Pep Talk im Clubraum
Tsukkis Jacke lag noch im Clubraum.
Tadashi stand minutenlang vor dem Kleidungsstück und starrte. Tsukkis Jacke lag im Clubraum, und Tsukki war nicht hier, um sie wieder an sich zu nehmen. Tsukki, wie Tadashi ihn gerade einschätzte, würde auch so bald nicht wiederkommen, um sie an sich zu nehmen.
Wenn er ehrlich war, er wusste nicht, ob Tsukki überhaupt zurückkommen würde. Er wollte es glauben, aber er wusste es nicht. Seit er mit Tsukki bekannt war, hatte er mehr und mehr gelernt, in dem miesepetrigen Gesicht zu lesen und Tsukkis unfreundliches Verhalten zu entschlüsseln, doch gerade stand er an einem Punkt, an dem er nicht mehr sicher war, ob seine Tsukki-Kenntnis ausreichend war, um abzuschätzen, wie es weitergehen würde. (Sein Wunschdenken sagte, Tsukki würde Teil des Teams bleiben, sein Verstand spuckte vehement dagegen.)
Er hatte Tsukki selten so verletzt gesehen. Und natürlich, es sah nicht nach Verletztheit aus, wenn Tsukki verletzt war, und Verletztheit bedeutete vor allem, dass Tsukki verletzend wurde, aber Tadashi kannte es, und er wusste, dass solche Dinge auf Tsukki einen wirklich, wirklich schlechten Einfluss haben konnten.
Er erinnerte sich daran, was das letzte Mal passiert war, als Tsukki ernsthaft verletzt gewesen war. Damals war er jünger gewesen, und hatte sich leichter in Dingen verrannt, aber Tsukki war immer noch Tsukki, und das bedeutete, es bestand zumindest die Chance einer ähnlich radikalen Reaktion.
Tadashi hatte Angst davor.
Er wollte nicht der zweite Akiteru in Tsukkis Leben werden.
Trotzdem stand er hinter seiner Entscheidung. Er fragte sich lediglich, ob er es nicht hätte besser machen können. Er wollte zu Tsukki gehen und ihm begreiflich machen, dass er sich dumm verhielt, und dass er wiederkommen sollte, dass das Team ihn brauchte und auf lange Sicht ihm niemand böse bleiben würde, wenn er nur einmal einsah, dass er sich falsch verhalten hatte – und Tadashi wusste, dass Tsukki wusste, dass seine unverschämte Art eindeutig nicht richtig gewesen war. Auch wenn Tsukki das nicht einsehen wollte.
Aber er wusste nicht wie. Tadashi war noch nie gut mit Worten gewesen, und das hatte sich in all den Jahren mit Tsukki nicht geändert. (Tsukki war auch nicht gut mit Worten, sie verbrachten viel zu viel Zeit miteinander, wo hätte Tadashi es also lernen sollen?)
„Eh? Yamaguchi, was ist los?“
Wie ertappt fuhr Tadashi herum, als er angesprochen wurde. Hinata stand in der Tür zum Clubraum und guckte typisch dumm aus der Wäsche.
„Was machst du noch hier? Training ist doch längst vorbei.“ – „D-das könnte ich dich auch fragen, Hinata!“
Einfach ablenken. Meistens half es, zumindest bei seiner Mutter, wenn sie ihn wieder mit peinlichen Fragen löchern wollte. Leider war Hinata nicht seine Mutter. Er kam in den Clubraum marschiert, und aus einem Regal fischte er einen Stapel Papiere, die er Tadashi demonstrativ hinhielt.
„Hab was vergessen. Aber du siehst nicht so aus, als wäre das bei dir auch so.“
Er blinzelte, dann schlich sich ein Grinsen auf Hinatas Gesicht, das er nicht einmal halbwegs glaubhaft hinter seiner Hand versteckte.
„Sag nicht, du bist im Stehen eingeschlafen!“ – „Bin ich nicht!“
Tadashi spürte, wie er rot vor Verlegenheit wurde, während Hinata nur unbekümmert die Schultern zuckte und seine Unterlagen in seine Tasche stopfte. Lieblos. Tadashi sah sie schon knittern, noch während der Junge mit Einräumen beschäftigt war. Als die Tasche wieder geschlossen war, kehrte Hinatas Blick zurück, und er war immer noch neugierig und eindringlich. Konnte der es denn nicht einfach ruhen lassen?
„Was ist es dann?“
Tadashi seufzte unwohl, zog die Schultern hoch. Er trat einen Schritt zur Seite, damit Hinata an ihm vorbeisehen konnte in die Ecke, in der einsam immer noch Tsukkis Clubjacke lag.
„Tsukki hat seine Jacke hier vergessen.“
Hinatas Blick folgte, und er hätte nicht unbekümmerter sein können. Es machte Tadashi wütend, wie egal Hinata offenbar der Gedanke war, dass diese Jacke lange Zeit ohne ihren Besitzer hier zurückbleiben würde. Braune Augen kehrten zu Tadashi zurück und fixierten ihn mit hochgezogenen Brauen und einem Blick, der so ungläubig und verständnislos war, dass Tadashi sich ganz gegen seinen Willen entsetzlich dumm fühlte.
„Deshalb machst du dir Sorgen?“ – „Mir ist Tsukki eben nicht egal“, schoss Tadashi beleidigt zurück. Hinata reagierte nicht einmal auf den Vorwurf, sondern ging schlicht an ihm vorbei. Es gefiel Tadashi nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit er die Jacke auflas und ausschüttelte.
„Ich verstehe das Problem nicht. Ich meine–“
Hinata brach ab, zuckte mit den Schultern. Er drehte sich zu Tadashi herum, immer noch auf den schwarzen Stoff in seinen Händen fixiert.
„Es ist nicht, als ob Tsukishima den Club verlassen hätte, oder? Und ich denke, wenn er es wollen würde, hätte er es längst getan.“
Tadashi schwieg, die Lippen aufeinandergepresst. Eigentlich hatte Hinata recht, und eigentlich war das auch Tadashis eigener Glaube, aber uneigentlich hatte er einfach Angst, weil er noch nie in einer Situation gewesen war, in der Tsukki so offenkundig verärgert von ihm gewesen war, und er wusste einfach, zu was für Dummheiten ein verärgerter und verletzter Tsukki in der Lage war.
Aber eigentlich wusste er auch, dass Tsukki ein Typ Mensch war, der Dinge sofort in Angriff nahm, wenn er sie tun wollte, und sie nicht vor sich herschob.
Hinata schien den leisen Hoffnungsschimmer in seinem Gesicht zu lesen, denn auf einmal lachte er. Als Tadashi wieder aufsah, sah Hinata ihn an, groß und offen, und seine Augen strahlten so viel Wärme und Zuversicht aus, dass Tadashi selbst ganz warm davon wurde.
„Deshalb solltest du dir keine Sorgen machen!“, erklärte er so selbstverständlich, als wäre Tsukki nur mal eben zum Getränkeautomaten gelaufen und schon wieder auf dem Rückweg. Hinatas Strahlen wurde nur noch breiter, als er Tadashi die Jacke entgegenreckte, und er erinnerte Tadashi an die Sonne, die, selbst wenn sie einmal von Wolken verdeckt war, eben immer noch da war, immer noch unumstößliche Wahrheit war, und genauso klangen auch Hinatas Worte, als er wieder sprach:
„Tsukishima gehört immer noch zum Team!“
Tadashis Hände waren klamm, als er nach der Jacke griff, doch sein Blick war zuversichtlich. Vielleicht konnte Hinata wirklich Recht haben.
„Und“, fügte der Junge noch hinzu, ehe er seine Tasche schulterte und in Richtung Tür lief. Er blieb im Türrahmen stehen und grinste Tadashi schräg von unten herauf an.
„Ich finde, du solltest ihm das sagen!“