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Bedrohte Bestimmung

von

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Rückblende: Wiedersehen

Jodie sah gedankenversunken auf die Einladungskarte in ihrer Hand. Die Vorderseite wurde von mehreren Kirschblüten geziert, während das Innere sehr schlicht gehalten wurde. Die Namen des glücklichen Paares sowie das Datum waren sowohl in Druckschrift als auch in japanischen Schriftzeichen dargestellt.

Ganz langsam strich sie mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand über den Text. Ihr bester und einziger Freund aus der Schulzeit würde in wenigen Wochen in Tokyo vor den Traualtar treten und seine langjährige Freundin Yumi Miyamoto heiraten. Dass Shukichi mit dem Gedanken spielte ein Studium in Japan aufzunehmen, verbarg er nie. Als es dann in ihrem zweiten Studienjahr soweit war, schmerzte der Verlust. Zwar lernte sie im Studium viele Menschen kennen und freundete sich mit einigen an, aber mit Shukichi verband sie eine viel tiefere Freundschaft. In der ersten Zeit nach seinem Abschied telefonierten sie noch regelmäßig – jede Woche, dann jeden Monat und zum Schluss nur noch an Geburts- und besonderen Feiertagen.

Jodie fand nie die Zeit um Shukichi in Japan zu besuchen. Entweder es lag an dem Studium oder an der wenigen Zeit von Shuichi. Zeit. Sie dachte, sie hatte noch so viel davon. Aber die Zeit verflog und jetzt war sie allein…und einsam.

Die Melancholie erfasste Jodie als sie an die Zeit zurück dachte. Es gab sowohl schöne als auch schlimme Momente. Als Tochter eines FBI Agenten hatte es Jodie in der Schule nicht leicht. Die Mitschüler mieden sie. Nie wurde sie zu einer Party oder zu einer anderen Gruppenaktivität eingeladen. Alle hatten Angst vor ihrem Vater und den möglichen Konsequenzen, wenn er gegen sie ermitteln würde. So saß sie immer alleine zu Hause, machte Hausaufgaben, lernte und brachte gute Noten nach Hause. Und dann kam Amber Weston. Sie war zwar älter und kommandierte Jodie herum, aber Jodie glaubte eine Freundin zu haben. Amber – mittlerweile hatte Jodie gelernt damit umzugehen – benutzte diese Freundschaft um sich vermehrt in Internetportalen anzumelden und vergebene Männer zu erpressen. Einer davon war Ambers eigener Vater. In seiner Wut und Schmach sah Tom Weston keine andere Möglichkeit als Amber zu erwürgen. Als wäre es nicht genug, hatte Jodie am Abend zuvor den Fehler begangen und war mit Connor, einem Mitschüler, nach Hause gegangen. Durch falsche Informationen von Amber sperrte er sie für die ganze Nacht in den Kellerraum seines Elternhauses. Aufgrund der Beweiskette wurde Connor für den Mord an Amber verurteilt und fand über ein Jahr später selbst den Tod. Um ein Haar wäre es auch für Jodie zu spät gewesen, wenn nicht ihr Vater und Shuichi rechtzeitig gekommen wären. Nachdem endlich alles ausgestanden war, konnte Jodie ein normales Leben führen und die frische Beziehung mit Shuichi in vollen Zügen genießen. Anfangs zweifelte sie immer wieder an sich selbst: Aussehen, Gewicht und die nicht vorhandene Erfahrung mit dem anderen Geschlecht. Shuichi konnte ihr all diese Sorgen nehmen und sie war glücklich. Doch dieses Glück hielt nicht für die Ewigkeit. Drei Jahre später waren sie getrennt. Von heute auf morgen. Ohne Vorwarnung. So als hätten sie einander nichts mehr bedeutet. Sie führten ihr Leben ohne den anderen fort. Aber sobald sie ihr Weg in die gleiche FBI Niederlassung führte, würden sie einander wiedersehen müssen. Bis dahin musste es Jodie schaffen und über ihn hinweg kommen. Irgendwie.

„Fliegst du hin?“

Noch immer starrte Jodie auf die Karte. Wenn sie an das unglückliche Ende ihrer Beziehung dachte, kämpfte sie gegen die Tränen an. Aber Jodie musste stark sein und durfte sich nichts anmerken lassen. Ansonsten würde sie mit dem Weinen nicht mehr aufhören können.

„Jodie?“ Angela winkte mit der Hand vor dem Gesicht ihrer Tochter.

Jodie sah irritiert auf. „Mom? Was…Entschuldige, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?“

„Ich hab dich gefragt, ob du zu der Hochzeit von Shukichi fliegen willst.“

„Mhm…Ich bin mir noch nicht sicher“, murmelte Jodie. Wie sollte sie sich auch so spontan entscheiden? „Wurdet ihr…auch eingeladen?“

Angela nickte. „Aber wir kriegen nicht so kurzfristig Urlaub.“

„Du solltest fliegen.“ Agent Starling kam in die Küche. „Auch wenn ihr euch lange nicht mehr gesehen habt, ist Shukichi dein bester Freund. Er freut sich sicher, wenn du dabei bist. Und ohne Grund hätte er dich nicht eingeladen.“

„Mhm…“, gab Jodie von sich. „Ich weiß nicht, ob ich Urlaub bekomme…ich muss erst mit meinem Chef reden.“

Agent Starling nahm den Briefumschlag. „Schade, dass die Einladung so lange in der Post gelegen hat. Ich hätte gerne Japan kennen gelernt.“

Angela nickte. „Kann man nichts machen, Liebling. Wir finden bestimmt noch eine andere Gelegenheit“, entgegnete sie. „Mich wundert es, dass Shukichi deine Einladung auch hierher schickte. Er hat doch deine Adresse oder?“

Jodie nickte. Sie war vor einem halben Jahr in ihre eigenen vier Wände gezogen. Die Wohnung war zwar klein, aber es war ihr eigenes Reich. Dort konnte sie tun und lassen was sie wollte. Dennoch kam Jodie regelmäßig an den Sonntagen nach Hause und aß mit ihren Eltern. „Wahrscheinlich hat er nicht mehr daran gedacht.“

„Das wird’s wohl gewesen sein“, meinte der Agent. „Shuichi wird nicht zur Hochzeit fliegen.“

Jodie wurde hellhörig. „Mhm? Was meinst du?“

Der Agent beobachtete seine Tochter. „Er wird nicht zur Hochzeit nach Tokyo fliegen können“, wiederholte er. „Shuichi und sein Partner sind momentan in einen wichtigen Fall eingebunden. Am Tag der Hochzeit ist ein Anhörungstermin vor Gericht angesetzt und er muss dabei sein.“

„Oh“, sagte Jodie leise. Natürlich wusste sie, dass Shuichi seine Ausbildung in Quantico beendete und seine Probezeit in der FBI Niederlassung in New York anfing. Dennoch vermied sie es ihren Vater nach ihm auszufragen.

„Oh? Mehr hast du dazu nicht zu sagen? Du fragst nicht, ob der Gerichtstermin verschoben werden kann? Oder ob es möglich ist, dass Shuichi Sonderurlaub bekommt?“, wollte Starling wissen.

Jodie zuckte mit den Schultern. „Er ist erwachsen, Dad, und er kann tun und lassen, was er will. Er schuldet niemanden Rechenschaft. Es tut mir zwar leid für Shukichi, aber wenn Shuichi es nicht einrichten kann, dann kann ich daran auch nichts daran ändern.“ Jodie merkte, wie falsch es sich anhörte.

„Ach Jodie“, murmelte Angela. Es schmerzte sie ihre Tochter leiden zu sehen. Seit der Trennung war Jodie nicht mehr sie selbst.

„Es geht mir gut, Mom“, sagte die Studentin und sah noch einmal auf die Karte. „Ihr meint also…ich sollte fliegen?“

„Aber natürlich“, fing Starling an. „Shukichi freut sich bestimmt auf euer Widersehen. Ihr habt euch so lange nicht mehr gesehen. Du hast dir auch ein paar freie Tage verdient.“

Jodie versuchte zu lächeln und legte die Einladung weg. „Ich überleg es mir.“
 

Jodie seufzte und sah aus dem Fenster. Das Flugzeug befand sich bereits im Landeanflug auf den Flughafen Tokyo-Narita. Als sie ihren Urlaubsantrag einreichte, ging sie davon aus, dass dieser nicht genehmigt werden würde. Doch ihr Chef aus dem Buchverlag überraschte sie und so hatte Jodie keine Ausrede um die Familie ihres Ex-Freundes nicht zu besuchen. Ihren ersten Ausflug nach Japan hatte sich die Studentin ganz anders vorgestellt. Sie hätte mit Shuichi im Flugzeug sitzen und anschließend mit ihm die Stadt erkunden sollen. Danach hätte sie sich noch seine Lieblingsorte zeigen lassen und sie wären müde ins Hotel zurück gekehrt. Stattdessen befand sie sich nun alleine in einem fremden Land.

Das Flugzeug drosselte seine Geschwindigkeit und setzte auf die Landebahn auf. Langsam rollte es auf das Gate zu. Sobald eine Durchsage kam, begannen viele Amerikaner hektisch aufzustehen, ihre Handgepäckstücke zusammen zu sammeln und eine Schlange auf dem Gang zu bilden. Jodie beobachtete kopfschüttelnd dieses Bild und zog ihr Handy heraus. Sie strich über den Bildschirm und beendete den Flugzeugmodus. Bereits vor einigen Stunden war die erste Nachricht von Shukichi eingegangen und vor wenigen Minuten die zweite. Sie lächelte und begann zu tippen. Bin gerade gelandet. Sehen uns in etwa 30-45 Minuten. Jodie. Als sie das Handy wieder wegsteckte, begannen die ersten Menschen aus dem Flugzeug zu steigen. Nachdem der Großteil des Flugzeuges leer war, stand Jodie von ihrem Platz auf und holte den Handgepäckskoffer hervor. Sie streckte sich und gähnte. Dank der Tipps von Shukichi machte sich der Jetlag noch nicht bemerkbar. Sobald Jodie konnte, folgte sie ihrem Vorgänger aus dem Flugzeug und ging mit der Menschenmasse zum Ausgang. Glücklicherweise stand auch das Wort Exit in englischer Sprache auf den Schildern. Als Jodie am Ausgang ankam, sah sie sich nach ihrem Schulfreund um. Mit einem Mal lächelte sie und lief auf ihn zu. „Shukichi“, stieß sie aus und umarmte ihn herzlich.

Der junge Japaner wirkte sichtlich verlegen. „J…Jodie…“

Sie ließ von ihm ab. „Hi…äh…hab ich was falsch gemacht?“

„Nein, nein, schon gut“, sagte er und kratzte sich an der Wange. „Normalerweise begrüßen sich Japaner nicht so herzlich. Aber mach dir keine Gedanken darüber.“

„Oh…tschuldige. Das wusste ich nicht.“

„Das macht doch nichts“, entgegnete er. „Wie war dein Flug?“

„Ganz gut. Der Start verlief planmäßig und wir hatten keine Turbulenzen. Selbst das Essen war genießbar.“ Jodie streckte sich erneut. „Man bin ich froh endlich wieder auf dem Boden zu stehen.“

„Dann hat es dich besser getroffen als meine Eltern. Sie kamen mit ziemlicher Verspätung an und mussten in Peking zwischenladen. Aber sie sind zum Glück hier.“ Shukichi lächelte. „Na gut, holen wir mal deinen Koffer und ich bring dich in dein Hotel.“

„Ist gut.“ Jodie folgte ihm. „Haben deine Eltern auch ein Zimmer in meinem Hotel?“

„Nein, sie wohnen bei meiner Tante und meinem Onkel. Die beiden haben ein großes Haus.“

„Mhm…ich glaube Shuichi hat mir von ihnen erzählt. Ihr habt noch zwei Cousinen, richtig?“

„Genau. Akemi und Shiho. Die Beiden werden sich ein Zimmer teilen müssen, aber das sollte kein Problem darstellen.“ Shukichi sah sie an. „Es ist auch kein Problem, wenn du die Tage bei uns bleiben willst. Für die Hochzeit haben wir sowieso ein Hotel gebucht.“

„Ich würde euch doch nur stören, Shukichi“, fing Jodie an. „Deine Braut hat bestimmt anderes zu tun, als sich um mich zu kümmern und zu bewirten. Und ein Hotel hat ja auch Vorteile, ich kann tun und lassen was ich will. Ich komm schon klar und am Tag der Hochzeit lass ich mir an der Rezeption ein Taxi rufen.“

Shukichi schmunzelte. „Also gut. Aber ich hole dich morgen früh ab und wir frühstücken zusammen. Danach kann ich dir noch etwas die Stadt zeigen. Yumi wäre gern dabei gewesen, aber sie hat die Frühschicht und muss danach noch zum Friseur. Ich soll dich aber ganz herzlich für morgen Abend zu uns zum Abendessen einladen.

„Es wäre mir eine Freude“, antwortete Jodie.
 

Yumi beobachtete Shukichi und Jodie argwöhnisch. „Das ist sie also“, murmelte sie leise.

Miwako seufzte und lehnte sich gegen die Wand. „Bist du jetzt beruhigt, Yumi?“, wollte die Polizistin wissen. Im Nachhinein wusste sie nicht einmal, warum sie sich auf eine solch absurde Aktion einließ.

„Beruhigt?“, kam es von Yumi. „Schau sie dir doch an. Sie hat blondes Haar und so lange Beine...Ich…ich hab mir seine beste Freundin anders vorgestellt…“

Miwako sah sie erstaunt an. „Er hat dir nie Fotos von ihr gezeigt?“

„Es gab nicht so viele Fotos. Und auf denen sah sie…jünger aus…wie ein Mauerblümchen eben.“ Yumi seufzte. „Ich wünschte, sie wäre hässlicher. Und morgen ist er den ganzen Tag mit ihr zusammen…wie soll ich das überstehen?“

„Die beiden sind doch nur befreundet“, entgegnete Miwako. „Shukichi liebt dich und ihr heiratet übermorgen.“

„Männer und Frauen können nicht nur befreundet sein“, sagte die Verkehrspolizistin. „Früher oder später kommen Gefühle ins Spiel.“

Miwako seufzte. „Du schaust zu viele Fernsehserien.“

„Miwako.“ Yumi nahm ihre Hände. „Ich muss morgen früh arbeiten, daher musst du mir zur Seite stehen und die beiden nicht aus den Augen lassen. Wenn dir irgendwas verdächtig vorkommt oder sie sich an Chukichi ran macht, rufst du mich sofort an.“

„Yumi.“ Miwako seufzte erneut. „Du siehst Gespenster.“

„Findest du? Ich hab seine Eltern gehört. Sie finden es sehr schade, dass Jodie nicht ihre Schwiegertochter wurde. Und als er sie zu unserer Hochzeit einlud, hat er sehr lange mit sich gerungen. Das hat bestimmt etwas zu Bedeuten.“

„Das hat bestimmt nichts zu bedeuten. Du hast mir doch erzählt, dass er einen älteren Bruder hat. Möglicherweise ist sie seine Ex-Freundin.“

Yumi überlegte. „Jetzt wo du das sagst…“

„Oh, Yumi…Aber jetzt weißt du, dass du dir keine Sorgen machen musst.“

„Ja“, gab diese von sich und sah wieder zu Jodie und Shukichi. „Sie sind weg.“

Miwako folgte ihrem Blick. „Vermutlich holen sie den Koffer und er bringt sie ins Hotel.“

„Mhm…wird wohl so sein…Miwako, was hältst du davon, wenn…“

„Nein, wir verfolgen sie nicht“, antwortete diese energisch.

„Das wollte ich doch gar nicht sagen“, kam es von Yumi. „Ich wollte dich zur Nudelsuppe einladen.“

„Wenn das so ist…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shu_Akai
2018-08-20T18:54:20+00:00 20.08.2018 20:54
Hallo Varlet! Das zweite Kapitel ist dir wieder grandios gelungen 👍.
Dabei hast du auch deine Vorgänger Fanfiktion Bedrohte Bestimmung kurz und knapp zusammengefasst 😍.
Schade finde ich, dass Jodie früher ausgegrenzt wurde und das nur wegen dem Job von ihrem Vater!
Zu sehen das Shukichi Jodie nach all den Jahren nicht vergessen hat und ihr sogar eine Einladung zu seiner Hochzeit sendet, finde ich schön.
Das sich Shu und Jodie getrennt haben, ist natürlich weniger schön. Vllt. hatte Shu ja seine Gründe ?
Gut, das sich Jodie doch noch entschieden hat, nach Japan zur Hochzeit ihres Freundes zu fliegen. Da kann sie neue Kulturen entdecken.
Bei den letzten Teil der Geschichte mit Yumi und Miwako musste ich voll lachen 😂.
Das die Shukichi heimlich beobachtet, ist schon lustig und das die im Nachhinein versucht Miwako noch weiter einzuspannen noch mehr. Vor allem der letzte Satz von Yumi, wo Miwako sie nicht hat aussprechen lassen, obwohl Yumi sie nur zur Nudelsuppe eingeladen hat und Miwako dachte das die Frage kommt ob sie die verfolgen würden. 😂😂😂
Hoffentlich sind dir meine Kommentare zu deinen Kapiteln nicht zu lang?
Ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel.
Zum Schluss, wünsche ich Dir noch einen
schönen Tag und eine angenehme Woche.
Viele Grüße

Antwort von:  Varlet
26.08.2018 19:56
Danke für deinen Kommentar. Ich freue mich tierisch darüber.
Ich kann dir schon versprechen, dass der Grund für die Trennung der Beiden noch raus kommt :)
Hoffentlich gefällt dir auch das nächste Kapitelchen ^^

Viele Grüße


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