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Erwachen

Die Welt nach dem Ende
von

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Willkommen

Sie hatten Glück gehabt, die Siedlung noch vor Sonnenuntergang erreicht zu haben. Minas Horrorgeschichten von Fledermäusen und wilden Wölfen hatten nicht dazu beigetragen, dass Aaron sich dem Wald heimisch fühlte. Sein Verlangen nach einer sicheren Bleibe wurde schließlich erhört und er glaubte, nie in seinem Leben jemals so erleichtert gewesen zu sein.

„Geschafft.“, begrüßte er den fremden Ort, der zumindest für heute als Ersatz seines Zuhauses dienen sollte.

Sein erster Eindruck war mit Wärme erfüllt, als er die kleinen Zelte betrachtete und deren Besitzer, die eifrig von einer Behausung zur nächsten liefen und sich entweder untereinander unterhielten oder lediglich etwas vor dem Eingang ablegten. Ohne überhaupt ein einziges Mal mit ihnen gesprochen zu haben, war Aaron bewusst, wie eng ihre Bindung zueinander sein musste.

„Wir sind alle wie eine große Familie.“, erklärte Mina lächelnd und stellte sich an Aarons Seite. Normalerweise hätte er nicht viel darüber nachgedacht, aber Minas Einschub passte einfach zu perfekt in seinen aktiven Gedankengang, sodass er sogar überlegte, ob sie vielleicht Gedanken lesen konnte. Verwunderung stieg in sein Gesicht, die Mina nicht verborgen blieb.

„Du hast sie angestarrt, als seien sie eine fremde Rasse. Fasziniert und irgendwie… berührt. Waren die Menschen früher anders?“

Darauf eine Antwort zu geben, war leicht. Natürlich waren sie das. Nach Jahrhunderten veränderten sich Menschen nun einmal. Und schon damals war nicht jede Menschen-Vereinigung gleich. Stadtmenschen waren anders als Dorfmenschen. Jedes Land hatte seine eigene Kultur und damit auch Umgangsweise. Trotzdem antwortete Aaron anfangs nicht und betrachtete lieber das weitere Geschehen der Siedlung. Der größte Unterschied wurde ihm schmerzhaft bewusst: Solchen Frieden wie hier gab es damals nicht.

„Ja, das waren sie.“, sagte er leise und richtete seinen Blick auf Mina. „Aber das ist jetzt unwichtig. Stell mich lieber deinen Familienmitgliedern vor. Sonst bleiben wir hier noch die ganze Nacht stehen. Und ich weiß nicht, wie lange deine Schultern das noch aushalten.“

Mina hob ihre rechte Augenbraue und entgegnete empört: „Was soll das denn bitte heißen? Denkst du, ich kann die Hirschkuh etwa keine ganze Nacht tragen? Du musst von dir ja nicht gleich auf andere schließen! Wenn es notwendig ist, kann ich sie sogar eine ganze Woche hochstemmen, und das mit nur einem Arm!“

Aaron war sich unsicher, ob er lachen oder traurig sein sollte, weil Mina ihn so missverstanden hatte. Da Mina ziemlich simpel gestrickt zu sein schien, entschied er sich dazu, auf den Zug aufzuspringen.

„Okay, gewonnen. Ich bin mir sicher, dass du das kannst. Aber ich kann keine Woche lang nur rumstehen, also wenn du so freundlich wärst…“

Zufrieden grinsend nickte sie ihm zu. „In Ordnung! Ich bringe sie nur schnell zu unserem Lager. Wird nicht lange dauern. Danach führ ich die zu unserem Vorstand!“

Mit eiligen Schritten machte sie sich auf den Weg und ließ Aaron allein zurück. Sie hatte ihm nicht einmal Zeit für Einwände geboten. Was, wenn er gerne mitgegangen wäre? Den Gedanken strich er schnell wieder. Bevor er nicht etwas unter seinen Füßen hatte, wollte er sich momentan nicht weiter fortbewegen als nötig. Um seinen Füßen wenigstens ein paar Schmerzen zu nehmen, setzte er sich auf einen Stein, der gerade groß genug war, um Platz für sein Gesäß zu bieten.

 

10 Minuten später tauchte Mina energiegeladen wie eh und je vor ihm auf und präsentierte ihrem Partner ihre Ausbeute, die sie im Lager aufgetrieben hatte.

„Tada! Das ist für dich! Sieh es als Willkommensgeschenk!“

Stutzig nahm Aaron die Sachen entgegen, die Mina ihm förmlich in die Rippen drückte. Unter ihnen befanden sich zwei Dinge, die er mit leuchtenden Augen willkommen hieß: Schuhe. Sie waren zwar bloß aus Bast, aber besser irgendeine Sohle als gar keine. Sofort zog er sie über seine nackten Füße und lief einige Schritten in ihnen Probe. Perfekt passten sie nicht, doch es handelte sich höchstens um wenige Millimeter, die ihm fehlten, um sie auszufüllen.

„Vielen Dank, Mina! Das ist wirklich eine gelungene Überraschung.“, bedankte er sich bei ihr und hätte beinahe den Rest der Sachen vergessen, die er vorerst auf dem Stein abgelegt hatte. Durch Minas anhaltend erwartungsvollen Gesichtsausdruck konnte er sich allerdings wieder erinnern.

„Das sind…“ Er griff in den durcheinander gewürfelten Stapel und fühlte verschiedene Lagen Leder und Fell in seinen Händen. „Kleidungsstücke?“

Seine Vermutung bestätigte sich, als er ein Lederhemd herauszog und hinterher noch die passende Fellweste.

„Wenn ich dich den anderen vorstelle, sollen sie ja nicht gleich vor Schreck umfallen, noch ehe ich ihnen alles erzählen konnte.“, meinte Mina lachend.

„Wa-“, begann Aaron entrüstet. Sie tat ja geradezu, als sei er ein Außerirdischer. Sein Blick wanderte an seinem Körper herab und fing die Bekleidung ein, die er seit Hunderten von Jahren getragen hatte. Und plötzlich war ihm selbst peinlich, was er sah. Ein hautenger Ganzkörperanzug in grau war nicht unbedingt Bestandteil seines Kleidungsstils. Damals hatte er ihn nur angezogen, weil er angeblich eine wichtige Komponente des Experiments sei. Ohne ihn hätte er nicht einmal ein Jahr in der Kapsel überlebt, hieß es. Wie auch immer, er war nicht mehr im Winterschlaf, also konnte er dem Verbrechen an seinem Modebewusstsein Lebewohl sagen.

„Ich geh mal kurz meine Kleidung wechseln…“, informierte er Mina so leise es ging, um nicht sofort zum Gespött der Siedlung zu werden. Weder in diesem Anzug, noch splitternackt wollte er gern gesehen werden.

„Verstanden. Am besten gehst du ein Stück in Richtung Wald und suchst dir einen Baum oder Busch. Um diese Uhrzeit sind die meisten wieder Zuhause. Dort sollte dich also niemand stören.“

Dankbar für diese Informationen lächelte Aaron verlegen und verschwand mitsamt seiner neuen Kleidung hinter einem Gebüsch, das ihm groß genug erschien.

 

„Das steht dir ausgezeichnet!“, rief Mina begeistert und schien aus dem Staunen kaum herauszukommen. Aaron versuchte sich einzureden, dass es an seinem unglaublich tollen Aussehen lag und nicht daran, dass er davor wie ein Menschenschreck gewirkt hatte, bei dem jeglicher Kleidungswechsel eine Verbesserung dargestellt hätte.

Das Lederhemd und die lange Baumwollhose waren schlicht, aber bequem und fügten sich gut in das Gesamtbild der Siedlung ein. Alle trugen ähnliche Kleidungsstücke. Nichts Auffälliges. Solange es warm hielt und praktisch war, genügte es.

Nur eine Sache war anders: Minas Augenbrauen gingen in die Höhe, als sie Aaron nochmals musterte. Augenblicklich öffnete sich ihr Mund in Entsetzen, denn sie hatte endlich seiner rechten Hand Beachtung geschenkt. „Die Fellweste! Wieso trägst du sie nicht?“

Aber ich „trage“ sie doch, nur eben in meiner Hand, hätte Aaron am liebsten sarkastisch entgegnet. Soweit er Mina nun jedoch kannte, war er sich absolut sicher, dass sie nichts mit Sarkasmus anfangen konnte.

„Weißt du… Tierfell ist ein wenig zu speziell für mich… Ich hatte früher mal einen Hund und daher ist es etwas komisch, wenn ich etwas an meinem Körper trage, das mich an ihn erinnert…“, klärte Aaron sie auf. Es tat ihm weh, die Enttäuschung in Minas Augen zu sehen, doch so sehr er es auch wollte, konnte er sich nicht dazu durchringen, sie anzuziehen.

„Mhm…“, grummelte Mina leise und zog einen Schmollmund. Sie reagierte, als hätte Aaron sie direkt beleidigt oder beschimpft.

„Mina, das-“ Noch bevor er weiter reden konnte, veränderte sich Minas Mimik auf einen Schlag und ein Lächeln kam erneut zum Vorschein.

„Nein, tut mir leid. Es ist nur ungewohnt für mich… Jeder in unserer Siedlung trägt Fell als Kleidung, es ist sozusagen wie eine Tradition. Du hast mich nur überrascht. Aber vermutlich war das bei euch früher nicht so üblich, was?“

Aaron war froh, wie schnell sie ihn verstanden und es akzeptiert hatte.

„Ja, nicht unbedingt… Wobei es aber auch kein Verbrechen war. Viele reiche Leute haben damals eine Menge Geld ausgegeben, um bestimmte Fellarten zu tragen. Meistens kam es auf die Tierart an, wie teuer es war. Daraus wurden dann Mäntel oder Pelzschals gemacht. Ein anderer hätte die Weste also vielleicht angenommen. Nur bei mir hattest du leider kein Glück.“, erzählte er und legte die Weste in Minas Hände. „Trotzdem vielen Dank. Die Hose und das Hemd gefallen mir sehr gut.“

Minas Augen waren zuerst auf die Weste gerichtet und wanderten schließlich in Aarons Richtung, bis sie bei seinem Gesicht angekommen waren. Zu ihm aufblickend strahlte sie über beide Ohren und sagte: „Das freut mich!“

Wieder handelte Mina unverzüglich und machte drei sprunghafte Schritte nach hinten, sodass Aaron keine Zeit blieb, zu reagieren und nur noch zusah, wie sich Mina auf ihren Fußspitzen drehte und zur Siedlung zurücklief.

Doch plötzlich blieb sie stehen und schaute über ihre Schulter nach hinten.

„Ich hatte eine Menge Glück, dir begegnet zu sein, Aaron.“

„Huh?“ Wie eine Salzsäule stand er da, die ihren Mund nicht mehr zubekam und von seiner Umgebung nur noch das Allerwichtigste wahrnahm. So bemerkte er nicht einmal, wie Mina bereits weitergegangen war, obwohl ihre Worte immer noch in seinen Ohren klingelten.

„Was sollte das denn…?“ Irritiert schüttelte er den Kopf und fasste sich an seine Brust, die ihm auf einmal viel enger vorkam als zuvor. Er war verwirrt und wusste nicht wieso. Doch. Es lag an Mina. Aber was an ihr hatte ihn so aus der Fassung gebracht? Wieder hörte er ihre Worte. „Glück… dir begegnet… Aaron“

Erst als ihre nächsten Worte in seine Ohren drangen, vermochte er es, aus seiner abgeschotteten Welt zu entkommen: „Aaron, wo bleibst du? Du warst doch derjenige, der meinte, er könne nicht ewig an einem Ort stehen bleiben! Und jetzt schlägst du dort Wurzeln!“

„I-ich komme ja schon!“ Hastig lief er los und schloss zu Mina auf.



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