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Josephine Klick - Allein unter Cops

von

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„Das Mädchen hatte Glück“, sagte der Arzt, als er uns nach einer gefühlten Ewigkeit im Besucherbereich des Krankenhauses aufsuchte. „Sie wäre jetzt vermutlich tot, wenn Sie beide sie nicht gefunden hätten.“

„Also ist sie stabil?“, fragte ich den Arzt.

„Wir konnten das Schlimmste verhindern. Sie ist aber noch immer in einem kritischen Zustand. Wir haben ihr Sedativum verabreichen müssen.“
 

„Sedativum?“, fragte ich.

„Wir mussten die Patientin in ein künstliches Koma legen, damit der Körper in Ruhe genesen kann.“

Wir konnten froh sein, dass Lisa überlebt hat. „Wir brauchen ein Einzelzimmer für das Mädchen“, teilte ich dem Arzt mit. Er sah mich verwirrt an. Er konnte sich denken, dass sie keine Privatpatientin war. Ich trat etwas dichter an ihn heran und sagte leise: “Das Mädchen ist vermutlich Zeugin in einem Mordfall oder hat Kenntnisse, die zum Mörder führen könnten. Wir müssen sie also bewachen.”

Der Arzt verstand mein Anliegen. “Ich werde alles Nötigen veranlassen.”

„Danke.“
 

Er bat uns mitzukommen. Wir folgten ihm. Als wir auf der Intensivstation angekommen waren, blieb er am Empfangsbereich stehen und besprach die Situation mit dem Stationsleiter. Zwei Krankenschwestern bereiteten den Raum vor und wenig später wurde Lisa ins Zimmer geschoben. Sie musste beamtet werden und bekam Infusionen. Mich durchlief ein Schauer. Ich hoffte nie so daliegen zu müssen - so hilflos und allem ausgeliefert.

Wir mussten nach Verstärkung fragen. Wir brauchten Kollegen, die sich um die Bewachung kümmerten. Ich hatte noch nicht im Büro angerufen um Bescheid zu sagen, es war einfach zu viel passiert.
 

„Ist eine Bewachung wirklich notwendig?“, fragte mich Karin.

„Jemand hat versucht sie zu töten, Karin. Diese Person wollte sie zum Schweigen bringen. Also muss sie etwas wissen und vielleicht ist es genau die Information, die wir für unseren Fall benötigen.“

Karin sah mich noch immer skeptisch an. „Warum hat er sie dann nicht eher versucht zu töten?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht hat er erst jetzt von den Ermittlungen erfahren oder er hat Lisa einfach nicht früher gefunden. Versuche mal jemanden zu finden, der keinen geregelten Alltag und keine feste Bleibe hat.”
 

Ich war mir sicher, dass die Überdosis von Lisa mit dem Fall von Rebecca zusammen hing. Das konnte einfach kein Zufall sein. Bei Rebecca ermittelten wir, weil wir davon ausgehen mussten, dass ihr das Mittel gewaltsam eingeflößt wurde. Aber Lisa war bekannt für ihre Drogenprobleme. Jede hätte geglaubt, dass sie an einer Überdosis durch Eigenverschulden gestorben wäre. Die Akte wäre innerhalb weniger Tage geschlossen worden.

Hatte jemand versucht sich der einzigen Zeugin zu entledigen? Welchen Grund hätte er sonst gehabt zu fliehen? Hatte Lisa etwas gesehen, was nicht für ihre Augen bestimmt war?
 

Wir brauchten definitiv Kollegen, die Lisa bewachen würden. Ich sollte wohl besser Waldi anrufen. Ich wandte mich an die Krankenschwester, die gerade die Zufuhr der Infusion für Lisa kontrollierte.

„Wo darf man hier telefonieren?“, fragte ich.

„Im Zimmer bitte nicht“, sagte sie und deutete auf die Tür. „Auf dem Flur ist es aber kein Problem.”

Ich sah zu Karin. “Wartest du hier? Ich ruf nur kurz die Kollegen an.” Sie stimmte zu und ich verließ das Zimmer.
 

Mein Handy war auf tonlos gestellt. Als ich es aus meiner Jackentasche nahm, sah ich einige Nachrichten und Anrufe in Abwesenheit. Ich hatte bei der ganzen Aufregung total vergessen mein Handy zu kontrollieren. Fritz hatte mir vor etwa einer dreiviertel Stunde geschrieben. `Seid ihr pünktlich wieder zurück?´ Dreißig Minuten später war eine weitere Nachricht von ihm eingegangen. `Wo zum Henker bleibst du!?!?!´
 

Gerade als ich die Nummer vom Büro wählen wollte, erschien sie auf dem Display, als erneut ein Anruf einging.

„Ja?“

„Gott sei Dank!“, hörte ich die Stimme von Ewald am anderen Ende. „Du glaubst nicht was hier los ist. Fritz wollte schon wieder dein Handy orten lassen. Wo bleibt ihr denn?“ Ich wusste, dass ich mich eher hätte melden müssen. Es war viertel vor fünf und die Kollegen vom Drogendezernat mussten wohl auch bald da sein. Karin und ich würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Wir konnten hier jetzt nicht so einfach los. Nicht ohne dem Mädchen Schutz zu gewähren.

„Tut mir leid“, sagte ich zu Ewald. „Ist nicht so gelaufen wie geplant. Wir sind hier gerade noch im Krankenhaus und...“

„Ist das Josephine?“, hörte ich die Stimme von Fritz im Hintergrund. Na super, dachte ich. Da würde Fritz mal wieder eine bomben Laune haben, wenn wir zurück waren.

„Krankenhaus?“, fragte Waldi alarmiert. Ich wollte ihn schon beruhigen, konnte aber am anderen Ende ein wildes Handgemenge hören.

Dann hörte ich nur ein `Gib mir den Hörer´ von Fritz und ein `Ehhh!´ von Waldi.
 

„Josephine?“, sagte er und klang etwas atemlos. „Warum seid ihr im Krankenhaus? Ist was passiert?“

Fritz klang besorgt und es tat mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet hatte.

„Wir haben bei unseren Befragungen eine junge Frau gefunden, die Rebecca vermutlich noch am Abend gesehen hatte, bevor sie verschwunden ist.“

„Danach habe ich nicht gefragt, Bielefeld“, sagte er und klang etwas genervt. „Warum seid ihr im Krankenhaus?“

„Jemand hat versucht sie zu ermorden.“

„Was?“, rief Fritz in den Hörer und ich musste mein Telefon etwas vom Ohr weghalten, weil seine Stimme deutlich an Lautstärke zugenommen hatte.

„Keine Sorge, die Ärzte konnten das Schlimmste verhindern. Sie wird es vermutlich schaffen. Aber der Täter ist mir entwischt. Der war einfach zu schnell.“

„Du hast im Alleingang einen Täter verfolgt?“, zischte er in den Hörer. „Ich glaub es nicht“, hörte ich Fritz fluchen. Im Hintergrund hörte ich Gemurmel. Alex und Ewald mussten wohl gefragt haben, was jetzt wieder los ist.

„Wie gesagt, er ist mir entkommen. Karin hat mir Rückendeckung gegeben“, versuchte ich ihn zu beruhigen, ahnte aber schon, dass es wohl nicht dazu beitragen würde.

„Rückendeckung? Von Karin?“, er klang aufgebracht. „Weißt du wann Karin das letzte Mal beim Schießtraining war? Bist du Lebensmüde?“

„Nun schrei mich nicht so an. Immerhin haben wir vermutlich die einzige Zeugin, die wir haben, retten können.“
 

„Du riskierst dein Leben für eine Vermutung?“

„Nein, für einen Menschen, Fritz. Ich bin Polizistin. Außerdem hat der Typ keine Anstalten gemacht MICH umbringen zu wollen. Er ist geflohen, sobald er uns bemerkt hat. Und ich habe ihn dann nicht weiter verflogt.“

Am anderen Ende herrschte Stille. Ich konnte aber noch immer die Stimme von Alex im Hintergrund hören. Fritz schien ihn zu ignorieren, denn er antwortete ihm nicht. „Hör zu, Fritz. Karin geht es gut, mir geht es gut. Es ist nichts passiert.“ Er antwortete immer noch nicht und ich musste selber erst einmal durchatmen, um mich ein wenig zu beruhigen.
 

„Es tut mir leid Fritz, ok? Es war bestimmt nicht geplant, dass wir jemanden in die Arme rennen, der gerade ´nen Mord verüben wollte. Wir wollten einfach nur das Mädchen befragen.“

Ich hörte, dass er am anderen Ende schwer atmete. „Genau wegen solchen Dingen solltest du nicht alleine hinfahren, Josephine”, sagte er. Seine Stimme hatte sich normalisiert, er hatte sich offensichtlich etwas beruhigt und ich ersparte mir den Satz, dass ich nicht alleine hingefahren war. Außerdem hatte Karin ihren Job wirklich gut gemacht.

„Wann kommt ihr wieder rein?“, wollte er wissen.

„Wir brauchen noch jemanden der die Überwachung hier übernimmt, dann machen wir uns auf den Weg.“

„Habt ihr schon jemanden informiert?“

„Nein, ich wollte gerade Waldi anrufen. Kannst du ihm mir noch mal geben?“

„Ja, Waldi steht hier. Sollen wir auf euch warten oder den Kollegen absagen?“

„Nein, die müssten bestimmt gleich da sein. Fangt einfach schon einmal an, wir kommen dann später einfach dazu.“

„Alles klar“, Fritz rief Waldi ans Telefon.

Es dauerte eine halbe Stunde bis die Kollegen uns ablösten. Anschließend machten wir uns auf den Weg zurück ins Revier. Ein Glück hatte Tulpe heute so tadellos funktioniert. Karin packte ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg nach Hause und ich ging alleine in den Besprechungsraum. Vorsichtig klopfte ich an, bevor ich die Tür öffnete und ins Zimmer schlüpfte.
 

„Entschuldigt die Verspätung“, sagte ich vorsichtig.

Alex, Fritz und Waldi saßen zusammen mit dem Chef in der ersten Reihe und sahen mich an. Hinter ihnen saßen noch weitere Kollegen, die uns bei größeren Fällen immer unterstützten. Die beiden Männer, die vorne standen kannte ich noch nicht. Es mussten die beiden Ermittler vom Drogendezernat sein. Mein Chef stand kurz auf und ging auf mich zu. Er lächelte mich an. „Gut, dass Sie wieder heil angekommen sind“, sagte er. Ich sah Fritz an. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und tat so, als ob er meinen Blick nicht bemerkte.

„Wir reden später aber noch einmal darüber, verstanden?“, bemerkte der Chef und sah mich vielsagend an. Na super, da konnte ich mir gewiss wieder was anhören. Vielen Dank, Fritz.
 

„Das ist unsere Kollegin, Josephine Klick. Sie ist seit einem dreiviertel Jahr bei uns“, sagte der Chef an die beiden Männer gewandt, die vorne neben dem Flipchart standen.

„Hallo“, sagte ich und ging auf die beiden zu. „Josephine“, bestätigte ich meinen Namen und reichte dem ersten Kollegen die Hand.

„Christopher“, sagte er und lächelte mich an. “Freut mich. Schön zu wissen, dass ich nicht der einzige Neuling hier bin.“

Ich sah ihn verwirrt an „Neuling?“

„Bin selber erst seit einem halben Jahr im Dienst der Berliner Polizei.“

„Ach so“, sagte ich und lächelte ihn an „Dann willkommen in Berlin. Ist schon ein anderes Pflaster, nicht wahr?“

„Ja, aber man gewöhnt sich dran“, bestätigt er.

„Die Kollegen machen es einem aber auch leicht in Berlin Fuß zu fassen“, sagte ich zuckersüß, bevor ich für eine Sekunde Fritz bitterböse ansah. Er verstand es. Aber anstatt sich zu schämen, grinste er mich nur übertrieben freundlichen an. Ich wandte mich dem zweiten Kollegen zu.
 

„Hannes“, stellte er sich vor und reichte mir die Hand.

„Josephine“, wiederholte ich meinen Namen. Sein Blick war intensiv und mich durchlief ein Schauer. Starrte er mich an oder kam mir das nur so vor? Als er meine Hand nicht losließ, fragte ich ihn möglichst höflich, ob alles in Ordnung sei.

Er blinzelte und nahm etwas Abstand von mir. “Nein, nein. Alles Bestens. Die Kollegen habe nur nicht erwähnt, was für eine hübsche Kommissarin wir hier in diesem Dezernat haben”, entgegnete er. „Vielleicht sollten wir sie abwerben“, sagte er und lächelte mir zu.

Sein Lächeln wirkte künstlich und ich war mir sicher, dass er es nicht ernst meinte, machte aber bei seinem Schauspiel mit. Vielleicht hatte er von der Geschichte mit Stefan und mir gehört und wollte jetzt nicht unhöflich sein.

„Lieben Dank. Aber meine Kollegen haben es vermutlich nicht erwähnt, da es ihnen noch nicht aufgefallen ist“, gab ich zurück und versuchte die Situation etwas aufzulockern. Er schien sich zu entspannen. Als er mich anlächelte, wirkte es echter als vorher. Auch Christopher neben uns schmunzelte.
 

„Ich will niemanden länger aufhalten. Macht doch einfach weiter, wo ihr gerade wart. Ich arbeite den Rest dann nach“, sagte ich und begab mich auf den leeren Stuhl neben Fritz.

Er sah mich stirnrunzelnd an, als er mir die Unterlagen reichte.

„Was denn?“, fragte ich und nahm ihm die Unterlagen ab ohne mich zu bedanken. Eigentlich sollte ich sauer auf ihn sein. Ich war mich sicher, dass der Chef von ihm über die Ereignisse informiert worden war. Natürlich hatte ich meinen Fehler erkannt. Aber Karin war Polizistin und keine Sekretärin. Ihr schadete es nicht, wenn man sie ab und an mit nach draußen nahm. Natürlich war es heute nicht unbedingt ein glorreiches Beispiel. Es hätte wirklich gefährlich werden können.

Aber ich versuchte die Gedanken zu verdrängen. Das Mädchen war gerettet. Sie konnte uns vielleicht den Täter liefern. Also sollten wir alle doch zufrieden sein, oder?
 

Als Fritz nicht weiter reagierte, wandte ich mich an die beiden Kollegen vom Drogendezernat, die mit ihren Ausführungen weitermachten. Christopher berichtete gerade über die neusten Aktivitäten der Drogenszene.

Die Substanz, die er gerade ansprach hatte sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer Partydroge entwickelt, die mehrfach schon von Männern benutzt worden war um Frauen gefügig zu machen. Sie wurde gerne in Getränke gemischt. Die Frauen verloren dadurch ihr Hemmungsgefühl, in vielen Fällen auch ihr Bewusstsein. So hatten Vergewaltiger natürlich leichtes Spiel. Den Opfern blieb am nächsten Tag nur die schreckliche Erkenntnis, dass sie jemanden vollkommen ausgeliefert gewesen war. Sie hatten es überlebt, würden aber nie wieder die selben Menschen sein.
 

Die Droge war sehr gefährlich, da sie leicht zu kriegen, aber schwer zu dosieren war. Es hatte schon viele Opfer gegeben. Ich beobachtete Christopher, als er eine weitere Folie mit Statistiken auflegte. Er war vielleicht Mitte vierzig, hatte dunkelblonde Haare, die ihm lockig vom Kopf abstanden. Er schien sehr sympathisch zu sein und hatte eine warme, tiefe Stimme. Aus meiner Sicht wirkte er jedoch zu freundlich um ins Drogendezernat zu passen.
 

Hannes passte dort deutlich besser rein. Er wirkte ernst und hatte einen grimmigen Blick, wenn er konzentriert war. Er war vielleicht ein paar Jahre älter als ich. Er konnte vermutlich sich in eine Drogenbande einschleichen, ohne dass es jemanden auffallen würde, dass er ein Polizist ist. Er strahlte etwas Gefährliches aus. Ich fand es faszinierend, aber irgendwie irritierte es mich auch.
 

Sein Blick traf meinen als ich ihn ein wenig zu lange angestarrte. Er hielt meinem Blick stand, als wenn er mich abschätzen wollte. Mich beschlich ein ungutes Gefühl dabei. Ich rang mir ein zaghaftes Lächeln ab, dass ich ihm schenkte, bevor ich mein Blick auf die Unterlagen vor mir richtete.

Ich blätterte das kurze Handout durch. Liquid Ecstasy wurde im wissenschaftlichem Bereich als Gamma-Hydroxybuttersäure oder auch C4H8O3 bezeichnet. Es fand Anwendung in der Medizin, war aber leider in den letzten Jahres vermehrt als Droge aufgetaucht. Ich stutzte bei diesen Begriffen. Wo hatte ich die schon mal gelesen?
 

Als ich gerade die letzte Seite aufblättern wollte, stieß mir Fritz mit seinem Ellenbogen in die Seite.

Ich drehte meinen Kopf zu ihm.

„Was ist?“, fragte ich im Flüsterton, als ich mich etwas näher zu ihm beugte.

„Können wir nachher noch mal über unsere Ermittlungen heute sprechen?“, fragte er mich leise.

Ich zog bei der Frage meine Augenbraue hoch. “Über eure oder die von Karin und mir?”, fragte ich ihn. Er verdrehte die Augen und ich äffte ihn nach.

„Über beide“, sagte er ruhig. Er beugte sich noch etwas weiter zu mir rüber und flüsterte so leise, dass ich ihn kaum verstand. „Sag mal, bist du sauer?“

Erst erwiderte ich nichts, konnte mir die Frage dann aber einfach nicht verkneifen. „Hätte ich denn einen Grund dazu?“

„Bielefeld“, mahnte er mich.

„Du hast mich verpfiffen“, warf ich ihn vor.

„Hab ich nicht, der Chef...“

`Tsch´ kam es von Alex, der uns böse ansah und nach vorne deutete. Ich konnte sehen, wie die Kieferknochen von Fritz arbeiteten als er noch was sagen wollte, es sich aber verkniff.

„Später“, sagte er und lehnte sich in seinen Sitz zurück. Seine Arme waren vor der Brust verschränkte und er blickte die Kollegen vom Drogendezernat wieder an.

`Später´, dachte ich missmutig, durfte ich vermutlich im Büro vom Chef antanzen und den Vorgang erklären. Schade, dass Karin nicht mehr da war. Sie hätte mir bestimmt beigestanden.
 

Ich sah nach vorne als Hannes gerade etwas über einen letzten Einsatz und eventuelle Zwischenmänner erzählte. Die meisten Informationen fand ich nicht besonders hilfreich für unseren Fall. Ich sah wieder auf die Aufzeichnungen vor mir und blätterte die vorletzte Seite um. Dort waren die Kontaktdaten der beiden Kollegen aufgeschrieben. Mir fielen die Namen ins Augen: Christopher Haas und Johannes Rombach.
 

Ich starrte auf das Blatt als ich den Nachnamen von Hannes erneut las. Rombach. Johannes Rombach. Mein Magen verkrampfte sich, als ich mich erinnerte, woher ich den Namen kannte. Ich hatte diese ganzen Begriffe schon alle einmal gelesen und ich hatte auch schon mal ein Bericht von Hannes in den Händen gehalten. Das war doch gerade erst zwei Wochen her. Warum war mir das nicht schon eher aufgefallen? War meine Denkfähigkeit durch die Medikamente so eingeschränkt?
 

Ich hatte das Gefühl den gleichen Bericht noch einmal zu lesen. Rebecca und Christin, dachte ich. Natürlich. Der Fall von Rebecca ähnelte in so vielen Punkten dem Fall mit dem mich Herr Altenburg beauftragen wollte. Ich sah auf um Hannes zu beobachten. Er war damals ebenfalls bei der Untersuchung des Falls beteiligt gewesen. Ich hatte einige Aussagen von ihm gelesen. Herr Altenburg schien ihm nicht zu vertrauen, sonst hätte er ihn doch fragen können. War es reiner Zufall, dass er auch bei diesem Fall mitwirkte?
 

Rebecca war durch Drogen umgekommen. Natürlich würden da die Kollegen vom Drogendezernat verständigt werden. Aber Herr Altenburg hatte von Korruption gesprochen. Konnte das sein? Ich musste unweigerlich an heute Nachmittag denken. Die große Gestalt in der Lagerhallt hätte vom Körperbau durchaus Hannes sein können. Er war ebenfalls groß und breitschultrig gebaut. Aber das waren viele Männer. Es konnte auch genauso gut jemand anderes gewesen sein.
 

Warum sollte sich ein Polizist selber die Hände dreckig machen? Nur wenn er sicherstellen wollte, dass kein weiterer Fehler passierte. Wir hatten Rebecca früh gefunden. Vermutlich früher als der Mörder es sich gedacht hatte. Der Person war also ein Fehler unterlaufen und jeder weiterer Fehler könnte uns zu ihm führen.
 

Als ich ihn weiter beäugte, wusste ich nicht, was ich von der Sache halten sollte. Normaler Weise würde ich einfach an Ort und Stelle ein Verhör beginnen, wenn ich etwas vermutete. Aber das war hier eine ganz andere Situation. Wir hatten keinerlei Beweise, keinen dringenden Tatverdacht. Außerdem war er ein Polizist. Ich musste dringend mit Herrn Altenburg sprechen. Der Fall von Rebecca hatte vielleicht keine Geheimhaltung, aber wenn er wirklich mit dem Fall von Christin zusammenhing, dann musste ich aufpassen mit den Informationen. Auch meinen Kollegen gegenüber.
 

***
 

„Und Sie habe ohne Verstärkung jemanden verfolgt?“, fragte mich mein Chef.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, habe ich nicht. Wie schon gesagt, wir wollten nur das Mädchen befragen und dabei ist es zu dieser Situation gekommen. Ich habe die Person aber nicht verfolgt. Nachdem klar war, dass ich Karin mit dem Mädchen hätte allein lassen müssen, bin ich dort geblieben. Ich gefährde doch nicht wissentlich eine Kollegin. Vor allem lass ich niemanden alleine, der nicht regelmäßig im Außendienst arbeitet. Außerdem brauchte die junge Frau Hilfe.“
 

Mein Chef sah mich nachdenklich an, als es sich in seinem Stuhl etwas zurücklehnte. Ich wurde direkt nach dem Treffen mit den Kollegen vom Drogendezernat ins Büro vom Chef gebeten und musste ihm die Einsatzgeschehnisse darlegen.

„Und Sie konnten ihn nicht erkennen?“, fragte er.

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, leider nicht. Die Lichtverhältnisse waren dort einfach zu schlecht. Ich konnte nur Umrisse erkennen.“

Eine Weile sagte er nichts, dann nickte er nur. “In Ordnung. Sie dürfen gehen.” Ich stand auf und ging zur Tür.
 

„Josephine?“, sagte er und ich drehte mich noch einmal zu ihm.

„Ja, Chef?“

„Vermeiden Sie doch nach Möglichkeit ständig in solche Situationen zu geraten.“

Ich zuckte mit den Schultern als ich ihn möglichst unschuldig ansah. „Ich suche ja nicht gezielt danach. Ich scheine einfach das Talent zu haben Verbrechen anzuziehen.“

„Ich glaube, dass es Ihren Kollegen gut tun würde, wenn dieses `Talent´ nur zu tagen kommt, wenn sie bei Ihnen sind. Meinen Nerven würde es im Übrigen auch gut tun.“

„Verstanden“, sagte ich. Das war ne klare Ansage. Es war wohl mein letzter, gemeinsamer Außendiensteinsatz mit Karin. Zumindest solange Sie kein Schieß- und Kampftraining besuchte. Mehr brauchte er gar nicht zu sagen. Wir nickten uns noch einmal zu und ich verließ dann schließlich sein Büro.
 

Mit schnellem Schritt ging ich über den Flur in mein Büro. Ich musste unbedingt noch Waldi erwischen. Er stand schon in Jacke da und wollte gerade gehen als ich das Büro betrat.

„Waldi“, sagte ich. „Gut, dass du noch da bist!“

Er sah mich fragend an. „Was ist denn los?“

„Haben wir momentan eigentlich Praktikanten?“

„Praktikanten?“, fragte er verwirrt.

„Ja, Prak-ti-kan-ten.“

Er überlegte kurz. „Ich glaube schon, warum?“

„Denkst du, dass wir jemanden für zwei, drei Tage anfordern könnten?“

Er zog den Reisverschluss der Jacke. „Wenn du willst, frage ich morgen früh gleich mal im Personalbüro nach.“

„Das wäre super“, sagte ich dankbar.

„Aber wozu brauchst du denn einen Prak-ti-kan-ten?“

Ich verdrehte meine Augen, als er meine Art `Praktikanten´ zu sagen, nachahmte. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich mir Mordfälle ansehen wollte in denen Hannes mitgewirkt hatte. Und ich wusste auch noch nicht wie ich den Praktikanten erklären würde, was ich suchte. Aber Waldi konnte ich nicht fragen. Er würde vermutlich ein Muster erkennen und Fragen stellen. Und alleine konnte ich den Haufen von Akten nicht bewältigen.
 

Ich zuckte also nur mit den Schultern. „Da wir mit dem Fall nicht weiterkommen, wollte ich mir gerne alte Akten ansehen. Vielleicht finde ich Hinweise die uns weiterhelfen können.“

„Du willst Archivarbeit betreiben?“ Er sah mich skeptisch an, stimmte aber zu. „Ist eine ungewohnte Methode von dir.“

„Ungewohnte Fälle erfordern ungewohnte Maßnahmen, weiß du doch“, antwortete ich.

„Mir soll es egal sein. Ich frage morgen dann gleich nach. Ist sonst noch was?“

Ich schüttelte meinen Kopf. “Nee, danke. Das war´s erst mal. Mach Feierabend!“

„Dann bis morgen, Josy. Schönen Abend noch.“

„Danke, dir auch.“
 

Als ich alleine im Büro war, ging ich auf und ab und versuchte die Informationen zu verarbeiten, die ich bisher gesammelt hatte. Ich konnte einfach besser denken, wenn ich mich bewegte. Ich hatte also zwei Fälle mit jungen Frauen, denen man Liquid Ecstasy eingeflößt hatte. Nur der Unterschied war, dass Rebecca an einer Überdosis gestorben war, Christin jedoch nicht. Christin wurde mit ihrer eigenen Dienstwaffe erschossen. Man hatte aber das Rauschmittel im Körper noch nachweisen können. Beide Frauen waren Opfer eines sexuellen, gewaltvollen Übergriffs geworden. Und bei beiden hatte man keinerlei Spuren finden können, die zum Täter führten. UND! In beiden Fällen war Johannes Rombach an den Ermittlungen beteiligt gewesen.
 

Aber reichte das wirklich, dass ich annehmen konnte, dass die beiden Fälle zusammenhingen, dass Hannes was damit zu tun hatte? Ich musste einfach mehr Sicherheit haben. Vielleicht gab es noch einen ungelösten Fall, der dem Profil entsprach. Aber vielleicht gab es auch einen gelösten Fall, wo die falsche Person dafür hinter Gittern gelandet war. Es war zum Haare raufen, wenn ich darüber nachdachte.
 

Am liebsten hätte ich sofort mit der Recherche begonnen. Aber ich würde heute keinen Zugriff mehr auf die zentralen Akten erhalten. Es war ja nicht so, dass ich einfach in den Keller spazieren konnte und dort alle Akten mir frei zur Verfügung standen. Ich musste also auch überlegen, wie ich meinen Kollegen am Besten erklärte, dass ich mich die nächsten Tage aus dem Außendienst raushalten würde. Ob sie mir das überhaupt glauben würden? Ich würde wohl so tun müssen als ob ich mich noch etwas schwach fühlte und mich schonen wollte. Fritz würde es vermutlich freuen.
 

Das Seltsamste an der ganzen Sache war aber, dass ich die Informationen mit meinen Kollegen teilen wollte. Ich war noch nie ein besonders guter Teamplayer gewesen. Alleine zu arbeiten war für mich also nie ein Problem. Aber es fiel mir schwer die beiden in diesem Fall außen vor zu lassen. Sie waren für mich Vertrauenspersonen geworden. Ich wollte weder lügen, noch ihnen was verschweigen. Aber ich musste. Zumindest solange, bis ich mit Herrn Altenburg über den Fall gesprochen hatte.



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