzten. „Das wäre toll“, sagte er und beobachtete wieder Wotan. Ich blickte Fritz in diesem Moment an, der mich schweigend ansah. Ich musste wegsehen, als sich wieder dieser Stich durch meinen Körper zog. Ich rieb meinen Brustkorb um das Gefühl zu vertreiben.

Wir standen noch eine Weile wortlos da, als ich Ben laut gähnen hörte.
 

***
 

Ben war auf dem Beifahrersitz eingeschlafen, sobald Fritz ihn in den Wagen gesetzt hatte. Gegen das Auto gelehnt, die Hände vor der Brust verschränkt, stand Fritz da und sah mich wieder mit diesem Blick an.

„Ich habe gehört, dass du einen wichtigen Fall in nächster Zeit hast?“, fragte ich ihn.

„Er hat es dir gesagt?“ Fritz´ Lächeln wirkte gequält.

Ich nickte. „Er macht sich Sorgen“, entgegnete ich.

Fritz blickte zu Boden. „Ich weiß... Ich mir auch.“

Es tat mir weh ihn so zu sehen. „Fritz, du weißt, dass wir für dich da sind. Wir werden alles Mögliche tun damit du in unserem Team bleibst.“

Er nickte zaghaft. „Das weiß ich, aber wir sollten hier realistisch bleiben. Ich habe jemanden getötet. Für die Angehörigen ist es egal ob es Notwehr war oder nicht.“
 

Ich senkte meinen Blick und wusste nicht, wie ich auf seine harten Worte reagieren sollte. Er hatte Recht. Den Angehörigen würde der Unterschied egal sein – das kannte ich aus eigener Erfahrung. „Ich weiß“, sagte ich bedrückt. „Musstest du bei einem Einsatz vorher schon mal jemanden...“ Ich zögerte, sprach es aber dann aus „...töten?“

„Nein“, entgegnete er mir. „Du?“

Langsam schüttelte ich meinen Kopf. „Nein.“

Er wandte sich von mir ab und blickte in die Ferne. Seine Stirn legte sich in Falten. „Es war so einfach, als ich so wütend war.“

„Fritz“, ermahnte ich ihn, aber er unterbrach mich.

„Josephine“, begann er ernst. „Ich bereue es nicht, da ich dich nur so retten konnte und ich würde auch heute wieder die gleiche Entscheidung treffen.“

In meinen Augen bildeten sich Tränen. „Hör auf, Fritz. Sag so was nicht.“
 

Ich sah mich immer noch mit festem Blick an, seine Stimme wirkte jedoch kraftlos und verletzt. „Aber ich weiß auch, dass ich jemanden seinen Ehemann weggenommen, jemanden den Vater geraubt habe.“ Er atmete einmal tief durch. „Wenn Frau Bremer klagt, könnte ich es verstehen und wir wissen beide, dass ich mit größter Wahrscheinlichkeit im Gefängnis lande. Selbst wenn die internen Untersuchungen gut laufen, kann ich mir nicht vorstellen, dass Frau Bremer den Tod ihres Mannes einfach so hinnimmt.“

Ich wusste darauf nichts zu erwidern und es herrschte eine ganze Weile Stille.
 

Ich sah Fritz an, der meinen Blick mied. Wie gerne würde ich ihn einfach in den Arm nehmen und ihm versichern, dass alles wieder gut wird. Aber mit seiner Körperhaltung wirkte er unnahbar und ich ließ es bleiben. „Warum bist du heute hier hergekommen?“, fragte ich stattdessen.

„Ben hatte mich schon länger nach deinem Pferd gefragt. Ich habe mich spontan dafür entschieden, da es vielleicht die letzte Gelegenheit dafür ist.“

„Sag das nicht“, befahl ich schwach. „Ich habe ihm versprochen das bald wieder zu wiederholen. Du kannst mich doch nicht als Lügnerin dastehen lassen.“ Ich versuchte ernst zu klingen, aber Fritz lachte über diesen banalen Gedanken. Es war gut sein Lächeln zu sehen. Mich ließ es die Sorgen für einen kurzen Moment vergessen. „Aber Fritz“, sprach ich weiter. „Solange die Untersuchungen andauern, solltest du lieber nicht mehr herkommen“, bat ich ihn.
 

„Wurde mir auch empfohlen“, entgegnete er ausweichend.

„Dann halt dich daran, okay? Alles, was helfen kann, wird gemacht, verstanden?”

“Ist ja gut”, schnaubte er gespielt. “Du bist ja schlimmer als Alex oder der Chef. Soll Montag zu diesem Psycho-Doktor für das Gutachten.”

“Reicht denn da ein Tag?”, gab ich zu bedenken.

“Eh”, rief er empört. “Was soll das heißen?” Ich lächelte nur.

“Du solltest jetzt gehen”, sagte ich nach einer Weile. “Dein Kleiner ist fix und fertig.“

„Ja, du hast recht“, stimmte er mir zu. „Josephine?“

„Hm?“

„Wenn ihr Montag in einen Einsatz geht... Machst du bitte keinen Blödsinn? Spiel Alex nicht kaputt. Du weißt, dass er dich jetzt alleine managen muss“, bat er mich in einem herausfordernden Ton.
 

Ich blickte einen Moment, als ob ich drüber nachdenken würde. „Du hast Recht“, stimmte ich ihm zunächst zu. Ergänzte dann aber frech „Vielleicht sollten wir Waldi noch mitnehmen.“

„Bielefeld“, warnte er mich.

„Jaja, schon verstanden. Ich bin ganz brav.“ Ich hob abwehrend die Hände.

Er löste sich vom Wagen, machte zwei Schritte auf mich zu und legte mir seine Hand kurz auf die Schulter. „Gute Nacht“, sagte er mir.

„Nacht, Fritz“, erwiderte ich.

Er stieg ins Auto und fuhr davon. Ich stand eine Weile noch draußen und sah dem Wagen nach. Was konnte ich nur tun, damit weder die Staatsanwaltschaft noch Frau Bremer klage gegen ihn erhob? Bei dem Gedanken fing ich an zu frösteln. Ich rieb mir die Hände und ging ins Haus.



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