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Seelenkrank

von

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Streit, Versöhnung, Streit, Versöhnung,...

Wie immer heulte sich Nici bei Nadja aus. Da durfte sie sich wieder was anhören.

„Ich habe voll das Gefühl, dass er wieder extrem in der Scheiße steckt.“

„Redet er nicht mit dir über seine Probleme?“

„Nein, er sagt immer, dass alles in bester Ordnung sei. Aber ich kann ihm das nicht glauben. Denn umsonst ist er ja nicht so schlecht in der Schule. Ich weiß einfach nicht, ob ich ihm hundertprozentig vertrauen kann.“

Nadja warf ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu. Nici hatte ihr nicht erzählt, dass sich Lukas die Brust aufgeritzt hatte, denn irgendwie wollte sie mit niemanden darüber reden.

„Wenn du schon so redest. Wann begreifst du endlich, dass Lukas ein totaler Loser ist. Du könntest so viele andere Jungs haben, aber nein, es muss unbedingt Lukas sein. Du kannst ihn ja mal direkt auf seine Probleme ansprechen, mal sehen, ob er dann wieder so austickt, wie damals.“

„Ich finde es voll scheiße, dass ich nicht normal mit dir über Lukas reden kann! Wenn du wirklich meine beste Freundin wärst, würdest du wenigstens zu mir stehen, aber das tust du ja nicht!“

„Tut mir ja leid, dass ich ehrlich zu dir bin und meine Meinung äußere. Nici, ich will einfach nur nicht, dass du am Ende wieder unglücklich bist. Verstehst du das denn nicht?“

Nici zuckte nur mit den Schultern. Für sie war klar, dass Nadja Lukas und sie unbedingt auseinanderbringen wollte.

„Okay, ich rede mal vernünftig mit ihm und dann werden wir ja sehen.“

„Mach, was du denkst. Sehen wir uns heute noch mal oder bleibst du gleich bei deinem Lukas.“

„Ich weiß nicht. Vielleicht. Tschau.“

Nici fand das Verhalten ihrer Freundin ihr gegenüber total unfair. Warum sollte Lukas ihr etwas vormachen? Für seine Probleme zu Hause konnte er ja nichts und sie war felsenfest davon überzeugt, dass er aufgehört hatte Drogen zu nehmen. Von dem Vorfall heute Nachmittag hatte sie Nadja jedoch nichts erzählt. Aber hatte Nici ihm vielleicht doch Unrecht getan? Vielleicht hatte Lukas ja wirklich solche Angst, sie zu verlieren und war deshalb so eifersüchtig, wenn man das Eifersucht nennen konnte.
 


 

Ich stylte mich und ging noch mal in den Club, vielleicht traf ich dort einen meiner Freunde. Tatsächlich, im Club waren Flo, Chris, Jessica, Yvonne und Malen. Ich freute mich riesig Malen zu sehen. Seit unserer letzten Begegnung lagen ein paar Jahre. Da sie älter war als ich, hatte sie fast zwei Jahre in den USA verbracht und da als Au Pair gejobbt. Sie war auch ein Gothic, genau wie ich. Ihr Gesicht war zierlich und schmal, die Wangenknochen traten hervor und das Puppengesicht zierte eine süße Stupsnase. Ihre Haare waren lang und schwarz, fast so wie ihre Augen, die tief dunkelbraun waren.

„Du hast dich wenig verändert, aber ich glaube, deine Haare waren mal braun oder?“ Malen lachte.

„Ja, es hat mich auch sehr viel Überredungskunst gekostet. Nachdem ich wieder nach Deutschland gekommen bin, konnten meine Eltern gar nicht genug von mir bekommen, weil ich ihnen so gefehlt habe.“

Ihre letzten Worte versuchte ich zu überhören, denn scheinbar war ich der einzige in unserem Freundeskreis, der sich mit beschissenen Familienverhältnissen herumschlagen musste.

„Wie geht es dir so?“

„Ach ganz gut. Und dir?“

„Naja, Stress mit meiner Freundin, ansonsten auch ganz gut.“

„Lukas der Weiberheld!“

„Na, na junges Fräulein, das hab ich jetzt aber überhört.“, neckte ich sie.

„Nein, mein voller ernst!“

„Ach komm, lass uns was trinken gehen. Ich gebe dir sogar etwas aus, wenn du willst!“

„Wo willst du denn jetzt noch hin? Wir können auch zu mir gehen, meine Eltern schlafen sicher eh schon.“

„Meinetwegen.“

Malen schaute mich fragend an, ich zuckte mit den Schultern.

„Na dann los.“

Wir hackten uns ein und gingen zu Malen. Ich war nur einmal bei ihr gewesen, aber an ihr Zimmer konnte ich mich konnte ich mich noch genau erinnern. Es war ganz hinten im Garten, wie ein kleines Gartenhaus. Darin befanden sich mindestens drei Schränke, ein großes Bett in der Mitte des Zimmers, eine Kommode und sogar ein eigenes Badezimmer. Da Malen ja auch ein Gothic war, hatte sie ihr Zimmer auch entsprechend eingerichtet. Die Wände waren rot und sie besaß bestimmt fast hunderte von Kerzen. Sie hatte auch viele Figuren in ihrem Zimmer stehen, Drachen, schwarze künstliche Rosen und kleine Fledermäuse, die von der Decke herab hingen. Für jeden Goth war dieses Zimmer einfach ein Traum.

„Warum hast du eigentlich Stress mit deiner Freundin? Vor kurzem seit ihr doch noch ein Herz und eine Seele gewesen.“

Wir setzten uns auf ihr Bett nebeneinander.

„Was heißt Stress, eben so Beziehungskram. Nichts, was ich nich regeln könnte“, lenkte ich ab, da ich keine Lust hatte über meine Sorgen zu reden.

Malen strich mir über die Wange.

„Du solltest ihr aber auch nicht Unrecht tun. Ich meine, vielleicht versteht sie dich ja wirklich und will für dich da sein.“

„Keine Ahnung, is auch egal. Nun zu dir, wie war es in den USA?“

„Ach echt witzig, wobei das Essen dort wirklich gewöhnungsbedürftig ist. Ich glaub ich hab echt abgenommen, weil mir das fettige Zeug irgendwann echt zum Hals raus hing. Aber meine Familie dort war voll nett und die kleine Emilie war so mega süß. Wenn alles klappt, will ich noch Mal hin.“

Jetzt musste ich grinsen.

„Das freut mich für dich.“

Ich öffnete mir noch ein Bier und wir stießen an. Nachdem wir noch ein bisschen gequatscht hatten, beschloss ich mich auf den Heimweg zu machen.

„Malen...das war schön heut, bis bald hoff ich.“

Sie umarmte mich und brachte mich noch mit vor an das Tor, um es zu öffnen.

„Und mach dir keine Gedanken wegen deiner Freundin, das wird schon wieder.“

Wenn ich ihr doch nur glauben konnte. Es hatte tatsächlich gut getan heut mit ihr zu reden, denn da sie so lange weg gewesen war, schien sie alles noch ein bisschen unvoreingenommen zu sehen und es lenkte mich von meinen Sorgen ab.

Schließlich rang ich mit mir und beschloss meine Freundin doch noch besuchen zu gehen. Hoffentlich schlief Nici noch nicht, was sollte ich dann machen?

Als ich vor ihrem Haus stand, spürte ich nicht Mal die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen. Ich betätigte mit zitternder Hand den Klingelknopf. Ihre Oma kam im Nachthemd herausgestürzt. Mir war das etwas peinlich.

„Ach du bist es nur, möchtest sicher zu Nici. Geh einfach die Treppen hoch, es kann aber sein, dass die kleine schon schläft. Sie hat sich schon recht früh von mir verabschiedet. Ich hänge den Schlüssel hier an die Wand. Wenn du gehst, schließe bitte ab und werfe den Schlüssel in den Briefkasten. Gute Nacht mein Junge.“

Ich brachte nur ein unsicheres Danke über die Lippen.

Mein Magen zog sich zusammen und ich fühlte mich komisch. Unter dem Türspalt fiel ein Lichtstreifen hindurch. Ich lauschte kurz, konnte jedoch nichts hören. Vielleicht war Nici ja eingeschlafen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Türklinke und drückte sie nach unten. Nici zuckte leicht zusammen, als ich plötzlich vor ihr stand. Sie saß im Schlafanzug auf ihrem Bett und kämmte gerade ihre langen Haare.

„Hey.“

„Hey. Damit hätte ich ja heute nicht mehr gerechnet.“

„Ich weiß. Ich komme, um mich bei dir zu entschuldigen. Ich will dich nicht immer benachteiligen.“

Sie lächelte zaghaft.

„Ich war auch komisch. Hätte ja auch fragen können, ob du mit zu meinen Eltern kommen willst.“

„Nee, is schon okay. Ich habe sowieso viel zu tun. Schwamm drüber?“

„Okay. Du Lukas, geht es dir im Augenblick wirklich gut?“

Ich setzte mich zu ihr aufs Bett.

„Na klar.“

„Ich glaube dir das irgendwie nicht. Das Gefühl, dass du mir irgendetwas verheimlichst, lässt mich einfach nicht los.“

Nicis Blick war so klar und entschlossen und ich wusste, dass es zwecklos war, ihr jetzt etwas Gegenteiliges zu erzählen. Sie kannte mich eben doch schon besser, als ich gedacht hatte. Aber sollte ich ihr wirklich die Wahrheit erzählen?

„Ich bin verblüfft.“

„Warum denn das?“

„Wie gut du mich doch kennst. Okay, du hast Recht, ich habe dir nur die halbe Wahrheit erzählt. Aber die andere Hälfte ist dafür umso schlimmer.“

Mein Gesichtsausdruck wurde ernster.

„Ich will es trotzdem hören.“

„Du brauchst mich nur anzuschauen, dann weißt du doch, mit welchem Schlag Mensch du es zu tun hast Nici. Denn du kannst mir nicht erzählen, dass man mir das nicht ansieht. Ich bin ein verdammter Schwächling und versuche so meine Probleme zu lösen. Ist es das, was du unbedingt hören wolltest?“

Sie schluckte und sah mich dann vorwurfsvoll an.

„Ich wollte es nicht wahrhaben. Bin ich dir denn so egal?“

„Das hat nicht viel damit zu tun. Nur kann ich das Verlangen danach langsam nicht mehr ignorieren. In der Zeit, in der du im Krankenhaus warst, hat sich mein Drogenkonsum erheblich gesteigert.“

„Und du hast auch nicht vor, etwas dagegen zu tun oder?“

„Das is nich das einzige Problem“, fuhr ich fort. Jetzt oder nie, denn schlimmer konnte es ja kaum kommen. Tränen blitzten in ihren Augen auf und ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

„Nicht dein Ernst!“, flüsterte sie und jetzt gab es kein Zurück.

„Ich hab dich betrogen und es tut mir so leid…so unendlich leid, aber ich hab gerade nichts mehr im Griff. Mein komplettes Leben is die Hölle und du bist irgendwo mittendrin…“

„Wer?“

„Willst du das echt wissen?“

Sie nickte und funkelte mich wütend an.

„Ich finde, ich hab ein Recht es zu erfahren…ich meine, wie scheiße kann man sein. Ich lieg im Krankenhaus und du vergnügst dich mit ner anderen Tussi? Oh, warum hab ich nur nie auf Nadja und Chris gehört.“

Und diese Bemerkung reichte, um mich zu zerstören, den Schalter in meinem Kopf wieder umzulegen, doch dieses Mal war kein Basti oder Flo da. Meine Stimmung schwenkte um und ich hatte Nici immer vor einer dieser Ausbrüche bewahren wollen, doch nun war es zu spät.

„Das hättest du tun sollen…kleines, naives Mädchen…du wirst mich nie verstehen können Nici…ich bin nicht fähig zu lieben. Ich bin nicht dazu in der Lage…das andere kann ich dafür umso besser. Menschen verletzen.“

Ich wünschte mir für uns beide, dass sie sich nicht von mir abwand, wenigstens versuchte das Gute in mir zu sehen, doch ich war mir nicht sicher, ob sie stark genug war. Ich versuchte zu lächeln, aber Nici blieb ernst und ihre Stimme wurde auf einmal etwas lauter.

„Wow…du bist ein Arsch…keine Ahnung, wie ich jetzt damit umgehen soll. Wenn du nicht so wunderschön wärst, würde es einfacher sein dich zu hassen.“

„Du hasst mich doch schon lange Nici…seit du mitbekommen hast, dass ich Drogen nehme oder mich selbst verletze…dass ich dich betrogen hab, brachte das Fass nur zum Überlaufen…und das Schlimme is, ich kann nich versprechen, ob es bei dem einen Mal bleibt…“

„Willst du mich eigentlich verarschen Lukas? Du bist echt kaputter, als ich dachte…“

Ich lachte traurig.

„Herzlichen Glückwunsch…das versuche ich dir seit Jahren zu erklären…du kannst mich nich retten…“

„Kann das überhaupt jemand?“

„Ich weiß es nich…vielleicht sollte ich alle den Gefallen tun und euch von diesem Anblick erlösen…“

„Verfluchter Scheiß…nein, sag sowas nicht…komm einfach her…kuscheln…“

Ich konnte nicht anders und musste lachen. Warum zur Hölle tat sie das?

Mir wurde aber auch irgendwie bewusst, dass ich dringend etwas ändern musste, wenn ich Nici nicht noch einmal verlieren wollte. Dieses Gefühlschaos machte mich irre.

„Nici, warum liebst du ausgerechnet so einen wie mich?“

Sie schwieg einen Augenblick.

„Weil du so toll bist, wunderschön, intelligent und ein bisschen verrückt. Ich kann dich einfach nicht im Stich lassen.“

„Ja, aber es gibt doch auch tausend Gründe, die dafür sprechen, mich einfach meinem Schicksal zu überlassen. Wenn ich es selbst nicht auf die Reihe bekomme, mein Leben zu ordnen? Warum solltest du es dann schaffen? Und außerdem, was kann ich dir schon bieten?“

„Lukas, bitte hör auf so zu reden! Ich will gar nicht, dass du mir etwas bietest. Warum auch. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass wir zwei eine glückliche Beziehung haben können. Und daran musst du dich auch beteiligen. Weißt du, ich habe mich mit Nadja gerade total am Arsch, weil sie auch glaubt, dass dir nicht mehr zu helfen ist. Aber ich will sie vom Gegenteil überzeugen, allerdings kann ich das nicht ohne deine Hilfe. Ich will, dass Nadja dich so akzeptiert, wie mich deine Freunde.“

Ich musste lächeln und fragte mich gleichzeitig, womit ich das verdient hatte. Aber ich wusste auch, dass Nici Recht hatte.

„Okay, dann überzeugen wir Nadja mal vom Gegenteil.“

Jetzt erwiderte sie mein Lächeln.

„Bleibst noch ein bisschen bei mir?“

„Nichts lieber als das.“

Nici schmiegte sich an mich und zog mir meinen Pullover aus. Ihre zarten kleinen Finger glitten sanft über meinen nackten Oberkörper. Ich zog sie eng an mich, küsste sie auf den Mund und umschloss ihre Brüste. Eine Weile lagen wir nebeneinander und machten gar nichts. Ich beugte mich zu ihr herüber und streichelte über ihren Körper. Ihre roten Haare leuchteten, obwohl es dunkel war. Sie lag nur in Unterwäsche da und war so wunderschön. Ich blickte auf sie herab und ihr Engelsgesicht lächelte mich an.

„Bist du immer noch der Meinung, ich würde dich nicht lieben?“

„Nein. Ich wusste es vorher auch.“

„Wie spät ist es eigentlich?“

„Noch früh am Abend. Du musst noch nicht gehen.“

„Du hast gut reden. Aber ich bleibe auch die ganze Nacht bei dir, wenn du willst! Scheiße, ich schreib morgen eine Klassenarbeit in Geschichte und habe kein Ding gelernt.“

Nici spielte mit den Piercings an meinen Brustwarzen und umkreiste diese mit der Zunge. Dann schaute sie mir in die Augen.

„Und was willst du jetzt machen?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Mit dir schlafen.“

„Lernst du davon etwa Geschichte?“

„Wer weiß, so was kann Wunder bewirken. Außerdem, wenn ich morgen früh noch schnell einen Spicker schreibe, komme ich mindestens auf drei. Ich kann dich jetzt nicht alleine lassen, denn du machst mich gerade ganz schön geil.“

„Du mich auch!“

Ich drang in sie ein, es war, als ob unsere Körper miteinander verschmelzen würden. Nici war ein Teil von mir und ich ein Teil von ihr, zusammen waren wir eins.

Als wir den Durst der Liebe gestillt hatten, lagen wir wieder friedlich nebeneinander. Nici kuschelte sich an mich. Ich küsste ihr Haar und strich sanft über ihren Rücken. Alles andere hatte ich ausgeblendet, um diesen Moment nicht zu zerstören. Um mir vielleicht doch zu beweisen, dass ich mein verkorkstes Leben auf die Reihe bekam.

„Wie spät ist es jetzt?“

Nici warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand.

„Halb zwölf. Willst du noch nach Hause?“

„Ist ja nicht weit und ich müsste mir Geschichte echt noch mal angucken, sonst bin ich voll am Arsch. Ich habe ehe schon übelst Stress mit der Lehrerin, da kann ich mir keinen schlechten Noten erlauben.“

„Aber du willst doch nicht im Ernst jetzt noch lernen!“

„Mir wird nichts anderes übrig bleiben meine Süße.“

„Du bist echt total durchgeknallt. Sonst waren dir deine Noten doch auch immer egal.“

„Ja, aber ich habe halt doch eingesehen, dass das eine blöde Einstellung ist. Ich will ja schließlich einen guten Abschluss bekommen und den bekomme ich leider nur mit guten Noten, egal in welchem Fach.“

„Ich bin so stolz auf dich.“

Wir küssten uns und mir fiel es echt schwer Nici jetzt alleine zu lassen. Ich zog meine Klamotten an und Nici brachte mich noch an die Haustür hinunter. Wir verabschiedeten uns eine viertel Stunde lang, dann erst konnte ich mich losreißen.

„Ich kann dich ja morgen von der Schule abholen und sagen wie es gelaufen ist.“

Wir lächelten uns an und ich lief nach Hause.

In meinem Zimmer setzte ich mich vor etwa zehn Seiten Geschichtsstoff und lernte. Zwischendurch kochte ich mir Kaffee, um nicht einzuschlafen. Nach zweieinhalb Stunden hatte ich endlich alles so halbwegs in meinem Kopf drin und hoffte, dass ich mir wenigstens das Wichtigste merken konnte. Aber ich hatte eigentlich keine Bedenken.

Als Flo an der Tür klingelte, war ich schon bereit zu gehen. Wir plauderten fröhlich miteinander und machten noch unsere Späße über den gestrigen Abend. Vor der Schule rauchten wir selbstverständlich noch eine Zigarette und stiegen dann die zwei Stockwerke zum Unterrichtsraum hinauf. Wir begrüßten Jessica und Yvonne, wie jeden morgen. Seitdem wir häufiger etwas zusammen unternahmen, verstanden wir uns ganz gut mit den beiden. Ich freute mich richtig auf die Geschichtsstunde bei Frau Neumann, der würde ich schon zeigen, was ich drauf hatte. Ich konnte diese kleine dumme Schlampe einfach nicht leiden.

Der Vormittag verging schnell. Ich holte Nici von der Schule ab und verabschiedete mich von ihr. Sie wollte am Sonntag extra nicht so spät zurückkommen.

Später besuchte ich Malen noch einmal, bevor ich nach Hause ging. Wir hockten in ihrem Zimmer, hörten Musik und unterhielten uns.

„Wir sollten auf jeden Fall wieder mehr Zeit miteinander verbringen.“

„Auf jeden Fall.“

„Warst du gestern noch bei Nici?“

„Jepp. Haben uns ausgesprochen und ich denke, es ist alles wieder gut.“

„Das ist schön. Ihr Beiden seid so süß zusammen.“

Ich zündete mir eine Zigarette an und lächelte.

„Naja, sie is schon irgendwie süß und sie gibst sich echt Mühe mit mir.“

„Ich kann dich verstehen.“

Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und rauchte noch eine. Malen steckte sich ebenfalls eine Zigarette an.

„Das Einzige, was mich ein bisschen an ihr nervt ist, dass sie sich immer gern über Kleinigkeiten, wie das Rauchen aufregen muss.“

„Ach ich finde da auch nichts dabei. Jeder verdirbt sich dadurch selber sein Leben.“

„Das ist richtig.“

Wir grinsten uns an. Malen ein liebes Mädchen. Zu ihr fühlte ich mich zwar nicht ganz so hingezogen, wie zu Juka, aber es war schon eine feste Freundschaft.

„Willst du dir eigentlich noch mehr Tätowierungen machen lassen?“, fragte sie mich dann.

„Wenn ich wieder Geld habe vielleicht. Als nächstes folgen erst mal noch einige Piercings. Weißt du was?“

„Was denn?“

„Manchmal überlege ich mir so, was gewesen wäre, wenn ich kein Goth wäre. Wenn ich ganz andere Leute kennen gelernt hätte. Vielleicht würde ich da sogar ein Hip Hopper sein. Hast du darüber schon mal nachgedacht?“

„Nicht wirklich, aber jetzt wo du das sagst! Vielleicht hättest du Nici auch nie kennen gelernt, wenn du Hopper geworden wärst!“

„Mhh, mag sein! Was machst du heute Abend eigentlich?“

„Weiß nicht. Wahrscheinlich in den Club gehen. Warum, was hast du vor?“

„Mit meinen Jungs was trinken gehen. Dieses Wochenende ist wenigstens keiner da, der mich davon abhalten könnte.

Es war bereits später Nachmittag. Die Sonne neigte schon leicht dazu am Horizont zu verschwinden und ich machte mich auf den Heimweg. Ich drehte mich noch einmal um.

„Sehen wir uns dieses Wochenende noch mal?“

„Bestimmt. Entweder im Club oder wenn du willst kannst du auch vorbeikommen.“

Ich verabschiedete mich mit einem charmanten Grinsen auf den Lippen von ihr.

Meine Mum war noch zu Hause, als ich kam. Sie saß mit Klaus und Johanna noch am Kaffeetisch. Ich beobachtete das Treiben eine Weile, dann gesellte ich mich zu ihnen. Jojo kam gleich angestürmt und rannte in meine Arme.

„Schön dich zu sehen. Ich hab dich vermisst.“

Ich gab ihr einen Kuss auf den Mund.

„Ja ich dich doch auch.“

Meine Mum lächelte schon fast liebevoll zu uns herüber und tat doch tatsächlich so, als ob alles wieder in bester Ordnung wäre.

„Ich glaube unser Lukas wird doch langsam erwachsen.“

„Was soll das den das bitteschön heißen?“

„Nur so.“

„Ach ja, du sollst heute auch zum Elternabend kommen.“

Über das Gesicht meiner Mum konnte ich schon wieder diesen vorwurfsvollen Blick erkennen, der sicher irgendwo berechtigt war.

„Willst du dann noch mal weg?“

„Ja in den Proberaum. Da wollen wir heute eine kleine Party veranstalten. Also kann später werden. Muss erst mal noch ein paar Sachen zusammen packen.“

Leider war das Wochenende schon wieder fast vorbei. Nici war doch schon heute Abend wiedergekommen und ich freute mich wahnsinnig sie zu sehen.

Ich ließ meinen Pullover an der Stelle fallen, an der ich gerade stand und steckte mir eine Zigarette an. In zwei Wochen hatten wir ein weiteres Konzert im Underground und ich war schon jetzt total aufgeregt. Mir kam das alles so unglaublich vor, aber ich war natürlich auch stolz, dass wir es so weit geschafft hatten.

Gerade hatte meine Mum wieder eine Anwandlung von Freundlichkeit, doch ich gab darauf nichts. Ich fragte mich manchmal, warum ich Nici nicht gleich in den Wind schoss. Irgendwas schien sie mir doch zu geben und ich wusste auch was, neben ihr sah ich wie ein begehrenswerter Typ aus, dem die Frauen nur so zu Füßen liegen und das gefiel mir. Doch ging sie mir mehr auf die Nerven und so sollte es ja keinesfalls sein. Dann war da noch mein Schwesterchen, die mir Sorgen bereitete. Es war eine Sache, wenn ich mir jedes Wochenende die Kante gab, aber wenn sie jetzt auch damit anfing? Das konnte ich nicht verantworten und unseren Eltern schien es wie so oft egal zu sein. Ich hatte mitbekommen, dass sie sich in letzter Zeit mit ein paar Leuten traf und ich wollte dem mal auf den Zahn fühlen. Ich hoffte, dass sie nicht so wie werden würde wie ich und mit Drogen und anderen Sachen herumexperimentierte. Die Zeit, als ich mit Tim und Flo fast jeden Tag gekifft habe war echt hart. Das witzige daran ist ja, dass meine Eltern nichts davon mitbekommen haben. Das muss ein echter Schock für sie gewesen sein. Leider habe ich bis heute nicht herausgefunden, wer mich damals verpetzt hat. Aber, wenn Jojo da hinein rutschen würde, das wäre das schlimmste, was meiner Mum widerfahren könnte. Ich hatte in letzter Zeit aber auch absolut keine Ahnung, mit wem Jojo immer zusammen war und ob sie überhaupt schon einmal mit Drogen in Berührung gekommen ist. Sollte ich vielleicht mal mit ihr reden? Oder sah das wie nachspionieren aus? Nein, ich bin ja immerhin ihr Bruder und machte mir Sorgen. Nach den Sommerferien kommt sie in die achte Klasse und sie will unbedingt auch auf das Gymnasium, wo ich bin wechseln. Das ist gar nicht so schlecht. Apropos Sommerferien, das war ja gar nicht mehr so lange hin. Noch ungefähr knappe drei Wochen.

Jojo kam in mein Zimmer. Sie schloss die Tür und grinste mich an, wie so ein kleines Honigkuchenpferd.

„Musst du immer halb nackt herumrennen?“

Sie musterte mich von Kopf bis Fuß.

„Meine Hose habe ich doch noch an und außerdem ist es warm.“

Johannas Grinsen wurde breiter.

„Mit deinem Waschbrettbauch machst du doch nur alle Mädels verrückt oder?“

„Mag sein. Kann ich mal mit dir über etwa reden?“

Sie setzte sich auf das große Ecksofa und ich drehte mich zu ihr, blieb jedoch auf dem Fußboden hocken.

„Über was denn? Ist es was Schlimmes?“

„Nicht direkt“, sagte ich und zog an meiner Zigarette. Ich bemerkte wohl, dass Jojo auf die Zigarettenschachtel auf dem Tisch blickte, sich jedoch nicht traute zu fragen, ob sie ein rauchen durfte. Ich musste grinsen, weil ich dieses Gefühl gut nachvollziehen konnte.

„Es ist nur so. Du bist in den letzten Wochen immer seltener zu Hause und da habe ich mich gefragt, wo du den ganzen Tag verbringst!“

Jojo schaute mich mit ihren großen Augen an, was gerade in ihrem Kopf vorging, wusste ich nicht.

„Eileen und ich haben da neulich so ein paar nette Leute kennen gelernt und mit denen sind wir jetzt fast jeden Tag zusammen. Die sind aber alle schon so 17- 18 Jahre alt, aber trotzdem ganz nett. Sie sind von ihrer Meinung her ein bisschen links. Einige von ihnen tragen auch Springer.“

Okay, Punks, das konnte gut oder schlecht sein.

„Jojo, mir liegt eigentlich was auf dem Herzen. Ich habe nichts dagegen, wenn du mit solchen Leuten zusammen bist aber bitte versprich mir, dass du niemals Drogen nehmen wirst.“

Ich spielte gedankenverloren mit dem Feuerzeug auf dem Tisch. Mein Blick blieb an Jojo haften, die sich diesem entzog und zu Boden sah.

„Und was ist, wenn du es angeboten bekommst? Ich habe Angst, dass ich nicht mehr anerkannt bin, wenn ich nicht rauche oder so!“

Mir war sofort klar, dass dieses und so auch kiffen bedeuten konnte. Ich stellte mir gerade vor, wie Johanna angeboten bekam mal an der Bong zu ziehen. Ein hässlicher, verkommener Kerl reichte ihr die Bong und sie schüttelte mit dem Kopf. Nein, weiter konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Ich vergrub meinen Kopf zwischen den Knien. Jetzt wurde mir das erste Mal bewusst, wie sich meine Mum wohl gefühlt haben musste, als sie erfuhr, dass ich Drogen nehme.

Jojo saß da, wie ein Stein. Ihr Gesicht glich einer Kalkwand. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Warum hatte ich es erst so weit kommen lassen? Ich machte mir Vorwürfe und das zu Recht. Immer wollte ich ein guter Bruder sein und meine kleine Schwester beschützen aber es war mir nicht gelungen. Was sollte ich machen, wenn meine Mum das mitbekommt. Was sollte ich ihr sagen? Ich hatte ihr mein Ehrenwort gegeben, dass es mit Johanna nie so weit kommen würde und nun...war alles zu spät. Ich konnte ihr nur verbieten nicht mehr mit diesen Leuten in Kontakt zu treten, doch wusste ich auch, dass ich mir meine geliebte Schwester zum Feind machen würde.

„Was ist denn los mit dir. Die ganze Zeit schon sagst du kein Wort mehr. Außerdem brauchst du dich gar nicht darüber aufzuregen. Du nimmst selbst Drogen.“

„Jojoschatz, du bist 12, naja fast 13…wenn du unbedingt was probieren willst…ich kann dich nich davon abhalten und das ist das schlimmste. Ich bitte dich nur vorsichtig zu sein, denn ich könnte es mir nich verzeihen, wenn dir was passiert.“

„Du bist also nich sauer oder so? Ich dachte, ich bekomm jetzt voll die Standpauke.“

Ich lachte traurig und zündete mir noch eine Zigarette an.

„Als ob das was bringen würde.“

Meine Schwester lachte und setzte sich mir gegenüber.

„Ich verspreche es dir“, sagte sie und schaute mich mit ihren Kinderaugen an. Ihre Hände berührten meine Wangen und Jojo war vermutlich der einzige Mensch auf dieser Welt, der mich nicht für verdorben hielt.

„Du bist so wunderschön Lukas…ich hab dich lieb und ich verspreche es dir.“

Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, um nicht zu heulen, denn ich wollte ihr ihre Illusion des großen starken Bruders nicht nehmen. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wie es um mich stand. Ich gab Jojo einen Kuss auf die Wange, zog mein Shirt an und ging raus.

Nici sah mir sofort an, dass etwas nicht stimmte. Sie führte mich in das Wohnzimmer, wo der Kamin brannte und herrliche Wärme ausstrahlte. Ich plumpste auf das weinrote Sofa und stütze den Kopf ich die Hände. All meine Glieder schienen so unendlich schwer zu sein. Sie setzte sich neben mich und ich barg meinen Kopf in ihrem Schoß. Die zarten Finger strichen über mein zerzaustes Haar, doch ich konnte mit ihr nicht ihr darüber reden.

„Lukas was ist los.“

„Nichts ist, mir geht es blendend.“

„Oh, ich kann es echt nich leiden, wenn du so redest. Verstehst du das nicht?“

Ich erhob mich und funkelte sie wütend an.

„Und weißt du, was mir tierisch auf die Nerven geht? Wenn du dauernd denkst du könntest mit deiner Einstellung die Welt retten!“

„Ach ja? Und jetzt? Ich will nich dauernd mit dir streiten.“

Nici glitt mit ihrer Hand unter meinen Pullover und fuhr zärtlich mit den Fingern über die Narbe an der rechten Seite meines Bauches. Ich zuckte leicht zusammen, auch wenn sie schon längst verheilt war. Sie lächelte auf mich herab und ich erwiderte es, wenn auch nur schwach.

„Vergiss den Stress zu Hause erst mal. Gehen wir hoch in mein Zimmer?“

Ich erhob mich, wir fassten uns bei den Händen und gingen die steilen Treppen empor, wo ihr Zimmer lag.

„Hey, das wird schon wieder, meinst nicht?“

„Bitte rede jetzt nicht davon. Sag etwas schönes, damit ich auf andere Gedanken komme.“

„So schlimm. Na gut. Möchtest du, dass ich dich massiere?“

„Gern.“

Ich küsste Nici und ließ mich auf ihr Bett fallen. Sie setzte sich auf meinen Po und fing an mich zu massieren. Welch ein Gefühl, meine Glieder entspannten sich allmählich. Mir wurden die Augenlieder schwer und ein Schwall der Müdigkeit überkam mich.

Ich war kurz vorm Einschlafen, als Nici aufhörte mich zu massieren. Ich stützte mich auf meine Unterarme und sah sie an.

„Du hast so einen schönen Körper...“, sagte sie und fuhr über meine Narben auf der Brust und ich wusste, dass sie das nicht so meinte.

„Nici lüg nicht, ich weiß, was dich stört, aber ich werde mich nicht ändern.“

Meine schlechte Laune war verflogen. Ich holte aus meiner Hosentasche, die neben dem Bett lag, meine Zigaretten raus und setzte mich ans Fenster. Die Luft war feucht und kühl. Ich musste grinsen, weil ich mir gerade vorstellte, dass mich jemand beobachten könnte. Nici fing auch an zu lachen, wahrscheinlich dachte sie dasselbe.

„Ich an deiner Stelle würde vorsichtig sein. Deine Verehrerinnen können überall sein. Wenn du nicht aufpasst hängen am Montag noch Nacktfotos von dir in der Schule.“

„Das hättest du wohl gern. Wenn ich nicht bei offenem Fenster rauche nölst du auch wieder herum. Außerdem müssen die kleinen Mädchen jetzt schon längst im Bett sein.“

„Du könntest es auch sein lassen.“

Diesen Satz hatte sie schon so oft zu mir gesagt und wusste, dass ich niemals damit aufhören könnte.

„Weißt du was? Ich habe letzte Woche nicht ein einziges Mal gekifft. Da kannst‘e richtig stolz auf mich sein.“

Ich grinste zu Nici und ein Ausdruck der Erleichterung hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Ich war selbst stolz darauf und vielleicht würde ich es ja irgendwann doch noch schaffen aufhören zu rauchen. Ich kroch wieder zu Nici unter die Bettdecke.

„Nadja will morgen ihren Geburtstag feiern. Hättest du Lust mitzukommen?“

„Morgen ist schlecht, weil wir morgen proben wollen wegen dem Konzi nächsten Samstag. Ist schlimm wenn du alleine zu Nadja gehen musst?“

„Nein. Hätte mich aber gefreut, wenn du dabei gewesen wärst.“

Ich gab ihr einen Kuss und schlief in ihren Armen ein.

Als ich erwachte, lag ich allein im Bett. Die Sonne schien hell ins Zimmer und Nici kam mit einem Tablett durch die Tür. Ich wüsste nicht, wann mir mal jemand das Frühstück ans Bett gebracht hat. Es war wundervoll und ihr Gesicht strahlte so hell wie die Sonne. Wir machten es uns bequem und aßen gemütlich Frühstück, danach zog ich meine Klamotten an und machte mich auf den Heimweg. Nici sagte, dass sich mich später noch mal besuchen wolle. Noch einen Abschiedskuss und dann schnell nach Hause um noch ein paar Sachen zusammen zu packen und dann ab in den Proberaum.

Meine Mum bereitete schon das Mittagessen vor. Ich begrüßte sie flüchtig und ging hoch in mein Zimmer, weil ich unbedingt eine rauchen musste.

Schon um zwei! Verdammt, wie schnell die Zeit doch verging.

Meine Mum rief von unten hoch, ob ich noch mit Mittag essen würde.

„Ja. Muss mich aber beeilen!“

Mich wunderte es, dass sie mich noch nicht auf den Elternabend angesprochen hatte.

„Mein Gott, du bist doch gerade erst gekommen. Wo willst du denn schon wieder hin?“

„Muss in den Proberaum wegen dem Konzert morgen Abend.“

„Mach lieber mal was für die Schule. Bis jetzt habe ich mir jegliches Kommentar verkniffen.“

„Ich werde auch wieder besser.“

„Ach ja? Mit deinen Noten schaffst du keinen guten Abschluss!“

Ich zuckte wie immer mit den Schultern.

„Was ist bloß aus dir geworden?“

Sie schüttelte nur mit dem Kopf und deckte für Jojo, meine Mum und mich den Tisch. Als ich Jojo sah, fiel mir sofort auf, dass sie wahrscheinlich wieder die halbe Nacht unterwegs gewesen ist. Mit ihren neuen Punkfreunden. Nur hatte ich im Moment wenig Zeit, mich um sie zu kümmern. Doch da kam mir eine Idee.

„Hey Kleines, willst du nachher mit in den Proberaum und morgen mit zum Auftritt kommen?“

„Ja gern. Muss dann aber heute Abend noch wohin.“

Vielleicht konnte ich ihre Leute auch zu uns locken, da bekam ich ein Bild davon, wie die so drauf waren. Jetzt duschen und dann ab in den Proberaum. Noch unnötig zu Recht machen war jetzt sinnlos. Die anderen würden auch nicht besser aussehen. Jojo begleitete mich tatsächlich, worüber ich mich freute. Außerdem hatte sie gesagt, dass sie Tim und Flo gern mal wiedersehen würde. Für eine Weile beruhigte mich das. Auf dem Weg machte ich noch kurz an der Tankstelle halt, um mir Zigaretten zu kaufen.

Der Proberaum war noch verschlossen, da Tim nicht weit entfernt wohnte ging ich schnell zu ihm. Der faule Sack lag noch im Bett. Während er sich langsam mit dem Gedanke anfreundete endlich aufzustehen, tranken Jojo und ich mit Alex noch eine Tasse Kaffee.

„Also echt mal, ich habe gedacht du hast Tim langsam mal erzogen.“

Sie grinste mich nur an.

„Dafür war es schon zu spät. Tim kann man nicht mehr erziehen. Du kannst ruhig eine rauchen wenn du willst. Aber bitte in der Küche wegen der Kleinen. Sie macht gerade Mittagsschlaf.“

„Darf ich mal zu ihr gehen?“, fragte ich.

Alex führte mich zum Schlafzimmer, wo die kleine Amy schlummerte. Sie war das schönste Baby, das ich kannte. So zierlich und zerbrechlich und doch so real. Sie war gerade einmal zwei Monate alt und mit solchen Eltern wie Tim und Alex konnte sie wirklich zufrieden sein. Ich streichelte ihr ganz leicht über die glatte Wange und da lächelte sie auf einmal. Ich konnte mein Blick gar nicht mehr von ihr wenden.

„So. Lassen wir die kleine Maus noch ein bisschen schlafen. Wenn sie munter ist, komme ich mit ihr mal in den Proberaum, einverstanden?“

„Oh ja. Da fahr ich sie spazieren.“

„Ich sehe schon, du gehst deiner Pflicht als Patenonkel nach.“

„Hab ich euch ja auch versprochen.“

Ich ging wieder in die Küche und zündete mir eine Zigarette an. Tim war schon bis in die Küche gekommen, wie erstaunlich. Er war echt der chaotischste Kumpel den man sich vorstellen konnte, aber manchmal konnte ich ihn wirklich nicht verstehen. Wie kann man nur bis um zwei nachmittags wohlgemerkt im Bett bleiben und dann auch noch mit so einer Seelenruhe Kaffee trinken, obwohl man sich ja eigentlich halb drei schon wieder verabredet hat. Das ist halt Tim. Wir saßen uns gegenüber und schwiegen uns an. Er in nur in Boxer Shorts und mit leicht zerzausten Haaren, eigentlich noch gar nicht richtig munter. Auf einmal musste ich lachen und Tim spukte den Kaffee, den er gerade im Mund hatte über den gesamten Tisch, weil er auch lachen musste.

„Du verdammtes Arschloch! Erst klatscht du mich aus dem Bett und lässt mich dann noch nicht mal in Ruhe meinen Kaffee trinken.“

„Sorry aber du müsstest dich mal sehen. Das ist nur zum Lachen. Ich meine du weißt ja sicherlich, dass wir uns halb drei am Proberaum treffen wollten.“

„Ach du Scheiße, da hab ich doch gar nicht mehr dran gedacht. Wie spät ist es denn?“

Ich konnte mich nicht mehr halten vor lachen. So blöd kann man doch gar nicht sein, vor allem weil Tim derjenige gewesen ist, der vorgestern gesagt hat, dass wir uns um die Zeit treffen wollen.

„Du hast genau noch ne viertel Stunde Zeit. Es ist wahrscheinlich besser, wenn ich schon vorgehe und den anderen Bescheid sage, dass es bei dir noch ein bisschen dauert.“, antwortete ich, als ich mich wieder beruhigt hatte. Tim stand auf und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf, dann verschwand er ins Bad, wo erstaunlicher Weise nur fünf Minuten brauchte. Er gab Alex noch einen Kuss und dann konnten wir los. Jojo wollte später mit Alex nachkommen, war mir auch ganz recht. Hier konnte sie wenigstens nichts anstellen.

Wir waren fünf vor halb da, glücklicherweise die ersten. Tim schloss auf und wir machten es uns auf dem Sofa bequem und machten den CD Player an. Es war noch Nine Inch Nails vom Vorabend drin. Flo und Basti kamen als nächstes, wenige Minuten später auch Chris. Nun waren wir komplett, doch hatte keiner von uns schon richtige Lust etwas zu machen. Flo und Basti hatten einen Kasten Bier mitgebracht und so ging es auch schon in die erste Runde. Mit Trinken konnte man nie früh genug beginnen.

„Ist dein Schlagzeug wieder repariert Basti?“

„Jo. Mein Bruder hat das kaputte Becken ausgetauscht. Ein Glück sonst hätten wir nen echtes Problem gehabt. Spielen wir morgen eigentlich die älteren oder schon die neuen Songs?“

„Ich würde sagen wir nehmen ein paar neue Lieder mit rein.“

Es war genial eigene Songs zu schreiben. Ich war so stolz auf uns. Am Anfang als ich Nocturna gründete hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir überhaupt mal Erfolg haben werden.

„Lukas träumt schon wieder vom großen Erfolg. Einmal mit den 69 Eyes oder so zusammen auf der Bühne stehen.“

Tim stieß mir mit dem Ellenbogen in die Rippen und grinste dämlich.

„So Jungs! Auf, weil wenn ihr erst mal besoffen seit bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob das mit proben noch klappt.“

Ich erhob mich selbstverständlich als erster und begann schon die Instrumente aus dem Keller zu tragen. Die anderen halfen mir dabei.

Irgendwie lief alles schief, kein Strom, das Mikrophon hatte ein paar Aussetzer und so weiter. Als wir nun so weit alles wieder in Ordnung hatten, war es bereits fast um sieben. Wir machten nun eine Liste, welche Lieder wir spielen wollten. Es kam eine Mischung aus neu und alt zusammen, also Songs vom alten Album Immortal und neue Songs vom aktuellen Album, welches man eher in die Kategorie Gothic Rock einordnen konnte. Die Texte waren meist sehr emotional, denn man muss ja auch mal Fortschritte machen. Ich wollte etwas ganz besonderes spielen. Im ersten Album wollte ich die Leute zum nachdenken anregen, man kann sogar sagen, dass es eine Art Tagebuch von mir ist weil ich in vielen Liedern meine eigene Vergangenheit verschlüsselt habe. Es ist eher sanfter Metal aber auch nicht ganz ohne. Ich hatte auch nie vor irgend so eine Teenie Rock Band auf die Beine zu stellen wollen. Halt mal was anderes und ich glaube das ist mir gelungen. Doch muss ich dabei auch beachten, nicht immer von mir alleine zu sprechen, ohne meine Freunde hätte ich niemals so weit gebracht. Selbst wenn ich nicht alle gleich gern habe weiß ich, dass sie in jeder Lebenslage zu mir halten, selbst wenn ich Unrecht hätte. Und wenn mich die ganze Welt hassen würde wäre mir das egal. Ich habe die tollsten Freunde, die auch wissen, was ich wirklich für ein Mensch bin, die wissen, dass sie auch mir vertrauen können und das ist glaub wichtiger, als wenn man die ganze Welt zum Freund hat und im Endeffekt doch allein dasteht.

Wir saßen in gemütlicher Runde um den kleinen Tisch herum, als Alex mit Johanna kam. Amy zappelte mit Armen und Beinen, als sie Tim erblickte. Er nahm sie auf den Arm und überhäufte sie mit küssen, dabei lachte sie. Jojo kam zu mir und ich konnte mir schon vorstellen, was sie von mir wollte.

Wir nahmen etwas Abstand von den anderen und setzten uns an den Bühnenrand.

„Du willst mich jetzt fragen, ob du noch mal weg darfst. Stimmt‘s?“

„Ja. Darf ich?“

„Ja, aber pass auf dich auf okay. Wenn ihr wollt könnt ihr auch noch mal hier vorbeikommen.“

„Mhh, ich frag mal und schreib dir. Wie lang seid ihr noch hier?“

„Weiß nich, bissl schon noch.“

„Na gut, trink nicht so viel“, mahnte sie mich spaßhaft.

„Das kann ich nur zurückgeben.“

Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Ich hoffte nur, dass ich das Richtige tat.

„Lukas, wirst du Mama was sagen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich vertraue dir Jojo, nur falls irgendwas ist oder so, du kannst mich auch mitten in der Nacht anrufen, verstanden?“

Sie schaute mich lange an.

„Ich habe nicht gewusst, dass ich dir so viel bedeute. In letzter Zeit hast du dich kaum um mich gekümmert und da habe ich gedacht, dir ist egal was aus mir wird.“

„Mein Gott Jojo! Wie kannst du das nur denken? Du hast ja recht, ich hatte in letzten zwei Wochen wirklich kaum Zeit, aber wie kannst du deshalb nur glauben, dass du mir egal bist? Ich will dich nur nicht verlieren. Du bist der einzige Mensch in unserer Familie, der mir lieb und teuer ist und ich kann nicht mit ansehen, wie du zugrunde gehst. Verstehst du das?“

Jojo sah mich mit diesem kindlichen Blick an und nickte zur Antwort. Ich drückte sie fest an mich. Ich wollte sie vor all dem beschützen, sie sollte diesem Teufelskreis nicht noch näher treten und noch konnte ich sie davor bewahren.

„Lass mich nie mehr so allein, wie in den letzten Tagen. Bitte Lukas, versprich mir das!“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und trug sie in den Proberaum. Alle hatten sich um Amy gescharrt, wahrscheinlich waren sie auch so fasziniert von der Kleinen wie ich. Ich trank mein Bier aus und machte mich mit Jojo auf den Heimweg.

Nicht weit von unserem Haus hatte sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Sie waren von 14- 18 schätzte ich. Jojo zog nervös an meinem Ärmel.

„Das sind sie. Ich red kurz mit ihnen.“

Ich nahm sie an die Hand und ging langsam auf die Haustür zu, da kam ein Junge auf mich zu. Ich setzte einen gelassenen Blick auf und fragte, was er von mir wolle. Ich fand es immer wieder zum Lachen, wie Leute vor meinem Aussehen zurückschreckten. Er ging zwei Schritte rückwärts.

„Oh, ähm, du bist bestimmt Johannas großer Bruder. Cooles Outfit...öhm, könnte deine Schwester noch mal mit raus kommen?“

„Ein anderes Mal wieder.“

„Nur ne Stunde oder so, wäre echt nett.“

Ein andere kam hinzu, Jojo trat neben mich und lächelte den Jungs zu.

„Ich fühl mich heut nicht so, lasst uns die Tage schreiben okay?“

„Na gut.“, sagte der eine mit rotem Iro und umarmte meine Schwester.

„Hast du nich ne Band?“, fragte mich der andere Junge. Ich nickte.

„Jepp, ihr könnt gern auch mal bei uns im Proberaum vorbeikommen, ich fänd‘s cool Jojo ihre Freunde mal kennenzulernen.“

So verkehrt schienen die Jungs wirklich nicht zu sein.

„Klar voll gern“, sagte der Rothaarige.

„Dann euch beiden noch einen schönen Abend!“

Die beiden Jungs nickten uns zu und gingen weg. Jojo strahlte übers ganze Gesicht und umarmte mich.

„Du bist der Größte!“

Meine Mum und Klaus waren noch nicht da. Sie hatten vor sich einen gemütlichen Abend zu machen und irgendwie mal schön Essen oder ins Kino gehen. Mir sollte das ganz recht sein. Ich legte meine Jacke in mein Zimmer und ging mit Jojo runter in die Stube, wo ich erst mal eine rauchen musste. Sie wollte noch nicht mal ziehen. Ich fragte sie auch nicht, war besser so. Ich holte mir aus dem Kühlschrank ein kaltes Bier und setzte mich zu Jojo aufs Sofa. Sie kuschelte sich an mich und wir hörten auf ihren Wunsch Manson.

„Kann ich morgen mit zum Konzert kommen?“

„Was fragst du da noch, ich hätte dich sowieso mitgenommen. Damit du mir ja keine verbotenen Dinge machst.“, witzelte ich.

„Mach ich nicht mehr, versprochen!“
 

 



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