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Die Leute von Millers Landing

von

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Die Robe

Lydia beobachtete beinahe schon amüsiert ihren Ehemann am Frühstückstisch. Er schien sich unbehaglich zu fühlen, drehte sich dauernd nach ihr um, war wachsam! Wenn sie ihn jetzt eun wenig zu laut anspräche, würde vor Schreck wohl sein Herz stehen bleiben, überlegte sie. Nicht, dass Lydia seinen Tod gewollt hätte. Ihr ging es nur darum, sich sichtbar zu fühlen. Und in diesem Augenblick galt seine ganze Aufmerksamkeit ihr.

Und das war wunderbar!
 

Noah war an diesem Vormittag wieder einmal sehr still gewesen und das war stets ein sicheres Zeichen dafür, dass er intensiv über etwas nachdachte. Was ihn so sehr beschäftigte war freilinch nicht schwer zu erraten, also fragte Joe ihn schließlich in der Mittagspause, als sie beide hinter dem Geschäft im Schatten saßen und ihre Pausenbrote vertilgten:

„Wie geht es denn Christian mittlerweile?“
 

„Besser, denke ich.“ gab Noah zurück.
 

Überrascht über die einsilbige Antwort fragte Joe weiter:

„Wie wird das nun mit euch beiden denn nun weitergehen?“
 

Noah zuckte mit den Schultern:

„Ich wünschte, dass wüsste ich!“ erwiderte er unglücklich:
 

„Christian lässt aber auch nicht locker, wie es aussieht, oder? Scheinbar hat er sich in den Kopf gesetzt, dass du ihn zurücknehmen solltest.“ bemerkte Joe schmunzelnd.
 

„Was würdest du das denn an meiner Stelle tun?“ wollte Noah wissen:
 

„Ich weiß nicht, wie ich dir das beantworten soll.“ ab Joe zurück: „Es hängt von dir ab, denke ich. Was fühlst du denn?“

Noah zuckte mit den Achseln, also fragte Joe weiter:

„Und was rät Alice dir?“
 

„Mit ihr kann ich darüber nicht sprechen. Sie versteht nicht, warum ich Christian überhaupt wieder in meine Nähe lasse und versucht, mich zu beschützen!“ antwortete Noah resigniert.
 

„Brauchst du denn Schutz vor ihm?“ forschte Joe weiter: „Alice war immerhin damals dabei, als das alles passiert ist. Vielleicht sorgt sie sich ja zu Recht?“
 

„Das ist es ja gerade!“ antwortete Noah: „Ich weiß es nicht! Christian hat sich im vergangenen Jahr total verändert. Heute ist er viel sanfter und geht wirklich liebevoll mit mir um. So war er früher nicht. Selbst als wir noch…du weißt schon! Auch da hat er mir schon irgendwie Angst gemacht und war unberechenbar! Wie kann ich mir da sicher sein?“
 

„Vielleicht kannst du das nicht, sondern musst es drauf ankommen lassen. Die Frage ist doch, ob es dir die Sache wert ist. Magst du ihn noch?“ erkundigte sich Joe.
 

„Sehr!“ gab Noah zurück: „Viel mehr als früher sogar! Wenn er in meiner Nähe ist, ist das so…schön und aufregend!“

Der Junge errötete bei diesem Geständnis und verbarg sein Gesicht hinter den Händen.
 

Joe kicherte und erklärte:

„Ich denke, da hast du deine Antwort! Und du bist ja nicht allein, falls es schief geht. Alice allein würde Christian dann schon gehörig einheizen. Und ich bin ja auch noch da!“
 

Noah nickte.

In seinem Kopf entstand ein Plan.
 

Justine war heute in den Ortskern von Millers Landing gekommen, um etwas abzuholen. Bereits vor zwei Wochen hatte sie beim Schneider ein Kleid für Kathryn in Auftrag gegeben. Natürlich hatten sie nicht Maß nehmen können, denn es sollte eine Überraschung werden, doch Justine hatte in den letzten Wochen ja ausgiebig Gelegenheit dazu gehabt, die Anatomie ihrer Geliebten zu studieren, um konkrete Schätzungen und Beschreibungen abzugeben.
 

Der Schneider von Millers Landing, ein gewisser Alexander Czerna hatte vielsagend gelächelt und sein Bestes gegeben. Er schien sofort zu wissen, welchen Grund Justine hatte, ein Kleid für eine andere Frau zu bestellen.

Und Justine war ihrerseits sofort alles über ihn klar gewesen ohne dass sie beide viele Worte darüber verlieren mussten.
 

Alexander war ein kleiner, schlanker, feingliedriger Mann von etwa sechzig Jahren. Das graue, immer noch volle Haar war sorgfältig geschnitten und mit Pomade zurückgestrichen. Er trug ein dünnes Oberlippenbärtchen und vermutlich die ausgesuchteste Garderobe im ganzen Ort. Er war ein liebenswerter Mann, wie Justine fand, doch er erschien ihr wie der einsamste Mensch, den sie je getroffen hatte.
 

Gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen waren die beiden auf die Vornamensbasis gewechselt wie Verschwörer und alte Bekannte.

Justine hatte eine konkrete Vorstellung von dem Stoff für die Robe gehabt. Es sollte hellgrüne Seide sein, im herrlichen Kontrast zu Kathryns roten Haaren.
 

Alexander, der diese natürlich vom Sehen kannte, so wie jeder andere im Ort nickte zufrieden und beglückwünschte Justine zu ihrer Stilsicherheit. Selbstverständlich hatte er etwas derart Exquisites nicht auf Lager, da er in Millers Landing keine entsprechende Käuferschaft fand, doch er war eigens dafür zu seinem Großhändler gefahren und hatte das Passende beschafft.
 

Das Kleid hatte etwas Besonderes werden sollen; übertrieben, großartig, seiner späteren Besitzerin voll und ganz würdig! Sicherlich würde sie nur selten Gelegenheit haben, es zu tragen. Es war eher dazu gedacht, es hin und wieder aus dem Schrank zu holen, um sein Gesicht an der sinnlichen, kühlenden Seide zu reiben und es zu bewundern. Aber letztlich, und Justine war ehrlich genug sich das einzugestehen sollte es sicherstellen, dass Kathryn sie nicht vollständig vergessen würde, sobald sie einmal fort wäre.

Und Alexander hatte wirklich ganze Arbeit geleistet! Das Kleid war wundervoll und erfüllte all` die Anforderungen, die Justine an es gestellt hatte.
 

Lydia hatte die Frau sofort erkannt, welche gerade die Schneiderei betreten hatte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Eine bessere Gelegenheit würde sich wohl nicht finden, sie anzusprechen. Sie an ihrem augenblicklichen Wohnort aufzusuchen hätte sie nicht gewagt, doch auch so war es noch immer schwer genug, sich ihr zu nähern.
 

Sie ging auf das Geschäft zu. Vor der Tür hielt sie eine Weile ängstlich inne, aber schließlich gab sie sich einen Ruck.

Im Laden bewunderte die Fremde gerade ein Kleid und sprach mit dem seltsamen, kleinen Schneider. Als sie eintrat, drehten die beiden sich nach ihr um und verstummten. Lydia machte ein paar Schritte auf die Frau zu, doch dann verließ ihr sie Mut und sie bekam kein Wort heraus. Anstatt dessen starrte sie die Fremde lediglich an; mit hochgezogenen Schultern und Händen, welche einander nervös kneteten.
 

Ihr war selbst klar, dass dieses Verhalten eigenartig war.

Sie musste jetzt schnell etwas von sich geben.

Sie begann zu Schwitzen.

`Komm` schon Lydia!´ schalt sie sich selbst und endlich stotterte sie:

„Sie sind diese Frau!Ich habe sie sprechen hören!“

Sie erschrak über den Klang ihrer eigenen Stimme, weil sie sie so lange nicht mehr gehört hatte.
 

Die Fremde lächelte, streckte ihre Hand aus und stellte sich vor:

„Guten Tag! Mein Name ist Justine Carpenter. Ich freue mich, sie kennen zu lernen.“

Lydia ergriff die hingehaltene Hand schüchtern und erwiderte:

„Ich heiße Lydia! Ihre Worte waren so…ich meine... uhm..., sie haben alles verändert! Ich würde gern mit ihnen über das alles sprechen, bitte!“
 

Justines Lächeln wurde noch ein wenig breiter und sie antwortete:

„Wir können uns gerne ein wenig austauschen, wenn sie wollen. Sie wissen ja sicher, dass meine Freundinnen und ich derzeit im roten Haus zu Gast sind. Begleiten sie mich doch gleich dorthin.“
 

Lydia wurde bleich bei der Vorstellung und sie schüttelte den Kopf:

„Mein Mann!“ sagte sie aufgeregt: „Er dürfte mich dort auf keinen Fall sehen. Er darf nicht einmal wissen, dass ich mit ihnen gesprochen habe!“
 

„In Ordnung!“ sagte Justine beschwichtigend zu der aufgebrachten Fremden: „Ich weiß etwas anders. Kennen sie die einsame Grabstätte jenseits der Stadtgrenze, wo die Eichen stehen? Dort kommt doch niemals jemand hin und wir würden nicht gesehen werden. So gegen vier Uhr vielleicht?“
 

„Einverstanden! Bis später dann!“ erwiderte Lydia hektisch nickend und verließ das Geschäft ohne ein weiteres Wort, als sei der Teufel hinter ihr her.
 

Justine blickte der Fremden kopfschüttelnd hinterher:

„Das war ja eigenartig!“ kommentierte sie.
 

„Sogar noch eigenartiger, wenn du weißt, wer sie ist, Liebes. Sie ist nämlich die Frau des Sheriffs.“ erklärte Alexander.
 

„Sehr interessant!“ erwiderte Justine stirnrunzelnd: „Wirklich sehr interessant!“
 

Dann bedankte sie sich für Alexanders gute Arbeit und bezahlte die stolze Summe, welche gefordert wurde, ohne mit der Wimper zu zucken.
 

„Ich denke, deine Füchsin wird fantastisch darin aussehen.“ meinte Alexander noch spitzbübisch: „Kommt wieder, falls noch etwas geändert werden muss!“
 

Christian hatte sich vor dem „Yasemines“ auf die Veranda gesetzt, um ein wenig Sonne zu tanken. Alice kam zu ihm herüber geschlendert, nahm gegenüber auf dem Geländer Platz und musterte ihn schweigsam:
 

„Was denn?“ fragte Christian schließlich freundlich: „Versuchst du, durch Anstarren herauszufinden, wie gefährlich ich bin?“
 

„So etwas in der Art!“ gab Alice schroff zurück: „Und ich will wissen, was du von Noah willst?“
 

Christian lächelte:

„Ich weiß genau, warum Noah dich so mag. Du bist unter deiner rauen Schale wirklich ein netter Mensch und eine treue Freundin! Er hat Glück, dich zu haben!“
 

„Ich bin diejenige die Glück hat. Darum werde ich auch um jeden Preis verhindern, dass ihm wehgetan wird!“ antwortete Alice kämpferisch.
 

„Ich will ihm aber überhaupt nicht wehtun!“ versicherte Christian aufrichtig: „Was ich in der Vergangenheit getan habe, bereue ich zutiefst. Ich schäme mich dafür.“
 

„Warum hast du es denn überhaupt gemacht?“ fragte Alice anklagend: „Wie konntest du nur?“
 

Christian schluckte:

„Es war anfangs unmöglich für mich, zu akzeptieren, was ich war. Mir hat es vor mir selbst gegraut und es war so einfach, es an Noah auszulassen. Nicht nur, weil er derjenige war, mit dem ich diese Dinge getan habe, sondern auch…“Christian kratzte sich nervös am Hinterkopf: „…naja, weil er so ist, wie er ist.“
 

„Wie ist er denn?“ fragte fragte Alice scharf.
 

„Was ich meine ist, wenn die Leute über Männer wie mich sprechen, dann haben sie doch eher so jemanden wie Noah im Sinn.“ gab Christian unsicher zurück: „Er ist zurückhaltend, gefühlvoll, ein wenig ängstlich, vielleicht sogar ein bisschen mädchenhaft!“
 

Alice erhob sich drohend von ihrem Platz, ballte die Fäuste und funkelte ihn böse an.
 

Christian hob beschwichtigend die Hände und fügte hinzu:

„Ich war einfach ein Idiot. Noah schien all´das zu sein, was ich Nicht sein wollte. Aber heute sehe ich das alles ganz anders. Ehrlich!. Ich denke nicht mehr, dass irgendetwas falsch daran ist, wie Noah ist. Im Gegenteil! Ich glaube, ich mag ihn genau deswegen!“
 

Alice entspannte sich ein wenig und nahm ihren Platz wieder ein. Nach einer Weile sagte sie nachdenklich:

„Ich mag ihn auch dafür! Es kostet Mut, so zu sein wie er, weißt du? Er verstellt sich nicht, um es anderen recht zu machen!“
 

„Du auch nicht!“ stellte Christian fest.
 

Alice zuckte mit den Schultern. Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte sie noch:

„Ich weiß immer noch nicht, ob ich dich mag, Christian, aber ich werde auch nicht versuchen, mich dir in den Weg zu stellen, wenn Noah und du euch näher kommt. Sei dir nur bewusst, dass ich dich im Auge behalte! Wenn du einen Fehler machst, bist du dran!“
 

Christian nickte und versicherte:

„Keine Sorge! Das vergesse ich nicht!“
 

Als Justine an der Grabstätte ankam, wähnte sie sich allein.

Sie kniete vor dem Stein nieder und stellte mit Erschrecken fest, wie kurz die Lebensspanne doch gewesen war, die der Bindestrich verband. Elizabeth war lediglich sechsunddreißig Jahre alt geworden.

Justine überkam plötzlich eine große Traurigkeit. Sie tröstete sich damit, dass die Frau, die hier lag immerhin bis zu ihrem Tod mit Kathryn zusammen sein durfte. Das, und die Tatsache, dass diese sie nie vergessen und sie weiterhin lieben würde, bis ihr eigenes Herz eines Tages zu schlagen aufhörte, tröstete sie ein wenig.
 

Justine nahm hinter sich ein Geräusch wahr. Als sie sich umwandte, tauchte Lydia Snyder hinter einem dicken Eichenstamm auf:

„Entschuldigung! Ich wollte sie nicht erschrecken.“ murmelte sie leise. Dann blickte sie sich nach allen Seiten um, um sicherzugehen, dass wirklich niemand sie bei diesem Stelldichein entdeckte:
 

„Sie müssen keine Angst haben, Ms. Snyder. Wir sind allein hier!“ versicherte Justine beruhigend: „Ich freue mich, dass sie gekommen sind.“
 

„Ich freue mich auch!“ erwiderte Lydia und Justine war sich nicht sicher, ob die Freude ihrem Erscheinen galt, oder vielleicht doch eher dem Umstand, dass Ms. Snyder selbst den Mut gefunden hatte, herzukommen:
 

„Was kann ich denn nun für sie tun?“ erkundigte sich Justine: „Gibt es etwas, was sie mich fragen, oder mir berichten wollen?“
 

„Ja!“ antwortete Lydia aufgeregt: „Ich meine, ja, es ist beides!“
 

Justine lächelte und blickte die andere Frau erwartungsvoll an, bis diese schließlich zu sprechen begann:

„Manchmal kneife ich mich, um zu sehen, ob ich noch am Leben bin. Wenn ich diesen kleinen Schmerz spüre, fühle ich immerhin irgendwas. Als ich jung war, habe ich gedacht, ich liebe meinen Mann, aber was ist das eigentlich? Liebe? Wie fühlt Liebe sich an? Ich habe meine Jungs geliebt, als sie noch klein waren, doch jetzt sind sie weg und ich sehe sie höchstens noch an Weihnachten. Ist das Liebe? Ich habe gedacht, dass ich meine Eltern liebe wie eine gute Christin, aber nun sind sie schon lange tot und ich denke gar nicht mehr an sie. Ist das Liebe? Ich fühle gar nichts! Ein Tag ist genauso, wie der andere. Ich erfülle keinen Zweck, außer meinem Mann das Haus sauber zu halten und für ihn zu Kochen.“ Lydia blickte abwesend in die Ferne und fuhr fort: „Als Mädchen hatte ich ein paar Freundinnen, mit denen ich sprechen konnte, aber dann kam die Hochzeit und die Kinder und man hat sich aus den Auge verloren. Und mein Mann spricht schon seit einer Ewigkeit nicht mehr mit mir. Er geht ja auch hinaus in die Welt, hat eine Aufgabe und trifft Menschen. Ich habe das nicht. Wissen sie, wie öde es sein kann, wenn man nur seine eigenen Gedanken hört und es sind ständig dieselben, die sich wiederholen und wiederholen bis man das Gefühl hat, man würde den Verstand verlieren?“

Mit jedem weiteren Wort steigerte sich die Verzweiflung Lydias. Ihre Mine wirkte verzerrt, so als habe sie körperliche Schmerzen.
 

Justine ließ sich für einige Sekunden emotional auf die Pein ihrer Gesprächspartnerin ein, doch sie war wie ein heulender, tiefschwarzer Abgrund, der sich zu ihren Füßen auftat und sie zu verschlingen drohte.

Mit einem tiefen Atemzug kehrte Justine in die aufgeräumte Sicherheit ihrer eigenen Gedankenwelt zurück und fragte Lydia ernsthaft:

„Was gedenken sie zu tun, um ihrem Leben eine neue Wendung zu geben, Ms. Snyder?“
 

Lydia blickte überrascht und enttäuscht zu ihr auf und erwiderte:

„Ich dachte, sie könnten mir das sagen! Ich hatte gehofft, sie hätten die Antworten für mich! Bitte helfen sie mir doch!“
 

Justine schüttelte den Kopf und erwiderte streng:

„Es tut mir leid Ms. Snyder, doch das kann ich nicht für sie tun. Es ist IHR Leben; ihr Klumpen Lehm wenn sie so wollen und sie müssen ihm eine Form nach ihren Vorstellungen geben! Sehen sie, wohin es sie gebracht hat, die Verantwortung dafür aus den Händen zu geben? Genau an diesen Punkt! Wenn sie ihrem Unglück ein Ende bereiten wollen, müssen sie selbst wissen, was sie ändern wollen. Ich kann ihnen helfen, das Ziel zu erreichen, welches sie sich stecken, doch die Vision muss von ihnen kommen!“
 

Lydia blickte Justine mit großen Augen an. Es kam ihr vor, als hätte diese sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt.

Sie sollte sagen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte?

Was konnte das schon sein?

Sie konnte nichts, hatte nichts, war nicht gebildet, nicht interessant, nicht schön und nicht mehr jung.

Aus nichts ließ sich auch nichts machen, also was wollte diese Frau von ihr?
 

Als hätte Justine ihre Gedanken gelesen, sagte sie plötzlich:

„Machen sie sich keine Sorgen, Ms. Snyder. Wenn sie sich erst einmal die Erlaubnis geben, zu träumen, wird die Antwort, wie sie ihr weiteres Leben gestalten wollen von allein zu ihnen kommen. Und wenn es schon kein anderer für sie tut, werden sie wohl die Erste sein müssen, die anfängt, sie wichtig zu nehmen und die ihnen applaudiert!“
 

Lydia nickte. Sie war sich nicht sicher, ob sie alles verstanden hatte und in ihrem Kopf rauschte es, aber sie nickte.
 

„Sie können mich jederzeit wieder aufsuchen, wenn sie unser Gespräch fortsetzen wollen!“ bot Justine an.
 

Wiederum gelang es Lydia lediglich zu Nicken.

Sie ergriff die Hand, die Justine Carpenter ihr zum Abschied hinhielt und schüttelte sie. Und dann tat sie etwas, was sie selbst überraschte: Sie fiel der anderen Frau um den Hals!
 

Sie konnte es selbst kaum fassen. Es war scheinbar eine Ewigkeit her, dass sie einem anderen Menschen körperlich so nah gekommen war und nun gelang es ihr gar nicht mehr, diese Frau, die sie kaum kannte loszulassen?
 

Justine war zunächst ein wenig überrumpelt von der Umarmung der eigenartigen Fremden, doch die Bedürftigkeit und Einsamkeit, die darin zum Ausdruck kam, rührte sie gleichzeitig. Schließlich schloss sie ihrerseits die Arme um Lydia Snyder, wiegte sie ein wenig und wiederholte murmelnd die Worte, dass alles gut werden würde.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis Lydia sich wieder losmachte, doch Justine ließ sie bis dahin gewähren.

Schließlich bedankte Lydia sich mehrmals, drehte sich um und eilte zurück zum Ort.
 

Justine blickte ihr stirnrunzelnd hinterher.
 

Nach dem Abendessen nahm Noah Christian mit in Sams Versteck in der Scheune, wofür er sich zuvor dessen Einverständnis eingeholt hatte. Sam hatte ihn zwar ein wenig säuerlich angeschaut bei der Frage, doch dann hatte er genickt.
 

Nun lagen die beiden nebeneinander im Heu und Christian wollte wissen:

„Was wird das denn hier nun? Du machst mich irgendwie ein wenig nervös!“
 

„Ich habe dich hierher geholt, um dir meine Bedingungen mitzuteilen.“ verkündete Noah.

„Die Bedingungen für was?“ fragte Christian nach:
 

„Was denkst du denn?“ fragte Noah zurück: „Die ganze Zeit sagst du, du willst mich zurück. Ich sage dir jetzt, wie es läuft!“
 

Christian gefiel Noahs Entschlossenheit. Er lag ihm zugewandt, hatte den Kopf auf seine Hand gestützt und sagte grinsend:

„Dann lass` mal hören!“
 

„Es funktioniert nur auf eine einzige Art!“ sagte Noah ernst: „Wir spielen nach meinen Spielregeln! Ich weiß, früher war es andersrum, du hast den Anfang gemacht, hast bestimmt was wir machten und wann und auch, wann es vorbei war, aber das mache ich nicht mehr mit, kapiert?“
 

Christian nickte:

„Klingt akzeptabel. Aber was genau sind deine Spielregeln?“
 

Noah errötete ein kleines bisschen, als er antwortete:

„Zunächst möchte ich, dass wir es ganz langsam angehen. Du hast im letzten Jahr viel Erfahrung gesammelt. Ich aber nicht! Ich fürchte mich ein bisschen vor deinen Erwartungen. Darum will ich, dass du dich meinem Tempo anpasst! Selbst wenn es noch eine Ewigkeit dauert bis wir…du weißt schon!“
 

„Einverstanden!“ versicherte Christian.
 

„Und außerdem möchte ich, dass eines vollkommen klar ist: Wenn du noch einmal die Hand gegen mich erhebst, siehst du mich nie wieder! Verstehst du mich? Ich werde es nie wieder zulassen, dass du mir wehtust!“
 

Christan nickte:

„Es tut mir so leid. Der Blitz soll mich treffen, wenn ich es tue! Ich fühle mich grauenhaft deswegen.“ murmelte er heiser: „Aber was ist da noch? Ich würde alles tun, weißt du?“
 

„Das war`s eigentlich schon!“ gab Noah schüchtern zurück
 

„Sind wir dann also jetzt ein Paar?“ wollte Christian wissen.
 

Noah zuckte mit der Schulter:

„Ich schätze schon!“ Er drückte Christian einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und erklärte: „Ich muss jetzt nachhause!“
 

Christian stöhnte unglücklich.

Das Warten würde hart werden!“
 

Vor der Scheune wartete Sam auf Noah und fragte forsch:

„Was hattest du denn mit ihm zu besprechen?“
 

„Das ist kompliziert!“ gab Noah ausweichend zurück und fügte hinzu: „Ich muss jetzt nachhause!“

„Ich begleite dich ein Stück und du erklärst es mir!“ sagte Sam.

Es war keine Bitte!
 

Noah zuckte mit den Schultern und erwiderte:

„In Ordnung! Ich versuch`s!“

Er fühlte sich unbehaglich dabei, denn er ahnte, dass Sam zu jung war, um zu begreifen, was vor sich ging. Dennoch bemühte er sich um eine genaue Erklärung und ließ dabei nichts; auch die schwierigen Dinge nicht aus.
 

Sam lauschte aufmerksam und sagte schließlich:

„Erst hattest du Angst vor ihm und nun willst du, dass Christian dein Freund ist? Das verstehe ich irgendwie nicht?“ Er klang ratlos: „Du hast doch schon Freunde, Alice und Joe und mich. Warum brauchst du dann noch ihn?“
 

„Ich habe jetzt keine Angst mehr!“ versicherte Noah: „Christian scheint sich wirklich geändert zu haben. Und außerdem ist das mit ihm etwas anderes! Ich glaube, ich bin in ihn verliebt!“

Erst jetzt, als er es ausgesprochen hatte, wurde Noah bewusst, dass es stimmte.

Er war verliebt!
 

Sam nickte:

„In Ordnung!“ entschied er großzügig: „Aber ich behalte Christian im Auge! Nur für den Fall!“
 

Auf dem Heimweg bekam Noah Angst vor seiner eigenen Courage. Er hoffte, dass er Christian nicht zu viel versprochen hatte, denn in ihm gab es noch immer große Zweifel.

Er konnte nicht ändern, was er war, aber wenn er diesem Verlangen auch tatsächlich nachgab; war das dann nicht die eigentliche Sünde?

Er traute sich nicht, mit Alice, Joe oder Christian über diese Angst zu sprechen, denn sie würden ihn gewiss nicht verstehen.
 

Als Hubert nachhause kam, war Lydia gerade beim Brotbacken.

Der Teigklumpen lag vor ihr auf der Arbeitsfläche und plötzlich hatte sie das Gefühl, er würde sie verspotten, wie er so unförmig vor ihr lag.

`Ihr Klumpen Lehm´ ging es ihr wieder und wieder durch den Kopf und sie begann den Brotteig zu bearbeiten: Sie knetete, quetschte, rollte und wälzte. Schließlich schlug sie mit Fäusten wütend auf den Teig ein, schrie und keuchte dabei und betrachtete zwischendurch die Abdrücke, die ihre Hände in ihm hinterließen.

Sie hatte zunächst gar nicht bemerkt, dass ihr Mann mittlerweile neben ihr stand und sie fassungslos anstarrte.

Dann nahm er seine Jacke und verließ das Haus wortlos wieder.
 

Lydia war offenbar dabei, den Verstand zu verlieren. Der Sheriff würde heute Nacht auf keinen Fall zuhause schlafen.

Sie schien nicht mehr zu wissen, was sie eigentlich tat, überlegte er.

Was wenn die Beherrschung verlor und ihn im Schlaf ermordete?

Das Risiko würde er lieber nicht eingehen. Er würde im Department übernachten und morgen früh wollte er mit Doktor Miller über das ganze sprechen.

Und zur Sicherheit auch mit dem Reverend.
 

Joe stand mit dem Becher in der Hand vor Margaretes Zimmertür. Tiny hatte ihn gebeten, die Übergabe vorzunehmen, weil es ihm unangenehm war, es selbst zu tun.

Joe konnte allerdings auch nicht behaupten, dass er selbst sich so recht wohl dabei fühlte.

Er tat es nur, um ein Teil dieser ganzen Angelegenheit zu sein.

Als er klopfte, öffnete Margarete sofort. Sie musste wohl schon hinter der Tür auf ihn gewartet haben.

Sie grinste ihn schüchtern an, nahm das Gefäß aus seinen Händen, bedankte sich und schloss die Tür wieder.
 

„Verdammt! Was für eine merkwürdige Situation!“ dachte Joe bei sich.
 

„Haben sie etwas vergessen Sheriff?“ rief Carmichael Snyder von seiner Zelle aus zu.
 

„Halt´ die Klappe!“ herrschte er seinen Gefangenen an.

Er bezog eine der freien Zellen außerhalb von Carmichaels Sichtfelds, ließ sich auf der Pritsche nieder und breitete eine Decke über sich.
 

„Haben sie etwa Ärger zuhause! Das tut mir wirklich leid!“ behauptete Carmichael.
 

„Ich hab` gesagt, du sollst die Klappe halten, du Mistkerl!“ knurrte der Sheriff: „Wenn ich noch einen Ton von dir höre, knalle ich dich ab! Ich werde es wie einen Ausbruchsversuch aussehen lassen, also führe mich nicht in Versuchung!“
 

Bob grinste in die Dunkelheit hinein. Alles lief wie am Schnürchen. Er konnte es kaum erwarten, sie alle in seine Hände zu bekommen, die Huren, ihre Kerle und am Schluss natürlich SIE. Er malte sich aus, was er mit ihnen tun würde.

Der Wolf fiepte wohlig zu seinen Füßen.



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