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Josephine Klick - Allein unter Cops

von

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„Wo fahren wir hin?“, fragte ich, als ich auf einem der Rücksitze des Dienstwagens platz nahm und mich anschnallte.

„Ist mir völlig egal. Hauptsache es geht endlich wieder in den Außendienst“, entgegnete Fritz gelassen und machte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich. Er sah zufrieden aus dem Fenster. Sein Lächeln konnte ich im Seitenspiegel sehen. Ich hatte zwar den Beifahrersitz aufgeben müssen, war aber froh, dass Fritz endlich wieder mit uns in den Außendienst fuhr. Er hatte es sich verdient.
 

„Nach Kreuzberg“, beantwortete Alex meine Frage. Er ließ den Motor an und wir fuhren los. In Kreuzberg war ich schon mal gewesen, erinnerte ich mich. Nach und nach erkundigte ich die Stadt und lernte sie immer besser kennen. Wohnte dort nicht auch Tereza? Ich war mir sicher, dass sie schon am Tatort war.
 

Ich fand immer noch, dass Berlin viele hässliche Ecken hatte und alles viel zu groß war. Aber einige Plätze waren wirklich schön und ich verbrachte dort gerne Zeit. War Kreuzberg nicht gleich neben Friedrichshain? Dann wohnte Fritz wohl auch nicht weit weg vom Tatort.

„Die Kollegen warten am Tempelhofer Ufer, Ecke Großbeerenstraße an der Brücke auf uns“, sprach Alex weiter als er sich in den Straßenverkehr eingeordnet hatte.
 

Die Gegend sagte mir was. “Ist das nicht beim technischem Museum?”, fragte ich nach. Alex sah mich durch den Rückspiegel kurz verwundert an, nickte dann aber.

Fritz drehte sich zu mir um während er seinen Mundwinkel leicht hochzog. “Mensch Bielefeld, langsam klappt es.” Fritz und seine Komplimente. Ich rollte mit den Augen.
 

„Was wissen wir denn schon?“, fragte ich. Wir hatten noch nicht über den Fall gesprochen. Ich stand gerade mit Karin am Kaffeeautomaten, als die beiden Jungs mir auf dem Flur entgegen kamen. Fritz hatte wild mit seinen Händen gestikuliert, als wollte er mich zu einem Sprint anfeuern.

„Wir haben einen Fall, also komm in die Hufen, Bielefeld“, und grinste mich dabei frech an. „Sonst fahren wir ohne dich und du kannst den Bus nehmen... oder das Pferd.“

„Jaha, ich komm ja schon!“ Ich nahm noch einen großen Schluck aus den Kaffeebecher und drückte ihn Karin in die Hand. Ich rannte ins Büro und schnappte mir meine Sachen, während die Jungs im Auto auf mich warteten.
 

„Wir wissen noch nicht so viel“, begann Fritz Erklärung. „Die einzige Info von den Kollegen ist, dass es sich bei dem Opfer um eine junge Frau handelt, die vor ein paar Stunden am Rand vom Landwehrkanal gefunden wurde.“

Ich verzog mein Gesicht. „Ne Wasserleiche?“ Wasserleichen waren besonders ekelige Fälle. Zumindest, wenn der Verwesungsprozess schon vor längerem eingesetzt hatte. Meistens fand man dann auch erst die Leichen. Die Bilder in meinem Kopf von älteren Fällen waren wirklich nicht für so eine Uhrzeit geeignet. Eigentlich zu keiner Uhrzeit, wenn ich es mir recht überlegte.
 

„Verzieh nicht so das Gesicht, Bielefeld. Die Frau scheint noch nicht aufgedunsen zu sein. Die Kollegen glauben, dass sie noch nicht lange tot sein kann.“

Ich entspannte mich. So früh am morgen hätte ich nur ungern schon so etwas gesehen. Eine Wasserleiche, die noch nicht lange tot war, aber an der Oberfläche gefunden wurde? Das war nicht typisch und machte mich stutzig.

Als ich über den neuen Fall nachdachte, musste ich an die Akte von Herrn Altenburg denken, die noch immer auf meinem Nachtisch lag. Die ersten Tage hatte ich mir die Berichte immer wieder durchgelesen. Gestern Abend war das erste Mal, dass ich mir die Unterlagen nicht mehr angesehen hatte.
 

Was sollte das auch bringen? Natürlich hatte ich ihm versprochen, dass ich darüber nachdenken würde. Aber egal in welche Richtung ich es lenkte, es kam immer auf das Selbe raus. Ich würde den Fall von Fritz vielleicht erneut zum Gesprächsthema machen und das wollte ich nicht riskieren. Ich konnte nicht einfach so ohne triftigen Grund den Fall annehmen und erwarten, dass es niemanden interessieren würde. Auf so viel Anonymität konnte man wohl selbst in Berlin nicht hoffen.
 

In drei Wochen würde Herr Altenburg wohl wieder da sein. Mir graute es davor ihm die Entscheidung mitzuteilen. Aber ich musste damit endlich abschließen und mich auf den neuen Fall konzentrieren.
 

Ich lehnte mich ein wenig zurück und rieb mir die Schläfen. Ich war ziemlich erschöpft und irgendwie pochte mein Kopf und fühlte sich warm an. Wurde ich etwa krank? Das konnte ich jetzt gar nicht gebrauchen. Die letzten Tage hatte ich Schlafprobleme. Es lag bestimmt nur daran, dass ich übermüdet war. Ich würde heute Abend einfach eher ins Bett gehen, vielleicht vorher einen Rotwein trinken.

„Alles ok, Josephine?“, fragte mich Fritz ohne sich umzudrehen. Ich konnte sehen, dass er mich im Seitenspiegel beobachtete.

„Ja, alles Bestens.“ Er sah mich durch den Spiegel skeptisch an, sagte aber nichts weiter.
 

***
 

Tereza war schon am Tatort. Sie unterhielt sich mit zwei Beamten. Die anderen Kollegen standen an der Absperrung. Ich erkannte Chris. Er arbeitete als Streifenpolizist im gleichen Revier wie wir und hatte meistens die Spätschicht. Ich sah ihn immer, wenn ich besonders früh aufs Revier kam und er gerade Feierabend machte.
 

Er sprach gerade mit einem Kollegen von der Feuerwehr und notierte sich etwas. Als er aufblickte und uns sah hob er kurz zur Begrüßung die Hand. Dann tauschte er sich noch kurz mit dem Feuerwehrmann aus, klopfte ihm auf die Schulter und kam auf uns zu.

„Josephine“, begrüßte er mich freundlich. Ich lächelte zurück. Er wirkte erschöpft. Vermutlich hatte er wieder die Nachtschicht gehabt und schob gerade Überstunden aufgrund des neuen Falls.
 

„Nachtschicht?“, fragte ich ihn, nachdem auch Fritz und Alex ihn begrüßt hatten.

„Wohl eher Frühschickt, wenn ich auf die Uhr sehe. Ich wollte bloß noch mit euch die Übergabe machen, dann bin ich auch verschwunden.“

„Was hast du denn für uns?“, wandte sich Fritz an Chris und nahm ihm die Unterlagen ab.

„Ein Jogger hatte heute Morgen Gegen halb acht die Frau am Rand des Kanals gefunden und uns verständigt. Sie lag nur halb im Wasser. An einem der Brückenpfeiler ist eine Metallplattform. Da lag sie. Als ich mit meinem Kollegen ankam, haben wir euch angerufen und die Feuerwehr informiert. Da ist ohne deren Kran sonst kein rankommen und wir wollten auch nicht unnötig Spuren verwischen, wenn wir es über die Böschung probieren.“
 

Ich sah zu den Feuerwehrmännern. Sie hatten die Brücke abgesperrt und das Feuerwehrauto für den Einsatz platziert. Chris war wirklich ein guter Polizist der mitdachte. „Ist die SpuSi denn durch mit allem?“, fragte Alex als er Chris ansah. Alex nahm sich die Unterlagen von Fritz und las das Formular quer.

„Wenn ihr keine Taucher einsetzt, dann sind die Kollegen nur noch mit der Böschung beschäftigt. Aber da sind keine frischen Spuren - weder Fußabdrücke noch abgebrochenen Äste”, antwortete Chris. Fritz fragte Alex nach der Tiefes des Kanals und ob Taucher überhaupt was bringen würden.
 

Ich klinkte mich bei diesem Thema aus und wandte mich wieder an Chris.

„Wenn das Opfer von der Brücke gestoßen wurde, dann wird in der Böschung vermutlich auch nichts zu finden sein“, sagte ich zu Chris. Ihm ging irgendwas durch den Kopf, das konnte ich sehen. Aber er zögerte noch es auszusprechen.

„Du glaubst nicht, dass das Opfer von der Brücke gestoßen wurde?“, fragte ich ihn. Er wirkte nachdenklich.

„Nicht?“, sagte Fritz und wandte sich zusammen mit Alex wieder an uns.
 

„Zumindest nicht von dieser“, setzte er an. „Vielleicht solltet ihr einfach mal mitkommen. Es kann natürlich sein, dass ich mich irre. Ich wollte hier nichts ohne euch ins Rollen bringen.“

Wir folgten ihm auf die Brücke und stellten uns an die Brüstung. Ein Kollege der Spurensicherung hatte sich über die Böschung am Rand des Kanals gestellt und machte Fotos vom Opfer und der direkten Umgebung.

Als ich hinunter ins Wasser blickte, verstand ich seine Bedenken. Wir mussten als erstes von Tereza klären lassen, ob es sich hierbei wirklich um Mord handeln konnte oder ob die Frau aus irgendwelchen Gründen ins Wasser gefallen und ertrunken war. Aber wenn das passiert wäre, hätten wir den Leichnam erst deutlich später gefunden. Leichen gingen zunächst immer erst mal unter.
 

Auch wenn in Filmen leblose Körper kurz nach Eintritt des Todes an der Oberfläche schwammen, die Realität sah anders aus. Erst durch den Verwesungsprozess bildete der Körper Gase, die den Leichnam an die Wasseroberfläche trieben. Das konnte sich in kalten Jahreszeiten Wochen hinauszögern. Und der Körper wäre dann in genau dem Zustand, an den ich vorhin im Auto noch gedachte hatte.
 

Egal ob Mord oder nicht, niemand hatte das Opfer so platziert. Sie musste also noch gelebt haben, als sie ins Wasser gestürzt war. Es sah aus, als ob sie noch versucht hätte sich aus dem Wasser zu ziehen, ihr aber dann die Kraft gefehlt hatte. Ertrinken konnten wir also mit hoher Wahrscheinlichkeit als Todesursache ausschließen. Wir würden aber auf den Bericht von Tereza warten müssen um ganz sicher zu sein.
 

Der leichten Strömung nach zu urteilen, war sie vermutlich nicht von hier ins Wasser gefallen. Also war der Tatort, sofern es sich um eine Tat handelte, eher weiter stromaufwärts.

Fritz und Alex schienen ebenfalls zu dem Schluss gekommen zu sein, als sie sich anblickten. „Die nächste Brücke ist doch gar nicht weit weg von hier, oder?“, fragte Fritz.

„Maximal hundert Meter“, antwortete Alex.
 

„Wir sollten die Kollegen vielleicht noch die nächsten zwei Brücken aufwärts der Strömung absuchen lassen“, schlug Fritz er vor.

Vielleicht reicht es nicht nur die Brücken nach Spuren untersuchen zu lassen. „Die Böschungen sollten auch nach frischen Spuren abgesucht werden“, mischte ich mich ein. „Sie muss ja nicht von einer der Brücke gefallen oder gestoßen worden sein”. Beide stimmten mir zu und wir veranlassten alle weiteren Schritte. Nach der Übergabe konnte Chris Feierabend machen. Gerade als wir mit den Feuerwehrmänner sprachen, kam Tereza auf uns zu.
 

“Sind wir soweit?”, fragte sie. Einer der Feuerwehrmänner würde mit Hilfe des Krans zusammen mit einem Kollegen der Spurensicherung den Leichnam bergen. Tereza konnte sich anschließend einen ersten Eindruck verschaffen. Die Bergung erfolgte zügig und nach einer groben Untersuchung zog Tereza den Reißverschluss des schwarzen Leichensacks zu.
 

“Und, Tereza?”, fragte Fritz, der gerade die Feuerwehrmänner verabschiedet hatte. “Kannst du eine erste Einschätzung geben?”

“Sie ist auf jeden Fall noch nicht lange tot. Es muss wohl in den frühen Morgenstunden passiert sein. Die Todesursache ist momentan noch nicht erkennbar. Ich muss erst die Lunge prüfen und nach möglichen weiteren Verletzungen suchen, die vielleicht zum Tod geführt haben. Das Einzige was offensichtlich ist, sind die vielen äußeren Verletzungen und blauen Flecke. Einige davon sind älter, einige davon sind aber auch frisch. Allerdings nichts, was sie hätte umbringen sollen. Ich melde mich sobald ich mehr weiß.”
 

Als der Leichnam durch die Kollegen von Tereza im Wagen verstaut wurde, drehte sie sich noch mal zu mir um. „Wie geht ihr jetzt vor?“

Ich schrieb noch meine Notiz zu Ende, während ich ihr antwortete. „Der erste Schritt wird wohl die Identifizierung der junge Frau sein. Also gehen wir erst mal die Vermisstenanzeigen durch. Sie hatte keine Papiere dabei, also müssen wir ein Gesichtsabgleich vornehmen.“ Ich blickte von meinem Notizblock hoch. „Ich ruf dich an, sobald wir jemanden haben, der zur Identifizierung vorbei kommen kann.“
 

„Mach das“, stimmte sie zu, sah dann auf die Uhr. „Aber nicht vor 16 Uhr. Ich werde wohl eine Weile brauchen bis sie jemanden gezeigt werden kann.“

„Ich glaube nicht, dass wir so schnell jemanden finden werden“, antwortete ich.

„Denkst du?“, fragte sie. „Die junge Frau sieht gepflegt aus. Da steht meistens auch eine fürsorgliche Familie hinter oder zumindest sehr gute Freunde, vielleicht aber auch ein besorgter Arbeitgeber. Spätestens morgen werdet ihr sicherlich jemanden haben. Wie gesagt, ab 16 Uhr müsste ich soweit sein. Das Foto habt ihr?”

„Ja“, sagte ich zu ihr. „Fritz hat ein Foto von ihrem Gesicht gemacht. Die Anfrage ist schon raus.“ Tereza verabschiedete sich noch von meinen beiden Kollegen und fuhr dann zurück in die Gerichtsmedizin. Die Kollegen der Spurensicherung hatten schon Verstärkung angefordert und die Untersuchungen am Tempelhofer Ufer hoch zur nächsten Brücke fortgesetzt.
 

Gleich an der ersten Brücke hatten wir kleine Blutspuren gefunden. Wenn die Mediziner es schafften daraus DNA zu gewinnen, konnten wir es mit dem Blut vom Opfer abgleichen. Vielleicht führte es uns aber auch zum Täter. Wir fuhren wieder zurück ins Revier. Sobald sie identifiziert war und wir ein entsprechendes Foto hatten würden wir Bars, Geschäfte und Anwohner befragen könnten. Es musste doch jemand was mitbekommen haben.
 

***
 

„Rebecca Manske“, sagte Ewald als er in das Büro von Fritz und Alex kam, wo wir uns gerade besprachen. Waldi wedelte mit einem Zettel umher, als er auf uns zukam und das Papier auf den Schreibtisch von Fritz legte. Alex und ich gingen um den Tisch, um ebenfalls auf die Informationen zu blicken.
 

„Entweder sie ist das oder es existiert noch eine Zwillingsschwester“, sagte er. Waldi legte das Foto vom Personalausweis neben das Foto, das Fritz am Tatort gemacht hatte. Natürlich war das Gesicht vom Leichnam von verschiedenen Verletzungen etwas geschwollen, aber der Knochenbau war sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch und sie hatte unter der Lippe den gleichen kleinen Leberfleck.

Sie war 29 Jahre alt und wohnte in Berlin-Mitte. Ihre Eltern haben sie gestern Abend als vermisst gemeldet. Tereza hatte Recht behalten. Wir hatten zügig die Informationen bekommen, die wir brauchten.

Es war immer schwierig zu einer Familie zu fahren und um Mithilfe bei einer Identifizierung zu bitten. Dazu noch bei einer, wo es um das eigene Kind ging. Natürlich würden sie hoffen, dass es nicht ihre Tochter war.
 

Gegen halb sieben am Abend hatten wir mit dem Ehepaar Manske die Gerichtsmedizin erreicht. Tereza war extra länger geblieben, damit wir die Identifizierung noch durchführen konnten. Ich war mit Fritz zu Familien Manske gefahren, um sie abzuholen. Alex hatte darauf verzichtet mitzukommen und lieber früher Feierabend gemacht. Wir konnten heute sowieso nicht mehr viel machen. Und ihm kam es recht, da Caroline heute Abend wieder zum Yoga wollte.
 

Wenn es wirklich die Tochter des Ehepaars war, und aus meiner Sicht bestand daran kein Zweifel, sollten sie nach der Identifizierung kein Auto mehr fahren. Fritz und ich würden sie anschließend nach Hause bringen. Sofern ein Psychologe notwendig wäre, würden wir diesen verständigen. Mehr konnten wir im Moment nicht tun.
 

Tereza begrüßte das Ehepaar und wir gingen in das Untersuchungszimmer. Als Tereza das weiße Tuch vom Gesicht des Leichnams nahm, brach die Mutter in Tränen aus und keuchte `Rebecca´. Sie suchte Halt bei ihrem Mann, der ebenfalls um Fassung rang.

Während er seine Frau fest in den Armen hielt, nickte er mir wortlos zu und eine einzelne Träne lief ihm über die Wange. Bei dem Anblick musste ich schlucken. Aber so war der Job und es gehörte mit dazu. Das Einzige, was wir für die Familie tun konnten, war den Täter zu finden, sofern es hierbei sich um einen Mord und nicht um einen Unfall handelte. Tereza und die Spurensicherung würde uns hoffentlich morgen bereits die ersten Ergebnisse liefern können.
 

Fritz stand neben mir, als wir dem Ehepaar einen Moment Zeit gaben. Als sich sein Blick auf mich richtete, sah er mich aufmunternd an. Auch ohne Worte verstand ich, dass er mir sagen wollte: `Kopf hoch, das ist nun mal unser Job. Lass es nicht zu sehr an dich heran´.
 

Der Mann sah Fritz und mich an, wie es nur ein Vater konnte, der seine Tochter über alles geliebt hatte und nun Antworten wollte.

“Wer hat das meinem kleinen Mädchen angetan?”, fragte er mit zitternder, Stimme als er noch immer die weinende Frau in seinen Armen hielt. Ich straffte meine Schulter etwas, als ich versuchte in angemessenem Ton zu antworten.

“Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch keine endgültige Aussage treffen. Wir warten noch auf die Berichte der Spurensicherung und die Untersuchung der Gerichtsmedizin. Es ist noch nicht klar, ob es sich hierbei um einen Unfall oder ein Fremdverschulden handelt. Morgen wissen wir bestimmt mehr.” Eine Weile sah er mich einfach nur an. In seinen Augen konnte ich den unglaublichen Schmerz sehen.
 

Als ich bei der Kripo anfing dachte ich, dass Leichen mich mental am Meisten beschäftigen würden. Aber man lernte damit umzugehen. Was man jedoch nie lernt, war unbeeindruckt zu bleiben von den Emotionen der Hinterbliebenen.

Ich spürte wie Fritz seine Hand sachte auf meinen Rücken legte. Seine Berührung und Nähe beruhigte mich und das tat in solch einem Moment einfach gut.

Frau und Herr Manske brauchten noch eine Weile bis wir sie wieder aus dem Untersuchungszimmer führen konnten. Sie waren heute nicht mehr bereit für Fragen. Das verstand ich. Die Menschen brauchten unterschiedlich viel Zeit, um sich mit dem Thema auseinander setzen zu können. Leichter wurde es dadurch aber auch nicht. Familie Manske brauchte mehr Zeit. Sie stimmten zu, dass wir morgen noch einmal mit ihnen sprechen mussten. Obwohl beide das Angebot einen Psychologen zu holen ablehnten, gab ich ihnen vorsichtshalber die Kontaktdaten. Gemütszustände in solchen Situationen konnten sich schlagartig ändern.
 

Wir brachten das Ehepaar nach Hause und fuhren wenig später los. Ich ließ mich in meinen Sitz zurücksinken und atmete einmal tief durch.

„Alles klar?“, fragte mich Fritz und sah kurz zu mir, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete.

„Ich muss an die junge Frau denken“, sagte ich etwas abwesend, als ich aus dem Fenster sah. Ich hatte immer noch das Bild vor Augen wie wir den Leichnam der jungen Frau vorgefunden hatten. Ich wandte meinen Kopf zu Fritz, als ich mich wieder gerade in den Sitz setzte.

„Du glaubst doch auch, dass sie versucht hat sich aus dem Wasser zu ziehen, oder?“
 

Fritz sah kurz zu mir, schwieg aber eine ganze Weile. „Es bringt doch nichts zu spekulieren, Bielefeld. Wir wissen noch viel zu wenig. Lass uns auf den Bericht der SpuSi warten. Der Bericht von Tereza wird uns auch weiterhelfen.”

Ich verstand natürlich was er meinte. Aber ich hatte gelernt manchmal auf meine Intuition zu hören und ihr zu folgen.

„Aber war es nicht merkwürdig, wie sie am Pfeiler lag? Nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche? Also ertrunken ist sie definitiv nicht. Sie muss also noch genügend Kraft gehabt haben, sich hochzuziehen. Es hatte aber nicht gereicht, um komplett aus dem Wasser zu kommen. Was ist da also passiert?“
 

Ich hörte Fritz seufzen, als ich das Thema nicht ruhen ließ. „Gut“, sagte er und wirkte einen Augenblick nachdenklich. „Vielleicht war sie so schwer verletzt, dass ihr die Kraft fehlte.“

„Das sie deswegen stirbt?“, fragte ich skeptisch. „So schlimm sahen die äußeren Verletzungen aber nicht aus.“

Fritz rollte mit den Augen, als er den Kopf schüttelte. „Ich rede von inneren Verletzungen. Sie hatte einen Streit mit jemandem, der eskaliert ist. Sie ist ins Wasser gefallen oder wurde gestoßen, hat sich vielleicht den Kopf angeschlagen-“

„Dann wäre sie aber ohnmächtig geworden und ertrunken“, unterbrach ich ihn.
 

„Dann hat sie sich eben nicht den Kopf angeschlagen. Dann muss etwas passiert sein, dass sie nicht so schwer verletzt hat, dass sie sofort verstorben ist. Sie konnte sich noch eine Weile an der Oberfläche halten, trieb mit der leichten Strömung zur nächsten Brücke und schaffte sich dort festzuhalten, wo wir sie gefunden haben.“

„Genau“, stimmte ich zu, als mir eine Theorie durch den Kopf ging. „Es war also etwas, dass erst später Wirkung gezeigt hat.“

„Du meinst chemische Substanzen?“

„Warum nicht? Hattest du noch nie einen Fall, wo jemand vergiftet wurde?“

„Natürlich hatten wir schon Fälle, wo diverse Substanzen eine Rolle gespielt haben. Wir sind hier in Berlin. Hier kriegt man alles.“

„Also wäre es eine Möglichkeit.“

„Es wäre eine Möglichkeit von vielen. Genauso gut könnte es ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder eben doch die inneren Verletzungen gewesen sein. Vielleicht hat das Adrenalin sie nicht gleich untergehen lassen“, gab Fritz zu bedenken. Ich musste ihm Recht geben.
 

Ich atmete frustriert aus und sah aus dem Fenster. „Stimmt schon“, sagte ich unzufrieden. Natürlich könnte das sein. Vielleicht hatte ihr Herz versagt oder ein anderes Organ. Vielleicht würde Tereza schwere innere Verletzungen finden, die wir nicht sehen konnten. Es musste kein Gift sein.

hatte Ewald heute Nachmittag nicht erzählt, dass sie in einem Institut für Drogenkranke arbeitete? Vielleicht hatte sie dort Streit mit jemanden gehabt oder vielleicht sogar mit einem der Drogenkranken? Das war überhaupt der Grund, warum mir diese Idee gekommen war. Wir mussten unbedingt mit dem Arbeitgeber, den Kollegen und den Patienten sprechen um die sich Rebecca gekümmert hatte.

Fritz stoppte das Auto, als wir an einer roten Ampel stehen bleiben mussten.
 

„Bielefeld“, begann Fritz. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an. Er hatte seinen Blick auf mich gerichtet und sprach in einem ruhigen Ton. „Du überschlägst dich schon wieder. Der Fall ist keinen Tag alt. Du musst ihn heute nicht mehr lösen.“

„Ich weiß!“ Mir war das schon klar, aber ich hasste es, wenn der Tag zu Ende ging und ich eine These nicht überprüfen konnte.

„Du siehst müde aus. Wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen, ohne das dich ein Fall beschäftigt hat?“, fragte er und sah mich besorgt an.
 

Wann ich das letzte Mal richtig geschlafen habe? Da war ich mir nicht sicher. Mich beschäftigte immer etwas und ich wurde oft in der Nacht wach. Meistens holte ich mir dann mein Handy vom Nachttisch und machte mir Notizen für den nächsten Tag. Irgendwann war ich dann wieder müde genug um weiterzuschlafen. Ich ging die letzten Nächte durch. Es war immer das selber, bis...

Bei Fritz, dachte ich und mir stieg die Röte ins Gesicht. Ich hatte durchgeschlafen als ich bei Fritz übernachtet hatte. Ich war nur wach geworden, weil Benny mich weckte. Wie viele Stunden hätte ich sonst noch geschlafen?
 

„Josephine?“, sagte Fritz und ich merkte, dass ich ihn anstarrte ohne etwas zu sagen. Die Erkenntnis machte mich nervös. Warum hatte ich gerade bei Fritz Schlaf gefunden? Natürlich hatte ich anfangs Probleme zur Ruhe zu kommen. Ich musste erst einmal den Tag verarbeiten. Es war soviel passiert mit Stefan, mit Fritz und mit mir. Aber als mich die Geborgenheit des Zimmers eingenommen hatte, wurde ich ruhiger und war schließlich eingeschlafen ohne auch nur einmal in der Nacht aufzuwachen.
 

„Ist alles ok mit dir?“, fragte er mich und kam etwas dichter. Ich schüttelte meinen Kopf, als ich versuchte meine Gedanken zu sortieren. Was war nur los mit mir? Die letzten Wochen hatten mich schrecklich aufgewühlt. Ich sah immer noch in das Gesicht von Fritz und versuchte Antworten zu finden. Und noch immer sah er mich mit diesem warmen, besorgten Ausdruck an. Vor einem halben Jahr wäre es ihm vermutlich egal gewesen, wie es mir ging. Aber wir hatten uns angenähert, waren gute Kollegen mit der Zeit geworden. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen und irgendwie war er für mich ein Anker geworden. Ähnlich war es mit Alex, aber mit Fritz war es anders, es war... tiefer.
 

Die Hand von Fritz legte sich auf meine Stirn und ich zuckte leicht zurück bei der Berührung. Er verengte seine Augen, als er mich ansah.

„Hast du etwa Fieber?“ Ich nahm seine Hand von meiner Stirn und lehnte mich etwas zurück. Wenn er mich so berührte, hatte ich wirklich das Gefühl Fieber zu haben. Seine Hand fühlte sich ungewöhnlich kühl an, was bisher nie der Fall gewesen war.

„Nein, habe ich nicht“, entgegnete ich bestimmt bevor ich meinen Blick von ihm abwandte.

„Josephine“, begann er mit warnender Stimme, wurde aber durch ein Auto, dass hinter uns hupte unterbrochen. Er fluchte als er sich kurz nach hinten drehte.
 

„Wir haben grün“, sagte ich und deutete mit meinen Finger auf die Ampel vor uns.

„Ich weiß“, murmelte er und fuhr los.

Eine Weile schwiegen wir, als wir durch Berlin fuhren. Er fuhr nicht die gewohnten Straßen zum Revier und ich wurde stutzig. Das war aber nicht der Weg, oder?

„Mussten wir nicht da vorne abbiegen?“, fragte ich verwundert.

„Nein, mussten wir nicht.“

„Aber da geht es doch zum Revier“, sagte ich und deutete wieder auf die Kreuzung, die wir hinter uns gelassen hatten.

„Ich fahre dich nach Hause.“ Er hatte seinen Blick stur auf die Straße gerichtet und ich konnte sehen, dass er mal wieder eine Entscheidung getroffen hatte ohne mich zu fragen.
 

„Das ist doch Quatsch. Das ist ein viel zu großer Umweg“, warft ich ein.

Er schnaubte, sah mich aber kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Denkst du wirklich, ich lass dich mit einem Bus durch Berlin gurken, wenn du Fieber hast?“

„Ich hab kein Fieber“, widersprach ich energisch.

„Fühlt sich aber anders an.“

„Vielleicht waren deine Hände nur zu kalt.“

Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Wir können auch gerne zur Notapotheke fahren und dann messen wir noch einmal deine Temperatur nach. Ist dir das lieber?“

Ich traute ihm zu, dass er es machen würde. „Nein“, antwortete ich als ich mich geschlagen gab.

„Na, siehst du“, sagte er und sah mich dabei mit einem zufriedenen Lächeln an. „Also leb damit, dass ich dich nach Hause fahre.“
 

Er richtete seinen Blick wieder auf die Straße und fuhr an der nächsten Kreuzung ab. Ich betrachtete sein Profil eine Weile. Er war soo stur, dachte ich, konnte ihm aber nicht böse sein. Er tat mir einen Gefallen. Er musste doch selber erschöpft sein vom Tag und trotzdem bestand er darauf mich sicher nach Hause zu bringen. Ich musste lächeln bei diesem Gedanken.
 

Fritz konnte ein richtiger Gentlemen sein, ganz die alte Schule. Anfangs fand ich das nervig, aber mittlerweile gefiel es mir immer mehr. Vielleicht lag es daran, dass ich das Gefühl hatte, akzeptiert und respektiert zu werden und niemandem mehr was beweisen zu müssen, besonders nicht mir selbst.

„Danke“, flüsterte ich. Er lächelte ohne den Blick von der Straße zu wenden.



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