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Aliens

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So... und diesmal macht Law eine erstaunliche Entdeckung. ;)
Viel Spaß beim Lesen. ^^ Komplett anzeigen

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Memory 3

Es war an der Zeit, dass ich mich auf den Weg machte. Mit einem nun wieder sauberen Gefühl an den Händen trat ich vom Waschbecken zurück. Einzig und allein dafür, dass ich mir gleich darauf ein neues Paar Handschuhe überzog und die weiß hervorstechenden Narben somit wieder sorgfältig überdeckte. Bald schon würden sie die letzte verbliebene Erinnerung an Big Reds temperamentvolles Wesen sein und aus irgendeinem Grund erfüllte mich dieses Wissen mit Missmut. Noch mit keinem Ilexx zuvor hatte ich so viel in solch kurzer Zeit erarbeitet, noch nie hatte es vor ihm überhaupt ein Alien in meiner Obhut gegeben, welches sich als ein in allen Bereichen perfektes Prachtexemplar herausgestellt hatte. Aber ein weiterer Verlängerungsantrag war nun einmal Kommandant Vergos Erachten nach eine hirnrissige und viel zu gefährliche Sache. Ich hatte bereits alles versucht, um Big Red weitere zwei Monate behalten zu können. Jetzt blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich mit dem unglücklichen Umstand anzufreunden, dass die letzte Viertelstunde seines Lebens angebrochen war.

Mit ausdruckslosem Gesicht sah ich mich nach einem Hoverwagen um. Zwei befanden sich gegenwärtig in meinem Labor, doch einer davon hatte einen defekten Magnetkreislauf, wie ich wusste. Dumm nur, dass es der einzige freie war. Weshalb ich das portable Terrarium voll mit Cicindela electrica kurzerhand auf diesen umlagerte. Die auf die Absorption von Elektrizität spezialisierten Laufkäfer gehörten sowieso nicht mir und ich fragte mich nicht zum ersten Mal ärgerlich, wann Dr. Crown wohl vorhatte, sie abzuholen, nachdem man sie fälschlicherweise bei mir abgeliefert hatte.

Auf den nun freigeräumten intakten Wagen stellte ich mein Tablett mit der Spritze und dem Fläschchen. Rein aus Gründlichkeit legte ich noch einen Tupfer dazu. Geringe Injektionsblutungen nach einer Euthanasie zu stoppen, war zwar nicht wirklich notwendig, aber es erschien mir unpassend, Big Red, der mir vier Monate treue Dienste geleistet hatte, ohne wenigstens den nötigen Respekt hinzurichten.

Ich nahm den Wagen am Griff, aktivierte den Schwebemodus und begann ihn in Richtung Tür zu schieben.

Als diese direkt vor mir aufflog.

Mit einem unausgesprochenen Fluch auf der Zunge hielt ich den Wagen gerade eben noch an, bevor er Dr. Crowns Assistenten gegen die Schienbeine fahren konnte. Zutiefst unbegeistert starrte ich Dellinger an. Der hatte mir heute gerade noch gefehlt.

»Thihi, Law! Pass doch auf, wo du hinfährst mit dem Ding!«

Mit vor sein breites Grinsen geschlagener Hand wich er im Vorbeigehen meinem Wagen aus, indem er eine gekonnte Hüftbewegung zur Seite hinlegte. Dass er nicht wartete, bis ich ihm die Erlaubnis gegeben hatte, sich hier breit zu machen, störte mich immens und ich verzog meinen Mund immer mehr zur Grimasse.

»Von Anklopfen hast du auch noch nie was gehört, oder?«

Meinem Satz wurde keine Beachtung geschenkt; ging er doch in lautem Geplapper unter.

»Dr. Crown schickt mich, die Elektrokäfer zu holen! Sind sie das?! Och, die sind ja putzig!«

Er hielt vor dem Terrarium inne und beugte sich hinab, um hineinsehen zu können. Gerne hätte ich ihm nun einen Stoß gegeben, damit er kopfüber in den defekten Hoverwagen fiel. Doch ich seufzte nur. Natürlich brauchte Caesar die Käfer genau jetzt, da ich weitaus Wichtigeres zu tun hatte als Babysitter für seinen zappeligen Assistenten zu spielen.

»Ja, das sind sie«, antwortete ich monoton, »Aber der Hoverwagen....«

»Hervorragend! Ich nehm sie gleich mit!«

Mit viel Händegefuchtel und Arschgewackel schaffte es Dellinger tatsächlich, den Wagen zum Schweben zu bringen. Ich sagte dazu nichts mehr. Nach wenigen Metern würde es einen Absturz geben – da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Wer meine Warnungen allerdings einfach überging, für den machte ich mir nicht die Mühe, sie zu wiederholen.

»Die Abdeckung lässt sich leicht lösen«, meinte ich noch, doch auch das kam nicht bei Dellingers Ohren an.

»Hach, Law!«, wieder die Handbewegung, mit der er sein Grinsen zu verbergen suchte, »Hör doch auf zu labern und lass mich vorbei!«

Ohne eine Reaktion meinerseits abzuwarten, drängte er sich vor und stakste zur Tür hinaus.

Der schwule Grashüpfer wird schon noch sehen, was er davon hat. Wie kann einer außerdem nicht merken, dass ihm High Heels so rein gar nicht stehen?

Dieses Accessoire konnte nur eine ganz spezielle Sorte Mann tragen. Und zu der gehörte vielleicht ich, aber ganz gewiss nicht Dellinger. So zumindest meine Sicht der Dinge.

Mit meinem eigenen Hoverwagen trat ich nun ebenfalls auf den Gang hinaus und war froh, dass Dr. Crowns Assistent genau in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Auf diese Weise musste ich mich weder weiter mit ihm abgeben, noch mir seine schlauen Sprüche anhören, noch wäre ich zugegen, wenn sein Wagen den Geist aufgab. Dass ich mich damit an einem eventuellen Stromausfall mit schuldig machte, störte mich dabei nicht wirklich. Entdeckt hatten wir die Cicindela electrica immerhin, nachdem wir eine gesamte Woche lang den Grund für tote Stromleitungen, Batterien und Notstromaggregate gesucht hatten. Wenn sie uns nun entwischten und Ähnliches verursachten, wäre es zwar lästig, sie wieder einzufangen, doch stünden wir nicht vor einem solch großen Rätsel wie damals. Um genau zu sein, fiele der Verdacht sofort auf die Käfer, die hier auf Punk Hazard von unserer Forschungsstation angezogen wurden wie Motten von Licht.

Zügig ging ich den Gang entlang, auf den Fahrstuhl zu, der in die unteren Stockwerke führte. Vor seinen Türen angelangt musste ich auch gar nicht lange warten, bis diese sich auftaten. Genau in jenem Moment, in dem von weiter Ferne ein Rumpeln und ein spitzer Schrei zu hören waren.

»Ach herrje! Die Käfer! Dr. Trafalgar...!!!«

Mit einem bösen Lächeln betrat ich den Aufzug und die Türen schlossen sich hinter mir. Dellinger würde riesengroßen Ärger bekommen, nachdem er die hungrige Insektenmeute auf den Labortrakt losgelassen hatte. Vielleicht schickte man ihn sogar zurück auf die Erde. Meine Fantasie war in dieser Hinsicht grenzenlos.

Leise summend setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, immer tiefer hinab. Und mit jedem vorbeiziehenden Stockwerk sank auch meine Laune wieder. Gegenüber von mir hatte jemand einen Spiegel angebracht – möglicherweise für all diejenigen, die einen wichtigen Termin bei ihrem Vorgesetzten hatten und noch einmal rasch ihre Aufmachung begutachten wollten – und mein eigenes dürres Spiegelbild blickte mir daraus ernst entgegen. Meine Haare waren durcheinander, meine Haut hatte durch den Mangel an Sonnenlicht einen ungesunden Farbton angenommen und tiefe Augenringe furchten mein Gesicht. Ich sah müde aus und machte keinen besonders sympathischen Eindruck. Wie ich damit und mit meinem unterkühlten Charakter auf andere Leute wirkte, wusste ich. Nur zu genau. Doch was Big Red in mir sah, stellte all das, was man hinter meinem Rücken redete, in den Schatten. Es brachte mich zum Nachdenken; jedes Mal wieder, wenn ich meinem Spiegelbild gegenüberstand. All das, was mich ausmachte, was einen Menschen ausmachte, war fremd für die Ilexx.

Ein Alien, nüchtern echote das Wort in meinem Kopf, Law, du bist das Alien. Nicht er. Du.

Er hatte es mir selbst gesagt....

..

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Die Tür öffnete sich und ich setzte meinen Weg in den Zellentrakt fort. Nur wenige Stunden zuvor hatte man mich aus der Krankenstation entlassen. Fast ein wenig zu früh, doch ich war selber Arzt und wusste sehr genau, wann Vorsicht geboten war und wie ich meine Behandlung weiterzuführen hatte. Auf meiner linken Hand klebte ein großes Pflaster und versteckte Bisswunden, die trotz ihrer geringen Tiefe nicht verheilen wollten. Sie nässten nur und begannen bei großer Anstrengung sofort wieder zu bluten. Mit Ilexx-Gift war ganz einfach nicht zu spaßen, doch hatte ich die letzten anderthalb Wochen bereits sinnlos in einem Bett verbracht. Mir lief die Zeit davon, die ich gemeinsam mit Big Red hatte, und deswegen war ich auch keine drei weiteren Tage zur Überwachung in der Krankenstation geblieben. Obwohl ich den ärztlichen Berichten zufolge bei meiner Einlieferung in Lebensgefahr geschwebt hatte. Einzig die Tatsache hatte mich gerettet, dass ich durch meine schnelle Reaktion nicht die gesamte Ladung von Big Reds Gift abbekommen hatte. So war ich noch einmal mit dem Leben davongekommen und das einzige, was bleiben würde, waren Narben. Spuren, die Big Red auf mir hinterlassen hatte, mir damit einmal mehr gezeigt hatte, dass der Schein von Sicherheit tatsächlich auch nur ein Schein war. Doch aufgehalten hatte er damit weder mich noch meine Neugierde, noch meinen Forscherdrang. Nur das Wissen, dass man ihn betäubt und unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen wieder sorgfältig weggesperrt hatte anstatt ihn zu erschießen, hatte mich ruhige Nächte in meinem Krankenbett verbringen lassen. Und kaum war ich wieder dazu fähig, stand ich auch schon in meinem Labor, um sämtliche Proben, die ich dem Ilexx entnommen hatte, genauestens zu untersuchen. Mein Dank galt dabei der Person, die so umsichtig gewesen war, die kostbaren Stoffe fachgemäß zu lagern. Andernfalls wären sie zu diesem Zeitpunkt bereits unbrauchbar gewesen. So jedoch konnte ich mir – kaum war ich der letzten Nachuntersuchung entkommen – ein Bild davon machen, welch potentes, durchtrainiertes und vitales Wesen Big Red doch war. Nicht nur im großen Ganzen war er perfekt. Die Vollkommenheit, die mich so faszinierte, setzte sich in jeder einzelnen seiner Zellen fort und eine seltsame Schönheit ging von seiner DNS aus, die wohl nur ein Wissenschaftler wahrnahm. Ganz offensichtlich war Big Red das Ergebnis von jahrelanger Fortpflanzung der Stärksten mit den Stärksten, sein Genmaterial konnte uns in Experimenten von großem Nutzen sein und fast war es bedauerlich, dass er nie wieder die Chance bekommen würde, es weiterzugeben. Außer eventuell, sollte dem Vorhaben von Dr. Crown stattgegeben werden, Kampf-Ilexx zu züchten.

Was mir selbstverständlich immer noch fehlte, war das Gift. Wie hoch konzentriert Big Red es absondern konnte, hatte ich ja bereits am eigenen Leibe erfahren. Umso wichtiger, dass ich es schaffte, ihm einige Proben zu entnehmen, die diesmal nicht in meinem Handrücken verschwanden. Mit dem Gift eines perfekten Ilexx – so meine Annahme – wäre ich endlich in der Lage, das prophylaktische Gegengift herzustellen und sowohl meinen Forscherkollegen als auch den Wache habenden Soldaten ihre Arbeit zu erleichtern. Wie ich an dieses Gift herankommen sollte, war dabei die Sache, die mir Kopfzerbrechen bereitete. Denselben Fehler beging ich sicherlich kein zweites Mal und näherte mich ohne zusätzliche Vorkehrungen Big Reds oberer Körperhälfte auch nur auf einen Meter. Weswegen ich es heute mit speziellen Schutzhandschuhen und einer Vorrichtung ähnlich einem Maulkorb versuchen wollte. Natürlich war alles provisorisch zusammengestellt, da zuvor noch nie ähnliche Probleme mit einem Ilexx aufgetaucht waren, doch sollte sich meine Technik als effizient erweisen, winkte mir eventuell sogar ein Patent darauf.

Erneut mit einem Hoverwagen im Schlepptau näherte ich mich nun Big Reds Hochsicherheitszelle. Noch während ich sie entriegelte und den Ilexx wieder mit Plasmaketten fesselte, entdeckte ich, was genau für das Militär verschärfte Sicherheitsvorkehrungen waren: Man hatte Big Red schlicht und ergreifend zusätzlich in Handschellen gelegt.

Bei so viel Dummheit fiel mir nichts mehr ein. Vom Manipulieren der Ringe um seine Gliedmaßen hielt ihn das ganz sicher nicht ab und selbst wenn jener um den Hals ersetzt worden war, so würde ich gewiss nicht mein Glück ein zweites Mal herausfordern und naiv darauf vertrauen, dass hundertprozentige Sicherheit gewährleistet war. Die Zelle überhaupt nicht zu betreten, kam aber ebenfalls nicht in Frage. Schon meine Sturheit ließ das nicht zu, von meiner Neugierde einmal ganz abgesehen. Weswegen ich kurzerhand das Unvernünftige tat und die Zellentür durchschritt. Im Notfall würde mein Gehirn schon schnell genug reagieren, um mir einen Ausweg zu verschaffen.

Big Red empfing mich mit einem boshaften Grinsen, welches er mir von seinem Bett aus zukommen ließ. Dass er bewegungsunfähig vor mir lag, schien seinen Stolz nicht im Geringsten zu verletzen und genau das ließ mich mit äußerster Vorsicht weiter vorgehen. Ob nun ein weiterer der Ringe defekt war und wenn ja, welcher, war schwer vorauszusagen. Fast war es ein wenig, als würde ich Russisch Roulette mit dem Alien spielen. Ein Nervenkitzel, den ich gerne in Kauf nahm, wenn mir im Gegenzug dafür ein Reagenzglas voll Ilexx-Gift winkte.

»Da bin ich wieder«, sagte ich in unheilvollem Ton und stellte den Hoverwagen ab, »Du dachtest wohl, ich wäre leichter kleinzukriegen, was?«

Ein belustigtes Grollen war die Antwort. Es schien Big Red wohl in heiterer Erinnerung geblieben zu sein, wie ich von seinem Biss gebeutelt aus der Zelle stolperte.

»Lach du nur. Dein Gift werde ich mir heute trotzdem holen. Und zwar diesmal richtig.«

Zur Bestätigung nahm ich den Maulkorb in beide Hände, der eigentlich für katzenartige Raubtiere gedacht war, aber auch einen Ilexx ausreichend in Schach halten würde. Bei diesem Anblick verzog sich Big Reds Grinsen zu einem wütenden Zähnefletschen. Er ahnte wohl bereits, was ich vorhatte. Nicht umhin konnte ich, als auf seine Reaktion hin erneut diese Aufregung zu verspüren, die immer wieder in mir aufkam, wenn der Ilexx eindeutig nicht mit meinem Handeln einverstanden war. Dass es sich bei ihm umgekehrt eventuell genauso verhielt, konnte ich ihm nicht einmal verdenken. Es trug nur noch mehr zu der Spannung bei, die sich zwischen uns in Sekundenschnelle aufbaute.

Unter seinem wachsamen Blick umrundete ich das Bett in sicherem Abstand, bis ich direkt hinter ihm stand. Dann trat ich näher, meine Aufmerksamkeit gefühlt bei allen Fesselringen gleichzeitig. Einige Augenblicke verstrichen, in denen ich genau spürte, dass mein Herz schneller als sonst gegen meinen Brustkorb schlug, doch weiter geschah nichts. Hatten die Handschellen Big Red doch ausreichend eingeschränkt?

Ich versuchte mein Glück und machte Anstalten, ihm den Maulkorb anlegen zu wollen. Nur gestaltete sich das als schwierig, da er seinen Kopf drehte und wendete und trotz geringem Bewegungsfreiraum nach meinen Fingern schnappte. Deutlich spürte ich, wie mich dabei ein Giftzahn streifte, und lobte mich im Stillen sofort selbst für meine Idee, Schutzhandschuhe zu tragen.

»Na los, stell dich nicht so an!«, knurrte ich verbissen, »Sieh es ein, dass derselbe Trick bei mir nicht zweimal funktioniert und halt endlich still, du mieses Alien!«

Der Maulkorb wurde mir aus der Hand geschlagen und landete mit einem Krachen in einer Ecke. Mürrisch trat ich zurück und rieb mir das Handgelenk. Es war einer der beiden tentakelartigen Fortsätze an Big Reds Kopf gewesen, der mich getroffen hatte und mir nun drohend erhoben deutlich machte, dass er frei war. Offenbar hatte Big Red doch nicht damit aufgehört, die Technik außer Kraft zu setzen, die ihn festhielt.

»Biest!«, zischte ich und bückte mich nach dem Maulkorb.

»Alien?! Biest?!«

Kaum zwischen den Fingern ließ ich ihn auch schon wieder fallen und richtete mich schockiert auf, wobei ich mit dem Rücken bis an die Wand zurückwich.

»Das ist es, wie du mich nennst, ja?!«, ich bildete mir diese tiefe, vor Wut zitternde Stimme nicht ein, da war ich mir sicher, »Ausgerechnet du?!«

Ich war sprachlos. Das konnte nicht sein!

»Wer ist denn aus dem Nichts mit seinen Raumschiffen hier aufgetaucht?! Wer hat sich wie eine Krankheit auf unserem Planeten breit gemacht?! Wer nimmt uns gefangen?! Wer führt Versuche an uns durch und tötet uns ohne Grund?!«

Langsam, einen Schritt seitwärts nach dem anderen tastete ich mich immer weiter voran, um Big Reds Vorderseite in mein Sichtfeld zu bringen. Träumte ich noch? Lag ich in einem durch toxische Reaktionen verursachten Koma?

»Ihr seid das! Nicht wir!«

Endlich konnte ich in das Gesicht des Ilexx sehen und glaubte kaum, was sich da gerade vor mir abspielte. Orangerote Augen glühten mich an, in seine Wärmeorgane war die Röte geschossen und die Lippen bebten vor Zorn.

»Wenn hier einer ein Alien ist, dann bist das du!«, fuhr er mich an, »Nicht ich! Du bist das miese Alien! DU!«

Die Bedeutung seiner Worte zog unbeachtet an mir vorbei. War ich doch viel zu erschüttert davon, dass er mit mir sprach. Das konnten nur Halluzinationen sein. Hervorgerufen durch Medikamente.

Ich sammelte mich, dann brachte ich so nüchtern wie nur möglich hervor: »Du... sprichst. Warum...? Wie...?«

Nicht einmal ich selbst nahm mir gerade die gleichgültige Kälte ab, die ich sonst immer an den Tag legte. Auch, wenn ich mir große Mühe gab, die Fassade aufrecht zu erhalten, so war ich doch bis tief ins Innerste verwirrt.

»Pah!«, Big Red antwortete mit einem freudlosen Auflachen, »Dann habe ich eben die Abmachung gebrochen, mit euch Fusselköpfen nicht zu kommunizieren! Na und?! Wen interessiert's?! Du kleiner Scheißer regst mich auf! Das war es wert!«

Nervöse Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet. Das war ganz einfach zu viel. Bedeutete das, dass diese verdammten Ilexx allesamt die ganze Zeit dazu in der Lage gewesen wären, sich verbal mitzuteilen? Und dass alles, was sie davon abgehalten hatte, ein Eid oder etwas in der Art war?

»Warum... kommuniziert ihr nicht mit uns?«

Allmählich gewann ich meine Fassung zurück und löste mich von der Wand. Big Red reagierte darauf mit einem Gesicht, als hätte ich eine besonders dumme Frage gestellt.

»Soll das ein Witz sein?!«, blaffte er mich an, »Wer will schon mit Wesen sprechen, die jedwede Gastfreundschaft ausnutzen, einen feige hintergehen und dann jagen, als wäre man ein stinkender Gauoron!?«

Gastfreundschaft ausnutzen? Hintergehen? Wovon redet er?

Es gab nur wenige Aufzeichnungen, die aus der Zeit zur Entdeckung Punk Hazards stammten. Zwar lag dieser Zeitpunkt wenige 25 Jahre zurück, doch hatte es damals nur eben jenen einzigen Forscher hier gegeben, der später als vermisst gemeldet wurde. Einige Passagen aus seinen Forschungen konnte ich nahezu auswendig aufsagen, andere hingegen hatte ich vollkommen aus meinem Gedächtnis gestrichen. Wenn ich mich recht erinnerte, gab es durchaus Hinweise darauf, dass die Ilexx ihn freundlich empfangen hatten. Kurz darauf brach das Dokument allerdings ab. Manche sagten, er wäre freiwillig zu den Ilexx gegangen, andere behaupteten, die Ilexx hätten ihn gefangen genommen und getötet. Was genau stimmte, wusste entweder niemand oder es wurde von den wenigen wissenden Personen verschwiegen.

Bot sich mir gerade etwa die einmalige Gelegenheit etwas Licht in diese Sache zu bringen? Und würde mir überhaupt jemand Glauben schenken, wenn meine Quelle ein sprechender Ilexx war, den es nach gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt nicht geben durfte?

»Wovon du da sprichst, ist mir neu«, entgegnete ich kühl und griff nach meinem Holoboard, »Aber erzähl ruhig weiter. Es hat mit Professor Rayleigh zu tun, nehme ich an.«

»Erwähne NICHT diesen Namen, dreckiger Mensch!«

Offensichtlich hatte ich auf einen empfindlichen Nerv getroffen. Hassten die Ilexx ihren Entdecker etwa? Warum hatte er sie dann als einziger als aufgeschlossen und freundlich beschrieben? Irgendetwas ergab hier keinen Sinn. Da steckte mehr dahinter als nur ein einfaches Verschwinden.

»Weshalb nicht? Seinen Aufzeichnungen zufolge hatte er gute Beziehungen zu euch aufgebaut.«

»Ein widerlicher Verräter war er! Nichts weiter!«

Eine meiner Brauen hob sich, während ich Notizen machte. War doch etwas dran an der Theorie, dass die Ilexx Prof. Rayleigh umgebracht hatten? Aber wenn, hatten sie ihn dann auch berechtigterweise umgebracht?

»Woher weißt du das? Kanntest du ihn?«

»Und hätte ich ihn gekannt, hätte ich den Drecksack in Stücke gerissen!«

Mir entwich ein ungewolltes Seufzen. Auf körperlicher Ebene mochte Big Red vielleicht ein Prachtexemplar sein, doch seine Wortwahl ließ gehörig zu wünschen übrig. Ebenso seine Kooperationsbereitschaft. Er würde mir im Moment nicht mehr erzählen als dass er uns Menschen und besonders den Professor hasste. Ihn weiter mit Fragen zu diesem Thema zu löchern, wäre nur Zeitverschwendung. Zumal ich zunächst mein Wissen auffrischen musste, was die vor 25 Jahren entstandenen Aufzeichnungen anging, bevor ich vorschnelle Schlüsse zog. In der Wissenschaft musste man mit Annahmen immer vorsichtig umgehen, denn das einzige, was klar nachweisbar war, waren die Fakten.

»Wie du meinst«, murmelte ich, hob dann die Stimme und sah Big Red wieder ernst an, »Beherrscht ihr alle unsere Sprache so gut? Wo habt ihr sie gelernt? Hat Professor Rayleigh sie euch beigebracht?«

»Ich sage gar nichts mehr! Nicht, so lange du auf diesem Ding da rumschmierst!«

Er meinte das Holoboard.

»Das muss ich aber«, erklärte ich mit ruhiger Stimme und kam näher, »Das ist wichtig für meine Forschungen.«

Mit gefletschten Zähnen knurrte Big Red mich an und ich sah, wie seine Muskeln bebten. Er verlor seine Gefasstheit wohl schnell und machte zudem keinen Hehl daraus, dass er hochgradig aggressiv war. Eigenschaften, die sich mit seiner sichtlich überdurchschnittlichen Intelligenz und seiner Beobachtungsgabe zu einem durchaus interessanten Bild zusammensetzten. War er wohl so lange geduldig und berechnend, bis man ihn ausreichend provozierte?

»Deine Forschungen...!«, er schnaubte und riss an den Fesseln, die um seine Arme gelegt waren, »Deine Forschungen gehen mir am Schwanz vorbei!! Du Monster!! Du elendes Würmchen!! Ich bin nicht Teil deiner Forschungen!! Warte nur, bis ich hier loskomme!!«

Seine Drohungen beeindruckten mich wenig. Ich verzog nur einen Mundwinkel und ließ ihn toben. Langsam aber sicher dämmerte mir, dass ich mein Ilexx-Gift auch heute nicht bekommen würde und das war ärgerlich. Zumal ich selbst schuld an Big Reds Wutanfall war.

»Du bist Teil meiner Forschungen. Finde dich damit ab«, sagte ich schlicht, legte das Holoboard weg und machte mich daran, den Maulkorb aufzusammeln. Die brennenden Blicke des Ilexx folgten mir dabei.

»Lass mich frei!«, verlangte er.

»Sicher nicht. Du tötest mich.«

»Gut geraten!«

»Siehst du? Deswegen bleibst du, wo du bist.«

Ich legte auch den Maulkorb auf den Hoverwagen, dann sah ich Big Red mit einem schmalen Lächeln an.

»Außerdem kannst du das mit dem Befreien sowieso selber sehr gut, wie man sieht«, ich nickte zu seinem Tentakel hinüber, »Wenn du dich anstrengst, kriegst du den anderen auch noch los, bis ich morgen wiederkomme.«

Es war reine Provokation und sie verfehlte ihre Wirkung nicht.

»Verlass dich drauf, kleiner Scheißer!«, knurrte Big Red mir mit blitzenden Augen hinterher, während ich den Hoverwagen aus der Zelle manövrierte. Ich ließ ihm die Freude, das letzte Wort gehabt zu haben und schloss die Tür. Danach löste ich seine Fesseln. Doch anstatt in wilder Hast auf mich zustürmen zu wollen, wie es ein wütendes Tier wohl getan hätte, richtete er sich einzig auf der Bettkante sitzend auf und starrte zu mir herüber. Sein Schwanz zuckte angespannt und ein herausforderndes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Deutlich machte er mir klar, dass mich nur Technik vor ihm schützte. Er war vielleicht gefangen, doch ein Gefangener war er nicht. Er blieb weiterhin der stolze Jäger mit ungebrochenem Willen; ein Krieger, der sich seine Freiheit bei der kleinsten sich bietenden Gelegenheit zurückholen würde. Ich gestand ihm das zu und lächelte ebenso herausfordernd zurück. Die kommenden Wochen Zusammenarbeit mit ihm würden spannend werden, so viel war gewiss.

 

Es war spät, als ich müde mein Zimmer betrat. Nur mit einem schmalen Fenster und nicht sehr viel sichtbarem Komfort ausgestattet war es mir in den letzten sechs Jahren dennoch schnell ans Herz gewachsen. Zum darin Wohnen reichte es vollkommen aus – mehr als ein kleines Bad, Bett, Schreibtisch und Schränke brauchte ich nicht. Hier war es ruhig, da die Wände dick und stabil gebaut waren, hier steckte nicht das Wachpersonal überall seine Nase hinein und hierher verirrte sich nicht einmal Dr. Crown.

Ich warf den Laborkittel von mir und über eine Stuhllehne, dann ging ich erst einmal duschen. Lange genug war ich in der Krankenstation nicht in den Genuss von fließendem Wasser gekommen und hatte zudem keine Gelegenheit gehabt, mich ordentlich um die zugegebenermaßen manchmal sehr lästigen männlichen Triebe zu kümmern. Nachdem ich beides erfolgreich erledigt hatte, saß ich auch schon halb angezogen auf meinem Bett und versorgte die Wunde an meinem Handrücken. Sie hatte wieder geblutet (wahrscheinlich während meiner Konfrontation mit einem sprechenden Big Red), doch das beunruhigte mich nicht. Ein neues, sauberes Pflaster, welches in Substanzen getränkt war, die die Wundheilung unterstützten, sollte ausreichen.

Mit meinem Holoboard in Händen ließ ich mich ins Bett fallen und dimmte per Sprachbefehl das Licht. Jetzt war es fast völlig dunkel in meinem Zimmer und ich konnte mich auf die Sache konzentrieren, in die ich heute beinahe zufällig hineingeraten war und die mich seitdem nicht mehr losließ.

Was war tatsächlich mit Prof. Rayleigh geschehen, nachdem er verschwunden war? Waren seine Aufzeichnungen doch nicht nur von Liebe geblendete Lobeshymnen? Denn zumindest mit einem hatte er letzten Endes doch Recht behalten: Die Ilexx beherrschten – aus welchem Grund auch immer – unsere Sprache. Etwas, was ich nach langem Überlegen für mich behalten wollte. Glauben würde es mir sowieso niemand. Im Gegenteil: Man würde mich als Spinner abstempeln, mir vielleicht sogar unterstellen, Big Red verfallen zu sein, und es würde mir meine Ernsthaftigkeit nehmen. Außerdem würde man mir sonst eventuell meinen Ilexx als Forschungsobjekt streitig machen und das war das Letzte, was ich wollte. Nein, ich würde schweigen. Die Konversationen zwischen Big Red und mir mussten unser Geheimnis bleiben.

Während ich Prof. Rayleighs Forschungsdokument über die Ilexx lud, grübelte ich darüber nach, wie vieles von dem, was er geschrieben hatte, wohl noch der Wahrheit entsprach. Mit anderen Augen würde ich es nun auf jeden Fall lesen. Vielleicht ließ sich ein versteckter Hinweis darauf finden, was mit ihm geschehen war. Vielleicht machte ich Fortschritte in der Ilexx-Forschung, die sich nicht einmal die Kulturforscher in ihren kühnsten Träumen auszumalen wagten. Vielleicht erfuhr ich mehr über das, was vor 25 Jahren geschehen war, über den Grund, warum die Ilexx ihren Entdecker hassten, warum sie uns attackierten und warum wir nie etwas von der gastfreundlichen Seite zu sehen bekamen, die Rayleigh an ihnen beschrieben hatte.

Stunden vergingen, die ich damit verbrachte, das Dokument regelrecht zu verschlingen, und ich spürte kaum, wie meine Augenlider dabei immer schwerer wurden. Bis sie schließlich herabfielen und ich erschöpft über meiner selbst auferlegten Arbeit einschlief.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Jup, ich behalt die Spannung mal so bei. Wär ja langweilig, gleich alles zu verraten. :P
Hach ja... beim Schreiben ist mir mal wieder aufgefallen, wie gern ich Kid mag. xDDD Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blackNunSadako
2016-07-10T07:40:17+00:00 10.07.2016 09:40
Hallo mal wieder :)
Das war wieder ein richtig tolles Kapi ^^
Dellinger mit seinem `Arschgewackel`xD Das hat mich umgehauen ^-^

Es bleibt spannend :D
P.S. Liebe Grüße und danke dir fürs Hochladen :3
Antwort von:  SimonStardust
10.07.2016 09:43
Hallo und danke auch. ^^
Oh ja, das ist eindeutig einer der besten Sätze in dem Kapitel. xD
Bleibt es. Ich bemüh mich drum. ^^

Ebenso liebe Grüße zurück. :)
Von:  Zebran20121
2016-07-07T12:30:19+00:00 07.07.2016 14:30
Hallo

Na Red hat aber auch ne miese Laune und ne beeindruckende Sammlung an Schimpfwörter parat das wird ein richtiger Kleinkrieg zwischen den beiden werden darauf bin ich schon richtig gespannt. Was Rayleigh wohl angestellt hat das die Ilex in so sehr hassen und jeden Menschen den sie sehen gleich angreifen?. Ich bin schon gespant was als nächstes passieren wird. Bis die Tage.

LG Zebran
Antwort von:  SimonStardust
07.07.2016 14:44
Naja... die miese Laune ist ja wohl berechtigt. xD
Joar... Kleinkrieg ist das passende Wort dafür. Das wird evtl. noch lustig. Mal sehen. ^^
Ich verrat nix. xD Vorläufig....


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