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CallGirl

von

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Ich, Gérard Fernandez, bin wohl das, was die Gesellschaft einen erfolgreichen Geschäftsmann nennen würde. Kollegen und Kunden kennen mich als verlässlich und kompetent und Konkurrenten beschreiben mich gern mit den Worten „gnadenlos“ und „eiskalt“. Alles, was man sich erträumen kann, habe ich in meinem Leben erreicht und nichts ist für mich unerreichbar. Das sollte das Ziel meines Lebens sein, so wurde ich zumindest erzogen. Dennoch fühlte ich mich noch nie so glücklich, wie ich es sollte. Etwas hat immer gefehlt und nichts, das ich mir kaufte, konnte diese Lücke schließen. Mittlerweile weiß ich, was es ist, das ich nicht habe: das Glück der Zweisamkeit. Aber auch das kann man mit Geld beheben, so dachte ich jedenfalls. Also erkaufte ich mir die Zuneigung von Frauen, ließ sie zu mir nach Hause kommen und verbrachte oft die ganze Nacht in ihrer Gesellschaft. So war es auch an jenem Abend. Ich hatte eine lange Woche hinter mir, in der ich viel gearbeitet hatte und um den halben Globus gereist war. Nun sehnte ich mich nach ein wenig Zuneigung. Ich wählte also die mir nur allzu gut bekannte Nummer und bestellte wie immer eine Frau zu mir. Nur wenig später klingelte es an meiner Tür. Ich blickte durch die Außenkamera und sah eine „Sie“ dort stehen. Ich konnte sie nicht gut erkennen, also öffnete ich einfach. Als sie dann an der Haustür vor mir stand, war ich perplex. Ich hatte erwartet, dass jene blonde, junge Frau kommen würde, die ich sonst immer zugeteilt bekam, Lucy hieß sie. Dieses Mal jedoch stand eine wunderschöne Frau mit scharlachrotem Haar vor mir, die Augen so lebendig, wie es meine noch nie gewesen waren. Sie schenkte mir ein verschmitztes Lächeln und sagte: „Herr Fernandez? Es ist mir eine Ehre Sie kennen zu lernen. Ich heiße Erza.“. Es war nur dieser kurze Augenblick und diese wenigen Worte, doch ich war sofort wie gebannt von dieser Frau. Ihr Blick war so vielsagend, dass ich zu gern ergründen wollte, was sich dahinter alles verbarg.

Ich half der Dame aus ihrem Trenchcoat heraus und darunter kam ein schönes, dunkelblaues Kleid mit ein paar Glitzerpailletten zum Vorschein, das sich elegant eng an ihrem Körper entlang wund und so ihre Figur perfekt betonte. Sie hatte eine recht große Körbchengröße, eine dazu aber sehr schlank wirkende Taille und eine zum Tanzen einladende Hüfte. Auch ihre Beine wurden fast vollständig von dem Kleid eingehüllt, allerdings hatte es an der einen Seite einen Schlitz, sodass bei jedem Schritt ihr linkes Bein hervor blitzte und ich erahnen konnte, welch grazile, lange Beine sie besaß. Schuhe bedeuten mir normalerweise gar nichts, aber bei jener Frau fielen mir sogar diese auf, denn es waren Absatzschuhe, nicht zu hoch und nicht zu tief, mit einer Schlaufe um ihre schlanken Beine, oberhalb der Knöchel. Sie hatten die gleiche Farbe wie das Kleid und machten ihre Erscheinung nur umso eleganter.

Ihren Mantel aufhängend betrachtete ich sie ganz genau von oben bis unten. Normalerweise tat ich so etwas nie sehr auffällig, weil ich wusste, dass es den Frauen unangenehm sein musste so gemustert zu werden. Doch ich war von ihrem Äußeren derartig verzückt, dass mir nicht einmal einfiel meine Blicke etwas zu verstecken. Somit war es auch kein Wunder, dass es ihr auffiel, wie ich schaute. Zu meiner Verwunderung reagierte sie aber weder verlegen, noch verärgert. Sie musste kichern und hielt sich aus Höflichkeit dabei die Hand vor den Mund. „Sie hatten wahrscheinlich meine Kollegin Lucy erwartet. Es tut mir leid, aber sie ist heute krankheitsbedingt leider nicht verfügbar. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie?“ fragte sie mit ruhiger und zarter Stimme und lächelte mich sanft an, als hätte ich einen Engel vor mir stehen. Sie war einfach zu perfekt, nun auch noch dieses Lächeln und ihre wunderschöne Stimme. Ich konnte nur erahnen welche süßen Töne sie von sich geben würde, wenn sie sich mir lustvoll hingäbe.

Ich lockerte meine Krawatte etwas, denn zugegebenermaßen blieb mir bei dieser Frau fast ein wenig der Atem weg. Dann lächelte ich gekonnt selbstsicher, deutete auf das Wohnzimmer und sagte: „Ich hatte tatsächlich Ihre Kollegin erwartet, aber es freut mich auch sehr Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Kommen Sie doch und setzen Sie sich. Ich hoffe sie mögen Chamapgner.“. Ich führte die Dame also ins Wohnzimmer und sie setzte sich auf meine Couch. Den Champagner hatte ich bereits in einem Eiseimer auf dem Tisch kalt gestellt. Ich schenkte uns beiden ein und überreichte ihr ein Glas. „Dann auf unsere neue Bekanntschaft und diesen Abend.“ sagte ich und lächelte vergnügt. Tatsächlich kam in mir Vorfreude auf, wie bei einem kleinen Jungen, der eine Überraschung zum Geburtstag bekommen hatte. So schön Erza aussah, so interessant fand ich ihr Auftreten. Ein Geschenk würde jedermann sofort am liebsten aufreißen wollen, um zu sehen was sich darin befindet. Genauso wollte ich sofort alles über diese Schönheit erfahren und ergründen, welche guten Seiten oder welche Abgründe sich hinter ihr verbargen. Es war eine ganz andere Atmosphäre als bei jedem Treffen, das ich jemals zuvor gehabt hatte. Ich wollte sie nicht einfach nur körperlich erobern und nach dieser Nacht wieder gehen lassen. Auch besitzen wollte ich sie nicht, wie es mir mein Instinkt als Geschäftsmann meistens befielt. Ich wollte sie nicht mehr gehen lassen, nicht als Besitztum, sondern, weil ich sie kennen lernen wollte und zwar mit Leib und Seele. Das Verlangen nach ihr in jeder Hinsicht brannte förmlich in mir.

Wir stießen die Gläser zusammen und jeder von uns trank einen kleinen Schluck Champagner. Er schien ihr gut zu schmecken, aber ich hatte ja auch stets die besten Tropfen im Hause. Ich behielt mein Glas in der Hand und schaute Erza an. „Nun, Erza, wie kommt es, dass ich eine Schönheit wie Sie noch nie in dieser Stadt gesehen habe? Es kann doch unmöglich sein, dass Sie mir entgangen sind.“ fing ich etwas Smalltalk an und schwänkte dabei den Champagner im Glas hin und her. Sie stellte ihr Glas ab und lächelte mich freundlich an. „Nunja, diese Stadt ist sehr groß. Täglich begegne ich auf den Straßen hunderten Menschen. Ich denke, da kann man schnell jemanden übersehen... Außer es wäre natürlich solch ein V.I.P. wie Sie, Herr Fernandez.“ Sie war sehr höflich und versuchte mir zu schmeicheln. „Ganz Profi!“ dachte ich mir, schließlich ist es ja auch ihre Aufgabe, dass das Ego der Männer, die ihre Kunden sind, hervor gehoben, bestätigt und gestärkt wird, obwohl Männer wie ich von Natur aus reichlich davon besitzen. Es war außerdem typisch für diese Frauen, viel zu verraten, obwohl sie eigentlich gar nichts von sich preisgaben. Deshalb beschloss ich etwas direkter zu werden, anstatt um den heißen Brei herum zu reden: „Woher genau kommen Sie denn?“. Aber auch mit dieser Direktheit konnte ich Erza nicht aus der Fassung bringen. Sie grinste unverhohlen und antwortete: „Ich stamme nicht direkt aus dieser Stadt, sondern aus einer kleinen Stadt einige hundert Kilometer entfernt.“. „Es war einen Versuch wert...“ ließ ich in meinem Kopf widerhallen. Es wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn ich sie so leicht hätte knacken können. Ich wusste von Anfang an, dass diese Frau nicht einfach um den Finger zu wickeln war. Wenn ich nicht aufpassen würde, könnte es sogar passieren, dass ich mich an ihr verbrannte. Angst machte mir diese Ahnung aber nicht, denn es handelte sich um eine Erfahrung, die ich nicht kannte. Nichts und niemand blieb mir jemals verwehrt oder wies mich zurück. Ein „Nein!“ kannte ich nicht, also erwartete ich auch nicht, dass sich das so schnell ändern würde. „So, so nicht aus dieser Stadt...Und wie lange sind Sie dann schon hier?“ Ich versuchte weiter sie zu löchern. Jedes noch so kleine Detail, das sie verraten würde, könnte ich nutzen um tiefer in ihre Welt vorzudringen, so, wie ich es mir wünschte. Sie aber nahm erneut ihr Glas, schaute mich an und sagte: „Einige Jahre sind es schon, denke ich.“. Dabei grinste sie erneut auf ihre verschmitzte und leicht freche Art und hob dann das Glas an ihre Lippen. Wieder war ich an ihrer Verteidigung abgeprallt, aber mich frustriert niemand so leicht. Der Abend war noch jung und ich würde es schon schaffen, hinter ihre Fassade aus Schminke und Höflichkeit zu schauen, davon war ich fest überzeugt.

Das Gespräch ging recht einseitig weiter, denn ich war der Fragende und sie die Reagierende. Sie muss irgendwann gemerkt haben, dass sich Frust in mir breit machte, weil ich immer noch keine brauchbaren Informationen zu ihrer Person herausbekommen hatte. Deshalb erbarmte sie sich warscheinlich auch als ich sie nach ihrem familiären Hintergrund fragte. „Nun, ich habe nicht viel Familie, nur einen kleinen Bruder, Simon... Er geht noch zur Schule und ist mein ganzer Stolz.“ erklärte sie mit etwas ernsterem Ausdruck als vorher. Endlich wich sie einmal nicht aus. Ich lächelte leicht zufrieden und wurde wieder lockerer. „Verstehe... Familie ist schon wichtig, aber ich habe mit meiner nicht mehr allzu viel zu tun. Dazu habe ich einfach nicht die Zeit.“ Anscheinend mochte sie meine Eistellung nicht, denn für eine kleine Sekunde zeigte ihr Gesicht eine vorwurfsvolle Mimik, die sie aber ganz schnell wieder zu verstecken wusste. Familie war ihr scheinbar um Einiges wichtiger als mir.

Der Champagner war inzwischen leer und wir saßen gut und gerne schon mehr als eine Stunde im Wohnzimmer und unterhielten uns. „Ich schätze, wir sollten zum Hauptgang kommen, was meinen Sie?“ fragte ich Erza, stand auf und deutete in Richtung meines Schlafzimmers. Sie tat es mir gleich, ging an mir vorbei und warf mir einen verstohlenen Blick über die Schulter zu. Dann ging sie voraus. Jetzt war sie wieder der Profi, den ich vorhin zur Tür herein gelassen hatte.

Am nächsten Tag kam es mir vor als wäre die vorherige Nacht ein bloßer Traum gewesen. Mit Erza die Nacht zu verbringen war wahrlich ein Erlebnis. Ich hatte noch nie eine Frau erlebt, die so hingebungsvoll, leidenschaftlich und talentiert ihrem Handwerk nachging. Den gesamten Geschäftstag über ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Mich auf Finanzen, Zahlen und Börsenstatistiken zu konzentrieren fiel mir so schwer, dass meine Sekretärin mehrmals nachfragte, ob ich vielleicht krank sei. Noch niemals hatte mich irgendetwas von meiner Arbeit abbringen oder ablenken können. Was hatte diese Frau nur an sich, dass mein Kopf sie nicht mehr loslassen konnte? Ich musste sie unbedingt wiedersehen und so buchte ich sie über zwei Wochen insgesamt vier mal. Normalerweise nahm ich die Dienste von professionellen Damen höchstens einmal die Woche in Anspruch, wenn überhaupt. Sie stellten schließlich nur einen Ausgleich zum Arbeitsleben dar, eine Art Vergnügen, das ich mir gönnte. Doch seit dem ersten Treffen mit Erza fühlte ich ganz anders. Mit ihr Zeit zu verbringen war nicht nur bloßes Vergnügen, nicht einfach nur körperliches Begehren. Ich wollte sie am liebsten gar nicht mehr gehen lassen und das jeden Abend, den ich sie buchte. Natürlich erwähnte ich das ihr gegenüber nie, denn ich war mir selbst nicht einmal sicher, was in mir vorging. Da konnte ich sie nicht auch noch damit belästigen, zumal ich für sie nur einer ihrer Kunden war.

Auch nach all diesen Abenden wusste ich immer noch nicht mehr über sie als nach unserer ersten Nacht. Sie wusste es mich gekonnt bei der Stange zu halten und trotzdem keine persönlichen Informationen durchblicken zu lassen. Solange ich sie immer wieder sehen konnte, war mir das aber auch egal. Nachdem unsere letzte Nacht wieder einmal einige Tage her war, rief ich erneut die Nummer ihrer Agentur an und bestellte sie zu mir. Als die Klingel ertönte, hechtete ich förmlich zur Tür und schaute gar nicht erst nach, wer draußen stand. Voller Vorfreude öffnete ich die Tür und hatte bereits Luft geholt um Erza zu begrüßen, da stand zu meiner tiefsten Verwunderung Lucy vor der Tür, die Dame, die ich immer zu mir bestellt hatte, bevor ich Erza kannte. „Guten Abend Herr Fernandez, lange nicht gesehen. Tut mir leid, dass ich Ihnen solange nicht zur Verfügung stand, aber ich war leider krank.“ sagte Lucy mit einem süßen Lächeln und verbeugte sich höflich vor mir. Ich starrte sie mit offenem Mund an und brachte vor Überraschung kein Wort heraus. Dann riss ich mich aber zusammen und lächelte. „Schön, dass es Ihnen wieder gut geht. Ich wurde nur nicht vorgewarnt, dass Sie wieder kommen.“ sagte ich. Sie muss die Enttäuschung in meinem Gesicht gesehen haben, auch, wenn ich versuchte sie so gut es ging zu verdecken. Schließlich wollte ich ihr nicht das Gefühl vermitteln unerwünscht zu sein. Deshalb bat ich sie herein. Am liebsten hätte ich sie gefragt, wo denn Erza war und warum sie nicht zu mir gekommen war, aber das wäre unfair gewesen. Also verbrachte ich diesen Abend mit Lucy. Wir hatten eine schöne Zeit, keine Frage, aber ich konnte nicht das Gleiche verspüren wie an den Abenden, welche ich mit Erza verbracht hatte. Etwas fehlte einfach.

Schließlich ging mir diese rothaarige Schönheit immer noch nicht aus dem Kopf. Ich musste sie einfach wiedersehen. Deshalb versuchte ich es in der Zeit darauf immer und immer wieder. Doch immer schickte die Agentur Lucy zu mir, von Erza fehlte jede Spur. Meine Ungeduld wurde letztendlich zu stark und so rief ich bei der Agentur an um mich nach Erza zu erkundigen. Natürlich wehrten die Mitarbeiter am Telefon mich zuerst ab, faselten immer nur von Vertraulichkeit und dass sie Privates von den Damen nicht weiter geben dürften. Deshalb telefonierte ich mich bis zur Geschäftsführerin der Agentur durch, welche mir mit den gleichen Argumenten daher kommen wollte. Meine Geduld war mitttlerweile jedoch am tiefsten Punkt überhaupt angelangt, also platzte mir der Kragen: „Sie hören mir jetzt besser ganz genau zu! Sie wissen wer ich bin und sie wissen, was für ein Vermögen ich bereits in ihre Firma investiert habe. Wenn Sie mir nicht gleich sagen, was ich wissen will, dann bin ich in Zukunft wohl gezwungen mein Geld an einem anderen Ort auszugeben. Obendrein werde ich aber auch noch alles tun um ihre Firma so klein mit Hut zu machen, dass SIE am Ende persönlich zu den Kunden gehen müssen um wenigstens noch ein paar lausige Kröten mit nach Hause bringen zu können!!!“. Meine impulsive Art schien zu fruchten, denn die Frau am anderen Ende der Leitung wirkte plötzlich etwas eingeschüchtert. Schließlich war sie bereit zu reden. Sie erzählte mir, dass Erza nicht mehr verfügbar war, weil sie sich frei genommen hatte. Als Grund gab sie nur persönliche Probleme an, nichts Genaueres. Ich konnte die Geschäftsführerin sogar dazu bringen mir Erzas Adresse zu verraten, auch wenn sie das nur äußerst ungern tat. Danach beendete ich das Gespräch. Die Adresse, die ich mir notiert hatte, kam mir seltsam bekannt vor, aber ich konnte mich nicht entsinnen woher.

Eine Stunde später sollte ich es jedoch wissen. Es handelte sich um einen Friedhof. Zuerst fühlte ich mich betrogen, deshalb wollte ich noch einmal bei der Agentur anrufen. Wahrscheinlich hätte ich die Frau diesmal am Telefon wirklich verbal zusammen gefaltet, wenn meine Augen nicht plötzlich Erza erblickt hätten. Sie ging gerade durch das Eingangstor des Friedhofes mit einem kleinen Strauß Blumen. Ich steckte das Handy augenblicklich wieder weg und folgte ihr vorerst mit meinen Blicken. Sie trug jenen Trenchcoat, den sie auch bei unseren Treffen immer drüber hatte. Es war recht herbstlich draußen, deshalb trug sie außerdem Hosen, Stiefel und eine Mütze auf dem Kopf. Ich verlor sie fast aus den Augen, also ging ich ihr nach, natürlich mit genügend Abstand, damit sie mich nicht gleich bemerkte. Sie ging mit gesenktem Blick zu einem recht neu errichteten Grab, legte die Blumen nieder und hockte für eine ganze Weile dort. Sie sprach auch etwas, aber so leise, dass ich es nicht hören konnte. Mein Verstand fing inzwischen an zu mutmaßen, wen sie dort wohl besuchte. Vielleicht waren es ihre Eltern? Oder ein guter Freund? Oder vielleicht hatte sie einmal einen Mann, der gestorben war?

Ich war leider kein besonders unauffälliger Stalker, denn ich trat auf einige Zweige. Ihr Brechen machte Erza auf mich aufmerksam. Sie stand auf und drehte sich in meine Richtung um. Unsere Blicke trafen sich, ihrer zutiefst überrascht und meiner etwas erschrocken über mein Ungeschick. Jetzt, da sie mich gesehen hatte, konnte ich auch ebenso gut zu ihr hinüber gehen, dachte ich. Sie schaute verlegen zu Boden und drehte sich wieder zum Grab um. „Was tun Sie denn hier? Ist das ein Zufall?“ fragte sie leise. Ich trat neben sie und schaute auf das Grab hinab. Auf ihm stand der Name „Simon Scarlett“ eingemeißelt und sofort fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der kleine Bruder, von dem Erza erzählt hatte, lag also hier. Nun, da ich näher dran war, konnte ich sehen, dass das Grab wirklich noch ziemlich frisch war. „Ich wunderte mich, dass ich Sie nicht mehr buchen konnte. Also fand ich diese Adresse hier heraus.“ antwortete ich. Erza reagierte kaum und schaute nur weiterhin auf das Grab hinab. „Tut mir leid, Herr Fernandez, aber...ich werde nicht mehr weiter arbeiten. Ich weiss noch nicht einmal, ob ich in dieser Stadt bleiben soll...“ Ihre Stimme klang zittrig und traurig, so als müsste sie sich bittere Tränen zurückhalten. So schockierend ich diese Nachricht fand, so sehr wollte ich verhindern, dass ich Erza vielleicht nie wieder sehen konnte. „Was ist denn passiert? … Bitte verraten Sie es mir. Simon war doch ihr Bruder oder?“ fragte ich mit ruhiger Stimme und in der Hoffnung, sie würde ihre Barriere nun endlich fallen lassen. Sie zog die Augenbrauen zusammen und atmete tief durch, um nicht weinen zu müssen. „Simon war sehr, sehr krank. Schon lange. Ich hab ihn praktisch groß gezogen, nachdem meine Mutter starb, als er noch ein Baby war. Einen Vater hatten wir nie...naja oder eher zu viele.“ Sie seufzte und holte tief Luft um weiter reden zu können: „Diese Arbeit...Ich fing damit an, als er krank wurde, denn er brauchte eine Operation und die war viel zu teuer. Ich hoffte durch Männer wie Sie an das nötige Geld kommen zu können.“. Sie hatte also alles nur für ihren Bruder getan. Wäre er nicht krank geworden, wäre sie vielleicht längst Lehrerin, Ärztin oder irgendein anderer Beruf, der ihr Spaß gemacht hätte. Ich musste schlucken, denn so eine Situation war mir völlig fremd. Ich konnte auf die Schulen und Universitäten gehen, die ich mir aussuchte, konnte den Beruf ausüben, dem ich schon immer nachgehen wollte und musste niemals auf irgendetwas verzichten, schon gar nicht, um jemandem zu helfen. Sie fuhr fort: „Ich hatte das Geld schon fast zusammen...aber...leider hat Simons Krankheit nicht so lange warten wollen. Er ist...tot und ich...“. Sie konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten, sie rannen ihre Wangen hinab und sie schluchzte und hielt sich eine Hand vor den Mund, weil es ihr peinlich war. „Ent...schuldigung. Ich möchte Sie damit nicht behelligen.“ Sie wandte sich von mir ab und gab sich Mühe geräuschlos zu weinen. Jedoch war ihr Hicksen und Schluchzen immer noch deutlich zu hören. Ich war wie gelähmt und wusste gar nicht wie ich reagieren sollte. Natürlich habe ich schon oft von traurigen Schicksalen gehört, zum Beispiel im Fernsehen oder in Tageszeitungen, aber niemals war mir etwas so nahe gegangen, wie Erzas Worte. Hätte ich sie nur etwas eher kennen gelernt. Hätte ich es geschafft, dass sie mir vertraute und mir von all dem erzählte, dann wäre ihr Bruder noch am Leben. Für mich wäre es ein Leichtes gewesen das Geld für die Operation aufzubringen, es wären Peanuts gewesen. Ich fühlte mich schuldig, das erste Mal in meinem Leben; als wäre ich verantwortlich für Simons Tod gewesen. Normalerweise hätte ich alles rational betrachtet, denn ich kannte den Jungen nicht einmal und Erza selbst auch erst seit kurzem. Was hätte ich also schon tun können? Doch meine Rationalität versagte gänzlich. Diese wunderschöne Frau, deren starke Ausstrahlung ich so sehr verehrte, stand nun gebrochen vor mir, mit den Schultern zuckend, weil sie so sehr schluchzen musste, dass ihr ganzer Körper sich mit bewegte. Ich hatte sie als einen Besitz gesehen, den ich erlangen wollte. Ich war tatsächlich so töricht zu glauben mit Geld könnte ich mir erkaufen, was sie und ihren Bruder ihr ganzes Leben lang verbunden hatte. Zu solch starker Liebe war ich niemals fähig gewesen, das wurde mir augenblicklich klar. Doch was sollte ich jetzt tun? Sie versuchen aufzuheitern, obwohl ihr einziger Lebenssinn für immer fortgegangen war? Ihr Geld schenken um mir mein Gewissen rein zu kaufen? Egal, was mir in den Sinn kam, nichts schien mir angemessen genug, um ihr gegenüber ausdrücken zu können, was sie in mir ausgelöst hatte.

Mittlerweile hielt sie sich beide Hände vor das Gesicht um die bitteren und zahlreichen Tränen aufzufangen, die sich ihren Weg über ihr gesamtes Gesicht bahnten. Ich verspürte einen Impuls und konnte mich nicht dagegen wehren ihm nachzugehen. Ich ging zu ihr, nahm ihren Arm und drehte sie zu mir herum. Dann nahm ich sie, bevor sie reagieren konnte, in den Arm und drückte sie ganz fest an mich. Ihren Hinterkopf mit meiner Hand umfassend hielt ich sie. Für einen Moment war sie völlig still und regungslos vor Überraschung, dann aber schluchzte und weinte sie weiter. „Ich wollte doch nur, dass er weiter lebt! Wir waren noch nie vermögend, aber ich schaffte es immer uns durch zu bringen. Wieso musste er krank werden? Warum er???“ führte sie völlig aufgelöst eine Art Monolog. Ich hatte auch schon Personen aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis verloren, aber niemals hatte ich derartige Emotionen gezeigt, wie sie es tat; diese Trauer, diese Verzweiflung und diesen tief sitzenden Schmerz.

Es dauerte lange, aber sie beruhigte sich irgendwann wieder. Die ganze Zeit über hielt ich sie in meinen Armen und ließ sie einfach weinen. Nun, da sie ruhiger geworden war, wagte ich es etwas zu sagen: „Ich weiss, das ist sehr egoistisch, aber ich will nicht, dass Sie die Stadt verlassen.“. Ich ließ sie los und sie schaute mich mit verweinten Augen, verwischter Schminke im Gesicht und fragendem Blick an. „Aber diese Arbeit brauche ich nun nicht mehr...Also warum...?“ stotterte sie etwas vor sich hin. Sie wollte vermutlich darauf hinaus, dass es mich nun nicht mehr interessieren brauchte, was sie tun würde, denn sie würde sowieso nicht mehr für die Agentur arbeiten und mich somit nicht mehr wieder sehen. Doch sie wusste ja nicht, dass auch ich darauf hinaus wollte, bloß aus anderem Anlass. Ich legte eine Hand an ihre Wange, lächelte etwas und fuhr fort: „Diese Arbeit sollen Sie doch auch nicht mehr machen. Ihr Bruder war Ihr Lebensinhalt, ich weiss. Aber...Sie haben es auch geschafft einem Narren einen richtigen Lebensinhalt überhaupt erst zu zeigen.“. Ihr Blick wurde zunehmend verwirrter, da sie mir anscheinend nicht folgen konnte.

Ihre tiefe Trauer für ihren Bruder hatte mir aufgezeigt, was ich für ein großer Idiot gewesen war. Dass es wahre Liebe war, die meinem Leben zur Perfektion fehlte, das hatte ich schon lange gewusst und ich hatte gedacht dadurch wäre ich weise gewesen. Aber ich hatte versucht dieses Defizit mit Geld zu beheben und mir Liebe zu erkaufen. Zu glauben das würde funktionieren machte mich erst zum wahren Idioten. Das hatte ich nun eingesehen.

„Ich verstehe nicht ganz...“ stammelte Erza weiter mit unsicherer und zittriger Stimme vom Weinen. Ich wischte ihr eine letzte Träne vom Auge, beugte mich zu ihr hinüber und gab ihr einen sanften Kuss auf ihre noch zitternden Lippen. Dann zog ich sie erneut an mich heran und schloss die Augen. „Ich möchte dich kennenlernen, richtig kennenlernen. Nicht nur mit Sex und durchzechten Nächten. Du als Person, Erza, du bist einzigartig. Ich habe Gefühle für dich, von denen ich nicht einmal ahnte, dass sie in mir schlummen könnten. Alle Gründe, die ich bisher jemals zum Leben hatte, werden gegen dich nichtig und wirken so sinnlos. Bitte...Verlasse diese Stadt nicht. Verlasse mich nicht.“ Jene Worte flüsterte ich ihr zu und ich spürte, dass mein Herz dabei förmlich Überschläge machte vor Aufregung. Erza zögerte einen Moment, wahrscheinlich, weil sie genauso überfordert mit der Situation war wie ich. Dann erwiderte sie die Umarmung jedoch und schmiegte sich an mich. „Vielleicht...sollte ich wirklich noch etwas hier bleiben. Simon und ich liebten immer den Winter in dieser Stadt...“ Ihre Stimme klang ruhig und fast ein wenig glücklich. Als wir die Umarmung lösten kam ein frischer, aber trotzdem angenehmer Wind auf und wirbelte die Blätter um uns herum auf. Es war fast, als wäre er von Simons Grab gekommen und als wollte er uns sagen, dass wir endlich gehen und uns kennenlernen sollten. Dieser Winter versprach der erste in meinem Leben zu werden, der mich die Einsamkeit in meinem Herzen vergessen lassen könnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SAustenit
2016-11-25T16:13:45+00:00 25.11.2016 17:13
Arme Erza q_q ! Aber die Geschichte ist gut geschrieben, hat mir viel Spaß gemacht sie zu lesen d(^_^)b. Nur einen Kritikpunkt habe ich. Das Ende kam etwas plötzlich und dass Erza das Liebes-Geständnis vor dem Grab ihres Bruders so gut verkraftet hat war unerwartet :D. Hätte man länger ausführen können, ansonsten sehr gut \(^-^)/


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