Zum Inhalt der Seite

More Than A Feeling

28 Gefühle
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, nach über einer Woche ohne Laptop (ich frage mich immer noch, wie ich das überlebt habe :O) kommen endlich die neuen One-Shots :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit besonderer Widmung an abgemeldet - happy valentinesday xD <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Extra zum Valentinstag ein positives Gefühl - in diesem Sinne wünsche ich euch noch einen wunderschönen Rest-Valentinstag :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Aus diversen Gründen (abgemeldet weiß Bescheid) verzögert sich das Hochladen der ausstehenden Texte noch etwas. Da ich mich nun doch dazu entschieden habe auf Animexx weiterhin aktiv zu bleiben, werde ich die Kapitel in den nächsten Tagen hochladen. Hab am Donnerstag noch eine ziemlich wichtige Prüfung und daher nur sehr wenig Zeit um mich darum zu kümmern. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eifersucht

Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus, als sie das Bild sah. Das Bild, das schon ungefähr hundert Jahre alt war. Zumindest gefühlte hundert Jahre. Ein schweres Seufzen entfuhr ihr. Das ungute Gefühl wurde stärker und sie kniff die Augen fest zusammen. Atmete tief ein und aus und öffnete die Augen wieder. Es war noch immer da. Dieses Bild. Von ihm. Und ihr. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals und trieb ihr die Tränen in die Augen.

Als die erste heiße Träne über ihre Wange kullerte, klappte sie den Laptop etwas zu heftig zu. Vermutlich würde er das nächste Mal, wenn sie ihn brauchte, nicht mehr funktionieren, aber das war ihr egal. Momentan war ihr alles egal. Dieser Knoten in ihrem Magen wurde immer fester und ließ sie innerhalb einer halben Minute auf die Toilette laufen.

Sie hatte sich schon lange nicht mehr übergeben. Und auf leeren Magen war das auch nicht gerade angenehm gewesen. Sie war erschöpft. Und müde. Und verwirrt. Sie hatte keine Ahnung, wieso sie dieses harmlose Foto so aus der Bahn warf. Es war Vergangenheit. Trotzdem tat es weh. Was wenn … wenn er immer noch Gefühle für sie hatte? Was wenn er das Foto aus diesem Grund nicht gelöscht hatte? Erneut beugte sie sich über die Kloschüssel und erbrach ihren nicht vorhandenen Mageninhalt. Ihre Kehle brannte und ein unangenehmer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Zitternd stand sie auf, betätigte die Klospülung und trat an das Waschbecken.

Sie erkannte die Person in dem Spiegel nicht mehr. Blasse, fettige Haare, eingefallene Wangen. Die letzten Tage waren hart gewesen. Sie war nicht mehr aus ihrer Wohnung gekrochen. Hatte ständig dieses Bild vor Augen. Sein Lachen. Ihre Augen, die ihn anhimmelten. Vielleicht immer noch? Wo war er überhaupt? Traf er sich mit ihr?

Erneut warf sie ihrem Spiegelbild einen Blick zu. Ein leises Seufzen entwich ihr. Sie drehte den Wasserhahn auf, spülte ihren Mund aus und wusch sich das Gesicht.

»Du siehst echt scheiße aus«, murmelte sie sich selbst zu und strich sich die strähnigen Haare aus dem Gesicht.

Sie zögerte einen Moment, bis sie sich die Klamotten vom Leib riss und unter die Dusche stieg. Sie drehte das Wasser so heiß, dass es schmerzte und schrubbte ihre Haut so fest, dass sie sich sicher war, die oberste Hautschicht hatte sich abgelöst.
 

Eine halbe Stunde später rieb sie sich mit einem weichen Handtuch trocken. Es tat gut ihre geschundene Haut mit etwas Weichem zu beruhigen. Sie wusste überhaupt nicht, was in sie gefahren war. In der Hitze des Gefechts war sie … durchgedreht. Sie war eigentlich kein eifersüchtiger Mensch. Aber dieses Foto…

Erneut schluckte sie schwer, strich sich die nassen Haare zurück und blickte in den Spiegel.

Sie durfte nicht mehr daran denken.

Wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte.

Sie schloss die Augen, presste sie fest zusammen, bis weiße Punkte vor ihren geschlossenen Lidern tanzten, und atmete ein paar Mal tief durch.

Sie öffnete die Augen und brauchte ein paar Momente um wieder klar sehen zu können.

Immer noch das selbe Gesicht. Die selben Augenringe. Die selben eingefallenen Wangen.

Sie sollte sich ablenken. Einen Film sehen. Mit Freunden etwas trinken gehen. Obwohl letzteres vermutlich nicht dazu beitragen würde, dass sie sich besser fühlte. Unter Alkoholeinfluss machte man oft dumme Sachen. Und die Tatsache, dass er seit Tagen weg war und sie ein funktionierendes Handy hatte, war vermutlich keine allzu gute Kombination.

Also blieb der Film übrig. Eine saftige Liebesschnulze und Chips würden den Abend vielleicht etwas retten.

Sie schlüpfte in ihren weichen Bademantel, der ihrer immer noch prickelnden Haut, gut tat.

Als sie in ihr Zimmer kam, fiel ihr Blick auf ihren Laptop, der immer noch so da lag, wie sie ihn verlassen hatte.

Erneut durchfuhr sie dieser Schmerz. Konnte sie ihm wirklich vertrauen? Ihre Welt würde zusammenbrechen, wenn er … wenn er noch Gefühle für sie hätte.

Ihre Augen brannten und es dauerte nicht lange, bis wieder Tränen über ihre Wangen kullerten. Ein wutentbrannter Schrei entwich ihr und sie warf den Laptop vom Bett. Ein ungesundes Knacksen war zu hören, aber das war ihr egal. Sie wollte dieses Bild nicht mehr sehen. Nicht mehr daran denken müssen.

Es tat zu weh.

Sie hatte sich schon oft gefragt, ob sie seine Zuneigung überhaupt verdient hatte. Sie war eine furchtbare Freundin. Zu eifersüchtig. Zu sehr damit beschäftigt alles zu hinterfragen. Es war nicht einfach mit ihr und trotzdem sagte er ihr jeden Tag, dass er sie liebte. Aber ob das stimmte? Immerhin war er mit ihr ewig zusammen gewesen. Mindestens.

Mit einem Seufzen warf sie sich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein.

Sie hörte nicht, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

Der Film hatte kaum begonnen und sie musste schon wieder weinen. Nicht etwa weil der Anfang des Films so traurig war, nein. Viel eher, weil sie den Film zum einen auswendig kannte und zum anderen gedanklich immer noch bei diesem Bild war.

Das leise Klopfen an ihrer Zimmertür ließ sie aufschrecken.

Ihr Herz begann zu rasen. Wer in Gottes Namen klopfte an ihre Zimmertür? Die Wohnungstür war abgeschlossen gewesen!

Die Tür öffnete sich einen Spalt und sie war kurz davor um Hilfe zu rufen, sehr wohl in dem Bewusstsein, dass sie niemand hören würde.

Ihr Herz pochte so stark gegen ihre Brust, dass sie sich sicher war, es würde gleich daraus hervorspringen.

Aber nichts dergleichen geschah.

Stattdessen fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen, als sie sein Gesicht an der Tür entdeckte.

Er war wieder da.

Mit einem Strauß roter Rosen in der Hand.

Und der Strauß war für sie und nicht für sie. Er war zu ihr zurück gekommen. All die Sorgen waren umsonst gewesen.

Sie richtete sich auf und lief auf ihn zu. Für einen kurzen Moment waren der Laptop und das Bild vergessen. Sie war so froh ihn wieder zu haben. Nur für sich alleine.

»Ich habe dich vermisst«, schluchzte sie an seine Schulter. Kaum hatte er seine starken Arme um sie geschlossen, liefen die Tränen wieder in Strömen über die Wangen.

»Alles gut, Baby, ich bin hier.«

Seine tiefe Stimme sorgte für eine Gänsehaut. Sie drückte sich an ihn und küsste ihn auf die Wange. Wie hatte sie je an ihm zweifeln können? Er hatte Recht: Alles war gut. War nie besser gewesen.

Trauer

Sie war nicht mehr da. Einfach … nicht mehr da. Er hatte nicht einmal gewusst, dass so etwas möglich war. Zumindest nicht jetzt schon. Es war … zu früh. Zu früh für sie um zu gehen.

Für immer.

Dieser Schmerz in seiner Brust war unerträglich. Es fühlte sich an als würde sein Herz jeden Moment zerbrechen. Als würde seine Brust platzen unter diesem fürchterlichen Druck. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass man so etwas überhaupt fühlen konnte.

Neben seinem zerberstenden Herzen war da aber auch eine fürchterliche Leere.

Eine Leere, die ihn zu erdrücken drohte.

Das kleine Mädchen in seinen Armen gluckste und stupste ihn mit den winzigen Fingern in die Wange. Sie hatte keine Ahnung was hier vor sich ging. So klein und ohne Mutter. Und sie hatte keine Ahnung.

Er betrachtete das kleine Ding - seine Tochter sah zu ihm hoch und wurde plötzlich ganz ruhig, als würde sie fühlen, dass etwas nicht stimmte. Doch was konnte sie natürlich nicht sagen; nicht verstehen. Und für einen Moment beneidete er sie dafür.

»Alles wird gut«, murmelte er, obwohl er es selbst nicht wirklich glauben konnte. Nicht glauben wollte.

Wie konnte ohne sie alles gut werden? Sein Leben war mit einem Mal vorbei gewesen. Er hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie sein Leben ohne sie aussehen könnte, denn das war etwas, das er sich nie auch nur ansatzweise vorstellen wollte. Und jetzt … jetzt war genau das eingetreten. Seine größte Furcht. Seine große Liebe - sein Leben war nicht mehr da. Er blickte erneut hinab in das Gesicht des kleinen Mädchens und sah ihre Augen. Diese vertrauten Augen, durch die er bis in ihre Seele hatte blicken können, blinkten ihn nur fragend an.

»Irgendwann wirst du verstehen.«

Er strich der Kleinen über die Stirn und legte sie zurück in den Kinderwagen. Viel zu oft war er mit ihr hierher gekommen. Er hatte Angst davor was passieren würde, wenn er es alleine täte.

Ohne noch einmal zurückzublicken schob er den Kinderwagen vor sich her ›nach Hause‹. Seit sie nicht mehr hier war fühlte er sich unerwünscht, auch wenn man ihm ständig sagte, dass er solange bleiben könnte, wie er wollte. Doch das war nicht sein zu Hause, würde es nie sein - und ohne seine geliebte Frau gab es eigentlich keinen Grund für ihn zu bleiben. Eigentlich. Sie hatten ihn doch überzeugen können, dass seine kleine Tochter hier besser aufgehoben war, als in seiner Heimat. Und sie hatten Recht.
 

Wie mechanisch bewegte er sich durch die Räume, fühlte sich nirgends wirklich dazugehörig. Schließlich blieb er in der leeren Bibliothek stehen, den Blick nach draußen auf die weiten Wiesen und Felder gerichtet. Die Sonne schien strahlend vom Himmel, doch die nahm er nicht einmal war. Ihr hätte so ein Tag gefallen, das wusste er. Sie hätte die Sonnenstrahlen genossen, wäre durch die Wiese getanzt und hätte einen Blumenkranz geflochten. Er vermisste ihr Lachen, ihr Parfum, die Art wie sie den Kopf schief hielt, wenn sie etwas nicht verstand. Er vermisste einfach alles an ihr.

Traurig wandte er den Blick ab und wollte gerade auf sein Zimmer gehen, als die Bibliothek betreten wurde.

»Wie geht es dir?«

Die Stimme seines besten Freundes klang besorgt. Wie schon seit Wochen.

»Gut, danke«, gab er kurz angebunden zurück.

Sein Gegenüber glaubte ihm nicht. Natürlich nicht. Seine ganze Haltung verriet, dass es ihm alles andere als gut ging. Sie trafen sich in der Mitte des Raumes und sein bester Freund legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Du solltest alleine gehen. Ohne die Kleine.«

Natürlich hatte er Recht. Für das kleine Ding war es bestimmt nicht gut, wenn es die meiste Zeit mit seinem Vater am Friedhof verbrachte.

»Ich glaub ich kann das nicht«, gestand er, als er schon an der Tür stand und sich noch einmal umgewandt hatte.

»Doch du kannst.« Die hellen Augen seines Gegenübers fixierten ihn. »Du musst.«

Er nickte leicht. Er musste. Für seine Tochter. Für sich.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen wandte er sich ab und ging. Seine Beine trugen ihn, ohne dass er ihnen die Richtung zeigen musste. Er ließ die Bibliothek und das ganze Anwesen hinter sich und fand sich wenige Minuten später erneut an ihrem Grab wieder.

Wie automatisch ging er in die Knie, betrachtete den Strauße Rosen, den er vor weniger als einer Stunde dort auf den Boden gelegt hatte und bevor er an irgendetwas anderes denken konnte, liefen ihm heiße Tränen über die Wangen. Seit ihrem Tod hatte er nicht mehr geweint, hatte es immer unterdrückt. Er wollte seiner Tochter keine Sorgen bereiten, keine Angst machen. Sie sollte nicht sehen, wie ihr Vater weinte.

Seine Finger berührten die Schrift auf dem Stein. Ihren Namen. Den kurzen Strich zwischen ihrem Geburts- und Todestag. Den viel zu kurzen Strich, der ihr Leben widerspiegeln sollte. Und doch hatte sie jede einzelne Sekunde ihres Lebens genossen und ausgenutzt, das wusste er. Dieser kleine Gedanke ließ ihn trotz der Fassungslosigkeit, der Tränen und der furchtbaren Trauer für einen Moment lang lächeln.

Angst / Panik

Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie wollte schreien, wusste aber, dass das ihren Tod bedeuten würde. Sie hörte die schlurfenden Schritte ganz in ihrer Nähe, das schwere Schnauben und die Stimme, die immer wieder ihren Namen rief. Ihr Herz raste und sie hatte Angst, dass er es hören würde. Sie presste sich die Hand auf den Mund aus Angst ihr Atem könnte ihr Versteck preisgeben. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen und sie wusste, dass ihr Leben auf dem Spiel stand.

Vor wenigen Monaten noch hatte sie sich noch gesehen, wie sie ein lange und glückliches Leben führen würde. Niemals hätte sie gedacht, dass sie mit dieser einen Unterschrift in einen Psychozirkus aufgenommen worden war. Sie hatte damals ihr Todesurteil unterschrieben, wie ihr jetzt klar wurde. Wenn sie doch nur die Zeit zurückdrehen könnte…

Das Knacken eines Zweiges ließ sie zusammenfahren. Er kam näher. Wusste vielleicht sogar schon wo sie sich versteckte. Sie hätte heute Morgen nicht so viel Parfum auflegen sollen. Diesem Mistkerl traute sie sogar einen ziemlich ausgeprägten Geruchssinn zu. Sie hielt die Luft an und wartete mit laut klopfendem Herzen darauf was als nächstes passierte. Sie wagte es nicht sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die Sekunden, die verstrichen, fühlten sich wie Minuten an. Nichts passierte.

»Hey, hier drüben liegt ihr Schal!«, rief plötzlich eine Stimme in die Stille des Waldes hinein.

Wie automatisch griff sie um ihren Hals - ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie ihren Schal nicht mehr trug. Vermutlich hatte er sich in einem der Äste verfangen. Die Schritte entfernten sich wieder und für einen kurzen Moment traute sie sich wieder frei zu atmen. Doch ihr war bewusst, dass sie hier weg musste. Und zwar schnell.

Vorsichtig sah sie um den Baum herum und entdeckte zwei ihrer Verfolger in einiger Entfernung. Der dritte, der sie beinahe erwischt hatte, stieß jetzt zu ihnen und sie untersuchten den Schal, als würde er ihnen den Weg weisen. Kurzzeitig war sie froh, dass die drei keine Hunde dabei hatten.

»Komm raus, komm raus. Wo bist du? Wir wollen doch nur reden!«

Ja natürlich und sie war der Kaiser von China.

Sie hätte auf ihre Mutter hören sollen, als diese gesagt hatte, dass sie sich nicht gleich in das erstbeste Jobangebot stürzen sollte. Aber jetzt war es ohnehin zu spät. Sie hoffte nur, dass es für sie nicht auch schon zu spät war.

Vorsichtig wandte sie sich wieder um und kroch auf allen Vieren am Boden herum, peinlich darauf bedacht ja kein Geräusch zu machen. Die drei Männer waren schnell, wenn sie wollten, das wusste sie.

Als sie es wieder wagte sich aufzurichten, warf sie noch einmal einen kurzen Blick über die Schulter. Die drei waren immer noch in ein Gespräch vertieft und überlegten wohl fieberhaft wo sie nach ihr suchen sollten. Immerhin hatte ihnen der Schal nicht gerade weitergeholfen. Welch Wunder. Sie schluckte einmal schwer, wandte sich ab und lief so schnell sie konnte von den Männern weg. Ihre Angst trieb sie immer weiter an und inzwischen waren sie bestimmt wieder hinter ihr her. Doch sie wagte es nicht sich noch einmal umzudrehen. Sie musste es nur bis zu dem Zaun schaffen und darüber klettern, dann hätte sie sie abgehängt. Das Filmset war leider riesig, doch den Großteil hatte sie zum Glück schon hinter sich gelassen.

»Bleib stehen!«, hörte sie eine tiefe Stimme hinter sich brüllen und bildete sich ein, einen Schuss zu hören.

Ihr Herz raste, das Adrenalin strömte nur so durch ihren Körper und die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wollte schreien, doch kein ton drang aus ihrer Kehle. Sie sah den Zaun und für einen kurzen Moment wähnte sie sich in Sicherheit.

Für einen kurzen Moment zu lange.

Einer der Männer hatte sie eingeholt und riss sie an den Haaren zurück.

»Hier geblieben, Miststück.«

Ein Keuchen entwich ihr, was gar nicht so sehr am Schmerz lag, fiel mehr am Schreck, den er ihr eingejagt hatte. Sie hatte wirklich gedacht, sie wäre gleich in Freiheit.

Die anderen beiden hatten sie nun eingeholt und standen über ihr. Sie war auf die Knie gesunken und wimmerte. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Vorsichtig hob sie den Kopf und sah die Waffe in seiner Hand - also hatte sie sich den Schuss doch nicht eingebildet. Das alles glich beinahe einer Hetzjagd.

»Bitte«, flehte sie und sah alle drei abwechselnd an.

Diese Sadisten. Ihr Herz begann wieder wie wild gegen ihre Brust zu trommeln und sie war sich sicher, dass man es im Umkreis von einem Kilometer hören konnte. Überall brach der Angstschweiß hervor und am liebsten würde sie wieder aufstehen und laufen. Doch ihre Beine waren wie festgefroren - bewegungsunfähig. Sie musste auf ein Wunder hoffen. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass darauf lange hoffen konnte…

Wut

Ein Schnauben entwich ihr. Das durfte doch alles nicht wahr sein. War sie nicht eigentlich ein vertrauenswürdiger Mensch? Ein Mensch, dem man Dinge erzählen konnte? Sie schlug auf den Boxsack ein und ihre Miene verfinsterte sich mit jedem Schlag mehr. Irgendwo musste sie ihre Wut raus lassen und bevor sie ihrer angeblich besten Freundin ins Gesicht schlug und vielleicht auch noch Probleme mit dem Gesetz bekam, war das definitiv die bessere Alternative.

Sie hatte keine Ahnung wie viel Zeit verstrichen war, als sie sich mit schlaffen Armen auf den Boden sinken ließ. Ein wütender Schrei entwich ihr, bevor sie die Boxhandschuhe auszog und durch den Raum pfefferte. Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie ihr nicht immer das Gefühl gegeben, dass sie ihr alles erzählen konnte? Ihrer Meinung nach schon. Und sie selbst hatte auch jedes Geheimnis mit ihr geteilt - immerhin war sie auch ihre beste Freundin. Gewesen. Sie ließ sich doch nicht auf der Nase herumtanzen.

Mit einem tiefen Seufzen legte sie sich flach auf den Boden und starrte an die Decke. Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie wusste es nicht. Es war ihr ein Rätsel. Jahre waren vergangen und sie hatte es nicht bemerkt, dass sie ihr ständig eine Lüge um die andere auftischte. Sie fragte sich was an ihrer Freundschaft überhaupt echt gewesen war. Sie hatten so vieles miteinander durchgestanden und trotzdem … trotzdem war es einfacher sie anzulügen, als ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie verstand es einfach nicht.

Es dauerte einige Momente, bis sie sich so weit wieder gefasst hatte um aufstehen und nach oben gehen zu können. Im Keller einen Platz für den Boxsack freizuräumen, war die beste Idee gewesen, die sie je gehabt hatte. Sonst hätte sie vermutlich ihre halbe Einrichtung zerstört. Als sie erfahren hatte, dass ihre Freundin sie wegen jeder Kleinigkeit angelogen hatte, war sie so wütend geworden, dass ihre Hände zitterten und sie nicht einmal ein Glas Wasser halten konnte. Wenn sie daran dachte, spürte sie erneut wie die Wut in ihr hochschwappte. Sie schloss schnell die Augen, atmete ein paar Mal tief durch und beruhigte sich wieder einigermaßen. Sie durfte nicht mehr daran denken, sollte das ganze am besten verdrängen.

Und doch ließ sie das alles nicht ganz los. Sie kannten sich seit ihrer frühesten Kindheit, hatten alles miteinander geteilt und plötzlich wurde sie so hintergangen? Sie verstand es einfach nicht. Dabei war es doch alles, was sie wollte … es verstehen. Verstehen, wieso ihre beste Freundin es nicht schaffte ihr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Oft hatten sie sich darüber unterhalten und waren immer einer Meinung gewesen: Es war besser mit der Wahrheit sofort herauszurücken, auch wenn sie kurz schmerzte, als zu lügen und irgendwann damit rechnen zu müssen, dass die Andere dahinter kam und der Schaden mehr als doppelt so hoch war. Wie oft sie ihr gesagt hatte, wie verletzt sie wäre, wenn so etwas passieren würde. Und dann … passierte genau das. Sie hatte keine Ahnung was die Zukunft für sie bereit hielt, doch eins wusste sie: Von dieser Person würde sie sich ab sofort fern halten. Sie hatte definitiv nicht das Bedürfnis sich noch mal solchen Wutanfällen auszusetzen. Das war nicht gut für sie, das wusste sie. Auch wenn es schwer zu akzeptieren war, ihr Leben würde auch ohne ihre tolle Freundin weitergehen. Und auch wenn es ihr jetzt vielleicht noch nicht allzu klar war, würde sie an dem Schmerz, der Enttäuschung und der Wut wachsen und eine weitere Lektion fürs Leben lernen.

Ekel

Es war ein wunderschöner Tag und deshalb keine große Überraschung, dass sie ihn draußen an der frischen Luft verbringen wollte. Während der letzten Tage hatte es geregnet und gestürmt - ihr Garten sah genauso fürchterlich aus, wie noch vor wenigen Monaten, als der Schnee gerade geschmolzen war. Es gab einiges zu tun, doch das war ihr egal. Sie liebte ihren Garten und beschäftigte sich gerne damit. Außerdem hatte sie frei und somit den ganzen Tag Zeit sich um ihre Blumen, Kräuter und Bäume zu kümmern.

Sie summte fröhlich vor sich hin, als sie sich vor das Beet kniete und begann das Unkraut zu jäten. Man merkte nicht mehr, dass sie das erst vor zwei Wochen getan hatte - der viele Regen hatte einen Großteil ihrer Blumen zerstört, dafür das Unkraut wachsen lassen. Der Wind hatte von ihren Bäumen dünne Äste abgebrochen, so viele Blätter abgetragen als wäre es Herbst und alles zwischen ihren Blumenbeeten verteilt. Als gäbe es nicht genügend Grünfläche hinter dem Haus; aber es wäre ja zu einfach gewesen die Blätter auf der Wiese zusammenzukehren. Ein leises Seufzen entwich ihr. Manchmal fragte sie sich wirklich ob der Wettergott Spaß daran hatte die Menschen zu ärgern.

Einige Stunden verbrachte sie mit ihren Blumenbeeten und der Kräuterspirale. Sie sah erst auf, als ihr Mann nach Hause kam und sie an den reservierten Tisch erinnerte. Sie beschloss, dass sie sich um die Bäume am folgenden Tag genauso gut kümmern konnte und machte sich auf den Weg nach drinnen. Kurz bevor sie die Haustür öffnete, spürte sie etwas an ihrer rechten Wade. Ohne hinzusehen, griff sie hin und wollte sich kratzen, doch ihre Finger berührten etwas Schleimiges, was dazu führte, dass ihr ein spitzer Schrei entwich. Sie entdeckte eine ekelhafte Nacktschnecke, die es sich auf ihrem Bein gemütlich gemacht hatte. Vor Schreck schrie sie noch einmal, lief zurück in die Wiese und strich das Tier mit einem Handschuh von ihrer Wade.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie hüpfte kurz, hysterisch auf der Stelle und quietschte angeekelt vor sich hin. Wieso war ihr das vorhin nicht aufgefallen? War sie so in ihre Arbeit vertieft gewesen? Egal, es war jedenfalls eines der ekelhaftesten Dinge, die ihr je widerfahren waren. Wie automatisch verkrampfte sie ihre Wade, als würde sie so das schleimige Gefühl loswerden, doch es half nichts. Sie eilte nach drinnen und flitzte ohne große Worte an ihren Mann zu richten, ins Badezimmer und unter die Dusche. Das Wasser war so heiß, dass der Spiegel binnen Sekunden beschlagen war. Mit dem Badeschwamm - den sie später wohl wegwerfen würde - und Unmengen Duschgel schrubbte sie eine gefühlte Ewigkeit ihr gesamtes rechtes Bein. Es würde sie nicht wundern, wenn sie die obersten Hautschichten abgeschrubbt hätte. Ihr Bein war schon ganz rot, doch das Gefühl blieb. Kurz überlegte sie, ob es helfen würde einfach nicht mehr daran zu denken, doch das brachte genau gar nichts, denn nach dem ersten Versuch sah sie die Schnecke in ihrer Erinnerung und war sich sicher, dass ein schelmisches Grinsen in ihrem Gesicht gelegen hatte. Sie hatte zwar keine Ahnung ob Schnecken überhaupt ein Gesicht hatten, aber das war nebensächlich.

So ausgiebig hatte sie schon lange nicht mehr geduscht und eigentlich verließ sie die Dusche nur, weil ihr Mann seit fünf Minuten gegen die Tür hämmerte und ihr sagte sie solle sich beeilen. Das Ekelgefühl hatte sie noch immer noch losgelassen und ständig fuhr sie sich über die rechte Wade, weil sie erwartete dort den Schneckenschleim zu spüren. Jedes Mal wenn sie hinsah, erwartete sie eine hässliche, fette Nacktschnecke zu sehen. Das Rendezvous mit ihrem Mann wurde so zu einer ziemlich lang andauernden Qual und vermutlich hielt er sie ohnehin schon für verrückt - für ihn war es schließlich nur etwas Schneckenschleim, aber er hatte das Ding nicht gespürt. Ihr lief wieder ein Schauer über den Rücken. Es gab wirklich nichts Ekelhafteres als das.

Ihre Pläne, sich um die Bäume zu kümmern, verschoben sich, denn als sie am folgenden Morgen wach wurde, schrie sie bei ihrem Waden-Kontrollblick hysterisch auf, weil sie ein Muttermal als Schnecke identifiziert hatte. Dieser Schneckenangriff hatte sie wirklich etwas paranoid werden lassen.

Langeweile

Es war einer dieser Tage, an denen er absolut nicht wusste, was er tun sollte. Seine Freunde waren beschäftigt, seine Familie war verreist und er saß in seiner viel zu großen Wohnung und … machte nichts. Ihm fielen tausend Dinge ein, die er machen könnte, das Wetter war immerhin schön, aber alleine? Darauf hatte er auch nur wenig Lust.

Er ging zum Fenster und starrte hinaus. Für ein paar Minuten beobachtete er eine junge Mutter, die etwas verzweifelt versuchte ihren Knirps wieder einzufangen. Ein Lächeln huschte über seine Lippen bevor er sich abwandte. Gut, dass er sich um so etwas keine Sorgen machen musste. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass der Tag noch nicht einmal halb vorbei war. Natürlich. Immer wenn man nicht wusste was man tun sollte, kroch die Zeit im Schneckentempo dahin. Er hasste dieses Gefühl von Langeweile. Er hätte gerne so viele Dinge getan, doch richtig dazu aufraffen konnte er sich auch nicht. Kurz überlegte er ob er etwas kochen sollte, doch auch dafür fehlte ihm irgendwie die Motivation. Und war es nicht viel einfacher zum Hörer zu greifen und sich eine Pizza zu bestellen? Eben.

Im Nachhinein bereute er diese Entscheidung allerdings wieder. Denn er kam vor Langeweile fast um. Es gab einfach nichts, das er hätte tun können. Seine Wohnung war geputzt, kochen musste er jetzt auch nicht mehr und irgendwelche wichtigen Termine hatte er auch nicht wahrzunehmen. Der Berufsalltag stresste ihn so, dass er seine freien Tage nicht genießen konnte. Kurz überlegte er, ob er sich nicht ein paar neue Projekte für das Unternehmen überlegen sollte, ließ es dann aber bleiben. Seine Kollegen würden sich nur wieder über ihn lustig machen, so wie jedes Mal, wenn er mit einem Stapel Ideen aus seinem Urlaub zurück kam.

Als es an der Tür klingelte, schöpfte er kurz Hoffnung, dass ihn jemand aus seiner misslichen Lage befreite und ihn mit irgendetwas beschäftigte, doch es war nur der Pizzabote, der sich beschwerte, dass der Aufzug nicht funktionierte. Und da konnte er was genau dafür? Er gab dem Jungen mehr Trinkgeld als nötig und stellte den Pizzakarton auf den Couchtisch. Um irgendetwas Sinnvolles zu tun, griff er nach dem Telefon und rief beim Hausmeister an, der ihm genervt ins Ohr brüllte, dass ihn schon fast alle Mieter darüber informiert hätten, dass der Aufzug nicht funktionierte. Puh, der hatte eine Laune.

Ein paar Minuten später hatte er sich mit Bier und Pizza auf der Couch niedergelassen und durchforstete sämtliche Fernsehsender, die er besaß. Nichts das ihn interessierte. Nichts das die Zeit schneller voranschreiten ließ. Einfach gar nichts. Es waren fünf Minuten vergangen, seit er das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte. Das war zum Verrückt werden. Wenn er arbeitete flogen die Stunden dahin wie nichts. Kaum hatte er frei … nun ja. Er konnte mit so viel Freizeit nicht gut umgehen - er hatte alle paar Minuten das Gefühl etwas vergessen zu haben, bis er sich daran erinnerte, dass alles erledigt war und er entspannen konnte. Aber das konnte er nicht. Dafür war ihm einfach zu langweilig. Er brauchte irgendetwas zu tun, damit er abschalten konnte. Aber es gab nichts.

Nach einer Stunde hatte er ein kurzes Telefonat mit seiner Mutter, die ihm von der Karibik vor schwärmte, einige Folgen einer Serie, die er inzwischen auswendig kannte hinter sich und eine weitere Flasche Bier intus. Es half nichts, ihm war stinklangweilig. In einem Anflug von Übermotivation schaltete er den Fernseher aus und machte sich auf den Weg in die Küche. Er musste irgendetwas tun. Sein Kühlschrank war gut gefüllt, also hielt ihn nichts davon ab zu kochen was er wollte.

Und endlich, endlich hatte er ein Mittel gegen seine Langeweile gefunden. Nach mehreren Stunden hatte er ein kleines Abendessen zubereitet und Gerichte für die nächsten drei Tage vorgekocht. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ließ er sich ein heißes Bad ein und gönnte sich noch ein Bier. Die letzten paar Stunden des Tages waren schneller vergangen als erwartet und nach einem entspannenden Bad, würde er noch ein bisschen in seinem Buch lesen und früh schlafen gehen. Endlich war der Tag vorbei und er war vollends zufrieden mit sich. Er hatte sich aufraffen können und hatte die Langeweile bekämpft! Das siegessichere Grinsen wollte gar nicht mehr von seinem Gesicht verschwinden.

Zumindest bis zu dem Augenblick, als ihm einfiel, dass der morgige Tag auch nicht vielversprechender aussehen würde. Oh wie er seinen Urlaub hasste.

Nervosität

Die Geschichten, die ihr Großvater ihr erzählt hatte waren oft schaurig gewesen. Er hatte gerne alles ausgeschmückt und je öfter er seine Geschichten erzählt hatte, desto wilder wurden seine Fantasien. Wenn er vom Krieg erzählte, war die Kriegsverletzung seines Freundes ein Schuss in das rechte Bein. Bei der nächsten Erzählung war das Bein bis zum Knie weg gesprengt worden. Sie hatte seinen Geschichten immer gerne gelauscht, wusste aber nie was wahr und was erfunden wahr. Vielleicht war es genau das, was seinen Erzählungen den besonderen Kick gab.

In dem Haus ihres Großvaters gab es diesen Raum. Wenn ihre Geschwister und sie bei ihm waren, war der Raum immer abgeschlossen. Immer. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass jemals irgendwer in diesem Raum gewesen war. Natürlich war das ein gefundenes Fressen für vier kleine Kinder gewesen. Unbedingt hatten sie in diesen Raum einbrechen wollen. Es hatte unzählige Versuche gegeben, doch nie war es ihnen auch nur annähern geglückt. Auch als sie Teenager waren, war die Neugier groß gewesen und sie hatten sich etwas geschickter angestellt, hatten es aber trotzdem nie geschafft.

Der Grund für ihre Neugier war eigentlich ganz einfach gewesen. Als ihr ältester Bruder ihren Großvater einmal gefragt hatte, wieso der Raum immer abgeschlossen war, erzählte er ihnen, dass sich darin ein sagenhafter Schatz verbarg. Natürlich wollten sie diesen Schatz unbedingt sehen, doch ihr Großvater hatte nie nachgegeben und hielt den Raum fest verschlossen. Jedes Mal, wenn sie bei ihm waren, erzählte er ihnen eine andere Geschichte über den Raum. Sie erinnerte sich noch gut daran, als er ihr auf einem Spaziergang einmal weiß machen wollte, dass sich hinter der Tür ein Zauberwald befand, in dem es Feen und Hexen gab. Als sie älter wurden, hatte er oft von wahnwitzigen Foltergeräten gesprochen, die sich darin befinden sollten.

Auch wenn es sie wirklich oft gestört hatte, dass er nicht mit der Sprache raus rücken wollte oder sie und ihre Brüder den Raum betreten durften, hatte sie jedes Mal mit Spannung darauf gewartet, was er sich dieses Mal hatte einfallen lassen. Je älter sie wurden, desto düsterer wurden seine Geschichten. Aus dem Märchenland von damals, war ein finsterer Bunker geworden, in dem während des Krieges viele Menschen gestorben waren. Aus dem Bunker wurde ein Bombenloch. Sie erinnerte sich noch genau, als er in seinem abgewetzten Sessel gesessen und sie alle vier nach der Reihe gemustert hatte. »Ihr wollt doch nicht in ein dreißig Meter tiefes Bombenloch fallen? Wer sollte euch daraus wieder hervor holen? Die Tür bleibt zu«, hatte er damals gesagt und insgeheim in sich hineingegrinst.

Sie wusste gar nicht mehr was dieser Raum in all den Jahren schon alles verborgen hatte. Granaten, die (noch) nicht hochgegangen waren. Ein wilder Löwe, der jeden anfiel, sobald er die Tür auch nur einen Zentimeter weit öffnete. Das Grab ihrer Großmutter. Alle Gräber der Familie. »Und wenn ihr die Tür öffnet, werden sie aus ihren Särgen aufstehen und euch aufessen«, hatte er ihnen beschworen und dabei warnend seinen knorrigen Zeigefinger gehoben. Sie musste zugeben, dass dies die schlimmste Vorstellung von allen war. Ihr war inzwischen klar, dass ihr Großvater einfach nur eine ziemlich ausgeprägte Vorliebe für Gruselgeschichten gehabt hatte, doch wenn sie - so wie jetzt - vor dieser Tür stand, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Vielleicht war doch etwas Wahres dran? An den Geistern, Dämonen und Zombies, von denen er so oft gesprochen hatte.
 

Ihr Großvater war in einem hohen Alter gestorben. Sie und ihre Brüder hatten die Beerdigung so schön gestaltet, wie sie es nur konnten. Auch wenn ihr Großvater definitiv nicht ganz richtig im Kopf gewesen war, hatten sie ihn alle geliebt. Die Ausflüge zu ihm waren immer etwas Besonderes gewesen. Er hatte sie zu etwas Besonderem gemacht mit seinen Geschichten, wilden Theorien und abschreckenden Erzählungen, was den Raum betraf.

Jetzt standen sie alle vier vor der Tür. Es hatte etwas Verbotenes ihr so nah zu sein, hatte er ihnen doch oft genug eingeredet, dass sie qualvoll an Lungenkrebs sterben würden, würden sie die Luft ganz in der Nähe der Tür einatmen. Der alte Mann hatte auf jeden Fall gewusst, wie man Kinder verschreckte.

Ihre Hand zitterte etwas, als sie ihrem ältesten Bruder den Schlüssel reichte, den sie gefunden hatte. Es musste der Schlüssel zu dem Raum sein, denn sie hatte ihn noch nie gesehen und das obwohl sie jeden Quadratzentimeter des Hauses gesehen hatte. Es war beinahe so, als wäre der Schlüssel in dem Moment aufgetaucht, als ihr Großvater gestorben war. Vielleicht lag doch etwas Magie in der ganzen Sache? Auch wenn sie schon lange nicht mehr an Hexen und Feen glaubte, war das alles doch mehr als seltsam.

»Okay. Sollen wir?«, fragte ihr Bruder leise und sie konnte hören, wie seine Stimme leicht zitterte.

Ihnen allen stand die Anspannung und Nervosität ins Gesicht geschrieben. Sie würden das Geheimnis des sagenumwobenen Raumes endlich lüften und bisher war noch bei keinem Aufregung eingetreten. Die Geschichten waren alle tief in ihrem Unterbewusstsein verankert und es fühlte sich einfach verboten an, sich dem Raum zu nähern und dem Ältesten von ihnen dabei zuzusehen, wie er den Schlüssel in das alte Schloss steckte.

Ein nervöses Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Sie wusste nicht, was sie gleich erwarten würde. Vielleicht würde ihnen wirklich etwas entgegen springen und sie alle töten? Gespannt beobachtete sie, wie ihr Bruder den Schlüssel drehte und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ihr Herz hämmerte so fest gegen ihre Brust, dass sie sicher war, es würde bald herausspringen. Ihre Hände begannen zu schwitzen und sie begann wie automatisch ihre Finger durchzukneten. Als ihr Bruder den Schlüssel bis zum Anschlag gedreht hatte, biss sie sich so fest in die Unterlippe, dass es schon schmerzte. Ihr Herz pochte viel zu laut und viel zu schnell und als er nun die Tür aufstieß, musste sie sich zusammenreißen um nicht zu schreien. Instinktiv riss sie die Arme hoch um sich zu schützen … doch da war nichts.

Sie warf ihren Brüdern kurze Blicke zu und sie schienen genauso überrascht zu sein. Sie alle waren leichenblass und dem Ältesten von ihnen zitterten immer noch die Hände. Nacheinander betraten sie den Raum. Er war kahl und leer. Bis auf die vier schönen Boxen, die in der Mitte des Raumes standen. Davor lag ein Zettel in der krakeligen Handschrift ihres Großvaters. Darauf stand:

»Ihr neugierigen kleinen Biester habt wirklich damit gewartet, bis ich sterbe. Mein Geist wird euch nun jedes Mal heimsuchen, solltet ihr das Zimmer je wieder betreten - ihr wolltet ja nicht hören.«

»Er hatte immer schon einen recht eigenartigen Humor«, meinte einer ihrer Brüder nachdem er den Zettel vorgelesen hatte und nun die Kisten begutachtete.

Jede war für einen von ihnen bestimmt. Sie nahm ihre entgegen und erneut begann ihr Herz schneller zu schlagen. Was wohl darin war? Wäre das nun die Rache dafür, dass sie eingebrochen waren? Obwohl man es ja nicht wirklich einbrechen nennen konnte, wenn man einen Schlüssel benutzte…

Mit zitternden Händen öffnete sie die Kiste und darin erwartete sie etwas, mit dem sie nie gerechnet hätte. Hunderte Briefe, die ihr Großvater an sie geschrieben hatte, Fotos von ihren Ausflügen mit ihm und alte Zeichnungen, die sie ihm geschenkt hatte. In den Deckel der Box hatte er in großen Lettern »Ich liebe dich« gekritzelt. Sie war gerührt und schockiert zur gleichen Zeit. All die Jahre hatte er für sie vier Erinnerungen gesammelt, war an Briefen gesessen, weil er genau gewusst hatte, dass sie nach seinem Tod die Frechheit besaßen in den geheimnisvollen Raum einzudringen. Er hatte seine vier Pappenheimer wohl doch besser gekannt, als er je hatte zugeben wollen.

Reue

Er hatte ein langes und erfülltes Leben gehabt. In den letzten paar Tagen hatte er gerne daran zurückgedacht. Er würde sterben. Der Krebs hatte gewonnen. Und er akzeptiertes es. So irgendwie zumindest.
 

Nie hätte er gedacht, dass es jemals so weit kommen würde. Er hatte sich nie mit dem Tod auseinander gesetzt und plötzlich hatte ebenjener ihn so schnell eingeholt. Es war schwer gewesen sich von seinem Leben zu verabschieden, aber er hatte damit klar kommen müssen, dass er es nicht ändern konnte. Etwas Anderes blieb ihm schließlich auch nicht übrig.

Wenn er an seine Kindheit und Jugend dachte, fiel es ihm schwer zu gehen. Er war glücklich gewesen. Unbeschwert. Er würde all diese Glücksgefühle vergessen, wenn er nicht mehr da war. Und irgendwann würde man auch ihn vergessen. In solchen Momenten hatte er Angst davor zu sterben. Er wusste nicht, wie es nach dem Tod mir ihm weitergehen würde. Was wartete da auf ihn? Ein schwarzes Nichts - zumindest stellte er sich das vor. Vielleicht - aber nur vielleicht - würde er aber auch seine verstorbenen Eltern wiedersehen. Es gab einiges, das er ihnen sagen wollte.

Er saß auf der Veranda und blickte hinaus auf die Weiten des Ozeans. Da er ohnehin sterben würde, war es egal wo er es tat. Das hatte er auch seinem Arzt erklärt, als dieser ihn in der Klinik behalten wollte. Er zog die salzige Meerluft in und um sein Elternhaus dem strengen Krankenhausgeruch vor. Er war lange nicht mehr hier gewesen und bereute es zutiefst.

Nach dem Tod seiner Mutter war er nicht mehr zurück gekommen. Das Verhältnis zu seinem Vater war schon lange Zeit angespannt gewesen. Seit damals … damals, als er die Liebe über seine Familie gestellt hatte. Sein Vater hatte ihm nie verziehen, dass er seine Eltern im Stich gelassen hatte. Das hatte er ihn oft genug spüren lassen, während den seltenen Besuchen, die seine Mutter immer so gefreut hatten. Mit der Zeit hatte sie vergessen was er getan hatte. Für sie zählte nur, dass er hier war. Die Enttäuschung war mit den Jahren aus ihren Augen verschwunden. Was man von seinem Vater nicht behaupten konnte.

Sie hatten sich oft gestritten; sich regelrecht gehasst. Er hatte schlimme Dinge zu und über ihn gesagt. Kein einziges Mal hatte er sich bei seinem Vater entschuldigt. In den letzten Tagen hatte er oft darüber nachgedacht. Es hätte unzählige Möglichkeiten gegeben sich auszusprechen - zu versöhnen. Er hatte keine einzige genutzt. Vor zwanzig Jahren war sein Vater gestorben. Einsam und allein. Vermutlich war er auf demselben Platz gesessen, wie er im Moment, hatte auf den Ozean geblickt und über seine Vergangenheit nachgedacht. Ob sein Vater an ihn gedacht hatte? Ob er es ebenso bereut hatte, die vielen Möglichkeiten zur Versöhnung nicht zu nutzen? Er konnte es nicht sagen. Während er sein Leben gelebt hatte, starb sein Vater langsam und qualvoll vor sich hin. Den Tod seiner Frau hatte er nie so wirklich verkraftet und außer ihr hatte er nur seinen Sohn gehabt - sein Sohn, der ihn im Stich gelassen hatte. Ihn würde es nicht wundern, wenn sein Vater mit vollem Hass auf ihn gestorben war.
 

Wenn er auf sein Leben zurückblickte, war er zeitgleich erfüllt mit Glück und Trauer. Er hatte so viel gesehen und erlebt, und doch wäre all das bald vorbei. Auch wenn er akzeptierte, dass seine Zeit hier zu Ende war, stimmte es ihn wehmütig. Es gab vieles, das er falsch gemacht hatte und das er gerne ändern würde, wenn er noch einmal die Chance dazu bekäme. Doch im Prinzip es gab nur eine Sache, die er aus tiefstem Herzen bereute: Seinen Vater alleine sterben zu lassen, in dem Glauben sein einziges Kind verachtete ihn.

Einsamkeit

Diese Leere in seinem Körper, hatte ihn schon lange nicht mehr heimgesucht. Sie begann ihn plötzlich wieder zu erdrücken und er wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, gab es gar keine Lösung für dieses Problem.

Er war alleine. Wieder einmal. Dieser furchtbare Streit hatte an seinen Kräften gezerrt. Er wusste nicht einmal mehr worüber sie gestritten hatten. Nur, dass er gegangen war. Und jetzt saß er alleine in der viel zu kleinen Wohnung und wartete. Worauf wusste er selber nicht. Vielleicht darauf, dass dieses entsetzliche Gefühl von selbst aufhörte. Vielleicht aber auch darauf, dass er endlich aus diesem Albtraum erwachte.

Die letzten Stunden liefen wie ein schlechter Film vor seinem inneren Auge ab. Es tat weh die verletzenden Worte wieder zu hören - die Wut in seinen Augen wieder zu sehen. Es war eine unerträgliche Qual. Und er durchlebte sie wieder und wieder. Er wusste nicht wie und ob er das alles überstehen konnte. Er wusste nur, dass es dumm gewesen war ihn einfach gehen zu lassen. Eigentlich hätte er aus seinen Fehlern lernen müssen, doch es war jedes Mal wieder dasselbe - sie stritten, er ging und die Einsamkeit, der Schmerz und die erdrückende Stille blieben.

Er sah aus dem Fenster nach draußen, wo die ersten Sterne bereits am Himmel standen. Er hatte keine Ahnung wo er war und ob es ihm gut ging. Er hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Natürlich nicht. Es war komisch nicht zu wissen wo der Andere war. Seine Brust schmerzte und es fühlte sich an, als würde die Einsamkeit ihn in Stücke reißen. Er hatte keine Ahnung wie er das je überstehen sollte.

Das Ticken der Uhr hielt ihn wach. Zumindest redete er sich das ein. Die Wahrheit war immerhin viel schmerzhafter. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass Menschen einander so viel Leid zufügen konnten. Seelisches Leid. Mit einem Mal stellte er die letzten Jahre in Frage. Wäre es für ihn nicht besser und einfacher gewesen, wenn er damals einfach ›Nein‹ gesagt hätte? Dann wäre er jetzt vielleicht glücklich darüber einsam zu sein - würde sich die Nacht mit Filmen und Chips um die Ohren hauen anstatt mit Trübsal blasen. Aber so war es eben nicht. Und um ehrlich zu sein war er auch froh darüber. Auch wenn sie in letzter Zeit häufig gestritten hatten und dieser Gefühlstornado schon fast zur Gewohnheit gehörte, hatte sich jede einzelne Diskussion und jeder einzige Streit gelohnt. Sie waren daran gewachsen. Doch trotzdem hatte er Angst, dass sie es irgendwann nicht mehr tun würden - dass sie alles hinschmeißen würden. Er wusste, dass er daran zu Grunde gehen würde.

Viel zu viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Er hasste es alleine zu sein. Selbst wenn sein Partner länger arbeiten musste und er alleine zu Hause war, war sein Kopf voll mit diesen absurden Gedanken. Er wusste nicht warum, doch sein Hirn spielte verrückt, kaum fühlte er sich verlassen und einsam. Es war schrecklich. Ein tiefes Seufzen entwich ihm, als er sich im Bett zur Seite drehte und nach seinem Kissen griff. Er hoffte, dass auch dieser Streit so enden würde, wie die letzten. Dass er wieder nach Hause kommen und sie sich vertragen würden. Er wusste nicht was er tun würde, wenn es dieses Mal nicht so wäre.

Neugier

»Was ist das?«, fragend hob er eine Augenbraue und deutete auf das kleine Päckchen, das am Tisch stand.

»Das ist für Mum, keine Ahnung was das ist«, lautete die Antwort seiner Schwester, die nicht einmal die Güte besaß von ihrem Buch aufzusehen.

Kurz musterte er das Paket, bevor er sagte: »Mum bestellt doch nie etwas.«

Das genervte Schnauben kam gleichzeitig mit dem Verdrehen der Augen und dem Zuschlagen des Buches.

»Deswegen ist es trotzdem an sie adressiert, ich kann’s auch nicht ändern.«

Seine Schwester warf ihm einen warnenden Blick zu und stand auf, um ihm das Paket aus der Hand zu nehmen, das er in der Zwischenzeit von allen Seiten betrachtet hatte. Er wollte unbedingt wissen was darin war. Seine Mutter hatte noch nie in ihrem Leben etwas bestellt. Und es sah auch nicht danach aus, als wäre es ein Paket von Freunden, Verwandten oder Bekannten. Zumindest das große Firmenlogo und das von einem Computer beschriftetem Adressaufkleber sprachen dagegen.

»Lass es gut sein«, rief seine Schwester über ihre Schulter, als sie den Raum verließ um in ihr Zimmer zu gehen.

»Jaja«, murmelte er ihr hinterher, hatte das Paket aber schon wieder in den Händen.

Er musste wissen was darin war. Das Päckchen war nicht schwer und nichts klimperte, wenn man es schüttelte. Das machte ihn nur noch neugieriger. In dieser Hinsicht verstand er seine Schwester wirklich nicht. Sie tat gerade so, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass ihre Mutter ein Paket geschickt bekam.

»Pass doch auf! Wie erklärst du das Mum, wenn es kaputt geht?!«, tönte die Stimme seiner Schwester hinter ihm, als er das Paket noch einmal durch schüttelte, nur um irgendein Geräusch zu hören.

Er schnitt eine Grimasse in ihre Richtung und stellte das Paket wieder hin. Rechte hatte sie ja trotzdem. Irgendwie zumindest. Gerade wollte er das Päckchen wieder anfassen, als sie es ihm vor der Nase wegschnappte und es selbst heftig durch schüttelte. Belustigt schüttelte er den Kopf.

»Wie war das mit dem Kaputtgehen?«

»Ach halt die Klappe, ich will wissen was drin ist«, schnaubte seine Schwester.

Sie erzählte ihm, dass sie schon seit zwei Stunden zu Hause war und genauso lange überlegte, was es mit dem Paket auf sich hatte. Als ihr Vater nach Hause kam, wurde er sofort mit Fragen bombardiert, kaum hatte er den Raum betreten. Er scherzte, schüttelte das Paket einmal durch, wurde aber auch nicht schlauer. Die Neugier seiner Kinder steckte ihn an und es dauerte nicht lange, bis er sich zu ihnen gesellte.

Stundenlang saßen die drei an dem Tisch - das Paket in ihrer Mitte - und rätselten, was es damit auf sich hatte. Die wildesten Theorien entstanden und als seine Schwester gerade der felsenfeste Überzeugung war, dass sich eine Zeitbombe darin befand (»Ich glaube ich höre etwas ticken!«), riss er ihr das Päckchen aus der Hand und platzierte es wieder in der Mitte des Tisches.

»Okay, das ist doch irre, ganz ehrlich«, sagte er und warf seiner Schwester einen etwas skeptischen Blick zu.

»Entschuldigung! Aber es tickt doch wirklich«, kam sofort die murrende Antwort.

Er verdrehte die Augen. »Jaja« war das einzige, das er dazu sagen konnte. Manchmal raubte sie einem wirklich den letzten Nerv. Bevor er noch etwas sagen konnte, ergriff sein Vater wieder das Wort.

»Eure Mutter kommt bald nach Hause. Dann ist das Rätsel bald gelöst.«

An dem Blick und dem Schnauben seines Vaters, erkannte er, dass ihn das Geheimnis um das Paket nicht los ließ. Er war genauso neugierig wie seine Kinder - die Verwandtschaft ließ sich nicht bestreiten. Sein Vater stand auf und ließ die beiden alleine. Zumindest für zwei Minuten, denn dann saß er schon wieder neben ihnen.

Es dauerte noch eine viel zu lange halbe Stunde, bis sie den Schlüssel im Schloss hörten und die fröhliche Stimme seiner Mutter durch den Flur hallte. Alle drei sprangen gleichzeitig von ihren Stühlen auf und setzten eine fast identische Unschuldsmiene auf.

»Was ist denn hier los?«

Seine Mutter warf den dreien abwechselnd einen fragenden Blick zu. Dann entdeckte sie das Paket und ihre Miene hellte sich auf.

»Oh, da ist es ja endlich!«

Sie schob ihren Mann zur Seite und griff nach dem Paket. Bevor einer von ihnen überhaupt fragen konnte, was es damit auf sich hatte, erzählte sie ihnen schon von dem neuen Zeitschriftenabo, das sie bestellt hatte. Und das war eine Art Willkommensgeschenk.

»Also vermutlich doch keine Zeitbombe«, murmelte er in die Richtung seiner Schwester, während ihre Mutter endlich das Paket öffnete.

Gespannt beugten sie sich alle nach vor und während seine Mutter mehr als entzückt war, waren er, seine Schwester und sein Vater schon fast etwas enttäuscht, als eine einfache Tasse zum Vorschein kam.

Scham

Seine Situation war nicht gerade das, was er als optimal bezeichnen würde. Er war von seiner alten Schule geflogen und seine Mutter hatte ihm für mindestens den Rest seines Lebens Hausarrest erteilt. Er hatte Mist gebaut, das war ihm inzwischen klar geworden und wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er es ändern, aber das war ihm leider nicht möglich. Nach der ganzen Sache redete die halbe Stadt über ihn und seine Mutter wurde entlassen. Sie musste sich einen neuen Job suchen, was bedeutete, dass sie umziehen mussten. Vielleicht wäre so ein Neuanfang gar nicht schlecht, hatte sie gesagt. Für sie beide.

Er war immer noch nicht begeistert von der Idee, aber er konnte nicht wirklich etwas dagegen einwenden. Immerhin hatte seine Mutter schnell eine neue Arbeit und eine neue Wohnung gefunden. Er würde eine neue Schule besuchen und alles schrie nach einem perfekten Neuanfang. Zumindest bis zum Abend vor seinem ersten Schultag. Er hatte bisher ein paar Bekanntschaften geschlossen, von denen er sich gerade mal so die Namen merken konnte. Aber es reichte um den ersten Schultag als Neuling zu überstehen. Das zweite Semester würde beginnen, was bedeutete, dass es nicht allzu lange dauerte, bis die Sommerferien vor der Tür standen. Das war im Moment seine einzige Motivation.

Als er an seinem letzten Abend in Freiheit seinen Computer einschaltete und seine social media Accounts checkte, wäre er beinahe vom Sessel gekippt. Er hatte unzählige Benachrichtigungen und wusste eigentlich überhaupt nicht wie ihm geschah. Es stellte sich heraus, dass seine ›Freunde‹ an seiner alten Schule furchtbar peinliche Bilder und noch peinlichere Geschichten und Gerüchte auf sein Profil gepostet hatten. Er war den ganzen Tag nicht online gewesen und hatte es nicht früher bemerkt. Seine neuen Bekannten allerdings schon. Er hatte keine Ahnung wie das passieren konnte, doch inzwischen war er wohl schon das Gespött an seiner neuen Schule.

Auch wenn er wusste, dass es nicht die beste Idee war, begann er die Kommentare unter den Beiträgen zu lesen. Ja, er hatte viel Blödsinn angestellt, aber war das ein Grund ihn so bloßzustellen? Es war ziemlich erschreckend, was die Menschen über ihn sagten. Sie beschimpften und beleidigten ihn. Machten sich über ihn lustig. Am liebsten wäre er im Boden versunken. Er hatte wirklich gehofft, dass er hier neu anfangen konnte; hatte den Worten seiner Mutter vertraut, dass ab jetzt alles besser werden würde. Er hatte geschworen sich zu ändern und nichts mehr zu tun, das ihn oder sie in Schwierigkeiten brachte. Und jetzt … schien alles zusammenzubrechen.

Über eine Stunde las er Beiträge, Kommentare, Beleidigungen und Spott. Sie zogen über ihn her, als würden sie ihn kennen und genau wissen wieso er was gemacht hatte. Sie hatten keine Ahnung. Und doch trafen ihn die Worte, die da standen mehr, als er wollte. Er schämte sich für das was er getan hatte. Für das, was seine sogenannten Freunde über ihn verbreiteten, auch wenn es nicht stimmte. Er schloss seinen Laptop und ließ sich auf sein Bett fallen. Er fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Am liebsten würde er sich unter seiner Decke vergraben und nie mehr darunter hervor kommen. Er hatte keine Ahnung, wie er je wieder einem Menschen unter die Augen treten könnte. Er hatte keine Ahnung, was seine Mutter sagen würde, wenn sie von den Gerüchten erfuhr. Kurz überlegte er, ob er ihr sagen sollte was passiert war, doch er hatte Angst sie noch mehr zu enttäuschen, als er es ohnehin schon getan hatte.

Stundenlang lag er da, den Blick starr an die Wand gerichtet. Er wusste nicht was er tun sollte. Alles in ihm hatte sich zusammengezogen und er würde nicht mal mehr sein eigenes Spiegelbild ertragen können, so sehr schämte er sich. Schämte sich für Dinge, die er teilweise nicht einmal getan hatte. Alleine die Vorstellung, dass irgendjemand glauben könnte er hätte es getan, bescherte ihm schon Albträume. Gerne würde er sich einreden, dass morgen die Welt schon anders aussehen würde. Dass alles halb so schlimm war. Doch er wusste es besser. Es war mehr als schlimm. Es wäre wirklich von Vorteil, wenn sich der Boden unter seinen Füßen auftun würde, damit er dort hineinspringen und nie mehr auftauchen konnte. Er hatte sich schon auf den Neuanfang gefreut, wollte alles tun um seine Mutter stolz zu machen. Und jetzt war er wirklich das dumme Neue, der sich anpinkelte und heimlich in der Nase bohrte. Er hatte sich wirklich vor dem Status der Neue gefürchtet, doch das war noch schlimmer. Er kniff die Augen fest zusammen und hoffte, dass das alles nur ein Albtraum war. Wie sehr wünschte er sich, dass die Nacht nie vorübergehen würde - er wollte sich nicht den Blicken und dem Getuschel aussetzen müssen. Er schämte sich in Grund und Boden und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass er gedacht hatte, wirkliche Freunde zu haben. Und er hatte gedacht ein Neuanfang wäre einfach - er war eines besseren belehrt worden.

Besorgnis

Ihr Sohn war nicht nach Hause gekommen. Wenn sie sagen würde, sie hatte etwas geahnt, würde man sie vermutlich für verrückt halten. Doch eine Mutter hatte so etwas im Gefühl. Oder nicht?

Er hatte sich mit seinen Freunden treffen wollen und hatte versprochen am Morgen wieder hier zu sein.

»Ich bringe dir sogar Frühstück mit«, hatte er ihr versprochen.

Sie hatte ihrem Liebling doch nicht Nein sagen können. Also war er gegangen und bis jetzt nicht zurückgekehrt. Sie wollte den Teufel nicht an die Wand malen, weshalb sie ein paar Stunden nichts unternahm. Vielleicht hatte er seinen Wecker nicht gehört? Vielleicht … vielleicht war ihm auch etwas passiert. Dieser Gedanke ließ sie nicht los und während sie am Herd stand um das Mittagessen zuzubereiten, wurde sie immer nervöser. Ihr Blick wanderte zum gefühlt hundertsten Mal in dieser Minute zum Fenster. Immer noch nichts. In der letzten halben Stunde hatte sie versucht ein paar seiner Freunde zu erreichen, doch keiner von ihnen ging ans Telefon. Das wollte man kaum glauben, schließlich verbrachte die Jugend von heute viel zu viel Zeit mit ihren Smartphones.

Im selben Moment, in dem der Topf mit Reis zu kochen begann und beschloss überzugehen, weil sie es in ihrer Sorge um ihren Sohn nicht bemerkte, beschloss sie die Polizei zu verständigen. Sie hätte sich ohrfeigen können, dass ihr das nicht früher eingefallen war. Inzwischen konnte ihm weiß Gott was passiert sein. Sie ignorierte den überkochenden Topf und griff zu ihrem Handy. Ihre Hand zitterte so sehr, dass es ihr beinahe aus der Hand fiel, als sie die Nummer wählte. Immer noch starrte sie aus dem Fenster, hoffte auf ein Wunder - darauf, dass ihr Sohn die Einfahrt hoch stapfte, mit seinem typischen Grinsen im Gesicht. Dann müsste sie dieses Gespräch nicht führen. Doch nichts dergleichen geschah.

Sie wandte sich vom Fenster ab und während sie mit einer freundlichen Dame der Polizei sprach, schaltete sie den Herd aus um das Reis-Malheur in Grenzen zu halten. Die Polizistin fand beruhigende Worte für sie, damit sie ihre Geschichte erzählen konnte, ohne allzu hysterisch zu werden oder in Tränen auszubrechen. Sie atmete ein paar Mal tief durch und riss sich zusammen. Ihrem Sohn war schließlich nicht geholfen, wenn sie am Telefon durchdrehte und Stunden brauchte um ihre Situation zu erklären. Die Dame am anderen Ende der Leitung machte ihr keinen Vorwurf, dass sie nicht früher angerufen hatte. Zum Glück, denn den Vorwurf machte sie sich selbst schon zur genüge. Sie wurde über die weitere Vorgehensweise aufgeklärt und die beruhigende Stimme der Polizistin trug dazu bei, dass sie sich nicht mehr allzu viele Sorgen machte. Sie würden ihn finden, darauf vertraute sie. Lebendig und heil. Sie selbst sollte zu Hause warten und sich melden, sobald ihr Sohn von selbst heim kommen würde. Gefühlte tausend Mal bedankte sie sich bei der Polizistin für ihre Hilfe und war voller Zuversicht, als die Dame sagte, dass sie ihn mit Sicherheit finden würden.
 

Stunden harrte sie aus. Immer an der gleichen Stelle. Ihre Beine waren bereits eingeschlafen, ihr Genick steif und ihre Blase meldete sich auch langsam zu Wort. Doch sie wollte ihren Platz am Fenster nicht verlassen, denn schließlich könnte ihr Junge jeden Moment nach Hause kommen. Und erst sobald sie ihn die Einfahrt hoch kommen sah, würde sie von ihrem Platz aufstehen, nach draußen laufen und ihn in die Arme schließen. Inzwischen war ihr egal was er und seine Freunde getan hatten, sie wollte einfach nur mehr, dass er nach Hause kam.

Vorhin hatte sie seinen Vater angerufen, denn es hätte ja sein können, dass er bei ihm war. Doch der hatte ihn seit seinem letzten Treffen mit ihrem Sohn nicht mehr gesehen. Er hatte angeboten vorbei zu kommen und ihr seelischen Beistand zu leisten, doch sie hatte abgelehnt - wenn ihr Sohn beschloss doch zu ihm zu gehen und er wäre nicht in seiner Wohnung, wer weiß was dann passieren würde. Ihr Ex-Mann versprach sie noch vor der Polizei zu kontaktieren, sollte er bei ihm auftauchen.

Das ungute Gefühl in ihrer Magengegend wurde immer schlimmer. Ihr Magen zog sich zusammen und ihr war übel. Sie wusste nicht wie sie die nächsten Augenblicke und Stunden überstehen sollte, wenn nicht bald etwas passierte. Inzwischen war ihr sogar egal was passierte, sie wollte endlich Gewissheit haben. In ihrer Vorstellung trieb er leblos im Fluss oder lag halbtot unter einer Brücke. Keines der beiden Szenarien war ihr Favorit, doch sie wollte einfach nur mehr wissen was mit ihm passiert war. Ihr wäre sogar egal, wenn er irgendetwas Schlimmes angestellt hätte - solange sie ihn lebend wieder bekam, war ihr alles egal. Sie wollte ihn einfach nur mehr in die Arme schließen.

Als es bereits dunkel war, wurde sie von dem Läuten an der Tür geweckt. Sie war eingeschlafen - der ganze Tag hatte sie so mitgenommen, dass sie die Müdigkeit nicht einmal bemerkt hatte. Ihr Blick fiel aus dem Fenster und sie entdeckte einen Polizeiwagen in ihrer Einfahrt. Ein zweites Klingeln folgte. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust und sie war kurz davor sich zu übergeben. Hatten sie ihn gefunden? Waren sie hier um ihr zu sagen, dass er … dass er tot war? Die Sorgenfalte auf ihrer Stirn war tiefer als normal und ihre Hände zitterten heftig, als sie zur Tür ging und diese aufschloss.

Zwei Polizisten standen vor ihrer Tür. Ohne ihren Sohn. Ihre Sorge hatte sich kurzzeitig in wahnsinnige Panik verwandelt und sie schaffte es nicht einmal die Polizisten anständig zu begrüßen.

Man hatte ihren Sohn gefunden. Sie hörte deutlich das ›Aber‹ heraus und bevor ihr ein riesiger Stein vom Herzen fiel oder sie sich zu viele Hoffnungen machte, schluckte sie schwer und nickte leicht, damit der Polizist fortfuhr. Man hatte ihn schwer verletzt am Ufer des Flusses gefunden und ihn in ein Krankenhaus gebracht. Sein Zustand sei inzwischen stabil.

Sie brach in Tränen aus. Tränen der Freude. Ihr Sohn war am Leben. Verletzt, aber am Leben. Sie konnte sich gar nicht genug bei den Polizisten bedanken und versprach sie zu informieren, sobald es ihrem Sohn besser ging - er musste eine Aussage machen, da es vermutlich ein Gewaltverbrechen war. Doch das war im Moment ihre geringste Sorge. Sie hatte ihr einziges Kind wieder. Alles andere war ihr im Moment egal.

Kaum waren die Polizisten verschwunden, rief sie ihren Ex-Mann an, um ihn zu informieren. Er würde sie abholen und mit ihr ins Krankenhaus fahren. In ihrem Zustand hätte sie ohnehin kein Auto lenken können. Die Sorge und die Angst um ihren Sohn fiel erst von ihr ab, als sie ihn schlafend in dem Krankenhausbett liegen sie. Sie setzte sich neben ihn, griff nach seiner Hand und versprach ihm leise, dass sie nicht mehr so schnell von seiner Seite weichen würde.

Mitleid

Der Himmel weinte. Zumindest kam es ihm so vor. Strömender Regen prasselte auf die Straßen und die vielen Menschen nieder. Alle waren in Eile um noch schnell die nächste U-Bahn oder ein Taxi zu erwischen. Keiner wollte bei diesem Wetter draußen sein. Er öffnete seinen Regenschirm und ging nach Hause. Er hatte es nicht weit, weshalb er nicht unnötiges Geld für ein Taxi ausgeben wollte - außerdem glichen seine Schuhe ohnehin schon einem U-Boot mit Leck, von daher war es egal.

Auf dem Weg nach Hause, machte er noch einen kurzen Zwischenstopp in dem Supermarkt um die Ecke. Keine zehn Minuten später stand er auch schon vor dem hohen Gebäude mit den vielen Wohnungen und er hoffte, dass der Fahrstuhl heute ausnahmsweise funktionieren würde. Die Motivation war nicht gerade hoch, mit nassen Schuhen bis in den vorletzten Stock zu wandern. Gerade als er den Schlüssel aus seiner Manteltasche zog, hörte er ein leises Miauen. Er schrak kurz zusammen und sah sich um. Ein kleines Kätzchen saß auf der schmalen Mauer hinter den Mülltonnen.

»Wer bist denn du?«, fragte er das kleine Ding, während er den passenden Schlüssel suchte.

Vermutlich hatte sich seine Nachbarin, einen Stock unter ihm, schon wieder ein neues Vieh zugelegt. Es wunderte ihn nur, dass das Kätzchen bei strömendem Regen hier draußen war und nicht drinnen. Normalerweise achtete seine Nachbarin sehr sorgfältig darauf, dass den kleinen Biestern nichts ankam.

»Na komm schon, dein Frauchen wartet bestimmt auf dich. Und ich will endlich aus den Schuhen raus«, fügte er murrend hinzu und warf der Katze einen auffordernden Blick zu. Die allerdings hatte aufgehört zu miauen und legte den Kopf etwas schief.

»Wenn du nicht selbst gehen kannst, kann ich dir auch nicht helfen.«

Er wartete noch einen kurzen Moment, doch die Katze rührte sich nicht vom Fleck. Er verdrehte die Augen - das Vieh war bestimmt eine Frau. Er schloss die Tür hinter sich und ging auf den Lift zu. Die Einkäufe wurden immer schwerer und er bekam beinahe einen ausgeprägten Wutanfall, als ihm das ›Defekt‹-Schild entgegen leuchtete. Er ließ ein wütendes Schnauben hören und machte sich dann mit schmatzenden Schritten auf den Weg in den siebten Stock. Wie er solche Tage liebte.
 

Eine gefühlte Ewigkeit später kam er oben an und sein erster Weg führte ihn unter die Dusche. Endlich war er die durchnässten Schuhe los und den Regenschirm und den Regen und überhaupt alles, was draußen vor seiner Wohnungstür lauerte. Nach einer ausgiebigen Dusche, kümmerte er sich um seine Einkäufe und um seine Kaffeemaschine, die ihn bestimmt schon vermisst hatte. An solchen Tagen gab es nichts Besseres als eine heiße Tasse Kaffee. Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus auf die trüben, verregneten Straßen. Sein Blick fiel auf das kleine Kätzchen bei den Mülltonnen. Sie saß immer noch an der gleichen Stelle, hatte sich keinen Millimeter gerührt. Was war nur mit seiner Nachbarin los?

Er beobachtete das Kätzchen eine Weile und langsam bestiegen ihn Zweifel. Vielleicht gehörte das arme Ding gar nicht seiner Nachbarin? Andererseits … was kümmerte ihn das? Er wandte sich ab und begann zu kochen. Der Tag war lang gewesen und er kam beinahe um vor Hunger. Die Katze hatte er inzwischen aus seinen Gedanken verdrängt. Erst als er nach dem Essen wieder am Fenster stand und hinaus blickte, fiel sie ihm wieder ein. Immer noch saß sie da und harrte aus. Er biss sich auf die Unterlippe. Es war inzwischen Abend geworden und doch ziemlich kalt. Das kleine Ding würde krank werden und ohne Hilfe vielleicht sogar sterben. Andererseits könnte sich die Katze genauso gut einen Unterschlupf suchen, zum Beispiel könnte sie es sich unter einer der Mülltonnen bequem machen. Dort regnete es wenigstens nicht.

Einige Minuten starrte er auf das Kätzchen hinunter, bevor er die Augen verdrehte und genervt schnaubte. Er wandte sich ab, ging ins Badezimmer und griff nach einem Handtuch. Dann schlüpfte er in trockene Schuhe, schnappte sich seinen Schlüssel und trabte in Windeseile die sieben Stockwerke wieder hinunter.

»Was mach ich hier eigentlich«, murmelte er zu sich selbst, als er die Eingangstür aufzog und nach draußen in den strömenden Regen trat. Binnen Sekunden war er bis auf die Haut durchnässt. Er ging hinüber zu den Mülltonnen und nahm erneut das piepsige Miauen war. Als würde sie um Hilfe rufen. Kurz ärgerte er sich, dass er gleich wieder zu Fuß und patschnass in den siebten Stock laufen konnte, doch dann fiel sein Blick auf das kleine Tier. Die Ohren waren viel zu groß für den Kopf und die Augen viel zu rund um nicht Mitleid mit dem Zwerg zu haben. Das weiße Fell war komplett durchnässt und verfilzt.

»Du bist wirklich ein bisschen dämlich«, meinte er an das Kätzchen gewandt, als er sich an den Mülltonnen vorbei schob und es von der Mauer runter hob. Die Katze miaute noch einmal kurz, sah ihn mit großen Augen an und begann sofort zu schnurren, als er es in das inzwischen feuchte Handtuch wickelte.

»Ist das deine Masche? Mitleid in den Menschen erregen nur um ein Dach über dem Kopf zu haben?« Er warf dem Kätzchen einen verärgerten Blick zu, konnte den treudoofen Augen aber nicht lange böse sein. Als Antwort kam nur ein Schnurren, das sich stark nach einem mittelgroßen Traktor anhöre. »Du machst mich fertig.«

Auf dem Weg nach oben, rubbelte er das Kätzchen sanft trocken und als er den siebten Stock betrat, war es bereits eingeschlafen. »Das auch noch«, murmelte er und schüttelte den Kopf. Das Vieh raubte ihn den letzten Nerv. Als er die Wohnung betrat, ging er als erstes ins Bad, wo er das nasse Bündel erst mal ins Waschbecken legte, um sich von den nassen Klamotten zu trennen. Er schlüpfte in seinen Bademantel, griff dann nach einem trockenen Handtuch und wickelte das schlafende Kätzchen darin ein.

Während er das Tier mit einem Arm festhielt, machte er mit dem anderen etwas Milch warm. Er besaß weder Katzenfutter noch sonst irgendeine Ahnung, was das Ding vielleicht gern fressen würde. Aber er hatte früher mit seiner Schwester öfter Disneys Aristocats geschaut und die hatten warme Milch geliebt. Also so viel Unterschied würde da schon nicht sein.

Das Bündel in seinem Arm bewegte sich und begann zu miauen.

»Na, du kleiner Scheißer? Auch schon wach?«

Er warf dem Fellknäuel einen kurzen Blick zu und es hörte auf zu miauen, starrte ihn aber wieder mit diesen riesigen, runden Augen an.

»Ich sag dir jetzt mal was. Du kannst hier bleiben. Eine Nacht, nicht länger. Und komm ja nicht auf die Idee hier irgendetwas voll zu pinkeln oder deine Krallen an meiner Couch zu schärfen.«

Er holte einen kleinen Plastiklöffel aus der Schublade und begann dem Kätzchen die warme Milch einzuflößen. Nachdem er sie gefüttert hatte, stellte es sich als etwas kompliziert heraus, mit einer Hand ein provisorisches Katzenklo zu bauen. Er holte eine alte Schachtel, legte einen Stapel alter Zeitungen hinein und stellte seine Konstruktion in ein Eck. »Das ist deine Toilette, ob du willst oder nicht.« Er warf dem Zwerg einen mahnenden Blick zu. Immer noch starrte die Katze ihn mit kugelrunden Augen an und blinzelte kein einziges Mal. »Schau nicht so.« Ein Schnauben entwich ihm und er verdrehte die Augen.

Bevor er sich auf die Couch fallen ließ, holte er - das Kätzchen immer noch am Arm - einen alten Kamm aus dem Badezimmer. Er schaltete den Fernseher ein, legte die Füße auf den Couchtisch und zappte kurz durch, bis er auf einen Film stieß, den er sehen wollte. Das Handtuchbündel legte er in seinen Schoß und öffnete es langsam. Das Kätzchen gab kein Beschwerde-Miau von sich als er begann die verfilzten Haare auszubürsten. Stattdessen begann es wieder zu schnurren. Ein seltsames Tier.

»Bild dir ja nichts darauf ein. Ich hab’s dir schon gesagt. Eine Nacht. Nicht länger.«
 

Ein Jahr später war Marie zu einer wunderschönen Katzendame herangewachsen und schaffte es immer noch ihr Herrchen mit diesen großen Glubschaugen um den Finger zu wickeln.

Freude

Die Sonne strahlte vom blitzblauen Himmel und der Tag könnte nicht besser sein. Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, verließ sie die Universität und machte sich auf zum Park um die Ecke. Das Wetter war perfekt um dort zu lernen und die Füße in dem kleinen See abzukühlen. Neben dem Wetter war auch der restliche Tag einfach perfekt - heute Morgen hatte sie erfahren, dass ihr geliebter Bruder in wenigen Tagen aus dem Krieg heimkehren würde. Wie sehr sie ihn doch vermisst hatte.

Seit knapp zwei Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen. Damals war er sehr überraschend an die Front versetzt worden und seither hatte sie jeden einzelnen Tag um sein Leben gebangt. Es war grauenhaft gewesen. Immer war ihr dieser Gedanke im Hinterkopf herum geschwirrt. Wenn sie einen verpassten Anruf ihrer Mutter auf ihrem Handy gesehen hatte, war ihr ganz anders geworden. Doch jetzt hatte dieser Albtraum endlich ein Ende. Fast. Er musste nur noch heil nach Hause kommen.

Sie legte sich ins Gras und schloss die Augen um sich seine Gesichtszüge in Erinnerung zu rufen. Er hatte Fotos geschickt und ein paar Mal hatten sie per Webcam telefoniert. Die Zeiten, in denen er seinen Bart sorgfältig jeden zweiten Tag gestutzt hatte, waren vorbei. In ihrer jüngsten Erinnerung hätte er beinahe als Santa Claus junior durchgehen können. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie freute sich schon ungemein auf ihn.

Vielleicht sollte sie eine Willkommensparty für ihn organisieren. Es war lange her seit ihre alte Clique das letzte Mal vollzählig zusammengekommen war. Viel zu lange. Seit jeder von ihnen weggezogen war, hatten sie sich kaum noch gesehen. Hin und wieder traf sie den ein oder anderen, wenn sie durch ihre alte Heimatstadt spazierte. Es war ziemlich traurig, dass es so gekommen war. Kurz blinzelte sie der Sonne entgegen, bevor sie die Augen erneut schloss. Sie sollte diesen Anlass wirklich nutzen. Bald waren Ferien und sie würde ohnehin nach Hause fahren - vielleicht sogar gemeinsam mit ihrem Bruder, wenn er denn vor hatte ein paar Tage bei ihr zu bleiben.

Sie öffnete die Augen wieder und setzte sich auf. Trotz allem musste sie für ihre Prüfungen lernen, sonst konnte sie ihre Pläne vergessen. Ein Glücksgefühl erfüllte sie, obwohl sie sich durch schwierige Formeln und Aufgaben kämpfen musste. Der Gedanke an ihren Bruder ließ das alles viel harmloser erscheinen. Bald. Sehr bald konnte sie ihn wieder in die Arme schließen.

Erst als es bereits dämmerte, packte sie ihre Sachen und machte sich auf den Nachhauseweg. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs, pfiff ein Lied vor sich hin und grüßte jeden dem sie begegnete mit einem strahlenden Lächeln. Sie konnte es einfach immer noch nicht glauben, dass er bald wieder da sein würde. Es war wie in einem Traum.

Auf dem Weg zu ihrer kleinen Wohnung, die sie sich mit einer Studienkollegin teilte, blieb sie noch kurz beim nächsten Supermarkt stehen um eine Flasche Wein zu besorgen. Dieser Tag gehörte schließlich noch gebührend gefeiert. Sie besorgte noch eine Tafel von der Schokolade, die ihr Bruder so liebte - wenn er in ein paar Tagen hier sein würde, wäre das das perfekte Willkommensgeschenk. Sie wusste nicht wie oft sie ihm in den letzten beiden Jahren einen Schokoladenvorrat geschickt hatte. Zu oft.

Zehn Minuten später, drehte sie den Schlüssel in der Wohnungstür und stieß sie mit ihren Hüften auf.

»Hey, ich bin wieder da! Du wirst nicht glauben was ich heute erfahren habe!«, rief sie zur Begrüßung.

Sie stellte ihre Sachen achtlos in eine Ecke und ging Richtung Küche, um ihrer Freundin die tollen Nachrichten zu verkünden.

»Mein Bruder kommt bald aus …«

Die Worte blieben ihr im Hals stecken, denn es war definitiv nicht ihre Mitbewohnerin, die dort mit einem breiten Grinsen und einem wunderbaren Abendessen auf sie wartete.

»Was zur …«

»Ja, ich freue mich auch dich zu sehen, Schwesterherz.«

Das freche Grinsen auf seinem Gesicht sprach Bände. Überraschung gelungen. Ihr Bruder stand auf um sie zu begrüßen, doch nachdem sie den Schock verdaut und ihren aufgeklappten Mund wieder geschlossen hatte, stieß sie einen Freudenschrei aus und lag bereits in seinen Armen, kaum wollte er einen Schritt auf sie zumachen.

Das Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, war unbeschreiblich. Pure Freude. Reines Glück. So schnell würde sie ihn bestimmt nicht mehr gehen lassen.

Mut

Er hatte es geschafft! Er hatte gewonnen - die Bezirksmeisterschaften im Karate in seiner Altersklasse. Das hieß nun offiziell, dass er aufsteigen durfte! Er wusste noch gar nicht was das Beste an dem ganzen war. Der Pokal, das Glücksgefühl, das stolze Lächeln seiner Eltern oder eben die Tatsache, dass er bald den Fortgeschrittenenkurs besuchen konnte.

Nach seinem glorreichen Sieg, fuhr er mit seinen Eltern in die beste Pizzeria der Welt. Zumindest sah er das so. Er durfte zur Feier des Tages sogar Cola trinken und ein Eis zum Nachtisch essen. Es war wirklich der perfekte Tag! Niemals hätte er sich das träumen lassen, denn wenn er ehrlich war, hatte er ganz schöne Zweifel gehabt. Er hatte die letzten beiden Trainings vor dem Turnier versäumt, da er einmal für die Schule hatte lernen müssen und einmal krank gewesen war.

Zum Glück war Wochenende, denn der Tag zog sich wirklich lange hin. Nach einem Besuch bei seinen Großeltern, die sich eine Filmaufnahme des ganzen Kampfes anschauen durften, war es bereits dunkel und nach einer ausgiebigen Dusche, durfte er sogar noch mit seinen Eltern den Spätfilm im Fernsehen ansehen. Wenn er sich das recht überlegte, dann würde er öfter bei irgendwelchen wichtigen Dingen gewinnen. Es hatte wirklich nur Vorteile!
 

Zwei Wochen nach seinem Sieg begann der Karateunterricht wieder. Er freute sich schon auf den neuen Kurs, doch ihm war inzwischen auch ziemlich unbehaglich zumute, wenn er ehrlich war. Die Kinder in seiner Klasse hatten ihn noch eine Woche nach dem Turnier bewundert und mit großen Augen angesehen. Doch die Kinder in seiner Klasse waren auch … nun ja … gleich alt wie er. Die Karateschüler im Fortgeschrittenenkurs waren um zwei, drei Jahre älter als er. Manche waren schon in der Pubertät und überragten ihn um einiges. Er könnte schwören, dass der große Kerl mit den dunklen Haaren sogar doppelt so groß war wie er selber!

Er hatte schon überlegt eine Krankheit vorzutäuschen oder einfach seinen alten Kurs wieder zu besuchen. Auch wenn er vor zwei Wochen sehr stolz auf sich war und geglaubt hatte er könnte alles schaffen, war er sich jetzt nicht mehr so sicher. Die großen Kids würden ihn zertreten! Seine Mutter rief ihn nach unten - sie wollte früher fahren, da sie noch einen Termin hatte und das Trainingscenter auf dem Weg lag. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stieg er in das Auto. Kurz war er versucht seiner Mutter seine Sorgen zu beichten, vielleicht würde sie ja eine Lösung finden - oder ihm sagen, dass er das schon schaffen würde. Die Chancen standen 50:50.

Gute zehn Minuten später stieg er am Trainingscenter aus und verabschiedete sich mit einem Winken von seiner Mutter. Er schulterte seinen Rucksack und betrachtete das große Gebäude vor ihm. Immer noch war er versucht einfach kehrt zu machen. Die anderen waren bestimmt um Ecken besser als er. Er wäre nicht nur der kleinste und jüngste, sondern auch der schlechteste Schüler in der Gruppe; würde quasi von vorne anfangen. Nach seinem größten Karateerfolg war das nicht gerade aufbauend. Um ehrlich zu sein, machte es ihm sogar etwas Angst. Er seufzte schwer und betrat nach ein paar Minuten schließlich doch das Gebäude.

Den neuen Trainingsraum hatte er bald gefunden. Durch das Fenster in der Tür konnte er sehen, dass schon ein paar Leute hier waren. Er fühlte sich noch kleiner, als er ohnehin war. Ein hübsches Mädchen ging an ihm vorbei und warf ihm einen etwas skeptischen Blick zu, als sie den Raum betrat. Er sah wie sie den Kopf schüttelte und der letzte Rest seines nicht wirklich vorhandenen Mutes, sank ihm in die Hose.

Gerade wollte er aufgeben und sich umdrehen, als das Mädchen von vorhin den Kopf wieder zur Tür heraus streckte.

»Hey, du bist sicher unser neues Mitglied, oder?«, fragte sie freundlich und schenkte ihm ein Lächeln.

Mehr als ein Nicken brachte sie nicht zustande.

»Wir haben ein Video deines Kampfes gesehen, du warst echt gut! Ich freu mich schon dich live zu sehen.«

»Danke«, gab er etwas unsicher zurück, lächelte dann aber.

»Komm rein, du solltest die anderen kennen lernen«, ermunterte sie ihn und hielt ihm die Tür auf.

Kurz warf er noch einen Blick zurück, Richtung Ausgang des Trainingscenters. Er hatte schon viele Dinge geschafft in seinem kurzen Leben. Da würde er das auch hinkriegen! Die großen Kids schienen auch gar nicht sooo schlimm zu sein, wie er zuerst gedacht hatte. Er wandte sich wieder um, nahm all seinen Mut zusammen und folgte dem Mädchen nach drinnen. Und als der erste Schritt über die Schwelle getan hatte, war der Rest nur noch halb so schlimm.

Hoffnungslosigkeit

Seit ihr Vater die Familie verlassen hatte, hatte sie gelernt, dass es unnötig war sich Hoffnungen zu machen. Sie wurden ohnehin immer zunichte gemacht. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag versprach er, etwas mit ihr zu unternehmen. Einmal hatte er sogar vergessen anzurufen, als der Tag dann gekommen war. Damals hatte sie es noch nicht so wahrgenommen - heute wusste sie, dass ihre Mutter versucht hatte, sie das alles nicht spüren zu lassen. Mit Worten wie »Papa muss viel arbeiten« oder »Papa ist wegen seiner Arbeit verreist und meldet sich bestimmt bald« oder »Papa hat angerufen, als du schon geschlafen hast, er musste so lang arbeiten« hatte sie die Situation verharmlost um ihre Tochter nicht unglücklich zu machen. Nach all den Jahren bezweifelte sie sogar, dass jedes der Geschenke, die von ihm hätten sein sollen, auch wirklich von ihm gewesen waren. Ihre Mutter war wirklich ein herzensguter Mensch.

Inzwischen war sie erwachsen geworden und verstand von all dem mehr; machte sich selbst ihre Gedanken dazu. Woran konnte es wohl liegen, dass ihr Vater sie immer wieder fallen ließ? Sie hatte schon vor Jahren aufgehört zu glauben, dass es immer an seiner Arbeit lag, wie ihre Mutter behauptet hatte. Sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal was er arbeitete. Wenn er sich nicht einen Tag im Jahr für sie Zeit nehmen konnte, dann war er vielleicht ein 24-Stunden-Berater für den Präsidenten. Könnte ja möglich sein. Und es wäre natürlich sehr tragisch, wenn er seinen Job riskierte.

Sie hatte sich damit abgefunden. Zumindest redete sie sich das ein. Seit ihrem 16. Lebensjahr schickte er ihr nur mehr Geld an Geburtstag, Weihnachten und Ostern. Damit sie sich etwas kaufen konnte, das ihr gefiel. Die Idee dahinter war ja ganz nett - trotzdem hätte sie gern Zeit mit ihm verbracht. Er war wie ein Fremder für sie. Vor ein paar Monaten war sie ihm zufällig im Einkaufszentrum begegnet - sie hatte ihn auf den ersten Blick nicht einmal erkannt. Davor hatten sie sich bestimmt drei Jahre nicht gesehen. Und wie es so seine Gewohnheit war, schaffte er es nicht einmal einen Kaffee mit ihr zu trinken. Immerhin wartete die Arbeit auf ihn.

Oft genug hatte sie sich geärgert, hatte sich bei ihrer Mutter ausgeweint und sich anschließend eingeredet, dass sie ihn nicht in ihrem Leben brauchte. Ihre Mutter hatte inzwischen einen neuen, wunderbaren Lebensgefährten gefunden, doch irgendwie war es trotzdem nicht das gleiche. Sie machte sich selbst Vorwürfe - vielleicht war sie ja nicht das Kind, das sich ihr Vater gewünscht hatte. Vielleicht hätte er sich einen anderen Weg für sie gewünscht. Vielleicht war aber auch ihre bloße Existenz dafür verantwortlich, dass er sie und ihre Mutter verlassen hatte.
 

In wenigen Wochen würde sie heiraten und gerade ging sie mit ihrem Verlobten noch einmal die Zu- und Absagen ihrer Gästeliste und die Sitzordnung durch. Die Großmütter der beiden vertrugen sich nicht wirklich (außer sie hatten genügen Wein getrunken), weshalb es besser war, vorgeschriebene Plätze zu haben. Die beiden alten Damen ärgerten sich nämlich so gerne gegenseitig, dass sie absichtlich bei jedem Treffen nebeneinander saßen, nur um Chaos in der Familie zu verbreiten. An ihrem großen Tag brauchte sie das allerdings nicht, nur wäre das den Ladys ziemlich egal. Eigentlich waren die beiden sogar der einzige Grund für das Paar gewesen eine Sitzordnung anzulegen.

»Was ist mit deinem Vater?«, fragte er gerade und legte seinen Finger auf den Platz, den sie ihrem Vater zugeschrieben hatten.

Zuerst wollte sie ihn nicht einladen (sogar die Großmütter des Paares hatten gesagt, dass sie das schlecht tun konnte) und dann hatte sie ihren zukünftigen Ehemann davon überzeugen wollen, dass ein einsamer Stuhl im Eck oder im nächsten Abstellraum reichen würde. Auch das hatte sie sich ausreden lassen müssen. Also bekam der werte Herr Vater der Braut einen Platz am Tisch der Eltern. Zwischen den Müttern des Brautpaares. Ihre Mutter hatte sich freiwillig zur Verfügung gestellt, um ein Auge auf ihn zu werfen.

»Ich bin mir sicher, dass er nicht kommt«, gab sie schließlich als Antwort und warf einen Blick auf den Stapel Antwortkarten. »Er hat nichts zurückgeschickt.«

Sie schluckte schwer. Auch wenn sie es nur ungern zugab, das hatte sie schon sehr getroffen. Sie hatte wirklich gedacht, dass sie ihm vielleicht doch etwas bedeutete und er sich wenigstens Zeit für ihre Hochzeit nahm. Sie hätte ihm fast alles verziehen, wenn er es getan hätte. Doch die Frist für die Antwortkarten war vor einer Woche abgelaufen. Sie hatte das Planen der finalen Sitzordnung noch etwas hinausschieben können, da sie gehofft hatte, die Post brauche länger, oder er habe vergessen die Karte rechtzeitig zurückzuschicken. Eine Woche später war sie sich ziemlich sicher, dass er sie einfach in den Müll geworfen hatte.

»Streich den Platz einfach weg oder setz deine Schwester und ihren Freund noch an den Tisch«, murmelte sie. Dann hätten sie wenigstens die engste Familie an einem Tisch. Und ihr Vater gehörte offensichtlich nicht dazu.

Es wäre eine Chance für sie beide gewesen neu zu beginnen. Nach all den Jahren hatte sie ihm die Hand gereicht; ihm ein Friedensangebot gemacht und er schlug es ohne ein Wort aus. Sie hätte ihm alle vergessenen Geburtstage und ›verloren gegangenen‹ Weihnachtskarten verzeihen können, immerhin war er ihr Vater. Oder Erzeuger, wie sie ihn ab sofort nennen würde. Sie hatte wirklich gedacht, dass es dieses Mal anders sein würde. Dass er sich dieses Mal um sie bemühen würde. Als sie ihm damals im Einkaufszentrum von ihrer Verlobung erzählte, hatte er begeistert geklungen, ihr gratuliert und nach einem Hochzeitstermin gefragt. Sie hatte sich wirklich gefreut, dass er sich dafür interessiert hatte - doch es war wohl umsonst gewesen.

Auch wenn sie früh gelernt hatte, dass es bei manchen Menschen dumm war sich Hoffnungen zu machen, passierte es ihr doch immer wieder. Die darauf folgenden Enttäuschungen und das furchtbare Gefühl der Hoffnungslosigkeit hinterließen jedes Mal eine furchtbare Leere in ihrem Körper, die sie kaum ertragen konnte. Inzwischen zweifelte sie sogar daran, dass ihr Hochzeitstag der beste Tag ihres Lebens werden würde. Wieder einmal hatte er es geschafft alles zu zerstören - noch dazu in dem er nichts tat.

Sehnsucht

Im Grunde genommen liebte er Weihnachten ja. Zeit mit der Familie und alten Freunden zu verbringen und das gute Essen waren aber leider auch schon das einzige, das ihm an Weihnachten gefiel. Er hasste die Kälte, den Stress um noch alle Geschenke zu besorgen, den Schnee, das Eis, auf dem man so leicht ausrutschen konnte und hatte er schon die Kälte erwähnt? Das war das Schlimmste. Man musste sich in dicke Jacken oder Mäntel hinein zwängen, die einen ohnehin schon genug in den Bewegungen einschränkte, dann kamen natürlich noch Schal, Mütze und Handschuhe, die es nicht gerade besser machten. Er fühlte sich oft, wie ein Roboter, der zu viel gegessen hatte. Furchtbar. Einfach furchtbar.

Gerade war er mit seiner kleinen Schwester draußen und baute einen Schneemann. Viel zu oft war ihm der Schnee in den Handschuh gerutscht. Ihm war bitterkalt, als sie nach drinnen gingen. Zumindest für zwei Sekunden, denn es war so warm im Haus, dass er schon zu schwitzen begann, während er sich der warmen Klamotten entledigte. Seine Mutter wartete dann gütigerweise noch mit Tee auf die beiden. Das setzte dem ganzen die Spitze auf - sobald er auch nur einen Schluck Tee trank, schrie seine Blase nach Erleichterung.

Wie er den Winter hasste.

Er freute sich schon wieder auf den Sommer. Man konnte abends draußen sitzen ohne zu erfrieren. Man konnte barfuß durch die Wiesen gehen. Und vor allem konnte man nach draußen gehen, ohne sich vorher eine halbe Ewigkeit anzuziehen. Außerdem machte das Strahlen der Sonne automatisch gute Laune. Sogar das Regenwetter konnte man perfekt nutzen um ein gutes Buch zu lesen oder die Wohnung zu putzen. Der Sommer brachte nur Vorteile. Doch irgendwie war er der einzige in seiner Familie, der das so sah. Er hatte keine Ahnung wieso die anderen den Winter auf so ein hohes Treppchen stellten, aber sie würden es schon selbst wissen. Er für seinen Teil hielt sich da raus und sehnte sich weiterhin nach dem Sommer.

Eigentlich wusste er gar nicht auf was er sich am meisten Freunde, wenn die warme Jahreszeit endlich Einzug hielt. Die Tage am mehr vermisste er besonders. Einfach die Seele baumeln lassen und nichts tun. Ein komisches Ziehen in seiner Magengegend ließ ihn leise Seufzen. Viel zu lange war er nicht am Meer gewesen. Das Salz zu riechen und auf der Haut zu spüren war ein atemberaubendes Gefühl. Er vermisste es genauso wie er seine Freundin vermisste, wenn er sie länger nicht sah. Der Vergleich war zwar vielleicht nicht optimal, aber auf jeden Fall passend, denn genauso fühlte es sich an. Als müsste er sofort ins Auto steigen um das zu erreichen, wonach er sich so sehr sehnte.

Ein tiefes Seufzen entwich ihm, als er seinen Blick vom Fenster abwandte. Die Schneemassen und unzähligen Schneemänner in den Gärten verschwanden auch nicht, nur weil er ihnen böse Blicke zu warf. Er stieg die Treppe hoch in sein altes Kinderzimmer und warf sich aufs Bett. Mit der Fernbedienung seiner Stereoanlage schaltete er das Gerät ein und drehte die Musik so laut, dass die Klänge seiner Austropophits Summer Edition CD den ganzen Raum füllten. Er verstand zwar kein einziges Wort davon was die Musiker sangen, doch das war egal. Hauptsache er konnte so das kanadische Wetter, den Schnee und die Kälte ausblenden und sich so fühlen, als würde er am Strand in der Karibik liegen. Karibik … wenn er so darüber nachdachte, wäre das vielleicht gar nicht die blödeste Idee. Mit einem Satz richtete er sich im Bett auf, zog seinen Laptop zu sich heran und buchte innerhalb von zehn Minuten seinen Sommerurlaub in die Karibik. Es half zwar nichts gegen den Winter, aber immerhin hatte er jetzt etwas worauf er sich freuen konnte.

Genugtuung

Er hatte sie geliebt. Richtig geliebt. Doch sie hatte ihn weggestoßen und er wusste nicht einmal wirklich warum. Ihre Gründe waren nicht gerade überzeugend gewesen, wenn er ehrlich war. Er verstand es einfach nicht. Vielleicht war diese Entscheidung ja in der Hitze des Gefechts entstanden? Sie hatten Streit und im Streit sagte man schließlich oft Dinge, die man hinterher bereute. Mehr als einmal war er danach auf sie zugegangen, wollte, dass sie ihre Entscheidung noch einmal bedachte, doch sie weigerte sich. Sie hatte einen Schlussstrich gezogen. Er verstand es einfach nicht.

In seinen Augen war alles nahezu perfekt gelaufen. Er hätte sie gerne an seiner Seite gehabt, das hatte er ihr ehr als einmal gesagt. Er hatte ihr Zeit gegeben um darüber nachzudenken – genauso wie sie es sich gewünscht hatte. Gut, vielleicht war er etwas ungeduldig geworden, aber sie hatte die Entscheidung so lange vor sich her geschoben – einer der Gründe weshalb sie sich gestritten hatten. Sie hatte schon Recht, dass zwischen ihnen viel zu oft die Fetzen geflogen waren, immerhin waren sie kein Paar gewesen, aber dennoch war für ihn das kein Argument, sich gegen ihn zu entscheiden. Die Streits hätten aufgehört. Mit Sicherheit!

Er atmete tief durch und blickte aus dem Fenster. Der Tag war genauso trüb, wie er sich fühlte. Er hasste es Menschen zu verlieren, die er gerade richtig ins Herz geschlossen hatte. Aber das Leben musste weitergehen, es half nichts. Das hieß zwar nicht, dass es einfach werden würde sie zu vergessen, doch er musste nach vorne blicken. Irgendwann würde es besser werden…

Die Einladung seines Kumpels kam ihm da nur sehr gelegen. Sie wollten ein wenig durch die Bars ziehen – der ein oder andere Drink half bestimmt dabei sie zu vergessen. Zumindest hoffte er das. Vielleicht würde er auch auf die ein oder andere Dame treffen, die ihm half sie aus seinem Kopf zu verdrängen.

Es dauerte nicht lange, bis er die Auswirkungen des Alkohols spürte. Er hatte viel zu viel in zu kurzer Zeit getrunken. Doch es war ihm egal. Seine Gedanken waren zum ersten Mal seit langem nicht bei ihr und das genoss er in vollen Zügen. Er hätte kein Problem damit gehabt, wenn er diese Lösung schon früher entdeckt hätte - doch besser spät als nie.

Erst als ihr Bruder die Bar betrat und ihn freundlich begrüßte, kamen die ganzen Gefühle wieder in ihm hoch. Er wollte verstehen wieso - er hatte schließlich nichts falsch gemacht. Schnell leerte er sein Bier und wankte zu ihrem Bruder hinüber. Vielleicht wusste er ja etwas, das sie ihm verheimlicht hatte? Vielleicht plante sie bereits, wie sie ihn zurückgewinnen konnte? Doch nichts dergleichen war offenbar der Fall. Offenbar war ihre Entscheidung endgültig - zumindest waren das die Worte ihres Bruders. Ja, er war wütend, das gab er zu. Er hatte immerhin alles getan, doch offenbar war es für die Prinzessin vom Dienst zu wenig gewesen. Während er versuchte seiner Wut nicht freien Lauf zu lassen, sprach ihr Bruder weiter darüber wie schlecht es ihr im Moment ging. Anscheinend war ihr die Entscheidung nicht allzu leicht gefallen, aber dafür konnte er ja schließlich nichts. Sie musste mit den Konsequenzen leben. Und auch wenn er wusste, dass es nicht gerade nett war, breitete sich ein Gefühl der Zufriedenheit in seinem Körper aus. Es fühlte sich gut an, dass sie litt. Sollte sie auf die Idee kommen, ihre Entscheidung rückgängig machen zu wollen, würde er ihr jeden Stein in den Weg legen, den es nur gab, so viel stand fest. Er war zu betrunken um sich für diese Genugtuung zu hassen, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Außerdem geschah es ihr nur recht, dass es ihr schlecht ging - immerhin hatte sie das Beste verloren, das ihr hätte passieren können.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zugegeben den Schlussteil wollte ich eigentlich anders schreiben, aber momentan funktioniert die Leitung zwischen meinem Hirn und meinen Fingern auf der Tasta noch nicht so ganz. Da das mal so in etwa ein Prolog für eine Geschichte werden sollte, werde ich das aber noch irgendwann mal umschreiben, von daher kann ich mit dem Ergebnis leben ... so irgendwie xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach einer fast wahren Begebenheit xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hab mich länger gesträubt dieses Gefühl zu schreiben, da ich Genugtuung als ziemlich schrecklich empfinde (das heißt nicht, dass ich manchmal nicht auch etwas Genugtuung empfinde, deswegen finde ich es trotzdem nicht toll). Ich wollte dieses Gefühl so wenig wie möglich anschneiden und hoffe, dass es reicht. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (19)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:52:29+00:00 04.08.2017 13:52
Schade, schon beim letzten (veröffentlichten) Kapitel angekommen.

>Er hätte sie gerne an seiner Seite gehabt, das hatte er ihr ehr als einmal gesagt.
Da hat sich ein "m" bei "ehr" aus dem Staub gemacht ;)

>[...]aber sie hatte die Entscheidung so lange vor sich her geschoben[...]
Müsste "hergeschoben" hier nicht zusammengeschrieben sein?

>Die Streits hätten aufgehört. Mit Sicherheit!
Da ist aber jemand überzeugt. Ich habe da meine Zweifel. Ist der Plural von "Streit" nicht "Streite"?

>Es dauerte nicht lange, bis er die Auswirkungen des Alkohols spürte.
Hier hätte ich glaube ich einen Absatz gemacht, um den zeitlichen Abstand deutlich zu machen. Habe mich beim Lesen gewundert, warum er denn auf einmal den Alkohol spürt, obwohl sie sich doch gerade erst verabredet haben.

> Und auch wenn er wusste, dass es nicht gerade nett war, breitete sich ein Gefühl der Zufriedenheit in seinem Körper aus.
Vielleicht hat gerade der Charakterzug ja schon durchgeschienen - auch das mit dem Steine in den Weg legen. Mich hätte das in jedem Fall abgeschreckt. Und der Herr ist mir echt unsympathisch. Wieso stelle ich mir so einen schmierigen Typen vor?

>[...]immerhin hatte sie das Beste verloren, das ihr hätte passieren können.
Solche Typen kann ich gar nicht leiden. Hoffentlich geht sie nicht zurück.

So, da wären wir am Ende angekommen. Weil du das im Nachwort noch angemerkt hattest: Ich finde, das Gefühl hast du auf jeden Fall genug angeschnitten, es kommt sehr deutlich rüber!

Schreibst du die restlichen Worte noch? Mich würde es auf jeden Fall freuen!
Ich freu mich auf jeden Fall schon, ein wenig bei dir in der Galerie nach weiteren Geschichten zu schauen. Man liest sich auf jeden Fall noch einmal :)

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:52:20+00:00 04.08.2017 13:52
Ohne große Umschweife, auch hier weiter.

>Er hasste die Kälte,[...]
Aber die Kälte, der Schnee, das Eis und das Schlittschuhfarhen sind doch das Beste!

> Man musste sich in dicke Jacken oder Mäntel hinein zwängen, die einen ohnehin schon genug in den Bewegungen einschränkte[...]
Kleiner Tippfehler: "einschränkten" statt "einschränkte"

>Er fühlte sich oft, wie ein Roboter, der zu viel gegessen hatte.
Das Komma nach "oft" ist überflüssig. Aber der Vergleich ist mal wieder genial!

> Und vor allem konnte man nach draußen gehen, ohne sich vorher eine halbe Ewigkeit anzuziehen.
Dafür kämpft man mit Hitze, Luftfeuchtigkeit des Todes und der Tatsache, dass Leute nicht wissen, wie man Deo benutzt. Hat alles seine Vor- und Nachteile ^^'

>Er hatte keine Ahnung wieso die anderen den Winter auf so ein hohes Treppchen stellten[...]
Müsste es nicht eher ein "Podest" sein?

>Eigentlich wusste er gar nicht auf was er sich am meisten Freunde, [...]
Ein kleiner Tippfehler: "Freunde" sollten wohl eher "freute" sein, oder? ;)

>Die Tage am mehr vermisste er besonders.
"mehr" sollte vermutlich ein "Meer" sein?

> Ein komisches Ziehen in seiner Magengegend ließ ihn leise Seufzen.
"seufzen" müsste hier kleingeschrieben sein. Dass er das Meer genauso vermisst wie seine Freundin, das sollte er sie vielleicht nicht hören lassen ^^'

>[...]nur weil er ihnen böse Blicke zu warf.
"zuwarf" müsste hier glaube ich zusammengeschrieben werden.

>[...] und buchte innerhalb von zehn Minuten seinen Sommerurlaub in die Karibik.
DAS würde ich auch gerne mal tun können.

Ich verstehe ihn zwar wie seine Familie auch nicht, ich mag den Winter sehr gerne. Aber ich fand seine Gedanken trotzdem gut dargestellt. Außerdem habe ich jetzt Bock auf einen Besuch am Meer. Mensch, das wäre was!
Ein schönes Kapitelchen, hat mir gefallen.

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:52:08+00:00 04.08.2017 13:52
Hoffnungslosigkeit hat so viele Facetten, ich bin gespannt, für welche du dich entschieden hast.

>Einmal hatte er sogar vergessen anzurufen, als der Tag dann gekommen war.
Wow, da ist aber jemand "interessiert" an seinem Kind.

>Nach all den Jahren bezweifelte sie sogar, dass jedes der Geschenke[...]
Kurze Verständnisfrage hier: Geht es um alle Geschenke von ihm oder nur um bestimmte? Für mich kling tes vom vorherigen Teil eher nach allen. Dan würde ich hier zu "auch nur eines" tendieren, um das noch ein wenig zu betonen. Ansonsten würde ich - um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen - einfach ein "wirklich" vor "jedes" setzen.

>Sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal was er arbeitete.
Das sagt dann aber auch schon viel aus.

>Sie machte sich selbst Vorwürfe[...]
Wenn jemand den Kontakt nicht will, kann man da nicht viel machen. Aber sich selbst Vorwürfe machen ... ja, ist auf jeden Fall menschlich. Aber halt auch irgendwo das Falscheste, was man machen kann.

>[...]außer sie hatten genügen Wein getrunken[...]
Kleiner Tippfehler: "genügend" statt "genügen".

> Eigentlich waren die beiden sogar der einzige Grund für das Paar gewesen eine Sitzordnung anzulegen.
Fehlt da nicht ein Komma nach "gewesen"? Gerade bei sowas großem wie einer Hochzeit sollte man aber doch den Anstand haben, sich zu zügeln. Obwohl ich durch sowas natürlich auch Geschichten ergeben können, die man sein Leben lang (gerne) erzählt. Die Omas kann ich mir aber sehr gut vorstellen.

>[...]sogar die Großmütter des Paares hatten gesagt, dass sie das schlecht tun konnte[...]
Wenn die Omas sich einig sind ... dann sollte man auf sie hören.

>[...] dass ein einsamer Stuhl im Eck [...]
Hatten wir ja vorher schon einmal, das mit dem "Eck". Würde hier auch wieder auf "in der Ecke" plädieren.

>Auch wenn sie es nur ungern zugab, das hatte sie schon sehr getroffen.
Vollkommen verständlich. Wäre ja auch ganz schön, wenn der Vater zumindest bei der Hochzeit anwesend wäre ...

>Es wäre eine Chance für sie beide gewesen neu zu beginnen.
Müsste hier nicht vor "neu" ein Komma?

>Nach all den Jahren hatte sie ihm die Hand gereicht; ihm ein Friedensangebot gemacht und er schlug es ohne ein Wort aus.
Finde "Friedensangebot" hier etwas zu weit gegriffen. Sie haben sich ja nicht gestritten und deshalb entfremdet, was das Friedensangebot für mich impliziert. Vielleicht wäre hier: "hatte ihm eine Möglichkeit gegeben, wieder Teil ihres Lebens zu werden" besser oder so. Finde es relativ schwierig, da gerade eine gute Alternative zu finden. Prägnant in einem Wort ist das aber auch schwierig.

Ich hoffe er taucht auf. Aber vielleicht wäre es sogar besser, wenn er das nicht tut. Irgendwie sollte er sich aber doch melden, so als Zeichen von irgendeiner Art von Anstand. Och mann, deine Protagonistin tut mir echt leid :/

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:51:53+00:00 04.08.2017 13:51
Und weiter mit dem nächsten Gefühl.

>Der Pokal, das Glücksgefühl, das stolze Lächeln seiner Eltern oder eben die Tatsache, dass er bald den Fortgeschrittenenkurs besuchen konnte.
Das Beste ist ganz eindeutig, dass er sich so darüber freuen kann. Viele Leute können das ja nicht mehr. Der Bursche ist mir jetzt schon sehr sympathisch.

>Nach seinem glorreichen Sieg, fuhr er mit seinen Eltern in die beste Pizzeria der Welt.
Das Komma ist überflüssig. Und ich kann ihn mir echt sehr gut vorstellen, ein richtiges Energiebündel!

>[...]die sich eine Filmaufnahme des ganzen Kampfes anschauen durften, war es bereits dunkel und nach einer ausgiebigen Dusche, durfte er sogar noch mit seinen Eltern den Spätfilm im Fernsehen ansehen.
Durften. Natürlich :D Aber Großeltern sind doch eigentlich immer für ihre Enkel zu begeistern und für das, was sie so machen. Das Komma nach "Dusche" ist überflüssig.

> Er könnte schwören, dass der große Kerl mit den dunklen Haaren sogar doppelt so groß war wie er selber!
Mindestens, ne? Gut, aber das ist verständlich. Ist was neues, ungewohntes, da kann einem schonmal ein bisschen mulmig werden. Man verlässt ja die Gewohnheit, und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist ...

>Auch wenn er vor zwei Wochen sehr stolz auf sich war[...]
Müsste es hier nicht "gewesen war" sein? Irgendwie hört sich nur das war nicht richtig an, gerade, wenn darauf dann "geglaubt hatte" folgt.

>Da würde er das auch hinkriegen!
Richtige Einstellung! Sehr gut.

Sehr schönes Kapitel mit sehr guter Message. Auch, wenn einem etwas Angst macht, sollte man es doch ausprobieren.
Ich finde, in diesem Kapitel erkennt man sich selbst doch ein bisschen, auch wenn es vielleicht nicht dieselbe Situation ist, in der man sich so gefühlt hat. Gefällt mir sehr gut!

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:51:36+00:00 04.08.2017 13:51
Und weiter geht es.

>Die Sonne strahlte vom blitzblauen Himmel und der Tag könnte nicht besser sein.
"Blitzblau" klingt irgendwie komisch für mich. Mit "blitz" verbinde ich eher "blank" ^^' Hier hätte meiner Meinung nach "azurblau" oder etwas in die Richtung erwartet. Und müsste es nicht "konnte" statt "könnte" heißen?

>Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, verließ sie die Universität und machte sich auf zum Park um die Ecke.
Da ist das Komma überflüssig.

> In ihrer jüngsten Erinnerung hätte er beinahe als Santa Claus junior durchgehen können.
Na, in seiner Situation hat man glaube ich andere Prioritäten als der Bart. Den Vergleich finde ich aber gut gelungen.

>Es war ziemlich traurig, dass es so gekommen war.
Aber das ist ist doch der normale Lauf der Dinge. Ist natürlich schade, alter Gewohnheiten/Freunde hinter sich zu lassen, aber man findet ja auch neue Leute. Und mit denen, die man wirklich sehen will, mit denen bleibt der Kontakt auch bestehen.

>Kurz blinzelte sie der Sonne entgegen, bevor sie die Augen erneut schloss.
Da ist das Komma meine ich auch überflüssig.

>Bald waren Ferien und sie würde ohnehin nach Hause fahren[...]
Ich weiß, das ist sehr pingelig, aber ist das dann nicht eher die vorlesungsfreie Zeit? Sie ist doch in der Uni. Klar sagt man durchaus auch Ferien, aber ... ist mir nur aufgefallen.

>»Ja, ich freue mich auch dich zu sehen, Schwesterherz.«
Oh, was für eine gelungene und schöne Überraschung! Das ist toll. Hach, wie schön.

So ein süßes Kapitel. Wirklich. Da wird einem ganz warm ums Herz. Ich würde also sagen, positives Gefühl für den Valentinstag perfekt umgesetzt.

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-08-04T11:51:10+00:00 04.08.2017 13:51
Und wieder hatte ich ein wenig Zeit auf einer längeren Fahrt (die kommen momentan etwas häufiger vor) und habe mir die restlichen Kapitel deiner Geschichte als Lektüre mitgenommen. Also nicht wundern, es kommen ein paar Kommentare mehr ;)

Ich muss leider sagen, dass ich den Einstieg ins Kapitel nicht so gelungen finde. Er ist irgendwie monoton, was aber denke ich daran liegt, das es Hauptsatz an Hauptsatz gereiht ist. Da wäre ein wenig Variation vielleicht gar nicht schlecht.

>Er hatte es nicht weit, weshalb er nicht unnötiges Geld für ein Taxi ausgeben wollte [...]
Beim Satz davor hast du ebenfalls mit "Er" angefangen, vielleicht kannst du da entweder verknüpfen oder aber ein bisschen umstellen?

>[...]außerdem glichen seine Schuhe ohnehin schon einem U-Boot mit Leck[...]
Ich finde den Vergleich genial.

>Auf dem Weg nach Hause, machte er noch einen kurzen Zwischenstopp in dem Supermarkt um die Ecke.
Da ist das Komma nach "Hause" überflüssig.

> Keine zehn Minuten später stand er auch schon vor dem hohen Gebäude mit den vielen Wohnungen und er hoffte[...]
Würde beim "dem" dazu tendieren "einem" zu schreiben, das Haus wurde ja noch nicht erwähnt. Und beim "den" überlege ich, ob ich es nicht ohne schöner finden würde.

>Die Motivation war nicht gerade hoch[...]
Finde ich hier zu unpersönlich mit dem "die". "Seine" würde hier meiner Meinung nach besser passen.

>[...] dass den kleinen Biestern nichts ankam.
"ankam" hab ich in diesem Zusammenhang noch gar nicht gehört.

>[...]das Vieh war bestimmt eine Frau.
Da hat aber jemand schlechte Laune - bei dem Regen vielleicht auch nachvollziehbar. Oder ein schlechtes Bild von Frauen. Musste aber in jedem Fall grinsen.

>[...]als ihm das ›Defekt‹-Schild entgegen leuchtete.
So einen Aufzug kenne ich auch. Gott, ich war so froh, dass ich nicht in dem Haus gewohnt habe. Müsste "entgegenleuchtete" nicht zusammengeschrieben werden?

>[...]und machte sich dann mit schmatzenden Schritten[...]
Ich liebe die "schmatzenden Schritte". Die Formulierung ist echt genial, ich höre das Geräusch direkt.

>Eine gefühlte Ewigkeit später kam er oben an und sein erster Weg führte ihn unter die Dusche.
Sieben Stockwerke sind ja auch ein Traum, wenn man die Treppe nehmen "darf". Mein erster Weg wäre auch direkt ins Bad.

>Nach einer ausgiebigen Dusche, kümmerte er sich um seine Einkäufe und um seine Kaffeemaschine, die ihn bestimmt schon vermisst hatte.
Das Komma nach "Dusche" ist überflüssig. Den Teil mit der Kaffeemaschine finde ich aber wieder sehr cool. Ich mag diese kleinen Details, die du da einbaust. Ist mir in dieser Geschichte wieder besonders aufgefallen.

>Was war nur mit seiner Nachbarin los?
Er und ich scheinen in ähnlichen Bahnen zu denken: Was, wenn es denn nun nicht die Katze seiner Nachbarin ist?

>»Was mach ich hier eigentlich«[...]
Ein Herz für arme kleine Kätzchen haben? Macht ihn sympathisch.

>Er ging hinüber zu den Mülltonnen und nahm erneut das piepsige Miauen war.
Da hat sich ein Tippfehler eingeschlichen: es müsste "wahr" statt "war" heißen.

>»Ist das deine Masche? Mitleid in den Menschen erregen nur um ein Dach über dem Kopf zu haben?«
Funktioniert doch :) Also, wenn das die Masche ist, Glückwunsch an das Kätzchen :)

>Als Antwort kam nur ein Schnurren, das sich stark nach einem mittelgroßen Traktor anhöre.
Noch ein kleiner Tippfehler, "anhöre" statt "anhörte". Ich liebe den Traktorvergleich, btw.

>Auf dem Weg nach oben, rubbelte er das Kätzchen sanft trocken[...]
Das Komma ist überflüssig.

> Das Vieh raubte ihn den letzten Nerv.
Tippfehler: "ihn" statt "ihm".

>[...]um sich von den nassen Klamotten zu trennen.
Ui, das ist mir ein bisschen viel "nass" in dem Satz. Vielleicht wäre hier im zitierten Teil "durchweichte" besser?

>Aber er hatte früher mit seiner Schwester öfter Disneys Aristocats geschaut und die hatten warme Milch geliebt.
Oh Mann, ich musste grinsen. Möge er Google betätigen, das verrät ihm sicherlich, was er dem Kätzchen geben kann.

>[...]und stellte seine Konstruktion in ein Eck.
Finde "ein Eck" hier zu umgangssprachlich. Vielleicht eher "eine Ecke"?

>Ein Jahr später war Marie zu einer wunderschönen Katzendame herangewachsen [...]
Das hat ja gut geklappt mit der einen Nacht ^^'

Sehr süßes Kapitel, das für mich zwar am Anfang etwas geschwächelt hat, dafür aber über den Verlauf immer stärker geworden ist. Es war zwar abzusehen, wohin die Reise gehen wird, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch. Besonders gefallen haben mir dieses Mal die Vergleiche und die Art, wie dein Protagonist die Welt so wahrnimmt und beschreibt.

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission
Von:  konohayuki
2017-07-23T14:10:50+00:00 23.07.2017 16:10
Nach dem ersten Satz hatte ich schon ein mulmiges Gefühl im Bauch. DAS ist glaube ich der Albtraum jedes Elternteils.

>Er hatte sich mit seinen Freunden treffen wollen und hatte versprochen am Morgen wieder hier zu sein.
Nach "versprochen" müsste glaube ich ein Komma stehen. Und das "hier" ist zwar nicht falsch, ich hätte hier aber eher ein "zurück" oder "da" erwartet.

Finde das Schwanken ihrer Gedanken sehr nachvollziehbar. Auf der einen Seite hofft man natürlich das Beste, auf der anderen aber ...

>Im selben Moment, in dem der Topf mit Reis zu kochen begann und beschloss überzugehen[...]
"übergehen" kannte ich in diesem Kontext noch gar nicht. Es will auch vom Register nicht so ganz passen. Da hätte ich eher ein "überkochen" gesehen.

>[...]schaltete sie den Herd aus um das Reis-Malheur in Grenzen zu halten.
Da bin ich mir tatsächlich sehr unsicher. Müsste da nach "aus" ein Komma stehen?

Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich die Reaktion der Mutter sehr nachvollziehbar finde. Das ist eine Situation, die man niemandem wünscht.

>[...] denn den Vorwurf machte sie sich selbst schon zur genüge.
"Genüge" müsste hier großgeschrieben werden.

>Inzwischen war ihr egal was er und seine Freunde getan hatten, sie wollte einfach nur mehr,[...]
Müsste es nicht "nur noch" statt "nur mehr" heißen? Oder das "mehr" komplett gestrichen werden? Bin ich beim Lesen drüber gestolpert. Die Formulierung taucht später im Verlauf des Textes noch einmal auf, da müsstest du dann noch einmal schauen, solltest du da angleichen wollen.

>[...], wer weiß was dann passieren würde.
Da hast du einen Zeitsprung drin. Es müsste hier "wer wusste, was dann [...]" heißen.

>Man hatte ihn schwer verletzt am Ufer des Flusses gefunden und ihn in ein Krankenhaus gebracht.
Ach Gott. Aber zumindest ist er nicht in den Fluss gefallen oder war schon tot ... Die Frage ist nur: Was ist da passiert? Immerhin war er ja mit Freunden unterwegs, hätte von denen nicht irgendwas kommen müssen?

>[...]er musste eine Aussage machen, da es vermutlich ein Gewaltverbrechen war.
Minimalstkrittelei: Schöner hätte ich hier die Formulierung "da es sich vermutlich um ein Gewaltverbrechen handelte" gefunden. Deine Formulierung ist aber nicht falsch.

>[...]als sie ihn schlafend in dem Krankenhausbett liegen sie.
Kleiner Vertipper hier: Es müsste "sah" statt "sie" am Ende des Satzes heißen.

Wenigstens bekommen sie aber ein Happy End hier. Da war ich gerade tatsächlich sehr erleichtert. Das Gefühl hast du sehr gut umgesetzt, man fühlt mit der Mutter wirklich mit.

Liebe Grüße,
kono
Für mehr Kommentare auf Animexx
Von:  konohayuki
2017-07-23T14:09:14+00:00 23.07.2017 16:09
Ich bin gespannt, wie du das Thema Scham angegangen bist.

>[...]und seine Mutter hatte ihm für mindestens den Rest seines Lebens Hausarrest erteilt.
Fühlt sich das nicht immer so an? Aber was zur Hölle hat er denn gemacht, dass seine Mutter ihren Job verloren hat? Das muss ja schon sehr gravierend gewesen sein.

>Aber es reichte um den ersten Schultag als Neuling zu überstehen.
Da fehlt ein Komma vor dem "um".

>Das zweite Semester würde beginnen[...]
Er geht doch noch zur Schule, oder? Müsst es dann nicht Halbjahr sein?

>Als er an seinem letzten Abend in Freiheit seinen Computer einschaltete und seine social media Accounts checkte[...]
Müsste man nicht die "Social-Media-Accounts" dann so durchkoppeln Social Media groß schreiben?

>Er war den ganzen Tag nicht online gewesen und hatte es nicht früher bemerkt. Seine neuen Bekannten allerdings schon.
Na super. Was für - mit Verlaub - Arschlöcher sind diese "Freunde" denn? Alter. Grausam. Aber Kinder/Jugendliche können in der Hinsicht ja wirklich grausam sein ...

> Ja, er hatte viel Blödsinn angestellt, aber war das ein Grund ihn so bloßzustellen?
Eben. Hat zwar nicht jeder eine Phase, in der da wirklich gravierende Dinge passieren, aber so bloßgestellt zu werden hat dann auch niemand verdient.
Vor allem hängt da ja nicht nur er dran, das ist ja auch die Sache.

> Am liebsten würde er sich unter seiner Decke vergraben und nie mehr darunter hervor kommen.
Müsste "hervorkommen" hier nicht zusammengeschrieben werden?

>Er hatte sich wirklich vor dem Status der Neue gefürchtet, doch das war noch schlimmer.
Sehr bezeichnender, eindringlicher Satz.

Ein sehr aktuelles Thema, das du hier gewählt hast. Was deinem Protagonisten hier passiert - und was ja auch Kindern/Jugendlichen/Erwachsenen tatsächlich passiert - macht mich wütend. Das Kapitel ist mir echt nahe gegangen.

Liebe Grüße,
kono
Für mehr Kommentare auf Animexx

Von:  konohayuki
2017-07-23T14:08:39+00:00 23.07.2017 16:08
Weiter geht es mit dem nächsten Gefühl.

>»Was ist das?«, fragend hob er eine Augenbraue und deutete auf das kleine Päckchen, das am Tisch stand.
Weil der Teil, der nicht wörtliche Rede ist, ja nicht wirklich ein Begleitsatz ist, hätte ich es hier tatsächlich schöner gefunden, wenn du daraus einfach einen unabhängigen Satz gemacht hättest. Und ich weiß, das klingt jetzt sehr pingelig, aber: müsste das Päckchen nicht "auf" statt "am" Tisch stehen?

Mir ist die Schwester sehr sympathisch, muss ich übrigens direkt sagen.

>Das genervte Schnauben kam gleichzeitig mit dem Verdrehen der Augen und dem Zuschlagen des Buches.
Ui. Der Satz klingt doch arg ungelenk, ich denke, das liegt an der Nominalisierung in der Aufzählung. Vielleicht wäre es hier besser, das Ganze als Verbalisierung zu lassen oder umzuformulieren, so in Richtung "Sie schnaubte, als sie das Buch zuschlug und verdrehte ihre Augen."? Ist zwar auch noch nicht die perfekte Lösung, liest sich aber in meinen Ohren angenehmer als die nominalisierte Variante.

>[...]und das von einem Computer beschriftetem Adressaufkleber sprachen dagegen.
Hier ist beim Angleichen was schief gelaufen: "der von einem Computer beschriftete Adressaufkleber".

>»Jaja«, murmelte er ihr hinterher, hatte das Paket aber schon wieder in den Händen.
Oh Gott, das habe ich ehrlich gesagt so erwartet, dass GENAU diese Reaktion kommt. Gefällt mir.

>Rechte hatte sie ja trotzdem.
Ein kleiner Tippfehler: "Recht" müsste es hier statt "Rechte" heißen.

>Die wildesten Theorien entstanden und als seine Schwester gerade der felsenfeste Überzeugung war, dass sich eine Zeitbombe darin befand (»Ich glaube ich höre etwas ticken!«), riss er ihr das Päckchen aus der Hand und platzierte es wieder in der Mitte des Tisches.
Ach Gottchen, wie abstrus die Theorien werden :D Das kann ich mir richtig gut vorstellen. Bei der Zeitbombe musste ich irgendwie an die Disney-Version von Peter Pan denken.

>An dem Blick und dem Schnauben seines Vaters, erkannte er, [...]
Das Komma nach "Vaters" ist zu viel. Und irgendwie ... ich fand den Übergang vom Satz vorher etwas abrupt. Vielleicht hätte ich den Vater hier als Akteur besser gefunden, so nach dem Motto "Aber auch sein Vater konnte nicht verstecken, dass ihn das Geheimnis [...] - sein Blick und das Schnauben, welches er ausstieß, sprachen Bände" oder sowas in der Richtung. Das ist nun aber wirklich schon Detailkrittelei.

Das Ende und die Auflösung sind dann ja wirklich ... antiklimatisch. Zumindest für die neugierigen Familienmitglieder. Von wegen, da tickt was!
An für sich finde ich das Kapitel gelungen, fand aber, dass in der Sammlung schon stärkere Kapitel vertreten waren.

Liebe Grüße,
kono
Für mehr Kommentare auf Animexx
Von:  konohayuki
2017-07-23T14:08:17+00:00 23.07.2017 16:08
Hallöchen :)

Nicht wundern, dass jetzt ein paar mehr Kommentare kommen. Ich hatte deine Geschichte mit auf einer längeren Fahrt und habe mir da zu ein paar Kapitelchen Notizen gemacht, die ich dann jetzt nur in einer ruhigen Minute mal abgetippt habe.

>Diese Leere in seinem Körper, hatte ihn schon lange nicht mehr heimgesucht.
Das Komma ist da überflüssig. Aber den Einstiegssatz finde ich sehr gelungen!

>Er wusste nicht einmal mehr worüber sie gestritten hatten.
Ich mag mich irren, aber müsste da nicht nach "mehr" ein Komma stehen?

>Es tat weh die verletzenden Worte wieder zu hören[...]
Auch hier bin ich mir wegen einem Komma unsicher: Müsste da nicht nach "weh" eines stehen?

>[...]doch es war jedes Mal wieder dasselbe - sie stritten, er ging und die Einsamkeit, der Schmerz und die erdrückende Stille blieben.
Finde ich sehr eindrücklich. Die Gefühle finde ich hier sehr greifbar - gerade an dieser Stelle.

>Es war komisch nicht zu wissen wo der Andere war. Seine Brust schmerzte und es fühlte sich an, als würde die Einsamkeit ihn in Stücke reißen. Er hatte keine Ahnung wie er das je überstehen sollte.
Den Teil fand ich tatsächlich etwas repetitiv. So oder in ähnlichen Konstellationen geht es ja schon den ganzen Absatz und den davor, das fand ich hier dann einfach zu viel. Gerade der Teil mit dem "überstehen" ist mir da aufgefallen.

>Auch wenn sie in letzter Zeit häufig gestritten hatten und dieser Gefühlstornado schon fast zur Gewohnheit gehörte[...]
Der Teil" zur Gewohnheit gehörte" klingt hier für mich etwas holprig. Schöner hätte ich hier gefunden: "zum Alltag gehörte" oder "zur Gewohnheit geworden war". Obwohl Letzteres vielleicht auch nicht ganz den Kern trifft, den es treffen soll.

Insgesamt finde ich, ist dir eine sehr nachvollziehbare Szene gelungen. Vor allem in Bezug auf die Angst, die durch die Einsamkeit beflügelt wird, ist dir das Transportieren des Gefühls sehr gelungen. Ich muss zugeben, in meinem Kopf kommt er nicht zurück ... aber da weiß ich natürlich nicht, was für ein Ende du dir überlegt hast.

Liebe Grüße,
kono
Für mehr Kommentare auf Animexx


Zurück